Samstag, 29. September 2018

Maul verbieten?! Nicht mit ihr!

Damals, SoSoFaFe...

vorweg: Langsam kommen mehrere Einträge in diesem Blog zusammen über Menschen, die meinem Leben einen ernsthaften Denkimpuls verpasst haben. Viele sind das nicht, weil mir irgendwie immer egal war, was Andere von mir denken, genauso wie mir Andere auch egal waren. Egozentriker halt. Und dennoch waren (und sind) da einige wenige sehr wichtige Menschen in meinem Leben, und von diesem Beitrag aus, den ich links in die Linkliste pinne, könnt Ihr etwas über sie erfahren.

Ich habe sie alle persönlich kennenlernen dürfen, sie wissen, dass sie in den folgenden Beiträgen verewigt sind und ich bin ihnen sehr dankbar für die Zustimmung. Und, ich muss zugeben, ich würde mich über Gastbeiträge freuen, in denen sie beschreiben, wie sie mich kennengelernt haben.

Die Links zu anderen Menschen sind am Ende des Beitrags!

Und gaaaaanz unten sind im post scriptum noch ein paar Anmerkungen zu Evil Dead 2: Dead by Dawn.
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"Hautausschlag."

Wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, war dies eines der ersten Worte, die sie an mich persönlich gerichtet hatte, und ich hatte mich damals gefühlt, als ob ich ein Autogramm von einem Popstar bekommen hatte. Und gewissermaßen war sie ja auch ein Popstar, hatte eine große Fangemeinde (Tausende Stimmen bei den Uniwahlen!) - und wie ich später herausfinden sollte, eine ebenso große Menge an Menschen, denen sie mächtig auf den Sack ging, weil sie sehr unbequem sein konnte (und hoffentlich auch immer noch sein kann).

Ich hatte noch nie zuvor von ihr gehört. Ich weiß allerdings eines ganz genau: Seitdem ich sie zum ersten Mal mit mir in einem Raum erlebt habe, konnte sie nicht einen Moment still sein. Ich glaube, das war immer so - und ich hoffe, das ist auch immer noch so, denn solche Stimmen braucht es, um für den Rechtsstaat einzutreten. Für die Rechte von Menschen im Allgemeinen, oder wie damals: Für die Rechte von Studenten.

Ich hatte noch nie zuvor von Julia Wuttke gehört.

Genau genommen hatte ich von keinem Einzigen der anderen zwanzig Abgeordneten des Kieler Studierendenparlamentes zuvor gehört. Warum ich trotzdem dort gelandet bin, hatte ich in diesem Artikel berichtet. Julia war mir schon auf der Fachschaftsvertreterkonferenz (FVK) aufgefallen, weil sie so völlig anders war als ich damals. Ich hatte durch die Mobbingphase gelernt, meinen Mund zu halten. Bloß nicht anderen Menschen sagen, was ich denke, das bringt mir nur ungewollte Aufmerksamkeit ein. Julia war, wie gesagt, völlig anders. Sie war klein, hatte schwarze Haare und einen Mund, den sie jedesmal geöffnet hat, wenn irgendwo irgendwas gegen die Rechte der Studierenden der Kieler Christian-Albrechts-Universität ging. Oder wenn generell etwas gegen die Menschlichkeit ging, linker Touch und so, fällt mir da etwas Konkretes ein?

Ja, tut es tatsächlich. Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr es war (ich könnte nachschauen, wenn ich meine Protokolle des Haushaltsausschusses durchginge), als eine Gruppe um finanzielle Unterstützung für eine Vorlesungsreihe bat, in der es um kontroverse Themen gehen sollte, quasi aufrütteln. An sich ja okay, aber einer der geladenen Gäste laut Liste wäre Pierre Vogel gewesen. Mir hat der Name damals nichts gesagt, warum sollte das auch ein Problem sein? Und Julia hat zusammen mit noch einem Namensvetter von mir dem ganzen Studierendenparlament deutlich gemacht, was für ein Mensch hinter dem Namen "Pierre Vogel" steckt.

Julia hatte... nein warte, warum schreibe ich von ihr, als sei sie tot. Julia hat ein unglaubliches Talent dafür, den Finger in die Wunde zu legen. Auch rücksichtslos, wenn nötig, aber ihre humanistische Denkweise rechtfertigt das allemal. Woher sie dieses Talent hat?

Jetzt, in der Retrospektive ist mir alles so klar - aber damals, das ist jetzt zehn Jahre her, wusste ich nichts von Hochbegabung. Weder im Allgemeinen, noch dass ich davon betroffen sein könnte. Jetzt hat es ja endlich in meinem Kopf klick! gemacht und ich verstehe die Zusammenhänge. Das können Hochbegabte scheinbar sehr gut, und das gibt ihnen das Werkzeug, Augenwischerei zu entzaubern, sei es nun durch rechtsnationalistische Gesinnungen oder von Ministerien, die meinten, sie könnten die Studierenden bei ihren Entscheidungen übergehen.

Und demnach kann Julia das auch, denn sie ist hochintelligent. Und es hat ein bisschen gedauert, bis ich das gerafft habe, phasenweise dachte ich, sie sei einfach eine Bullterrier-Kampflesbe, die ihren Mund nicht halten kann und an Allem was zu meckern hat. Ich und meine Vorurteile damals... ich habe in den StuPa-Sitzungen meistens nur still dagesessen - weil ich politisch von nichts eine Ahnung hatte und die Chance nutzen wollte, zuzuhören und zu lernen.

Gelernt habe ich definitiv Einiges von Julia Wuttke: Sie hat mir vorgelebt, dass man nicht immer still sein darf, dass man nie still sein darf, wenn Menschenrechte angekratzt werden. Das Finger-in-die-Wunde-legen habe ich tatsächlich von ihr gelernt, und es ist eine der Triebfedern meiner Entwicklung  gewesen. Man könnte also sagen, wenn Julia nicht gewesen wäre, dann hätte ich vermutlich niemals die Offenheit erlangt, diesen Blog zu schreiben.

Ich bin ihr dafür wirklich dankbar, mehr, als ich es durch irgendeine Geste ausdrücken könnte. Dementsprechend war es für mich ein toller Moment, als ich realisiert habe, dass auch sie diesen Blog liest (und nach meinem Eindruck auch noch ein paar Ex-Stupisten mehr). Das ehrt mich und gibt ihr wiederum die Bestätigung, dass ihre Art, Dinge anzugehen, erfolgreich ist - auch, und das muss ich noch erwähnen, auch wenn damit verbunden ist, dass man sich den Hass seiner Mitmenschen verdient. Das dicke Fell - habe ich bei Julia bewundert und mir auch eines zugelegt.

Und eine Geschichte möchte ich noch erwähnen, das war ein Moment, in dem Julia mir direkt in's Gewissen geredet hat. Ich weiß nicht mehr Zeit und Anlass, ich weiß noch, es war eine sehr lange Sitzung des Stupa, halb vier morgens, wenn ich mich recht entsinne. Ich weiß noch, dass wir alle in der Fraktion geschlossen für diese Sache stimmen sollten - allerdings bin ich dann beim Nachdenken davon abgerückt (ähnlich wie bei 12 Angry Men) und habe anders gestimmt als die Anderen. Mir selbst treu bleiben, das hatte ich schon in Ansätzen gelernt.

Natürlich ist das bei der Stimmenauszählung aufgefallen, meine Stimme hat tatsächlich die Sache in's Kippeln gebracht. Dann gab es eine Pause - die brauchten wir alle, denn wir waren durch mit dem Kopf und mussten uns fraktionsintern vor einer nochmaligen Abstimmung besprechen. Natürlich hat Julia alle zum Fraktionszwang ermahnt, besonders in dieser Angelegenheit - aber gerade mir hat sie damals in's Gewissen geredet. Ich wette, sie wusste es. Und sie hat sinnvoll mit mir geredet. Ich kannte Konzepte wie Fraktionszwang oder Oppositionsarbeit vorher nicht, und sie hat es mir in Ruhe erklärt - dass ich einfach zu einer der vorigen Fraktionssitzungen hätte gehen können, da hätte man das sinnvoll ausdiskutieren können.

Finger in die Wunde - scheiße, das hat wirklich getroffen, denn ich war zu faul, zu mehr Sitzungen zu gehen als nötig. Julia hatte damals vollkommen Recht - und wenn wir Hochbegabten Eines wissen, dann, dass wir uns sachlichen Argumenten gegenüber nicht verschließen können. So hatte ich also meine Stimme in der zweiten Abstimmung geändert. Ich weiß, dass sie diesen Beitrag gerade liest, aber ich frage mich, ob sie sich wohl noch daran erinnert.

Rundschluss: Was hat das Alles mit dem Hautausschlag zu tun? Es dauerte nicht lange, da wusste ich, dass Julia auf Fragen keine "gewünschten" Antworten gibt, sondern sachlich und sinnig antwortet. Sie war für mich damals die richtige Person, um auf meine Frage zu antworten: "Was ist ein Arzneimittelexanthem?" Vielleicht weiß sie mittlerweile, warum ich sie das gefragt habe, macht aber nichts, falls nicht.

Danke, Julia!

(Und es überrascht mich nicht im Geringsten, dass sie der Veröffentlichung zugestimmt hat, denn sie hat nichts zu verbergen und steht zu der Person, die in ihr steckt - das habe ich gelernt)
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- Die beiden wichtigsten Damen in meinem Leben

- Der Mann, in den ich mich zum ersten Mal ernsthaft verliebt habe

- Es geht kaum unterschiedlicher, und doch...

- Dieser Dozent wird mir immer in Erinnerung bleiben

- Er hat meinem Leben in der Schulzeit eine entscheidende Richtungsänderung gegeben

post scriptum: Und jetzt, völlig zusammenhanglos, möchte ich noch einmal herausstreichen, was für eine geniale Idee die "Evil Dead"-Filme waren. Ich habe heute den zweiten Teil gesehen und musste zwischendurch pausieren, weil ich mit dem Lachen nicht mehr hinterhergekommen bin. Und die Zensurgeschichte dieser Filme (seit 2016 endlich ungeschnitten vom Index runter) hat in mir das Interesse geweckt, mal einen Beitrag zu "Zensur im Film" zu erstellen. Ich weiß, dass Roger Ebert sich zu Lebzeiten klar dazu positioniert hat und ich bin da ganz bei ihm.

Freitag, 28. September 2018

The Evil Mett

Weeeeeeerrrrrrr möchte Hackbraten? Happa happa!

An siebenundneunzig Prozent der Kollegen in Schleswig-Holstein: Herzlich willkommen in den Herbstferien! Zeit zum Abschalten, und das mache ich heute mit etwas, was ich schon vor... grübel... so etwa zwölf Jahren hätte machen sollen, aber nein, ich stand mir mal wieder selbst im Weg.

Ich widme den heutigen Artikel meinem Namensvetter, außerdem seiner Freundin, seinem Bruder und Schwommi. Und warum? We will see - es hat jedenfalls etwas mit Hackbraten zu tun. Oder auch nicht, ich fand nur die Assonanz ganz schön.

Ich liebe Horrorfilme, aber ich bin kein Gorehound. Das sind jene Zuschauer, die gern möglichst viele Morde auf dem Bildschirm sehen wollen, blutig sollen sie sein und bitte auch kreativ. Da reicht es nicht, dass der Mörder sein Opfer ersticht, nein, in Großaufnahme wird ihm dabei noch das ganze Gesicht abgeschnitten. So ticke ich nicht. Eher sogar im Gegenteil: Wenn die Gewalt auf dem Bildschirm zu abstoßend wird, mag ich gar nicht mehr hinschauen. Wie sich das mit meinem Faible für z.B. Dario Argento vereinbaren lässt? Es geht hier um Kunst, man kann das Ermorden auf dem Bildschirm richtig in Szene setzen, wie eine Symphonie der Gewalt, sozusagen. Und gerade diese Kunst mag ich daran. Ich mag es, wenn meine Sinne verwöhnt werden. Viele Filme tun das, wie zum Beispiel Suspiria (1977), gleichzeitig enthalten sie aber auch ein paar sehr grafische Szenen, manchmal fast splatterig. Ich stecke da sozusagen in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite möchte ich die Kunstfertigkeit des Regisseurs genießen, auf der anderen Seite habe ich Angst, dass ich von manchen Großaufnahmen Alpträume bekomme. Ich hatte früher Alpträume (wenngleich ohne Horror-Input).

Und genau das ist der Grund, warum ich den Film The Evil Dead (1981) nie geschaut habe. Dabei war mir der Name im Kopf haften geblieben, weil mein Namensvetter damals in der Oberstufe davon erzählt hatte und hellauf begeistert war. Und ich? "Neee, lass mal, das könnte mir zu eklig sein, lieber nicht." Und so habe ich den Film immer wieder vor mir hergeschoben. Half nichts, dass er von Kritikern als einer der besten Horrorfilme evar bezeichnet wurde. Half auch nichts, zu sehen, dass der Film und sein Nachfolger bei rottentomatoes.com Spitzenplätze im Horror-Ranking halten. Es half mir noch nicht einmal die Rezension des zweiten Teils von Roger Ebert - der den Film richtig gut fand! Da muss doch irgendwas dran sein, oder?

Ich weiß nicht, warum jetzt erst der Knoten in meinem Kopf geplatzt ist. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass mein Gehirn sich aufgrund der neuen Arbeitsstelle endlich wieder für Neues öffnen kann. Und so habe ich den Film heute geschaut und nicht eine einzige Sekunde der fünfundachtzig Minuten bereut. Denn der Film trifft bei mir einen Nerv. Genau mein Humor, ich habe zeitweise Lachanfälle bekommen und musste mehrmals pausieren aufgrund der ganzen Gedankenzüge, die der Streifen in meinem Kopf in Bewegung gesetzt hat:

"Ah, da ist ein Liebhaber von Kameraarbeit am Werk..."
"Hehe, Ash ist ein richtiger hunk!"
"Oh mein Gott, den MUSS ich mit der großen Buba schauen, wir werden das ganze Treppenhaus ausspülen vor Lachen!"
"Wow, darüber muss ich heute unbedingt im Blog berichten."
"...und die Fortsetzung soll ja sogar noch besser sein..."

Ich habe bei unzähligen Szenen gedacht "Hey, das hast du schonmal gesehen!" - kein Wunder, der Film war so einflussreich, dass ganze Szenen in andere Filme übernommen wurden, unzählige Videospiele habe die Ästhetik des Films einfließen lassen. Wie ich lese, gibt es seit über zehn Jahren Evil Dead: The Musical, und das soll sogar gut sein! 

Ich habe heute für die erste Meditation statt der üblichen fünfzig Minuten über anderthalb Stunden gebraucht, um mein Gedankenchaos im Kopf aufzuräumen. Sehr, sehr positiv, und das verlockt mich, morgen einen Meditationstag mit Evil Dead 2 (1987) zu machen. An den Meditationstagen bin ich aufgeschlossen für Neues, das könnte großartig werden.

Wahrscheinlich hätte ich mich ohne die Denkimpulse der oben genannten Jungs nie auseinandergesetzt mit den Raimis, oder mit Peter Jacksons Frühwerk (der hat nämlich deutlich mehr gemacht als nur Lord of the Rings). Es muss irgendwo in der Schulzeit gewesen sein, dass mir die Filmtitel Braindead und Tanz der Teufel im Gedächtnis haften geblieben sind - thanks to you, guys, und ich bin wirklich froh über diese Anregungen!

Geiler Scheiß.

Denn es muss einen Grund haben, dass ich sie bis heute, fast zwanzig Jahre später, nicht vergessen habe. Ich habe im Studium angefangen, mich richtig für Horrorfilme zu interessieren. Dass ich damals meine Projektarbeit in der Oberstufe über John Carpenters Halloween (1978) erstellt habe, scheint meine Neugier angefacht zu haben.

Und damit, satt von dem ersten Teil, aber voller Vorfreude auf die Fortsetzung, stürze ich mich mit meinem dreifaltigen Schlachtruf in die Küche:

HACK! BRA!! TÖNN!!!

post scriptum: Darf gern geteilt werden, ich stehe dazu und das war für mich heute mehr als nur "irgendein Filmtag". 

Donnerstag, 27. September 2018

Beep...bop!

Manche Englischlehrer werden dieses von Volvo gestaltete Foto aus den Sprechprüfungen wiedererkennen.

Ich schaue zur Zeit die elfte Staffel The X-Files, die im ersten Drittel des Jahres in den USA veröffentlicht wurde. Ich bin positiv überrascht, was die Macher nach einem ziemlich müden Staffelauftakt da alles servieren - richtig schöne oldschool Geschichten (Plus One), Darin Morgans irren Humor (The Lost Art of Forehead Sweat), auch mal eine schöne Mythologieepisode, in der wir etwas über Scullys Sohn erfahren (Ghouli), aber mein Favorit könnte die vorgestern gesehene Episode sein - Rm9sbG93ZXJz (S11E07).

Und dabei fängt alles ganz unspektakulär an mit Mulder und Scully, die in einem Sushi-Restaurant zu Abend essen wollen. Ein voll automatisiertes Restaurant, und man kann sich schon denken, dass etwas schiefgehen wird. Es entwickelt sich zu einer Humorepisode; wer die X-Files kennt, weiß, dass ein paar der witzigen Episoden mit zu den besten der ganzen Serie gehören, z.B. Bad Blood (S05E12). Herrlich, wie penetrant die automatisierten Roboter jedesmal, wenn sie etwas falsch gemacht haben, nachfragen, ob unsere Agenten stolz auf sie sind.

Natürlich handelt es sich bei der Episode um eine Satire auf unsere Gadget-Besessenheit und den Drang, das gesamte Leben zu automatisieren; der Inhalt und die Moral des Ganzen sind längst nicht mehr neu, aber mit der Akte X-Tapete im Hintergrund ist es ein Genuss, zu beobachten, wie Scully und Mulder sich gegen die moderne Technik zur Wehr setzen müssen. Ich habe mich schief gelacht, als Scullys Vibrator von einem wahnsinnigen Putzroboter unter dem Bett hervorgeholt wird, und die völlig inkompetenten Sprachcomputer sind wunderbar eingesetzt.

Mir gefällt auch, dass man sich hier auf visual storytelling konzentriert, es gibt fast überhaupt keine Dialoge. Ich habe spätestens seit A Quiet Place (2018) diesen Kniff sehr zu schätzen gelernt; eine angenehme Alternative zu minutenlangen Expositionsschlachten.

Genau genommen ist das hier fast keine X-Files-Episode. Aber genau solche Experimente braucht eine Serie nach über zweihundert Folgen und zwanzig Jahren Fernsehexistenz. Es gibt sie, die ungewöhnlichen Folgen in einer Serie, der "ungewöhnlich" bereits auf die Stirn geschrieben steht. Ich mag es, wenn man (für die Serie) unkonventionelle Erzähltechniken benutzt; das hat John Doe (S09E07) für mich zu einem kleinen Goldstück werden lassen. Und ich habe mich hier thematisch an Chaplins Modern Times (1936) und Tatis Playtime (1967) erinnert gefühlt, und das war es die dreiundvierzig Minuten wert.

post scriptum: Nun bin ich mit der Staffel durch und leider sehr enttäuscht, dass auch die letzte Episode "My Struggle IV" sehr schwach und inhaltsleer ist. Das, kombiniert mit dem Umstand, dass Gillian Anderson nun definitiv ihren Ausstieg bei den X-Files erklärt hat, und die realistische Einschätzung, dass es sich hierbei um die letzte Staffel gehandelt haben kann, hinterlässt einen unschönen Nachgeschmack. 

Und dennoch bleibe ich dabei: Die elfte Staffel hat ein, zwei der besten Episoden der gesamten Serie hervorgebracht. Genuss pur. Das macht richtig Lust darauf, wieder einmal einen Durchlauf zu starten.

Wer Interesse hat, findet hier noch einen älteren Blogartikel zu den X-Files.

Dienstag, 25. September 2018

Herbst

Die richtige Jahreszeit für unheimliche japanische Geistermädchen ^^

In meiner Wohnung ist es schon seit einigen Tagen kalt. Dachschrägen, schlechte Isolation und eine abgeschaltete Heizung sorgen dafür, dass ich am besten mit einem warmen Pullover auf der Couch sitze. Das Wetter baut nun auch in großen Schritten ab, immer mal wieder fegt draußen ein ordentlicher Wind durch die Straßen, es regnet und die Herbstjacken werden aus ihrem Sommerquartier geholt.

Heute allerdings ist dann doch nochmal ein etwas spezieller Tag, denn als ich nach Hause komme, stimmt irgendwas mit der Wohnung nicht. Irgendwas ist anders als sonst. Sonnenschein draußen? Nein. Nachrichten auf dem Anrufbeantworter? Zum Glück ruft mich kaum jemand an. Ich kann das Gefühl nicht genau einordnen, vielleicht brauche ich erstmal frische Luft und gehe zu den Fenstern, um einmal über Eck stoßzulüften. Ich will gerade das Fenster öffnen, da bemerke ich einen Schwall warmer Luft, der von unten aufsteigt. Sollte etwa...?

Ja, so wie es aussieht, ist endlich die Heizung angeschaltet. Endlich kann ich die Luft zum Schlafen etwas erwärmen, ich sitze seit Tagen mit einer Schniefnase hier in der Weltraumbasis, damit ist jetzt Schluss. Endlich kann ich zur Meditation wieder komplett entspannen und bekomme keine Gänsehaut, nachdem ich eine Stunde in der kalten Luft gelegen habe.

Ich freue mich auf die Entspannung, die das neue Wohnungsklima mit sich bringen wird, und die ist auch bitter nötig, damit ich bei den Korrekturen die nötige Seelenruhe behalte; ich dachte ja eigentlich, okay, wenn jemand sich freiwillig entscheidet, noch zwei Jahre Berufsfachschule III zu besuchen, dann liegt ihm etwas an dem Abschluss, dann nimmt er Vieles aus dem Unterricht mit und kann es dann in den Klassenarbeiten anwenden.

Wenn das hier einer meiner Kollegen liest, lacht er sich garantiert den Arsch ab. Natürlich, es gibt auch jene Schüler, die richtig gut mitmachen, lernen und sich in's Zeug legen. Und manche schaffen es trotzdem nicht, auf eine gute Note zu kommen. Aber wenn jemand konsequent bei keiner der Aufgaben mehr als zwei Rohpunkte hat, wenn jemand nicht einmal eine zweistellige Punktzahl bei achtzig Gesamtpunkten erreicht, dann muss ich tatsächlich mal in ein Gespräch gehen.

Ich habe das ewig nicht mehr gemacht, aber vielleicht lohnt sich der zeitliche Aufwand, diese Klassenarbeiten einzeln zurückzugeben mit ein paar Takten guten Zuredens. Einfach nur die Zeit abzusitzen, das funktioniert in der Berufsschule nicht mehr...

Noch ein paar Tage, liebe Kollegen, dann haben wir die Herbstferien erreicht!

Freitag, 21. September 2018

Elternaben...was? Schon vorbei??

...und nun gebe ich ihnen noch meine Mailadresse. Schreiben sie mir bloß nicht!

Ich habe in diesem Blog schon einmal, zweimal über Elternabende geschrieben. Und auch an meiner neuen Schuler steht sowas an, ist ja logisch. Und so habe ich mir den Termin im Timer notiert und mir meinen Vortrag zurecht gelegt. Vier Lerngruppen, viermal Eltern informieren, und so denke ich mir, dass ich in anderthalb Stunden da raus sein werde.

Nix da - denn ich habe einen wichtigen Umstand nicht beachtet, und zwar, dass viele meiner Schüler bereits volljährig sind. Das erklärt, warum ich keine Elternabende zu den Oberstufenkursen besuchen muss, und warm bei den anderen Klassen nur sehr wenige Eltern da waren. Nun gut, ich beschwere mich nicht; nach zwanzig Minuten war ich fertig.

Nur eine von vielen Änderungen, die mir erst allmählich bewusst werden. Neue Schulart, fünf Wochen sind rum und ich hoffe einfach nur, dass ich nicht zuviel Bockmist gebaut habe. Das wird eine ganze Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe. Dass das im Moment noch nicht der Fall ist, verrät mir der freitagabendliche Blick durch meine Wohnung: Müll liegt herum, Geschirr hier, da und dort. Ich vermute einfach mal, wenn ich mich eingelebt habe, dann denke ich auch unter der Woche wieder an's Aufräumen.

Was mich heute allerdings gefreut hat: Eine Schülerin sprach mir ihren Respekt für den Blog aus - dafür, dass ich so offen schreibe. Interessant, genau das hat mein Namensvetter mir auch gesagt, da scheint etwas dran zu sein. Aber ich antworte in diesen Fällen immer realitätsgemäß: Genau diese Offenheit, die meine Leser schätzen, ist Anderen ein Dorn im Auge. "Wie kannst du nur!" - "Aber das können doch alle Menschen lesen!"

Ich werde mich nicht davon abhalten lassen, den Blog weiterzuführen, und hoffentlich geht das auch mit meiner Schule in Ordnung. Denn... vielleicht möchte ich wirklich dort bleiben.

Dienstag, 18. September 2018

Overachiever

Harmlos - oder?

In den letzten Jahren ist die Arbeit mit hochbegabten Underachievern, bzw. das Erkennen, zu einem meiner Steckenpferde geworden. Heute habe ich einmal das "Gegenteil" kennengelernt.

Situation: Klassenarbeit in der Unterstufe der BFS III, also im Wesentlichen Schüler, die zwischen mittlerem Bildungsabschluss und der Fachhochschulreife stehen. Der Inhalt der ersten Klassenarbeit beschränkt sich fast ausschließlich auf die Grammatikwiederholung der letzten Wochen, tenses hauptsächlich. Zum Einstieg gab es einen Lesetext und ein paar Aussagen dazu (oben im Bild); hier sollte nur kurz angegeben, ob die Aussagen true, false oder not in the text sind (ja, mir ist klar, dass Aufgaben mit der Möglichkeit not in the text nicht unbedingt ideal für eine Klassenarbeit sind). Da war nicht viel zu tun, die Antwort hätte ungefähr so aussehen sollen:

1) true
2) true
3) not in the text
4) not in the text
5) true
6) not in the text
7) not in the text
8) false: They got a job near Manchester

Ein Schüler hat sich allerdings Mühe gegeben und mir eine Antwort präsentiert, mit der ich so definitiv nicht gerechnet habe:

"From my point of view I would insist on the stated fact that sentence 1 and 2 are properly and thoroughly reflected in the text above. Furthermore I would proceed with my analysis by marking statement 3 is not fully illuminated as such. Upon request I may express my concern in correcting or, so to say, "highlighting" the exact statement by citing from the text: Different routes to the job. He, Ben, went to university to join an "access program" for further education, which does not finish with a baccalaureate or similar, so to be honest, this sentence should be seen as "not stated".
In addition to that, sentence four speaks of Marita as having finished her Abitur. In fact, she decided to go abroad after a secretarial course. Whether she has Abitur or not can only be concluded, but is not precisely mentioned. Luckily, she has been receiving funds from the EU, so that sentence five is correct. Here again on the following line six it says: ...stay in Britain permanently. On the one hand the text outlines a prosperous future for Miss Schneider, yet a factual or planned extension of her stay overseas is not mentioned as a piece of information. Indeed, Ben and Marita both needed to take extra educational career steps and both applied at Oxford. Marita, however, actually applied for advanced studies, whereas Ben applied for further education solely. 
To end this analysis, I'm happy to introduce the last sentences dismantled as a false statement. After quite some breakdowns, Ben managed to get a job with BMW as an IT-Worker, and Marita stayed with a medical equipment manufacturer, and the text doesn't say anything about a link or relation with Oxford University after all."

Da bleibt einem erstmal der Mund offen stehen, oder? Immerhin wird dieser Schüler so schnell keine Probleme mit Textproduktion in einem Prüfungskontext bekommen. Wow - I'm floored!

Samstag, 15. September 2018

Neun Jahre Facebook

Es scheint in Mode gekommen zu sein, Facebook scheiße zu finden (und trotzdem zu bleiben)...

Facebook hat mich darauf hingewiesen, dass ich der Seite genau heute vor neun Jahren beigetreten bin. Neun Jahr, eine wirklich lange Zeit, fast ein Viertel meines Lebens. Und was nicht in diesen neun Jahren alles passiert ist: Examen, erste Lehrjahre, Referendariat, ernsthaftes Verlieben, mittlerweile sechs verschiedene Schulen, drei unterschiedliche Wohnungen und Lebensorte.

Man könnte fast sagen, dass FB die einzige Konstante in diesen Jahren war. Und irgendwie bin ich froh drüber. Ich höre von immer mehr Menschen, die ebenfalls lange dabei sind, nun aber FB den Rücken kehren wollen, oder es bereits gemacht haben. Im Lauf der neuen Datenschutzverordnung sind es noch mehr geworden. Sie sehen eigentlich keinen Nutzen mehr in Facebook, außer vielleicht mit einem oder zwei Freunden zu kommunizieren. Sie möchten nicht, dass ihre Daten für personalisierte Werbung abgezogen werden. Sie möchten sich nicht mehr auf diese Weise einer Öffentlichkeit preisgeben.

Ich kann das verstehen; für mich stellt sich FB allerdings anders dar. In manchen schwierigeren Phasen ist ausgerechnet diese Community für mich ein Anker, der mir Sicherheit in irgendeiner Form gibt. Da kann ich immer mal vorbeischauen. Da kann ich meine Blogideen veröffentlichen. Da kann ich Menschen erreichen, denen ich vielleicht helfen kann. Für jemanden wie mich, der nicht so gern in der Realität unter Menschen geht, ist das ziemlich wertvoll. Gibt mir Sicherheit.

Ich habe hier die Sannitanic und die große Buba, und auch Er ist hier. Es beruhigt mich zu wissen, dass diese drei Menschen im Notfall erreichbar sind, und gleichzeitig habe ich nicht mehr diese Nerrvosität wie früher, wenn einer mal nicht sofort antwortet - eine der Sachen die ich wirklich nervig finde: Diese Markierungen, wann eine Nachricht gelesen worden ist. Sorry, aber wenn man sich geistig nicht dagegen gewappnet hat, kann das pure Schikane sein - "Sie hat das doch schon vor einer halben Stunde gelesen, warum antwortet sie nicht?" - "Mag Er mich vielleicht nicht mehr?" - und so weiter... kennt Ihr vielleicht.

Ich bleibe dabei, ich bin froh, dass ich Facebook habe. Ich habe es als Teil meines Lebens integriert, meine Verbindung zur Außenwelt aus meinem sicheren Weltraumhafen hier unter'm Dach. Und mir macht es nichts, wenn irgendjemand irgendwas über mich herausfindet; ich habe beschlossen, zu allem zu stehen, was ich tue, und damit habe ich auch nicht mehr wie früher Angst davor, mit meinen eigenen Taten konfrontiert zu werden (Stichwort Nichts bereuen!).

Freitag, 14. September 2018

Der Eid des Hippokrates

gemalt von Peter Engels

Es gibt da in Kiel diese Hautarztpraxis, ich habe den Namen vergessen. Die macht echt einen tollen Eindruck, hell, extrem freundlich, und es gibt zwei unterschiedliche Wartezimmer, eines für Kassenpatienten, eines für Privatversicherte. In letzterem steht ein kostenfreier Getränkeautomat. In dieser Praxis fühlt man sich königlich behandelt, keine langen Wartezeiten, und auch der Hautarzt selbst ist freundlich und aufgeschlossen, so scheint es.

Aber getrennte Wartezimmer sollten misstrauisch machen.

Und es ist ja nicht so, als arbeite dort ein inkompetenter Arzt, im Gegenteil, er kümmert sich um die Probleme und regelt sie. Er kümmert sich sogar um Probleme, wo vorher keine waren. Ich hatte damals einen akuten Neurodermitisschub (mittlerweile weiß ich zum Glück, wie ich damit umgehen muss) und bin in diese Praxis gegangen, um über Rötungen und juckende Haut zu klagen. Der Arzt hat sich diese Klagen sehr freundlich angehört und meine Haut unter die Lupe genommen - und hat ein Problem gefunden, das noch viel wichtiger zu sein schien als das Jucken, denn er äußerte umgehend Sorge über die Muttermale an meinem Körper, Hautkrebsrisiko, und die müssten unbedingt entfernt werden, um sicherzugehen, dass alles gutartig ist.

Und wie von Zauberhand hatte der Arzt auch schon die Verschreibung einer Operation parat. Ich war damals natürlich schockiert über die unheilvollen Nachrichten zu meinen Muttermalen und war sehr froh, dass der Arzt sie entfernt hat, fachmännisch herausgeschnitten. Um die Narbenbildung zu verringern, hat er mir ein Gel verschrieben, das rein zufällig in der praxisinternen Apotheke zu kaufen war. Ein Wunder!

Bei einer der Nachuntersuchungen hat der Arzt mich dann auch gefragt, ob ich wieder guter Dinge sei, und ich sagte ihm, dass die Stellen gut verheilt sind. Allerdings schob ich dann - endlich - noch einen Nachsatz hinterher, in dem ich ihn um eine Diagnose des Juckens und der Rötungen bat, denn beides war immer noch sehr intensiv vorhanden, und das war ja eigentlich auch der Grund meines Kommens. Seine Antwort werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen und hat mein Vertrauen in Ärzte im Grunde erschüttert:

"Ach das hatten sie auch noch! Ich möchte ihnen nur gerade klar machen, dass sie mir meine Zeit stehlen."

Zeit stehlen... bitte WAS?! Und erst dann bin ich auf den Trichter gekommen, dass es in dieser Hautarztpraxis in erster Linie um Gewinne geht, die tatsächlichen Beschwerden der Patienten sind sekundär. Das weiß ich, weil einer damaligen Kommilitonin genau das Gleiche passiert ist - und heute erzählt mir ein Kollege im Lehrerzimmer von seiner Erfahrung mit diesem Hautarzt, dessen Namen ich leider vergessen habe. Ist kein Einzelfall, das ist mir mittlerweile bekannt, der Wahnsinn hat Methode.

Und da komme dann ich, dachte immer, wenn man sich entscheidet, Arzt zu werden, dann macht man das, um Menschen zu helfen, sie zu heilen und womöglich Menschenleben zu retten. Man benutzt sie nicht als Material, um möglichst viele und umfangreiche Behandlungsmethoden aus ihnen herauszuholen. Dachte ich. Gibt es da nicht diesen Eid oder so?

Also, Patient, immer gründlich hinterfragen, was Dein Arzt Dir so mitzuteilen hat!

post scriptum: Heute habe ich "The Endless" (2018) geschaut. Das ist mal richtige Science Fiction, und es ist ein sehr intelligenter Film, der neben Sektenwirkung auch diverse andere Themen abarbeitet. Herrlich, wie der Film mit mir gespielt hat, mich im Unklaren gelassen hat. Anfangs dachte ich, wow, den Film kann ich in meinen Schulkanon aufnehmen, weil er überzeugend den Sog darstellt, den Sekten ausüben können - vielleicht schreckt das die Schüler ab, so dass sie nicht mehr so einfach in's Netz der Sektenfänger gehen. Gen Ende habe ich dann allerdings feststellen müssen, dass für sehr viele Schüler dieser Film "zu intelligent" sein wird, und dass sie Vieles nicht verstehen werden. Das wird bestätigt durch die Punktzahl in der IMDb, die recht niedrig ist - während die Kritiker mal wieder voll des Lobes sind, zum Beispiel auch Matt Zoller Seitz. Ich bin sehr froh, dass ich den Film gesehen habe.

Donnerstag, 13. September 2018

Bis die linke Titte platzt

Glamor? Dance?? Muse!

Nun habe ich hier also schon über seinen Geburtstag geschrieben, dann über meinen, die Sannitanic habe ich ausgelassen, aber die bekommt auch noch irgendwann ihr Fett weg. Stichwort! Fette Schnecke. Der unverzichtbare andere Teil des alten Frettchens hat heute Geburtstag. Die große Buba wird heute allerdings vermutlich nicht viel draus machen, denn sie steckt in der Arbeit drin. Schule fordert.

Warum ich ihren Geburtstag diesmal öffentlich anspreche? Weil es ganz gut sein kann, dass dieser Geburtstag der erste in ihrem neuen Lehrerinnenleben ist, und das ist schließlich vielleicht ihr Weg. So, und nu kommen die Unkenrufe von Menschen, die mitrechnen, und die werden feststellen, dass natürlich auch im letzten Jahr das Schuljahr zum Große-Buba-Geburtstag bereits begonnen hatte. Aber wie es wohl vielen von uns ging und geht: Das erste Mal an einer Schule, Eindrücke ohne Ende, Gedankensortierung anstrengend, da hat man vielleicht noch nicht den richtigen Nerv zum Feiern.

Meine liebe die große Buba!

Langsam setzen sich die ersten Eindrücke, langsam wird eine Perspektive im Leben sichtbar, langsam geht das Lebengenießen richtig los. Und genau das wünsche ich Dir für das neue Lebensjahr: Genieß' alles, was auf Dich zukommt. Entspann' Dich. Finde Deine persönliche Work-Life-Balance.

Und keine Sorge, wir beide feiern dann nach, bis die linke Titte platzt. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht mehr, woher dieses Bild im Kopf kommt, aber DGB und ich kommen immer wieder gern darauf zurück, dass ihre Brüste platzen und Konfetti herausregnet. Und bunte Regenbogen, so wie bei Cloudy With a Chance of Meatballs 2. Und feiern, das können wir. Zum Leid der Nachbarn.

Röbbhe, phöbbe?

Mittwoch, 12. September 2018

Vermissmeinnicht

Ob es die FSK-Logos auch für Lehrer geben sollte? Bekomme ich dann Keine Jugendfreigabe?

"Vermisst du nicht die Kleinen?" fragt er mich.

Ob ich die Kleinen vermisse? Die kleinen Goldengel, die mir nur bis zur Hüfte gehen, die mir ununterbrochen am Rockzipfel hängen, vor der Stunde und auch in die Pause hinein, die traubenartig an mir kleben während der Pausenaufsicht, die alles für bare Münze nehmen, was ich sage, die angewiesen sind auf einen strukturierten Unterricht, die laut sind - ungünstige Kombination mit dem Abkauen meiner Ohren. Vermisse ich sie?

Ich vermisse sie in etwa so sehr, wie ich es vermisse, Latein zu unterrichten. Überhaupt nicht. Und dabei soll darin keine Wertung stecken, es ist nur so, dass das Sachen waren, die mir nicht gefehlt haben. Fünf Jahre ohne Latein? Wo ist das Problem? Und nun unterrichte ich seit vier Wochen nur noch ab fünfzehn aufwärts, und es fühlt sich toll an. Ich kann wieder dämliche Sprüche im Unterricht raushauen, ich darf Ansprüche an das Selbstmanagement der Berufsschüler stellen, es muss nicht alles jugendfrei sein und auch nicht immer politisch korrekt, und die Leute wissen, dass ich sie trotz blöder Sprüche nie persönlich angreifen würde. Eat this, ich kann endlich wieder mit Ironie arbeiten!

Es gibt einfach Lehrkräfte, die viel besser als ich dafür geeignet sind, Orientierungsstufen zu unterrichten. Und es gibt so viele Kollegen, die das Fach Latein toll rüberbringen können - die Sannitanic zum Beispiel. Ich bin dafür einfach keine gute Besetzung, das ist mir mittlerweile seit ein paar Jahren klar, aber als Lehrer an einer Gemeinschaftsschule oder einem Gymnasium kann ich mir nicht unbedingt aussuchen, welche Jahrgangsstufen ich denn gern unterrichten möchte. Ich frage mich, warum ich dem Konzept der Berufsschulen bisher so indifferent gegenüber gestanden habe. Wenn es Home Improvement gibt, dann gibt es sicherlich auch Job Improvement.

post scriptum: Klasse, jetzt habe ich auch von Schülern die Bestätigung bekommen - "Our teachers are crazy!" - ganz mein bevorzugtes Umfeld ;-)

Montag, 10. September 2018

Saaa...aaauuuuUUUUUUUHHH! (Das Tier in mir)

https://www.opticsplanet.com/gearexpert/wp-content/uploads/2017/10/shutterstock_700020463.jpg

Endlich sind wieder ein paar Dinge von meiner To Do-Liste verschwunden, an diesem sonnigen Montagmorgen, so friedlich, dass nicht einmal die Bienen Lust haben, sich in meine Wohnung zu verirren und mich in den Wahnsinn zu treiben. Stolz wische ich die Aufgaben, die nun erledigt sind, von der Wandtafel ab, zickzack, schnell mit dem Schwamm hin und her, und die eben noch dräuenden nervigen Aufgaben werden pulverisiert. Pulver, a.k.a. Kreidestaub. Der nach unten fällt, wie ich bemerke, und meinen Blick nach unten schweifen lasse: In der Tat, das waren nicht die ersten Aufgaben, die ich jemals von dieser Tafel getilgt habe - auf dem Fußboden, am Übergang zur Wand, hat sich mittlerweile eine kleine Kreidedüne angesammelt.

Naja, die kann ich ja schnell wegsaugen, und hole den Staubsauger aus der kleinen Kammer. Stecker in die Steckdose, einschalten, sanft dröhnt das Gerät in die alltägliche Geräuschkulisse, es ist ein lautes Rauschen, aber nicht so ein Getöse wie damals, zur Zeit des großen Sturms. Nicht zu laut, eher sogar ein bisschen zu sanft, bemerke ich, denn der Kreidestaub ist auch in die Ritzen zwischen den Holzdielen gefallen und ich muss ihn von dort herausbekommen. Also drehe ich die Stärke des Staubsaugers von Stufe drei - glatte Fußböden, kleinste Partikel - auf Stufe sechs rauf - Teppiche, tiefe Teppiche, verlorengegangene Essensreste. Das Dröhnen schwillt an, wird lauter, umfassender, ich bekomme kaum noch etwas mit und sehe, wie gnadenlos der Staubsauger die Kreidedüne vernichtet, wegsaugt, und nur einen strahlend sauberen Holzfußboden zurücklässt.

Wie wunderschön... fasziniert blicke ich dorthin, wo eben noch eine Kreidewüste geherrscht hat... und ich realisiere die Macht, die ich in meinen Händen halte. Ich muss die Wohnung durchsaugen... reinigen... ich... staubsaugen... saaaauuuUUUUUUHHHHHH!!! Ich stoße ein wildes Geheul aus, kann nicht mehr an mich halten, stürze mich wie eine verhungernde Kreatur auf den Staubsauger zu meinen Füßen und greife nach dem Stellrad. Stufe sieben - Sand, Mikropartikel... Stufe acht, die Verankerung knackt... Stufe neun - verlorene Kindheitserinnerungen - das Gerät ist nicht auf eine solch' implosive Macht vorbereitet... und noch weiter, bis ganz auf Stufe zehn - radioaktive Teilchen, Krieg im nahen Osten, menschliche Seelen, verschüttete Cornflakes - alles wird weggesaugt, und ich fange an, manisch zu lachen...

Wie ein Hexenmeister schwinge ich den Staubsauger herum und sauge alles auf, was meine Wohnung verunstaltet - Dreck, Teppiche, Bücherregale... Klassenarbeiten, Lebensmittel, Emotionen... die Sannitanic, die große Buba, Er...Meine Augen beginnen zu glühen, Laserstrahlen schießen heraus und scannen jeden Winkel der Wohnung auf irgendwelche aufsaugbaren Partikel ab, da vorne liegt noch ein Stapel Klausuren, der durch seine Vernichtung nur noch besser werden kann, und da hinten liegen meine Nerven - nichts widersetzt sich meiner Macht!

Endlich ist alles aus meiner Wohnung verschwunden, nur noch weiße Wände und der Holzfußboden, alles ist weg... fast... fast alles... und ich hebe den Staubsauger hoch... und blicke mitten in seinen alles verzehrenden Schlund, schwarz wie die Nacht, und spüre, wie ganz langsam, aber sicher, meine Seele aus meinem Körper gesaugt wird. Ich schließe die Augen, und während mein Denken langsam versagt, höre ich ein Klingeln, verzerrt... und ich realisiere, wie angenehm es sich anfühlt, endlich all' diese Gedanken loszuwerden, das Klingeln wird lauter, mein Kopf wird leerer, und schließlich gebe ich jeden Widerstand auf. Ich wehre mich nicht mehr... ...mmmhhhh...

...und beschließe, dem Klingeln ein Ende zu bereiten, indem ich endlich aufstehe und dem Postboten die Tür öffne. Und dann sollte ich wirklich mal die Wohnung durchsaugen...

Lust auf mehr Geschichten? ;-)

- Die Zimtsterne (der Katastrophenthriller)

- Schnellkasse 2 - die Kontrollwaage schlägt zurück

- Der Wanderer (eine Schauermär) 

- Quengeltheke reloaded 

- Expeditionen in's Badreich

Sonntag, 9. September 2018

Doc und Doc (Seelenstriptease II)

Jahre später - eine neue Perspektive

Heute möchte ich einen Artikel über Doc schreiben, den ich Doc nenne, weil er den gleichen Namen wie ich trägt.

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, hatte ich unterschiedlichste Phasen. In der Orientierungsstufe war ich laut, nervig, überdreht. Albern, habe meine Hausaufgaben nicht gemacht, habe über Mitschüler gelästert. Und habe Mist gebaut, eine Mitschülerin zusammen mit anderen in einen Fluss geworfen - woraufhin diese dann versucht hat, mit einem Küchenmesser auf mich loszugehen. Es waren aber genügend Mitschüler auf jener Klassenfahrt in der Nähe, so dass nichts Schlimmeres passiert ist. Kurzum: Ich war hochintelligent, aber ein Arsch. Besserwisser, nervig aufgedreht und unmenschlich zu meinen Mitschülern.

War wirklich so.

Die Retourkutsche kam dann ab der achten Klasse, als ich lernte, was es bedeutet, gemobbt zu werden, denn damals kam Doc in meine Klasse. Ich kam in die Pubertät und habe viele Dinge in meinem Leben nicht mehr verstanden, ich bin nachdenklicher geworden, ich lernte, dass man auch Männer, bzw. andere Mitschüler attraktiv finden kann. Viel Verwirrung, mir war das alles peinlich, dazu kommt noch die ganze Handballgeschichte, kurzum: Ich wurde still in der Klasse.

Verhaltensauffällig in der anderen Richtung, könnte man sagen, nach dem Extrem in der fünften und sechsten Klasse. Und verhaltensauffällige Mitschüler werden nun mal gern zur Zielscheibe von Mobbern; ich muss es wissen, denn ich habe damals ja auch auf denen rumgehackt, die irgendwie anders waren. Nun war ich also dran, und es gab da drei Jungs in unserer Klasse, die ziemlich schnell merkten, dass ich eine wunderbare Zielscheibe bin. Einer dieser Jungs war Doc.

Sie machten Witze über mich, die Streberleiche, im Unterricht bewarfen sie mich mit Sachen, rempelten mich auf dem Schulhof an und vom Sportunterricht fangen wir gar nicht erst an. Es hat nicht allzu lange gedauert und ich hatte Angst, in die Schule zu gehen. Wenn Doc mal nicht in der Schule war, habe ich mich erleichtert gefühlt, aber die Angst vor diesen Jungs hat meine Mittelstufenerfahrung ziemlich beherrscht (neben Frau Janke, die verzweifelt versucht hat, uns deutsche Literatur näher zu bringen). Ich mochte mich im Unterricht nicht mehr melden, weil ich sofort zur Zielscheibe meiner Peiniger würde, und mein Zeugnisdurchschnitt ist um eine ganze Note abgerutscht.

Und ich glaube, dass Doc das nie bewusst gewesen sein wird. Genauso wie es mir nicht bewusst war, was ich meiner Mitschülerin angetan habe, als ich sie in der sechsten Klasse in den Fluss geworfen habe. Wer mobbt, scheint oft keine Ahnung von dem Ausmaß seiner Handlungen zu haben.

Und das Beste ist: Ich kann Doc nicht böse sein. Denn schon in der Oberstufe hat sich gezeigt, dass da eigentlich ein ganz interessanter Mensch drinsteckt. Im Projektkurs Filmanalyse habe ich gemerkt, dass er auch Horrorfilme mag. Und eigentlich gar nicht so fies war. Ob es seine Freundin war, die ihn etwas "bearbeitet" hat?

Jetzt, viele Jahre später, bin ich ziemlich stolz auf das, was aus Doc geworden ist. Er ist ein Genussmensch geworden, er kennt sich mit Horrorfilmen und Whiskey aus wie wenige andere, und er ist immer noch mit seiner Freundin von damals zusammen. Jedesmal, wenn ich ein Foto von den beiden sehe, muss ich schmunzeln. Wie man sich doch ändern kann... und jedesmal, wenn Doc einen meiner Beiträge im Blog liest und ein "Like" druntersetzt, strahle ich aus dem Innersten heraus - gerade wenn es Beiträge sind, die zum Beispiel mit meiner sexuellen Orientierung zu tun haben und früher cannon fodder für meine Mobber gewesen wären.

Ich finde es absolut klasse, wie Doc sich entwickelt hat. Und es zeigt mir, dass Schüler, die Andere mobben, Gründe dafür haben. Und dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Das gibt mir sehr viel für meine eigene pädagogische Arbeit.

Also, so von Doc zu Doc: Toll, was Du aus Dir gemacht hast!

post scriptum gegen die Unkenrufe: Ich habe grünes Licht von Doc für diesen Beitrag erhalten, und ein Kompliment dazu, über das ich mich ziemlich gefreut habe; ihm gefällt die Offenheit, mit der ich hier die Dinge angehe. Klasse! So geht es definitiv nicht jedem, und die häufigste Kritik, die ich zu diesem Blog höre, ist: "Du weißt aber schon, dass das jeder lesen kann, oder? Ich würde das lieber nicht machen, du kannst doch nicht so Privates von dir preisgeben." - Das ist mein Privates, darüber entscheide ich, und ich weiß, dass mehrere der regelmäßigen Leser gerade die Offenheit zu schätzen wissen, vielleicht auch, weil sie sie selbst nicht haben und froh sind, dass ihnen jemand mal aus dem Herzen spricht.

Samstag, 8. September 2018

Der gelbe Punkt

Unzählige Erinnerungen

Heute stehe ich vor meiner Fotowand und schwelge ein paar Minuten in Erinnerungen, und ich sehe ein Foto von der großen Buba und mir in der Cafeteria der Kieler Uni. Buba, Hilarius und Essen - das ging immer ziemlich gut. Und das wirkt alles so selbstverständlich zwischen uns - aber das war jahrelange Arbeit. Zu erkennen, zu lernen, wie der Andere ist. Das war nicht immer so, und ich erinnere mich noch sehr gut an einen Moment vor einigen Jahren, eine Situation, die mir vor DGB verdammt unangenehm war.

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Es gibt so Momente... unglaublich peinliche Momente, in denen ich mir wünsche, die Erde möge sich auftun, oder ich könnte die letzte Stunde ungeschehen machen. Momente wie gestern.

Die große Buba kommt zu Besuch. Ich freue mich riesig, dass sie da ist, denn ich habe sie zwei Wochen nicht gesehen. Und ich habe sie heute auch noch versetzt, weil ich nicht deutlich gemacht habe, dass Meditationstag ist, und dass ich deswegen erst ab zweiundzwanzig Uhr bereit stehe - oder noch später. Ist eben manchmal so, wenn ich intensive Gedanken verarbeiten muss, und der gestrige mit ihm mag zwar kurz sein, aber er beschäftigt mich sehr. Doch die große Buba ist noch fit, und sie kommt auch noch am späten Abend rum, und das ist toll, denn wir wollen noch ein paar Pogopuschel plattmachen, mit Pomsa und Konsorten in Secret of Mana.

Sie kommt herein, ich freue mich, wir springen auf die Couch und unterhalten uns über Verhaltensweisen, über Kartenhäuser, über fat shaming und darüber, wie in jedem von uns Menschen das Potential zur Intoleranz steckt. An Meditationstagen bin ich froh, wenn die große Buba erzählt, dann kann ich zuhören; ich selbst rede nicht so viel. So also auch heute. DGB erzählt von einem ehemaligen Arbeitskollegen, erzählt, wie sie etwas ernüchtert ist über einen Kommentar, den er bei Facebook unter einem... ...oh warte... 

...da ist er wieder... der gelbe Punkt. Ich sitze still, schaue DGB an und höre ihr zu, nicke ein paar Mal bestätigend, aber meine Gedanken kreisen nur noch um diesen gelben Punkt, den ich in meinem Blickfeld habe. Ich kenne diesen Punkt, er taucht auf, wenn ich Kreislaufprobleme habe. Er verschwimmt etwas, wird immer runder, mit einem Loch in der Mitte, so dass er fast ein Ring ist. Als würde das Weiße in meinem Auge gelblich leuchten, matt schimmern, und dahinter kann ich immer noch DGB sehen, die weiter erzählt. 

Zum Glück erzählt sie. Ich versuche, tief durchzuatmen. Wann habe ich zuletzt gegessen? Vor einer halben Stunde. Ja okay, aber nur eine halbe Portion. Und davor? Naja, gestern Abend hatte ich zwei Scheiben Brot. Und davor? Naja, vorgestern Abend... okay okay, ich glaube, ich habe wieder einmal viel zu viel gedacht und das Essen vergessen, und jetzt rächt sich der Körper, ausgerechnet in diesem Moment, wo DGB vor mir sitzt und ich mich so auf das Rumalbern gefreut hatte, und ich hatte sie sowieso schon versetzt, weil das alles später geworden ist, und jetzt noch zusammenklappen? Geht gar nicht! Also, tapfer sein.

Langsam wird der gelbe Punkt immer größer, DGB erzählt noch weiter, ich versuche ihr kurze Fragen als Prompter zu geben, damit sie weiterredet, Hauptsache, ich muss jetzt nicht authentisch und sinnvoll reagieren. Das Glitzern in meinem Blickfeld wabert immer weiter und ich gehe zum Kühlschrank, um mir ein Glas Cola zu holen. Das dürfte DGB stutzig machen: Ich hole mir NIE etwas zu trinken, wenn sie da ist, weil ich mit den Gedanken immer total bei ihr bin und nicht an solche Nebensächlichkeiten denke. 

Ich setze mich wieder, trinke das halbe Glas in einem Zug aus, nicke. Hoffe, dass der Zucker etwas bringt, während der gelbe Punkt soweit verschwommen ist, dass er fast einen Ring mit einem Loch in der Mitte bildet. Okay, halt noch etwas durch, vielleicht  geht das Leuchten gleich wieder weg, immerhin ist das Super Nintendo bereits an und wir müssen doch den Feuerpalast durchqueren und den Manasamen versiegeln, geht bestimmt gleich wieder weg und plötzlich...

...plötzlich hört DGB auf zu reden. Oh Mist, was war jetzt? Hatte sie eine Frage gestellt? Oder war sie fertig? Mir wird bewusst, dass ich kaum ein Wort von dem verstanden habe, was sie in den letzten drei Minuten gesagt hat. Ich sage nur "Mmmhhh, mmhh.." und nicke und lächele, und die große Buba schüttelt verständnislos ob der Intoleranz der Menschen den Kopf, und jetzt ist mein ganzes Blickfeld von diesem gelben, transparenten Punkt bedeckt und ich halte es nicht länger aus, nützt alles nichts, Erde tu dich auf, verschling mich, oder kann das bitte alles ein Traum sein...

"Ehhhmmm... DGB, ich glaube, mir geht es gerade nicht so gut. Ich glaube, ich habe zu wenig gegessen." - "Aber du hast doch gerade gekocht?" - "Ja, aber auch wieder nur die Hälfte gegessen, und davor irgendwie auch kaum was... weißt du, dieser Abend gestern, das Thema beschäftigt mich halt doch irgendwie, und ich stecke momentan vollkommen in Gedanken fest."

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Und hier brechen wir mal ab. Diese Momente kenne ich, und ich kenne sie seit Jahrzehnten. Der Kreislauf trudelt, der gelbe Punkt wabert vor meinen Augen, erst klein, dann größer, dann ein Ring und dann verschwindet er wieder, und währenddessen kann es kribbeln, und ich bekomme nicht so viel mit um mich herum. Und da kann ich noch so viele Schilder in meiner Wohnung aufhängen, die mich an's Essen erinnern sollen. Und da kann ich noch so viele Gläser Wasser überall herumstehen lassen: Wenn mich etwas gedanklich beschäftigt, dann stecke ich da drin, und dann ist alles Andere sekundär. Auch meine Gesundheit, wie es scheint.

Und dann sage mir nochmal einer, Hochbegabung sei "eine Gnade".

post scriptum: Erstmal an meine Eltern - es geht mir gut! Ihr kennt diese Phasen von mir, in denen ich nicht an das Essen denke, und Ihr wisst, dass ich mich danach wieder auf die Bahn bringe. Es ist alles in Ordnung, und ich habe gelernt, damit zu leben. Dann an die große Buba - so ein Scheiß, da haben wir damals die zweite Bhega-Bhuttäh plattgemacht und konnten nicht einmal die Mission abschließen. Und das ist schonmal vorgekommen, dass wir abbrechen mussten, und es ist mir heute immer noch so peinlich wie damals. Tut mir leid. Ich komme nicht gegen diesen Kopf an. Zum Glück weiß sie das, und ist immer noch da. 

paulo post PS: Heute habe ich einen Film aus Südkorea gesehen, "The Wailing" (Gok-seong, 2016), weil neunundneunzig Prozent der siebzig Kritiker auf rottentomatoes.com den Film weiterempfohlen haben. Das war eine gute Entscheidung; es ist ungewöhnlich, dass sich ein Horrorfilm über zweieinhalb Stunden erstreckt, aber die visuelle Erzählweise des Films rechtfertigt das vollkommen. War ein tolles Erlebnis (mit koreanischem Originalton mit deutschen Untertiteln); dass meine Flamme der Begeisterung nach dem Film recht schnell heruntergekühlt ist, hat Gründe, die ich verschweige, um nicht zu spoilern: Je weniger man über den Film weiß, umso besser. Und es bleibt: Jeder Horrorfan sollte diesen Film zumindest einmal gesehen haben, ein visueller und akustischer Genuss.

Freitag, 7. September 2018

Mirror, Mirror

Ich verwende dieses Bild aus Silent Hill 2 immer wieder gern, auch wegen der vielen Assoziationen, die in meinem Kopf dazu bestehen.

Ich erlebe zur Zeit eine Situation, die ich so noch nicht kenne: Ich unterrichte einen Filmliebhaber. Kombiniert mit dem Umstand, dass meine Klientel mittlerweile junge Erwachsene sind, sorgt das für eine Menge Spaß an der Arbeit. Es ist immer wieder nett, vor oder nach der Stunde ein kurzes "Haben sie den gesehen?" auszutauschen. Und es ist toll, das mit einem Schüler zu machen, der für seine Altersstufe eine recht breite Filmkenntnis hat. Ich finde das wirklich cool!

Auf der anderen Seite muss ich ununterbrochen auf der Hut sein, dass ich diesen Schüler in keiner Weise übervorteile. Nicht häufiger drannehmen als Andere, nicht mehr durchgehen lassen als Anderen, und schon gar keine besseren Noten bei gleicher Leistung. Gehört zur Professionalität, aber wem erzähle ich das, viele von Euch, die Ihr das lest, sind selbst Lehrer.

Man fühlt sich wie auf einer Wellenlänge - ich glaube, das würde mir auch so gehen, wenn zwei meiner Schüler ein Referat über The T.A.L.O.S.-Principle halten wollten, weil sie davon begeistert sind. Nicht wahr, die große Buba? Und dann wirkt es ein bisschen creepy, wenn man folgende Situation erlebt:

Die jungen Erwachsenen müssen lernen, ihre Qualitäten, ihre Stärken und Schwächen besser einzuschätzen. Das findet sich auch in den Englischbüchern der kaufmännischen Abteilung wieder. Und passenderweise findet sich in der aktuellen Ausgabe der azubiYo ein Test zur Selbsteinschätzung. Zwölf gut ausformulierte Statements, die man abstufend von trifft voll zu bis trifft gar nicht zu bewerten soll. Dabei ist das noch gar nicht der interessante Teil des Tests; man faltet den Zettel nun, so dass die Kreuzchen auf der Rückseite und damit nicht mehr sichtbar sind. Dann gibt man den Fragebogen einem anderen Menschen (der mich idealerweise schon lange kennt), um eine Fremdeinschätzung zu bekommen.

Wir kennen das als klassisches Handwerkzeug der Pädagogik: Den Schülern möglichst anschaulich, möglichst greifbar zu machen, dass es eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung geben kann. Irgendwann sollte man das im Leben einmal realisieren, denke ich mir - bei mir ist das erst relativ spät geschehen.

Whatever, natürlich bearbeite auch ich den Bogen, setze meine Kreuzchen, falte die Seite um und frage, wer von den Damen und Herren mich mal einschätzen möchte. Und natürlich meldet sich mein Filmliebhaber. Alles in Ordnung, er gibt seine Einschätzung ab, ich nehme den Zettel wieder an mich, klappe die eigene Spalte wieder zurück und sehe den direkten Vergleich zu allen zwölf Aussagen. ... ...und dann ist es wirklich ein bisschen creepy, wenn von zwölf Aussagen neun komplett übereinstimmen, nur zweimal gab es eine leichte und einmal eine deutliche Abweichung.

Das ist gruselig. Dieser Filmfreak da, der mich seit drei Wochen kennt, will mich so gut einschätzen können? Never! Und dann denke ich mir... okay, ihr seid auf einer Wellenlänge, mögt beide Filme, könnt euch auf Augenhöhe darüber unterhalten - das verlockt dazu, von sich selbst auf den Anderen zu schließen, wenn man ihn einschätzen soll. Ich denke, genau das ist hier geschehen.

Und warum dieser Artikel? Liebe Kollegen, ich verwette meine kaputte Badlampe darauf, dass Ihr irgendwann in Eurer Schulzeit auch eine solche Situation erlebt habt. Ein unheimliches Abbild von Euch in einem Eurer Schüler, und zwar nicht auf Krampf hineinprojiziert, sondern womöglich tatsächlich vorhanden. Velut in speculum inspicere, wie ein oller Römer einst sagte (wenngleich in anderem Kontext, aber es ist ja Mode geworden, lateinische Zitate anzubringen, auch wenn sie überhaupt nicht passen, denn das klingt gebildet).

Läuft alles drauf hinaus, dass ich mich bei meinen Schülern wirklich richtig wohl fühle. Das ist toll, das hatte ich in dieser Form lange nicht mehr.

post scriptum: Natürlich darf hier nicht ein kurzer Kommentar zu meinem heutigen Film fehlen, gerade wenn ich bedenke, dass mein Filmfreak diesen Text vermutlich in genau diesem Moment liest. Ridley Scott war heute dran, und zwar mit "Alien: Covenant" (2017). Ich habe mich in den letzten Wochen tatsächlich in die guten Filme des "Alien"-Universums ziehen lassen, und mir hat der jüngste Film ziemlich gut gefallen. Ich kann der Rezension von Matt Zoller Seitz vollkommen zustimmen - der ganze body horror ist mir relativ egal, aber da sind großartige schauspielerische Leistungen von Michael Fassbender - einem Iren, der so gut Deutsch spricht, dass man beim Kennenlernen nie drauf käme, dass er aus Irland stammt. Und da sind philosophische Komponenten eingeflossen, die aus Scotts "Prometheus" (2012) fortgeführt wurden, und schon hat man ein thematisches Crossover zwischen "Alien" und "Blade Runner". Es erschließt sich ein Bild in meinem Kopf von einem Ridley Scott, der in seinen Filmen gern der Frage nachgeht, was uns wirklich "menschlich" macht. War für mich heute ein Genuss, auch wenn viele da anderer Auffassung sind - zweiundsechzig Prozent positive Rezensionen auf "rottentomatoes.com" sprechen für sich.

Und: ein schwules Ehepaar in den Fünfzigern wird dort als Selbstverständlichkeit abgebildet, der Moment ist mir in besonders guter Erinnerung geblieben. Und der Kuss, den David Walter gibt (zwei andere Männer, und aus einem ganz anderen Grund), knistert förmlich. Endlich wird das langsam als Teil der Realität dargestellt.

Feelin' good? Check!

Mittwoch, 5. September 2018

Mein Rad neu erfinden

Durchblick bekommen. Irgendwie.

Woche drei - und in meinem Kopf herrscht immer noch das absolute Chaos. Dabei ist es doch nicht das erste Mal, dass ich an eine neue Schule komme. Aber mein Gehirn tickt diesmal anders. Es sagt sich: "Jetzt hast du endlich die Chance, auf die du sieben Jahre lang gewartet hast. Die Gelegenheit, über die du so lange nachgedacht hast. So oft hast du dir gesagt, wenn es soweit ist, dann muss ich mein Leben umkrempeln. Aber warst immer schön bequem darin, das vor dir herzuschieben, denn es gab die Chance ja noch nie. Und nun ist es soweit. Nun setzt du das auch durch. Mach' was draus, räum' in deinem Leben auf!"

Und es ist, als müsste ich neu laufen lernen. Als müsste ich das Rad für mich neu erfinden - denn es stellen sich so viele Fragen: Wie strukturiere ich meinen Alltag? Mache ich eine Mittagspause? Wann habe ich Freizeit? Wann widme ich mich meinen Hobbies? Soll ich meinen Meditationstag umordnen? Wann muss ich aufstehen? Ist Arbeit etwas Schönes? Ich kenne die Antworten auf all' diese Fragen, oder besser, ich kannte sie. Jetzt muss das alles neu gestaltet werden, und ich bekenne: Das fällt mir nicht leicht. Es wäre vielleicht schön gewesen, wenn ich mich in den Sommerferien ein wenig darauf hätte vorbereiten können, allerdings habe ich mich einverstanden erklärt, dass ich den Sprung in's kalte Wasser übernehme.

Es ist Zeit, eingewöhnte Verhaltensmuster und Denkweisen aufzubrechen. Aber es fällt schwer, es fühlt sich verwirrend an und im Hintergrund dräut immer die Angst, in dieser Phase zu viele Fehler in der Schule zu machen. Ich baue darauf, dass es mit der Zeit besser wird.

Samstag, 1. September 2018

So offensichtlich

Hochbegabte und ihre Kommunikation. Kein Wort zuviel.

Er wartet.

Er sagt dem Kellner, dass er noch warten soll, bis die Verabredung eintrifft. Hochbegabter A sitzt in der Bar und wartet darauf, dass Hochbegabter B eintrifft, seine Verabredung zum Feierabendbier. Einfach mal ein bisschen abschalten. Die beiden kennen sich durch die Uni, sie kennen sich seit Jahren, und immer mal wieder wandert eine Mail vom Einen zum Anderen und zurück, und alle paar Jubeljahre sehen sie sich auf irgendeinem Event. Und nun haben sie sich also zu einem lockeren Gespräch verabredet.

A muss nicht lange warten, denn dort vorne kommt B angelaufen. Er geht langsam Richtung Bar, schaut sich um, ob A vielleicht irgendwo auf ihn wartet, und entdeckt ihn schließlich. A steht höflich auf und reicht B zur Begrüßung die Hand, die beiden setzen sich. A trinkt Bier, B trinkt Cola, und sie unterhalten sich ganz ungezwungen über die Ereignisse der vorangegangenen Wochen. Ganz unkompliziert. Sie lachen, schimpfen auf das System, erzählen von ihren Lebenswegen. Die Nachoschale leert sich zum Klang hochintelligenter Gedankengänge.

Und dann wird es Zeit zu gehen, denn sie sind schließlich berufstätig und brauchen etwas Schlaf. Wieder reicht A B die Hand - zum Abschied - doch diesmal zieht B ihn etwas heran und sie klopfen sich kumpelhaft auf die Schultern, bevor sie in getrennte Richtungen davonziehen. Der Kellner räumt die leeren Gläser beiseite, rückt die Stühle gerade und es wirkt, als wäre nichts Besonderes passiert. Ein ganz normaler Barbesuch.

Was der Kellner nicht weiß: Das waren zwei Hochbegabte, und auch wenn von außen alles ganz normal aussah, ist in den Köpfen der beiden Einiges passiert. Er könnte es sich erschließen, wenn er den Mailwechsel der beiden danach läse:

B: "Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, Dich mit einem Kuss zu verabschieden, so wie damals, nice and slow. Aber Du wirktest irgendwie so sachlich, ich konnte Dich nicht einmal zur Begrüßung umarmen, weil Du schon die Hand ausgestreckt hattest, fast wie eine Barriere. Und ich hatte irgendwie den Eindruck, als seiest Du nicht in der Stimmung dafür, deswegen habe ich es gelassen und gedacht, naja, vielleicht machst Du ja den ersten Schritt."

einige Zeit später

A: "Warum hast Du es nicht gemacht? Mich geküsst? Dabei habe ich mir doch extra Mühe gegeben, Dir Aufmerksamkeit zu schenken, habe mit Dir geflirtet, und immer wieder signalisiert, dass ich mit dabei wäre. Also warum? Es war doch so offensichtlich, dass ich nichts dagegen gehabt hätte."

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Was zeigt uns diese kleine Geschichte? Es scheint nicht allzu selten vorzukommen, dass Hochbegabte in ihren umfangreichen, verwobenen Gedankenbahnen, in ihrer reichhaltigen Fantasiewelt alles Mögliche machen, sagen, schaffen. Aber von außen sieht das keiner. Es ist eben in unserem Kopf, und auch wenn wir die Außenwelt gern daran würden teilhaben lassen wollen: Man kann uns nicht in unseren Kopf schauen. Und was wir als "auffällige Geste" machen, was für uns, in unserer Gedankenwelt doch "so offensichtlich" war, ist für den Anderen vielleicht nichts weiter als ein kleines Lächeln.

Sorry, HB, aber komm' mal in die Pötte!