Freitag, 12. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 1


Kapitel 1 - Die Vorgeschichte

Ich weiß nicht, wie es Euch so geht, liebe Lehrkräfte, aber bei Vielem, was ich so erlebe, frage ich mich direkt "Kann ich das irgendwie in meinem Unterricht verwenden?" - besonders, wenn ich es toll finde. Immerhin, ein Zahn ist mir schon früh gezogen worden: Was ich toll finde, finden Schüler deswegen nicht auch gleich super. Menschen sind eben unterschiedlich. Während meines Studiums habe ich überlegt, ob ich eine Serie im Unterricht zeigen könnte - das war sozusagen die Geburt des Are You Afraid of the Dark-Projekts. 

Irgendwann im Referendariat muss die Idee aufgekommen sein, einen Schritt weiter zu gehen. Allerdings noch klein und unauffällig, denn das Referendariat hat mich gelehrt, keine Unterrichtszeit für Filme oder Serien draufgehen zu lassen, das ist alles kostbare Zeit, da wollen wir von Videospielen gar nicht erst anfangen. Und wenn ich dann darüber nachdenke, was ich an manchen Schulen schon für erzürnte Eltern hatte; das ist dann die Schattenseite des "Serie im Unterricht schauen": Gerade an einem Gymnasium - und erst recht an einem Elite-Gymnasium - kommen dann an einem Elternsprechtag erzürnte Mütter vorbei und erzählen mir, wie ich meinen Englischunterricht zu machen habe. Wenn sie dann selbst auch noch Englischlehrerin sind, umso schlimmer. Und das war vor Jahren, als ich noch sehr frisch im Schulsystem war, kein dickes Fell und leicht zu beeindrucken. 

Serien im Unterricht? Habe ich an den Gymnasien nicht wieder gemacht, und an der Berufsschule gar nicht erst daran gedacht. Der Lehrauftrag ist eben ein anderer, das muss ich akzeptieren. Umso deutlicher öffnete sich dann für mich eine Tür mit Lerngruppen, die keinen Bock auf Schule hatten. Da sitzen dann zwischen elf und achtundzwanzig Schülern, hochpubertär, keinen Bock auf gar nichts und erst recht nicht Englisch, denn das braucht man später eh' nicht, und dann auch noch der komische neue Lehrer an der Schule. Immer wieder erlebt - in St.Peter-Ording, in Neumünster, auch jetzt an der Toni. Das ist genau die Art Schüler, bei der jener Leitsatz aus dem Referendariat im Kopf wieder aufleuchtet. Bis zum Erbrechen gehört, immer und immer wieder, und in den Lehrproben natürlich versucht zu zeigen.

"Die Schüler da abholen, wo sie stehen."

(Die große Buba holt dat aber so vor, wie sie dat braucht.) Klar, der Satz ist eine Form von Phrasendrescherei, aber mit diesen Kids in schwierigen Situationen ist das einfach mal die goldene Regel: Finde den Zugang zu ihnen. Schau' sie Dir an! Im Englischen gibt es den Ausdruck "See them!" Und seit St.Peter-Ording habe ich GenZ (oder meinetwegen auch die Digital Natives) kennengelernt. Und in SPO habe ich zum ersten Mal das AYAOTD-Experiment gemacht. Als ich denn gesehen habe, wie gut das funktioniert hat, und wie einige Eltern tatsächlich davon begeistert waren, sind plötzlich wieder die Videospielgedanken in meinen Kopf zurückgekommen - denn ich liebe gute Videospiele.

Und so habe ich also fast sieben Jahre lang darüber nachgedacht: Wenn ich ein Videospiel mit Schülern würde machen wollen - welches nähme ich denn bloß? Welche Klassenstufe? Kann ich das überhaupt verantworten? Ich habe sieben Jahre lang ernsthaft gezweifelt - und an Schulen unterrichtet, an denen solch' ein Unterrichtsexperiment absolut tabu gewesen wäre; die Kieler Gelehrtenschule oder die Jungmannschule in Eckernförde und auch das Berufsbildungszentrum Plön hätten das (zu Recht?) niemals zugelassen. Sieben Jahre lang hin und her überlegen. Von einer Schule an die nächste wechseln. Und dann an der Toni landen, wo man ausprobieren darf. Und so kam es dann, wie es kommen musste.

Heute hatte ich in einer neunten und einer zehnten Klasse meine erste Videospielstunde.

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