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Samstag, 12. Juli 2025

Dr Hilarius unter Menschen

Damals mit der großen Buba

Und natürlich waren die Omas gegen rechts da. Toll!

Es ist nichts dazwischengekommen, und so bin ich heute im relativ normalen Outfit mit buntem Hemd und großer Regenbogenflagge zum CSD getingelt. Start diesmal nicht am Asmus-Bremer-Platz, sondern am Bahnhofsvorplatz. Der hat auch einen Namen, aber der fällt mir gerade nicht ein. 

Ursprünglich wollte ich die Flagge wieder am Besenstiel befestigen und dann als Fahne hochhalten - aber ich habe dank der Colitis noch nicht wieder die körperliche Kraft, so etwas eine längere Zeit zu tragen. Also habe ich die Flagge um meinen Gürtel gewunden, so dass jeder sehen konnte, wes Geistes Kind ich bin. 

Es war einiges los am Bahnhof, viele Menschen, und am Anfang der Parade trugen mehrere Menschen eine riesige Flagge vorweg. Ich bin direkt dahinter mitgegangen, falls mich heute in der Berichterstatung jemand entdecken will. Großartige Live-Musik hat den Marschrhythmus vorgegeben, und so sind wir dann für unsere Rechte Richtung Exerzierplatz gezogen, einmal drumrum und dann die Rathausstraße wieder runter. Ich habe gestaunt, wie viele Menschen dabei waren: Der Umzug hat gereicht, um den Exer einmal komplett zu umzingeln und noch mehr.

Erst als wir an der Holstenbrücke ankamen, merkte ich, dass mein Körper wieder Sperenzchen macht. Zwei Stunden Spaziergang sind momentan einfach noch zu lang, und deswegen habe ich mich dort ausgeklinkt - wohl wissend, dass ich schließlich auch noch den ganzen Heimweg nach Hassee zu Fuß würde bestreiten müssen, da keine Busse durchkamen.

Als ich hier ankam, war es wirklich kein schönes Gefühl mehr, aber dafür gibt es eine leichte Mahlzeit, das Klo und die richtigen Medikamente. Das war richtig toll heute, die Sonne kam eine lange Zeit heraus, dazu aber ein angenehm frischer Wind. Menschen, die aus ihren Wohnungen heraus gewunken haben, ein fünfjähriges Mädchen im Regenbogenkleid, das die Riesenflagge mit festgehalten hat, Gothics, Punks, Hundemasken, eine große Vielfalt, kein rechter Terror.

Und ich war seit Jahren mal wieder unter Menschen. Draußen unter vielen Menschen. Und ich hatte Spaß dabei. Das ist so ein tolles Gefühl, nachdem ich immer wieder Gründe gefunden hatte, nicht loszugehen, und mir der Antrieb fehlte. 

Zeit für eine Meditation, um das Ganze Revue passieren zu lassen. 

Freitag, 11. Juli 2025

Der Kieler CSD

Meine Kieler gay Hand

vorweg: Milchshake heute mit Mandelmilch, einem knappen Pfund TK-Erdbeeren, zwei Kugeln Vanilleeis und einer Prise Zimt-Zucker: Der Hammer, wenn es draußen heiß wird!

Lang lebe der Pride Month, und ich bin so froh, dass die Sichtbarkeit der LGBTQ-Community endlich erhöht wird und sich immer mehr Anhänger und Unterstützer finden, die selbst hreterosexuell sind. Ich bin so glücklich, dass endlich jemand zeigt, dass ich okay bin, und mir beisteht. Seit dem Studium habe ich das für Andere gemacht, als wissenschaftliche Hilfskraft, Fachschaftler, im StuPa und besonders in der Suchtprävention. Danke, dass es auch andersherum geht!

Ich bin im Studium sehr oft auf die Straße gegangen, zu diversen Anlässen. Meine größte Demo war die für den Erhalt der medizinischen Fakultät Lübeck - um die 13.000 StudientInnen waren da und waren laut. Und ich fand es toll, mich dafür einzusetzen, auch wenn ich selbst überhaupt kein Medizin studiere. Und so kommen eben auch morgen jene Menschen zur CSD-Parade, die selbst nicht Teil der LGBTQ sind. Danke an Euch!!!

Wenn nichts dazwischenkommt, werde ich morgen auch dort sein. Mal im ganz normalen Outfit, obwohl es endlich mal wieder ein Anlass wäre, als Gothic loszuziehen. Mal schauen, was der Wetterbericht sagt, und dann entscheide ich, ob ich mich pragmatisch kleide oder "stilvoll". Kommt Ihr auch? Ich gebe zu, mir ist ein bisschen mulmig bei dem Gedanken an die Rechten, die kommen könnten, um das Ganze zu stören. Aber zum einen ist die Polizei vor Ort, und zum anderen haben wir verloren, wenn wir uns von denen unterdrücken lassen und uns in unseren Zimmern verkriechen. 

Schaut Euch die heutige Jugend an: Sie ist viel aufgeschlossener für die sexuelle Vielfalt. Natürlich gibt es auch da noch Einiges zu tun, aber meine SchülerInnen können sich zum großen Teil eine Szene miit küssenden Jungs anschauen, ohne sich zu übergeben oder fiese Kommentare abzulassen. Das soll nicht heißen, dass die ältere Generation vollkommen rückwärtsgewandt ist, im Gegenteil: Es freut mich, Menschen wie die Omas gegen rechts zu sehen, besonders, wenn die Oma ihre Frau mitgebracht hat.

Kommt mit! Morgen um 12 Uhr geht es los, wenn ich mich recht entsinne, wieder am Asmus-Bremer-Platz. Lasst uns ihnen zeigen, dass wir da sind, und dass wir stolz sind, wir zu sein! 

Mittwoch, 27. Dezember 2023

Tag 149 - Bin ich ein Monster?


vorweg: Dieser Beitrag sollte schon vor Monaten erscheinen. Gestern hatte ich einen ganz tollen Abend mit der großen Buba, und nun kann es losgehen.

Bin ich ein Monster?

An jeder Schule bin ich sofort von einem Großteil aller Schulteilnehmer - Schulleitungen, KollegInnen, SchülerInnen - aufgrund meines Aussehens in eine Schublade gesteckt worden. So sind Menschen nun mal: Die meisten von ihnen glauben, sie könnten einen Menschen aufgrund seines Aussehens richtig einschätzen. Sie sortieren mich in die Schublade "asozial, unerfahren, im falschen Job" und die Tür geht zu.

Diese Tür geht bei vielen von ihnen dann auch nicht mehr auf. Der erste Anblick reicht, man muss noch nichtmal ein Wort gewechselt haben. Zum Glück erleben meine SchülerInnen mich dann in ausreichendem Umfang, so dass nach einigen Wochen ihre Türen wieder aufgehen und sie irgendwann bei never judge a book by its cover landen. Es ist an jeder Schule maximal eine Handvoll KollegInnen gewesen, bei denen die Tür dann doch wieder aufgegangen ist, und es dauert viele Monate, bis dieser Prozess einsetzt.

So sind Menschen nunmal. Das ist eben die story of my life. Und in diesem Jahr ist ein Animationsfilm veröffentlicht worden, der genau diese Story als Kernthema hat: Ausgrenzung, Abneigung, Hass, weil man anders ist. Das hat mich bei'm ersten Ansehen direkt am Herzen gepackt - klar, das ist kein neuer topos, aber er ist so gut umgesetzt worden, dass ich begeistert war. Und wenn ich das richtig sehe, die große Buba auch.

Nimona ist endlich auf Netflix verfügbar. Ein Film, der eine lange Entwicklungshölle hinter sich hat - den Disney gekickt hat, weil sich in einer Szene zwei Männer küssen. Den Annapurna Studios, in der Szene für unkonventionelle kindgerechte Verarbeitung von Themen bekannt, sich zu Herzen genommen und veröffentlicht hat.

Total witzig, wild, anarchisch, mit einem riesigen Herzen. Unberechenbar in seiner Diversität - endlich wird ein LGBTQ-Thema in einem Film für Kinder gezeigt, aber nicht thematisiert - sondern als selbstverständlich behandelt. Multiethnische Rollen, Behinderung, das ist alles drin.

Zum Plot sage ich nur, dass es um einen Nicht-adligen geht, der in die Rittergarde aufgenommen werden soll. Man kann sich denken, dass es um konservatives Denken gehen könnte ("Wir dürfen doch nicht jeden hier reinlassen!"); tut es auch, und gleichzeitig sind so viele progressive Ideen dabei. Nicht umsonst spielt der Film in einem science fantasy-Umfeld: Ritterrüstungen, Pferde, Schlosszinnen, Smartphones, Internet, Laserwaffen.

Ich nehme den Film in meine Schularbeit auf. Absolut empfehlenswert für Jugendliche - und eigentlich noch mehr für Erwachsene, die mal etwas aus ihren festgefahrenen Bahnen herausbrechen sollten. Und ich möchte ihn Euch wärmstens an's Herz legen.

Nimona ist auf Netflix verfügbar.



Mittwoch, 19. Juli 2023

Helgoland geht unter

Jetzt gibt's kein Zurück mehr!

Es wird Zeit, nach vorne zu schauen. Die ganze Verbitterung und den Zynismus abzuwerfen - das dauert eine Weile. Lojong hilft. 

Auf dieses Schreiben habe ich schon lange gewartet: Vor einer ganzen Weile habe ich von den Friseur-Ladies erfahren, dass in unserem Viertel straßenbaulich etwas getan werden soll. Ich wusste aber nicht, was und wie lange das dauern würde, mir fehlten die Details, die nun in einem vierseitigen Schreiben allen Anwohnern zugegangen sind.

"Helgoland geht unter" ist gar nicht mal so übertrieben - die Helgolandstraße, an der ich wohne, soll komplett herausgerissen werden. Die Abwassersysteme sind marode und müssen erneuert werden. In dem Zuge muss sich das Kopfsteinpflaster verabschieden, die Straße wird komplett asphaltiert. Was ich richtig gut finde: Es sollen ausreichend Fahrradbügel installiert werden. Unser Viertel hat viele Fahrradfahrer, die Mieten sind relativ günstig, das zieht Menschen an, die sich ohne Auto auf Fahrrad und ÖPNV verlassen.

Ich bin aufgeregt! Jetzt geht es also endlich los; in den letzten Monaten waren immer mal wieder Landvermesser zu sehen, das hat ein bisschen Vorfreude geschürt. Wobei "Freude" vielleicht nicht der passende Ausdruck ist; die Bauarbeiten werden laut, Verkehr wird eingeschränkt - aber ich werde arbeitslos sein, mir kann das alles einigermaßen egal sein. Die Bauarbeiten sollen etwas über ein Jahr andauern. Werden also wahrscheinlich drei Jahre. 

Ganz so lang werde ich dann wohl hoffentlich nicht arbeitslos sein.

post scriptum: Es ist kaum zu glauben, aber die "Final Fantasy"-Reihe hat endlich - ENDLICH! - ihren ersten schwulen Kuss vor die Kamera gebracht. Nachdem Teil fünfzehn extrem männerzentriert war und vom "male gaze" beherrscht wurde, ist man jetzt einen Schritt weiter. Aber nicht zu früh freuen: Teil sechzehn ist "male gaze" pur! Das merkt man in der Kameraarbeit: Solange die beiden jungen Männer sich nur unterhalten, gibt es close-ups, aber genau für die Dauer des Kusses geht die Kamera so weit auf Distanz, dass man nichts erkennen kann. Wir wollen doch schließlich die homophoben Gamer nicht zu sehr verstören. Ich könnte... whatever. Wer es sehen möchte, möge einmal hier klicken, zu die große Bubas und meinem Twitteraccount, auf dem wir Screenshots und kurze Videos der Spiele posten, die wir gerade spielen. 

paulo post scriptum: "Rising action" ist nicht nur für die Bauvorhaben da unten angesagt: Ich habe heute mit dem "Landesamt für soziale Dienste" telefoniert und man hat mir mitgeteilt, dass eine Entscheidung gefällt wurde und sie mir Ende dieser Woche, spätestens nächste Woche postalisch zukommen sollte. I'll keep you posted!

Mittwoch, 16. März 2022

Underwhelmed & Overexcited

Ein Kessel bunter Ideen wartet...

Underwhelmed because...

...ich glaube, ich habe mittlerweile zu viele Science Fiction-Stories gelesen, gesehen, erlebt, wie auch immer. Das Gefühl, den Plot irgendwo schonmal gesehen zu haben, tritt immer häufiger auf. Das macht es schwer, diesem Aspi etwas zu schenken, was ihn wirklich beeindruckt: Die große Buba ist über zwei moderne SciFi-Romane gestolpert (sie frisst Literatur, dafür bewundere ich sie) und hat sich gedacht "Das ist was für das alte Frettchen!" - und Volltreffer! Hank Greens An Absolutely Remarkable Thing (2018) ist eine unterhaltsame SciFi-Story der digital natives. Die Hauptfigur der April May ist mir extrem unsympathisch - der Autor hat eine Egozentrikerin geschaffen, die mich so sehr an mein früheres Ich erinnert hat, dass ich manchmal das Buch weglegen musste, wenn ich einen ihrer "Ich bin so besonders"-Anfälle gelesen habe. 

Stichwort weglegen: Die ersten hundert Seiten habe ich an zwei Tagen gefressen, das war im September, und dann das Buch zur Seite gelegt. Nicht einfach "nur" pausiert, sondern in der Zwischenzeit die Doku-Biographie Action Park (2020) von Andy Mulvihill und Jake Rossen gelesen - jeder richtige Freizeitpark-Nerd weiß, welche Bedeutung der Action Park für die amerikanische Freizeitlandschaft hatte. Keine Regeln. Das war die einzige Regel. Die Konsequenzen sind herrlich sarkastisch, teils schon zynisch niedergeschrieben worden; ich möchte endlich an die Verfilmung Class Action Park kommen.

Achherrje, ich bin abgedriftet. Aber genau so ist es passiert, und warum lag Greens Buch dann monatelang herum? Weil ich das alles irgendwie schon kannte, da war für mich nichts Neues mit dabei. "Roboter", die plötzlich auf der Welt erscheinen - und vor allem, wie die Menschen damit umgehen - ist ein klassischer Topos in der SciFi; der Film The Day The Earth Stood Still (1951) beschreibt genau dieses Szenario, auch dort geht es darum, dass die Menschen dazu neigen, den Roboter als Bedrohung anzusehen und präventiv anzugreifen. Die Geschichte findet sich auch in der Twilight Zone und den Outer Limits.

Das ist kein schlechtes Buch! Und es trifft sehr gut den Sprachstil unser jetzigen Tweens - aber unter'm Strich dürfte mir davon nicht viel im Gedächtnis bleiben. Liebe die große Buba, ich bin Dir SO dankbar für das Geschenk! Denn bei Dir weiß ich, dass Du dir was dabei gedacht hast, und ich glaube, wenn ich nicht schon so viele Filme gesehen hätte (und Matheson/Beaumont-Stories gelesen hätte), dann hätte das Buch mich richtig mitgenommen! Mal schauen, wann ich die Fortsetzung lese.

Overexcited because...

...morgen ist unser Schulentwicklungstag (SET). Ich bin nicht leicht für sowas zu begeistern, aber auf morgen freue ich mich riesig, denn ich bin in der Arbeitsgruppe Projektwoche "Vielfalt" vorbereiten, und wer die jüngsten Beiträge über LGBTQ gelesen hat, kann sich denken, dass ich mich da hinein morgen komplett werde vertiefen können. Ich schreibe auf jeden Fall, was dabei herausgekommen ist!

Mittwoch, 16. Februar 2022

LGBTQ-Angebote an Schulen

Auch mal die Regenbogenseite beleuchten

In Amerika ist gerade in einem Bundesstaat ein Gesetz verabschiedet worden, das spöttisch "Don't say gay-bill" genannt wird. Es beschließt, dass bestimmte Themen im Schulunterricht nichts zu suchen haben - einfach ausgedrückt: Lehrerzensur. Nicht über Rassismus reden, nicht über Homosexualität reden. Ein weiterer Nagel in meinem Sarg der Auswanderung in die USA.

Aus diesem Anlass habe ich mich gefragt, ob wir eigentlich an unserer Schule ein Angebot für Mitglieder der LGBTQIA+-Community haben. Das wäre doch mal etwas, was man starten könnte: Ein wöchentliches Angebot, vielleicht eine Art Redekreis, jedenfalls ein Ort, an dem Schüler und Lehrer in einem geschützten Umfeld offen über alles reden können, was mit LGBTQ zu tun hat. Wenn ein schwuler Lehrer und eine lesbische Lehrerin dabei sind, wenn wir zur Unterstützung vielleicht auch die Schulsozialarbeit in's Boot holen könnten, das wäre super!

Ich würde den Jugendlichen einfach gern eine Möglichkeit geben, über das Thema zu reden. Ich möchte einem heterosexuellen Schüler seine Homophobie nehmen können. In der Schule eine Gay-Straight-Alliance aufbauen... Schüler unterstützen, die ihre Trans-Identität nach und nach entdecken... und als Schule ein Zeichen zu setzen, ihnen zu signalisieren, dass sie OK sind, so wie sie sind. In Gus Van Sants Elephant (2003; anlässlich des Columbine High School massacre gedreht, bei dem genau dieses Thema eine Rolle gespielt hat) wird eine solche Gruppe an einer amerikanischen High School gezeigt, und ich fände es toll, wenn das auch bei uns ganz selbstverständlich sein könnte.

Habt Ihr an Euren Schulen ein solches Angebot?

Mittwoch, 2. Februar 2022

"Es geht an der Schule das Gerücht..."


Ich habe einen neuen Rekord aufgestellt (ohne eigenes Zutun): Ich war noch nie so lange an einer Schule wie jetzt an der Toni. Bisheriger Rekord waren zwei Jahre jeweils in Husum und St.Peter-Ording - gestern hat mein drittes Dienstjahr an "meiner" Schule begonnen, und auch wenn ich nicht weiß, wie sich die berufliche Situation entwickelt, bin ich sehr froh, endlich die richtige Schule für mich gefunden zu haben. Da will ich bleiben.

Und da passieren auch immer wieder kleinere Überraschungen: Heute sollte ich eine Vertretung in der Fünf C übernehmen. Fünften oder sechsten Jahrgang vertreten, das löst bei mir immer etwas Angst aus, weil ich mich frage, ob wir die Stunde ohne einen Borderline-Schreianfall überleben. Wäre halt nicht das erste Mal. 

Und dann war das heute eine ganz großartige liebe Klasse; es war ihre erste Stunde an diesem Schultag, also habe ich mit ihnen die Testung durchgeführt, und das ist vollkommen reibungslos verlaufen. Die Kiddies durften zum ersten Mal selbst die Testmaterialien verteilen, und das haben sie sehr gewissenhaft gemacht - das war schon mal ein guter Start.

Es meldet sich ein kleiner Steppke am Fenster und fragt: "Dr Hilarius? Es gibt an der Schule das Gerücht, dass sie schwul sind. Stimmt das?" Und wieder einmal: Kurzes Ja, oder besser die Auskunft, dass ich mich nicht festlegen möchte, es gibt da so etwas, das nennt sich bi. Und wieder einmal an dieser Schule: Das wird mit mehrheitlichem Kopfnicken hingenommen, weiter im Programm.

Das ist so angenehm: An dieser Schule Kinder und Jugendliche aufwachsen zu sehen, für die die sexuelle Vielfalt etwas völlig Normales ist. Ich habe das nicht oft erlebt, auch nicht in SPO, und erst recht nicht an gewissen Eliteschulen. Da wird das dann einfach "toleriert".

Dass also ausgerechnet in einer fünften Klasse heute so eine tolle Stunde stattgefunden hat, das hat mich doch sehr gefreut.

Dienstag, 23. November 2021

Lieber Gott, mach' mich hetero!


Ich habe ab und an mit Lerngruppen den Film But I'm a Cheerleader! (1999) geschaut, eine Satire auf Sexualitäts-Konversions-Therapien in den USA. Großartiger Film, knallbunt, und ich frage die Schüler danach gern, ob das ein realistischer Film ist oder nicht. Nein, heißt es dann, natürlich ist das nicht realistisch, das ist doch Schwachsinn! Und dann mache ich den Schülern klar, dass da ein Korn Wahrheit drinsteckt, denn diese Therapien gibt es in Amerika (und anderswo) tatsächlich. Und ich erkläre ihnen, dass diese Satire das alles natürlich vollkommen übersteigert darstellt.

Offensichtlich ist das gar nicht so sehr übersteigert, wie ich heute gelernt habe. Auf Netflix ist eine Dokumentation zu dem Thema erschienen - Pray Away (2021), und ich realisiere, dass der Kinofilm schon sehr nah an der Realität war. Ein Beispiel:

Um die schwulen Jungen zu normalisieren, sollen sie einen heterosexuellen Lifestyle pflegen, dazu gehört natürlich, dass sie sich für Automechanik interessieren und American Football spielen. Bei den lesbischen Mädchen sieht der richtige Lifestyle so aus: Geschirr spülen, Teppich reinigen und so weiter. Diese Szenen habe ich immer als vollkommen übersteigert verstanden, heute habe ich gelernt, dass es solche Maßnahmen tatsächlich gab: Jungen sollten bei'm Football eine andere Art Freundschaft untereinander kennenlernen - und für die Mädchen gab es Make-Up-Sessions.

Das klingt gruselig - und ist es auch! Ich bin über diese neue Doku ziemlich froh, denn jetzt kann ich in einer Oberstufe in einer Unterrichtseinheit zuerst den Film schauen und bearbeiten und dann mit der Doku unterfüttern. Ich kann beides nur empfehlen, sowohl den Film als auch die Doku. Zwei schöne Blickwinkel auf die Ex-Gay-Bewegung in den USA (die es auch heute noch gibt, man sollte es nicht glauben).

Montag, 1. November 2021

Wir haben etwas vor


Vorhabenwoche.

Ich denke, jeder kennt das irgendwie, sei es nun als Lehrkraft oder aus den Erinnerungen an die eigene Schulzeit, vielleicht auch unter dem Namen Projektwoche: Eine Woche, in der der Stundenplan außer Kraft gesetzt ist und auf andere Art und Weise gearbeitet wird. Das bietet viele tolle Möglichkeiten - aber wenn man sich nicht rechtzeitig ein gutes Konzept überlegt hat, könnte es eine thematisch schwammige Zeitverschwendung werden.

Ich habe keine eigene Klasse und bin somit als Springer verfügbar - zur Verstärkung oder bei Krankheitsausfällen, und eine Kollegin hat mich schon im Vorfeld gefragt, ob ich in ihrer Klasse nicht etwas Vorbereitung auf den MSA machen könnte. Gar kein Problem.

Problematischer wird es bei den anderen Einsätzen. Wenn ich nicht weiß, was ich machen soll, und wenn ich noch nicht einmal weiß, ob ich überhaupt etwas machen soll, werde ich panisch. Kurz gesagt: Diese Woche ist für mich ein Horror. Wenn ich frühzeitig mitgedacht hätte, hätte ich den Kollegen ab Klasse Neun einen zwei- oder vierstündigen Workshop Suchtprävention angeboten, aber wie ich schonmal geschrieben hatte, das muss auf nächstes Mal warten.

Eigentlich klingt das paradiesisch: "DrH, morgen gehst du von der zweiten bis vierten Stunde in die 10c, mach' mit denen, was du willst." Aber das ist fürchterlich, denn ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe heute zwei Stunden in Meditation verbracht, um mich auf etwas festlegen zu können, das hoffentlich allen Seiten gerecht wird:

Morgen gehe ich in die Klasse, frage, ob irgendjemand dort zur LGBTQIA+-Community zählt. Wir werden eine englische classroom discussion machen über die Situation von Jugendlichen, die sich ihrer Sexualität nicht mehr sicher sind; als Grundlage, quasi als Denkinput, schauen wir uns den Film Get Real (1998) an. Dort wird die Frage gestellt, ob man sich outen sollte, oder ob man lieber ein closeted life leben soll - ganz passend anhand einer Gruppe von Schülern, von denen einer offen schwul ist, ein anderer offen hetero - und dann funkt es zwischen ihnen, aber die Hete hat panische Angst davor, dass irgendjemand etwas erfährt. Klassische Geschichte.

Und um noch eine text production hinterherzuschieben, biete ich ihnen als Schreibübung an, einen comment zu folgendem Satz zu schreiben: "If you are not heterosexual, then you should keep it a secret." Das werden wir natürlich nicht alles in diesen drei Stunden schaffen - die Schreibaufgabe wird ein Rausschmeißer; wer möchte, darf mir seinen Text gern per Iserv zuschicken, ich korrigiere und bewerte ihn. 

Mittwoch gibt es ein anderes Thema, aber dazu morgen mehr. Wenn ich meine eigene Klasse hätte (bloß nicht!), dann würde ich diese Vorhabenwoche natürlich komplett durchorchestriert haben. Und das wäre vielleicht sogar toll. Aber so als Springer, ohne konkreten Einsatzplan, das ist für den Aspi echt unschön.

Mittwoch, 23. Juni 2021

Bloß nicht Farbe bekennen!

Scheiße. Warum ist es so schwer, Zeichen für Toleranz zu setzen?

Das wäre doch mal eine Chance gewesen. Ehrlich gesagt wäre es absolut notwendig gewesen, die Allianz Arena pünktlich zum Fußballspiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben zu beleuchten. Technisch ist das möglich, denn das hat man schon Zweitausendsechzehn gemacht. Warum nicht heute?

Warum ist es überhaupt notwendig? Ungarn hat ein Gesetz verabschiedet, das es verbietet, in der Schule über LGBTQ-Themen zu reden. Den Kindern und Jugendlichen darf nicht mehr beigebracht werden, dass Männer auch Männer lieben können, oder dass eine Frau in einem Männerkörper gefangen sein kann. All' das hat unter Viktor Orban nichts mehr im schulischen Diskurs zu suchen.

Was für ein schädliches Signal für die Europäische Union! Ich dachte immer, wir vertreten progressive Werte, Toleranz, Offenheit und Diversität (ist ja auch der Grund, warum die Türkei außen vor bleibt). Das Gesetz überrascht nicht wirklich; Orban hat schon immer Stimmung gegen die LGBTQ-Szene gemacht. Trotzdem ist es erschreckend zu erleben, wie Homophobie sich jetzt in einem Gesetz niederschlägt.

Was wäre also passender, als das Fußballstadion für das Spiel gegen Ungarn in den Regenbogenfarben leuchten zu lassen? Aber nicht mit der UEFA. Das Argument kann ich sachlich nachvollziehen: Das wäre eine politische Aktion, und die UEFA will sich aus der Politik heraushalten. Aber was für ein Unsinn: Fußball ist, ob man das nun mag oder nicht, ein völkerverbindender Sport und hat drastische Auswirkungen auf politischen Alltag. Das merkt man an Aktionen wie dem Hinknien oder der Regenbogen-Armbinde des Teamführers. Fußball ist politisch, da kommt man nicht drumherum.

Und deswegen sehe ich die Entscheidung der UEFA als ein (leider zu erwartendes) Armutszeugnis, das die Homophobie im Fußball weiter fördern wird. Es gibt immer noch keinen aktiven Profifußballer, der sich geoutet hat - sorry, aber das muss besser werden. Und: Unsere Nationalmannschaft ist dafür, ein Zeichen für Vielfalt zu setzen - Stichwort Armbinde; die Funktionäre müssten nun mal in die Pötte kommen. Hitzlspergers Outing damals war ein extrem wichtiger Schritt. Aber eben nur ein Anfang.

Ganz ehrlich? 

FUCK YOU UEFA!

post scriptum: Oh, sieh' an, die UEFA hat ihr Logo in Regenbogenfarben gehüllt. Aber das ist nicht mehr als ein Tropfen auf das heiße Bein.

Montag, 24. Mai 2021

"Germany - no points"

Wir versinken mit Stinkefinger in der Bedeutungslosigkeit...

Am Samstag war es mal wieder soweit - der Eurovision Song Contest, den die große Buba und ich uns hier gackernd zu Gemüte geführt haben. Wer das Ganze ebenfalls verfolgt hat, hat Deutschlands Niederlage mitbekommen - mal wieder. Der Sänger Jendrik ist auf dem vorletzten Platz gelandet, mit drei Punkten aus allen Jurywertungen und null Punkten vom Publikum.

Man gewöhnt sich daran. In den letzten fünf Wettbewerben ist Deutschland immer auf dem letzten oder vorletzten Platz gelandet - ach warte, einmal war ein vierter Platz dabei. Man sollte meinen, dass irgendwann mal das Auswahlverfahren für den deutschen Beitrag hinterfragt würde, aber nein, man nimmt einen unbekannten Song, dem die Buchmacher nicht einmal Außenseiterchancen einräumen, und verliert verdientermaßen.

Drollig, wenn es danach in der NDR-Pressemitteilung heißt, es sei eine "perfekte Performance" gewesen. Drollig auch wieder Kommentator Peter Urban, den man eigentlich nur so ertragen kann, wie er selbst an dem Abend offensichtlich war: Hackendicht, verpeilt, völlig neben der Spur. Auch er fand unseren Beitrag ganz toll und mutmaßte nach der Niederlage, dass der Song wohl "zu schwierig" gewesen sein. Auf welchem Planeten Herr Urban lebt, das fragt man sich schon lange nicht mehr.

In einer Zeit, in der seit einigen Jahren der Trend zu Musik in der Heimatsprache und heimischem Stil geht, hält Deutschland an undefinierbarer Musik mit englischem Text fest. Dass die Sieger des ESC auf italienisch gesungen haben, die zweitplatzierte französisch, das wird man bei'm NDR nicht weiter beachten. Lieber wieder ein weichgespülter Auftritt, den man nur mit Jendriks eigenen Worten kommentieren kann:

"I don't feel hate - I just feel sorry." 

Freitag, 31. Juli 2020

Durchgebrannt (T'n'T)

Die Hochzeitsgesellschaft

Ich bin mir nicht ganz sicher - kann es tatsächlich sein, dass ich diese Anekdote im Blog noch nicht erzählt habe? Falls ja, dann überspringt Ihr das einfach. Falls nein - nun, diese Geschichte zeigt, wie viel Unsinn man machen kann, wenn man jung ist. Ist vielleicht gerade nicht ganz unpassend, wenn man betrachtet, wie viele Jugendliche und junge Erwachsene momentan trotz der Corona-Pandemie es auf's Feiern anlegen - momentan ist die Berliner Hasenheide in den Medien, aber auch in Hamburg soll es Einschränkungen zum Alkoholausschank geben. Und was hat dieser Irre äi käi äi DrH damals im Studium gemacht? Er ist mit seinem damaligen Freund durchgebrannt - und hat seine "Hochzeitsgesellschaft" sitzengelassen.

Aber von Anfang an. Ich habe T vor fünfzehn Jahren kennengelernt. Wir waren damals im Kieler Birdcage für einen netten Abend. Mein Freund D (wir waren damals seit einigen Wochen im Guten getrennt) hatte mich dorthin geschleppt, er wollte sich mit seinem Ex treffen, der hatte seinen neuen Partner dabei, und irgendwie waren wir dann also eine Tuckenrunde, in der scheinbar jeder was mit jedem hatte, außer mir. Ja, so ist die Schwulenszene nun mal; auch wenn nicht alle so sind, so werden Partner doch gern und häufig weitergereicht. Man nimmt eben, was man bekommen kann, als Minderheit in der Bevölkerung, und außerdem habe ich den Eindruck, dass Schwule sexuell aufgeschlossener sind - wenn sie denn ihr closet erstmal aufgeschlossen haben.

Ich fand T damals sofort total süß. Er sah ziemlich jung aus, hatte ein richtig niedliches Gesicht und Lächeln und überhaupt, ich war sofort in ihn verschossen - aber das behielt ich natürlich für mich. Nach und nach fingen wir an, über die blauen Seiten zu chatten, und so kam eins zum anderen, beziehungsweise ich kam im Auto eines Nachts zu ihm nach Westerhever auf Eiderstedt, wo er seinen Zivildienst in einem Pflegeheim absolvierte. Einfach nur für einen Filmabend, selbstverständlich, ich war viel zu schüchtern, um nach etwas Anderem zu fragen. Wir haben Sommersturm geschaut, ausgerechnet.

Sorry, es wird auch ein bisschen romantisch und kitschig - durchhalten!

Das war zwar nicht im Sommer, aber es war trotzdem stürmisch. Das hat es drinnen umso gemütlicher gemacht, und es hat nach dem Ende des Films nicht mehr lange gedauert, bis wir zusammen auf's Bett gefallen sind und gekuschelt haben. Das war einer dieser Momente, die bestimmt einige von Euch kennen - endlich ist diese Barriere gefallen, ich weiß, dass ich den Anderen küssen darf, die Schüchternheit darf mal etwas in den Hintergrund rücken. In dieser Stimmung hat T mir erzählt, dass er sich bereits an diesem Abend im Birdcage vor einigen Monaten in mich verguckt hat. Das hat wohl auf Gegenseitigkeit beruht, das ist eine Grundlage für immerhin ein paar schöne Momente. Außerdem hat es irgendwie gepasst - ohne in die Details zu gehen, kann man sagen, dass T'n'T charakterlich und sexuell ganz gut zusammengepasst haben.

Wir waren außerdem beide gern albern und etwas kindlich. "Etwas??" mag sich jetzt vielleicht die Sannitanic fragen. Ja, genau wie bei der großen Buba habe ich auch bei T in den Kindheitsmodus gewechselt; man könnte fast sagen, ich hätte mich schwul verhalten. An solch' einem albernen Abend haben wir uns überlegt, dass wir doch einfach mal heiraten könnten. Nicht Standesamtiges, nichts Kirchliches, einfach nur eine kleine nette spielerische Geste. Das war natürlich nur ein Hirngespinst, aber an dem Abend haben wir uns das richtig detailliert ausgemalt - ein schönes Essen, eine richtige Predigt, alle in tollen Outfits, und natürlich würden wir dann auch durchbrennen und einfach mit dem Wagen von Kiel nach Dithmarschen fahren, an die Westküste, zu meinen Eltern, und dort die Hochzeitsnacht verbringen.

Diese Hirngespinste sind nach und nach so detailliert geworden, dass wir uns fragten, warum wir eigentlich noch überlegen. Dass das eine völlig schwachsinnige, irre, planlose, wilde Idee war - geschenkt. Wir sind Twens, wir wollen high life in Tüten, also warum nicht? Und so haben wir uns zusammengesetzt und einen Plan gebastelt. Rückblickend: Perfekt - Pläne, die dann eingehalten werden können, finde ich toll, das entspannt mich, und deswegen haben wir einen genauen Ablauf für das Event vorgesehen, das ich im Folgenden einfach Hochzeit nenne.

Als Erstes würden wir uns bei Burger King treffen. Freunde des Bräutigams und des Bräutigams. Dort würden wir uns vollstopfen, und dort würden wir auch die Trauung durchführen lassen. Wer würde uns wohl die Ehre des Standesbeamten erweisen? Ich fand es großartig, dass YazzTazz sich bereiterklärt hat, die Hochzeit zu vollziehen, in einem wunderschönen Bollywood-Outfit, und die anderen Gäste bitte in Abendgarderobe. Das sollte problemlos ablaufen. Danach gehen wir dann die zweihundert Meter Richtung Kronshagener Berge, alle Gäste werden in mein Zimmer verfrachtet, und ich bereite in der Küche den Nachtisch zu. Das wäre meine Ausrede, um aus dem Zimmer zu verschwinden. Und T? Der würde sich einfach auf's Klo entschuldigen. 

Und dann? Wie bekommen wir das hin, ihnen klarzumachen, dass wir durchbrennen würden - nicht, dass sie sich noch ernsthaft Sorgen machen, wenn wir plötzlich unauffindbar sind. Wie man es auch dreht und wendet - wir brauchten einen Komplizen. Einer der Gäste musste in den Plan eingeweiht sein, musste den genauen Ablauf kennen und zur Not die richtigen Schritte im Ablaufplan dirigieren. Es musste jemand sein, auf den ich mich absolut verlassen konnte, jemand, der den anderen Gästen eher unbekannt war, damit nichts rausrutschen konnte. Also fragte ich bei meiner besten Freundin A an, jene, in die ich damals in der Oberstufe verliebt war. A fand die Idee witzig und machte sich von Dithmarschen auf den Weg, um unsere Verbündete zu werden. Dann mussten wir nur noch einen "Abschiedsbrief" vorbereiten, Knabbersachen und Getränke bereitstellen, damit die zurückgelassenen Gäste sich trotzdem noch einen schönen Abend machen können. 

Genau so haben wir das Event dann durchgezogen. Es hat alles geklappt wie am Schnürchen, YazzTazzs Rede war schön, das Essen war lecker, die Gesellschaft sehr nett, niemand hat Verdacht geschöpft. Ein irres Gefühl, wie der Puls schneller wird, wenn man realisiert, dass es nur noch ein paar Minuten sind, bis man die Wohnung verlässt. Aufregend! T war genau so aufgeregt, aber wir versuchten, uns nichts anmerken zu lassen. Als der Nachtisch fertig zubereitet war, gab ich A und T im Zimmer das verabredete Zeichen und begab mich auf die Flucht - T einen kleinen Moment später. Aufgeregt standen wir im Fahrstuhl nach unten, der Puls rast, hoffentlich merken sie noch nichts, wäre zu blöd, wenn sie uns doch noch abfangen. Aber trotz aller Aufregung musste ein romantischer Kuss im Fahrstuhl noch sein. Dann ab in den Wagen, die Taschen schon längst eingepackt, und raus aus Kiel, total verliebt.

Ein einziger Wehmutstropfen blieb - ich hätte zu gern miterlebt, wann die Anderen merken, dass etwas nicht stimmt, und wie sie darauf reagieren, und was sie aus dem Abend machen. Schon damals war ich intensiv daran interessiert, menschliches Verhalten zu beobachten, und das wäre echt toll gewesen. Leider hatte ich dazu keine Gelegenheit.

...würde ich sagen, wenn wir nicht auch das mit eingeplant hätten, und so hatte ich in meinem Bücherregal ein Diktiergerät versteckt und auf Aufnahme geschaltet. So habe ich am Sonntag Abend einen kompletten Tonmitschnitt des Abends vorgefunden, habe mir ein leckeres Essen zubereitet und dann genüsslich schmunzelnd angehört, was die anderen Gäste so erlebt haben. Ich habe diese Datei auch heute noch, und es ist immer wieder schön zu erleben, wie die Anderen sich zunächst irgendwann fragen, wo T'n'T so lange sind - Mutmaßung: T ist zu T auf die Toilette gegangen und sie machen dort herum. Lacher. Einige Minuten später wird es etwas ernster, einer macht sich auf die Suche, findet aber niemanden. Leider auch nicht den Abschiedsbrief, den wir nicht sehr subtil an die Eingangstür gehängt hatten. Zum Glück war A noch vor Ort, und hat unauffällig den Zettel gefunden und alle aufgeklärt, dass wir durchgebrannt sind. Zu schön, sich die Gesichter in dem Moment vorzustellen!

Nun hätte ich ja gedacht, dass sie dann einfach den Nachtisch essen und nach Hause gehen - aber Studenten feiern nun mal gern, und so haben sie sich den Nachtisch aufgeteilt und nette Musik angemacht - Zitat: "Gute Musik bei T zu finden - ein hoffnungsloses Unterfangen." und sind dann schließlich bei ABBA Gold gelandet; von da an haben sie sich noch einen schönen Abend gemacht, zwei Stunden lang nett unterhalten, amüsiert über unser Durchbrennen, und haben sich Pläne überlegt, wie sie sich "rächen" könnten, darunter das Bett auseinander bauen oder alle CDs in den Alben vertauschen. Großartig! 

Unter'm Strich muss ich sagen - egal, wie dämlich die Idee auch gewesen sein mag, es war aufregend und wir hatten jede Menge Spaß. Eine Anekdote, an die ich mich vermutlich noch lange erinnern werde. Und unsere Eheringe haben wir noch heute ;-)


Sonntag, 26. Juli 2020

Mein erster Kuss - la version hétérosexuel


"Sind sie schwul?"

Unvergessener Lehrermoment aus der Zeit in St.Peter-Ording; die Antwort lautete damals kurz und knapp Ja, obwohl ich mir da eigentlich gar nicht so sicher war und bin. Mittlerweile antworte ich, dass ich mich eigentlich nicht festlegen möchte - warum sollte ich auch? Mein Tagebuch verrät mir, dass ich den Großteil meiner Schulzeit in Mädchen verliebt war. Was es mir nicht verrät, weil ich es - warum auch immer - nicht niedergeschrieben habe, ist die kleine Anekdote meines ersten Kusses mit einer Frau.

Ich nenne sie Tilda, auch wenn sie nicht Tilda heißt - vielleicht wird aus dem Text deutlich, warum hier die Anonymität sinnvoll ist. Ich war seit der Mittelstufe mit Tilda in einer Klasse, und ich fand sie cool, weil sie unauffällig, ruhig, aber irgendwie interessant war. Und sie wurde eine sehr gute Freundin, weil sie mit einem Freak wie mir gut zurechtgekommen ist. Wir haben auch über die Schule hinaus bis in's Studium immer wieder nette Zeiten verbracht.

Das war noch die Phase, in der ich so froh war, offen mit jemandem über das Thema Sex zu reden. Ich fand es total interessant, von Frauen zu hören, wie das bei denen denn so ist, und Tilda hatte auch keine Probleme, mit mir darüber zu sprechen. Und bei ihr war es richtig interessant, denn sie hatte eine Affäre mit einem verheirateten Mann, und was sie zu erzählen hatte, war richtig aufregend, und ich habe das alles gierig aufgenommen.

Ich hatte damals selbst noch nicht so viel zu berichten - trotzdem fanden wir immer Gesprächsthemen, wenn wir uns zum Beispiel für einen Abend bei'm Griechen verabredet hatten. Mal waren das Freizeitparks, dann waren es Affären, dann war es der Beruf oder das Studium. Und natürlich hatte ich ihr auch total begeistert von meinem ersten Kuss erzählt - ich kann ja meinen Mund nicht halten. Konnte. Oder kann immer noch nicht, whatever. Und dann waren wir auch auf die Frage gekommen, ob ich schon einmal eine Frau geküsst hatte, was nicht der Fall war.

Naja, irgendwann wurde der Abend später, und ich habe es schon damals nicht ganz so lange mit anderen Menschen ausgehalten, also verließen wir das Restaurant Richtung Parkplatz, wo jeder mit seinem Auto geparkt hatte. Ich weiß nicht mehr, wie es dann genau dazu gekommen war, aber ich glaube, ich habe sie gefragt, ob ich nicht einmal mit ihr einen Kuss ausprobieren könnte - schön mit allem, was dazu gehört. Da war dann keine große Barriere mehr, gesagt, getan, und mit geschlossenen Augen habe ich den Unterschied kaum mehr gemerkt.

Aber irgendwie war da dieses Bewusstsein, dass ich eben doch eine Frau küsste, und das hat die ganze Sache sehr "sachlich" werden lassen. Ein Experiment eben. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich so für einen heterosexuellen Mann anfühlen dürfte, einen anderen Mann zu küssen. Trotz aller Sachlichkeit bleibt dieser Moment aber unvergessen - mon premier baiser, la version hétérosexuel.

Donnerstag, 9. Januar 2020

"Wer bist du nochmal?"

Es ist immer noch nicht so leicht, in Deutschland schwul zu sein...

Kiel Dreiecksplatz. Ich warte auf den Bus nach Hause, in sechs Minuten kommt die Fünfhundertzwei, die Zweiundsechzig kommt erst in einer halben Stunde, die habe ich nämlich gerade verpasst. So stehe ich dort und schaue in's Nichts, da gehen drei Schülerinnen von der Schule da über die Straße, eine hatte ich mal im Unterricht. Sie schaut zu mir; als ich ihren Blick erwidere und lächele, schaut sie verschämt zur Seite und tuschelt zu ihren Begleiterinnen "Das da vorne ist Dr Hilarius!" - wieso scheinen Schülerx so oft zu glauben, dass man nichts von dem mitbekommt, was sie "flüstern"? Ich strahle sie weiterhin freundlich an, sie verschwindet rot im Gesicht hinter der Werbeanzeige für Kondome. Ich freue mich, dass ich gar nicht mitbekommen habe, wie drei Minuten vergangen sind, und da hinten kommt auch schon mein Bus nach Schulensee, ich lese "Schwulensee", als hätte ich hellseherische Begabung. Alles einsteigen, bitte!

Und der Bus ist recht voll. Ich arbeite mich in den hinteren Bereich durch, ich hätte zwar gern einen Stehplatz im Busgelenk gehabt, aber je nun. Also stelle ich mich in den Bereich des hinteren Ausgangs, froh, ein freies Fleckchen gefunden zu haben, drehe mich um und atme tief durch, und schaue herum, ob vielleicht noch weitere ehemalige Schülerx dort sitzen. Mein Blick bleibt an einem jungen Mann haften, irgendwie kommt mir das Gesicht... und dann fängt er an zu grinsen - ja, ich kenne ihn, und offensichtlich erkennt er mich, ich muss das Gesicht einordnen, Studium? Referendariat? Ehemaliger Kollege? Oder Schüler? Oh nein, ich habe keine Ahnung, aber ich habe auch schon angefangen zu grinsen, irgendwas muss ich jetzt sagen, ach herrje...

DrH: "Hey, wir haben uns ja ewig nicht gesehen!"

???: "Ja, tatsächlich, wie läuft es bei dir so?"

Weiß er, dass ich Lehrer bin? Haben wir zusammen studiert? Weiß er, dass ich arbeitslos bin? Wie komme ich möglichst unverfänglich weiter?

DrH: "Hm, eigentlich ganz gut, ich bin momentan mal wieder in einer Bewerbungsphase und hoffe, dass sich was Gutes findet."

???: "Ah, du bist jetzt Lehrer, oder?"

Wie peinlich. Er weiß das, und ich weiß nix von ihm, okay, was sage i...

DrH: "Und wie ist es bei dir momentan?"

???: "Im Moment wieder ganz gut, es war ein bisschen schwierig nach dem Coming Out, aber jetzt komme ich gerade wieder auf die Bahn, bin auf dem Weg zur Stadtmission, da arbeite ich zur Zeit."

Okay, das sind Anknüpfungspunkte, ich frage ihn einfach ein bisschen über seine Arbeit aus, und währenddessen kann ich überlegen, wie sein Name war, also einfach...

DrH: "Ja, das Outing ist manchmal eine echt schwierige Phase, ich bin auch froh, dass ich das lange hinter mir habe. Wie ist es denn bei dir gelaufen?"

???: "Eigentlich ganz gut, naja, mit meinen Eltern nicht so. Streng katholisches Elternhaus und so..."

DrH: "Wie bist du denn auf die Idee gekommen, dass du schwul bist?"

???: "Ich war in einer Beziehung mit einer Freundin, aber hab da irgendwie gemerkt, dass das nicht so wirklich lief, und dann hatte ich Schluss gemacht und gemerkt, dass es mit Jungs wesentlich besser läuft."

DrH: "Und deine Eltern kommen damit nicht klar?"

???: "Nein, meine Mutter sagt, sie hätte es lieber gern wie früher, da war alles in Ordnung. Und ich meinte dann, ach so, wie früher, als ich depressiv war und die ganze Welt angelogen habe und überhaupt nicht ich selbst sein konnte?"

DrH: "Hoffentlich können sie dich irgendwann so akzeptieren, wie du bist... wie gehst du mit der Situation um?"

???: "Naja, ich habe jetzt erstmal den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen..."

Ach du Scheiße. Und ich dachte, solche harschen Geschichten gibt es nur in Filmen oder anderen Kulturkreisen, oder bei den Amerikanern... aber jetzt sitzt da vor mir dieser junge Mann, den ich nicht identifizieren kann, in einer absolut miesen Situation, und jetzt werde ich wirklich neugierig und interessiere mich für seine Geschichte...

...und deswegen hat der Rest des Gesprächs hier auch nichts zu suchen. Das hat die Busfahrt wie eine leichte Brise wirken lassen, auch wenn das ein hartes Gesprächsthema war. Ich habe ihm gesagt, dass ich es toll finde, dass er sich geoutet hat. Und es zeigt, dass wir in Deutschland noch ein gewaltiges Entwicklungspotential in LGBTQ-Angelegenheiten haben. Nur weil wir (endlich) die Ehe für Alle haben, und weil es mittlerweile m/w/d-Ausschreibungen gibt, heißt das nicht, dass man als schwuler Mann vollkommen akzeptiert wird. Das tut mir verdammt leid, und hat mich in's Nachdenken gebracht. Und erst als ich in meiner Wohnung angekommen bin, wird mir bewusst, dass ich vergessen habe, das Wichtigste zu fragen:






post scriptum: Fachschaft, in meiner Abschlussphase, ich erinnere mich wieder, und wünsche ihm ehrlich, dass er irgendwann den Kontakt zu seinen Eltern wieder herstellen kann, denn es ist traurig, wenn man den familiären Rückhalt verliert, nur weil man schwul - oder irgendwas aus der LGBTQ-Ecke - ist. Zeigt auch, dass wir als Lehrkräfte dort noch eine Menge Aufklärungsarbeit leisten müssen.

Donnerstag, 7. November 2019

Küssen ist schwul

An den Bushaltestellen wird's romantisch

Nur mal eben Post von der Filiale in der Holstenstraße abgeholt, und dann wieder zum Hauptbahnhof gegangen. Wenn ich mit dem Bus fahren möchte, der aber erst in mehr als vier Monuten kommt, dann gehe ich gern eine Haltestelle weiter. Und sollte ich nicht schnell genug sein und der Bus mich zwischen zwei Haltestellen überholen, dann macht das auch nichts, denn ich habe ja Zeit.

Auf diesem kleinen Fußmarsch fällt mir auf, wie viele von diesen Werbeanzeigen die Straßen und Wege pflastern, in diesem Bushaltestellenformat. Das ist mir heute deswegen aufgefallen, weil es in jeder zweiten Anzeige um eine neue schwule Datingshow irgendwo zum Streamen geht, und es gibt mehrere verschiede Anzeigen dafür, aber sie sind alle gleich aufgebaut: Im Hintergrund stehen mehrere Männer, zwei stehen im Vordergrund und werfen sich romantische Blicke zu, oder sie küssen sie sich. Und darunter steht (auch bei den Nichtküssern): "Küssen ist schwul."

Ich weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll.

Positiv, weil ich es schön finde, dass endlich einmal küssende Männer in der Öffentlichkeit gezeigt werden dürfen und es nicht so einfach ist, diese Anzeigen zu überkleben, weil sie hinter Glas sind, da traut man sich nicht so leicht ran. Positiv, weil Schwule endlich Einzug in die Normalität erhalten und nach und nach als gesellschaftliche Realität anerkannt werden.

Negativ gar nicht mal wegen dieser Datingshow, die ich mir nicht anschauen werde, oder wegen des Slogans, sondern wegen der Realisierung: Ja, Schwule werden nach und nach als gesellschaftliche Realität anerkannt - aber eigentlich sollten sie es schon längst sein. Deutschland hängt unglaublich hinterher, trotz Freischaltung der Ehe für Alle. Dieses Werbeplakat suggeriert mir, dass diese Sendung etwas ganz Besonderes ist, etwas noch nie Dagewesenes, das man sich unbedingt anschauen sollte wie Tiere in einem Zoo, dabei sollte es etwas ganz Normales sein.

Unsere Gesellschaft muss mal ein bisschen schneller in die Pötte kommen. Film und Fernsehen zeigen so gaaanz langsam auch endlich Schwule (und den Rest der LGBTQ) - ja, das haben sie immer schon gemacht, aber als Freaks. Langsam wird das alles endlich normal, und das freut mich. Alien:Resurrection (2017), Black Mirror ("San Junipero", "Striking Vipers"), Dimension 404 ("Polybius", "Bob"), immer häufiger tauchen diverse Paare auf.

Also los, kann doch nicht so schwer sein ;-) Und mein Eindruck ist, dass die jetzige Schülergeneration damit schon deutlich gelassener umgeht. Klar, diverse Schüler werden immer noch gemobbt, aber es wird weniger, es wird offener, es wird friedlicher.

Montag, 26. August 2019

"Ich kann nicht homophob sein, denn..."

Schwule sind okay, solange sie nicht schwul wirken.

 "...denn ich habe einen Schwulen in meinem Freundeskreis."

Keine Ahnung, wie ich diesen Beitrag anfangen soll, ich habe mal ein Zitat genommen, dass viele von uns sicherlich schon einmal gehört haben. Wenn jemand in meinem Freundeskreis zur LGBTQ-Community gehört, dann kann ich gar nicht homophob sein, also darf man mir das nicht vorwerfen. Und homophob sind sowieso immer nur die Anderen. Ich nicht, und meine Freunde auch nicht.

Denkste.

Ich erzähle einfach mal von zwei Fällen aus meinem eigenen Freundeskreis, und ich möchte niemanden damit bloßstellen, deswegen benenne ich die Beteiligten einfach mit Zahlen. Auf das Geschlecht sollte nicht zurückgeschlossen werden.

Ich habe mit 1 jahrelang an der Kieler Christian-Albrechts-Universität studiert. Wir haben uns echt gut verstanden, waren völlig unterschiedlich, vielleicht hat uns das gut getan. Wir waren eng befreundet, und wir sind auch immer noch befreundet, nur mittlerweile etwas älter geworden. Ich habe 1 gern besucht, wir waren öfters zusammen unterwegs, und wir hatten - und haben - beide einen Knall, und akzeptieren uns gegenseitig, so wie wir sind.

Irgendwann habe ich mich mit 1 auch mal über das Thema Homosexualität gesprochen, einfach mal ein paar Sichtweisen austauschen. Ich musste mir keine Sorgen machen; 1 und ich waren enge Freunde, dann kann 1 nicht homophob sein, oder? Und tatsächlich hatte 1 auch überhaupt keine Probleme mit Schwulen und Lesben - solange sie nicht in der eigenen Familie sind. Und dann kam irgendwann ein Satz von 1, den ich bis heute nicht vergessen kann: "Also wenn mein Sohn später schwul wird, ich glaube, dann bringe ich mich um."

Natürlich war das ein dahingeworfener Satz, spur of the moment, Alkohol war nicht im Spiel und wir haben das auch nicht weiter vertieft. Es war allerdings auch kein Ausrutscher, sondern hatte Wurzeln in einer echten Überzeugung. Es hat mich verstört, und ich habe mich danach nie getraut, das einmal mit 1 auszudiskutieren. Ich wollte nicht, dass unsere Freundschaft einen Knacks bekommen könnte.

Nach meinem Verständnis ist das Homophobie: Wenn man Angst hat, dass das eigene Kind homosexuell sein könnte. Es tut mir heute ein bisschen weh, das zu schreiben. Aber ich möchte aufzeigen, dass sich in meinem Freundeskreis Homophobie wiederfindet. Die Angst vor Mitgliedern der LBGTQ-Gemeinschaft.

Auch 2 habe ich an der Uni kennengelernt, und wir haben uns angefreundet und irgendwann konnte ich 2 aus meinem Bekanntenkreis nicht mehr wegdenken. 2 war selbst ziemlich überzeugt davon, nicht homophob zu sein, und meinte zu mir: "Ich habe überhaupt keine Probleme mit Schwulen, solange sie sich nicht zu feminin verhalten. Dieses Tuckige, das mag ich nicht so."

Ich kann 2 vollkommen verstehen. Es gibt so viele Menschen, die genau mit diesem nicht-heteronormativen Verhalten überhaupt nicht klarkommen. Keine Männer, die sich weibisch aufführen, keine burschikosen Frauen. Dass ich es verstehen kann, ändert leider nichts an der Tatsache, dass dieses Genervtsein ein klassisch homophobes Verhalten ist.

Das sollte einfach nur ein Beispiel dafür sein, dass Homophobie nicht nur außerhalb unseres Freundeskreis auftreten kann. Es sind nicht immer nur die Anderen, nur die AdF, nur die Männer, nur die Ausländer und so weiter. Das sind wir alle. Ich hatte (habe?) homophobe Menschen in meinem Freundeskreis, die hoffentlich mit dem Älterwerden etwas aufgeschlossener werden können.

Erinnert ein bisschen an Trumps "I'm the least racist person you've ever met!"

Sonntag, 7. April 2019

Schwule Internet-Pioniere

Schwule Kommunikation hat mehr zur Entwicklung des Internet beigetragen, als man vielleicht denkt...

Noch immer sind die Tanzbilder vom gestrigen Film in meinem Kopf; ich versuche langsam, sie beiseite zu schieben, denn heute geht es um eine kleine Anekdote aus meinem Studium, in der es um eine kleine Anekdote aus den Anfängen des Internet geht. Vorweg sei gesagt, dass ich nicht mehr die Quellen kenne, aus denen ich das entnommen habe, denn das waren Inhalte meiner mündlichen Examensprüfung in Pädagogik, und die liegt mittlerweile acht Jahre zurück. Ganz falsch kann das aber nicht gewesen sein, denn die Prüfung ist relativ gut gelaufen und somit hatte ich keinen Anlass, diese Erinnerung aus meinem Kopf zu streichen (wie zum Beispiel bei der katastrophalen Englischprüfung).

Eines meiner Prüfungsthemen bei Frau Allert (Medienpädagogik, CAU) drehte sich dabei um Identitätskonstruktionen auf Social Networking Sites (SNS). Die Konstruktion von Realität und Identität hat mich mein ganzes Englischstudium lang begleitet und ich habe es genossen, mich da mit der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen. Dazu kam, dass ich damals selbst ein Profil im StudiVZ hatte, und in ersten Zügen auch bei Facebook, und somit einiges über mich selbst lernen konnte.

Natürlich habe ich nicht bei den Anfängen der SNS angefangen zu lernen, sondern bei den Anfängen des Internet selbst. Und dort habe ich gelernt, dass an der Verbreitung des Internet schwule Männer auf der ganzen Welt nicht ganz unschuldig waren. Es ging konkret um den Internet Relay Chat (IRC), in dem Menschen an unterschiedlichsten Orten auf der Welt schriftlich miteinander kommunizieren konnten. Das wurde von einem Finnen 1988 in die Öffentlichkeit geworfen und 1993 zum ersten Mal vollständig überarbeitet mit dem Internet verknüpft.

Und es zeigte sich, dass viele User des IRC schwule Männer waren (und auch lesbische Frauen? Gute Frage, ich meine mich zu erinnern, dass meine Quellen nur auf die Männer verwiesen hatten). Das ist gar nicht mal so überraschend, denn hier hatten ungeoutete Männer eine Möglichkeit, anonym quer über den Weltball nach anderen schwulen Männern zu suchen (wobei themenbasierte Chatrooms und Kanäle geholfen haben), um Erfahrungen auszutauschen. Zeigt, wie unangenehm die Realität damals für Schwule war. Ist sie auch heute noch, aber es war schon einmal deutlich schlimmer.

Man konnte, ohne sich zu outen, mit anderen über deren Outings reden, oder über Fantasien, Vorstellungen, Lebensweisen, über gesellschaftliche Bedingungen in anderen Ländern - quasi eine Goldgrube und eine Selbsthilfegruppe für Schwule, die in ihrem Leben niemanden hatten, mit dem sie offen über das Thema reden konnten. Es mag ja heute alles so aufgeklärt wirken (ist es nicht), und so offen und aufgeschlossen (ist es nicht), aber damals war der Kleiderschrank (closet) der einzige sichere Ort für einen schwulen Mann, an dem er keine Diskriminierung fürchten musste, keine Ausgrenzung und auch nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden.

Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel in Deutschland der §175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, erst 1994 ersatzlos gestrichen wurde, ist es kein Wunder, dass IRC zu einem safe haven für schwule User wurde. Wir sind nicht so aufgeklärt, wie wir vieleicht denken. Sonst hätte sich das Internet damals vielleicht anders entwickelt.

Natürlich haben viele andere Faktoren zur Verbreitung des IRC und des Internet beigetragen; dies ist nur eine kleine Anekdote, die ich damals mit großem Interesse gelesen habe und immer wieder gern erzähle, wenn in Deutschland behauptet wird (besonders im Kontrast zu amerikanischen Camps zur sexuellen Umorientierung), wir seien schon immer progressiv und aufgeklärt mit dem Thema Homosexualität umgegangen.

Nix da.

Denn auch heute noch ist das Internet die einzige Möglichkeit für unzählige Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde, offen, hemmungslos und angstfrei über ihre eigene Identität zu sprechen.

Da liegt noch Einiges vor uns.

Samstag, 16. März 2019

Intelligent. Schwul.


Es ist angenehm, über eine Filmbiographie zu schreiben, denn es gibt keine spoiler: Wir wissen, dass Alan Turing schwul war. Wir wissen, dass Alan Turing den Vorläufer unserer modernen Computer entwickelt hat. Wir wissen, dass er Namensgeber für den Turing-Test ist, der das Verhalten von künstlicher Intelligenz beurteilt. Wir wissen, das Alan Turing wichtige Schritte im zweiten Weltkrieg gegangen ist.

Ich habe mir heute The Imitation Game (2014) angeschaut. Benedict Cumberbatch zeigt einen Alan Turing, der sehr speziell war, ein genialer Kopf, schwierig, aber liebenswert, wenn man offen dafür war. Der Film nimmt sich eine ganze Menge künstlerische Freiheit, um den dramatischen Effekt zu erhöhen, aber das ist auch in Ordnung. So erleben wir, ineinander verschachtelt, drei Lebensphasen des hochintelligenten, sozial inkompetenten Turing. Wobei das der Turing ist, den der Film uns präsentiert; bei'm Lesen im Internet lerne ich, dass Alan Turing durchaus Freunde hatte und an sozialen Aktivitäten teilgenommen hat.

Turing wirkt im Film wie ein Asperger, aber gerade das hat mich unglaublich fasziniert. Ein Mensch, der die Wahrheit sagt, der keine sozial bedingten Hemmschwellen hat. Ein Mensch, der eine interessante Vorstellung von Witzen hat (ich fand den genial): Zwei Menschen treffen im Wald auf einen aggressiven Bären. Der Eine fällt ängstlich auf die Knie und fängt an zu beten, der Andere bindet sich die Schnürsenkel fester zu. Sagt der Eine: "Du bist doch niemals schneller als dieser Bär!" Sagt der Andere: "Nein, das muss ich auch gar nicht, es reicht, wenn ich schneller bin als du."

Das ist die Phase in Turings Leben, die während des zweiten Weltkrieges spielt. Hochspannend, wie sein Team versucht, die deutsche Enigma-Codierungsmaschine zu entschlüsseln. Wir sehen faszinierende Menschen, unter anderem eine überraschend gute Keira Knightley als ebenfalls hochintelligentes Mädchen. Eine weitere Phase spielt während Turings eigener Schulzeit, zeigt seine Andersartigkeit, die ihm gnadenloses Mobbing einbringt (kenn' ich irgendwoher?), seine Begeisterung für Codes und seine erste Liebe - zu einem Mitschüler.

Wenngleich manche Kritiker bemängeln, dass Turings Homosexualität in dem Film heruntergespielt wird, finde ich, dass das Thema eine große Bühne bekommt, denn seine sexuelle Orientierung sorgt für wichtige Entwicklungen in allen drei Lebensphasen. Wer aufgepasst hat, merkt, dass ich die dritte Phase verschwiegen habe - und das bleibt auch so. Einige dramatische Entwicklungen beobachtet man am liebsten selbst, als Zuschauer, denn es wird spannend, quasi-romantisch - und auch tragisch.

Ich denke, ich werde mir eine DVD des Films zulegen, denn ich unterrichte mittlerweile Schüler, die sich mit dem Thema künstliche Intelligenz auseinandersetzen müssen, und für die könnte es interessant sein, zu erleben, wo das alles herkommt. Der Film ist eine tolle Art, dem Wirken Turings etwas mehr Rampenlicht einzubringen. Und weil es eine so schöne Darstellung eines Hochbegabten ist, werde ich diesen Beitrag links im Link Hochbegabung im Film erwähnen.

post scriptum: Ich freue mich, heute ist eine Idee für eine neue Kurzgeschichte in meinen Kopf gewandert. Das ist ein tolles Gefühl! Wenn ich fertig bin, könnt Ihr sie wieder hier im Blog lesen.

Donnerstag, 28. Februar 2019

Du kommst hier nich' rein!

Blutspender sind Lebensretter... ich nicht.

Oberstufe Berufsfachschule III, junge Erwachsene. Lernen etwas in einem Vortrag des DRK, und ich frage aus Neugier, worum es denn so geht, und erfahre, dass es um Blut ging. Mehr schienen sie nicht mehr erinnern zu können, und dann entsponn sich folgender Wortwechsel (oder so ungefähr):

S: "Ja, und wer wollte, konnte sich dann zum Blutspenden anmelden. Gehen sie denn auch zum Blutspenden?"
L: "Nein, das darf ich leider nicht."
S: "Was? Warum das denn?"
L: "Weil ich schul bin."
S: "Was? Also das ist aber echt eine blöde Ausrede!"
L: "Liebe Klöthilde. Du hast vollkommen Recht. Aber so ist es nun mal leider. Ich bin Teil einer Risikogruppe und darf nicht zum Blutspenden gehen, das ist extra explizit in den Richtlinien schriftlich festgehalten worden."
S: "Und was ist, wenn ich jetzt auch schwul bin?"
L: "Wenn du tatsächlich ein schwules Mädchen bist, sorry, dann darfst auch du nicht zum Blutspenden gehen. Tut mir Leid, so sind leider die Regeln."

Und ja, so sind sie tatsächlich. Weil ich schwul bin, darf ich kein Blut spenden, denn ich könnte ja infiziert sein. HIV. Vollkommen irrelevant, ob und wie oft ich Sex habe, es reicht schon, dass ich auf Männer stehe. Denn Heteros bekommen sowas ja nicht, bei denen taucht das nicht auf. Die dürfen auch zum Blutspenden, wenn sie promiskuitiv leben, reihenweise Sexpartner von Tag zu Tag vernaschen, das ist dann was Anderes.

Ich weiß nicht, wie ich mit diesem Umstand umgehen soll. Aber er fühlt sich scheiße an, das wollte ich nur einmal loswerden. Selbst wenn ich die Logik dahinter irgendwo nachvollziehen kann, fühle ich mich behandelt, als wäre ich ein schlechterer Mensch.

Ja, ich weiß.

Mein Problem.

Sonntag, 10. Februar 2019

( m / w / d )


"Wir suchen Dich (m/w/d) als Filialleiter!"

Ich hänge ja gerne ordentlich hinterher, was gesellschaftliche Veränderungen angeht. Was, Schwule dürfen heiraten? Gar nicht mitbekommen! Und so sortiere ich bei LIDL meine Dosensuppe und die Trullinudeln hinter der Kasse in meine Einkaufstasche ein und blicke auf den Bewerbungsaufruf. Klasse, jetzt können sich junge Männer und Frauen... und... d??? Deutsche? Dicke? An WEN geht dieser Aufruf?

Ich musste tatsächlich googeln, wie peinlich. Immerhin weiß ich nun, dass es alternative Formen gibt, neben m/w/d existieren auch m/w/gn, m/w/inter, m/w/x. Das D steht für divers, und das ist großartig und eigentlich war das auch längst überfällig, dass das in unseren Alltag eingeht. Gegen Diskriminierung und Versteckenmüssen für alle Menschen, die D sind. Aber natürlich kommen auch hier wieder die Unkenrufe, die sagen, dass es doch nun wirklich wichtigere Probleme in unserer Gesellschaft gibt, als Rücksicht auf so eine Minderheit.

Ja, es gibt definitiv wichtigere Probleme - zum Beispiel die Scheinheiligkeit oder mangelnde Akzeptanz der Urheber dieser Unkenrufe. Ich finde das extrem unangenehm, gehört für mich in die Kategorie AfD-Mitglieder, die sich beschweren, dass ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Und es gibt auch andere wichtigere Probleme, das ist unbestritten - aber deswegen sollte man eine Kleinigkeit wie Rücksichtnahme auf die Geschlechtervielfalt nicht vollkommen ignorieren. Gilt auch für einen Björn Höcke, der gegen den Genderwahnsinn wettert.