Donnerstag, 30. November 2017

Wie schlecht es uns doch geht! (und noch mehr...)

Die Bedeutung dieses Bildes wird vielleicht später offenbar werden.

Vorweg: Und schon wieder hat es eine Ewigkeit zwischen zwei Beiträgen gedauert. Ich habe mich bei niemandem gemeldet, die meiste Zeit in meiner Wohnung gesessen, alle Rollos heruntergezogen, um das Grau und den Regen nicht sehen zu müssen. Wenn vielleicht einmal für eine Freundin der Eindruck entsteht, dass ich ihr mit meiner andauernden Fröhlichkeit auf die Nerven gehe, dann liegt das daran, dass ich sie in den anderen Phasen nicht gern behellige. Vielleicht kennt Ihr das. Vielleicht wollt Ihr auch nicht mit Euren Mitmenschen reden, wenn es Euch mal nicht so gut geht. Erst recht nicht mit den Menschen, die Euch am Herzen liegen - damit sie sich keine Sorgen machen. Und damit sie Euch nicht auf die Nerven gehen, immer wieder nachfragen, wie es denn mittlerweile geht und Ihr immer wieder antworten müsst, joah, passt schon, oder irgendsowas. Und gerade weil ich das alles jetzt geschrieben habe und sie das vielleicht gelesen haben: Wird schon, die unangenehmen Tage sind bald rum, ich fange gerade wieder an, meine Nachbarn mit Herumspringerei und Mit"singen" zu nerven ^^

Das Scheitern der Jamaika-Gespräche, das Erstarken der AfD, die (scheinbare) Regierungs-/Handlungsunfähigkeit, der (angebliche) tiefe Fall der Angela Merkel, der Abgang Martin Schulz', das vielerseitige NEIN zu einer neuen GroKo, die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land, der deutsche Bürger, der in der Politik nicht mehr gehört wird und dessen Stimme eh' nichts zu zählen scheint, die steigende Zahl der Terroranschläge, die ganzen Ausländer, die unsere deutsche Leitkultur unterminieren wollen.

Wenn man die Stimmen des Volkes - zum Beispiel in der heißgeliebten Kommentarfunktion - hört, erhält man unweigerlich den Eindruck, unser Land stehe am Abgrund. Und jedem Einzelnen der zigmillionen Bürger sei seine Existenzgrundlage entzogen worden zusammen mit der Sicherheit auf öffentlichen Straßen.

Oh man, wenn ich das lese, bekomme ich jetzt schon wieder das Kotzen, egal, wie sehr ich daran erinnere, dass wir uns freuen sollten,. dass wir Meinungsfreiheit haben, dass wir keine Sklaverei haben, dass wir keine Todesstrafe haben, dass wir (hoffentlich) nicht mit einer tödlichen Krankheit geschlagen sind. Ich gehe mal eben den Porzellangott anbeten...

Danach: Vor einiger Zeit habe ich in sozialen Netzwerken nach Filmen mit Stoff zum Nachdenken gefragt, Mindfuck-Movies, Filme, die sich nicht beim ersten Ansehen erschließen, Filme, die man dennoch gern sieht, fasziniert, weil man sie nicht einfach loslassen kann, so wenig, wie sie einen selbst während ihrer Spieldauer nicht loslassen. Mein Paradestück in dieser Kategorie bleibt David Lynchs "Mulholland Drive". Er mag Rätselhafteres gefilmt haben (wie zum Beispiel "Inland Empire"), aber Mulholland Drive entzieht sich nur so weit dem menschlichen Verstand, der Entschlüsselung durch den Zuschauer, dass man stetig einen Interpretationsansatz zu haben glaubt. 
Gestern wurde es dann Zeit für ein weiteres Filmrätsel, von einem Regisseur, an den ich mich bisher nicht herangetraut habe, aus Respekt und Angst vor völligem Unverständnis. "Das siebente Siegel" habe ich mittlerweile mehrmals angefangen und irgendwann abgebrochen, seitdem war Ingmar Bergman für mich ein Regisseur hochanspruchsvoller Filme, mit denen ich nicht viel anfangen konnte. Und gestern dann: "Persona" - und eigentlich nur, weil Roger Ebert ihn in seine Liste der Great Movies aufgenommen hat. Ich habe vorher nichts weiter darüber gelesen, um unvoreingenommen heranzugehen. Und habe nun endlich ein neues Filmrätsel in meinem Repertoire, zu dem ich irgendwann zurückkehren werde. Jedesmal mit einer neuen Entschlüsselungsidee, jedesmal wieder mit einer Mischung aus Befriedigung und Verwirrung, wenn in der Schlussszene des Films die Bogenlampe langsam in's Dunkel übergeht. Die Wikipedia verrät uns:
Given its enigmatic nature, it has been called the "Mount Everest" of cinema for professionals to decode, while film historian Peter Cowie declared: "Everything one says about Persona may be contradicted; the opposite will also be true."
Na dann mal viel Spaß beim Verzaubernlassen. Vorsicht, der Film ist intellektuell anspruchsvoll. Heutzutage müssen solche Warnungen ja immer dazu gegeben werden. Popcorn ist vielleicht nicht die ideale Begleitung für den Film, aber eine Tasse Tee oder Kaffee dürften ihren Dienst tun. 

post scriptum: Habe eben endlich einmal "Ein andalusischer Hund" gesehen. Genau solche Filme, auch "Persona", tragen Schuld, dass ich mich hier länger nicht melde: Ich brauche wirklich viel Zeit, um das Gesehene zu verarbeiten. Da wabert ein weiteres kurzfristiges Vertretungsangebot an einer Schule nebenher und ich bitte Euch alle: Nicht böse sein, wenn ich mich nicht melde! Ich muss das alles erstmal sortieren...

Samstag, 25. November 2017

4x Lächeln

Eine Lichtung - falls das Gedankenchaos mal wieder zuviel wird.

Das war vielleicht eine scheiß Nacht! Ein alter Bekannter hat sich in den Schlaf eingeschlichen, den ich schon lange nicht mehr erlebt hatte: Das Restless Legs Syndrom (bzw. Wittmaack-Ekbom-Syndrom). Ein ziemlich ekliges Gefühl, ein Kribbeln in den Beinen, sobald ich mich zum Schlafen hinlege und zur Ruhe komme. Der Drang, die Beine irgendwie bewegen zu müssen, führt dazu, dass ich mich hin und her wälze und schließlich mitten in der Nacht aufstehe. Ich gehe dann ein paar Minuten durch die Wohnung, das schafft tatsächlich Linderung. Dann lege ich mich hin, schaffe es, wieder einzuschlafen - um eine Stunde später wieder aufzuwachen. Mir ist leider erst um sechs Uhr morgens eingefallen, dass ich in der Hausapotheke noch etwas dagegen hatte. Je nun. Aber immerhin vier Stunden Schlaf waren dann noch drin. Ihr kennt das RLS nicht? Wunderbar, ich hoffe, Ihr müsst das nicht irgendwann einmal erleben.

Das ist ein nerviger Start in den Tag, ich fühle mich übernächtigt, ich habe schief gelegen, bin erst einmal schlecht gelaunt. Ich mache Musik an, Koffein zum Wachwerden, Rollos hoch: Nebel. Wird nicht besser. Doch dann klappert der Briefschlitz, und damit beginnt eine Reihe von positiven Ereignissen, die den Tag gerettet haben und dafür gesorgt haben, dass ich mich jetzt, beim Schreiben des Artikels, wieder wohlfühle. Und das ging nicht ganz ohne ein bisschen Hilfe von Freunden.

Erstes Lächeln, 10:47 Uhr:

Der Postbote bringt Briefe, Werbung, Einladung zu Fortbildungen. Und dazwischen eine Postkarte. Nanu? Wer ist denn jetzt gerade im Urlaub und schreibt mir? Und ich freue mich riesig, dass ich eine Karte von meiner ehemaligen Nachbarin bekommen habe, und zwar keine Urlaubskarte, sondern eine, die auf mich zugeschnitten ist. Mal kein "Hier ist es so schön, ich genieße den Urlaub, hier ist alles toll!" - und das hat für das erste Grinsen nach dieser miesen Nacht gesorgt. Linnea, sobald meine Situation sich wieder etwas gebessert hat, besuche ich Euch. Momentan versuche ich verstärkt, Menschen zu meiden, denen ich meine berufliche Situation erläutern müsste...

Zweites Lächeln, 13:25 Uhr:

Vielleicht hat der eine oder andere Leser das auch schonmal erlebt. Päckchen soll ankommen, Sendungsverfolgung sagt "Voraussichtliche Zustellung am Fr., 24.11." - aber natürlich ist nichts angekommen. Also gehe ich davon aus, dass es heute, am Samstag ankommt. Cool, Sendungsverfolgung besagt, dass das Päckchen im Zustellfahrzeug ist! Also warte ich... eine Stunde... zwei Stunden... und mache den Fehler, in der Sendungsverfolgung "Details" anzuklicken. Dort erfahre ich, dass das Päckchen falsch sortiert worden ist und damit im falschen Wagen liegt. Der Hinweis "Es findet eine erneute Zuordnung statt" würde mich ja beruhigen, wenn da nicht die Notiz wäre, dass sich die Zustellung um ein bis zwei Tage verschieben kann. Ich will gerade richtig schön ausrasten, da klingelt es an der Tür - und tatsächlich erhalte ich meine Post. Ein Strahlen im Gesicht, nun kann ich in die City spazieren und muss nicht mehr in der Wohnung anwesend sein.

Drittes Lächeln, 13:44 Uhr:

So ziehe ich mich also warm an, Schlüssel und Portemonnaie nicht vergessen, und gehe Richtung Bushaltestelle Diesterwegstraße. Aus der Entfernung bemerke ich, hmmm, da schaut mich einer an. Das ist wegen der Outfits gar nicht mal so ungewöhnlich, kenne ich den Typen, der da auf den Bus wartet? Jetzt fängt der Typ an zu grinsen, immer breiter, und ich realisiere, dass es Er ist. Damit beginnt mein Grinsen, wir strahlen uns schon aus der Entfernung an. Ein bisschen Smalltalk, dann kommt sein Bus und ich gehe weiter und kann mittlerweile nicht mehr aufhören zu lächeln. Ich freue mich immer, wenn ich ihn sehen kann.

Viertes Lächeln, 20:28 Uhr:

Ich habe etwas gegessen und möchte meditieren. Den Tag einfach noch einmal erleben. Und ihn nochmal sehen. Und ich strahle schon wieder, denn ich weiß, dass Martin Nonstatic dieser Tage sein neues Album veröffentlicht hat. Youtube hilft, und so werde ich mich jetzt hinlegen und mich einfach mal überraschen lassen. Tag gerettet!

Freitag, 24. November 2017

Erstens kommt es anders...

Cover des neuen Fever Ray-Albums Plunge (2017)

...und zweitens, als man denkt.

Ich fühle mich wohl, wenn ich geregelte Abläufe habe. Wenn ich mir einen Plan für den Tag machen kann, nach dem Aufstehen erstmal richtig wach werden, dann erledige ich A und dann B, dann kommt die Post, so dass ich danach C machen kann. Dann fahre ich da und da hin, besorge D, E und F. Dann kommt H auf einen Kaffee vorbei, und dann schaue ich mir I im Fernsehen an. Tag ist um, ab in's Bett.

Ich mag es nicht, wenn Unvorhergesehenes meinen Plan durcheinander bringt. Im schlimmsten Fall kann ich damit überhaupt nicht umgehen, fühle mich wie gelähmt, bekomme schlechte Laune - oder werde wütend. Vielleicht kennt das ja der eine oder andere HB, Autist oder auch ganz normale Menschen.

Ich bin nicht spontan und ich bin nicht flexibel. Das hat mich auch schon einmal einen Job gekostet (weil ich dafür hätte umziehen müssen). Und ein ganz spontanes "Hey, ich bin grad in deiner Nähe, hast Du Lust auf 'nen Kaffee?" geht auch gar nicht. Gerade wenn andere Personen im Spiel sind, brauche ich Zeit, um mich seelisch darauf vorzubereiten. Eine Freundin, YazzTazz, hat das im Studium öfters abbekommen, wenn sie nach einem Seminar gefragt hat, ob ich noch auf eine Runde zu ihr kommen möchte. Wollte ich nicht, aber das lag nicht an ihr, sondern eben an meiner nicht vorhandenen Spontaneität.

Lange Vorrede, um von einem Erlebnis von heute zu berichten. Mittags, zurück aus der Stadt, bisschen essen, bisschen zocken, Wäsche, Hörspiel, so war es eigentlich geplant. Und vor alledem "nur einmal kurz Nachrichten checken" - kennt sicherlich jeder, das kann bereits ein Todesurteil für eine Tagesplanung sein. Aber mir schreiben zum Glück nicht viele Leute, ergo war das binnen ein paar Minuten abgehakt. Dann noch schnell die subscriptions bei Youtube checken - OMG! Was sehe ich da! Es gibt ein neues Album von Fever Ray!

Kurze Info: Hinter dem Namen verbirgt sich das Musikprojekt von Karin Dreijer-Andersson, über das ich hier schon einmal berichtet habe. Sie hat bisher nur ein einziges gleichnamiges Album veröffentlicht, vor acht Jahren. Es gehört immer noch wegen seiner düster-kühlen Atmosphäre zu meinen Favoriten. Und ich habe mich jahrelang gefragt, ob sie noch einmal etwas veröffentlichen würde. Antwort heute bei Youtube, und schon bin ich am Monitor festgeklebt. Alle veröffentlichten Songs anhören, die Musikvideos anschauen (mal wieder Mindfuck vom Feinsten) und den Wikipedia-Eintrag checken. Oh. Sie nennt sich nur noch Karin Dreijer, hat nach ihrer Scheidung den zweiten Namen fallengelassen. Neuigkeiten - denn sie (wie auch ihr musikalisch engagierter Bruder) gibt nicht viel Privates preis.

Und somit wurde aus "nur mal eben checken" ganz schnell später Nachmittag. Ich bekomme nichts mehr um mich herum mit, wenn ich in einer Sache versinke, das war heute wieder wunderbar zu beobachten. Essen? Nicht nötig, reicht, wenn das Gehirn ein bisschen was zu tun hat.

Manchmal können spontane Planänderungen eben doch Gutes mit sich bringen ;)

post scriptum: Hat jemand gemerkt, dass oben ein G fehlt? ;-)

Mittwoch, 22. November 2017

Krank im Kopf: The Next Chapter

Talk to me, baby!

Ich habe neulich festgestellt, dass meine Waschmaschine Haustiere entsorgen kann. Wäsche waschen sowieso. Aber sie kann noch mehr: Sie kann diesem Hochbegabten ein wunderbares Unterhaltungsprogramm bieten. Ihr seid herzlich eingeladen, euch lustig zu machen - wobei, wir sind ja mittlerweile alle erwachsen.

Meine Eltern lesen das und wissen natürlich schon längst, worum es geht. Das ist nämlich nicht neu, sondern bereits in meiner Kindheit entstanden: Der Spaß, der Waschmaschine beim Wäschewaschen zuzuschauen. Ja, in der Tat, wenn ein interessanter Ablauf ansteht, setze ich mich vor die Waschmaschine, starte die Wäsche und bleibe bis zum Ende dort sitzen (wobei, nicht bei Programmen, die länger als eine Stunde dauern, interessant...).

Das mag irre erscheinen, aber ich glaube, bei einem bestimmten psychologischen Profil ist das gar nicht so ungewöhnlich. Ich stelle mir beim Zuschauen unzählige Fragen - wie viel Wasser ist dafür überhaupt nötig? Welche Temperatur ist die richtige, und warum? Wie schnell schleudern und warum, mit dem Ziel, die größtmögliche Effizienz zu erreichen.

Und das Ganze hat tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf mich. Beim Waschgang ist nichts Ungeplantes dabei, der folgt einem bestimmten Muster, keine spontanen Überraschungen (egal ob gut oder schlecht). Und ich kann dabei über so viele Fragen nachdenken, weil ich nicht aufpassen muss, dass ich nichts falsch mache. Über Lebensfragen, ob die Dinge ihre Richtigkeit haben - hat quasi eine meditative Wirkung. Danach habe ich das Gefühl, dass viele Dinge in meinem Kopf richtig angeordnet sind, und fühle mich etwas leichter.

Was ich nicht mache: Mit der Waschmaschine reden. Und bevor die großen Lacher kommen: Wie oft habe ich es schon erlebt, dass ich z.B. mit dem Fuß gegen die Couch stoße und mich direkt dafür entschuldige ("Oh, sorry!"), oder dass ich mit dem Fernseher rede, als würde ich mich mit in die dargestellte Handlung einbringen ("Ja natürlich muss das so sein, und wetten, gleich gehst du da... na siehste!"). Solche Sachen fallen in die Kategorie interessante Gespräche, über die ich schon einmal geschrieben hatte.

Manchmal erkläre ich Leuten, dass ich ein bisschen anders bin. Die Reaktion ist meistens dieselbe: "Ach Quatsch, das erscheint dir nur so, jeder von uns hat so seine Macken." Dann anzufangen und die Aussage zu rechtfertigen, indem man Argumente bringt wie z.B. das Essenvergessen, die Selbstgespräche (Link oben), das Unverständnis, die Sozialphobie, das alles hat keinen Sinn, weil mein Gegenüber in der Regel davon überzeugt ist, dass er die Lage besser einschätzen kann. Kann ich ihm auch nicht übelnehmen, im Gegenteil, er meint es ja nett. Deswegen versuche ich in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein und einfach den Mund zu halten. Den Leuten nicht sagen, dass ich anders bin. Irgendwann merken sie es dann eh' von selbst, und wenn sie mich dann ansprechen, kann ich es ihnen erklären. Alles Andere ist Zeitverschwendung.

Es gibt aber auch Ausnahmen, und das freut mich sehr, wie z.B. meine ehemalige Nachbarin (ich wusste gar nicht, dass sie Dschennewjehf heißt, also, mit zweitem Vornamen) - ich habe ihr ganz am Anfang von meiner Sozialphobie erzählt und so, weil ich nicht wollte, dass wir uns irgendwie "zu oft" treffen könnten, und nicht zu lange, und erst recht nicht spontan, und sie hat das alles akzeptiert, das fand ich toll. Und auch Er hat das alles hingenommen, als ich ihn damals im Park, ganz am Anfang, gewarnt habe, dass das ein unbequemer Ritt werden könnte, mit mir befreundet zu sein. Das hat Er auch sehr deutlich zu spüren bekommen, aber Er ist immer noch "bei mir".

Naja, soviel jedenfalls zu der Waschmaschine. Und ich finde es ganz toll, dass meine Eltern das damals immer alles mitgemacht haben und nicht versucht haben, mir das auszutreiben (a la "Das ist ja unnormal, das müssen wir ihm abgewöhnen!"). Ja, solch' Verhalten gibt es, und dass kann Dein eigenes Kind ganz schön verletzen. Irgendwo hatte also diese behütete Kindheit auch ihr Gutes...

Dienstag, 21. November 2017

Günter Grass? Nicht mit mir!


Mir geht es heute um einen deutschen Autoren, dem ich eine zweite Chance geben wollte - und leider wieder nur bei einer Magenverstimmung gelandet bin. Ich weiß noch sehr gut, wie uns unsere Deutschlehrerin (Zwerger oder Janke, ich bin mir nicht mehr sicher) damals verzweifelt-fröhlich durch den zweiten Band der Danziger Trilogie scheuchen wollte - Günter Grass' Katz und Maus. Immerhin der dünnste der drei Romane, ich habe ihn allerdings gehasst. Ich habe ihn widerwillig tatsächlich komplett gelesen und war irgendwann des Autoren Fixation auf Geschlechtsteile überdrüssig. Es ist das einzige Buch, dessen erste zwanzig Seiten ich nach der Gesamtlektüre einzeln herausgerissen und verbrannt habe. Im Jugendalter.

Ich habe nun, knapp zwanzig Jahre später, mir immerhin die Verfilmung seines wohl bekanntesten Werks Die Blechtrommel (Film von 1979) angeschaut. Es sagen ja alle, das muss man gelesen haben. So ein tolles Buch! So viele Preise! Und so ein toller Film! Hat sogar den Academy Award für den besten fremdsprachigen Film damals gewonnen! Und ich habe mir überlegt, okay, vielleicht war es nur jugendliche Abneigung gegenüber großartiger Literatur damals, die ich mittlerweile abgeschüttelt haben dürfte (das ist ja durchaus schon öfters vorgekommen, zum Beispiel bei Salinger's Catcher in the Rye). Ich habe mir vorgenommen, für diesen Film aufgeschlossen zu sein. Ich wollte ihn mögen. Wirklich!

Aber ach. Über zwei Stunden Spieldauer, die mir eine Einsicht gebracht haben: Ich werde diesen Film so schnell nicht wieder sehen. Lange habe ich keinen Film mehr vor Ende abgebrochen. Auch diesen habe ich bis zum Ende eingeschaltet gelassen, aber eine halbe Stunde vor Schluss angefangen, dabei die Wäsche aufzuhängen. Der kleine Protagonist, Oskar Matzerath, soll wohl eine Symbolfigur für Protest sein, Protest gegen den Krieg, gegen Gleichschaltung; Szenen wie die des Nazi-Aufmarsches, der durch die Blechtrommel in einen Donauwalzer umgewandelt wird, sind zwar metaphorisch, aber alles andere als subtil. Und wieder die Geschlechtsteile. Und die Besessenheit des Autoren mit Szenen, die einen gewissen Ekel hervorrufen sollen, oder sonst eine Form der Aversion. Sei es nun Oskars Mutter, die sich rohen Fisch reinstopft bis zu ihrem Tod an Fischvergiftung, oder der elfjährige David Bennent, der der vierundzwanzigjährigen Katharina Thalbach einen Cunnilingus verpasst. Rotz, Pisse, irgendwie scheint es bei Günther Grass oft darum zu gehen. Soll es um eine möglichst naturalistische Darstellung gehen?

Es mag ja sein, dass es sich hierbei um einen großartigen Anti-Kriegs-Roman und einen sensationellen Anti-Kriegs-Film handelt. Aber an diesem Zuschauer ist der Zug teilnahmslos vorbeigefahren. Und ich kann Roger Eberts Rezension von damals nachvollziehen, in all' seinen Punkten - denn auch er hat sich der allgemeinen Euphorie um dieses Werk verweigert.

Sorry, Grass, aber ich glaube, in diesem Leben wird das mit uns nix mehr.

Montag, 20. November 2017

"Es wird sich unterhalten..."

Quelle: https://www.welt.de/img/kultur/mobile112771609/0272504837-ci102l-w1024/Unwort-des-Jahres-2012-2.jpg

Jamaika ist tot, ein perfekter Aufhänger für ein Blogthema, was mir schon lange durch den Kopf geistert. Es geht um Sprachvergewaltigung - und gerade jetzt, beim Tippen, finde ich diesen Ausdruck so gut, dass ich ein "Label" aus ihm mache. Wobei, nein, lieber nur Sprache, denn ich sehe in diesem Blog auch positive Kommentare zum Umgang mit Sprache kommen.

Es geht in diesem Beitrag also nicht um Politik selbst; wer darüber etwas lesen wollte, möge bitte jetzt abschalten.

Diese Sprachvergewaltigung, dieses... ich nenne es jetzt Unpersönliches Passiv.

Aktiv:
"Man unterhält sich."
"Man debattiert miteinander."
"Man tauscht sich über ein Thema aus."

Passiv:
"Es wird sich unterhalten."
"Es wird sich miteinander debattiert"
"Es wird sich über ein Thema ausgetauscht."

Bin ich tatsächlich der einzige Mensch, der sich zusammenkrümmt, wenn er diese Passiv-Sätze hört? Und sie treten so häufig auf, mit großer Mehrheit in der Politik. Ich habe das zum ersten Mal damals im Kieler Studierendenparlament gehört und musste mich zurückhalten, um nicht zu fragen:

Muss das sein?
Könnt Ihr nicht in Aktiv-Sätzen sprechen?
Könnt Ihr nicht einfach sagen: "Sie unterhalten sich."
Ist das zu ungebildet? Zu sehr Mainstream? Für mich jedenfalls gut genug, diesen Artikel zu schreiben, denn eigentlich hatte ich etwas über Günter Grass posten wollen. Kommt noch.

Sonntag, 19. November 2017

Nein sagen - trainierbar?


Du schaust mit mir einen Schwulenfilm - obwohl Du solche Filme eigentlich nicht magst. Du gehst mit mir auf eine Szeneparty - obwohl Du eigentlich kein Partygänger bist. Du triffst dich mit mir auf einen Kaffee - obwohl Du eigentlich wirklich keine Zeit hast. Du gehst mit mir in eine Achterbahn - obwohl Du eigentlich tierische Angst davor hast. Du übernachtest bei mir - obwohl Du eigentlich lieber zuhause schlafen würdest.

Du kennst das: Du kannst einfach nicht Nein sagen. Du möchtest mich nicht enttäuschen, Du möchtest, dass ich glücklich bin. Und Nein ist so ein hartes Wort... und irgendwie kriegen wir das doch gewuppt, also warum nicht?

Hast Du vielleicht Angst vor dem Wort? Weil Du es, genau genommen, bei Anfragen noch nie benutzt hast? Ich wünschte, ich könnte dir diese Angst nehmen. Können wir das nicht vielleicht trainieren? Indem ich Anfragen stelle, die Du definitiv nicht annehmen möchtest:

"Darf ich dich küssen?"
"Möchtest Du mit mir schlafen?"
usw.

Vielleicht durch Gewöhnung die Angst nehmen. Damit Du lernst, Nein zu sagen. Denn Du musst es nicht jedem Menschen recht machen. Du hast ein Recht darauf, abzulehnen. Du musst dich nicht verbiegen, um jeglichen Frieden zu wahren. Du hast einen Wert.

Erkennt sich jemand wieder?

Samstag, 18. November 2017

HB erklimmt Mount Waschmore

Waschprogramme der neuen Generation...

Pet Hair Removal.

Was könnte damit nur gemeint sein? Ich vermute mal, ich stecke dazu einfach mein Haustier in die Waschmaschine als Alternative zum Kahlscheren? Das muss es sein! Es ist faszinierend, was Waschmaschinen heutzutage alles können, ich glaube, ich sollte mir extra eine Katze zulegen, nur um sie dann bei nächster Gelegenheit gründlich durchzuwaschen und zu enthaaren. Und schleudern dann bei tausendvierhundert Touren? Oder besser nur achthundert? Doch... vielleicht lieber von Anfang an.

Die natürlichen Sehenswürdigkeiten in der Weltraumbasis haben einen neuen Höhepunkt erreicht, im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich meine damit nicht den Mount Trasherest, den es vor einiger Zeit zu erklimmen galt, sondern den neuen Gipfel, der sich diesmal im Badreich befindet, den fürchterlichen Mount Waschmore.

Es gibt Momente im Leben, da knallt einem die Waschmaschine durch. Die Stoßdämpfer sind im Eimer und beim Schleudern klingt es, als ob die Maschine systematisch die Wohnung zerlegt. Die Antriebsriemen sind defekt und es bewegt sich überhaupt nichts mehr. Die Zu- und Abläufe sind vergammelt und die Wäsche riecht nach Sumpfwasser. Wenn man Glück hat, wird nicht der gesamte Standort unter Wasser gesetzt. Es kann aber sein, dass man bis zur Reparatur oder zum Ersatz keine Wäsche mehr zuhause waschen kann. Und wenn man sich von so etwas lähmen lässt, anstatt zum Nachbarn, Freundin, Waschsalon o.ä. zu gehen, dann wächst er langsam heran, der Mount Waschmore, denn die Wäschekörbe sind voll, sie bersten fast, und so schwillt der Wäscheberg zu enormen Ausmaßen.

Anfangs irgendwie ganz witzig anzusehen - doch spätestens, wenn man ein bestimmtes Wäschestück braucht und sich auf die Suche machen muss, wird es beschwerlich: Man krabbelt über den Bergfuß, versucht, sich von der Spitze nach unten durchzuarbeiten, irgendwo muss das Teil doch sein. Der Gipfel wird in eine ganze Bergkette zerteilt, die Nerven zum Zerreißen gespannt, ich hatte das Teil doch letztens auf den Haufen geworfen, oder? Und da ich ja davon ausgehe, dass ich einfach nicht genau hingeschaut habe, durchwühle ich die Bergkette ein weiteres Mal, eine Stunde nach der anderen geht in's Land, ich verstehe die Welt nicht mehr. War das Teil etwa noch in der Waschmaschine? So siedele ich um in das Badreich, finde dort nichts. Schaue entmutigt in den Spiegel - so kann es nicht weitergehen. Den Blick in den Spiegel gerichtet, schmiede ich Pläne, um der Situation endlich zu Leibe zu rücken und merke, wie lange ich es mit solchen Missständen aushalte. Dabei ist es doch kein Problem, Abhilfe zu schaffen! Aber "irgendwie geht's ja doch", nicht wahr?

Und nach langem Starren in den Spiegel bemerke ich, dass ich das gesuchte Teil die ganze Zeit am Körper trage. Kann doch nicht wahr sein, das bringt das Faß zum Überlaufen, ich schmiede Pläne, mich der alten Maschine gewinnbringend zu erledigen - die Königin des Badreichs ist tot, lang lebe die neue Königin! Und suche eine neue Waschmaschine, mit der ich schon länger geliebäugelt habe wegen niedrigerer Waschtemperatur und weniger Energie- und Wasserverbrauchs. Netterweise kommen starke Männer vorbei, die die ganze Schlepperei erledigen, und so blicke ich auf die neue Maschine, blau, passend für ihr neues Reich, und diesen seltsamen Knopf Pet Hair Removal. Und schaue, was die Bedienungsanleitung dazu sagt, damit ich weiß, wie ich mein zukünftiges Haustier waschen muss:

Zum Glück war diese Warnung in der Waschanleitung enthalten!

Aha! Ich darf mein Haustier nicht in der Waschmaschine waschen! Ich gebe zu, ich bin ein bisschen enttäuscht... aber freue mich trotzdem, dass ich immerhin wieder frische Wäsche habe und nicht mehr Angst haben muss, dass ein Gast sich vom Mount Waschmore in den Tod stürzt ;-)

Freitag, 17. November 2017

Mein erster Stummfilm

Cesare, der Schlafwandler, aus dem Cabinet des Dr. Caligari

Vorweg: Eigentlich wollte ich heute von neuen Erlebnissen im Badreich berichten, denn der fürchterliche Mount Waschmore wurde nach langem Warten endlich erklommen. Dann aber kam eine spontane Entscheidung mit Auswirkungen auf diesen Blog.

"Stummfilme? Ne lass mal, das ist mir zu anstrengend", das war eigentlich immer meine unmittelbare gedankliche Reaktion auf die Aussicht auf einen Stummfilm. Meine Denkweise ganz klar engstirnig, mit Scheuklappen und voreingenommen, so wie ich es von mir leider schon häufiger erleben musste: "Da sind dann ja alle Dialoge als Text eingeblendet, ich hab keine Lust, den ganzen Film über so viel zu lesen!" - "Ich weiß auch gar nicht, ob ich das alles dann überhaupt verstehe!" - "Und dann diese altmodische Musik im Hintergrund, das Gedudel geht mir bestimmt bald auf die Nerven!" - "Und das ist ja auch noch alles schwarzweiß!" - "Ja, ein paar meiner Lieblingsfilme sind schwarzweiß, das weiß ich ja, aber bei den Stummfilmen ist die Bildqualität dann auch noch so schlecht, bestimmt nicht einmal vierhundertachtzig Pixel."

Kurz gesagt: "Moderne Filme sind viel bequemer, warum soll ich mir einen Stummfilm antun???"

So habe ich also bis in mein fünfunddreißigstes Lebensjahr hinein gelebt, ohne je einen dieser Filme zu sehen. Da konnte mir noch so oft aus der Internet Movie Database entgegenschallen, dass einige dieser Filme ungeheuer populär sind. Da kann mir Roger Ebert noch so oft sagen, dass einige dieser Filme zu seinen Great Movies gehören. Ich weiß es ja mal wieder besser.

Bis gestern.

In einem Anflug von "Ich muss meinen Horizont erweitern!" habe ich Amazon prime nach Stummfilmen durchstöbert, gezielt nach Das Cabinet des Dr. Caligari von 1919, und bin fündig geworden in einem Double Feature mit Nosferatu, eine Symphonie des Grauens von 1922 - zwei wichtige Filme des Deutschen Expressionismus, wie ich dem Internet entnahm. Nun denn, das Telefon ausgestöpselt, die Wohnung abgedunkelt und zuerst Nosferatu gestartet - und damit eine Aufklärungsrunde erster Güte, in der ich meine Vorurteile der Reihe nach über Bord werfen musste.

"Ich habe keine Lust, so viel Text zu lesen" - eine völlig unberechtigte Angst, denn der Film ist mit extrem wenigen Textkarten ausgestattet. Der Plot wird durch die Bilder erzählt und die Emotionen durch die Musik begleitet. Ich habe alles verstanden, allerdings war ich auch (im Vergleich zu manch' modernem Film) hoch aufmerksam, ich habe um mich herum kaum noch etwas mitbekommen. "...diese altmodische Musik nervt..." - ...so überhaupt nicht, denn nach einigen Minuten nimmt man sie kaum noch als "Filmmusik" mehr war, sondern als eigenständigen Charakter der Geschichte. Die Musik und die Bilder erzählen viel eindrucksvoller, als jegliche Dialoge oder textuelle Exposition es könnten. Ich gebe zu, ich habe ziemlich gestaunt... und ich war gespannt! So gespannt, wie es weitergeht - eben weil keine ablenkenden Farben dabei waren, keine überflüssigen Bildimpulse, keine nervigen Dialoge, ich war vollkommen absorbiert; zwischendurch musste ich pausieren, um dann in aller Eile etwas zu trinken zu besorgen, und bin sofort wieder auf die Couch gerast, um mit Thomas Hutter auf die Reise zu Graf Orlok und zurück in seine Heimat zu gehen.

Und habe ganz nebenbei gelernt, wie richtiger Horror funktioniert. Das sind keine scare tactics; ich bin nicht vor Schreck aufgesprungen. Dazu haben moderne Filme zu gute Techniken (z.B. im Sinne der jumpscares) entwickelt. Aber ich muss zugeben, dass nicht viele Filme mich so sehr mitgenommen haben. Erübrigt sich, zu sagen, dass die Meditation danach ein einziger Genuss war - diese neue Erfahrung noch einmal Revue passieren zu lassen. Und eigentlich wollte ich danach diesen Artikel schreiben, aber ich war mittlerweile viel zu neugierig geworden auf den zweiten Film, Caligari.

Ich hatte keine Ahnung, dass ich mir den ersten Horrorfilm der Welt anschauen würde. Ich hatte keine Ahnung über seinen literarischen und interpretatorischen Anspruch. Ich hatte keine Ahnung von seinem twist ending. Ich hatte keine Ahnung, wie wichtig dieser Film mittlerweile ist. Ich weiß nur, ich war gebannt wie zuvor bei Nosferatu, und am Ende habe ich gestaunt und mit Genuss die Rezensionen und vor allem die Interpretationen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges - und vor allem der damals noch weit entfernten Bedrohung durch die Nazis gelesen.

Wow. Lange keinen so guten Filmabend gehabt.
Und wieder ein paar Vorurteile über Bord gekickt.

Mittwoch, 15. November 2017

Liebe, Augenhöhe, Er und ich

Körperlich auf Augenhöhe zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass man den Anderen gleichwertig behandelt...

Vorwort: Manchmal sind die Pausen zwischen zwei Beiträgen länger. Oft liegt es daran, dass ich "viel" an einem Tag zu tun habe und mein "Sozialkonto" abends aufgebraucht ist, dann möchte ich nur noch meine Ruhe haben und nichts mehr schreiben. Oder aber, wie in diesem Fall, ein Beitrag braucht einfach länger; das ist völlig unabhängig von der Länge des Textes, sondern davon, wie lange ich über den Inhalt nachdenken muss. Und das hat bei diesem Beitrag ein wenig länger gedauert.


Wir begegnen Menschen. Das gehört zu unserem Alltag dazu. Es gibt unzählige spannende Studien zur "Ich und das/der/die Andere"-Thematik; ich möchte heute einen Pädagogen-Bingo-Begriff beleuchten, den jeder in seinem Referndariat schon einmal gehört haben wird: Augenhöhe. Bzw., "auf Augenhöhe miteinander umgehen". Ich habe das Konzept irgendwann bei den Gesprächen mit der großen Buba fallengelassen, neulich hatte sie ihn selbst benutzt. Scheint gezündet zu haben, da scheint also etwas dran zu sein.


Natürlich hat das nichts mit der wörtlichen Augenhöhe, bedingt durch die Körpergröße, zu tun. Da gibt es zwar auch einen Effekt (große Menschen, größer als man selbst), aber mir geht es um Anderes: Selbst wenn wir miteinander reden und uns dabei in die Augen schauen können - wenn man sich setzt, fallen die Größenunterschiede gar nicht mehr so auf - selbst dann kann es erhebliche "Höhenunterschiede" geben.


Man stellt sich vielleicht höher als der Andere. "Ich habe mehr Erfahrung. Ich habe den höheren Posten. Ich bin dein Vorgesetzter." Und jetzt wird's eklig zu tippen, denn jetzt wird es persönlich. Ich probier's trotzdem. Denn mir passiert das sehr oft, dass ich mich im Bewusstsein meiner höheren Lebenserfahrung über meinen Gesprächspartner stelle. "Ja, das habe ich auch schon mal durchgemacht, das ist echt schlimm." - "Ah, ich kenne das, du solltest das vielleicht lieber so und so machen!" Ich gefalle mir viel zu oft in der Lehrer- oder Mentorrolle. Und trage damit Einiges dazu bei, dass ich Probleme habe, gleichberechtigte Beziehungen einzugehen. Zum Glück habe ich nicht viele Freunde, so kann das nicht allzu oft passieren.


Man kann sich natürlich auch unter seinen Kommunikationspartner stellen. Zu ihm aufblicken. Mache ich zum Beispiel bei Jay, habe ich von Anfang meines Studiums an gemacht. Zu ihm hochgeschaut. Er hat mehr Lebenserfahrung, mehr Bücher gelesen, da gehe ich dann gern in die Schülerrolle. Allerdings passiert das eher selten - ich tendiere zum Mich-Höherstellen.


Was hat das nun mit Liebe zu tun? Und wann kommt Er in's Spiel?


Fangen wir mit der Liebe an: Reflektiert mal ein wenig, ob Ihr mit eurem Lebenspartner auf Augenhöhe seid, oder ob Ihr zum Bemuttern neigt, oder vielleicht zum "Unterwerfen" (mal von sexuellen Tendenzen abgesehen). Ich behaupte einfach mal, und da dürft Ihr mich sehr gern widerlegen und/oder aufklären: Eine "ideale" Liebesbeziehung oder Partnerschaft für's Leben kann es nur geben, wenn man es irgendwann geschafft hat, sich auf Augenhöhe einzustellen. Wenn das nicht möglich ist - ist er oder sie dann wirklich der/die Richtige? Ich schaue gerade mal wieder Twin Peaks und mir werden zu Unterhaltungszwecken diverse Beziehungskonstellationen präsentiert, das regt zum Nachdenken an. Zum Kommentieren: "Shelly, warum lässt du es zu, dass dein Mann dich schlägt und als Haushälterin sieht?!"


Zurück aus der Fiktion in das reale Leben, die Zeit um sechs Jahre zurück gedreht, und nun kommt Er. Unser Kennenlernen war von Augenhöhe meilenweit entfernt, wenn ich ihm glauben darf. Ich war damals noch Teil der Saturnalien-Crew, Theater, Sketche, Musik, und "leider" die perfekte Möglichkeit für mich, die absolute Rampensau zu werden (oder besser rauszulassen, weil sie scheinbar immer schon da war). Und dabei war es meine letzte Aufführung, und ich hatte mich schon möglichst zurückgenommen, ich habe es wirklich versucht. Und dann kam Er neu in die Theatergruppe. Und seine erste Wahrnehmung von mir hatte mit Augenhöhe nichts zu tun: "Du standest im Mittelpunkt, du hattest immer alles im Griff, du warst im Examen, du hast das alles geleitet, ich hab zu dir aufgeschaut. Dr Hilarius war das Mastermind, irgendwie, und das hat mich beeindruckt." (meinte Er Jahre später zu mir)

Er hat zu mir aufgeschaut. Und ich bin dann irgendwie wieder in die Mentorrolle gekommen. Das passte zusammen, auch wenn es keine gleichwertige Freundschaft zu sein schien. Und ich hab' das auch noch genossen! Ich habe es nicht mitbekommen, wie ich ihn bevormundet habe, ich habe es nicht gemerkt, dass Er alles Mögliche mir zuliebe gemacht hat. Wie sich das dann weiter entwickelt hat, möge Privatsache bleiben. Es geht mir nur darum, aufzuzeigen, dass diese Freundschaft zwar wunderbar geklappt hat (wir haben uns damals nie beschwert), weil wir uns beide in unseren Rollen wohl gefühlt haben.

Aber kann das eine Grundlage für eine lebenslange Freundschaft sein? Kann das ewig gut gehen? Ich bin mittlerweile bei der Meinung angekommen, wie eingangs beschrieben, dass eine ernste, enge Partnerschaft Umgang miteinander auf Augenhöhe beinhalten muss.

Und ja, mir ist bewusst, dass es da ja einen Unterschied gibt zwischen einer Freundschaft und einer Partnerschaft. Aber wie gesagt, ich möchte hier nicht seine weitere Gefühlswelt preisgeben. Schaut Euch einmal Die Verurteilten (The Shawshank Redemption, 1994) an. "Freundschaft oder Liebe" ist totaler Unsinn...


post scriptum: Das Thema für morgen steht bereits und wird definitiv leichter verdaulich - wenn alles glatt läuft!

Dienstag, 14. November 2017

Angst vor'm Zahnarzt?

Gothic-Zahnseide! :D

Ich hatte immer fürchterliche Angst vor dem Zahnarzt. Das hat sich in meiner Kindheit manifestiert: Zuviel süßes Essen, zu selten oder zu ungenau geputzt - perfekte Grundlage dafür, dass bei jedem Zahnarztbesuch irgendwas gemacht werden musste. Und insgeheim hatte ich immer gehofft, dass meine Mutter die Prophylaxetermine alle sechs Monate vergaß. Machte die Lage bei meinen Zähnen nur noch schlimmer.

Die Angst, dass der Zahnarzt bei der ganz normalen Untersuchung irgendwo draufdrückt und es wehtut. Und dass dann gebohrt werden muss. Dieses whiiiiiiiiiiiiiiiiiiii..., wenn der Bohrer eingeschaltet wird. Und was man da noch alles im Mund hängen hat. Und die Angst, dass die Betäubung nicht ausreichend wirkt und der Schmerz sich vom Backenzahn gefühlt durch die Augen bis in's Hirn verbreitet. Grausig!

Als mein Zahnarzt dann zu Anfang des Studiums andeutete, dass die Weisheitszähne raus müssen, sind bei mir alle Lichter ausgegangen und ich habe das fünf Jahre vor mir hergeschoben. Darauf hatte ich ja gar keine Lust, das Zersägen der Zähne, das Rauslöffeln, das Knacken dabei... zum Glück gab es die Option Vollnarkose.

Dass hier und da gebohrt werden musste, habe ich mit Vorliebe auf meine Zähne geschoben, die sind halt einfach so anfällig. Ich wusste zwar, dass ich selbst die Verantwortung dafür hatte (Putzen mal wieder vergessen?), aber verinnerlicht hatte ich das nicht. Sonst hätte ich mein Verhalten vielleicht umgestellt.

ein paar Jahre später

"Das ist perfekt, hier ist nichts, nichtmal Zahnstein. Machst du irgendwas anders als früher?" fragt mich Ulf, mein Zahnarzt, und ich antworte wahrheitsgetreu: "Ich putze nur noch einmal täglich die Zähne." Und dann hat er mir erklärt, dass das durchaus eine sinnvolle Methode ist, "wenn du damit solche Ergebnisse erzielst." Ich bin noch nie so strahlend aus einer Zahnarztpraxis gegangen.

Warum nur noch einmal täglich? Weil ich das einfacher ritualisieren kann. Wie oft habe ich mir abends, müde, gedacht "Ach, mach das Zähneputzen morgen!" - und am Morgen war alles wieder vergessen, weil ich mit dem Kopf schon wieder woanders war. Ich vergaß das Zähneputzen genau so wie manchmal das Essen und Trinken. Und abends gern auch der Gedanke "Och nö, das dauert jetzt noch so lange, habe ich keine Lust drauf."

Wenn ich nur diesen einen Termin vor dem Schlafengehen habe, kann ich das leichter als Regelmäßigkeit verbuchen. Ich weiß genau, dass ich dafür zwölf Minuten brauche (putzen, Zahnseide (jeden Zwischenraum einzeln), Interdentalbürste, Mundspülung). Jetzt klappt es also, und so habe ich gestern einen sehr schnellen Besuch bei Ulf gehabt und bin strahlend nach Hause gegangen. Und mit Angst ist auch nix mehr: Die Meditationen haben mir die Furcht vollkommen genommen.

Muss ich also erst vierunddreißig Jahre alt werden, um meinen Frieden mit der Zahnpflege zu machen. ;-)

Samstag, 11. November 2017

Sprayer

Immerhin sind die Türklingeln nicht verklebt worden ^^

Ich glaube, Graffiti sind für niemanden etwas Neues mehr. Für mich war in der letzten Woche zumindest neu, dass unser Hauseingang mal des Nachts eingesprüht worden ist - aber nicht nur der, auch die Schaufenster-Eingangstür-Front von Sky nebenan ist komplett umdekoriert worden - mit weiß, ausgerechnet.

Warum gerade dieser Name???

Dieser Umstand bietet einen Denkimpuls, besonders für Leser, die selbst aus "spannenden" Umfeldern kommen oder mit "schwierigen" Schülern zu tun haben. Es geht gar nicht um die Meinung zu dieser Verschönerung - klar, das ist Sachbeschädigung und es sieht noch nichtmal gut aus. Und wenigstens hätten sie Tscheeeeeeßn richtig schreiben können. Nein, hier fliegt wieder die HB-Dauerfrage herum: Warum tut man sowas?

Ich glaube, wenn ich mich mal ein bisschen online informieren würde, wüsste ich die Antwort längst. Und es ist kein Geheimnis, dass der Anteil der Graffiti in sozial schwächeren Vierteln höher ist als in elitären Gegenden. Man wird in Düsternbrook nicht so viele Graffiti finden wie in Mettenhof. Und wenn ich durch Berlin fahre, entdecke ich auf der Fahrt durch Zehlendorf deutlich weniger Spray"kunst" als in Ahrensfelde; das wird auch Herr Leinhos bestätigen können. Und warum ist das so?

Ich frage mich, ob das Sprayen neben der Gebietsmarkierung bestimmter Gruppen auch eine Art Ventil sein kann; dann nämlich hätte es einen pädagogischen Nutzen, den Sprayern Flächen zur Verfügung zu stellen, an denen sie sich austoben können. Seit der Gemeinschaftsschularbeit ist mir bewusst, dass viele Jugendliche Energie loswerden müssen, Frust abbauen - ob Graffiti dabei helfen können?

Wenn sie mal etwas hübschere Motive nehmen würden - ein weißer Jason in unserem Hauseingang ist einfach langweilig. Witzig finde ich, wie die Außenwände des plaza-Gebäudes verziert sind: Dort sind nämlich Szenen aus dem Einkaufsalltag hingemalt/gesprüht worden. Find' ich gar nicht schlecht.

post scriptum: Er hat sich gemeldet, von sich aus - das bringt ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich hab tatsächlich überlegt, ob Er "uns" aus dem Blick verloren hat. Hat Er nicht. Und mittlerweile sind die Graffiti weg, zumindest in unserem Hauseingang.

Donnerstag, 9. November 2017

Fünfhundert Beiträge: Ein Résumé

Wie sehen die Dinge knapp zwei Jahre später aus?

Wenn ich diesen Artikel veröffentliche, befinden sich auf diesem Blog fünfhundert Artikel online. Ich habe einige mehr geschrieben, manche sind wieder vom Netz genommen worden, manche noch unveröffentlicht, aber es ist eine gute Gelegenheit, um mal Bilanz zu ziehen. Wie hilarious sind diese times noch?

Ich habe vor knapp zwei Jahren angefangen, in diesem Blog zu schreiben, um mich vor totaler Perspektivlosigkeit in meiner letzten Phase ohne Arbeit zu schützen (es ist schade, dass diese Phasen für mich mittlerweile einen Wiedererkennungswert haben, aber so ist es nun mal, und ich trage ja auch selbst dazu bei, indem ich der Voreingenommenheit der Menschen aktiv Futter gebe). Ich habe mir gedacht, wenn ich jeden Tag einen Artikel schreibe, egal, worüber, egal, für wen, dann habe ich eine Regelmäßigkeit. Etwas, wofür es sich lohnt, wach zu werden, etwas, worauf ich zufrieden beim Einschlafen zurückblicken kann. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben.

Deswegen waren mir die Klickzahlen auch vollkommen egal. Man kann ja hier immer sehen, wie oft ein Artikel angeklickt worden ist. Und ich fand es faszinierend, damals zu sehen, wow, meine ersten paar Artikel sind innerhalb eines Tages sechsmal aufgerufen worden! Und ich habe mir überlegt, wer diese sechs Menschen wohl sind, und was sie wohl gedacht haben, als sie diesen Gedankenoutput gelesen haben. Und als dann nach einigen weiteren Tagen sogar mehr als zehn Klicks angezeigt wurden, musste ich einfach grinsen. Das war das Gefühl von "Naja, egal ob positiv oder negativ, irgendwas scheint es ja zu bringen" - das war irgendwie ein Antrieb, weiter zu machen. Mittlerweile sind es mehr Klicks, das geht schneller, und ich schwanke zwischen Verwunderung ("Das ist doch meistens nur normaler Alltag, warum will irgendjemand das lesen?") und Freude ("Hey, es bringt ja doch irgendwas!").

Und hin und wieder bekomme ich ein Feedback - so wie gestern von einer ehemaligen Tutantin vor langer, langer Zeit an der Uni. Und wenn ich sowas lese, geht im Kopf schon wieder alles rund: Gedanken, ob der Blog nicht irgendwann zu redundant wird und ich es einfach lassen sollte, sind weggeblasen. Ich staune, wer alles diese Texte liest - das sind ganz enge Freunde, aber mittlerweile auch Menschen, mit denen ich vielleicht nie so viel zu tun hatte, aber mit denen mich scheinbar ein gemeinsames Interesse verbindet, sei es nun die hochbegabte Sichtweise, oder Begeisterung für ungewöhnliche Filme, oder die Liebe zu unserem Beruf - auch wenn ich sie momentan eben nicht ausleben kann.

Und das lässt mich daran denken, dass ich durch den Blog auch häufiger als früher gezwungen werde, mich mit Dingen auseinanderzusetzen, die für mich vielleicht erstmal unangenehm sind. Ich habe es immer geliebt, solche Situationen zu vermeiden: Wenn ich vor etwas Angst habe, na dann gehe ich einfach nicht dorthin. Wenn ein Thema Konfliktpotential bieten könnte, na dann rede ich einfach nicht mit der betreffenden Person darüber. Die Sannitanic hat mir irgendwann einmal erklärt, dass es tatsächlich so etwas wie eine Vermeidende Persönlichkeit gibt. Mir ist das besonders deutlich vor Augen geführt worden im Umgang mit jemandem, der genauso gern wie ich früher jegliches Konfliktpotential zu vermeiden sucht.

Was bedeutet das konkret im Hinblick auf diesen Blog? Ich muss mich auseinandersetzen mit anderen Sichtweisen und anderen Meinungen. Endlich sagen bzw. schreiben mir Menschen hier "Nein, ich glaube, das siehst du vollkommen falsch!" oder "Hast du darüber überhaupt schon einmal nachgedacht?"; während ich früher immer schnell eingeknickt bin und den Anderen beschwichtigt habe, weil es sich für mich unschön angefühlt hatte und ich das nicht länger als nötig ertragen wollte, stelle ich mich mittlerweile der Auseinandersetzung. Ich stelle mich den anderen Meinungen. Ich stelle mich den selbstschädigenden Aspekten meines Verhaltens. Ich stelle mich dem Umstand, dass Er immer noch in meinem Kopf ist. Ich stelle mich der Frage, warum ich keinen Job habe.

All' diese Auseinandersetzungen sind durch die Arbeit mit dem Blog angestoßen worden, und auch wenn es unangenehm ist, bin ich sehr dankbar dafür. Denn das bringt mich weiter, und zwar erheblich mehr als die Augenwischerei mancher Menschen, die es oberflächlich gut mit mir meinen. Erheblich mehr als das Feedback jener Mitmenschen, die mir nach dem Mund reden. Ich habe hier ab und an über Buddhismus berichtet und über Pema Chödrön; eines ihrer Bücher heißt Geh' an die Orte, die Du fürchtest, und mittlerweile verstehe ich die Denkweise dahinter vollkommen.

Ich lerne zuzugeben, dass mein Können und Wollen seine Grenzen hat. Ich lerne, zu sagen "Es tut mir leid, das kann ich nicht." "Das schaffe ich nicht allein." "Nein, das möchte ich nicht." "Kannst du mir dabei helfen?" Und ich lerne, dass ich anders sein darf. Dass ich mich damit nicht verstecken muss.

Ich stehe sozusagen im Dialog mit diesem Blog - ich gebe meine Gedanken hinein und werde auf vielerlei Weise zur Reflektion und Weiterentwicklung gebracht. Diese Arbeit ist mittlerweile weit mehr als nur die "Regelmäßigkeit in meinem Alltag", und genau deswegen ist es auch keine ernsthafte Frage mehr, ob die times noch hilarious genug sind, um weiter geführt zu werden.

Auf die nächsten fünfhundert! Und danke... Ihr helft mir manchmal mehr, als Ihr vielleicht denkt.

Euer Dr Hilarius

Mittwoch, 8. November 2017

Auf Entzug: Wenn der Affe klopft

Quelle - https://www.usnews.com/dims4/USNEWS/b297286/2147483647/thumbnail/970x647/quality/85/?url=http%3A%2F%2Fmedia.beam.usnews.com%2F06%2Fe7%2F29cd1d65416fad63701e1252725a%2F140512-smoking-editorial.jpg

Das gab es schonmal, aber heute ist etwas anders, für die Raucher unter den Lesern. Da ich selbst nicht rauche, ist die Gefühlsbeschreibung ein Schuss in's Blaue, aber ich versuch's mal. Und auch Nichtraucher sollten das lesen!

Schulschluss, puh, endlich fällt die Tür hinter mir in's Schloss und ich schalte ab. Die 8a war heute echt unruhig, sonst hab' ich die so gut im Griff, aber die wollten heute echt nicht. Und meine letzte Stunde ist irgendwie anders gelaufen, als ich mir das vorgestellt hatte, das war nicht rund. Ich setze mich. Nein, ich haue mich in die Kissen. Erstmal Ruhelage, keine Bewegung, keine Geräusche.  Erstmal eine Zigarette, und während ich die rauche, denke ich nach. Ein Zug... und ich lasse die Stunden Revue passieren. Warum hatte Claudia heute plötzlich die Haare kurz rasiert? Ob das die Klasse so in Unruhe gebracht hat? Noch ein Zug, und ich schaue die gegenüberliegende Wand an. Der Verkehr rauscht vorbei und tut gerade ganz gut, hilft, dass ich mich nicht vollkommen tot fühle. Und David, der ist spannend, der zieht irgendwie sein eigenes Ding durch... ein Zug...pffhhhhhhh......ich könnte mir vorstellen, dass der hochbegabt ist, und es erkennt nur niemand. Das würde alles passen...mist, die Asche ist auf der Schulter gelandet und rollt herunter, ich habe das Abklopfen vergessen. Ist aber gerade so ein richtig schöner Flow aus Zigarettenrauch, Nochmal-Erleben der Schulstunden und Runterkommen für die Aufgaben, die noch anstehen...

So in etwa kann es gehen, oder? Wenn noch Zigaretten da sind - fuck, ich wollte doch am Kiosk auf dem Heimweg ne Schachtel Kippen holen, ich klopfe die Jackentaschen ab, links das Portemonnaie, rechts die Schachtel, wie immer, nur ist die Schachtel leider leer. Ach scheiß, und der Zigarettenautomat unten an der Straße nimmt nur Bargeld, bisschen genervt bin ich jetzt schon, weil die 8a halt echt unruhig war, scheiße, passt jetzt genau in meinen Tag, dass auch noch die Zigis alle sind, und ich werde nervös, bin einfach nicht mehr gelassen, sollte mich auf andere Sachen konzentrieren, aber weil ich sehe, wie meine Hände fahrig werden, und weil ich merke, wie ich ein bisschen in's Schwitzen komme, werde ich immer wieder daran erinnert, dass ich keine Zigarette zur Hand habe, und ich schaue mich in der Wohnung um, als könnte ich durch Drehung des Kopfes bewirken, dass plötzlich die Marlboros da im dritten Regal von oben liegen, so wie sonst auch, scheiß, warum hab ich nicht rechtzeitig auf Vorrat gekauft?

Okay, Schluss damit. Ich wollte uns alle nur in die Stimmung bringen, die wir kennen: Wir möchten etwas genießen, wir brauchen etwas, wir haben es aber nicht. Denn von hier aus soll es weitergehen, es geht um das Gefühl, dass wir es wieder bekommen. Schachtel Zigaretten gezogen, endlich wieder in der Hand, endlich wieder in der Tasche, endlich wieder 'ne Stange im Haus, endlich wieder ein bisschen Vorrat, durchatmen. Zurücklehnen. Safe tonight. Kann weitergehen, ein entspanntes Lächeln kommt auf mein Gesicht, die Mundwinkel werden breiter, Augen zu, Blick nach oben, fallen lassen, alles wieder in Ordnung.

Genau darum geht's, und genau das Gefühl hatte ich heute an der Sky-Kasse, aber es hatte nichts mit psychoaktiven Substanzen zu tun. Kein Nikotin, kein Alkohol, nix da, sondern Schwachsinn. Anrempeln. An der Kasse vordrängeln. "Kannst du für mich mitbezahlen?" "Habt ihr gerade Freistunde oder warum seid ihr alle hier?" "Nein, wir haben Schulschluss und warten nur noch auf den Bus."

Ungelogen. In dieser Anstellschlange heute mittag bei Sky hatte ich dieses Gefühl. Diesen Genussmoment. Als sei ich von etwas abhängig, aber zur Zeit auf Entzug ("einen Affen schieben"), und dann bekomme ich wieder einen Rausch. Craving erfüllt. Ich halte in der Hand rechts Wäschestärke und links TK-Pizza und genieße die Schüler, etwa Klasse Sieben, und ich würde ihnen so gern sagen "Ich bin Lehrer."

Mir ist in dieser Anstellschlange bewusst geworden, dass ich wirklich wieder mit Schülern arbeiten will. Es war schön, einen Hauch von school life im Supermarkt zu bekommen.

Thanks for reading.

Dienstag, 7. November 2017

...das kenne ich doch?

Klar, ein Déjà Vu, aber was für Konsequenzen hat es in diesem Fall?

Es geht mal wieder um ein Gefühl. Es ist mitten in der letzten Nacht aufgetaucht und heute ist es besonders präsent. Vielleicht erkennt sich ja jemand wieder. Und ich versuche, diesen Beitrag möglichst ohne spoiler zu schreiben.

Vor Kurzem habe ich bei Facebook um Rat gefragt, ich war auf der Suche nach einem "Mindfuck-Movie", irgendwas in Richtung David Lynch, weil ich mal wieder etwas Neues erleben wollte. Ich bekam den Tipp, mir einmal die sechsteilige deutsche Serie Weinberg (2015) anzuschauen, da diese für deutsche Verhältnisse schön düster sei. Letzte Nacht habe ich mir also die erste Folge angeschaut - Zeit für ein bisschen Bewusstseinsstrom:

Okay, das ist also diese Serie... Tatsächlich düster, und diese Kamerawinkel... lustig, das ist fast ein bisschen wie bei "Twin Peaks"... ach sieh' an, die örtliche Weinkönigin ist ermordet worden? Sie war überall beliebt? Und es deutet sich an, dass sich hinter der ganzen schönen Fassade Abgründe verbergen, moment mal, das ist ja genau wie Twin Peaks! Oder kommt mir das nur so vor?

Ähnlich wie per Kursivschrift angedeutet, bin ich irgendwann während der Episode "rausgerissen" worden und fing an, meine Twin Peaks-Theorie weiter zu spinnen. Heute habe ich damit weiter gemacht, habe mir einen Zettel zur Hand genommen und mit "Ähnlichkeiten" überschrieben. Und die Liste wurde immer länger, immer länger, und dann konnte ich die zweite Episode irgendwann nicht mehr einfach so genießen, weil ich plötzlich völlig auf Twin Peaks gepolt war. "Ha, wetten, da kommt auch ein geistig beeinträchtiger Junge vor?" - solche Gedanken häuften sich, ich überlegte mir, was die Merkmale der amerikanischen Serie waren und ob sie im deutschen Weinberg auch auftauchen würden. Natürlich führte das auch dazu, dass ich zu Beginn der zweiten Episode meine Theorie zu Mörder und Hintergründen hatte.

Genug davon, keine spoiler. Kennt Ihr das? Ihr seht euch einen Film an und nach kurzer Zeit überkommt euch das Gefühl "...das kenne ich doch?"; mir geht es darum, was das Wiedererkennen mit der Zuschauerhaltung anstellt. Schon vor Ende meint man, alle Rollen zu kennen, man gleicht Musik, Optik und Charaktere miteinander ab. Das Genießen gerät ein bisschen in die zweite Reihe, weil unaufhörlich sämtliche Informationen des "Originals" durch den Kopf rattern...

...und manche Menschen, die vielleicht sowieso gern meckern, denken sich "Abklatsch!" und schalten ab. Kann ich sogar sehr gut verstehen. Denn ich gebe zu, mir fällt es selbst recht schwer, an den Rest der Serie objektiv, möglichst wenig voreingenommen ranzugehen. Sicherlich hat da auch die Hochbegabung ihren Anteil daran: Ich kann mein Gehirn nicht abschalten, Szenen der Originalserie laufen durch meinen Hinterkopf, während vorne die neue Version läuft, natürlich fange ich gleich an zu überlegen, was ich wohl besser finde, die Dialoge werden vergleichen, die Interaktionen der Charaktere, die Regiearbeit, das Ganze wird beinah zu einer wissenschaftlichen Arbeit.

Es dauert wirklich lang, bis ich irgendwann die Augen schließe, den Kopf schüttele und mir sage: "Okay, jetzt akzeptier' es einfach, Weinberg ist sehr stark durch Twin Peaks inspiriert, fertig, das macht es nicht zu einer schlechten Serie, und jetzt lehn' dich zurück und genieße es, denn..."

...die deutsche Auflage ist wirklich hervorragend. Visuell und akustisch ein Genuss, fragmentarische Erzählweise, eine wunderbare Gudrun Landgrebe und viel Denkfutter für das Gehirn.

Kurz gesagt:
Wer Twin Peaks mochte, wird Weinberg genießen.
Wer Weinberg mochte, wird Twin Peaks lieben.

Ein großes Dankeschön an Cord für den Tipp, jetzt gibt es hier die zweite Hälfte, eine atmosphärische Weinberg-Nacht.

post scriptum: Über "Amazon Prime" kann man die Serie kostenlos anschauen.

Montag, 6. November 2017

Der Prüfungszwirn

Das war mein Versuch eines Kompromisses beim Prüfungsoutfit - natürlich mit schwarzem Nagellack!

"So, Dr Hilarius, zu ihrer mündlichen Examensprüfung kommen sie aber mal in anständiger Kleidung, ja? Einmal in diesem Studium möchte ich sie in etwas eleganterem Outfit sehen." - "Ich schaue mal, was sich machen lässt."

So also mein Lateinprof, als es auf das letzte Semester an der Uni zuging, und er meinte das wirklich ernst. Ich scheine wohl hin und wieder nicht elegante Klamotten getragen zu haben. Aber warum überhaupt für die Prüfung umziehen? Der Großteil der Studenten macht das - und auch sehr viele Schüler, wenn es an die mündlichen Abschlussprüfungen geht. Warum? Damit sie sich noch mehr unter Druck gesetzt fühlen? Damit sie noch nervöser werden, noch mehr schwitzen, noch verkrampfter in den Zwirn gekrampft ihrer Prüfungskommission gegenüber sitzend innerlich beten, dass die Prüfung bald vorbei ist?

Wäre es nicht sinnvoller, wenn bequem das oberste Gebot bei der Wahl der Prüfungsklamotte ist? Warum das Ganze? Warum ziehen sich Menschen zu Prüfungen schick an? Ist das historisch gewachsen? Ich verstehe das nicht: Was hat meine Leistung in meiner Abschlussprüfung mit meinem Outfit zu tun? Welchen Effekt hat diese Oberflächlichkeit auf die Aussage über meine Eignung als Latinist/Anglist/whatever?

Mir reicht es schon, dass manche Berufe Dresscodes haben, die sich nicht in der berufsgebundenen Funktionalität begründen. Und dass meine Chancen einer Einstellung an einer Schule wegen meines Äußeren öfters zu leiden haben, habe ich auch schon ab und an erwähnt.

Es muss einfach in der menschlichen Oberflächlichkeit begründet sein, von der ich mich auch nicht freimachen kann, auch wenn ich es eigentlich gern würde.

Sonntag, 5. November 2017

Ich hasse Trends - leider...?

Dem Trend hinterherlaufen? Nicht mir mir...
Quelle: https://www.lean.org/LeanPost/Images/325_large.jpg

Verhaltensweisen. Immer wieder spannend. Und heute geht es um Trends, und wie ich eine Auto-Abneigung gegen Trends zu haben scheine: Wann immer ein Trend aufkommt, stelle ich mich dagegen, sperre mich, möchte mich bloß nicht der Masse anschließen. Und ich überlege immer wieder interessiert, womit das wohl zusammenhängen mag.

Nehmen wir als konkretes Beispiel Game of Thrones (meiner Faulheit geschuldet: GoT). Mir ist bewusst, dass nicht jeder die Serie schaut. Ich denke aber, dass ich sie getrost als ein Massenphänomen bezeichnen darf. Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich schon gefragt worden bin "Schaust du GoT?" - was ich wahrheitsgetreu verneine, dann ein oftmals verblüfftes "Oh..." bekomme und eine mögliche Konversation vor ihrer Entfaltung bewahrt habe. Scheinbar geht man als Teil der Trendgruppe davon aus, dass tatsächlich jeder GoT schaut.

Und das kann ich sogar verstehen: In meiner eigenen kleinen verdrehten Welt denke ich ja auch immer, wenn ich etwas gerade toll finde, dass das doch auch jeder Andere toll finden müsste - war ein großer Schritt, irgendwann einzusehen, dass es meistens nicht so sein muss. Insofern lasse ich jedem Trendanhänger gern diese Wahrnehmung und nehme das begeisterte, strahlende Gesicht bei "Schaust du GoT?" und das verschwundene Lächeln bei "Oh..." in Kauf. Deal with it.

Ist übrigens auch sehr beliebt bei Schülern, diese "Ernüchterung"; scheinbar unabhängig von Schulstandort und Schulform habe ich ein wiederkehrendes Muster beobachtet: Schüler sind misstrauisch ("der sieht komisch aus"), Schüler sind neugierig ("der versucht uns zu verstehen"), Schüler sind zufrieden ("der ist endlich mal anders/cool") - und dann folgt, dass die Schüler denken, nur weil ich anders bin, dass ich einer von ihnen bin und natürlich auch alle Trends mitmache, die bei ihnen gerade rumgehen. Und dann sind sie perplex, wenn ich ihnen erzähle, dass ich kein Handy benutze, kein WhatsApp habe, kein GoT schaue und noch weiteres: "Oh..." und das verschwundene Lächeln. (dass das einen pädagogischen Nutzen haben kann, habe ich hier schon öfters beschrieben - nicht heute schon wieder)


Warum sträube ich mich dagegen? Die Serie GoT soll, ganz objektiv betrachtet, der absolute Knüller sein! Und wahrscheinlich wäre ich auch hoch begeistert, wenn ich irgendwann über meinen Schatten spränge (sprünge?). Das ist schon oft passiert, dass ich Filme etc. "danach" echt gut fand. The Hunger Games, Harry Potter, Fack ju Göhte und noch viele mehr. Aber nicht, "wenn alle das toll finden" - dann "muss" ich scheinbar dagegen sein.

Ob das auch ein Ausdruck des Wunsches ist, mich als "anders" zu outen? Zu inszenieren? Hat das mit Hochbegabung zu tun? Habt Ihr auch hin und wieder solche Tendenzen, oder ist es für Euch vollkommen irrelevant, wie populär eine Sache gerade ist? Ich glaube, das wäre der normale Fall, oder? Oder wäre normal genau das Gegenteil von meiner Denkweise, also: "Oh, das ist gerade total in, das schauen/lesen/hören gerade alle, da muss ich dabei sein!"

Oder versteckt sich dahinter der Gedanke, dass ich kein Herdentier sein möchte? Wie aber ist es, wenn ausnahmsweise ich selbst der Trendsetter bin? Das ist natürlich ein seltener Fall - wenn, dann taucht das nur bei Schülern auf (darüber habe ich einmal geschrieben) - aber es kommt vor. Genieße ich es dann nicht, Teil von etwas zu sein? Gibt es die generelle Unterscheidung, eher Anführer oder eher "Mitläufer" sein zu wollen?

Am Ende all' dieser Fragen bleibt, dass ich mit GoT noch warte, bis kaum noch jemand darüber spricht. Und dann schaue ich die Serie, werde hellauf begeistert davon sein und mich mal wieder fragen, warum ich mir selbst so lange im Weg gestanden habe (deswegen auch das "leider?" im Titel). Und mit dem Handy wird es genauso sein.

Freitag, 3. November 2017

Filmkritik

Er nimmt kein Blatt vor den Mund - und das ist auch gut so, denn dadurch weiß ich, dass ich ihn beim Wort nehmen kann. Ich habe gelernt, dass das unglaublich wertvoll ist - weil das eben nicht so oft vorkommt.

Ich nutze Teile meiner freien Zeit, um mir "neue" Filme anzuschauen, besser gesagt "mir unbekannte Filme". Gerade eben ging Zeugin der Anklage (1957) zu Ende, und ich habe gelacht, ich war gespannt, das ist schon eine sehr gute Verfilmung von Agatha Christies Theaterstück. Dabei wollte ich das eigentlich gar nicht sehen - Media Markt hat für acht Euro die 2D/3D-Version der Tribute von Panem: Mockingjay Teil 2 verteilt, ich habe zugegriffen. Zwölf Minuten reingeschaut, doch dann kam mir die Idee, dass ich gerne wieder richtig gute Filme sehen wollte. Amazon Prime kann da echt hilfreich sein, und so bin ich eher zufällig bei diesem Film gelandet, den ich schon seit Jahren mal sehen wollte. Und was für ein Genuss das war - Charles Laughton als Anwalt der Verteidigung legt eine unglaublich gute Performance hin - und ebenso überzeugend ist Marlene Dietrich. Sorry, Katniss, das war heute einfach besser.

Das lässt mich wieder an "alte Filme" denken. Und macht Lust auf mehr. Diese Filme nehme ich echter wahr, damals gab es noch kein CGI, das war richtige Filmkunst, und ich mag es, Kunst zu rezipieren. Und lest da bitte keine Abneigung gegenüber CGI rein - ich finde es toll, was man mit Computern heutzutage alles machen kann.

Ich möchte "lernen", was alte Filme auszeichnet. Mal schauen, vielleicht hat ja Jay ein paar Tipps für mich parat, der hat nämlich zum Film promoviert. Und wenn ich dann mal Lust habe auf einen richtig guten Film? Wie finde ich raus, ob das ein guter Film ist? Ich hab erst relativ spät kapiert, dass die IMDb nicht Qualität, sondern Popularität widerspiegelt. Aber es gibt ja reichlich Rezensenten im world wide web.

Nehmen wir doch einfach das Lexikon des Internationalen Films, das klingt wichtig, das ist bestimmt gut. ...oder auch nicht, denn dieses Lexikon zerlegt sich mit Rezensionen wie dieser zu Suspiria selbst: "Dümmliche Mischung aus Horror und Okkultismus, die auf grobe Effekte setzt und die Atmosphäre völlig vernachlässigt." Suspiria sei ohne Atmosphäre? Nun gut, dann weiß ich, dass ich diese Quelle also nicht ernst nehmen kann.

Machen wir es kurz: Ich bin von Roger Ebert bisher noch nie enttäuscht worden. 2013 hat die Filmwelt eine Institution verloren. Ich mag es einfach, dass Ebert unvoreingenommen an die Filme geht - und eine Menge Ahnung hat. Bei ihm bekommt auch ein Splatterfilm mal eine sehr gute Wertung (Evil Dead 2); er gibt mir immer gute Denkimpulse. Manchmal kommt es vor, dass ich mit seiner Meinung überhaupt nicht übereinstimme; wunderbar, das regt zum Überdenken der eigenen Meinung an.

Ich muss mal schauen; er hat eine Liste von Great Movies erstellt, ich glaube, da werde ich mich (sofern dank Amazon Prime möglich) in den nächsten Tagen durcharbeiten. Es gibt so tolle Filme da draußen, gebt Euch nicht der Voreingenommenheit hin!

Und für mich gibt es nachher Sunset Boulevard (1950)...

Mittwoch, 1. November 2017

Ein schmaler Grat

VORSICHT - das kann böse enden...

Ich habe neulich etwas über Verantwortung geschrieben, und darüber, wie ungern ich eigentlich Verantwortung für andere Menschen übernehme - aus Angst, ich könnte irgendwann einen Unfall des Anderen, ein Missgeschick o.ä. zu verantworten haben und mir Vorwürfe machen zu müssen. Mir ist beim Nachdenken darüber noch ein anderes Beispiel eingefallen: Ich übernehme in meiner Präventionsarbeit öfters Verantwortung, als es mir vielleicht bewusst ist, weil manche User sich auf meine Ratschläge und Warnungen verlassen. Ein unvorsichtiger, nicht gut durchdachter Rat kann im schlimmsten Fall verheerende Konsequenzen für den Anderen haben.

Es gibt Tendenzen in der Drogenarbeit, die da behaupten, Abstinenz sei die optimale Lösung. Dass es nicht so ist, habe ich im Beitrag zum Thema "Drogenmündigkeit" beschrieben. Da es in der Regel nicht funktioniert, die Menschen von ihrem Konsum abzuhalten, versucht man, ihnen Tipps auf den Weg mitzugeben, nach dem Prinzip der harm reduction, der Schadensminimierung. Leider lassen sich solche Tipps oft als "Anregung zum Konsum" lesen und werden von konservativen Standpunkten als "Verführung" gedeutet, die nichts mehr mit Präventionsarbeit zu tun hat. Unsere Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, tickt so - und das wird sich leider nicht so schnell ändern; wäre schön, wenn FDP- und Grünen-Einfluss daran etwas ändern könnten.

Ich versuche, ein möglichst konkretes Beispiel zu finden, ohne dass ich hier jemanden auf Ideen bringe. Ich fürchte nur, ganz ohne Ideen wird es nicht gehen. Denn genau diesen schmalen Grat wandere ich immer wieder auf's Neue - Helfe ich jetzt einem Drogenkonsumenten, oder stürze ich ihn dadurch noch tiefer in sein Konsummuster hinein? Ich entscheide mich für das Beispiel Codein.

Codein ist ein Opiat mit einem breiten Einsatzsspektrum, hauptsächlich wird es entweder zur Unterdrückung von Reizhusten oder als Schmerzmittel verschrieben. Bei Menschen, die noch nicht viel Erfahrungen mit Opiaten gesammelt haben, ist Codein beliebt; wer bereits eine hohe Opiattoleranz hat, wird damit wegen des ceiling effects nicht mehr viel anfangen können. Aber Fachbegriffe beiseite. Manch' ein Drogenkonsument besucht also den einen oder anderen Arzt, hustet dort herum in der Hoffnung, Codein verschrieben zu bekommen. Er kann Glück oder Pech haben: Er bekommt ein Rezept oder eben nicht.

Es gibt allerdings auch eine nur halbwegs "erfolgreiche" Variante: Man bekommt ein Kombipräparat verschrieben. Codein wird sehr oft mit Paracetamol kombiniert verschrieben, oft auch mit ASS oder gelegentlich mit Diclofenac, allesamt Schmerzmittel, deren Effekte durch die Kombiwirkung verstärkt werden sollen. Wenn man nur des Codeins wegen gekommen ist, steht man vor einem Problem.

"Wieso?" fragen sich leider sehr viele unerfahrene Konsumenten. Ein Rechenbeispiel: Für einen entspannenden Rausch brauche ich 240mg Codein (je nach Körpergewicht, Toleranz und Empfindlichkeit). Eine Tablette des Kombipräparates XY enthält 30mg Codein, okay, also nehme ich einfach acht Tabletten. Was ich nicht bedacht habe: Jede Tablette enthält außerdem 500mg Paracetamol. Ich nehme also gleichzeitig 4000mg Paracetamol zu mir, und das kann ganz übel enden, denn Paracetamol wirkt hepatoxisch, belastet also (außerhalb des therapeutischen Dosisbereichs) die Leber sehr stark. Das kann zu einem Leberversagen und - im schlimmsten Fall - zum Tod führen.

Es ist immer wieder erschreckend, wie viele Neukonsumenten (gerade im jüngeren Alter) noch nicht einmal um diesen Umstand wissen (Drogenmündigkeit Säule 1: Substanzwissen). Doch selbst mit diesem Wissen scheuen sich viele dem Rausch zuliebe nicht davor, ihrem Körper eine gewaltige Belastung zuzumuten. Dabei könnte die Gefahr mit einer einfachen Methode extrem verringert werden. Und mein schmaler Grat sieht so aus: Lasse ich den Konsumenten weiterhin blindlings in's Krankenhaus laufen oder "verrate" ich ihm diese Methode, auf die Gefahr hin, dass ich ihm den Codeinkonsum für die Zukunft damit noch schmackhafter mache?

Manche Drogenforen haben da eine ganz klare Richtlinie: Keine Anleitungen posten! Und das ist auch nachvollziehbar - gerade weil diese Seiten für viele Menschen einsehbar sind. Im persönlichen Gespräch aber würde ich in diesem Fall immer wieder die Methode, die sogenannte Kaltwasserextraktion (KWE) erklären. Mit ihr kann man einen Großteil des enthaltenen Paracetamols vom Codein trennen und nimmt in der Folge weniger davon zu sich.

Da dieser Blog für die Öffentlichkeit einsehbar ist, sieht meine Gratwanderung diesmal so aus, dass ich zwar die KWE namentlich erwähne, aber keine detaillierte Extraktionsanleitung gebe. Ich wollte es nur als Beispiel verwenden, denn ich muss mich jedesmal wieder fragen: Kann ich es verantworten, diesem User die Anleitung mitzugeben? Wenn ich bedenke, dass ich ihn auf diese Weise vor einem Krankenhausaufenthalt oder Schlimmerem bewahren kann - dann tue ich das.

Ist es verantwortungslos, Safer Use zu unterstützen, bzw. dabei zu helfen?

(Auch in der Fragestellung interessant: Druck-Checking; werde ich ein andermal hier thematisieren)