Freitag, 31. März 2017

Geisteskrank

Auch eine Thalia wurde mit reichlichen Selbstgesprächen geprobt (die ist allerdings wirklich geisteskrank)

Früher wurde es als Symptom einer Geisteskrankheit erachtet, wenn ein Mensch Selbstgespräche führte. Mittlerweile sind wir im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen, da hat man einen Knopf im Ohr oder wie auch immer - man telefoniert mit jemandem, und Außenstehende sehen gar nicht mehr das Telekommunikationsmedium. Man hat sich daran gewöhnt, dass Menschen durch die Stadt laufen und scheinbar mit sich selbst sprechen.

Ich spreche öfters mit mir selbst, wenn ich allein bin. Ein schönes Beispiel ist das rehearsal, zu deutsch "Probe". Wenn ein Gesprächstermin ansteht, egal welcher Anlass, egal, wie viele Beteiligte, dann male ich mir vorher im Kopf alle möglichen Szenarien aus, wie sich das Gespräch entwickeln könnte. Als Absicherung, weil ich es nicht mag, im Gespräch überrascht zu werden.

Um ein konkretes Beispiel zu geben, mit dem sich vielleicht auch KollegInnen identifizieren können: Die Schulleitung hat Gesprächsbedarf angemeldet, "Dr Hilarius, wir müssten mal über den Arbeitsvertrag reden, Montag in der dritten Stunde hast du frei, kommst du dann ins Büro?" - Natürlich, kein Problem, und das Wochenende vor dem Montag nutze ich und male mir mehrere verschiedene Szenarien aus, mit dem Ziel, alle möglichen Szenarien dann schon einmal gesehen zu haben. Wie gesagt, ich mag keine Überraschungen. Wenn ich alle Szenarien durchgespielt habe und im Kopf abgespeichert, dann gibt mir das gedankliche Klarheit und Ruhe. Dann kann auch etwas Schlimmes oder Unangenehmes anstehen, ich habe Seelenruhe. Nächsten Mittwoch ist die Operation, und natürlich bin ich sie im Geiste schon mehrmals durchgegangen, mit variierenden Ärzten und Medikamenten und Erfolgen/Misserfolgen.

Aber wir bleiben bei dem schulischen Beispiel. In all diesen Szenarien, die ich mir ausmale, lege ich ja auch mein eigenes Verhalten fest, wie ein Drehbuch, das ich vorher schreibe - was auch erklärt, warum ich manchmal Probleme habe, mit der Situation klarzukommen, wenn sich jemand nicht an mein ausgemaltes Drehbuch hält. Wir haben in diesem Drehbuch natürlich auch gesprochene Texte. Ich lasse die Schulleitung in Gedanken reden; meine Antworten spreche ich laut aus. Warum? Um meine Stimme zu hören, meine Intonation zu überprüfen. Welche Wörter möchte ich besonders betonen? Immer mit dem Ziel im Kopf: Was möchte ich erreichen? Ich wiederhole die Sätze auch mal, moduliere die Sprache ein wenig. Mimik und Gestik probe ich auf diese Weise natürlich auch. Es muss alles perfekt sein.

Selbst wenn ich gerade etwas Anderes mache, habe ich diese rehearsals. Beim Backen, beim Duschen, selbst wenn ich mich intensiv in ein Videospiel vertieft habe, kann es vorkommen, dass ich eine kleine Szene probe.

Geisteskrank? Nein, das hat Methode, nennt sich Method Acting und ist für mich ein herrliches Training. Was ich trainiere? Menschen zu manipulieren, um meine Ziele zu erreichen. So ist es nun mal.

post scriptum: Und, wie schon oben erwähnt, diese Proben beruhigen mich, nehmen mir die Angst vor Konfrontationen, und das hat mir schon sehr viel Gutes gebracht.

post PS scriptum: Eben bei der Tagesschau wieder gehört: "Triologie" - da krümmt sich bei mir alles zusammen!

Donnerstag, 30. März 2017

SET (Schulentwicklungstag)...

Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld

...hieß zu meiner Schulzeit SchiLF-Tag, schulinterne Lehrerfortbildung. Alter Wein in neuen Schläuchen. Man entwickelt die Schule weiter, man entwickelt sich selbst weiter, tolle Sache.

Das heutige Motto war "Lehrergesundheit", das fand ich großartig! Es wurden viele Workshops angeboten, ich hatte eine große Auswahl. Und ich hab mir gedacht: "Stimmtraining" und "Konflikte und gewaltfreie Kommunikation", das interessiert mich, da trage ich mich ein! Ist doch eigentlich nachvollziehbar, oder? Und doch war es keine optimale Entscheidung.

Denn: Wenn den Hochbegabten ein Thema interessiert, dann taucht er ein, ganz tief, dann weiß er alles darüber. Da fühlt er sich wohl, darin geht er auf. Das heißt also im Workshop-Kontext: Die Themen interessieren mich, das heißt, ich weiß bereits alles darüber. Und gehe dann in den Workshop und wundere mich, dass mir das alles bekannt vorkommt, nichts Neues. Ich Idiot! Wenn ich unbedingt etwas Neues würde erfahren haben wollen, dann wären doch mir unbekannte Themen sinnvoller gewesen!

Also Zeitverschwendung? Wieder dasitzen, denken "blablabla kenne ich schon, wie lange noch"? Nein, diesmal nicht. Der Tag war toll und hat sich gelohnt, denn der Workshop zum Stimmtraining hat mir bestätigt, dass ich hinsichtlich der Gesundheit meiner Stimme alles richtig mache, die Meditationen, Zwerchfellatmung, Atemfrequenz, Lautung. Ich hab mir das alles selbst beigebracht und wusste nie, ob das sinnvoll ist, was ich tue. In diesem Workshop habe ich das alles bestätigt bekommen, und die Referentin hat das echt toll gemacht, das hatte Hand und Fuß und viel Praxisanteil.

Und ich habe die Lehre mitgenommen, dass ich mich vielleicht mal in unbekannte Themen eintragen sollte, um Neues zu erleben und meinen Horizont zu erweitern, anstatt immer nur die Themen zu suchen, die mich interessieren.

post scriptum: Wieder eine "erkannt" - diesmal eine Kollegin. Ich bin zufrieden.

Mittwoch, 29. März 2017

Parting Words und das Schwarze Loch

Das Kreuz habe ich damals von meinem Schulleiter zum Abschied bekommen, zusammen mit dieser Rede.

"Dr Hilarius ist seit dem 10. Februar 2014 als Vertretungslehrkraft an der Nordseeschule tätig. Er ist dabei zu einer Art Springer geworden, der sowohl am Gemeinschaftsschulteil als auch am Gymnasium tätig war, mit laufend wechselnden Verträgen. Vornehmlich hat er dabei das Fach Englisch unterrichtet, sein zweites Fach Latein nahm weniger Raum ein (yeah, like, gar keinen, Anm. des Autors), aber auch in Religion wurde Dr Hilarius im Gemeinschaftsschulteil eingesetzt.
Ich werde meine weiteren Worte nun mit Bedacht wählen, aber da uns der werte Doktor ja einen satirischen Vortrag angekündigt hat und mit Spott und Bösartigkeiten droht, will ich das als eine Art Intro schon einmal vorbereiten. Also, Dr Hilarius, nicht böse sein, ist nur Satire! Ich fasse mich auch ganz kurz, der Auftritt gebührt Ihnen.
Wenn unser lieber Doktor eine Farbe wäre, dann wäre das gewisslich schwarz. Ich denke aber, dass schwarz viel mehr ist als eine Farbe. Schwarz ist eine Haltung, die bei der verträumten Jugend häufig mit Rebellion und Selbstfindung in Verbindung gebracht wird. Vermutlich kommt er deshalb auch besonders im Gemeinschaftsschulteil bei so vielen Kindern gut an, er ist einer von ihnen. Zur Hilariösen Selbstfindung habe ich dabei die Theorie, dass er sich sehr bewusst für schwarz entschieden hat, denn die einzig denkbare Hilarius-Variante wären nicht etwa blau, grün oder von mir aus auch rot gewesen. Die einzig denkbare Hilarius-Variante wäre rosa gewesen. Und rosa ist natürlich, ähnlich wie schwarz, keine Farbe. Rosa ist ein Gefühl. Der Glaube, dass es sich hier um eine Farbe handelt, hält sich ja seit Jahren hartnäckig, wurde aber, wie ich finde, inzwischen hinlänglich widerlegt. Das Gefühl lässt sich am besten mit den häufig zitierten Worten eines vierjährigen Mädchens umschreiben: „Ich will eine Prinzessin werden.“ Das ging unserem lieben Doktor dann doch zu weit, also sollte es schwarz sein.
Was beinhaltet jetzt so ein echtes Hilarius-Schwarz. Es sind ja nicht nur die notwendigen Utensilien wie Haare färben, Fingernägel lackieren und ein Totenkopf pro Kleidungsstück, das kann jeder, das wäre ein normal begabtes Schwarz. Ein hochbegabtes Schwarz verbindet diese Zutaten mit einer überraschenden Zuverlässigkeit, Empathie und viel Freude am pädagogischen Arbeiten. Ein hochbegabtes Schwarz weiß (rhetorisches Mittel!) um seine Stärken, sieht aber auch seine Schwächen. Ein hochbegabtes Schwarz ist damit viel mehr als die Summe seiner Äußerlichkeiten.
Ich stelle abschließend fest, und das verstehen Sie jetzt bitte richtig: Jede Schule braucht einen Dr Hilarius - aber keine könnte mehr als einen aushalten.
Also, lieber Dr Hilarius, bleiben Sie besonders, ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie schnell eine Brennpunktschule finden, die genau nach Ihnen gesucht hat. Ich wünsche Ihnen für die weitere berufliche und private Zukunft alles erdenklich Gute."

(Der Schulleiter der Nordseeschule in St.Peter-Ording, anno 2016)

post scriptum: Ich habe die wunderbar vorbereitete Gelegenheit dann nicht genutzt, um den breit angekündigten satirischen Vortrag zu halten, sondern bin ein einziges Mal in diesem Leben ernst geblieben und habe von der Horizonterweiterung berichtet, die ich in jenen zwei Jahren am Gemeinschaftsschulteil erfahren durfte.
Ich habe ein wenig allegorisiert mit der Theorie vom Schwarzen Loch, was den ebenfalls anwesenden Physikkollegen sehr gefreut hat. Das Schwarze Loch ist ein mittlerweile nachgewiesenes Objekt im Weltraum. Seine Masse ist unglaublich groß, daher hat es eine unglaublich hohe Gravitation. Man kann ja mal die Masse der Erde und ihre Gravitation betrachten; die Gravitation/Anziehung eines Schwarzen Lochs ist so hoch, dass ihr nichts entkommen kann, nicht einmal Lichtpartikel. Daher erscheint es als schwarz. Man kann erahnen, wie groß die Masse des Objektes sein muss, der alles hinzugefügt wird, was den sogenannten "Ereignishorizont" überschreitet und damit kontinuierlich vom Zentrum und der dort vermuteten "Singularität" angezogen wird. Was also wissen wir über Schwarze Löcher?

1) Niemand weiß, was hinter dem Ereignishorizont liegt.
2) Niemand weiß, was genau in der Mitte passiert.
3) Niemand war je dort und kehrte zurück, um davon zu berichten.
4) Da fliegt alles Mögliche rein.
5) Womöglich liegt dort der Schlüssel zum Erforschen der Gravitation. = eine große Erkenntnis 

Diese Punkte werden im Film "Interstellar" sehr anschaulich und wissenschaftlich akkurat abgehandelt. Und ich habe sie übertragen - daher allegorisiert - auf den Gemeinschaftsschulteil in St.Peter-Ording:

1) Jeder weiß, dass es ihn gibt.
2) Niemand weiß, was genau dort passiert.
3) Da kommen alle möglichen Schüler hin.
4) Man hört nicht viel Gutes und hat daher Angst davor, niemand will sich ihm nähern.
5) Niemand (keine Lehrkraft) ist von dort zurückgekehrt und konnte Gewinnbringendes berichten (andere Springerlehrkräfte scheinen es als Horror-Erfahrung beschrieben zu haben).
6) Womöglich kann man dort eine ganze Menge lernen.

Und so habe ich meine Arbeit dort mit dem Erforschen des Schwarzen Lochs verglichen. Denn sicherlich war es harte Arbeit. Physisch und psychisch wesentlich anstrengender als Alles am Gymnasialteil, und das trotz des "SPO-Paradigmas", das seeeeeeehr viel möglich gemacht hat, was umso unmöglicher wird, je näher eine Schule an Kiel liegt.
Viel ist schiefgegangen und viele Rückschläge habe ich eingesteckt. Aber ich habe unglaublich viel gelernt durch diese Arbeit. Über das Menschsein, über das Kindsein, über Zusammenarbeit, über Vertrauen, über Kommunikation, über "echte" Pädagogik und über mich selbst. 

Und deswegen habe ich den eher ernsthaften Tenor meiner Abschiedsworte in SPO dazu genutzt, um mich bei allen Beteiligten, die von beiden Schulteilen gekommen waren, zu bedanken, mit den ihnen gebührenden Worten, für diese tolle Erfahrung. Und um den Kollegen des Gymnasialteils vorzuschlagen, dass sie selbst diesen Versuch einmal wagen, in der Hoffnung, dass sie vielleicht eine ähnlich ertragreiche Erfahrung machen können wie ich.

Ich vermisse die Schule und alle am Schulleben Beteiligten wirklich unbeschreiblich.
Bisher habe ich so etwas leider noch nicht wieder erleben dürfen. 

post PS scriptum: "Er ist einer von ihnen" wurde an meiner Husumer Schule *gegen* mich verwendet. Könnt Ihr Euch mal einigen, ob das etwas Positives oder Negatives ist? Lässt Rückschlüsse auf die Schulleitung zu... 

Case in point: Never judge a book by its cover.

Dienstag, 28. März 2017

Ein Freak macht Urlaub


Ich muss mich in dieser Phase auf andere Gedanken bringen. Also denke ich an einen aufregenden Urlaub.

Dr Hilarius ist ein Freak. Er liebt Freizeitparks. Er liebt Achterbahnen. Höher, schneller, weiter, immer sucht er den Adrenalinkick. Wenn er Urlaub macht, dann in einem Freizeitpark. Hansa-Park, Heide Park, Europa Park, Phantasialand - und wenn möglich, darf es auch um die Welt gehen, denn das ist ein Teil seines Plans im Leben.

Und so ging es dann 2011 in die USA. Da gibt es so viel zu sehen: die Golden Gate Bridge, die Freiheitsstatue, Death Valley, den Grand Canyon, Yosemite National Park, die Bayous - aber nichts davon reizt ihn. Seine Ziele heißen Busch Gardens, Six Flags Magic Mountain, Cedar Point  - und eines Tages hieß das Ziel Kings Island in Ohio. Sein erstes Mal in einem amerikanischen Freizeitpark.

"Was soll da schon anders sein, Achterbahnen kannst du hier auch fahren", sagt Öle, die Nöle. Unwissend, dass sich Freizeitparks in den USA anders anfühlen. Es ist nicht nur, dass die Achterbahnen dort extremer sind. Dass die Menschen wesentlich mehr abkönnen und auch suchen als bei uns in Deutschland, wo man sich nur in Ausnahmefällen über die 100 km/h traut, wo man die Achterbahnen lieber noch etwas weiter runterbremst, damit sie familientauglich bleiben, nicht wahr, Silver Star? Es ist auch das Lebensgefühl. Dort schließen die Parks nicht um 18 Uhr, sondern gerne mal um 10 p.m. - 22 Uhr, weit nach Sonnenuntergang, so dass man mitten im Sommer den Park noch in einer ganz anderen Atmosphäre erleben kann. Wer einmal im Dunkeln in einem Freizeitpark war, weiß, was das bedeutet. Es ist auch die Freundlichkeit der Menschen, von der wir Deutschen nur träumen können. Niemand drängelt, es gibt kein line jumping, man nimmt aufeinander Rücksicht. Es ist auch das Talent für den Betrieb einer Achterbahnstation - mit passender Musik und jede Station hat ihren eigenen DJ, der mit flotten Sprüchen die Leute bei Laune hält. Applaudieren am Ende einer Fahrt ist dort Gang und Gäbe, hier in DE für viele immer noch peinlich. Man weiß dort einfach, wie man Spaß hat, und man lässt sich mitreißen. War jedenfalls ein unvergessliches Erlebnis, hier nun als unausweichliches Video von damals. Warum dieser Song im Hintergrund läuft? Weil ich ihn damals unzählige Male in der Warteschlange von Diamondback gehört habe- weil ich unzählige Male mitgefahren bin - und ihn nicht mehr aus dem Ohr bekommen habe: All You Wanted - Michelle Branch.


post scriptum: Wer genau hinschaut und hinhört, merkt, wie bei 2:10 - als ein Achterbahnzug in einer abendlichen Szene den Bahnhof verlässt - die Leute durchdrehen, kreischen und winken. Das ist da normal. Die sind da so - und es macht Spaß! Und ein bisschen Nerd-Info - die letzte Bahn im Video ist The Beast  - seit mittlerweile siebenunddreißig Jahren die längste Holzachterbahn der Welt und echt unbeschreiblich gut. Nein, wäre das Erlebnis unbeschreiblich, hätte nicht jemand eine zwanzigseitige Abhandlung darüber geschrieben ^^

Montag, 27. März 2017

Das ist nicht Eure Ernst!

Sie ist Ernst, bitterer Ernst. Äh, Britta Ernst.

Doch, und es ist leider kein Tippfehler. Es ist unsere Ernst, unsere Bildungsministerin Britta Ernst, die mal wieder von sich reden macht. Es dürfte Vielen nicht unbekannt sein, dass am 07.05. der schleswig-holsteinische Landtag gewählt wird. Gäbe es also einen besseren Zeitpunkt für Wahlwerbung? Das mag Ernst sich gedacht haben und verschickte einen vierseitigen Brief an Schulen und Schulräte im Land, in dem sie die hervorragenden Leistungen des Bildungsministeriums herausstrich, dabei auf das Wahlprogramm der SPD und im Vergleich dazu auf das der CDU verwies.

Wie es sich gehört, hat die Opposition losgepoltert und eine Missbilligung ausgesprochen - die Koalitionspartner B90/Grüne und SSW distanzieren sich von dem Schreiben, das man, so SPDStegner, "anders hätte formulieren können".

Ich bekomme immer wieder einen Hals, wenn ich Frau Ernst sich ihrer Erfolge brüsten sehe und ich bedenke, dass ich in vier Monaten wieder arbeitslos bin - und damit nicht der einzige Junglehrer im Land bin, der auf irgendeinen Vertrag hofft. In vier Wochen muss ich mich wieder beim Arbeitsamt arbeitssuchend melden. Ich darf mich nicht aufregen. Der Blutdruck.

Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir endlich mal wieder ein kompetentes und ehrliches Bildungsministerium bekommen. "Nach der Wende kam die Ernst", das klingt schon wie eine schulpolitische Bankrotterklärung.

KN-Artikel
SHZ-Artikel

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Tranxilium Tabs (Clorazepat)

Gestern ging das los, da habe ich es zum ersten Mal gespürt - dass langsam die Aufregung vor der Operation steigt. Und das, obwohl ich alles Mögliche versuche, um mich zu beruhigen - in allen Meditationen bin ich die OP mehrfach durchgegangen, ich versuche mir Antworten auf alle offenen Fragen zu holen und eigentlich ist es ja auch nichts Lebensbedrohliches.

So habe ich mir auch heute früh in der Klinik wieder Antworten abgeholt. Aber trotz allem: Ein bisschen Angst ist da, ein bisschen Aufregung, ein bisschen wünschen, dass es vorbei ist. Und ich war eigentlich so weit, dass ich dachte, ich bräuchte am Vorabend nix, um meine Gedanken runterzufahren und gut zu schlafen. Aber ich merke, dass ich sehr dankbar dafür sein werde. Scheiß Hochbegabung, die mich oft vor lauter Gedanken nicht einschlafen lässt. Und was soll denn überhaupt bei der OP passieren? Außer durchtrennte Nerven, Sehnen, Thrombose, chronische Schmerzen, Entzündungen... ja, ich weiß, so darf man nicht denken. Aber die Ärzte müssen einen ja vorher auch über die Risiken aufklären und dann hat man wieder Alles direkt vor Augen.

In den letzten Tagen habe ich öfters nicht mal dran gedacht, einen Blogeintrag zu schreiben. Das ist halt so in den intensiven Denkphasen, das habe ich irgendwie auch meiner Mutter erklären müssen - weil ich mich dann oft sehr lange nicht bei ihr melde und sie sich natürlich Sorgen macht. Morgen bin ich nochmal einen Tag in der Schule, aber es wird mir verdammt schwer fallen, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Ist blöd, wenn die Schüler das mitbekommen. Meistens bekommen sie es nicht mit. Aber sie bekommen es ab.

Zum Glück gibt es Anxiolytika - angstlösende Medikamente, so wie das oben abgebildete Clorazepat. Leider haben Benzodiazepine unter den missbrauchsfähigen Substanzen eines der höchsten Abhängigkeitspotentiale und der Entzug ist grausam und langwierig (das sog. Ashton-Manual sieht ein monatelanges Abdosieren vor). Umso glücklicher bin ich, dass diese Medis mich nicht zum Missbrauch reizen, sondern nur für den therapeutischen Nutzen interessant sind. Und der kann wirklich Vieles einfacher machen. Clorazepat ist ein sogenanntes Prodrug, dessen Hauptwirkung sich erst durch seine Metaboliten (Stoffwechselprodukte) entfaltet. Das hat den Vorteil, dass man abends eine Tablette nehmen kann, die Wirkung etwas verzögert einsetzt und hauptsächlich am Folgetag zu spüren ist. Es nimmt einem die Angst auf dem Weg zur OP, nur sollte man sich nicht mehr hinter's Steuer setzen.

Ah, Auto-Gedankenexkurs: Genau aus diesem Grund hatte ich mal angefragt, ob Er mich in die Klinik fahren könnte. Nicht uneigennützig: So hätten wir einen legitimen Grund, dass wir uns endlich mal wiedersehen können. Aber daraus wird leider nix, ich erfahre u.U. erst morgen nachmittag die genaue Uhrzeit der OP. Und so lange will ich ihn nicht auf die Folter spannen, Er würde das ja gern planen können. Schade drum. Zurück zu den Benzos.

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Okay, zugegeben, bis hierhin hatte ich den Beitrag schon am Sonntag geschrieben, weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass es noch irgendwelche Änderungen gibt. Ist nun aber doch so, weil der Chefarzt die OP durchführen wird (was sie normalerweise nur bei Privatpatienten machen, wie sie mir unverhohlen erklärt haben) - und der hat sich das Ganze heute nochmal angeschaut und mit mir alle Möglichkeiten sondiert. Und daraus ergibt sich, dass eine kompliziertere OP ansteht als geplant und erst Mittwoch in einer Woche. Und Aufklärung und Vertrag müssen überarbeitet werden.

Immerhin das Bild oben im Thread kann ich stehenlassen, denn ich habe auch diesmal wieder Clorazepat für den Vorabend bekommen. Das beruhigt, denn da weiß ich, dass ich nicht panisch zu dieser OP gehe. Bleibt nur noch die Frage der Schmerzmittel, das könnte etwas umständlicher werden, schauen wir mal. Und dann kann es noch eine Weile länger dauern, bis ich wieder einsatzbereit bin. Egal, das wird jetzt versucht.

Und an dieser Stelle vielleicht eine kleine Aufmunterung an alle da draußen, die auch Angst vor Operationen haben - oder auch Angst vor einer Zahnbehandlung - diese Angst lässt sich abstellen. Man muss da keinen tapferen Helden spielen, Benzodiazepine sind (unter anderem) genau für diesen Zweck als Medikament zugelassen.

Mother's Little Helper...

Freitag, 24. März 2017

Kindkontakt!

Sowas ist doch nicht normal!

Ich tu' mich ja durchaus mal schwer mit dem Thema Körperkontakt. Das Mutterschiff weiß da eine Geschichte eines Sommerfestes zu erzählen, wo sie abendlich mit Wein angeschwipst - und es war kühl - näher an mich rangerutscht ist und das war mir ziemlich unangenehm. Und sie wusste auch, dass ich mich mit ihrem kleinen Sonnenscheinchen schwer tun würde und dass ich ein bisschen besorgt war, ich würde ihr zu nahe treten, weil ich die Kleine nicht auf den Arm würde nehmen wollen.

Oder diese Anekdote, als ich bei Pizza World in der Olshausenstraße gesessen habe - meine damalige Mitbewohnerin hat während ihres Studiums dort gejobbt, ich habe auf ihr Schichtende gewartet und wir wollten zusammen nach Hause gehen. Und dann werde ich von dem Mann rechts neben mir angesprochen, sorry, aber ich bin gerade nicht in Redestimmung, aber er redet nicht nur weiter, sondern rutscht näher an mich heran. Und ich blicke nach links und sehe die Ecke der Sitzbank näherkommen. Und dann legt er ohne Vorwarnung seine Hand auf mein Bein (Spül-Buba liest das laut). Kann ich nicht haben, wirklich nicht, nicht anfassen.

Und auch Er weiß um diesen Umstand, auch wenn es ihm erst gen Ende bewusst geworden ist; ich nehme Menschen nicht so gern und oft in den Arm. Bei ihm hat es mich allerdings nie gestört, das habe ich schon damals in Husum gemerkt - im Gegenteil, ich fand es immer schön, ihn im Arm zu halten. Wenngleich es für ihn anfangs noch etwas ungewohnt war, dass zwei Jungs sich zur Begrüßung in den Arm nehmen, so hat er sich daran auch gewöhnt. Und mittlerweile möchte es wohl keiner von uns mehr missen. Allerdings habe ich ihm erst kurz vor Funkstille erklärt, dass das für mich nichts Alltägliches ist- eben weil ich es nicht so mit dem Körperkontakt habe. Und dass es bei ihm eine Ausnahme ist, deren Grund sich jeder selbst denken möge (ich habe es ihm aber zur Sicherheit nochmal explizit gesagt, filum longum und so).

Gestern wurde es dann aufregend. Aus den Rocky-Baby-Mountains ist ja inzwischen ein havariertes Mutterschiff geworden - wobei das die mountains so verharmlost: Der derzeitige Zustand erinnert an das Ergebnis schwungvoll aufeinander zudriftender Kontinentalplatten, Dr Hilarius, kannst Du Dich bitte noch komplizierter ausdrücken? Das versteht doch kein Mensch mehr! Dabei wollte ich einfach nur aussagen, dass mittlerweile ein komplettes Tafelbild auf ihrem Dekolleté Platz hat, danke auch an Jan für lustige Kommentare!

Ich besuche sie also, alles routiniert-schön-plauderig, aber weil die kleine nukleare Katastrophe mit dem goldigen Lächeln das Stillen dann doch irgendwie zum Kotzen fand, musste die RMS Sannitanic sich erstmal umziehen (kreatives Erbrechen hier gerade, hey Stegauf, hamwa drüba gesprochen, wa?). Das bedeutet: Ich für einen Moment allein mit dem Kind.

Niemand sonst.

Huch, es schaut mich an! Soll ich etwas sagen? Soll ich winken? Soll ich lächeln? Das bewegt sich ja! Was mache ich denn jetzt. Oh, es schaut auf meine Fingernägel. Ich strahle es an und zeige den schwarzen Nagellack, WHAAAAAAAAAAAHHHHHTTTTT! Das Ding greift nach meinem Finger! Körperkontakt, Kindkontakt, was passiert hier, jetzt wird es bestimmt krank, ich hab es kaputt gemacht.

Nein, im Gegenteil, es lächelt und gluckst und ich strahle und merke - Hey, so schlimm ist es ja gar nicht! Also einmal anfassen ist schon okay, und kann ich mit dem Ding reden? Das hört ja, was ich hier jetzt sage, oder? Hilfe, ich hab' das noch nie gemacht, was tue ich hier gerade, aber da kommt die Sannitanic zurückgekentert und wir bereiten alles vor für einen Gang an die Sonne und frische Luft.

Wieder ein Gefühl, das ich nur ganz schwer beschreiben kann. Kind. Und glücklich, dass es auf mich reagiert. Das muss erstmal verarbeitet werden. Ein schönes Gefühl, und dabei dachte ich immer, dass ich das vielleicht gar nicht so mag. Ich freue mich unbeschreiblich für die Sannitanic samt Vater über ihre kleine Familie!

Donnerstag, 23. März 2017

James Bond - immer einsatzbereit

Bei dem Namen James Bond musste ich an dieses Foto denken - wir hatten dabei eine Menge Spaß ;-)

Ich liebe es, mir Horrorszenarien auszumalen. Nehmen wir mal Folgendes: Da hat einer - wir brauchen einen Namen. James Bond. James Bond hat gerade seinen Master-Abschluss an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gemacht. Er hat Englisch und Sport studiert, und so sieht er auch aus - das ist eine Feststellung, kein Lästern ;-) James ist extrem freundlich, hat ein sonniges Gemüt und eigentlich immer ein Lächeln im Gesicht.

James ist der reinste Fachwissenschaftler, hat sich mit englischer Literatur und Linguistik auseinandergesetzt, kennt jegliche Prinzipien der Sporttheorie und ist mit Stephen Greenblatt vertraut. Er hat einen ordentlichen Abschluss hingelegt, ist jetzt belesen und sportlich ausgebildet.

Zeit für ein wenig Realität.

James wird zum Nulltsemester an einer Gemeinschaftsschule. Mit einem Angestelltenvertrag des Landes, befristet natürlich, stellt er für Britta Ernst und ihr Bildungsministerium eine wunderbare Möglichkeit dar, Unterrichtsausfall zu vermeiden, flexibel und viel kostengünstiger als ein verbeamteter Kollege. Als fliegende Vertretung kann er jederzeit jegliche Klassenstufe in jeglichem Fachunterricht vertreten - zum Glück hat die Schule Filmräume und eine Gelegenheit für die Kinder, Brettspiele zu spielen. Aber es kommt noch besser!

Denn James Bond bekommt einen I-Kurs. Wir erinnern uns, dass es einige Schüler gibt, die von Mutter Natur mit etwas weniger Intelligenz bedacht wurden. Das ist vollkommen okay, so wie jeder Mensch vollkommen okay ist. Diese I-Kinder brauchen besondere Zuwendung. Man spricht vom zieldifferenten Unterrichten, sie nehmen alle zusammen am Unterricht teil, aber die kleinen Kläuschens brauchen vor allem Eines: erfahrene Pädagogen. Menschen, die das kennen. Die wissen, wie man mit I-Schülern arbeitet.

Für James Bond ist das alles neu, er kommt gerade aus seiner Examenswolke über den postmodernen amerikanischen Roman herabgeschwoben und freut sich schon darauf, mit Schülern über die Generation X zu philosophieren - auf Englisch, versteht sich. Doch daraus wird nichts, denn ein langsamer Englischkurs in 7 (äußere Differenzierung) ist eben kein Sprachprofil mit Profilfach Englisch, wo es vor leistungswilligen Schülern nur so wimmelt - das sind diese Kurse, in denen man einen stummen Impuls an die Tafel klatscht und die Schüler gestalten sich die folgenden neunzig Minuten selbständig.

Sorry, James Bond, aber solch' einen Kurs hast Du leider nicht. Du hast eine ganz kleine Runde, elf Schüler sitzen da und schauen Dich verträumt an, weil Du in ihren Augen einfach niedlich bist und sie verstehen kein Wort Deiner englischen Begrüßung, aber immerhin schiebst Du es auf Deutsch noch einmal hinterher. Okay, Du merkst, Du musst es ein wenig herunterbrechen. Shakespeare wird es wohl nicht, und auch keine Postmoderne. Aber das macht ja nichts, wir können ja auch schöne Bildbeschreibungen zusammen auf Englisch machen!

James Bond, ich fürchte, Du überschätzt Deine lieben Schüler, die kaum einen englischen Satz zustande bringen, die eine Blockade haben, fast schon Angst, etwas Englisches zu sagen. Du realisierst, dass für diesen Kurs Unterrichtssprache Deutsch gilt. Und Du realisierst, dass da noch jemand in Deinem Klassenraum sitzt: Eine Förderlehrkraft, speziell ausgebildet für diese Kinder mit besonderen Bedarfen. Du lernst, Dich mit ihr kurzzuschließen, damit bei den Kindern ein Licht angeht.

Es ist ein hartes Jahr für James Bond. Britta Ernst bekommt davon natürlich nichts mit, das Einzige, was Britta Ernst davon mitbekommt, ist: "Wie wunderbar, wir haben fast eine fünfundneunzigprozentige Unterrichtsversorgung. Das liegt daran, dass unser Bildungskonzept aufgeht!" Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte.

Es ist ein verdammt hartes Jahr für James Bond, aber: Es entlohnt ihn in einem Umfang, wie es ein "einfaches" Gymnasialjahr nicht könnte. Er erweitert seinen Horizont, er lernt Schüler kennen, die nicht hochintelligent sind. Er lernt Vielfalt kennen. Er lernt, zu differenzieren. Er lernt, dass diese I-Kinder keine armen Schweine sind, im Gegenteil, und er lernt, sich ihnen zuzuwenden. Er lernt Menschlichkeit kennen, und seine Kiddies lieben ihn.

Ich habe Respekt vor Dir, James Bond!

post scriptum: Und wer es noch nicht mitbekommen hat, mit diesem Beitrag möchte ich wettern gegen eine Tendenz, junge, unerfahrene Lehrkräfte auf anspruchsvolle Lerngruppen anzusetzen, damit man selbst seine Ruhe hat.

Mittwoch, 22. März 2017

Bewegender Tag


Ich erzähle von einem interessanten Mittwoch, und wieder einmal wird der Hochbegabungsfilter über allem schweben. Und angefangen hat alles mit einer Postankündigung.

Heute vormittag sollte mich eine sehr wichtige Lieferung per Nachnahme erreichen und ich musste irgendwie sicherstellen, dass die Annahme abgewickelt werden kann. Also frage ich Dschennewjähf (Du hast mich darauf gebracht ^^) von zwei Etagen tiefer, sie müsste doch noch Semesterferien... oder... nein, shit, leider nicht, sie ist ab Vormittag aus dem Haus. Ich brauche einen Plan!

Das dachte ich dann gestern Abend. Ein Plan muss her, tausende Gedankenzüge rasen durch meinen Kopf, wie komme ich an diese Post? Scheiße, wo ist diese verdammte CD mit den Vorschlägen zur Leistungsmessung, ich soll doch morgen in allen Lerngruppen Tests schreiben lassen und einer ist noch nicht vorbereitet - die lag doch immer hier auf dem Boden, was mache ich jetzt nur? Keine Test-CD, keine Post, so ein Scheiß, ich geh' ins Bett und stell' mir den Wecker auf fünf Uhr, ich kann schnell denken, mir fällt schon was ein. Manchmal hat die Hochbegabung ihre Vorteile.

Mittwoch früh, Wecker klingelt und mir kommt die Idee: Im Friseursalon von Frau Kliewer und Frau Baumgart unten ist immer irgendjemand! Mist, es ist jetzt kurz nach fünf, ich muss um halb sieben los, damit ich noch genügend Zeit habe, die Tests zu kopieren. Um halb sieben ist beim Friseur noch nichts los. Okay, denken, denken, denken... ich renne runter zur Sparkasse und hole das Geld für die Nachnahme, ich stecke die Geldscheine in einen Briefumschlag, klebe ihn bei Frau Kliewer an den Türrahmen, wird schon klappen (nächstes Mal aber doch besser in den Briefschlitz!), schreibe einen Brief für Frau Kliewer mit der Bitte/Vollmacht, die Nachnahme anzunehmen. Wie kann ich sicherstellen, dass sie den Zettel auch wirklich rechtzeitig sieht? Alles klar, ich klebe ihn einfach direkt an die Ladentür, Geld klebt, Zettel klebt, jetzt nur noch einen Brief für den Postboten, den ich neben der Klingel an die Wand pappe. Alles präpariert, ich fühle mich, als hätte ich das Haus verwanzt oder vermint. Nach mir die Sintflut, ich werfe meine Sachen ins Auto und rase gen NMS.

Ja. Heute, nach wochenlanger 100-km/h-Fahrerei, düse ich mit hundertsechzig über die Autobahn, ich muss diese Tests noch zusammenschnippeln, und hoffentlich steht im Fachschaftsfach noch eine weitere Leistungsmessungs-CD, und im Kopf überlege ich gleichzeitig, ob der Friseur-Plan aufgeht.

Sonnenaufgang, ich rolle auf den leeren Parkplatz an der Plöner Straße, stelle mich schon wieder abfahrbereit hin und gehe zügig Richtung Stützpunkt, da ist das Fachschaftsfach, da stehen ganz viele CDs, bittebittebitte lass' sie dabei sein... Hörbeispiele, Digitaler Unterrichtsassistent, Action!UK-DVD, JAAAAAA, da steht sie, "Leistungsmessung... Klasse 7" - scheiße, ich brauche Klasse 5... aber jemand hat Erbarmen mit mir, da steht sie und zum ersten Mal seit Dienstagabend kann ich etwas entspannt durchatmen.

Die nächsten Tagespunkte laufen so, wie sie sollen, alle drei Tests werden geschrieben, drei Stapel Korrekturen zusätzlich zu den zweien, die zuhause noch warten, da habe ich eine Beschäftigung, wenn ich nach der OP mich zuhause schonen muss. Und die Tests waren auch bewegend, da flossen Tränen, da gab es einen Täuschungsversuch, da war ich SO froh, dass ich ein wenig Unterstützung hatte durch Frau Stegauf... ne warte, Steigauf, oder Stehauf? Das kann sich doch kein Mensch merken (und sie liest das jetzt und kichert ein bisschen) - doppelte Aufsichtsführung kann manchmal notwendig sein.

Dann sind die sechs Stunden endlich um. Endlich. Noch ein wenig Schülerberatung geleistet (in Brachenfeld darf ich das, in Husum durfte ich das irgendwann nicht mehr), ab an den Rechner im Stützpunkt, Sendungsverfolgung, na super, "Ihre Lieferung konnte nicht..." - ZUGESTELLT AN NACHBARN! Wie geil, es hat geklappt! Ein zweites Mal atme ich durch, diesmal noch tiefer, noch entspannter. Endlich sind alle Pläne aufgegangen. Endlich kann der Tag sich so entfalten, wie ich es mir gewünscht habe.

Es versteht sich von selbst, dass die heutige Meditation unglaublich positiv verlaufen ist - es gab allerdings wirklich viel zu verarbeiten. Und das kostet Zeit - aber die nehme ich mir, das muss sein. Hochbegabte brauchen Zeit zum Denken.

Und dieser Tag war auch auf eine andere Art bewegend, denn ich habe ein neues Paar Schuhe bekommen, zusätzlich mit der oben beschriebenen Lieferung. Meine alten Turnschuhe waren nach zehn Jahren komplett aufgelaufen, die Sohle nur noch zur Hälfte vorhanden und diese Hälfte hing herunter, gammelig, jeder normale Mensch würde diese Schuhe nicht mehr tragen. Aber hier kommt Dr Hilarius: Warum soll ich mir neue Schuhe kaufen? Die alten tun es doch noch, sie funktionieren doch noch, ich hab' jetzt wirklich andere Sorgen, und so habe ich die Schuhbestellung immer weiter vor mir hergeschoben. Ich glaube, das könnte ein Hochbegabten-Ding sein.

Und damit wäre auch das Foto erklärt.

Dienstag, 21. März 2017

Kreidestaub und Prioritäten


Wer? - Dr Hilarius und eine Kollegin
Wo? - GemS Neumünster-Brachenfeld, Stützpunkt Sprachen
Wann? - Heute um 13:23 Uhr

Was? - Ich bin fröhlich dabei, VERA zu korrigieren, um die Zeit bis zur Fachgruppensitzung totzuschlagen, als jene Kollegin etwas entnervt hereinkommt und sich den Kreidestaub von ihrem schwarzen Rock und ihrem schwarzen Oberteil abklopft. "Ich weiß nicht, wie du das immer machst, Dr Hilarius, mit den schwarzen Klamotten. Man sieht überall die Kreide, das muss doch nervig sein, das immer abzuklopfen!"

Ich habe damit überhaupt keine Probleme, und das rührt daher, dass ich mich nicht so sehr um mein Äußeres schere. Schwarz muss es sein und fertig. Und da ich Lehrer bin, ist es vollkommen selbstverständlich, dass ich keinen Tag ohne Kreideflecken überstehe. Aber wo ist denn überhaupt das Problem?

"Naja, dann machen sich die Schüler darüber lustig, und so will man doch nicht herumlaufen und ich finde das dann auch nicht mehr adrett." - Like I care!

Ich muss nicht perfekt aussehen, ich setze andere Prioritäten. Es ist mir ziemlich egal, wieviel Kreide sich auf meiner Kleidung verteilt, wenn es ein Beweis dafür ist, dass wir sinnvoll in der Stunde gearbeitet haben. Im Gegenteil, ich bin sogar ein bisschen "stolz" auf die Kreideflecken; es signalisiert mir selbst, dass ich etwas gemacht habe und vor allem lässt es mich authentisch erscheinen. Das wiederum ist mir sehr wichtig: Ich möchte, dass die Schüler wissen, wen sie da vor sich haben. Und dass der sich nicht verstellt.

Und ich versuche auch, die Kreideflecken pädagogisch sinnvoll zu nutzen: "Wo ist denn das Problem, liebe Leute? Ich bin immer noch Dr Hilarius, ihr habt immer noch Spaß am Unterricht - ist es euch so wichtig, dass ihr perfekt ausseht? Tut mir leid, das kann ich nicht nachvollziehen. Ich finde andere Dinge wichtiger."

Case in point: Nieder mit der Oberflächlichkeit!

Samstag, 18. März 2017

Das Lächeln

Okay, dieses Lächeln ist creepy...

Man findet diverse literarische Kleinode im Internet zum Wert eines Lächelns - dass es das Günstigste sei, was wir einem Menschen schenken können, und wie wertvoll es gleichzeitig sei. Ich würde diese Theorie gern mit ein, zwei eigenen Erfahrungen unterfüttern.

Besonders ist es mir im Laufe der vergangenen Jahre bewusst geworden, wenn ich in der Meditation war. In diesen sechzig bis neunzig Minuten liege ich normalerweise vollkommen regungslos da, mit einem nichtssagenden Gesichtsausdruck, einfach möglichst entspannt und still. Manchmal merke ich allerdings, wie die Stimmung sich während der Meditation bessert - oder manchmal sind es einfach nur positive Gedanken, witzige Überlegungen, und ich fange an zu grinsen. Ohne dass es jemand bemerken würde. Ich selbst spüre allerdings direkt die Konsequenzen: Wenn die Gesichtsmuskeln betätigt werden, die für ein Lächeln nötig sind, werden Glückshormone ausgeschüttet. Manchmal kann ich eine volle Stunde regungslos und ausgeglichen in der Meditation gelegen haben, danach fange ich an, zu lächeln und merke, wie die Stimmung dabei steigt. Man kann sich quasi glücklich lächeln, und das war für mich eine sehr wertvolle Erfahrung.

Aber auch Andere können davon profitieren: Wir haben öfters darüber gesprochen, warum Er immer wieder zu mir gekommen ist, auch wenn es so viele Umstände mit sich gebracht hat. Und eine seiner Antworten war das Lächeln: "Wenn ich bei dir durch die Haustür komme und von dir angestrahlt werde, dann geht's mir auch gleich viel besser, und das ist immer wieder toll." In der Tat, nicht selten ist Er damals aus einer nervigen, stressigen Privatsituation heraus für das Wochenende nach Husum gekommen und das Lächeln zur Begrüßung hat ihn das alles beiseite räumen lassen. Natürlich, manchmal wurden dadurch Sachen verdrängt, über die wir lieber hätten reden sollen, aber ich war damals ganz glücklich darüber, dass Er so gern zu mir kommt.

Allerdings kann das Lächeln auch eine Schattenseite haben, wenn es einem nämlich negativ ausgelegt wird. So war ich im Referendariat nicht glücklich, achtzehn Monate lang, habe aber versucht - wie man das als professioneller Lehrer machen sollte, denke ich - das nicht an meinen Schülern auszulassen. Im Gegenteil, ich war bemüht, in der Schule freundlich zu sein und jedem mit einem Lächeln zu begegnen, und das hat die meiste Zeit über auch geklappt. Ich dachte, dass ich damit etwas Gutes tue.

Im Gespräch mit meiner Schulleiterin wurde mir das Lächeln allerdings zur Last gelegt: Ich sei arrogant und überheblich durch die Schule gegangen, unangenehm selbstsicher, wie es hieß. Meine Wahrnehmung, in der ich das Referendariat als sehr unangenehm empfunden habe und darunter gelitten habe, wurde mir als "reichlich unglaubwürdig" ausgelegt und somit ignoriert: "Sie sind immer mit einem Lächeln durch die Schule gegangen, ich nehme ihnen das nicht ab, dass sie im Referendariat irgendwie gelitten hätten."

Für mich war in dem Moment die Sache gegessen, denn spätestens in jenem Moment wusste ich, was mir da für ein Mensch gegenüber sitzt und ich wusste, wie ich damit umzugehen hatte. Aber ich war wütend und reichlich hilflos, als hätte man mir den Boden unter den Füßen weggezogen, dass mein so gut gemeintes Lächeln, meine ansteckende Fröhlichkeit auf diese Weise gegen mich verwendet werden würde.

Und dennoch.

Ich bewahre mir das Lächeln. Denn unter dem Strich bleibt mehr Positives als Negatives übrig. Und ich halte es weiterhin mit Buddha:

Lächle und die Welt verändert sich.

Freitag, 17. März 2017

VERA, my love


Schade, mir hat der gestrige Beitrag so viel Spaß gemacht, weil ich mich so herrlich über Donald Trump aufregen kann, aber er hat verhältnismäßig wenig Klicks bekommen. Für mich als Hochbegabten ist es spannend, im Kopf die ganzen einflussgebenden Faktoren tanzen zu lassen und sie gegeneinander abzuwägen - woran mag die niedrige Klickzahl gelegen haben?

Whatever, heute habe ich in einer Klasse eine Vergleichsarbeit (VERA) im Fach Englisch schreiben lassen. Wer schon im Beruf ist, kennt das Prinzip: Alle Schüler einer Jahrgangsstufe (in der Regel 3, 6 und 8) schreiben die gleiche Arbeit, quer durch Schleswig-Holstein, und zwar in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathe.

Vielen Lehrern ist VERA ein Dorn im Auge, denn diese Vergleichsarbeiten bedeuten Aufwand. Damit meine ich nicht, dass man aus seiner regulären Stoffprogression aussteigt und Zeit aufwenden muss, um für VERA zu üben - denn das ist nicht zielführend, ich werde das unten noch genauer erläutern. Es ist aufwendig, eine Doppelstunde zu blocken, denn diese Arbeiten haben eine Bearbeitungszeit von sechzig bis achtzig Minuten. Es ist aufwendig, die Arbeiten zu korrigieren - dabei sollen sie nicht korrigiert werden, sondern es werden ausschließlich Punkte gezählt. Das kann eine Weile dauern, wenn man da sechsundzwanzig Testhefte mit jeweils sechsundzwanzig Seiten Umfang zu liegen hat. Es ist aufwendig, die Ergebnisse in das Online-System einzutragen - jede einzelne Aufgabe jedes einzelnen Schülers, das dauert. Und die Arbeit darf noch nichtmal als Ersatzleistung für einen regulären Leistungsnachweis verwendet werden.

Ich verüble es niemandem, wenn er deswegen VERA nicht mag. Und versucht, sich darum zu drücken: Nicht alle VERAs sind verbindlich, Vieles ist freiwillig. So war VERA 6 Englisch freiwillig, und unter den sechs sechsten Klassen war ich die einzige Lehrkraft, die mitgemacht hat. Wie gesagt, ich nehme es niemandem krumm, dass er sich diesen Arbeitsaufwand nicht antun möchte. Aber es lohnt sich!

Am Ende der Auswertungsphase erhält jede teilnehmende Lehrkraft umfangreiche Ergebnisse in digitaler Form. Es werden eine Menge Fragen beantwortet:

Wie schneidet meine Klasse im Vergleich zu anderen Klassen ab?
Wie ist der "Notenspiegel" bei einer objektiv gestellten und korrigierten Testung?
Wie schneidet meine Klasse ab im Vergleich mit dem, was im ESA bzw. MSA erwartet wird?
Wo liegen Stärken und Schwächen bei den Sprachfertigkeiten?

Jede Frage wird im Klassenverband beantwortet und jeder Schüler kann eine Einzelrückmeldung erhalten. Die Frage ist, was man als Lehrer daraus macht. Und deswegen erzähle ich, was ich mit meiner Klasse in St.Peter-Ording gemacht habe.

Die Klasse hat den üblichen Dr Hilarius-Effekt gezeigt: Laissez faire-Haltung, weil der Lehrer ja so cool und gechillt ist. Konsequenterweise rauschten die Noten in den Keller, wo 6 is'. Und vielleicht kennt der eine oder andere Leser das ja auch: Man versucht, an die Vernunft der Schüler zu appellieren, sie müssen mehr tun, um ihre Abschlüsse zu schaffen - nichts hilft. Auch nicht die 5 im Zeugnis.

Dann war es Zeit für VERA, damals in Klasse 8. Ich habe die Ergebnisse mit der Klasse am Smartboard in aller Ruhe besprochen. Und die Kiddies haben in Farbe, grafisch schön dargestellt, gesehen, wo ihre Leistungen liegen. Und da sind einige Münder aufgeklappt. Ja, ihr Lieben, da links, die gestrichelte Linie, da liegt ihr. Das bedeutet, dass zwei Drittel von euch nach dem aktuellen Stand der Dinge nicht einmal den Hauptschulabschluss schaffen. Macht euch das einmal klar! Leute, es wird jetzt Zeit, zu handeln, noch könnt Ihr das Ruder herumreißen. Der Schulabschluss wird euch nicht einfach hinterhergeschmissen (das Abitur ausgenommen), und wenn ihr euch nicht am Riemen reißt, dann steht ihr nächsten Sommer ohne Abschluss da, scheiße, und dann könnt ihr euch nicht mehr die geilen Klamotten kaufen und Justin Bieber-Konzerte besuchen, weil ihr kein Geld dafür habt. Weil ihr nämlich keinen Ausbildungsplatz bekommt, weil ihr nicht einmal den Hauptschulabschluss gepackt habt. Leute, ich sag' euch das jetzt seit Monaten, kriegt den Arsch endlich hoch - und jetzt seht ihr das mal vor euch. Im Vergleich zu den ESA-Anforderungen müsst ihr noch eine Schippe drauflegen. Ich helf' euch dabei, aber ihr müsst, verdammte Scheiße, mitmachen, lasst euch nicht weiter hängen!

Das hat wirklich geholfen, das war ein Weckruf für die Klasse (die ich bis heute ins Herz geschlossen habe) und sie sind aus dem Leistungssumpf gekommen. Weil sie endlich mal den Vergleich gesehen haben. Nicht nur das, was Dr Hilarius ihnen immer wieder gesagt hat, pffff, der kann alles Mögliche sagen - diesmal gab es eine Normreferenz. Und gerade die Objektivität ist die auffälligste Eigenschaft von VERA, gerade daher sollte man sich genau an die Durchführungsanleitung halten und vor allem nicht für VERA mit den Schülern üben. Es geht um eine Lernstandserhebung, um den status quo, nicht um die Frage, wie gut die Schüler sich auf eine Arbeit vorbereiten können.

Aus diesem Grund mag ich Vergleichsarbeiten. In den USA finden seit langer Zeit die Standard Aptitude Tests (SAT) statt, und wenngleich ich vor einigen Jahren noch ein Feind von Vergleichsarbeiten war und VERA für reine Schikane des IQSH gehalten hatte, so habe ich auch hier meine Meinung geändert.

Donnerstag, 16. März 2017

Röm Pöm Pöm

Dieses Foto sollte in den Wörterbüchern unter dem Begriff feist erscheinen...

Okay, die große Buba wird eine Weile darauf gewartet haben, dass ein Beitrag mal diesen Titel bekommt, und würde Er das lesen, freute Er sich sicherlich ebenso darüber. Viel Anderes geistert mir im Moment einfach nicht durch den Kopf, wenn ich in die Nachrichten schaue. Und mal wieder Trump sehe.

Das amerikanische Selbstbräuneropfer mit den Pommeshaaren und dem Temperament einer fallenden Tomate (platzt bei der kleinsten Berührung) muss die nächste Niederlage hinnehmen. Und dabei kommentiere ich gerade nicht den "Ersatz" für Obamacare, den sie schon seit Langem angepriesen haben und der vollkommener Schwachsinn ist [grandios, was eine Bekannte gepostet hat - man nennt es DonaldTrumpCare, oder kurz DonTCare]. Man könnte sich zum Beispiel fragen, warum gerade die vermögenderen US-Bürger mehr von der neuen Gesundheitsreform profitieren sollen - Trump gibt sich als eine Art Robin Hood in reverse - nicht, dass wir jemals etwas Anderes erwartet hätten von einem Kabinett, in dem eine Vetsy the Boss, ich meine natürlich Betsy DeVos Bildungsministerin wird.

Würden Sie dieser Frau die Erziehung Ihrer Kinder anvertrauen? Würden Sie ihr überhaupt irgendwas anvertrauen?

Nein nein, hier geht es mir um den neuen Einreisestopp. Den Begriff muslim ban wollte Trump ja schon beim ersten Durchgang nicht gelten lassen, obwohl es definitiv genau das war. Und nun das Ganze noch einmal, diesmal allerdings mit sechs Staaten, aus denen die Einreise geblockt wird. Und ich habe gehofft und darauf gewartet, und in Hawaii ging es dann los: Erneut hat ein Gericht entschieden, dass dieser Erlass gegen die amerikanische Verfassung ist, und diverse Bundesgerichte haben sich dem Urteil umgehend angeschlossen.

Tja, Mr Loser of the Popular Vote, scheiße, wenn man nur den reichen Klüngel und eine mittlerweile reuige Bevölkerungsschicht hinter sich hat(te), hm? Natürlich, Mimose, die er nun mal ist, zeigt Trump sich beleidigt, all das schade dem amerikanischen Image (as if...) und natürlich werde er vor den obersten Gerichtshof ziehen. Bei so einem Kindergarten fällt mir nur Eines ein:

Hack. Bra. Tönn. Mitten in's Gesicht.

Röm Pöm Pöm.

Oder aber der Wunsch nach Impeachment, nach einem Amtsenthebungsverfahren, um diesen Irrweg der amerikanischen Demokratie möglichst bald und möglichst unkompliziert zu beenden, um einen Rest des Ansehens der Staaten noch zu retten. Zum Glück werden Politiker wie Elizabeth Warren, Bernie Sanders oder Chuck Schumer nicht müde, Opposition zu beziehen, und ich hoffe, sie lassen sich durch den politischen Wahnsinn aus dem Weißen Haus auch weiterhin nicht davon abbringen.

Es ist einer der seltenen Momente in meinem Leben, in denen ich eine leckere Marzipantorte opfern würde, um sie - anstatt sie zu essen - Mr Trump ins Gesicht zu klatschen, damit ich diesen orangenen Wahnsinn nicht mehr ertragen muss. Das macht Kindern doch Angst!

Speaking of which: Ich habe meiner sechsten Klasse gerade das present perfect beigebracht, Aussagen, Verneinungen, Fragen. Und sie geben sich Mühe, manche von ihnen kämpfen mit der Grammatik, aber das, was sie da auf dem Papier zustande bringen, ist immer noch wesentlich sinnvoller als die Äußerungen eines Donald Trump, eines Sean Spicer (Melissa McCarthy hat bis zu ihrem Lebensende ausgesorgt) oder einer Kellyanne Conway - ich frage mich immer noch, welche Drogen sie konsumiert, um in einer derartigen Parallelwelt zu leben.

Ich hoffe nur, dass der Einreisebann nicht auch bald Deutschland als "signifikant von Muslimen geprägtes Land" betrifft. Ich trage mich immer noch mit dem Gedanken, irgendwann den amerikanischen Freizeitpark Cedar Point zu erobern. Zur Not muss ich dann eben mein Adolf Hitler-Kostüm raussuchen, das dürfte "un-muslimisch" genug sein.

post scriptum (extra für die verrückte Buba, damit sie mal wieder brupst): WANN habe ich eigentlich den Übergang unserer Welt in ein Glitzereinhorn-Paralleluniversum verpasst??? Da betrete ich den Supermarkt meiner Wahl, Heimat der Scannerkassen, und finde auf den ersten Warenmetern nur Einhornartikel! Einhornschokolade, Einhornbackmischung, Einhornpralinen, Einhornkekse, Einhornlikör (natürlich Erdbeer, weil pink) - und nicht als Gag *eines* Herstellers, sondern von unterschiedlichsten Marken! Wann haben diese Donuts scheißenden, Regenbogen pupsenden Pferdeäpfelmaschinen unsere Realität erobert? Don't believe me? Hier sind die Glitzerpralinen:

Geschmack wird dann heute Abend mal getestet. Everything to get my mind off of Mr Trump's escapades...
 

Mittwoch, 15. März 2017

Lingua...olet?


Ich habe nach dreijähriger Pause heute zum ersten Mal wieder Latein unterrichten dürfen. Die sechsten Klassen haben heute und morgen Schnuppertage, an denen sie in 90-Minuten-Blöcken Probeunterricht im Wahlpflichtbereich erhalten: Latein, Spanisch, Technik und derer mehr. Das Mutterschiff hat mir tolle Materialien zur Verfügung gestellt für eine solche Probestunde und so habe ich mir eine Klasse vorgeknöpft. Ich hatte die leise Befürchtung, dass die Materialien nicht für eine Doppelstunde reichen, also habe ich noch Caius ist ein Dummkopf von Henry Winterfeld mitgenommen - ich habe den Roman bisher mit jedem meiner Lateinkurse gelesen und auch nach zig Jahren kommt er noch gut an.

Doch zu dem Buch sollten wir gar nicht mehr kommen, denn die Schüler waren Feuer und Flamme für das Entdecken lateinischer Ursprünge in unserer Sprache; ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so viel Spaß daran haben! Großartige Voraussetzungen, und dann haben wir uns einen weiteren Spaß gemacht und unsere Namen "antiquiert", mit den Endungen -us und -a aufgemotzt und haben uns begrüßt. Klar, dass Schüler wie Magnus oder Felix in solchen Situationen einen großen Auftritt haben. Auch ein paar griechische Buchstaben haben wir uns angeschaut und ein Schüler konnte mir auch schon erklären: Am Anfang ist Alpha und am Ende Omega (natürlich Ommehga ausgesprochen, ich verzeihe das ausnahmsweise - Georg, nicht vor Schmerzen krümmen!).

Wir haben tatsächlich sehr viel geschafft in dieser Schnupperstunde. Der eine oder andere Schüler hat auch schon angekündigt Latein zu wählen, mal schauen, ob er das nach den anderen Fächern immer noch möchte. Ich hoffe es: Schließlich geht es hier quasi um meinen Fortbestand an der Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld.

Es hat mir wirklich Spaß gemacht, für unser Fach zu werben. Ich hatte überlegt, ob ich es wohl aus dem Sinn verliere, wenn ich immer nur Englisch unterrichte, aber die Lust auf Latein ist immer noch da. Und ich fände es toll, wenn ich ein paar der Schüler ab Sommer in einem Lateinkurs begrüßen kann.

Vielleicht kommt damit sogar die Lust, das Fach Latein an unserer Schule generell zu stärken. Wie sagte Arnie? "I'll be back."

Ach so, und wer immer noch nicht die Überschrift des Beitrags hat einordnen können: Es war eine "Schnupper"stunde, und wenn die lingua nicht olet, dann gibt's da nix zu schnuppern.

post scriptum: Klar, die Buba "schduppert" ;-)

Dienstag, 14. März 2017

Ein epileptischer Anfall

Das Gewitter im Gehirn

Vielleicht hat der eine oder andere Kollege schon mal Epileptiker unterrichtet und kennt sich daher mit den Umgangsweisen im Fall eines epileptischen Anfalls bei einem Schüler aus. Er kennt vielleicht die jeweils relevante Medizin und wie er sie zu applizieren hat. Aber wie fühlt sich so ein epileptischer Anfall an? Was passiert da mit dem Menschen, der sich plötzlich krampfend unberechenbar gebärdet? Bekommt er das alles mit? Kann er sich danach daran erinnern? Wie fühlt sich ein epileptiformer Anfall für einen Menschen an (ich benutze den etwas unhandlicheren Ausdruck, weil ich z.B. kein Epileptiker bin, aber zweimal einen Anfall hatte)?

Ich versuche mal, so gut es eben geht, mich zu erinnern. Und zwar nicht an jenen Fall, als ich meine beiden Mitbewohner in der Wohnung hatte und somit recht gut betreut war, sondern an eine Solonummer eines Nachmittags vor etwa einem Jahr. Ich weiß noch, wie ich mich an der Playstation verlustiert habe, Atelier Escha&Logy, ich war dabei, durch ein Dorf zu flanieren und nach Aufgaben und neuen Zutaten für meine alchemistischen Formeln zu suchen.

Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass ich im Kreis gegangen war. Ich war mit den Gedanken vollkommen abgeschweift, glaubte ich - denn je mehr ich versuchte, mich an meine derzeitige Aufgabe zu erinnern, umso weniger gelang das. Und das war komisch - mir ist einfach nichts mehr eingefallen. Dann habe ich versucht, mich an den Tag und die Uhrzeit zu erinnern - nichts da. Wann hatte ich zuletzt auf die Uhr geschaut? Wo bin ich hier, was mache ich gerade?

Und passend dazu kamen dann Kopfschmerzen, als wolle jemand nicht, dass ich nachdenke. Und... warum stand der Couchtisch so schief da, der steht doch sonst immer parallel zur Couch? Und dann wurde mir übel und ich beschloss, mich aufs Bett zu legen, vielleicht hatte ich etwas Unrechtes gegessen.

Es hat lange gedauert, bis mir ein Licht aufgegangen ist - dass ich nämlich einen Krampfanfall hatte. Das Gehirn löscht umgehend jegliche Erinnerung daran, aber die Resultate lassen sich nicht immer verbergen: Ich muss mit Kraft gegen den Tisch getreten und ihn verschoben haben und mit aller Kraft auf meine eigene Zunge gebissen haben, denn beim Blick in den Spiegel war sie blauschwarz angelaufen. An den folgenden Tagen hatte ich ordentlichen Muskelkater in den Beinen und mein Unterkiefer tat weh, als hätte ich ihn zu stark belastet.

Das Unheimliche, Surreale war, dass ich mich wirklich an nichts erinnern konnte. Keine Ahnung, wie lange der Anfall gedauert hat, ich hab erstmal umhergeschaut, ob irgendwas beschädigt worden ist, zum Glück nicht. Auch dieses ungewisse Gefühl - irgendwas ist seltsam - macht das Ganze nicht gerade zu einer spaßigen Angelegenheit.

Ich bin sehr froh, dass das für mich Ausnahmeerlebnisse geblieben sind. Jetzt habe ich immerhin ein kleines Bewusstsein für Epileptiker - und bin froh in dem Bewusstsein, dass es mittlerweile Medikamente gibt, mit denen man die Anfälle sehr gut unter Kontrolle halten kann.

Manchmal bemerken wir gar nicht, wie gut es uns eigentlich geht.

Montag, 13. März 2017

Die Musiktheke


Der Beitrag heute: kurz. Während die Ärzte drüber rätseln, was sie nun mit meinem Finger anstellen sollen, fällt es mir schwer, an andere Dinge zu denken. Was mir hilft, um die Gedanken auf Touren zu bringen, ist Musik. Und so habe ich mir über die Jahre viel Musik aus diversen Genres zugelegt. Soooooooo viele Alben, die sooooooooo viel Platz brauchen! Dabei mache ich mir zur Zeit einen Spaß daraus, meine Medien auf so kleines Volumen zu bekommen, wie es irgend möglich ist.

Im Hinblick auf Musik bedeutet das: Alle Alben konvertieren zu MP3 - wobei ich mittlerweile FLAC besser finde - und auf USB-Sticks unterzubringen. So kann man nun auf dem Foto oben meine kleine Musiktheke sehen (Herr Leinhos wird vollkommen zu Recht monieren, dass da keine Theke zu sehen ist, denn er kann Griechisch). Ich finde es echt praktisch, je nach Stimmung den Stick mit der gewünschten Musik über das Heimkinosystem abzuspielen.

Ich finde das cool. Wenn ich all meine Sachen auf die eine oder andere Weise "minimieren" kann, dann hätte ich mehr Platz für Dekogegenstände - wobei auch CDs zur Dekoration dienen können. Ich erwähne mal wieder das Label meines Vertrauens, ultimae records, dessen Alben schlicht und elegant sind, so etwas stelle ich mir gern ins Regal.

Ich dachte immer, ich würde nur die Originalform der Medien mögen - aber langsam denke ich pragmatisch, wer weiß, vielleicht werden dann meine Bücherregale zu einem von diesen Geräten, mit denen man Bücher lesen kann.

Mehr Platz für Räucherstäbchen!

Sonntag, 12. März 2017

Sven, das StuPa und ich


Die große Buba entsorgt sich selbst. Genauer gesagt entsorgt sie Teile ihrer Vergangenheit, indem sie alte Fotos durchwühlt und ihren Bestand ein wenig entmüllt. Das tut ab und an gut, dann kann man auch mal den ganzen Menschenmüll loswerden, mit dem man sich damals so arrangiert hat. Und ja, ich weiß, welche Konnotationen der Begriff Menschenabfall besitzt. Schwenken wir also um zu einem dem Wetter angemesseneren Thema - jenem Foto, das diese Frau ("Ist nun mal so!") mir da gezeigt hat.

Man sieht: Dr Hilarius sitzt auf einem alten, vergammelten (vergabbelt, und sie platzt schon wieder. Ma-Ma!) grauen Sessel in einem kahlen, weißen Raum mit einem weißen Regal voller dicker, vernachlässigter Bücher. Auf seinem Schoß: Eine Kiste, beinhaltend ("Bein-haltend", wie sich alte Saturnalier erinnern mögen) einen Stoffhund. Sieht aus, als wolle er ihn gleich abknutschen. Kein Wunder: Es handelt sich hierbei um Sven Rausch, einen Hund mit einer ganz speziellen Bedeutung, die mittlerweile elfeinhalb Jahre auf dem Buckel hat. Dieses Foto löst sintflutartige Erinnerungsniederschläge aus, an eine Zeit, in der ich noch nicht Dr Hilarius war.

In der ich zu große, schlabberige Pullover getragen habe. In der ich Socken in Sandalen getragen habe, das ganze Jahr hindurch. In der ich meine Kopftuch-Zeit noch gar nicht so lang hinter mir gelassen hatte. In der ich auf Konfrontation mit JR gegangen war und noch nicht wusste, dass er mein Studium begleiten würde. In der ich die Bühne kennenlernte.

Wir brauchten Sven Rausch für eine Theateraufführung. Und das alles nur, weil im Sommer 2006... ach, whatever... jedenfalls war Sven Rausch, das Original, nicht bei jener Theateraufführung, also haben wir das Plüschtier an seiner Statt ins Publikum gesetzt.

Es war die Zeit, in der ich mehr durch Zufall im Studierendenparlament gelandet bin - ich wollte das gar nicht. Ingo wollte mich nur für die Fachschaftsliste HSG (FaLi) aufstellen, um ein paar Stimmen mehr zu sammeln, weil ein paar Studenten mich wohl kannten. Am Ende hat es dazu gereicht, dass ich einen der fünf FaLi-Sitze im Parlament erreicht hatte, dabei wollte ich das gar nicht. Hab es dann aber gemacht.

Und die FaLi sollte nach Möglichkeit in jedem der drei studentischen Ausschüsse vertreten sein, und ich hab gesagt, ich mach das, wenn ich dann nix tun muss. Also wollten sie mich für den Rechtsausschuss aufstellen. Weil aber eine FaLi-Kommilitonin nicht aufgepasst hat, hat sie mich für den Haushaltsausschuss (HHA) nominiert, der monatlich tagt und über die Gelder der Studierendenschaft mitzuverfügen hat. Da sollte ich also rein, dabei wollte ich das gar nicht. Hab es dann aber gemacht.

Und Beides hat mich sehr stark geprägt, weil ich endlich mal studentische Mitbestimmung erlebt habe. Etwas Reiferes als die Fachschaftsvertreterkonferenz (FVK). Etwas weniger leeres Gerede, etwas mehr handfeste Politik. Das hat dazu geführt, dass ich im Folgejahr wieder für die FaLi angetreten bin, diesmal wollte ich das. Und bin wieder gewählt worden, und auch wieder in den HHA, diesmal als Vorsitzender. Und das war echt verdammt spannend, weil ich gelernt habe, wie die Universität hinter den Kulissen aussieht, und weil ich die Gelegenheit bekommen habe, einige Verantwortung zu übernehmen.

Ich habe das Ganze dann auch noch ein drittes Jahr mit denselben Funktionen weitergeführt. Zu jeder Zeit war ich also StuPa-Abgeordneter, Vorsitzender des HHA, Vorsitzender der Fachschaft Klassische Philologie, Mitglied der Saturnaliengruppe und wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Klassische Altertumskunde. Eine Menge Ehrenämter und Nebentätigkeiten, die mich mein eigentliches Studium in den Hintergrund haben rücken lassen, und so summierten sich dann die Semester... aber ich bereue nichts davon. Auch nicht, dass es mich mittlerweile vielleicht die Chance auf eine Planstelle direkt nach dem Referendariat gekostet hat.

Was dagegen nicht stimmt, ist der Rat, den ich so oft bekommen habe: "Mach' ein Ehrenamt, das macht sich später gut im Lebenslauf." Es interessiert kein Schwein, was ich da so gemacht habe, und noch weniger hat es irgendeine Auswirkung auf meine Jobchancen. Das ist sehr schade, denn es führt dazu, dass weniger Menschen ein Ehrenamt übernehmen, sondern sich stattdessen lieber auf das Erreichen ihrer Karrieresschritte konzentrieren, und ich kann es ihnen nicht verdenken. Doch wie oben beschrieben: Es hat mich geprägt und ich würde es jederzeit wieder tun, wenn ich vor die Wahl gestellt würde. Die wichtigsten Dinge im Leben lassen sich eben nicht mit materiellem Wert ausdrücken.

Dabei fällt mir auf, dass "Sven" im Titel dieses Beitrags wohl zweideutig verstanden werden könnte, zum einen als der besagte Sven Rausch-Stoffhund, zum anderen aber ein Kommilitone aus der FVK (und StuPa, wenn ich mich recht entsinne), der jetzt vielleicht gerade diesen Artikel liest und sich an einige interessante hochschulpolitische Momente erinnert.

True, true, Dr Hilarius, we've come quite a long way... these were some of your most formative years and look how much you've grown up (as if!). And you're not finished. You're never finished, you've got quite a way ahead of you. Enjoy the journey!

Freitag, 10. März 2017

Die Flut

Er wusste schon lange, dass Die Flut kommt - und das Bild stammt aus dem Manager-Magazin...

DAVOR

Sie wussten schon längst, dass sie kommt. Hätten wir auf sie gehört, hätten wir auf sie geachtet, wir hätten uns vorbereiten können. Sahen wir nicht, wie sie durch die Schule gingen, all' jene Schüler mit ihren Jeans, deren Hosenbeine brav über den Knöchel hochgekrempelt waren? Knalleng, um die übermäßig fetten oder übermäßig durchtrainierten Oberschenkel zu betonen? Dazwischen ist uncool, höchstens noch übermäßig dürr, Tschonnie wiegt mit seinen zwei Metern fünfzehn gerade mal siebenundsechzig Kilo und hält sich für zu fett, der Mathelehrer hat ihnen jüngst das Phänomen des BMI erklärt, das große Menschen zu Fettsüchtigen werden lässt.

Hoch die Hosen, denn sie wird kommen. Her mit den zahnpastaweißen Fußknöcheln, deren Strahlen in der drohenden Naturkatastrophe vielleicht Leuchtfeuer der Hoffnung sein werden auf der Suche nach Überlebenden dessen, was da naht. Finden sie das sexy? Wirkt das attraktiv auf die jeweilige Zielgruppe? Oder wissen sie, die nahende Flut für ihre Zwecke zu nutzen, indem sie ihre Füße reinigend umspülen lassen wollen?

Nichts hält sie davon ab, diese Mode zu tragen. Kein noch so verächtlicher Blick ihres Englischlehrers, kein noch so bissiger Kommentar, denn die derzeitige jugendliche Damengeneration findet das oberaffentittengeil. Verzeihung, heute sagt man fresh oder sowas. Was ist das für 1e Jugend vong Sprech her?!!!!!1111111elfdrölf

Auch Dr Hilarius wappnet sich für die Flut. Es wird alles weggeräumt, was zerstört werden könnte - erst jetzt wird ihm das Ausmaß der Umweltkatastrophe bewusst, die er durch tagelanges Nachdenken ausgelöst hat. Das Badreich war vorgestern: Hier regiert das verschimmelte (verschibbelt, denkt sich die große Buba) Brot auf einem Thron aus eingebrannter Milch, umgeben von einem Burggraben aus Tee und Tomatensoße. Und es regiert unerschütterlich: Dr Hilarius stößt mit aller Macht seiner arma auf die Gefilde des Grauens ein, doch es bricht nicht die Kruste des Todes, sondern lediglich die Spitze des Messers, mit dem er sich bewaffnet hatte.

Sollte die Flut also für ihn etwas Positives haben? Etwas Reinigendes, nachgerade eine Katharsis in diesem Dickicht der Nachlässigkeit? Er erwartet es zumindest, er hofft auf ein reinigendes Gewitter.

Und dann kommt die Flut.

Wie aus Kübeln regnet es gelbliche Tropfen aus Scheuermilch, die sich zu einer tod- und sauberkeitbringenden Suppe aus Essensresten vermischen. Schäumende, zischende Wellen erreichen die Gestade derer zu Herdplatte, es spritzt, es wabert, Schwung um Schwung rollen die Wassermassen donnernd herein, tosende Heerscharen des Fürsten der Finsternis!

Er gebietet über die reinigenden Schauer, nach seinem Willen ergießt sich die widerliche Brühe über die Weiten der Verdammnis, keine Stelle bleibt unbefleckt, doch er zeigt sich unerbittlich: Nicht nur lässt er die antiseptischen Wogen die Nahrung versprechenden Platten der heimischen Hestia umspülen, er greift zur Waffe seiner Wahl: Der Spülschwamm - und an dieser Stelle bricht die Überlieferung ab, da die folgenden Szenen in ihrer Grausamkeit niemandem zuzumuten sind... die Flut des Jahrtausends bricht herein und es sollte nichts mehr so sein, wie es war...

DANACH

Nichts war mehr so wie vorher. Berge von verkrusteten Ablagerungen abgetragen. Strände von Teestaub weggespült.

Nur die große Buba nach wie vor ein kekseatmender Fels in der Brandung. Und das Mutterschiff treibt weiterhin orientierungslos-passiv-plärrend durch die Fluten und sammelt Seenotleidende ein, die sie dann von ihrem kleinen Rettungsboot vollkotzen lässt (sorry, dieses Kopfkino schon wieder!). Und Herr Leinhos lässt sich in seiner beeindruckend unbeirrbaren Gemütsruhe von so ein paar Wassermassen nicht von seinem Tagesplan abbringen. Und Er biegt sein wogengebogenes Rückgrat wieder in eine aufrechte Position - irgendwann wird Er diese Fluten auch völlig unbeeindruckt überstehen.

Weitere Geschichten: Im Auge des Sturms, Die Zimtsterne (der Katastrophenthriller!!!), Schnellkasse 2 - Die Kontrollwaage schlägt zurück, Der Wanderer - eine Schauermär, Expeditionen ins Badreich, Adler, Töwe, Muschi, Hirsch

post scriptum: Ach herrje, ich habe gerade "Die Zimtsterne" gelesen und mich totgelacht. Was ist das nur für ein krankes Gehirn??? Endlich ist der Herd mal wieder sauber...

Donnerstag, 9. März 2017

Frau Reichelt

Das ist Frau Reichelt definitiv nicht, denn sie hört nie genervt zu, sondern authentisch interessiert.

Fallstudie Frau Reichelt. Den Namen habe ich - wie immer - selbstverständlich eventuell geändert. Diesmal aber wirklich! Vielleicht gibt es Frau Reichelt auch gar nicht. Vielleicht erzähle ich von mir - wen kümmert das schon. Und vielleicht liest Frau Reichelt, die vermutlich gar nicht so heißt, jetzt gerade diesen Artikel und erkennt sich mit einem leisen Lächeln wieder. Das weiß niemand... in der Twilight Zone.

Frau Reichelt ist faszinierend. Wobei, da geht das schon los: Wenn man weiß, woher das Wort faszinierend kommt, wenn man es vielleicht nicht vom lateinischen Verb fascinare, sondern vom lateinischen Substantiv fascinum ableitet (wobei das fascinum sicherlich eine Menge Menschen schon immer fascinabat), dann bekommt es einen recht anrüchigen Beigeschmack, Frau Reichelt faszinierend zu finden. Ja ja, schaut jetzt mal alle das Wort fascinum, -i n. nach! Herr Leinhos weiß natürlich, was fascinum bedeutet. Lady Mutterschiff auch. Und die Buba spült, oder auch nicht, sie ist krank. Nicht im Kopf.

...man merkt, ich bin dieser Tage voll von Gedanken und brauche meine kleine Insel hier im dritten Stock, wo ich ganz allein alles ordnen kann...

Frau Reichelts große Stärke ist das Zuhören. Wenn man sich zu ihr setzt, dann weiß man, dass man einen richtigen Gesprächspartner hat. Man kann mit ihr über alles reden und sie hat nicht nur ein offenes Ohr, sie ist nicht nur Gedankenabladeplatz, sondern sie hört wirklich hin. Sie zieht Informationen aus dem, was ihr Gesprächspartner sagt, und bastelt sich ein Portrait im Geist, damit sie weiß, mit wem sie da spricht.

Frau Reichelt nimmt ihren Gesprächstpartner erstmal ernst, und zwar immer. Nie gibt sie ihm das Gefühl "Jaja, red' du mal, ich glaub' dir kein Wort". Sie hört sich das alles an, sie nimmt das alles auf, und dadurch entsteht für den Gesprächspartner ein Gefühl von Offenheit. Dass man so sein darf, wie man ist, und dass man mit ihr über alle Probleme reden kann. Auch Probleme, wo mancher Mensch sagt "Ach komm, das geht uns doch allen so, lass Dich nicht so hängen" - nett gemeint, aber nicht zielführend - Frau Reichelt ist wie eine Psychologin: Sie hört zu, sie nimmt ernst.

Frau Reichelt nimmt sich Zeit. Sie müsste eigentlich etwas Anderes machen, sie muss eigentlich gleich in den Unterricht, aber den Moment nimmt sie sich noch, denn sie hat es erkannt: Unsere wertvollste Sache, die wir jemandem geben können, ist unsere Zeit, und Frau Reichelt wiegelt nie ab "Nein, jetzt nicht, ich möchte nicht mit Dir reden".

Das hat Konsequenzen - Frau Reichelt kommt mal zu spät in den Unterricht, oder oft, oder immer, und manche finden das echt ätzend. Denn als Lehrer hat man Pünktlichkeit vorzuleben, denken sie. Und am Ende der Stunde geht es in die große Pause, aber Frau Reichelt hat eigentlich keine Pause. Sie geht in dieses und jenes Gespräch. Sie hat keinen Leerlauf in ihrem Schulalltag - Zeit für sich selbst kann Frau Reichelt sich nur außerhalb des Schulgeländes und außerhalb der Arbeitszeit nehmen.

Dann fährt Frau Reichelt nach Tansania. Dann kommt sie mal raus, dann erweitert sie ihren Horizont. Sie will mehr von der Welt sehen, sie möchte niemals Scheuklappen an den Augen haben. Denn ihre Umsicht, ihre Weitsicht, all' das trägt dazu bei, dass man so gern mit Frau Reichelt spricht. Man redet wirklich gern mit ihr. Man bekommt Verständnis, Denkimpulse, neue Sichtweisen - und das trifft nicht nur auf die Lehrer zu.

Denn natürlich ist Frau Reichelt bei den Schülern auch beliebt. Die Schüler fühlen sich von ihr ernstgenommen, nicht bevormundet oder verhöhnt. Sie gibt ihren Schülern das Gefühl, auf Augenhöhe kommunizieren zu können - was daran liegt, dass sie tatsächlich nur auf Augenhöhe kommuniziert. Sie lässt sich von niemandem gängeln und schaut nie auf Andere herab. Viele Schüler sehen in Frau Reichelt eine Vertrauenslehrerin und nicht selten die einzige Person, die sie zu verstehen scheint. Sie vertrauen ihr alles an.

Mit ihrer wunderbaren Art hat Frau Reichelt Zugang zu den "schwierigsten" Schülern (ich nenne sie "spannend"). Leistungsverweigerer, Mobber, Rowdys: Frau Reichelt kriegt sie alle, was an ihrer Grundhaltung liegt, herrührend aus der Humanistischen Pädagogik: Jeder Mensch ist an sich gut. Nur mit dem Verhalten eckt er vielleicht an, aber Verhalten hat Gründe. Es gibt keine "bösen" Menschen. Es gibt keine "bösen" Schüler. Ich frage mich, ob Frau Reichelt Gestaltpädagogik kennt.

Jedenfalls habe ich großen Respekt vor Frau Reichelt, die mir ihr positives Menschenbild vorlebt, und ich versuche, mir daraus Denkimpulse mitzunehmen. Ich freue mich jedesmal, wenn ich Frau Reichelt von meinen Problemen erzählen kann, ich bin immer wieder gespannt auf ihre Sichtweise der Dinge. Ich finde, jede Schule sollte eine Frau Reichelt haben.

Dann stellt auch keiner mehr die Frage: "Was ist ein guter Lehrer?"

post scriptum: Wer weitere Menschen kennenlernen möchte, findet hier Hänschen und Kläuschen.

Mittwoch, 8. März 2017

S-Bahn-Fahrt (HB-Style)

Das ist in einem ICE, nicht in der S-Bahn, aber ich habe leider nicht das Foto gefunden, was hier eigentlich hingepasst hätte.

Berlin. Nein, genauer: Potsdam Hauptbahnhof. Das ist nicht Berlin. Das liegt in Tarifbereich C, "Bahnhöfe im Berliner Umland". Ich stehe am Bahnsteig und freue mich, denn ein purer Genuss beginnt: Eine Fahrt mit der S-Bahn, aber es muss perfekt sein, denn was jetzt folgt, hat Methode.

Ich hätte auch am Bahnhof Schöneberg einsteigen können, der ist viel näher an der Wohnung meiner Tante, in der ich für meine Berlinreisen unterkommen durfte. Aber eine S-Bahn-Fahrt ist wie ein Ritual. Ich fange ganz am Anfang an, an der Endhaltestelle. Ich bin der Erste, der den Zug betritt, er wirkt noch leer, richtig jungfräulich. Nur so kann ich den idealen Sitzplatz für mich finden, und der ist immens wichtig, denn für die kommenden knapp zwei Stunden ist das mein Meditationsplatz.

Ich steige ganz vorn ein. Ich sitze in der S-Bahn gern vorne, weil ich es aufregend finde, mit hoher Geschwindigkeit in einen S-Bahnhof einzufahren und verschiedenste Menschenmengen zu beobachten, an denen ich vorbeirase. Nach und nach kann ich einzelne wartende Reisegäste besser erkennen, während die Bahn bremst und schließlich stoppt. Ich steige nicht hinten ein. Ich steige nie hinten ein, wenn ich eine Fahrt genießen will.

Ich brauche einen Vierersitz - im Gegensatz zu den Zweiersitzen - damit ich mich nicht eingeengt fühle. Es darf gern voll werden, das macht nichts, es geht um das Prinzip Offenheit. Viel Platz haben, während man fährt, das fasziniert mich. Ich könnte mir vorstellen, eine Wohnung zu haben, die wie eine S-Bahn durch die Stadt fährt. So wird es nie langweilig.

Ich sitze in Fahrtrichtung. Ich möchte gern sehen, was kommt, oder vielmehr: Ich muss sehen, was kommt. Ich mag es nicht, plötzlich in einen Tunnel einzufahren. Ich mag es nicht, plötzlich in einen Bahnhof einzufahren. Ich möchte in Fahrtrichtung sitzen, damit ich weiß: Aha, da vorne kommt der Bahnhof Babelsberg, einen kleinen Moment noch und dann kann ich wieder das Vorbeirauschen an all den Menschen genießen. Das gibt mir also Sicherheit - ich mag es nicht, wenn Zukünftiges unsicher ist, sozusagen in der Schwebe, ich brauche Garantien, auf die ich mich stützen kann. Und der Platz gibt mir nicht nur Sicherheit, sondern auch die Vorfreude - ah, da vorne kommt die Stelle, wo sie letztens die Gleise umschwenken mussten, um die Brücken neu zu bauen - wie das jetzt wohl ausieht?

Ich sitze links. Die meisten S-Bahnhöfe Berlins sind sogenannte Inselbahnhöfe, deren Bahnsteig zwischen den Gleisen liegt. Und weil ich all' die Menschen am Bahnsteig sehen möchte, weil ich an ihnen vorbeirauschen möchte, weil ich mir ausmalen möchte, was sie wohl heute zum Frühstück gegessen haben oder wohin sie wohl fahren wollen. Säße ich rechts, das käme einer Flucht gleich: Ich fliehe vor den Menschen, raus in die Natur. Und ich hätte dann kein leeres Gleis (der Gegenrichtung) neben mir. Das leere Gleis links neben mir, wenn ich ganz vorne links sitze, ist wie eine Aorta. Der Puls der Stadt.

Ich sitze am Fenster, denn ich möchte eine sichere "Wand" neben mir haben. Ich möchte mich an das Fenster lehnen, wenn ich hinausschaue und meditativ über all meinen Denkstoff sinniere. Und natürlich möchte ich so nah wie möglich an all den wartenden Menschen vorbeirauschen, das gibt mir ein zusätzliches Gefühl von Geschwindigkeit. Die Wand ist sozusagen meine Fluchtmöglichkeit: Gleichzeitig möchte ich unter Menschen sein, aber vor ihnen sicher.

Wenn ich diesen idealen Sitzplatz bekomme, dann kann mir nichts mehr meine Stimmung vermiesen. Dann weiß ich: Die nächsten zwei Stunden kann ich sicher und in aller Ruhe genießen. Wenn aber jemand Anderes auf dem Platz sitzt, steige ich nicht ein. Lieber warte ich zwanzig Minuten auf die nächste Bahn nach Oranienburg, als mich mit einem Alternativplatz zufriedenzugeben. Dann kann ich es auch gleich lassen. Das Erlebnis steht und fällt also mit der Situation am Startbahnhof.

Und dann entfaltet sich die Fahrt wie ein Aufklappbuch, wie einem Roman folge ich dem Gleis der Linie S1. Natürlich kenne ich alle Haltestellen der Linie auswendig. Und zu den meisten Bahnhöfen fällt mir eine Anekdote ein, die ich im Kopf jeweils vorfreudig durchgehe.

Ah, gleich kommt die Haltestelle Zehlendorf, da ist immer sehr viel los. Da wird es richtig voll werden, weil der einzige Zugang zum Bahnsteig am Kopfende des Bahnhofs ist, da wird es drängelig, ich klemme meinen Rucksack schonmal zwischen die Beine.

Bahnhof Yorckstraße, jetzt wird es spannend, denn es ist der vorerst letzte oberirdische Bahnhof der Linie: Die S1 taucht ab in den Nord-Süd-Tunnel und wir fahren eine Weile unteriridisch weiter. Und dann diese spannenden Namen! Anhalter Bahnhof hatte für mich immer was Mystisches, und ich dachte, es geht hier wirklich um Anhalter. Oh, und das Feuer in dem Bahnhof, das Jahr, in dem man nur langsam und ohne Halt durch den Geisterbahnhof durchfahren musste!

Gleich kommt der verkehrstechnische Höhepunkt der Linie, Berlin Friedrichstraße. Ich fange gar nicht erst an zu schildern, was dieser Bahnhof in meinem Kopf auslöst, seien es nun Trittbrettfahrer, Berliner Mauer, Konzertsäle - die Gedankenzüge laufen auf Hochtouren, und an diesem Bahnsteig ist immer sehr viel los. Wie gut, dass ich ganz vorne links am Fenster sitze, da ist Platz für meine Beine und ich kann alle Menschen vorbeirauschen sehen und schätzen, wie viele wohl auf dem Bahnsteig sind. Und kann weitere Berechnungen im Kopf anstellen.

Haltestelle Nordbahnhof, wie aufregend! Ich weiß, dass es danach wieder an die Erdoberfläche geht, und weil ich ja ganz vorne links sitze, kann ich aus dem Fenster schauen, na, ist da schon ein Lichtschein zu sehen? Ja! Und ich genieße das Auftauchen der S-Bahn, als handele es sich um Ambrosia.

OKAY, CUT!

Ich merke gerade, wie die Ideen mit mir durchgehen. Dieser Artikel könnte ellenlang so weitergehen, aber das will doch keiner lesen! Daran muss ich mich immer wieder erinnern - und fahre stillschweigend mit einem entspannten Lächeln auf dem Gesicht stundenlang durch und rund um die Metropole, und es wird mir nie langweilig und ich bin vollkommen glücklich.

Mit der U-Bahn hat es noch etwas Anderes auf sich, aber das hebe ich mir für die Zukunft auf. Das war doch jetzt mal richtig hochbegabt-nerdig, oder? Und es ist das erste Mal, dass ich das so öffentlich schreibe. Ich habe mich - ungelogen - immer ein bisschen dafür geschämt, dass mir das gefällt. Das konnte kaum jemand verstehen, und deswegen dachte ich, das ist unnormal. Und hab' es für mich behalten.

Daher: Hochbegabung braucht Offenheit und Aufklärung!