Freitag, 31. Dezember 2021

Ter Perforatus


Hey die große Buba!

Ich hoffe, Du nimmst es mir nicht übel, dass wir gestern mit einem Cliffhanger geendet haben. Das war pure Absicht, und irgendwie bereitet es mir sogar eine biestige Freude - dass wir beide nicht wissen, ob Peter Olivia direkt darauf ansprechen wird (wir schauen Fringe), oder ob er erstmal den Schein wahrt, um zu planen. Dass Du heute keine Fortsetzung bekommst. Dass Du mindestens bis morgen Abend warten musst. Aber es bereitet mir auch deswegen Freude, weil auf diese Weise Dein Gefühl verlängert wird: Das Gefühl von Spannung, Aufregung, Involviertheit. Du hast mehr Zeit, um aus Deinem Autorenherz neue Weiterentwicklungen der Geschichte sprießen zu lassen - als Aspi gehe ich immer alle möglichen Entwicklungen vorher durch, um nicht überrascht zu werden; das geht automatisch und versaut einem manchmal tolle WOW-Momente. Also genieße diese Zeit, überlege Dir, wie unsere "Familie" wohl mit ihrer derzeitigen Situation umgehen wird.

Ich war heute unterwegs zur dritten Impfung - sehr drollig, Thema Bus: Termin war um Zwölf Uhr Dreißig, also verlasse ich um zehn Minuten vor Zwölf meine Wohnung, um den Bus zum Schwedenkai zu nehmen. Angezeigt wird mir, dass der nächste Bus in fünfundzwanzig Minuten kommt - scheinbar gilt heute der Feiertags-Fahrplan?! Ich hätte mich ja auch mal informieren können und nicht einfach logisch denken "Heute ist ein ganz normaler Arbeitstag, da gilt der reguläre Plan". Und ich wollte auf keinen Fall zu spät kommen ("Seien Sie pünktlich da, erscheinen aber nicht vorzeitig" war die ausgedruckte Anweisung, und daran halte ich mich) - also blieb nur der Fußmarsch.

Und so bin ich heute also im T-Shirt (das sollte ich laut Anleitung tragen) und Jacke durch den Regen von mir zuhause bis runter an den Schwedenkai gewandert, das sind keine drei Kilometer, etwa eine halbe Stunde, und Bewegung tut meinem Rücken grad gut. Angst, dass alle Formulare vom Regen durchweichen, nützt nichts, jetzt oder nie. Zum Glück hatte ich den Regenschirm dabei. Und so bin ich also angekommen, mit dem Fahrstuhl so hochgefahren, wie ich dat brauche, nämlich zum Impfzentrum.

Das lief alles wunderbar, ich lege meine Zettel vor, zeige meine KV-Karte, aber der junge Mann an der Annahme möchte gern meinen Personalausweis sehen. Den habe ich vor Wochen irgendwo liegen gelassen (liebe Eltern, bitte NICHT anrufen, ich kümmere mich drum!), aber die Anleitung sagte mir, dass die Versichertenkarte mit Bild geht. Das wusste der junge Mann dort nicht, whatever, rein, Schirm wegstellen, Jacke aus. Dank T-Shirt ist keine Krempelei nötig. Dann erzähle ich der Ärztin, warum ich so nass bin - die Busgeschichte - und sie erzählt mir freudig, dass sie heute ganz regulär mit dem Bus zum Zentrum fahren konnte. What the what. Mein Gehirn versucht das zu verstehen, ich nehme den Pieks überhaupt nicht wahr, weil ich total überfordert bin. 

Zum Glück unterhalten wir uns ganz lustig weiter, ich frage sie noch, ob ich am Ende der Wartezeit aufgerufen werde oder ob ich nach fünfzehn Minuten selbständig zum Ausgang gehen soll. Ich erzähle ihr die Geschichte von meinem Bruder, der ebenfalls Aspi ist - jedenfalls bin ich davon felsenfest überzeugt, er muss das nur noch selbst realisieren - und der eine halbe Stunde lang am Ausgang darauf gewartet hat, dass sein Name aufgerufen wurde; vollkommen logisch, denn bei den ersten beiden Impfungen wurde er (wie ich) ja auch mit Namen aufgerufen.

Ich sollte mir einen Satz in meinen Methodenkoffer legen: "Entschuldigen sie bitte, ich bin Autist, ich brauche eine ganz genaue Anweisung, wie das hier abläuft und wie ich mich hier verhalten soll." Ich habe diesen Satz mittlerweile mehrfach benutzt - bei der Hand-OP zum Beispiel - und er hilft ungemein. Das macht es alles so viel einfacher! Ich sollte auch weiterhin offen mit meiner Autismus-Spektrums-Störung umgehen.

Genau so, wie eine etwas ältere Dame mit ihrer Angst offen umgegangen ist: Sie stand am Ausgang allein am Fahrstuhl und hat mich gefragt, ob ich sie mit in den Fahrstuhl nehme, denn allein traut sie sich nicht rein. Was für ein wunderbares Gespräch sich daraus ergeben hat! Nur eine Etage lang, aber erleuchtend, und dann öffnet sich die Tür des Fahrstuhls und ich stehe einer vier Meter langen Warteschlange gegenüber. Fühlt sich an wie in der Twilight Zone...

...aber der Gedanke verfliegt schnell, denn es regnet draußen und ich muss den Schirm aufspannen. Der Schirm. Wo ist der Schirm? (Erinnerungen an Lola Rennt) Bei der Ärztin, wunderbar, ich war so überfordert, dass ich daran nicht mehr gedacht habe. Whatever, nichts ist entspannender als das anzunehmen, was kommt, und so bin ich durch den Regen gegangen und schirmlos-nass, aber glücklich zuhause angekommen.

Boob, Du liest, ich wehbe noch. Morgen Abend erwartet uns die nächste Folge Fringe, und damit Dein Gehirn ein bisschen Spaß haben kann, sage ich Dir schonmal den Titel, denn der kann Gedankenzüge auslösen:

Entrada.

Donnerstag, 30. Dezember 2021

Warten auf den Fahrstuhl

Irgendwann muss ich nicht mehr jeden Tag das Gleiche essen; irgendwann werde ich auch wieder Muße für solche Bildspielereien haben.

Heute war ein Einkaufsbummel dran - vorbereiten für den Jahreswechsel. Das ist momentan nicht ganz einfach, denn seit gut drei Wochen esse ich jeden Tag das Gleiche. Es ist tatsächlich so, dass mich das beruhigt. Ich muss mich nicht fragen, was ich wohl morgen essen werde, ich muss mich nicht zwischen verschiedenen Gerichten entscheiden, ich weiß genau, wie das schmecken wird, was es morgen gibt, da sind keine (oder kaum) Unsicherheiten mehr.

So geht es mir auch mit Verbrauchsgütern wie Handcreme oder Kaugummis - ich nehme nicht irgendwelche mit, es muss eine ganz bestimmte Sorte sein, und dann muss ich halt zu unterschiedlichen Händlern gehen, um meinen Wunscheinkauf zu bekommen. Praktischerweise ließ sich heute alles in einem Rundgang erledigen.

Da gab es zuerst Aldi im Citti-Park, achtmal Handcreme und sechs Kaugummidosen (mehr waren nicht da). Dann ging es zu Media Markt, Zeit für The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Auf dem Rückweg einen Schlenker zum Rewe Zenntruwah - viel Salatboxen Orzo, vier Pute-Ei-Sandwiches, vier Tiramisu mit Spekulatiusbröseln. Das produziert leider eine unglaubliche Menge Plastikmüll, und das ist definitiv keine Dauerlösung, aber im Moment hilft es mir.

Der Salat hat es mir besonders angetan: Verschiedene Blattsalate, Walnüsse, Käsehobel, Croutons, Reisnudeln und Sylter Dressing. In der ersten Phase gibt es die knackig-leichten Blätter, in der zweiten Phase wird es dann etwas "handfester" mit den Nudeln, Croutons und Käse. Ganz großartig.

Jetzt ist mein Kühlschrank also ungewöhnlich voll, aber da es alles die gleichen Nahrungsmittel sind, keine große Vielfalt, und das ist für den Aspi auch gut so. Handcreme, Kaugummis, Tee - Ich muss in den nächsten vier Tagen die Wohnung nicht mehr verlassen (theoretisch, denn morgen ist meine Booster-Impfung dran). Der Jahreswechsel kann kommen.

Das Bild, das mir heute in Erinnerung geblieben ist, stammt aus dem Citti-Park: Eine vier Meter lange Warteschlange vor dem Fahrstuhl. Korrigiere: drei vier Meter lange Warteschlangen vor drei Fahrstühlen. Ich glaube, ich habe noch nie so viele Menschen auf einen Fahrstuhl warten sehen, und ich war froh, dass ich nur die Rolltreppe zum Bahnhof brauchte. Das alljährliche Weltuntergangs-Einkaufen geht auch mit Corona, offensichtlich.

post scriptum: Und mein Highlight in Sachen "Home Improvement" war heute endlich der Austausch meiner Projektoruhr mit roter Anzeige gegen eine mit blau. Es passt mir viel besser, hinten an der Wand eine blaue Uhrzeit zu sehen, viel entspannender.

Mittwoch, 29. Dezember 2021

Hochtourig unterwegs


Es gibt da diese Substanz K. Ich werde ihr irgendwann einmal einen Beitrag widmen, denn sie hat mein Leben in den letzten zwölf Jahren intensiv beeinflusst. Natürlich ist das nicht ihr richtiger Name, aber weil sie legal und leicht erhältlich ist und eventuell Schüler diesen Blog lesen, habe ich mir diesen anderen Namen ausgedacht.

Substanz K hat einen für mich interessanten Effekt: Sie öffnet die gedanklichen Fluttore in meinem Gehirn. Normalerweise blockiert mein Gehirn Gedanken, die irrelevant, schädlich und so weiter sind. Unter dem Einfluss von Substanz K können alle Gedanken ungefiltert auf mich einprasseln. Weil das gefährlich sein kann, muss man dafür gut "ausgebildet" sein, aber dazu im zukünftigen Beitrag mehr.

Ohne Substanz K wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass ich eine geistige Behinderung habe. Das war bis dahin für mein Gehirn undenkbar, und weil das mein Leben deutlich verändert hat, bin ich sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich mit Substanz K machen durfte.

Sie hat aber auch noch einen anderen Effekt: Sie erhöht für etwa einen halben Tag den Serotoninspiegel im Gehirn. Kurs gesagt: Man ist glücklich. Extrem glücklich - manisch (allerdings nicht bei einmaligem Konsum). Auch deswegen muss man äußerste Vorsicht walten lassen.

Die letzten Tage eines Jahres verbringe ich immer mit der Substanz K. Sie erleichtert mir das Nachdenken, Umdenken und Neudenken und ich fühle mich einfach wohl. Auf diese Weise kann ich aus den aspitypischen starren Denkweisen ausbrechen. Gehirntechnisch bin ich dieser Tage hochtourig unterwegs. Natürlich wird das dann im neuen Jahr einen ausgleichenden Absturz mit sich bringen, aber über die Jahre weiß man, wie man damit umgehen muss.

Liebe Eltern, macht Euch bitte keine Sorgen: Es geht mir gut! Es ist alles in Ordnung. Ich habe mich monatelang über Substanz K belesen, bevor ich sie damals überhaupt ausprobiert habe. Ich kenne sie in- und auswendig. Langsam bin ich soweit, dass ich Substanz K nicht mehr brauchen werde, und dann gibt es einen ausführlichen Beitrag.

Und an alle da draußen, die auf eine Mail von mir warten: Bitte Geduld bis zum zweiten Januar; ich muss mich dieser Tage auf mich selbst konzentrieren. Jetzt genieße ich erstmal einen meditativen Jahresausklang und überlege mir Strategien, mit den Problemen dieser geistigen Behinderung umzugehen.

Und freue mich auf Buba La Tättah.

Montag, 27. Dezember 2021

Zwischen den Tagen

Zeit, die Filmtaschen hervorzuholen...

Nach Weihnachten und vor Silvester. Das ist immer die Zeit, in der es leckeres Essen von Mama gibt, denn natürlich lässt sie ihre Kinder nach Heiligabend nicht ohne tiefgekühlte Leckereien zurückfahren, und Mamas Frikadellen sind die besten der Welt, da wird gar nicht diskutiert. Und Spaghettisauce, Käsesuppe und was der Dinge mehr sind.

Tagsüber werden Geister fotografiert und ein wenig aufgeräumt. Die Betonung liegt auf "ein wenig", denn nur so weit, dass ich ein spirituelles Silvester ohne jegliche Barrieren verbringen kann. Abends kommt die dicke Fritte vorbei und wir zerlegen die Couch immer weiter. Und wir fringen uns durch ein Paralleluniversum, und nebenbei retten wir noch die Welt.

In dieser Zeit denke ich nicht an Schule, noch nicht mal an das neue Jahr, sondern mit Tunnelblick geht es auf Silvester zu, und das muss perfekt werden (typisch Aspi eben). Da muss alles vorhanden sein, was man braucht, Tee, Nahrungsmittel, Medikament gegen Reizhusten, Filme, Klopapier, Badesalz, Videospiele. Den Jahreswechsel nutze ich dann wieder zum Nachdenken, aber dazu in den nächsten Tagen mehr.

Irgendwie ist das also nichts Halbes und nichts Ganzes, und das ist in Ordnung. Da darf noch Chaos herrschen, und ab Neujahr kann es dann anders weitergehen. Macht Ihr irgendwas Besonderes zwischen den Tagen?

Samstag, 25. Dezember 2021

A Hilarius Christmas!


Der fünfundzwanzigste Dezember, Drei Uhr Neun morgens. Mein Kopf ist immer noch völlig überfordert von vielen Gedanken, aber immerhin den tab mit dem neuen Blogeintrag möchte ich schonmal öffnen und mir kurz notieren, was da alles hineingehört. Und jetzt: Schlaf (irgendwie).

Zwölf Uhr Zweiunddreißig. Ein bisschen geschlafen und ich bin immer noch vollkommen in den Gedankenzügen drin, also versuche ich jetzt mal, diesen Beitrag zurechtzuklöppeln. Wie der Titel schon andeutet, geht es um den Heiligabend bei meiner Familie, und der war diesmal anders und doch irgendwie wieder business as usual. Am frühen Nachmittag hat mein Bruder mich abgeholt - in seinem neuen Beemer, und irgendwie fühlt es sich ja schon cool an, in so einem Auto zu fahren. So ruhig und entspannt und losgelöst von dem ganzen Verkehrsstress da draußen. Das war großartig - und während der Fahrt Neuigkeiten austauschen und schonmal mental darauf vorbereiten, was und zuhause erwartet.

Erwartet hat uns eigentlich nichts Ungewohntes. Es war das erste Weihnachtsfest ohne meine Oma, das heißt, der Faktor "Kirche" tauchte überhaupt nicht mehr auf, und das hat es alles etwas pragmatischer gestaltet. Fand ich ganz schön. Es war sehr lecker, und ich habe meinem Bruder endlich das Fachbuch zum Asperger-Syndrom gegeben, was schon seit über einem Jahr hier in meiner Wohnung lag und genau darauf wartete. Ist nie einfach, den "richtigen" Moment zu finden, auch für neurotypische Menschen. Und Aspis stehen sich dabei noch mehr selbst im Weg. Aber ich habe es ihm gegeben, habe zwei, drei Sätze dazu gesagt, und ich fühle mich jetzt extrem erleichtert und habe das ganz leichte, fast unbewusste Gefühl, meinem Bruder etwas geholfen zu haben. Das bedeutet mir viel und hat die Heimfahrt, ebenfalls gestern, fast etwas surreal wirken lassen. 

Und dann hatte ich mir quasi als "intellektuelles Dessert" einen Brief aufgehoben, der am Tag zuvor in meine Wohnung geflattert war. Absenderin war eine meiner Schülerinnen, und das war ein tolles Erlebnis, diesen Brief zu öffnen.

Vorgeschichte: Infolge der Erkrankung hatte ich meine Schüler gebeten, mir englische Briefe zu schicken, und da kamen einige sehr spezielle und ganz tolle Briefe bei mir an. Eine Briefkombo einer Dreiergruppe hat mich ganz besonders fasziniert - ein Autist und zwei vermutlich hochbegabte Schüler haben zusammengearbeitet und mir sehr unübliche Post geschickt. Also habe ich mir gedacht, dass ich mir einen kleinen Spaß gönne: Ich habe ihnen einen Brief in der Geheimschrift (siehe unten) in die Schule geschickt, ohne jegliche Lösungstipps, einfach nur mit der Anmerkung "Figure it out"! - "Findet es heraus!"

Ich habe das gemacht, weil ich mir mit der Hochbegabung zumindest bei einer von ihnen so sicher war, dass ich sie testen wollte. Mein Gedankengang: "Sie ist hochbegabt. Dieser Brief wird sie nicht loslassen, bis sie ihn entschlüsselt hat. Das ist ein Rätsel und es wird sie faszinieren. Sie wird es entschlüsseln - und dann wird sie mir, quasi als Bestätigung, einen Brief zurückschicken, und zwar genau in dieser ihr bis dato unbekannten Geheimschrift, um mir zu zeigen, dass sie sie geknackt hat."

Diesen Brief habe ich ihnen (verschlüsselt) geschickt:

Hi B & E & F!

I am writing to you because your letters were special. This is because you three are special students and your brains remind me of myself.

If it is okay with you, I would like to talk with you sometime. Don't feel forced to do that; it's just that this might result in a very interesting conversation.

I don't know how long I have to stay home. I really miss you guys and the whole course and I want to continue with our game "Life is Strange"!

Well... who of you cracked the code? Send me a letter in this secret language so I know that you solved it. In the meantwime I'll continue watching "The X-Files" and playing "Metroid Dread".

Hope to hear from you soon!

Ich liebe es, wenn ein Plan sich haargenau so abspielt, wie ich ihn mir in meinem Kopf zurechtgelegt habe. Wenn sich einzelne Dinge einfach bestätigen. Und so habe ich ihren Brief aufgerissen und folgenden Brief in Geheimschrift darin gefunden:


Hier die Übersetzung (Rechtschreibung und Grammatik bereinigt):

Moin Mister Hilarius,

we finally decoded your letter. We took a little longer than we should UWU (don't Autist). We're sorry for letting you wait a decade.

Remember to breathe and don't eat yellow snow, and for God's sake, stay away from the brown snow.

You're a sick Earthling, but now you're an ill one, too. [Ich liebe dieses Wortspiel!]

We really hope to see you in person again soon!

XOXO the hoomanoid creatures E and B

ps: It was we E the one and only, who did the decoding.

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Dreizehn Uhr Neun. Was für ein wunderbarer Tag und Abend und Nacht.

post scriptum: Sienzehn Uhr Fünfundzwanzig. Und dann auch noch eine neue Episode "The Expanse" - zuviel. Telefon raus, abschalten, geistige Quarantäne. Das ist der Moment, wo unserer Aspi-Schüler in Tränen ausbricht und wir ihm einen abgeschotteten Raum geben müssen, in dem er sich sammeln kann. I'm getting the hang of this.

Donnerstag, 23. Dezember 2021

Schnee. Schuhe. Schuss.

Zeit für den nächsten Schuss

Wenn man in einer abgedunkelten Wohnung lebt, die Rollos quasi dauerhaft runtergezogen, dann bekommt man nicht mit, was draußen abgeht - von den Geräuschen mal abgesehen; es ist immer wieder erheiternd, das Kopfkino einzuschalten, wenn unten auf der Kreuzung entnervt gehupt wird. Und immer mal wieder ein Krankenwagen mit Lalü-Lala, denn ein paar Häuser weiter haben wir eine Klinik, und ein paar Häuser in die andere Richtung weiter haben wir ein Altenheim. So bastelt man sich seine Geschichtchen zurecht.

So habe ich heute überhaupt nicht mitbekommen, dass es schneit. Ich war damit beschäftigt, mit einer jungen Frau durch den Regen zu wandern und eine Geschichte zu entdecken. Gen Abend mache ich immer die Fenster auf, um über Eck durchzulüften, dafür ist eine Eckwohnung wirklich prädestiniert - und dabei habe ich dann das weiße Gedöns da draußen entdeckt. Schnee. Nass, kalt, dreckig. Und es ruft mir in Erinnerung, dass ich ja schon lange neue Schuhe kaufen wollte - Straßenschuhe, schwarz natürlich, möglichst bequem, denn momentan trage ich Hallenschuhe und die geraten bei Regen und Schnee gern in's Rutschen. Das muss nicht sein. Also werde ich über die Feiertage mal nach einem neuen Paar Schuhe suchen. Typisch Aspi: Eigentlich geht das doch alles, warum sollte ich etwas ändern? Erst danach merkt man, dass das doch eine gute Idee war.

Und wenn ich diese neuen Schuhe dann habe, dann kann ich sie nutzen, um an Silvester in den Bus zu springen und runter an den Schwedenkai zu fahren, ich habe mir endlich einen dritten Impftermin besorgt. Das habe ich ewig vor mir hergeschoben - sechs Monate sind ja noch nicht rum, Impfstoff ist knapp, bei'm Hausarzt würde ich einen Termin im März bekommen. Also probiere ich es gar nicht erst. Klottseidank habe ich heute dann einfach ein paarmal geklickt und kann mir jetzt den Schuss setzen lassen, voraussichtlich mit Moderna. Bin gespannt!

Ich hab's ja nicht mit Weihnachten, aber ich wünsche Euch einen schönen Tag morgen!

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Screenlife

Screenshot aus dem Film Searching

Dieser Begriff muss irgendwo um Zwanzig Vierzehn entstanden sein; screenlife ist kein Filmgenre, aber ein Filmformat: Alles, was gezeigt wird, findet auf Bildschirmen statt, so dass ich quasi als Zuschauer direkt dabei bin, wie etwas passiert. Das kann einen recht starken immersiven Effekt haben, man möchte direkt mitklicken.

Ich fand das ziemlich clever, und am Beispiel von Searching (2018) kann man schön erklären, wie das funktioniert. Wir starren also auf diesen ganz normalen Desktop-Hintergrund, und der Protagonist ist erstmal nicht zu sehen, nur in Form des Zeigers auf dem Bildschirm. Wir sehen ihn nicht, aber wir sehen, was er macht; so schaut er sich zum Beispiel alte Fotos an und in einer tragisch-schönen Sequenz erfahren wir ohne viele Worte, dass er Vater ist, eine Tochter hat und dass seine Frau an einer Krankheit verstorben ist. Erinnert ein kleines bisschen an den Film Up (2009).

Dann wird - ich bringe es nicht mehr genau zusammen, also ist das nur eine ungefähre Wiedergabe - der Messenger gezeigt, in dem der Vater mit seiner Tochter textet, man sieht ihr Profil auf einem sozialen Netzwerk, man sieht kleine Videos, die an schöne Ereignisse erinnern - aber irgendwann kommt keine Antwort von der Tochter, und man kann gefühlt in Echtzeit miterleben, wie der Vater sich Sorgen macht, Bekannte und Freunde fragt und mehr wird nicht verraten; der Film dreht sich also um die Such nach seiner Tochter. Dabei erhält der Vater auch interessante Einblicke, die das Bild seiner Tochter etwas relativieren.

Mich hat der Film richtig gut mitgenommen damals, das war aufregend, und ich war von dem Screenlife-Format (im Deutschen Desktop-Film) erstmal begeistert. Hat sich aber als Strohfeuer herausgestellt, denn diese Art von Filmen wurde plötzlich massenhaft produziert und veröffentlicht und ist nur sehr selten qualitativ hochwertig - und bereits jetzt, einige Jahre später, fühlt sich das Filmformat ausgetreten an. 

Das erinnert mich an den damaligen Kinohit The Blair Witch Project (1999), der das found footage-Filmformat populär gemacht hat. Es ist so oft verwendet worden, und so selten überzeugend. Immerhin kommen da noch ab und an kleine Perlen wie Cloverfield (2008) oder Paranormal Activity (2007).

Es lässt sich einfach nicht dieses Gefühl abschütteln: Hat man einen Film dieser Art gesehen, hat man alle gesehen. Aber als Filmfreund interessiert es mich natürlich immer, wenn neue Filmformate aufploppen und einen Namen erhalten. Heute habe ich mir den Film Host (2020) angeschaut, es geht um eine Online-Séance per Zoom, bei der übernatürliche Phänomene auftauchen. Klingt unoriginell, ist es auch, aber kurz (knapp unter einer Stunde) und effektiv. Und eine Stunde später schon wieder vergessen.

Kennt jemand von Euch noch einen richtig guten Screenlife-Film?

Montag, 20. Dezember 2021

Quelle (der Erinnerungen)


Heute nur eine Kleinigkeit, die mir aufgefallen ist und tatsächlich etwas ausmacht. Meine Badewannenarmatur hat keinen klassischen Wasserstrahl, um die Wanne zu füllen, sondern per Schlitz kommt das Wasser in einem Schwall heraus. Ich wollte einfach mal etwas Neues ausprobieren. Interessant ist dabei der akustische Effekt; normalerweise klingt ein Wasserstrahl nicht irgendwie besonders, aber wenn ich jetzt im Bad bin und die Augen schließe, klingt es tatsächlich, als säße ich an einer Bergquelle. 

Das Wasser plätschert so vor sich hin, und das hat tatsächlich einen entspannenden Effekt. Nicht so "laut" und "stressig" wie der klassische Hochdruck-Wasserstrahl. Großartig, jetzt kommt im Badreich zusätzlich zur Aroma- und Farb- auch noch die Klangtherapie hinzu. 

Das ist sehr schön, denn das Gehirn stellt sofort Assoziationen her. Ich kenne das schon vom Badesalz: Wenn ich die Tüte aufreiße, die Augen schließe und am Salz schnuppere, sehe ich mich vor dem geistigen Auge sofort wieder am Strand von Methóni in Griechenland stehen, eine steife Brise im Gesicht - das funktioniert jedes Mal. 

Und ebenso funktioniert es auch mit der Armatur und dem Wasserschwall: Wenn ich das Plätschern höre, das Licht im Bad ausschalte und nur die farbige indirekte Beleuchtung einschalte, dann die Augen schließe - dann befinde ich mich noch weiter in der Vergangenheit, nämlich in den Tropfsteinhöhlen, die wir damals als Familie besucht haben, als wir Ferien auf dem Bauernhof im Schwarzwald gemacht hatten. Und da ich Höhlen und Tunnel liebe, ist das ein echt toller Effekt für das Bad.

Happy.

Samstag, 18. Dezember 2021

Schlittenfahrt


Heute lief im Supermarktsender die Zeile "...it's just the weather for a sleigh-ride together with you!" Daraufhin musste ich mir vorstellen, wie die große Buba und ich auf einem Schlitten den Berg runterrodeln (wollen). There you go:

"Geh' weg, ich weiß nicht wo ich mich hinsetzen soll, dein Fett verdeckt alle Festhaltemöglichkeiten, Fhotz-HÄH!"

"Dei-DHÄH! Möchtest Du lieber, dass ich hinten sitze?"

"Ohklott, bloß das nicht, das überwehbe ich nicht, wenn du über mich drüber rollst."

"Na also. Hier, halt' mal die Einkäufe, ich wollte nur Weichspüler holen, und plötzlich waren fünf Kilo Kekse in der Tüte."

"Was, diese riesige Tüte soll ich dabei festhalten??"

"Nein, alter Mann. Diese PFÖMPF Tüten sollst du dabei festhalten, ich brauche ja schließlich auch einen Hauptgang heute Abend."

"Wenn wir das hier überleben. Hast du den Katastrophenschutz alarmiert?"

"Pomsa, wir sind hier auf einem kleinen Hügel irgendwo in Hassee. Was soll schon passieren?"

"Dein Wort in Khlottis Ohr. Hier, klemm' die Taschen irgendwo drunter fest."

"Oh ich glauwäsgeradethöäarcht, ich hab' Schnee in den Schuhen!"

"Ja. Nimm' mir bitte die Tüten ab, mein Arm bricht gleich durch."

"Die habe ich neulich online gekauft, waren eigentlich ganz schick, aber ich glaube, ich muss die zurückschicken, die sind eine oder vier Nummern zu groß."

"Buba. Mein Arm."

"Und schau mal, hier, das Logo ist fast abgebrochen. Eigentlich sollte ich die zurückschicken."

"Meine heißgeliebte WonneTonne, ich sterbe hier unter Kekstüten, kannst du jetzt BITTE d-"

"Ieh, wie eklig, jetzt sind auch die Socken völlig durchnässt, ich hab' keine Lust mehr, ich will nach Hause."

"...rrrgghhhhh... ...hhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh..."

"Natürlich, du spülst dich wieder zu Tode, wenn ich was falsch mache, dabei ist das meine Aufgabe, zu kachen, wenn du in den Videospielen stirbst."

"Ich STHÄRBHEHÖÄABAH!!!"

"A a a a a a a, a a. a? A a a a a a a a. tot. Dann fahre ich eben ohne dich."

Und so kommt es, wie es kommen muss, die große Buba schiebt den Schlitten an, und grazil wie ein Elefant und ein klappriger Klingelopa setzt sich der Schlitten mit uns in Bewegung. Vielleicht hätten wir vorher die Piste checken sollen, aber nein, wer kümmert sich schon um solche Details.

"Ooohhh, rechts, ein Eichhörnchen!"

"Titte, ich habe eine Tasche verlo-"

"Ruhe, ich will das beobachten, wir sind noch so schön langsam, mein FitBit zeigt mir gerade 1,7 km/h an."

"Aber deine Kek-"

"Hó Käks. Du musst sowieso mal wieder deine Cookies backen. Und jetzt geht es los!" 

"Mach langsamer, da vorne fährt eine Kuh!"

"Blödsinn, das ist nur eine fliegende Regentonne. Isch-HOAH!"

"Kuh, Regentonne, ein Kind, ein Tuch, ICH FAHRE, und zwar VIEL zu schnell!"

"Huuuuuiiiiiiiii!"

"PlaplaplaPLAHTSCH!" Und da vorne taucht ein Stein auf.

"Oh, da liegt eine Fettpizza!" 

Sagt sie, klappt die rechte Titte über die Schulter und lehnt sich nach links raus, um sie einzuatmen. Die Pizza. Ein Fehler. Der Schlitten neigt sich zur Seite, meine beiden letzten Titten fliegen mir aus der Hand, ein Keksregen verteilt sich über die Schneelandschaft und erschlägt ein Reh, und eine Ente. Quak. Aber das höre ich schon nicht mehr, denn wir sind gestürzt und liegen im Schnee begraben.

...sollte man meinen, aber wir potern weiter, und der erste Schnee bleibt an uns haften, und so wird aus einer Kugel mit einem Skelett darum ein Schneeball und schließlich eine Schneelawine, dat kann niehch jedah! Mitte viele Kühe da! Oder eine Fettlawine, denn meine vier Tüten mit je zwanzig Kilogramm Streukäse aus dem Großhandel habe ich sicherheitshalber an meinen vierten Zähnen festgebunden, denn die hol' ich aber so vor, wie iech dat brauche!

Und Hassee erleidet diesmal ein anderes Schicksal. Ja, wieder geht die große Katastrophen-Alarmsirene los, die aus irgendeinem Grund nach meinem Einzug hier installiert wurde und bei unerklärlichen Phänomenen wie einem Sturm aus Zimtsternen, einem Höllenschlund unter dem Fließband an der Kasse oder einem Schwarzen Loch an der Schnellkasse zuverlässig ihren Dienst tut. Auch heute, und so schaffen es die leid-, spül-, klöter- und trasherprobten Bewohner des Viertels, rechtzeitig in sicherere Städte zu fliehen. Zum Glück!!!

...mehr Essen für uns.

post scriptum: Oh, sollte das da oben "Tüten" statt "Titten" heißen? Bilde Dir deine eigene Meinung. DGB, meine Wohnung und die Nachbarn warten auf Dich, ich höre schon das Beben!

Freitag, 17. Dezember 2021

Geliebte Idiosynkrasie


vorweg: Es gibt gerade so Vieles, über das ich würde schreiben wollen, so viel Neues, Wichtiges, Entwicklungen, und dann ruft auch noch mein Bruder an und signalisiert mir indirekt, dass ich ihm nicht ganz egal bin. Das ist zuviel, da entgleisen alle Gedankenzüge und ich gehe in die "geistige Quarantäne", das Telefon wird ausgestöpselt, das "Nicht Stören"-Schild an der Wohnungstür befestigt, das Bad läuft ein, Zirbenholz und Amyris, dunkel und beruhigend, Meditation ist angesagt, ich peile gut anderthalb Stunden an. Das ist nötig. Bitte nicht wundern, wenn ich mich nicht melde. Im Englischen sagt man als Außenstehender "He's in the zone." Dabei geht es heute eigentlich um etwas ganz Tolles, und ich bin sehr froh, dass ich diesen Beitrag bereits heute Mittag geschrieben habe, so dass ich ihn jetzt veröffentlichen kann. Und deswegen hat das Bild auch eher etwas mit dem "vorweg" als mit dem eigentlichen Beitrag zu tun.

Endlich, endlich, endlich.

Es gibt da diese Videospielreihe - in Japan heißt sie Zero, in Europa wird sie als Project Zero (PZ) veröffentlicht, in Nordamerika unter dem Namen Fatal Frame - wahrscheinlich, weil das mehr potentielle Kunden ziehen soll, auch wenn diese Strategie nicht aufgeht: PZ gilt als Kultspiel, es gibt eine kleine, aber außerordentlich treue Fangemeinde, die Verkaufszahlen waren nie hoch, und das, obwohl (oder gerade weil?) PZ2 zum Beispiel als eines der unheimlichsten und besten Videospiele seiner Art auf dem Markt gilt. 

Kein Wunder: Für den Mainstream sind die Bewegungen der Figuren zu behäbig, die Gehwege zu eng (man kann nicht einfach zwischen zwei Bäumen hindurchgehen, sondern sich nur auf willkürlich vorgegebenen Pfaden bewegen), die Story zu anspruchsvoll, zu wenig Blut, keine klassischen Waffen zum Gemetzel, weibliche Hauptfiguren, man muss viele Texte lesen, die deutsche Übersetzung ist grausig. Ein Inbegriff für Videospiel-Idiosynkrasie.

Wie es nun aber ist bei Medien, die zum Kult werden: Sie erfreuen sich gerade wegen dieser Unebenheiten, gerade wegen ihrer Lage abseits des Mainstream, bei ihrer Fangemeinde großer Beliebtheit, und ich bin sehr froh, dass es solche Videospiele (und Filme und Hörspiele und Bücher und mehr) gibt. Denn gerade die PZ-Reihe habe ich wegen ihrer Macken lieben gelernt. 

Da steht dann auf dem Bildschirm, nachdem man einen Gegenstand von der Wand abgenommen hat "Spiegelung Maske. Ich habe es." - was eine wortgetreue Übersetzung der japanischen Kanji ist, aber im Deutschen natürlich unfreiwillig komisch ist. Für die große Buba und mich waren das sehr hilfreiche, klospülende comic reliefs in den doch atmosphärisch extrem dichten Spielen (und in Sachen Atmosphäre sind die Macher echte Meister ihres Handwerks, womit bei den Köpfen hinter der Dead or Alive-Reihe nicht zu rechnen war - Chapeau!). Und die Halsknickfrau, und der Klingelopa, die Balkonsturzfrau und so weiter... 

Und ich bin sehr davon angetan, dass man mal nicht mit Zaunlatte, Nagelkeule, Schrotflinte, Maschinengewehr, Flammenwerfer und Kettensäge auf Zombies und Fehlzüchtungen oder einfach nur auf irgendwelche Militärs losgehen muss: Die einzige "Waffe", die einem zur Verfügung steht, ist ein alter Fotoapparat, die camera obscura (auch wenn sie mit dem Original nicht mehr viel zu tun hat). Die Gegner sind zudem Geister, mit denen man ernsthaft sympathisieren kann: Jeder einzelne Geist hat seine eigene Hintergrundgeschichte, und sie greifen einen nicht (oder nur seltenst) an, weil sie irgendwie "böse" seien - das Konzept sieht die japanische Kultur ein wenig anders.

Überhaupt weiß ich das japanische Flair sehr zu schätzen. Wer einmal einen J-Horrorfilm gesehen hat, kennt das, diese düstere Atmosphäre mit den rauschigen, schlecht zu erkennenden Videofetzen und Yurei, rachsüchtigen Geistern oder einfach solchen, die nach der Erklärung für ihren derzeitigen Zustand suchen.

Ich genieße es auch, dass die Serie zum großen Teil ohne Blut auskommt. Während Serien wie Resident Evil scheinbar nicht ohne Splatter auskommen, lösen sich die Geister hier einfach auf, nachdem man ihnen durch das Fotografieren ihre spirituelle Energie geraubt hat. Nur in manchen Teilen taucht in Rückblenden auf antike Rituale manchmal Blut auf; es ist aber interessant zu sehen, dass PZ2: Crimson Butterfly, der unheimlichste Teil der Reihe, mit Ausnahme einer einzigen Szene, völlig blutleer ist. Zeigt, dass man sich auch ohne eklige Szenen und fast komplett ohne jumpscares fürchten kann (diese sind ein Zeichen für ziemlich anspruchslosen Schockwert).

Nachdem der vierte Teil der Reihe nach wie vor nur in Japan erhältlich ist und die Reihe von Nintendo übernommen wurde - warum auch immer - war der fünfte Teil (PZ: Maiden of Black Water) zunächst nur für die Wii U erhältlich - eine Konsole, die ich nicht habe, und die ich mir nicht für ein einziges Spiel zulegen wollte. Umso besser, dass jetzt, Jahre nach der Veröffentlich des Originals, ein remaster für neue Konsolen, unter anderem auch für die Playstation-Reihe von Koei Tecmo veröffentlicht wurde.

Endlich, endlich, endlich. Da haben wir sie wieder: Leicht bekleidete Mädchen, die völlig unbeeindruckt von Geistererscheinungen durch alte Häuser wandern (diesmal auf einem fiktiven Berg, einer ehemaligen Touristenattraktion), unfreiwillig komische Geisterrufe ("Joooiiiiin me!" - "I will GLAAAANCE into your soul!" - Ich glänze höabah...), tanzende Geister, alte Frauen, die mich in eine Kiste stecken wollen und dann außen herumwabern, sterbende Geister, die wie verreckende Klospülungen klingen, Kämpfe in viel zu engen Gängen, in denen sich die Geister einfach mal durch die Wände bewegen, klobige Bewegungen der Hauptcharaktere, Kameraupgrades, eine komplexe Geschichte mit vielen Texten zum Lesen, und endlich, dank des neuen Mediums, reichlich Filme zum Anschauen, die immer noch enigmatisch sind - aber es ist toll, zu jedem feindlich gesinnten Geist per Fatal Glance ein Video zu bekommen, unter welchen Umständen der Mensch damals um's Leben gekommen ist. Das macht es leichter, mit den Geistern Mitgefühl zu empfinden und noch tiefer in das Geschehen einzutauchen. 

Und es ist toll, wie der fünfte Teil sich in die Mythologie der anderen Teile einreiht; Miku Hinasaki, Protagonistin aus dem ersten Spiel, hat hier eine tragende Rolle, die Kurosawas aus dem zweiten und dritten Teil wirken mit, und wir erfahren endlich mehr über den Erfinder der (fiktiven) Camera Obscura, Dr. Kunihiko Aso (oder Asou, je nach Transkription), über seine Kindheit und über die Frau, in die er sich verliebt hat - und wie und warum er die Kamera überhaupt erst erfunden hat.

Das wäre rundum ein schöner Abschluss für die Serie (für die es auch noch graphic novels und einen Kinofilm gibt) - aber ein kleiner Teil in mir erhofft sich natürlich irgendwann einen sechsten Teil, auch wenn es schwer sein wird, neue Ideen auf den Tisch zu bringen. Mal schauen, was die Zukunft bringt, und bis dahin werden weiterhin Geister von wackeltittigen Mädchen totfotografiert.

Project Zero ist eine in vielerlei Hinsicht anspruchsvolle Videospielreihe.

post scriptum: Immerhin ist es erfreulich, dass für andere Kult-Videospielreihen neue Teile in Arbeit sind, so wird zum Beispiel an "Dragon Quest XII: The Flames of Fate" gearbeitet, und im nächsten Jahr sollen "Star Ocean: The Divine Fate" (hoffentlich mit etwas mehr Inhalt als der letzte Teil) und "Atelier Sophie 2" erscheinen. Irgendwann steht auch der neue Teil der "Myst"-Macher auf dem Plan, "Firmament", wieder als VR-Erlebnis. Wird also nicht langweilig!

paulo post scriptum: Und damit habe ich es jetzt schwarz auf weiß: Ich werde vor Weihnachten nicht mehr in die Schule zurückkehren. Im neuen Jahr kann es dann pünktlich wieder losgehen, nur im März ein Termin zur Kontrolle/Vorsorge. Es wird besser! Und zum Abschluss noch das eigentlich für diesen Beitrag passende Bild:



Mittwoch, 15. Dezember 2021

Auf einmal demokratisch?


Der amerikanische Präsident Biden hat das ganz bewusst provoziert: Er hat einen Demokratiegipfel stattfinden lassen, an dem sich über einhundert Länder beteiligt haben, mit den Fragen, wie Demokratie funktioniert, wie sie bewahrt werden kann und was der Dinge mehr sind. Explizit ausgeladen wurden Russland und China, alles Andere wäre bar jeden gesunden Menschenverstandes gewesen.

Und dennoch ist China offensichtlich richtig sauer darüber, dass der Welt gezeigt wird, das Einparteienland sei keine Demokratie. Ganz im Gegenteil, tönt es aus propagandistischen Medien, Chinas Demokratie funktioniere sogar besser als die westliche, denn dort habe man die Pandemie unter Kontrolle, während es in den USA hunderttausende Tote zu beklagen gibt.

Was für eine Logik. Klar hat man das in China unter Kontrolle: Da wird jeder geimpft, ob er will oder nicht. So etwas wie Querdenker gibt es offiziell nicht. Völlige Gleichschaltung unter Regierung der Kommunistischen Partei. Better known as: Diktatur. Dass eine Diktatur auf die amerikanische Provokation hin behauptet, eine Demokratie zu sein, und in diesem Zug den Demokratiebegriff völlig neu definiert (in China war zuvor jeder Andersdenkende demokratisch gesinnt), das findet in meinem Kopf kein Platz.

Für wie blöd wird der Westen eigentlich gehalten? Sicher, er bietet reichlich Angriffsfläche, aber das ist echt was ganz Neues.

Montag, 13. Dezember 2021

Aus Verzweiflung


Und so beginnt eine weitere Woche, die ich krankgeschrieben auf der Couch verbringen muss. Muss? Das klingt irgendwie falsch, denn es stört mich ja nicht. Langsam kehrt eine gewisse Routine ein, Handtuch zusammenballen und zwischen die Beine stopfen, Waschlappen nass machen, mit gefrorenem Kühlpack füllen, drauflegen, Hände abtrocknen, Controller in die Hand nehmen, Geister zu Tode fotografieren. Und wir erinnern uns, dass Routinen und Rituale für Aspis beruhigend wirken, also ist das eigentlich super. Mir geht es eigentlich gut.

Wenn da nicht die Arbeitsunfähigkeit wäre. Ich hege ja tatsächlich Hoffnung, dass ich zumindest in der nächsten Woche die kleinen Monster wiedersehen darf. Ich tue einfach so, als ob das klappen wird, und werde ihnen nachher eine nette Mail schreiben, der Tenor: Hey guys, es tut mir so leid, dass ich immer noch nicht wieder in der Schule sein kann. Vielleicht sehen wir uns ja in den letzten paar Schultagen vor den Weihnachtsferien - und die möchte ich dann gern nutzen für eine Klassenarbeit. 

Das ist eine Verzweiflungstat, geschuldet dem Druck, eine bestimmte Anzahl Leistungsnachweise innerhalb eines Schuljahres einzuholen. Also gebe ich den Kiddies auf, alles, was wir vor meinem Ausfall gemacht haben, komplett zu wiederholen, Vokabeln, Grammatik, und zimmere daraus eine Klassenarbeit für jede Lerngruppe zurecht. Gibt ein tolles Bild ab:  Die Schüler schreiben Dr Hilarius brav Briefe, wie gewünscht, und als "Dank" gibt es eine Wiedersehens-Klassenarbeit, quasi eine Anagnórisis-Kontrolle - ich bin gespannt, ob ich die Kleinen überhaupt noch wiedererkenne.

Ich hoffe einfach, wenn ich den Schülern jetzt schreibe, dass sie dann genügend Vorlauf haben, um den Stoff zu reaktivieren. Und dass sie ihren Englischlehrer dafür nicht allzu sehr hassen.

Samstag, 11. Dezember 2021

Zuviel Neues


Puh, ich bin mit der Zeit im Verzug. Ich hatte vollkommen vergessen, wie intensiv die Project Zero-Videospielreihe mich in das Geschehen einsaugt - die große Buba erinnert sich noch mit einem Schauern an unsere Erlebnisse mit Kunihiko Asous Camera Obscura. Und wenn ein Aspi sich in etwas vertieft, das ihn interessiert, dann verschwindet die Welt drumherum und er ist vollkommen fokussiert. 

Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht: Ich habe etwas zu tun, mein Kopf ist beschäftigt. Allerdings bin ich zur Zeit leicht überfordert, wenn ich in's Nachdenken komme, denn ich habe nicht nur ein neues Videospiel, sondern ich habe auch eine neue Badewannenarmatur, und ich denke sehr viel darüber nach: Wie muss ich sie pflegen (denn sie ist hochwertig, da muss ich mich drum kümmern), wie toll finde ich den Thermostat, weil ich endlich nicht mehr überraschend eiskalt oder kochend heiß dusche, wie zufrieden bin ich mit dem minimalistischen Duschkopf ohne Schnickschnack, und Chrom glänzt so schön. 

Das wird noch eine Weile dauern, bis ich das verarbeitet habe, und dann kommt ein neues Spiel dazu? Das kann zu einem Gedanken-Overkill führen, und ich erinnere mich an etwas, was die Sannitanic mir mal erklärt hatte: Manche Eltern meinen es zu gut und schenken ihren Kindern regelmäßig reichlich neues Spielzeug - was leider keine gute Idee ist, denn gerade Kleinkinder sollten sich erstmal mit einem Spielzeug komplett auseinandergesetzt haben - wie funktioniert es, was kann ich damit alles anstellen, es dauert eine ganze Weile, bis ein Spielzeug wirklich "ausgespielt" ist. Das Kind vorher mit neuen Spielzeugen zu überschütten führt zu einer Überforderung.

Und genau daran musste ich heute denken, mit dem neuen Videospiel, der neuen Badarmatur, dem neuen "richtigen" Mikrofasertuch zur Pflege, das alles mit einer neuen Sorte Räucherstäbchen im Hintergrund. Ich muss das alles erstmal verarbeiten.

Habe ich die Episode richtig zitiert, Sannitanic?

Freitag, 10. Dezember 2021

Siehste. Kleines o.


1. Siehste.

Zurück vom Arzt, und mein heutiges Ich hatte Recht: Die Entzündung mag zwar rezidiv sein, aber ich bin immer noch vom Normalzustand entfernt. Also bin ich für eine weitere Woche krankgeschrieben, inklusive Antibiotikum, Entzündungshemmer und magenschonendem Medikament. Ich muss mich unbedingt bei meinen Schülern melden, denn seit der Briefaktion war von meiner Seite Funkstille - weil ich mit dem Kopf einfach nicht in der Schule war. 

Und dann hatte ich zunächst gedacht, Mensch, was für ein Timing, denn heute bringt Amazon die finale Staffel der SciFi-Dramaserie The Expanse. Wie toll! Dann habe ich was zu tun! So habe ich mir also die erste Folge angeschaut, und es dauert nicht lang, um wieder auf die Serie eingestellt zu sein. Muss wohl an ein paar wirklich gut ausgearbeiteten Charakteren liegen (und ich liebe die rauchige Stimme von Shohreh Aghdashloo). Wollte direkt weiterschauen, ist aber nicht drin: Amazon hat sich entschieden, jede Woche nur eine Episode zu veröffentlichen. Vielleicht, um Amazon prime-Abonnenten möglichst lange bei der Stange zu halten. Ist also doof, und in der Konsequenz habe ich mich entschieden, die letzte Staffel erst dann zu schauen, wenn alle Episoden verfügbar sind, denn es gibt häufiger Cliffhanger und sowas macht mich kirre.

2. Kleines o.

Das ist jetzt wohl eine Anmerkung, die nur an Herrn Leinhos gehen dürfte, aber alle Altphilologen und Sprachfanatiker sind herzlich eingeladen, ebenfalls irritiert zu sein, wann immer im Fernsehen von der neuen "Oooooohhhhhmikron-Variante" berichtet wird. Das ist so unlogisch! Der Buchstabe heißt nicht umsonst "o mikron" - "kleines o", gemeint ist, dass der Vokal kurz gesprochen wird; der Name gibt das vor. Aber aus irgendeinem Grund scheint "Ooooohhhhmikron" interessanter zu klingen. 

Herr Leinhos, geht es Dir auch so, dass Du jedes Mal ein wenig zusammenzuckst, wenn Du diese falsche Aussprache hörst? Oder ist das nur der Aspi in mir? Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Menschen das aus stilistischen Gründen so sprechen (sie könnten ja vielleicht ein Oxymoron präsentieren wollen)...

Donnerstag, 9. Dezember 2021

Steigende Spannung


Mein zehn Jahre jüngeres Ich hätte folgenden Beitrag geschrieben:

Super, endlich ist es soweit, die Schwellung geht seit Dienstag langsam zurück. Ich kann endlich wieder in die Schule! Nur noch morgen den Arzt besuchen, dann kann ich versuchen, einen Plan für die letzten anderthalb Schulwochen zu finden.

Mein heutiges Ich schreibt:

Am Dienstag habe ich endlich erste Anzeichen bemerkt, dass die Entzündung zurückgeht. Das ist ein gutes Zeichen, aber ich werde mich weiter strikt an die Anweisungen des Arztes halten - also auch weiterhin den Tag auf der Couch verbringen, mit einem Kühlpack zwischen den Beinen, und die Medikamente wie verschrieben fortsetzen. Ich werde nicht eine freudige Mail an die Toni schreiben, dass ich nächste Woche wieder im Einsatz bin, denn ich weiß nicht, wie lange es noch dauern wird, bis die Entzündung vollständig verschwunden ist. Das könnte noch einige Tage dauern, und vielleicht wird der Urologe mich morgen auch noch für die nächste Woche krankschreiben, um nicht durch zu viel Bewegung zu riskieren, dass die Entzündung wieder aufflammt.

Mit dem Älterwerden kommt die Geduld. Das Nachdenken über das, was man tut. Bei einigen früher, bei mir später, aber es kommt. Und es hat zwei Wochen gedauert, bis mir mal wieder bewusst geworden ist, wie unbedacht ich mein Leben lebe. Ich werde hier noch nicht in die Details gehen, aber immerhin sehe ich, dass ich ein paar Faktoren meines Lebens neu justieren muss. Und das Nachdenken hat mir auch klar gemacht, dass ich ein ernsthaftes Gespräch mit meiner Stundenplanerin führen muss, denn die Fünf-Tage-Woche hat Auswirkungen, die ich mir nicht gewünscht habe. Hoffentlich lässt sich ein Weg ab dem nächsten Schuljahr finden.

Jetzt steigt jedenfalls erstmal die Spannung auf morgen, mal schauen, was der Arzt mir sagt.

post scriptum: Einer dieser Faktoren ist, dass ich meinen Durchlauf der X-Files umgehend abbreche. Ich kenne die Geschichten alle in- und auswendig, da muss schon eine wesentlich längere Pause eingeschoben werden, damit es wieder interessant ist. "Berieseln lassen" ist wirklich nichts für mich, ich brauche etwas, das mich einbindet und fordert.

Dienstag, 7. Dezember 2021

Das Duschtelefon


Wer auf einem Handtuchbrot meditiert, der kann auch mit einem Duschtelefon baden.

Vielleicht kennt Ihr das Problem: Ihr wohnt oben in einem Mehrfamilienhaus, und wie heiß das Wasser per Durchlauferhitzer wird, hängt vom Wasserdruck ab; der wiederum kann sich ständig durch die unteren Wohnungen ändern, so dass man sich drei Minuten warum duscht und dann plötzlich verbrüht, die Temperatur nur ein Stückchen herunterdreht und den Kältetod stirbt. Nach acht Jahren in dieser Wohnung habe ich immer noch keine Möglichkeit gefunden, das Problem zu lösen.

Beziehungsweise doch, habe ich, aber das war alles immer ewig weit entfernt: Die Idee, eine Badewannenarmatur mit Thermostat einzubauen. Das war deswegen ewig weit entfernt, weil ich kein Handwerker bin und davon ausgegangen bin, sobald ich irgendeine Schraube losdrehe, dass meine Wohnung direkt überflutet wird.

Dann hatte ich vor einiger Zeit den Probedurchlauf mit einer Billigarmatur aus dem Discounter - einmal testen, ob ich es schaffe, die auszutauschen, und es hat tatsächlich geklappt. Damit waren dann endlich die Weichen gestellt für eine neue Armatur und endlich auch einen vernünftigen Duschkopf - minimalistisch, mit geraden Linien. Und, wie gesagt, mit Thermostat.

Nun ist die Post angekommen und ich habe die letzte Stunde damit zugebracht, im Bad zu handwerkern. Glücklicherweise muss man dabei nicht viel herumgehen, das kann ich mir also erlauben. Und jetzt schaue ich auf eine neue glänzende Armatur mit einem Duschkopf, der ein bisschen an ein minimalistisches Telefon erinnert; ich hatte diverse Duschköpfe mit allen möglichen Funktionen durchprobiert und gemerkt, dass ich die alle gar nicht brauche. Und in seiner jetzigen Form lässt sich der Duschkopf wunderbar auf der Armatur ablegen - wie ein Telefon eben.

Heute Abend wird das Ganze eingeweiht ;-)

Montag, 6. Dezember 2021

Ein Mord wird angekündigt


Der Titel erinnert an Agatha Christie - a murder is announced - aber eigentlich völlig unpassend, denn es geht nicht um einen Mord, sondern um ein Aussterben. Und auch das Passiv passt nicht so ganz, besser wäre es medial ausgedrückt: Ein Aussterben kündigt sich an. Das passt, denn der gute alte Overheadprojektor - OHP - stirbt aus. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich zum letzten Mal mit einem OHP im Unterricht gearbeitet habe; das müsste irgendwo im Referendariat gewesen sein.

Braucht man nicht mehr so wirklich; an unserer Schule ist mittlerweile jeder Raum mit entweder einem Beamer oder einem großen Bildschirm ausgestattet, über den man alles Mögliche den Schülern zeigen kann. Das ist nicht ganz irrelevant für das Projekt Videospiele im Unterricht, denn über ein HDMI-Kabel kann ich meine PS4 einfach an einen solchen Bildschirm anschließen. Dass ich trotzdem auf den Hörsaal bestehe, hat Gründe, die ich im nächsten Kapitel der Dokumentation erläutern werde.

Ich weine dem OHP keine Träne nach. Groß, klobig, ich hatte als Schüler immer Angst, dass ich erblinde, wenn ich bei'm Ausfüllen einer Folie in das Licht schaue. Ich hatte tatsächlich Angst davor, vor der Klasse auf einer Folie etwas einzutragen - whatever.

Und wie komme ich auf diesen Beitrag? Heute ist meine Bluray mit dem Beatles-Film Yellow Submarine (1968) angekommen. Ich hatte ihn vor ein paar Jahren zum ersten Mal gesehen und sofort verstanden, warum Roger Ebert ihn in die Liste seiner Great Movies aufgenommen hat. Ein richtiger Musik-Mind-Trip, man kann förmlich die Halluzinogene riechen, die die Beatles auf die tollen, bunten Ideen gebracht haben. Favourite song - Eleanor Rigby. Und bei dieser Bluray sind noch einige Bonusmaterialien dabei, ein Heft mit einem Aufsatz zum Film, Soundtrack-CD und vier Folien mit den vier Beatles, und ich musste sofort daran denken, wie ich den Schülern die vier Charaktere mit diesen Folien vorstelle. 

Und dann ist mir eingefallen, dass der OHP ausstirbt - es kündigt sich an.

Samstag, 4. Dezember 2021

Eltern und Verantwortung


Es hört einfach nicht auf.

Vor ein paar Tagen gab es in den USA ein weiteres school shooting - es ist deprimierend, dass der Begriff dort mittlerweile im allgemeinen Sprachgebrauch aufzufinden ist. An der Oxford High School in Michigan hat ein fünfzehnjähriger Schüler vier Menschen mit einer Handfeuerwaffe getötet und sieben weitere verletzt. Und, wieder einmal, hätte das alles vermieden werden können - aber nicht nur durch strengere Waffengesetze, denn:

Es gab eindeutige Hinweise auf düstere Gedanken des Teenagers, Zeichnungen von Gewaltphantasien, Terrorismusdrohungen gegen die Schule, ein abgetrennter Tierkopf, der vom Dach der Schule geworfen wurde (es klingt alles wie im Film, und das ist erschütternd), Hinweise, die im Unterricht ebenso einkassiert wurden wie eine Onlinesuche auf dem Smartphone nach Munition - und die Waffe? Die hatte der Vater vier Tage zuvor zusammen mit dem Sohn eingekauft; wie die Mutter in sozialen Netzwerken postete, als "Weihnachtsgeschenk" für den Sohn.

Diese Waffe wurde dann in einer unverschlossenen Schublade im Haus aufbewahrt, auf die der Sohn jederzeit Zugriff hatte. Behalten wir also im Kopf: Der Vater hat die Waffe zusammen mit dem Sohn eingekauft. Sie wurde unverschlossen aufbewahrt. Die Gewaltphantasien des Jungen waren bekannt. Die Drohungen gegen die Schule waren bekannt. Die Mutter hat ihrem Sohn eine SMS geschrieben - mit einem LOL dazu - dass er nur lernen muss, sich nicht schnappen zu lassen. Bang bang you're dead, der Rest ist Geschichte. 

Es ist wieder einmal alles so abgelaufen wie in Gus Van Sants Film Elephant (2003), meiner Meinung nach der beste Film über Amokläufe an Schulen, den es gibt - weil er beobachtet und nicht kommentiert oder wertet, und damit eine exzellente Diskussionsgrundlage für die Schule gibt. The banality of evil, diesen Ausdruck gibt es im Englischen.

Was diesen Amoklauf jetzt besonders interessant zu verfolgen macht, ist nicht der Umstand, dass ein Fünfzehnjähriger nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden wird (und ihm damit lebenslange Haft droht), sondern dass beide Eltern ebenfalls angeklagt werden mit dem Strafbestand involuntary manslaughter - da sie durch ihre Nachlässigkeit zur Durchführung dieses Amoklaufs maßgeblich beigetragen haben.

Ich persönliche finde das gut und ein wichtiges Zeichen - liebe Eltern da draußen, wie seht Ihr das?

Freitag, 3. Dezember 2021

In Handschellen

Hat nicht viel mit dem Arzt von heute zu tun, aber mit dem Film I Am Not Your Negro (2016) von gestern. Schöne Kunstinstallation (aus Candyman (2021). Und trotzdem musste ich heute bei den JVA-Beamten daran denken.

Ja, wie erwartet, neue Eindrücke, aber gar nicht so viele. Genug, um sie während dreier Hallucinogen-Songs im Hintergrund niederzuschreiben, denke ich. Ich bin auch nach Urintest und Ultraschall gar nicht so viel schlauer, sondern habe hier im Wesentlichen mehr Medikamente und die nächste Krankschreibung für eine weitere Woche sowie den nächsten Termin am kommenden Freitag - und das ist auch kein Grund, sich Sorgen zu machen, denn so etwas kann auch bei guter Behandlung mehrere Wochen dauern; wird Zeit, sich was für die Schüler zu überlegen. Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass die "Autismus-Nummer", über die ich gestern geschrieben hatte, wieder funktioniert hat; ein sehr netter Arzt, ein sehr nettes Gespräch und Befund und ich fühle mich sicher betreut. Alles im grünen Bereich, soweit es eben geht.

Trotzdem war es interessant zu sehen, wie es so in einer urologischen Gemeinschaftspraxis aussieht - und ich finde es faszinierend, wie dort alles voller Männer ist, Ärzte und Patienten, aber trotz allem die Sprechstundenhilfen immer weiblich sind. Ich habe mit achtunddreißig Jahren noch keine männliche Besetzung dort getroffen. Nicht, dass ich was dagegen hätte - es fällt mir nur gerade kurios auf.

Ebenso kurios - naja, oder auch nicht, wenn man länger drüber nachdenkt - wie die beiden Herren in den Uniformen mit dem Aufdruck Justiz, die einen weiteren Herren in grünem Outfit und Handschellen in die Praxis hinein- und etwa eine Stunde später wieder hinausgeführt haben. Ich hatte ein bisschen Mitleid mit dem Häftling. Klar, es gibt Gründe, warum er in diese Position geraten ist. Trotzdem muss es sich irgendwie anfühlen, als Gefangener in Handschellen vor den Augen von zehn bis zwanzig Patienten zu einem Urologen gebracht zu werden. Und dieses Irgendwie kann ich mir nicht toll vorstellen. Sind aber vielleicht auch nur meine Theory of Mind-Probleme als Aspi (obwohl ich die ja scheinbar nicht habe, thank you Hochbegabung).

Und so geht es weiter: Strikte Ruhe zuhause. Videospiele, Filme, es wird Zeit für mein jährliches Viewing der X-Files. Starting now.

post scriptum: Ich finde, Toni Collette ist eine sehr talentierte Schauspielerin. Ich sehe sie immer gern, und es beeindruckt mich, dass sie in unterschiedlichsten Genres funktionieren kann. Ich hatte bisher gedacht, sie wäre eher auf Filme mit Comedy-Einschlag spezialisiert, wie "Knives Out" (2020) und "Hereditary" (2018), aber sie kann offenbar auch in einem Science Fiction-Film ganz ohne Humor überzeugen, und das auch noch als Captain einer Marsmission in "Stowaway" (2021). Tolle Frau!

Donnerstag, 2. Dezember 2021

Das kommt mir irgendwie bekannt vor


Auf einmal ist die Bloglaune da, und viele Ideen, worüber ich schreiben könnte. Zum Beispiel über Merkels Wahl für den Großen Zapfenstreich - Nina Hagens Du hast den Farbfilm vergessen - ich liebe das Lied und das ist wirklich eine sehr persönliche Auswahl für Angela Merkel. Was mache ich mit all' diesen Ideen? Die kommen zu schnell, ich kann das alles nicht festhalten. Meine Pinnwand ist vollkommen überfrachtet, und ich habe mir extra ein Diktiergerät zugelegt, um Ideen während des Tages direkt festzuhalten. Mittlerweile zahlt sich aber das Lojong-Geistestraining aus; der Buddhismus lässt mich das Ganze anders sehen und das ist auch gut so. Überhaupt sollte ich einmal über die positiven Effekte buddhistischer Lebens- und vor allem Denkweisen auf Menschen mit Autismus-Spektrums-Störungen schreiben, das gibt was her.

Heute aber geht es um etwas ganz Anderes, nämlich um ein Gefühl, das mir unglaublich bekannt vorkommt: Morgen habe ich meinen ersten Termin bei einem Facharzt, der sich um mein Problem kümmern soll. Das weckt Erinnerungen an die Fingerbruchgeschichte. Und wie habe ich mich da am Vorabend gefühlt? Gespannt, aufgeregt, fast freudig. Scheint paradox, aber ich lerne etwas Neues kennen, das ist wirklich interessant - vor allem, weil ich geistige Vorlaufzeit hatte. Und natürlich könnte das auch die Hoffnung wecken, dass es ebenso super wirken wird, wenn ich den Arzt über meine geistige Konfiguration vorher aufkläre (in der Fingerstory hat das zu einem ganz tollen, beruhigenden Arzt-Patient-Verhältnis geführt). Hoffnungen haben aber im Buddhismus nichts zu suchen, und das schreibe ich mit einem Zwinkern.

Kann losgehen! Ich bin sehr gespannt, ich weiß, ich werde den morgigen Vormittag in der Meditation verarbeiten müssen - und wollen - und vielleicht lasse ich Euch dann abends wieder an meiner Gedankenwelt teilhaben. Fühlt sich jedenfalls gut an, wieder "da" zu sein!

Donnerstag, 25. November 2021

Brainfood per Post


Das hat mir den gestrigen Tag extrem aufgewertet: Ich hatte zweien meiner Lerngruppen die Aufgabe geschickt, mir Briefe auf Englisch zu schreiben, zum Beispiel unter Verwendung von Adjektiven und Adverbien, weil das in einer Gruppe gerade Unterrichtsthema war. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sie das wirklich machen, oder zumindest nicht davon, dass sie mir tatsächlich einen Brief per Post zukommen lassen, und tatsächlich kamen gestern und heute einige Mails an mit den Botschaften der Kiddies, über die ich mich wirklich gefreut habe.

Gleichzeitig fand ich gestern aber auch einen großen Briefumschlag vor meiner Tür, den der Postbote mitgebracht hatte, und darin waren tatsächlich knapp zwanzig einzelne Briefe aus meinem Kurs in Neun; die Vertretungskollegin hat diesen Arbeitsauftrag mit den Schülern umgesetzt, und diesen Briefumschlag zu öffnen und die Texte zu durchstöbern, das hatte etwas von Entdeckungsreise.

Ich bin ja davon überzeugt, dass man sehr interessante Dinge über seine Schüler herausfinden kann in kreativen Schreibaufgaben, die möglichst offen und themenungebunden formuliert werden - so kann jeder bewusst oder unbewusst Einiges von sich in diesem Brief mitteilen. Ein paar der Nachrichten möchte ich hier posten, weil sie so richtig schön programmatisch für diesen Kurs sind und mich zum Strahlen gebracht haben (wie natürlich auch alle hier nicht abgebildeten Briefe).



Da war zum Beispiel eine Rückmeldung zum Spielprojekt dabei; das hat mich gefreut, allerdings bin ich bei sowas immer lieber etwas zurückhaltend, mit dem Gedanken "Wartet lieber, bis wir damit durch sind, vielleicht geht das in eine für Euch blöde Richtung" - und trotzdem tut es gut, sowas zu lesen!



Das hier dürfte der enigmatischste Brief gewesen sein; Handschrift kombiniert mit Textknappheit lassen vielleicht Rückschlüsse auf autistisches Verhalten zu? Natürlich habe ich gerätselt, was es wohl mit dem riesigen Auge am Himmel auf sich haben könnte - die Antwort kam eine Weile später; die Kiddies konnten in Grüppchen bis zu drei Schülern zusammenarbeiten und mein BrainSquad hat sich zusammengetan - drei Schüler des Kurses, die allesamt sehr faszinierende (weil ungewöhnliche) Hirnstrukturen haben. Einer hat dieses Bild gemalt, im zweiten Stand im Brief unter anderem der Satz "we are watching you ALWAYS", ob das eine Anspielung an George Orwell war? Und Nummer drei in diesem Team hat dann folgenden Brief geschrieben, eine interessante Variation eines Genesungswunsches:




Eine der stärksten Schülerinnen des Kurses hat einen anspruchsvolleren Brief erstellt (oben), als ich ihn in einer neunten Klasse erwartet hätte - wobei abzusehen war, dass sie sich die Aufgabe etwas herausfordernder gestaltet. Ich war jedenfalls beeindruckt!

Darüber hinaus gab es auch Poesie mit Augenzwinkern und einen kleinen Cartoon, so dass dieser Brief insgesamt wie eine Wundertüte war und mir viel gedankliches Reisegepäck für die Meditation mitgegeben hat. Großartig! Hoffentlich kann ich bald wieder in die Schule und ihnen persönlich dafür danken ;-)




Mittwoch, 24. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 4


Kapitel 4 - Das richtige Spiel

Eigentlich ist der Titel irreführend, weil er suggeriert, es gäbe das richtige Spiel für so ein Projekt. Ich habe sieben Jahre lang überlegt, was sich anbieten könnte, und bei vielen Spielen, die ich in dieser Zeit gespielt habe, überlegt, ob das etwas für eine Lerngruppe sein könnte. In der Zeit habe ich mir eine Art Checkliste zurechtgelegt, mit Kriterien, die das Spiel erfüllen sollte.

Mir ist wichtig, dass (möglichst) niemand das Spiel schon kennt. Das Kriterium gilt auch bei allen Filmen oder Serien, die ich meinen Schülern zeige. Meine Überlegung dabei ist, dass die Schüler sich eher zurücklehnen und "berieseln" lassen, wenn sie den Inhalt des Gezeigten schon kennen, und das wäre fatal: Ich brauche ihre Aufmerksamkeit, sie müssen mit ihren Gedanken vorne auf der Leinwand sein und wirklich das verstehen wollen, was da auf Englisch gesagt wird. Auf diese Weise ist es für das Gehirn leichter, sich neue englische Wörter und Phrasen einzuprägen. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass jemand wichtige Entwicklungen der Geschichte schon vorher verrät, wenn er die Story schon kennt. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass die Schüler sich selbst "spoilern", wenn sie im Internet nachschauen, was passiert - aber dann läge das in der Verantwortung jedes Schülers selbst, wohingegen sie keine Wahl haben, wenn ein Mitschüler ihnen alles verrät.

Wenn ich ein Videospiel wähle, das möglichst vielen der Gamer in der Klasse gefällt, gibt es ein Problem: Die Mehrheit favorisiert First Person Shooter. Kommt für mich nicht in Frage, mit Schülern ein Spiel zu spielen, in dem man - egal aus welchen Motiven! - herumläuft und andere Menschen tötet. Da diskutiere ich gar nicht erst, ebensowenig bei Fifa oder anderen Sportspielen, Autorennen und so weiter, denn:

Das Spiel muss einen einigermaßen komplexen Plot haben. Ich brauche etwas, was die Aufmerksamkeit der Schüler nach den fünfundvierzig Minuten Unterricht eine Woche lang gespannt hält bis zur nächsten Stunde. Da muss etwas passieren auf dem Bildschirm, und nicht sauer sein: Bei Resident Evil passiert nicht viel (und trotzdem liebe ich die chronologisch ersten beiden Teile, und Autorennen und so weiter). 

Es spricht also alles für ein Adventure, ein Abenteuer, das oftmals nach klassischer Drei- oder Fünf-Akt-Struktur aufgebaut ist. Jetzt wiederum besteht die Gefahr, dass das Ganze zu langweilig für die Schüler mit kürzerer Aufmerksamkeitsspanne wird, und davon haben wir heutzutage ziemlich viele. Da muss also etwas auf der Leinwand passieren, was idealerweise alle interessiert, und es müssen wichtige Dinge in nicht allzu großem Abstand voneinander passieren.

Dann bleibt noch die ewige Frage des unterschiedlichen Interesses bei Jungen und Mädchen, das übrigens kein Klischee ist, sondern empirisch belegt. Sicher gibt es immer Ausnahmen, aber Jungen und Mädchen tendieren generell zu unterschiedlichen Spieltypen.  Jetzt wird es wirklich eng mit der Spieleauswahl, denn wie soll ich die Schüler alle mitbekommen nach den oben genannten Kriterien? Die Schüler da abholen, wo sie stehen, das ist einfach gesagt. Ein Videospiel finden, mit dessen Inhalten sich eine ganze Lerngruppe identifizieren kann?

Vor einigen Jahren habe ich ein Spiel gespielt, bei dem mir relativ schnell klar war, dass das etwas für Jugendliche ist. Protagonistin ist eine achtzehnjährige Schülerin, Max, die Fotografie studiert. Der Prolog des Spiel sieht Max in einem schrecklichen Sturm, in dem sie von einem Gebäudeteil erschlagen wird - aber es stellt sich als Traum heraus, und sie wacht direkt in einer Unterrichtsstunde bei ihrem Lieblingsdozenten Mr Jefferson auf. Ein Blick durch die Klasse und wir erkennen sofort altbekannte Schülertypen: Das Mauerblümchen, das von den anderen gemobbt wird, die reiche, modebewusste Bitch, die den typischen Digitalsprech verwendet, das verwöhnte, arrogante Einzelkind mit psychischen Problemen, es wird noch einen witzigen, verpeilten besten Freund geben und ein Mädchen mit Punk-Attitüde, das gegen alles rebelliert.

Es dauert nur eine Viertelstunde, bis bereits ein dramatisches Ereignis eintritt, und damit verrate ich noch nicht zu viel: Auf der Schultoilette nach der Unterrichtsstunde zieht der verwöhnte Junge eine Waffe und erschießt das Punk-Mädchen, und Max muss das aus einem versteckten Winkel mitansehen. Und in diesem Moment entdeckt sie, dass sie die Fähigkeit hat, Dinge ungeschehen zu machen... 

Wir haben hier diverse Genres vermischt, Teenagerdrama, LGBTQ, Science Fiction, Thriller, Romanze. Es werden sehr harte Themen angepackt, und deswegen ist in den ersten Stunden umfangreiche Aufklärungsarbeit nötig: Kindesmissbrauch, Drogenkonsum, häusliche Gewalt, Suizid. 

Das ist der Punkt, der mir immer noch ein bisschen Sorge bereitet. Das Spiel bemüht sich um einen ordentlichen Entfremdungseffekt, aber es gibt einige Szenen mit Triggerfunktion für labile Schüler, und deswegen muss klar sein, dass die Schüler jederzeit ohne Angabe von Gründen den Hörsaal verlassen dürfen, dass ihnen jederzeit ein Gesprächspartner zur Verfügung steht, und als Spielleiter muss ich vor besonders intensiven Szenen vorwarnen, denn was nützt es, ein Spiel spoilerfree zu halten, wenn dafür ein jugendliches Trauma reaktiviert wird?

Es gibt nicht das richtige Spiel - aber ich denke schon seit längerer Zeit, mit Life Is Strange (2015) könnte dieses Experiment funktionieren; die erste Stunde hat gezeigt, dass sehr viele Schüler auf diese Reise mitgenommen werden. Jetzt musste ich mir nur noch die konkrete Durchführung zurechtlegen.

Fortsetzung folgt...

post scriptum: Ihr seid herzlich eingeladen, eine Diskussion in den Kommentaren zu starten, gerade zum "subject matter" des Spiels. Alle Leser der Kommentare seien an dieser Stelle gewarnt, dass es dort starke Spoiler geben kann (und wird).

paulo post scriptum: Wie aufregend, heute ist tatsächlich ein großer Brief von meinem Kurs in Neun angekommen! Gleich auspacken, lesen, verarbeiten. Freude, trotz krank!



Dienstag, 23. November 2021

Lieber Gott, mach' mich hetero!


Ich habe ab und an mit Lerngruppen den Film But I'm a Cheerleader! (1999) geschaut, eine Satire auf Sexualitäts-Konversions-Therapien in den USA. Großartiger Film, knallbunt, und ich frage die Schüler danach gern, ob das ein realistischer Film ist oder nicht. Nein, heißt es dann, natürlich ist das nicht realistisch, das ist doch Schwachsinn! Und dann mache ich den Schülern klar, dass da ein Korn Wahrheit drinsteckt, denn diese Therapien gibt es in Amerika (und anderswo) tatsächlich. Und ich erkläre ihnen, dass diese Satire das alles natürlich vollkommen übersteigert darstellt.

Offensichtlich ist das gar nicht so sehr übersteigert, wie ich heute gelernt habe. Auf Netflix ist eine Dokumentation zu dem Thema erschienen - Pray Away (2021), und ich realisiere, dass der Kinofilm schon sehr nah an der Realität war. Ein Beispiel:

Um die schwulen Jungen zu normalisieren, sollen sie einen heterosexuellen Lifestyle pflegen, dazu gehört natürlich, dass sie sich für Automechanik interessieren und American Football spielen. Bei den lesbischen Mädchen sieht der richtige Lifestyle so aus: Geschirr spülen, Teppich reinigen und so weiter. Diese Szenen habe ich immer als vollkommen übersteigert verstanden, heute habe ich gelernt, dass es solche Maßnahmen tatsächlich gab: Jungen sollten bei'm Football eine andere Art Freundschaft untereinander kennenlernen - und für die Mädchen gab es Make-Up-Sessions.

Das klingt gruselig - und ist es auch! Ich bin über diese neue Doku ziemlich froh, denn jetzt kann ich in einer Oberstufe in einer Unterrichtseinheit zuerst den Film schauen und bearbeiten und dann mit der Doku unterfüttern. Ich kann beides nur empfehlen, sowohl den Film als auch die Doku. Zwei schöne Blickwinkel auf die Ex-Gay-Bewegung in den USA (die es auch heute noch gibt, man sollte es nicht glauben).

Montag, 22. November 2021

Folgebescheinigung

Momentan Dauerplatz

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mir irgendwann schon einmal eine AU-Folgebescheinigung vom Arzt abholen musste. Gibt für alles ein erstes Mal; ich bin die ganze Woche krankgeschrieben, bis das Antibiotikum aufgebraucht ist. Hoffentlich hat sich mein Zustand dann verbessert.

Das heißt, ich sollte mir wirklich etwas für meine Schüler überlegen. Vielleicht bitte ich meinen Kurs in Sieben, dass sie mir Briefe auf Englisch schreiben und darin möglichst einige Adjektive und Adverbien verwenden (ist gerade Thema). Vielleicht können sie die Briefe dann ja alle in einem großen Umschlag an meine Adresse schicken.

Was mache ich mit meinem MSA-Kurs in Zehn? Da ist eigentlich nur angebracht, eigenständig sich alte Prüfungen im Internet anzuschauen, daran zu arbeiten. Neun? Auch das mit den Briefen, denn von denen brauche ich noch mehr text production. Acht? Meine elf Leutchen in Acht... die vermisse ich wirklich, habe heute in der Schule zwei Mädels getroffen und ihnen gesagt, dass wir uns wohl erst nächsten Montag wiedersehen. Vielleicht auch Briefe.

Das ist alles extrem unkreativ, I know, aber ich bekomme den Kopf gerade nicht frei für inspirierte Vertretungsstunden -.- Hier sind damit weiter Videospiele, Filme, Kühlpack und Schlafen angesagt. Ich wünsche Euch einen etwas besseren Start in die Woche!

Freitag, 19. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 3


Kapitel 3 - Dafür

Trotz aller berechtigten Argumente gegen ein Videospiel im Unterricht glaube ich daran, dass es einen positiven Effekt haben wird. Das fängt an bei der Präsentation des Spiels in Englisch. Englische Sprachausgabe, englische Untertitel und englische Menütexte - soweit eigentlich genau wie jeder englische Film, den ich mit Schülern schaue. Videospiele gehen allerdings einen Schritt weiter.

Ich habe hier im Blog schon einmal darüber berichtet, als es um survival horror ging, konkret um Project Zero 2: Crimson Butterfly, eines der unheimlichsten Videospiele, die ich bisher spielen durfte. Dort hatte ich den Vergleich gezogen mit Horrorfilmen: Bei einem Film sitzt man als passiver Zuschauer vor der Leinwand, man wird beschallt, mit Effekten übergossen, mit unheimlichen Szenen überschüttet, man ist zwar wehrlos, aber zur Not kann man sich immer noch die Augen zuhalten und warten, bis die gruselige Szene vorbei ist.

Ein Videospiel ist da etwas anders, denn ich kontrolliere (in der Regel) den Protagonisten. Ich stehe vor einer knarzenden Tür, und dahinter ist es dunkel. Ich weiß, dass da gleich etwas Schlimmes passieren wird - aber ich kann nicht einfach stehen bleiben und die Augen zumachen und abwarten - denn von allein geht es nicht weiter. Ich selbst muss mich mit meiner Figur in die Gefahr wagen, um diese oder jene Ecke blicken, hier in den Schatten greifen, dort ein verfluchtes Objekt aufheben. Ich bin dadurch viel mehr eingebunden als bei einem Film. Ich werde nicht bespielt, sondern ich spiele selbst - Stichwort Immersion

Bezogen auf unser classroom experiment bedeutet das: Ich sitze als Lehrkraft vorn mit dem Controller in der Hand, aber ich mache nur das, was die Schüler mir sagen. Und wenn die Schüler mit einer Ansage zu lange brauchen, dann verpassen sie eben die Chance, einen Freund zu retten. Oder sie tragen mit ihrer Entscheidung dazu bei, dass eine Stadt zerstört wird. Indem die Schüler Verantwortung für ihre Aktionen und deren Konsequenzen nehmen, sind sie bei'm Videospiel viel involvierter, als sie es bei einem Film oder einer Serie je sein könnten. Auf diese Weise prägt sich das Erlebte viel stärker im Gehirn ein - und die erste Unterrichtserfahrung bestätigt mir das: Der Kurs ist viel grundaufmerksamer und aktiver am Geschehen beteiligt, und zwar eben nicht nur die "Jungs, die sich ja sowieso mit Videospielen auskennen."

Mal abgesehen von den heteronormativen Hintergründen einer solchen Aussage muss es das Ziel dieses Unterrichtsversuchs sein, alle Schüler einzubinden. Ich muss ein Spiel finden, dass gleichermaßen Jungs und Mädchen anspricht - und ich fand es bemerkenswert, dass in einer Lerngruppe alle Anweisungen und Kommentare in der ersten Stunde von den Mädchen kamen.

Womit wir wieder zurück bei'm Punkt der Spracharbeit wären; die rezeptiven Fähigkeiten sind oben schon erwähnt worden - es gibt viel zu lesen und viel zu hören. Als Spieler mit dem Controller in der Hand akzeptiere ich allerdings nur Handlungsanweisungen auf Englisch. Die dürfen gebrochen sein, grammatikalisch nicht perfekt, Vokabeln etwas verdreht, das ist mir alles egal, solange ich verstehe, was der Schüler mir mitteilen will. Und wenn es dazu führt, dass auch diejenigen etwas sagen, die sich sonst im Unterricht eher still verhalten, umso besser! 

Das ist anders als in einer normalen Unterrichtssituation - "Describe the picture." - "Comment on the statement." - blablabla. Hier entsteht der Sprechimpuls aus dem, was auf der Leinwand gezeigt wird, und dem Wunsch, die Situation der Spielfigur zu beeinflussen. Intrinsische Motivation als Sprechanreiz ist - zumindest meiner Meinung nach - wesentlich besser als die oft zu gestelzten Arbeitsaufträge des Englischunterrichts, wie wir sie im Referendariat mitunter gelernt haben.

Bleibt noch die produktive Schreibarbeit, und wenn man sich das richtige Videospiel ausgesucht hat, sollte es kein Problem sein, Schreibaufträge abzuleiten, die sich mit den Anforderungen des ESA oder MSA decken. Anfangs entlasse ich die Schüller aus der Stunde mit einem einfachen Auftrag: "Write a diary entry about today's English class." Hier gibt es kein inhaltliches Richtig oder Falsch, hier können sie einfach drauflos schreiben, und gleichzeitig sammle ich damit schon erste Eindrücke für eine spätere Evaluation des Unterrichtsversuchs. Wer möchte, kann mir die Texte dann im Unterricht abgeben oder per Mail zuschicken, und natürlich geht das in die Note der Unterrichtsbeiträge ein. Gleichzeitig kann ich bei von den Schülern wahrgenommenen Mängeln auf diese Weise frühzeitig entgegensteuern und das Unterrichtsformat abwandeln, falls nötig.

Eigentlich klingt das alles geil: Rezeptive und produktive Spracharbeit, mündlich und schriftlich, entstehend aus einer intrinsischen Motivation der Schüler. Allerdings muss für eine solche Situation das Medium stimmen: Ich brauche das passende Videospiel. Es muss Schüler und Schülerinnen ansprechen, intro- wie extrovertierte, verteilt über das ganze kognitive Spektrum. Es muss... ja, was eigentlich? Soll ich einfach mein Lieblingsspiel nehmen?

So einfach ist es mal wieder nicht.

Fortsetzung folgt...

post scriptum: Die große Buba, falls Du das liest und Du an der Geschichte der Videospiele interessiert bist, gibt es auf Netflix eine Dokuserie "High Score" (2020). Nerd-Heaven ;-)