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Montag, 3. Juni 2024

"Nakritze"


Kleine Anekdote aus der Jugend heute, und zwar eine, mit der ich nicht allein bin, wie ich mittlerweile weiß. Meine Studienleiterin in Englisch hat uns damals im Referendariat davon erzählt, wie sie als Kind bei den Eltern bei den Nachrichten mit einem Ohr hingehört hat und immer die feste Begrüßungsformel mitgesprochen hat: "Guten Abend, meine Damuntern!"

Da sie es nicht besser wusste und die korrekte Schreibweise nie eingeblendet wurde, war sie davon überzeugt, dass das Wort "Damuntern" heißt und nicht "Damen und Herren". So ähnlich ging es mir, wenn ich mit meiner Mutter in der Apotheke war und wir zum Beispiel etwas gegen Erkältung besorgt haben; manchmal durfte ich mir dann eine kleine Tüte Süßes aussuchen, und ich bin immer direkt zum schwarzen Gold gegangen, Lakritze in jeder erdenklichen Form. Mein Favorit sind bis heute die schwarzen und roten Knuspersalmis.

Ich mag Lakritze sehr, die Kombination aus würzig und süß, manchmal mit einem guten Schlag salzig, ist bis heute ein Genuss für mich. Jetzt liegen gerade Hexenheuler auf meinem Couchtisch. Wie die Überschrift schon verrät, dachte ich früher tatsächlich immer, dass es "Nakritz" heißt, und ich habe auch nie nachgefragt, sondern das jahrelang übernommen - bis ich dann mit der korrekten Schreibweise konfrontiert wurde und die widerwillig übernommen habe. Lecker!

Habt Ihr auch solche Wörter, die Ihr früher falsch verstanden und mit dem Fehler in Euren Sprachgebrauch übernommen habt?

Mittwoch, 27. März 2024

Das Gras ist angekommen

Damals in den Kronshagener Bergen....

Nun sind wir also endlich so weit, die Cannabis-Freigabe ist unterzeichnet. Wobei, so weit sind wir auch wieder nicht, denn jetzt steht eine Menge Bürokratie an. Strafen aus der Vergangenheit müssen überprüft werden. Cannabisclubs müssen gegründet bzw. zertifiziert werden. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich einfach losgehen und mir einen Joint besorgen kann.

Nicht, dass ich das unbedingt tun würde: Ich schreibe es hier immer wieder, die Wirkung von THC sagt mir nicht besonders zu. Außerdem bin ich kein Raucher; wenn, dann würde ich einen Vaporizer nutzen, denke ich. Oder eine Glasbong, kurz und fast schmerzlos. Was ich aber tun werde: Ich werde mir, wenn ich meine anderen Angelegenheiten im Griff habe, einen kleinen Vorrat an Gras hier zulegen. Als Notfallmedikation für was auch immer eintreten mag. Gibt mir dann ein Gefühl von Sicherheit. Ich muss es nur irgendwo vergraben oder so, ich mag den Geruch absolut nicht. Vielleicht kommt es, wie all' meine Notfallmedikamente, in den Keller.

Ich bin ja gespannt, ob sich jetzt die ganze Panikmache der CDU und der CSU bewahrheitet. Ob jetzt hunderttausende Menschen in die Abhängigkeit rutschen, der Straßenverkehr viel gefährlicher wird als vorher, die Drogenkriminalität noch mehr zunimmt. Bin wirklich gespannt - Modellversuche anderer Länder zeigen das Gegenteil. 

Allerdings frage ich mich auch, wie sich die neue gesetzliche Regelung auf unsere SchülerInnen auswirken wird, und da mache ich mir tatsächlich etwas Sorgen. Für sie wird es leichter werden, an das Gras zu kommen, und die Entwicklung des Gehirns kann tatsächlich beeinträchtigt werden, von der schulischen Performance mal ganz zu schweigen. Und allen Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Gras zuzutrauen wäre doch extrem naiv. Ich war auch mal jung und weiß, was Grenzüberschreitungen bedeuten, und das Gefühl von Unsterblichkeit.

Also, liebe KollegInnen: Starten wir in die Ferien mit dem Vorhaben, unsere Schulkiddies im Blick zu behalten. Ob sie kiffen, was das mit ihnen anstellt, ob die Situation sich in irgendeiner Art und Weise ändert - all' das. 

Bleiben wir achtsam!

Freitag, 8. März 2024

Interessante Einsicht


Früher sind wir als Familie fast jeden Sonntag zu Oma gefahren, zum Kaffeetrinken und Kuchenessen. Ich weiß, dass meine Mutter diesen Beitrag gerade liest, und ich hoffe, sie bekommt das Folgende nicht in den falschen Hals: Für mich waren die Besuche bei Oma immer lästig. Ich bin an einen fremden Ort gefahren, sechs Leute an einem Tisch, die Smalltalk machen - was viele Autisten nicht mögen - mein Bruder, der Klugscheißer, der nichts unkommentiert lässt. Ich selbst habe nur sehr selten etwas gesagt, zumindest ist das meine Erinnerung.

Es gab aber auch etwas Tolles an einem Besuch bei Oma, nämlich quality time mit der Oma selbst. Wenn ich sie ganz für mich hatte, das war toll, dann haben wir uns an den Küchentisch gesetzt und Rätsel gelöst. Fernsehzeitung, Klatsch und Tratsch, überall sind Rätsel drin, und meine Oma hat es geliebt, Rätsel zu lösen, und diese Leidenschaft hat sie an mich weitergegeben. Das war immer traumhaft, mit ihr als Team an die Rätsel zu gehen, und sie hat mir dabei Vieles aus ihrem Erfahrungsschatz beigebracht.

Allerdings mochte ich nicht jeden Rätseltyp. Silbenrätsel? Eher nicht, aber Lustiges Silbenrätsel fand ich toll, da muss man einen Begriff erraten, der auf humoristische Weise umschrieben ist - und ein Lösungswort oder -spruch gab es auch jedesmal. Was mich besonders angezogen hat, waren Wortsuchrätsel. In einem Buchstabenchaos nach Wörtern waagerecht, senkrecht, diagonal, vorwärts und rückwärts zu suchen - dabei habe ich mich wie ein Detektiv gefühlt. Besonders schön war es, wenn die übrig gebliebenen Buchstaben ein Lösungswort ergeben - ich habe auch immer gern Wortsuchrätsel für die fünfte und sechste Klasse in Englisch gebastelt.

Muss wohl ein Gefühl von Nostalgie gewesen sein: Ich habe mir ein Wörtersuchen-Rätselheft gekauft und in meinem Rucksack verstaut. Immer wenn ich mit dem Bus unterwegs bin, habe ich meinen Rucksack dabei; darin sind durchschnittlich acht Rätselhefte und viele Fasermaler in diversen Farben. Also haben diese Hefte nun einen neuen Nachbarn bekommen, und ich habe nach und nach eine Sache realisiert: Suchrätsel sind mir nicht anspruchsvoll genug. Es macht zwar immer noch Spaß, diese Wörter zu streichen und ein Lösungswort zu bekommen, aber mein Gehirn hat dabei nichts zu tun; es ist reine Sucharbeit.

Die anderen acht Hefte im Rucksack sind allesamt Logikrätsel - zwei Zeitschriften habe ich abonniert, damit immer genug Nachschub da ist. Denn bei diesen Logikrätseln fangen meine grauen Zellen an, zu arbeiten, und das mag ich, das reizt mich, das gibt ein kribbelig-aufregendes Gefühl. Je älter ich werde, umso mehr fällt mir auf, wie wichtig mir intellektuelle Stimulation ist. Drollig: Das ist das Hauptthema des großartigen Comedy-Dramas The Banshees of Inisherin. Und mittlerweile kann ich nachvollziehen, warum darin einer von zwei besten Freunden unerwartet die Freundschaft aufkündigt.

Suchrätsel sind Zeitvertreib. Logikrätsel, gerade visuelle, sind eine Herausforderung.

Und das mag ich.




Dienstag, 20. Februar 2024

Religion oder Philosophie?


Ich habe ja momentan viel Zeit zum Nachdenken, und da passt es, dass ich gerade ein zweites Mal The Talos Principle II spiele. Rätsel-Videospiele sind großartig, weil sie einem viel Zeit zum Nachdenken lassen. Man geht durch faszinierende Welten, hört angenehme, entspannende Musik, schaut sich die Sehenswürdigkeiten an und findet hier und da ein herausforderndes Rätsel - wenn das dann gelöst ist, dieser Heureka-Moment, das setzt eine enorme Menge Glückshormone frei und es macht mich offener für's Nachdenken.

Das Spiel stellt wichtige Fragen - nach dem Sinn des Lebens, des Strebens, nach dem freien Willen, nach dem Selbst. Das ist intellektuell anspruchsvoll, aber gleichzeitig anregend und hilft mir, aus festgefahrenen Denkweisen auszubrechen. Den gleichen Effekt hatte ich bei The Witness, ebenfalls ein Grafikadventure mit Rätseln und einer hohen philosophischen Dichte. Sollte man nicht meinen, aber es gibt tatsächlich auch Videospiele für erwachsene Intellektuelle, die ihren Horizont erweitern möchten - oder die ihre Grundsätze hinterfragen wollen.

Auch The Sojourn hat viele philosophische "Belohnungen" für's Lösen der Rätsel bereitgestellt, und ich realisiere, dass ich dieses Nachdenken mag. Und ich frage mich, warum ich damals in meiner Schulzeit so eine Abneigung gegen Philosophie hatte. Lag es am komischen Namen der Lehrerin? Kein Mensch heißt "Sandkühler-Jensen". Irgendwie scheine ich mir daraus ein falsches Bild dessen entworfen zu haben, was Philosophie eigentlich bedeutet, und habe fast ausschließlich Religionsunterricht in meiner Schulzeit gehabt, obwohl ich mit evangelischer Religion nie viel anfangen konnte.

Aber besser späte als gar keine Einsicht. Zeit zum Genießen!



Samstag, 18. November 2023

Tag 110 - Die Sendung mit der Maus

 


Meine Eltern haben früher immer sehr darauf geachtet, wie lange wir Kinder vor dem Fernseher sitzen durften, und das war auch gut so. Kaum zu glauben: Wir haben noch "direkt" gelebt, sind in den Wald zum Spielen gegangen, den Kugelfang im Winter runtergerodelt, und das alles ohne ein Smartphone vor dem Gesicht. Und abends durfte ich mir dann die Sesamstraße anschauen - damals wusste ich noch nicht, dass die Serie aus den USA stammt. Freitags gab es Hallo, Spencer! - aber das hat mir nicht so gefallen.

Das Tollste war der Donnerstagabend, denn da gab es die Sendung mit der Maus. Lach- und Sachgeschichten. Quasi eine Dokureihe für Kinder, die immer gefragt hat "Warum ist das so?" oder "Wie funktioniert das?". Wie kommen die Streifen in die Zahnpasta? Wie funktioniert eine Spülmaschine? Wie wirkt eine Kopfschmerztablette? 

Das wurde mit kleinen Filmen, im Schnitt fünf bis acht Minuten, erklärt, und ich fand das wahnsinnig interessant, weil mir kleinem Steppke die Welt auf kindgerechte Art und Weise erklärt wurde. Einer meiner Favoriten waren die Filme mit Armin Maiwald, der sie übrigens auch in's hohe Alter noch gemacht hat. Er hat immer lockere Sprüche dabei, ist witzig, gelassen und authentisch und ich habe ihm sehr gern zugehört. Ich poste unten mal das Video Wie funktioniert eine Spülmaschine? für alle, die zehn Minuten Nostalgie erleben wollen.

Wer nur eine Minute Nostalgie erleben will, für den poste ich außerdem einen Vorspann der Sendung, der war nämlich auch immer cool: Vor dem Hintergrund einer lustigen Melodie wurden kurz die Themen der jeweiligen Sendung vorgestellt - und dann lief der Vorspann gleich noch ein zweites Mal, und zwar jedesmal in einer anderen Sprache. Das war großartig, denn Internet war damals noch nicht, und das war eine der wenigen Möglichkeiten, fremde Sprachen gesprochen zu hören.

Ich habe die Sendung mit der Maus geliebt (und ich finde die Videos auch heute noch interessant), und ich hoffe, Ihr Eltern da draußen zeigt sie auch Euren Kindern ;-)




Samstag, 17. Juni 2023

Rückenwind


Meine Generation erinnert sich bei dem Titel vielleicht noch an einen Song von Thomas D in den Neunzigern. Ein Gute-Laune-Song, motiviert und hoffnungsvoll. Mir ist der Titel angesichts der neuen Situation eingefallen, die mir tatsächlich Rückenwind gibt, denn ich habe Unterstützung von mehreren Seiten. Ich will da keine Katze aus dem Sack lassen, aber es geht mir gerade deutlich besser als noch bei'm letzten Eintrag. Gespräche und Nachrichten haben das bewirkt.

Das führt dazu, dass ich mich gerade mit klarem Kopf in den Korrekturen befinde (Franzen anyone?). Meine Elfer haben eine Arbeit über Literaturgenres geschrieben, Themen-Schwerpunkt gothic fiction, Skill-Schwerpunkt Charakterisierung, letter of complaint, comment. Das war eine Klausur, die ich persönlich rund fand, passgenau, und über die olle Areté habe ich in diesem Blog früher ja öfters geschrieben. Uneingedenk des Hintergrundes, warum mir genaue Passformen immer so wichtig waren.

Da sind ein paar tolle Texte bisher herausgekommen. Aus aktuellem Anlass muss ich aufpassen, sparsamer zu benoten, aber es könnte etwas im Einserbereich dabei sein, vielleicht sogar oberer Bereich. Ich kann diese Korrekturen jetzt genießen, weil ich mich ob des Rückenwinds auf meine Arbeit konzentrieren kann, und das ist immerhin schon viel wert.

Was ein Stein des Anstoßes manchmal ausmachen kann.



Montag, 27. März 2023

"Herr Homann?"



Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie meine Mutter früher erzählt hat, wenn sie ehemalige SchülerInnen getroffen hat, in der Stadt, bei'm Einkauf, wo auch immer. Sie hat mir davon erzählt und war immer ganz glücklich über diese Wiedersehen. Mittlerweile kann ich dieses Gefühl nachvollziehen.

Ich sitze in der Fünfzehn auf dem Weg von der Schule nach Hause. Wie üblich bearbeite ich Logikrätsel, die perfekte Busbeschäftigung. Ich nehme um mich herum kaum etwas wahr, achte nur auf die Haltestellenansage "Karlstal", aber dann setzt sich jemand vor mich und ich höre ein "Herr Homann?"

Ich schaue auf, und erkenne den Kopf wieder, mit den pinken Haaren, Piercings, Nasenring, unsmiling, aber mittlerweile habe ich sieben Schulen durch und muss zugeben: "Ah, hilf' mir mal auf die Sprünge!" "BBZ Plön, X, BFS III" - und damit ist alles klar. Genau, X hatte ich in der Berufsfachschule III unterrichtet (der Bildungsgang führt zur Fachhochschulreife), und ich liebte ihre no bs-Attitüde. Nicht mehr als nötig reden, sehr clever, alternativ nicht nur im Outfit.

Und so reden wir darüber, was wir jetzt machen, denn unsere gemeinsame Unterrichtszeit dürfte jetzt fünf Jahre her sein. Sie erzählt mir, dass sie das Fachabitur angegangen hat, aber wegen einer Person abgebrochen hat, mit der ich ebenfalls erhebliche Probleme hatte. Ich komme nicht mit Autorität klar, wenn die Autorität dumm ist. Jedenfalls ist X jetzt in die Sozialarbeit gegangen, und das läuft wunderbar, und da war das Mama-Gefühl: Glücklich, und auch ein kleines bisschen stolz zu sehen, dass dieser Mensch seinen Weg in's Leben gefunden hat. Das hat dem Tag ein wenig dringend benötigtes Lächeln gegeben, und es war echt schade, dass ich drei Haltestellen weiter bereits wieder aussteigen musste.

Solche Begegnungen wirken nach. Kennt Ihr das?

Samstag, 25. März 2023

Jogginghosen in der Schule


In den Nachrichten komme ich derzeit nicht an einer Schule vorbei, die für ihre SchülerInnen ein Jogginghosenverbot in der Schule ausgesprochen hat. Sollte jemand mit dieser Kleidung in die Schule kommen, wird er nach Hause geschickt, um sich umzuziehen. Darüber haben sich Eltern beschwert, denn letztlich verpassen jene SchülerInnen dadurch Unterrichtsstoff. Die Schule aber will an ihrem Verbot festhalten und nun hat auch die Deutsche Knigge-Gesellschaft sich zu dem Thema geäußert - Jogginghosen seien Funktionskleidung, die SportlerInnen während ihrer Arbeitszeit oder eben in der Freizeit zum Entspannen trügen. Schulzeit wiederum sei Arbeitszeit und verlange entsprechende "Arbeitskleidung". 

Wie geht es Euch? An meiner Schule kommen viele SchülerInnen mit Jogginghosen in die Schule - Jungen und Mädchen, und für gewöhnlich mehrere in jeder Klasse. Ich habe ein paar Schüler, die ich noch nie in etwas Anderem als ihren Jogginghosen gesehen habe. Mir macht das überhaupt nichts aus, weil das in meiner Wahrnehmung für den schulischen Erfolg der Lernenden völlig irrelevant ist. Ich sehe da keine Acht-Euro-Aldi-Jogginghose sitzen, sondern einen Menschen, der in meinem Unterricht gut mitmacht (oder eben nicht).

Es gibt unterschiedliche Argumente gegen die Jogginghosen. Ohne sie irgendwie zu werten: "Das sieht gammelig aus und gehört nicht in die Schule." - "Am besten auch noch die Füße auf das Pult legen!" - "Ich will bei den Jungs nicht sehen, was da zwischen ihren Beinen ist, wenn sie vor mir stehen." - "Man könnte doch so viele schönere Sachen tragen." - "Es geht in der Schule nicht um Bequemlichkeit und Komfort." - "Die SchülerInnen müssen lernen, dass es in der Realität, in der Arbeitswelt so etwas wie eine Kleiderordnung gibt, die sie ihren Job kosten kann."

Letzteren Punkt kann ich aus eigenem Erleben bestätigen. Und trotzdem: Mir machen die JogginghosenschülerInnen nichts aus; viel wichtiger ist mir ihr Verhalten im Unterricht.

Und Ihr? Wenn Ihr noch weitere Argumente gegen Jogginghosen in der Schule habt, immer her damit, das interessiert mich. Oder geht es Euch wie mir und Ihr seht das als irrelevant - oder zumindest als sekundär an?

post scriptum: What a nice idea for a classroom debate in my tenth grade! Every now and then we take our double lesson on Friday for one of these formal, structured debates to learn something about how to discuss with other people by listening to their arguments and not interrupting them. Could be interesting to hear what they have to say on this topic. Debates about school uniforms are standard, but what about limiting the use of certain types of clothing?

Mittwoch, 30. November 2022

Wozu brauche ich SchülerInnen?


"Wenn du willst, dass etwas gut gemacht wird, machst du es am besten selbst."

Diesen Spruch habe ich früh einmal gehört und nie wieder vergessen - kein Wunder, das ist quasi ein Autisten-Credo. Und dann dürfte das ja auch für das Unterrichten gelten. Ergo: Für guten Unterricht brauche ich nur mich, SchülerInnen sind da nebensächlich. 

Das ist meine etwas sarkastische Reaktion auf die Lage in meinem Englisch-Grundkurs in Zwölf. Es sind sowieso nur neun Leutchen da, aber oft stehen Sachen an, Projekte, Wandertag, Klausur anderer Fächer, und so kommt es nicht selten vor, dass ich mit nur vier oder drei SchülerInnen dasitze. Mit etwas Glück fünf. Bei drei Wochenstunden hilft alles nichts: Wir ziehen den Stoff forsch durch, und alle, die nicht da sein konnten, müssen die Sachen selbständig nacharbeiten. 

Dieses fürchterliche Wort mit "selbst-". Irgendwie könnte das ein richtig schlodderiger Grundkurs werden. Mit heute vier TeenagerInnen (sic, ich könnte kotzen) in einem winzigen Raum da unten im Oberstufentrakt. Das erinnert mich ein bisschen an meinen eigenen Leistungskurs Latein vor zweiundzwanzig Jahren. Wir waren erst zu siebt, dann zu sechst, und nachdem es am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Heide acht Jahre lang keinen Leistungskurs in diesem herrlichen Fach gegeben hatte, konnte ein gewisser Uwe Petersen ("Peer Hedersen") es sich nicht nehmen lassen, diesen Kurs vor seinem Ruhestand an sich zu reißen. In der "Besenkammer" (Raum Dreizehn).

Wir hatten da echt sehr viel Spaß. Und wir hatten den Kuchen-Dienstag. Den ich jetzt, "nach" Corona, endlich wieder umsetzen kann. Und ich denke, das werde ich mit genau diesem Minikurs machen. Wir legen das auf den Montag (weil Doppelstunde); jeden Montag bringt jemand selbst gebackenen Kuchen für alle mit, reihum. Backmischung ist in Ordnung. Das sorgt für einen stärkeren Zusammenhalt im Kurs.

Und dafür brauche ich dann eben doch SchülerInnen.

Mittwoch, 19. Oktober 2022

Wenn Dein Kind Schul-Amokläufer wird...

Nikolas Cruz

vorweg: Der Beitrag stammt vom Wochenende.

An utterly soul-draining experience.

Mir sind keine anderen Worte eingefallen, um ein Video zu beschreiben, das ich letzte Nacht auf Youtube gesehen habe. Eigentlich wollte ich über den tollen Erlebnissonntag schreiben, den die große Buba und ich - jeder auf seine Weise - hatten, aber jetzt ist es drei Uhr morgens und ich muss ein paar Gedanken festhalten.

Und es tut mir leid, wenn es vielleicht "langweilig" wird, aber es geht mal wieder um school shootings in den USA, genauer um den Amoklauf an der Marjorie Stoneman Douglas-High School in den USA (Parkland, Florida). Ich habe in den Nachrichten das Strafmaß für den jungen Mann gesehen, für den die Anklage die Todesstrafe beantragt hatte. Die Jury hat sich zu lebenslänglich ohne Bewährung durchgerungen, und das fand ich faszinierend, weil ich wissen wollte, warum diese "Gnade" gezeigt wurde. 

Immerhin gibt der Schütze, Nikolas Cruz, in den Gesprächen mit Psychologen ein Bild wieder, das ich definitiv als chilling bezeichnen würde; außerdem hatte ich Tränen in den Augen, weil ich das Verhalten des jungen Mannes in diesen vierzig Minuten Video nachvollziehen konnte. Wie er da sitzt und ganz sachlich, total engagiert beschreibt, was er über Waffen weiß, wie er in seiner Kindheit Tiere gequält hat und wie er die Schüler an seiner ehemaligen Schule erschossen hat.

Das war allerdings "nur" chilling, nicht soul-draining. Spannender wurden dann zwei vorgeschlagene Videos mit Zeugenbefragungen von Nikolas' Schwester und einer früheren Bekannten von Nikolas' Mutter. Da haben sich Abgründe aufgetan und ich habe Teile des Videos eben gerade mit Tränen in den Augen hier am Schreibtisch verbracht. 

Jene Bekannte erzählt von ihrem Leben als Prostituierte, zusammen mit Cruz' Mutter. Beide ständig unter dem Einfluss psychoaktiver Substanzen, um den Alltag aushalten zu können. Sie erzählt sehr anschaulich, in welches Umfeld Cruz hineingeboren wurde, fetales Alkoholsyndrom inklusive, natürlich. Es ist spannend zu sehen, wie die Bekannte mittlerweile von der Straße runter ist und sich einsetzt und Frauen wie ihrem früheren Ich hilft. 

Der ganze Fall zeigt, wie wichtig das kindliche Umfeld für die Entwicklung ist, und diese Videos haben mir das Herz gebrochen - es bricht jedes Mal, wenn ich sehe, wie jemand komplett aus dem Leben abgerutscht ist. Und mittlerweile verstehe ich, warum drei Juroren gegen die Todesstrafe waren.

Bitte versucht, Euren Kindern eine sichere Kindheit zu geben!

post scriptum: Ich bin in jedem Fall gegen die Todesstrafe. Ihr?

Montag, 15. August 2022

Tag Eins


Bei manchen Menschen kommt irgendwann der Ferien-End-Blues. Der stellt sich dann ein, wenn einem bewusst wird, dass die Ferien nun doch langsam zu Ende gehen und damit ein Ende der Freiheiten einhergeht, Verantwortung auf einen zukommt, der Tagesrhythmus neu eingependelt werden muss und vieles mehr. Ich kenne das Gefühl oft aus den kurzen Ferien.

Im Sommer ist das ganz anders, da bin ich am Ende sehr froh, dass es wieder in die Schule geht, und ich bin voller Vorfreude - mit Abstrichen für Stundenplan oder Unterrichtsverteilung. Der erste Schultag hat das alles wieder bestätigt. Ich bin in einem wunderbaren Beruf tätig, auch wenn ich mich gern frage, warum ich nicht Schauspieler geworden bin. 

Heute stand ein reduzierter Stundenplan an, weil in den ersten drei Stunden Klassenlehrerunterricht war, und somit hatte ich nur zwei Stunden Englisch in meinem Grundkurs im zwölften Jahrgang (G9). Vorher habe ich mich mit meinem Praktikanten getroffen. Ich habe echt Angst, dass ich ihm jetzt drei Wochen lang zeige, wie man als Lehrer nicht sein sollte, und schon heute habe ich mich erwischt bei "Also ich habe das heute so gemacht, aber eigentlich sollte man es so machen". Aber im Gegensatz zu einem Referendariat kann ich vermutlich nicht zu viel falsch machen. Interessant, dass ein Unterrichtsentwurf (Raster, Lerngruppe, Didaktik, Methodik) mittlerweile zehn Seiten lang sein soll, wir wurden damals darauf gedrillt, das auf exakt drei Seiten zu bringen...

Der Zwölferkurs ist ein Geschenk - acht SchülerInnen (ich hatte noch nie so eine kleine Lerngruppe). Kein Druck, auf das Zentralabi hinzuführen. Gemütlicher kleiner Klassenraum an einer dauerkühlen Stelle der Schule. Ich bin total begeistert, heute gab es hauptsächlich Organisation und ein bisschen beschnuppern, aber die Gruppe kommt mir extrem sympathisch vor. Völlig unterschiedliche Köpfe, das könnte vielleicht ein wenig entschädigen dafür, dass ich meine Jetzt-Achtklässler nicht weiterführen darf. Vielleicht.

Jedenfalls war es ein wunderbarer erster Tag, an dem ich komplett zerflossen bin, es sind wieder zweiunddreißig Grad in der Wohnung, bis Donnerstag werde ich wieder Handtücher und Taschentücher in rauen Mengen verbrauchen. Morgen ist mein freier Tag, also gleich erstmal wieder ausschlafen (ist nötig, manchmal kann ich wegen der Hitze erst zwischen zwei und drei Uhr nachts einschlafen). Und es steht viel Papierkram an.

Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Montag? Ich wünsche Euch einen tollen Start in das neue Schuljahr!

Dienstag, 9. August 2022

Ein Lois Duncan-Sommer


Die Sommerferien sind für mich immer eine etwas wacklige Angelegenheit. Auf der einen Seite ist es schön, nicht mehr zwischen den Modi Arbeit und freie Zeit wechseln zu müssen - auf der anderen Seite habe ich nichts mehr, was einen regelmäßigen Tagesrhythmus aufrecht erhält. Das kann dazu führen, dass ich ab der vierten, fünften freien Woche den Überblick verliere. Deswegen ist es am Ende langer Ferien immer ganz schön, wieder in den Arbeitstrott zurückzukommen (man kann sich ungefähr vorstellen, wie das erst in den großen Semesterferien war).

Zum Glück habe ich hier Beschäftigung, der neue Logik-Trainer ist vor ein paar Tagen reingeflattert und ich bearbeite gerade das Rätsel um den Fernsprechtischapparat 611. Außerdem gibt es Videospiele und Filme und die große Buba (momentan aber zur Sicherheit auf Abstand, nein, jetzt nicht mehr). Und in diesem speziellen Sommer ging es für mich mal wieder zurück in die Welt der Bücher.

Wenn ich mich recht entsinne, habe ich zum ersten Mal Lois Duncan mit Schülern in Husum gemacht, I Know What You Did Last Summer. Das hat ganz gut funktioniert - aber interessanterweise hatte ich jahrelang nur insgesamt zwei Duncan-Bücher gelesen. Irgendwann habe ich meinen Horizont dann um drei weitere Bücher erweitert, darunter das grandiose Down A Dark Hall, das ich letztes Jahr mit einer neunten Klasse behandelt habe, aber dann war wieder Schluss. Das dürfte daran gelegen haben, dass es nicht so leicht ist, an Duncans Romane zu kommen, zumindest wenn man eine bestimmte Ausgabe haben möchte.

Und das kann tatsächlich wichtig sein: Vor etwas über zehn Jahren hat der Verlag Little&Brown neun von Duncans Romanen in einer überarbeiteten Ausgabe herausgebracht. Die Geschichten sind ganz leicht modernisiert worden - die Romane wurden in den Siebzigern und Achtzigern geschrieben, und deswegen hat man nun auch Internet und Handys hinzugefügt, damit Jugendliche sich besser mit der Handlung identifizieren können.

Das ist schließlich sehr wichtig, denn Duncan hat viel Young Adult Fiction (YA) geschrieben. Bücher, die sich an eine ganze bestimmte Altersgruppe richten, und bei jedem Buch frage ich mich direkt, ob man das nicht im Unterricht behandeln könnte. Sie sind echt gut. 

In diesen Sommerferien habe ich mir dann vorgenommen, nach weiteren Romanen der überarbeiteten Reihe zu suchen, und bin in Großbritannien und den USA fündig geworden: Locked In Time, The Third Eye, Gallows Hill, Daughters of Eve - und ich habe sie gefressen. Duncan hat mich derartig infiziert, dass mir nun eigentlich nur noch A Gift Of Magic und Ransom fehlen. 

Und die Begeisterung ist ansteckend: Die große Buba frisst gerade ebenfalls alle Bücher auf, die ich ihr ausgeliehen habe. Kein Wunder: Wir sind beide EnglischlehrerInnen, wir lieben es mit Jugendlichen zu arbeiten, wir mögen Lois Duncans Talent, die Naivität Jugendlicher einzufangen und authentisch-realistisch rüberzubringen, selbst wenn in einigen Romanen übernatürliche Elemente vorkommen. 

Ich möchte diese Bücher wärmstens empfehlen und gebe nur kurz eine Stichwortliste zu ein paar der bisher gelesenen Romanen, um vielleicht Interesse zu wecken:

I Know What You Did Last Summer - suspense, betrayal, friendship, responsibility, trust, after school

Down A Dark Hall - gothic fiction, haunted house, boarding school, dark past, insanity, art, supernatural

Killing Mr Griffin - school, naivete, trust, teachers, students, school life, responsibility, revenge, suspense

Locked In Time - southern gothic, magic, plantation, family, greed, envy, love

Gallows Hill - witch trials, Salem, superstition, conservatism, school life, America

Daughters Of Eve - feminism, anti-feminism, school life, gender roles, family, friendship, trust, suspense

Über Daughters Of Eve werde ich beizeiten einen Blogartikel schreiben, weil dieses Buch mich besonders mitgenommen hat. Um die große Buba zu zitieren: "Seite 45 - ich koche! Seite 126 - ich bin eine Sauna!!!" Ich denke mal, dass ich das mit meinem zwölften Jahrgang lesen werde.

Lois Duncan - ganz großartig! Auch wenn sie nach Neunzehnhundertneunundachtzig keine suspense novels mehr geschrieben hat - das Jahr, in dem ihre Tochter erschossen wurde. 

Wie eine Szene aus ihren Romanen...

post scriptum: Ein paar der Bücher gibt es auch als "Easy Readers"-Variante für leistungsschwächere Lerngruppen; deutlich gekürzt, leichtere Sprache, Bilder und Vokabelhilfen.

Donnerstag, 28. Juli 2022

Geburtstagsgeschenk, unkonventionell


Hey Tobi,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Ich erinnere mich, dass wir uns im letzten Jahr gegenseitig eine Filmempfehlung geschenkt haben, und das fand ich extrem sinnvoll - ich bin von Deiner Empfehlung damals nicht enttäuscht worden. Also habe ich mir gedacht, dass ich das in diesem Jahr wieder mache. Was für einen Film soll ich nur nehmen? Es sollte nichts sein, was voll im Mainstream liegt, denn dann kennst Du das wahrscheinlich schon, oder hast davon gehört. Es sollte irgendwas Spezielles sein. Weil ich mir nicht sicher bin, schenke ich Dir diesmal zwei ganz unterschiedliche Empfehlungen:

Nummer Eins ist eine kultige Highschool-Komödie aus den Achtzigern. Heathers (1989) ist eine Satire auf das amerikanische Highschoolleben, rabenschwarzer Humor, geniale Sprüche, mit Winona Ryder und Christian Slater. Es geht um eine Mädchenclique, die an der Schule total "in" ist, aber menschlich einfach nur armselig, und ein Mitglied (Ryder) möchte nur noch raus. Dann kommt ein neuer Schüler an die Schule (Slater), der ihr den Kopf verdreht und romantisch-tödliche Teenie-Fantasien hat - und nervige Mitschüler einfach aus dem Weg räumt. Den Film empfehle ich Dir ein bisschen mit Blick auf Deine damalige Empfehlung.

Nummer Zwei ist ein moderner Indie-Horrorfilm. Ich weiß nicht, ob Du Indie magst, aber die Raimis haben ja auch sehr familiär gestartet. Hellbender (2021) handelt von einer Jugendlichen, die mit ihrer Mutter abgeschottet von der Welt ein recht unkonventionelles Leben führt, unter anderem haben die beiden ihre eigene Heavy Metal-Band und ein interessantes Verhältnis zu Magie. Es ist ein Coming of Age-Film, ich fand ihn echt unterhaltsam, vor allem hat mir die Mutter-Tochter-Beziehung gefallen, richtig cool "gespielt" (denn die Darsteller sind auch in Realität eine Familie). 

Vielleicht ist ja etwas Interessantes für Dich dabei - in jedem Fall wünsche ich Dir für das neue Lebensjahr alles Gute - in erster Linie Gesundheit und die Fähigkeit, das Leben zu genießen ;-)

Liebe Grüße aus Kiel,

Dr Hilarius

Donnerstag, 30. Juni 2022

Gelassen


Ich hatte ja sowas von keine Lust auf heute. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich immer noch auf einem riesigen Sportfeld, ich etwa dreizehn Jahre alt, die pralle Sonne brennt runter, es gibt keine Schattenplätze, Mittagshitze, und es dauert ewig. Handballturnier. Eines der schlimmsten (leider wiederkehrenden) Events meiner Kindheit, ich schwitze, ich möchte nicht, ich hab Angst, abgeworfen zu werden, mein Kreislauf kollabiert, ich sehe weiße Sterne.

Genau das habe ich für heute kommen sehen, aber nützt nix, ich bin für "meine" Sieben A dort, Aufsicht und anfeuern bei'm Fußballturnier des siebten Jahrgangs. Wie passend, dass mir gestern der neue Logiktrainer in's Haus geflattert ist (war eine wunderbare Idee, ihn zu abonnieren, ich habe massenhaft Rätsel, um die Zeit totzuschlagen). Und ich kannte den Sportplatz bisher noch nicht, aber er ist eigentlich echt gut, komplett von hohen Bäumen umgeben, es gibt Schattenplätze und einen angenehmen Wind.

Und so habe ich einen entspannten Vormittag verbracht, Kids zugejubelt, toll, zwei der Extrapreise gingen an die A. Rätsel gelöst, mit einem Schüler über The Talos Principle herumgenerdet und als Quittung jetzt doch einen Sonnenbrand eingeheimst. Ich hatte Sonnencreme mitgenommen, aber nicht benutzt, weil ich voll in the zone war und nicht daran gedacht habe. Jetzt gibt es ein kaltes Ölbad, das hilft ungemein, denn: Sonnenbrand plus Neurodermitisschub ist eine Tortur. Pure Folter.

Aber ich kann das alles gelassen hinnehmen, denn ich habe eine Perspektive.

Montag, 30. Mai 2022

Gefährliches Pflaster


Ich bin damals am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Heide (Dithmarschen) zur Schule gegangen. Wenn das Wetter gut war, bin ich mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, wenn es schlecht war, mit dem Bus. Linie 15 war das damals, Weddingstedt-Heide, alle zwei Stunden ein Bus. In Weddingstedt vor der Zahnarztpraxis eingestiegen, und für den Rückweg habe ich an der Bushaltestelle am Markt gewartet - es sei denn, der Unterricht war so zu Ende, dass ich besser mit der 14 oder 16 vom ZOB fahren konnte.

Diese Bushaltestelle ist berüchtigt. Gegenüber Wandmaker, so hieß der Laden damals, keine Ahnung, was da jetzt drin ist. Das war ganz praktisch, wenn ich warten musste, konnte ich mir bei Wandmaker noch einen Müsliriegel holen. Ich habe nicht gern am Buswartehäuschen gewartet, denn das war der Sammelplatz für Heider Obdachlose, mit viel Alkohol und dem Stress, den die Situation dann auch mal mit sich gebracht hat. Es ist öfters laut geworden.

Wandmaker gibt es zwar nicht mehr, aber das gefährliche Pflaster ist dort noch immer, nur gut fünfzig Meter verrutscht: Der Heider Südermarkt ist seit einer Weile offiziell zur "gefährlichen Zone" deklariert worden. Dort kommt es häufiger zu Schlägereien, allein in diesem Jahr sind bisher vierzig Anzeigen eingegangen. Und letzte Woche scheint dort ein junger Mann, zwanzig Jahre alt, an den Folgen einer Schlägerei verstorben zu sein.

Heide. Idylle auf dem Land.

Freitag, 6. Mai 2022

Abschlussprüfung


"Liebe Leute, das muss ich jetzt kurz noch loswerden. Das ist für mich das erste Mal, dass ich auf der anderen Seite des Lehrerpultes sitze, und in den letzten Tagen habe ich immer wieder daran denken müssen, wie ich mich in meinen Abschlussprüfungen gefühlt hab'. Abitur, erstes Staatsexamen, zweites Staatsexamen, und ich war immer panisch und aufgeregt, und ich sehe bei einem oder zweien von euch die Aufregung gerade auch im Gesicht. Und ich wünschte, ich könnte irgendwas dagegen machen. Und am schlimmsten fand ich immer die Stille: Es ist so ruhig während der Klausur, und mein Magen hat dann immer komische Geräusche gemacht, weil ich nichts gegessen hatte und mein Kopf nicht so ganz versteht, was Hunger ist. Also wenn mein Bauch heute auch wieder vor sich her rumpelt oder so, dann grinst ihr einfach eine Runde und schmunzelt über euren komischen Englischlehrer. So, und jetzt bitte alle mal aufstehen..."

Den Rest erspare ich Euch, aber so ein bisschen Ritual vor der Prüfung muss sein, und wer mich in den Saturnalien erlebt hat, kennt das leider zur Genüge. 

Aber es bleibt dabei: Es ist ein seltsames Gefühl, nicht mehr die Person auf dem Prüfstand zu sein. Klar, ich habe immer noch keine feste Stelle und werde so schnell auch keine finden, und damit auch keine Lehrproben in absehbarer Zeit haben, die dafür nötig sein könnten. Ich bin bald wieder arbeitslos, aber trotzdem fühle ich mich angekommen auf der Lehrerseite, und so sehr ich versuche, mich in die Gefühle der Prüflinge zu diesem Zeitpunkt hineinzuversetzen, so merke ich doch, dass das Erleben langsam von mir wegdriftet. Ich sitze da vorne und mache meine Logikrätsel während der Aufsicht, als wäre es eine ganz normale Klassenarbeit. Zwar mit Protokoll und Gedöns, und ich fühle mich wie die Mutter Henne und somit ein bisschen "mitaufgeregt", aber es ist anders. Ich muss nichts mehr so klassisch beweisen. 

Und so sitze ich nun über den Korrekturen und mache die Erfahrungen, die viele von Euch schon seit Jahren in den Abschlussprüfungen machen: Ich habe Klaus so oft gesagt, er soll Punkte zwischen den Sätzen machen und was liefert er ab? Eine Stream of Consciousness-Mail über Roboter an der Schule. Ich habe Christian gesagt, er solle lieber die Prüfung streichen, und er hat stattdessen ein anderes Fach gestrichen und jetzt kommt für mich die große Punkteklauberei. Und natürlich hat Telse eine ganz fantastische Arbeit abgeliefert, besser noch als alle bisherigen Klassenarbeiten, und das bringt mich zum Strahlen. Und natürlich bekomme ich Angst vor den Sprechprüfungen von Marthe und Delf, denen ich möglicherweise jedes einzelne Wort aus der Nase werde ziehen müssen. Und das alles ist fiktiv, denn ich habe die Arbeiten nur überflogen. Das ist mein Autorenhirn, was da spricht.

Es ist das erste Mal als Erstprüfer, aber durch die vielen Jahre als Zweitprüfer und -korrektor, und durch viele Geschichten, die mir Freunde und Kollegen erzählt haben, kommt es mir bei den Korrekturen so vor, als täte ich das schon seit Ewigkeiten. Und trotzdem fühlt sich eine Sache immer ganz unangenehm an: Wenn man weiß, dass das Bestehen oder Scheitern des Schulabschlusses nur von der Abschlussarbeit im eigenen Fach abhängt und man damit über die Zukunft eines Prüflings entscheiden muss. 

Das wird wohl auch noch längere Zeit an die Substanz gehen.

post scriptum: Liebe Eltern, ich rufe morgen an!

Samstag, 19. Februar 2022

LGBTQ v1.1: Kannst Du es nachvollziehen?


vorweg: Dieser Artikel hat grünes Licht von allen beteiligten Personen bekommen.

Wie fühlt es sich an? Als LGBTQ-Teenager auf eine Schule zu gehen, in der einem unentwegt klar gemacht wird, dass das "nicht normal" ist. Dass es irgendwie falsch ist und man sich anpassen muss?

"Oh ja, das muss schlimm sein, das kann ich gut nachvollziehen."

"Nein, das kannst du nicht."

Du sagst es, um mir ein wenig von der damaligen Last und dem damaligen Schmerz zu nehmen, eine Art Höflichkeit oder Freundlichkeit. Aber:

Kannst Du es nachvollziehen? Wie es ist, sich jeden Morgen zu wünschen, krank zu sein, damit man nicht in die Schule gehen muss, und zwar nicht wegen der zu lernenden Inhalte? Wie es ist, auf der morgendlichen Busfahrt in die Schule auf den Fußboden zu schauen, in die eigene Kopfwelt zu verschwinden und die letzten zwanzig Minuten Frieden des Tages zu genießen? Aus dem Bus auszusteigen, und auf dem Weg in den Klassenraum einfach nur noch Angst zu haben? Angst davor, bestimmte Mitschüler zu sehen? Angst vor den Sportstunden? Angst davor, mit Stiften und anderen Sachen beworfen zu werden, weil Du anders bist? Angst davor, während des gesamten Vormittags keine Möglichkeit zu haben, aufzuatmen? Keinen Ort, an dem Du OK bist, so wie Du bist? Angst davor, von anderen Schülern gemobbt zu werden und am Ende dafür auch noch selbst Ärger vom Lehrer zu bekommen, Woche für Woche für Monat für Jahr? Mit Deinem Kopf in einem Rätselheft zu verschwinden, compartmentalizing, um nicht in der Stunde vor achtundzwanzig Mitschülern anzufangen zu heulen? Das grenzenlose Aufatmen, wenn Du nach der letzten Stunde endlich den Klassenraum verlassen kannst? Wenn Du weißt, dass auf der Rückfahrt im Bus wildfremde Schüler versuchen werden, Dir Drogen zu verkaufen, einfach nur um Dich zu verarschen, aber das stört Dich schon gar nicht mehr, weil es nichts ist im Vergleich zu der Folter, in der Schule absolut niemanden und absolut keinen Ort zu haben, um das alles mal herauszuschreien? Wenn Du im Supermarkt von einem wildfremden Mann angesprochen wirst, der Dir anbietet, ein Schwulenmagazin für Dich zu kaufen? Dein Tagebuch ausschließlich zu nutzen, nicht um täglich etwas zu schreiben, sondern um fünfzehn Jahre lang nur all' das hineinzuschreiben, was Du durchmachen musstest an diesem Tag, in dieser Woche? Wenn es sich anfühlt, als würde in Deinem Kopf jeden Tag eine Atomexplosion rückwärts ablaufen, wenn Du all' diese Wut, diesen Frust, diese Angst und Trauer so weit in Dich hineinsaugst, dass Dein Kopf irgendwann nur noch aus Atombomben kurz vor der Explosion besteht? Und Du hast nirgendwo die Möglichkeit, endlich einmal den Zünder zu drücken und das alles loszuwerden?

Kannst Du das wirklich nachvollziehen?

Wenn ja, dann kannst Du es auch verstehen, warum ich in Tränen ausgebrochen bin, als ich am Donnerstag folgende Nachricht erhalten habe:

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Hi! Ich habe gerade Deinen Blog über lgbtq Angebote in Schulen gesehen und möchte das gerne zum Anlass nehmen und mich ganz doll bei Dir bedanken!

In der 9. Klasse Englisch hast Du uns lgbt näher gebracht und wir haben u.a. über 'don't ask don't tell' diskutiert - das hat mir viel bedeutet und damals das Gefühl gegeben, dass mich 'zumindest ein paar Menschen akzeptieren werden' und dass ich nicht alleine bin und vor allem: dass das noch nicht mal im entferntesten Sinn etwas 'Schlimmes' ist. Für mich war die Schule kein sicherer Ort, mich als trans zu outen, zumal ich teilweise mitbekam wie sogar Lehrer untereinander abfällige Witze in diese Richtung gemacht haben und auch ohne Outing jede einzelne Pause Schüler über mich getuschelt haben und sich gefragt haben "ob ich ein Mädchen oder Junge bin". ^ dieser Satz hat mich jahrelang so verfolgt, dass ich bei jedem Flüstern in der Öffentlichkeit automatisch nur das gehört habe! [Unsere AG] besonders war für mich ein Safe Space - ich konnte dort sein wie ich bin! 😁 Ich hatte oft überlegt, ob ich mich Dir anvertrauen soll, letztendlich aber zu viel Angst gehabt, weil mein Umfeld alles andere als supportive war und ich mich mit einem Outing nicht verletzlich machen wollte - ich hatte mir damals stillschweigend gesagt, dass Du mich als die Person, die ich wirklich bin, siehst - danke, Dein Englischunterricht hat mir Hoffnung gegeben, dass irgendwann alles gut wird ☺ Liebe Grüße!!

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Zuerst hatte ich nur den Namen und das Profilbild gesehen, ein junger Mann, den ich nicht wiedererkannt habe. Ein ehemaliger Schüler? Dann der Blick in's Gesicht und der Nachname und der Ausdruck safe space. Ich hatte vor zehn Jahren eine hochintelligente, brillante Schülerin in Englisch, konnte anspruchsvolles Englisch in der neunten Klasse verstehen und auf muttersprachlichem Niveau schreiben. 

Jetzt weiß ich, dass dieser brillante Kopf ein Schüler in einem falschen Körper war. Und dann hat jeder einzelne Satz, den er mir geschrieben hat, tief in's Herz getroffen, über die Schule als unsicheren Ort, die abfälligen Witze, das Tuscheln und vor allem die Hoffnung, dass irgendwann alles gut werden wird. 

Ich hatte am Donnerstag Tränen in den Augen und auch jetzt laufen sie mir über das Gesicht, während ich diese Zeilen schreibe. Endlich habe ich die Gewissheit, dass die Schüler zumindest in meinem Unterricht oder Projektangebot einen safe space haben. Etwas, das sie zuhause nicht haben, draußen nicht haben, und auch sonst in der Schule nicht haben.

Und deswegen werde ich auch weiterhin für meine Schüler versuchen, diesen sicheren Raum einzurichten. Egal, wieviel Gegenwind es geben wird.

Ich freue mich riesig, dass er sich "gefunden" hat.

Mittwoch, 16. Februar 2022

LGBTQ-Angebote an Schulen

Auch mal die Regenbogenseite beleuchten

In Amerika ist gerade in einem Bundesstaat ein Gesetz verabschiedet worden, das spöttisch "Don't say gay-bill" genannt wird. Es beschließt, dass bestimmte Themen im Schulunterricht nichts zu suchen haben - einfach ausgedrückt: Lehrerzensur. Nicht über Rassismus reden, nicht über Homosexualität reden. Ein weiterer Nagel in meinem Sarg der Auswanderung in die USA.

Aus diesem Anlass habe ich mich gefragt, ob wir eigentlich an unserer Schule ein Angebot für Mitglieder der LGBTQIA+-Community haben. Das wäre doch mal etwas, was man starten könnte: Ein wöchentliches Angebot, vielleicht eine Art Redekreis, jedenfalls ein Ort, an dem Schüler und Lehrer in einem geschützten Umfeld offen über alles reden können, was mit LGBTQ zu tun hat. Wenn ein schwuler Lehrer und eine lesbische Lehrerin dabei sind, wenn wir zur Unterstützung vielleicht auch die Schulsozialarbeit in's Boot holen könnten, das wäre super!

Ich würde den Jugendlichen einfach gern eine Möglichkeit geben, über das Thema zu reden. Ich möchte einem heterosexuellen Schüler seine Homophobie nehmen können. In der Schule eine Gay-Straight-Alliance aufbauen... Schüler unterstützen, die ihre Trans-Identität nach und nach entdecken... und als Schule ein Zeichen zu setzen, ihnen zu signalisieren, dass sie OK sind, so wie sie sind. In Gus Van Sants Elephant (2003; anlässlich des Columbine High School massacre gedreht, bei dem genau dieses Thema eine Rolle gespielt hat) wird eine solche Gruppe an einer amerikanischen High School gezeigt, und ich fände es toll, wenn das auch bei uns ganz selbstverständlich sein könnte.

Habt Ihr an Euren Schulen ein solches Angebot?

Mittwoch, 24. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 4


Kapitel 4 - Das richtige Spiel

Eigentlich ist der Titel irreführend, weil er suggeriert, es gäbe das richtige Spiel für so ein Projekt. Ich habe sieben Jahre lang überlegt, was sich anbieten könnte, und bei vielen Spielen, die ich in dieser Zeit gespielt habe, überlegt, ob das etwas für eine Lerngruppe sein könnte. In der Zeit habe ich mir eine Art Checkliste zurechtgelegt, mit Kriterien, die das Spiel erfüllen sollte.

Mir ist wichtig, dass (möglichst) niemand das Spiel schon kennt. Das Kriterium gilt auch bei allen Filmen oder Serien, die ich meinen Schülern zeige. Meine Überlegung dabei ist, dass die Schüler sich eher zurücklehnen und "berieseln" lassen, wenn sie den Inhalt des Gezeigten schon kennen, und das wäre fatal: Ich brauche ihre Aufmerksamkeit, sie müssen mit ihren Gedanken vorne auf der Leinwand sein und wirklich das verstehen wollen, was da auf Englisch gesagt wird. Auf diese Weise ist es für das Gehirn leichter, sich neue englische Wörter und Phrasen einzuprägen. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass jemand wichtige Entwicklungen der Geschichte schon vorher verrät, wenn er die Story schon kennt. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass die Schüler sich selbst "spoilern", wenn sie im Internet nachschauen, was passiert - aber dann läge das in der Verantwortung jedes Schülers selbst, wohingegen sie keine Wahl haben, wenn ein Mitschüler ihnen alles verrät.

Wenn ich ein Videospiel wähle, das möglichst vielen der Gamer in der Klasse gefällt, gibt es ein Problem: Die Mehrheit favorisiert First Person Shooter. Kommt für mich nicht in Frage, mit Schülern ein Spiel zu spielen, in dem man - egal aus welchen Motiven! - herumläuft und andere Menschen tötet. Da diskutiere ich gar nicht erst, ebensowenig bei Fifa oder anderen Sportspielen, Autorennen und so weiter, denn:

Das Spiel muss einen einigermaßen komplexen Plot haben. Ich brauche etwas, was die Aufmerksamkeit der Schüler nach den fünfundvierzig Minuten Unterricht eine Woche lang gespannt hält bis zur nächsten Stunde. Da muss etwas passieren auf dem Bildschirm, und nicht sauer sein: Bei Resident Evil passiert nicht viel (und trotzdem liebe ich die chronologisch ersten beiden Teile, und Autorennen und so weiter). 

Es spricht also alles für ein Adventure, ein Abenteuer, das oftmals nach klassischer Drei- oder Fünf-Akt-Struktur aufgebaut ist. Jetzt wiederum besteht die Gefahr, dass das Ganze zu langweilig für die Schüler mit kürzerer Aufmerksamkeitsspanne wird, und davon haben wir heutzutage ziemlich viele. Da muss also etwas auf der Leinwand passieren, was idealerweise alle interessiert, und es müssen wichtige Dinge in nicht allzu großem Abstand voneinander passieren.

Dann bleibt noch die ewige Frage des unterschiedlichen Interesses bei Jungen und Mädchen, das übrigens kein Klischee ist, sondern empirisch belegt. Sicher gibt es immer Ausnahmen, aber Jungen und Mädchen tendieren generell zu unterschiedlichen Spieltypen.  Jetzt wird es wirklich eng mit der Spieleauswahl, denn wie soll ich die Schüler alle mitbekommen nach den oben genannten Kriterien? Die Schüler da abholen, wo sie stehen, das ist einfach gesagt. Ein Videospiel finden, mit dessen Inhalten sich eine ganze Lerngruppe identifizieren kann?

Vor einigen Jahren habe ich ein Spiel gespielt, bei dem mir relativ schnell klar war, dass das etwas für Jugendliche ist. Protagonistin ist eine achtzehnjährige Schülerin, Max, die Fotografie studiert. Der Prolog des Spiel sieht Max in einem schrecklichen Sturm, in dem sie von einem Gebäudeteil erschlagen wird - aber es stellt sich als Traum heraus, und sie wacht direkt in einer Unterrichtsstunde bei ihrem Lieblingsdozenten Mr Jefferson auf. Ein Blick durch die Klasse und wir erkennen sofort altbekannte Schülertypen: Das Mauerblümchen, das von den anderen gemobbt wird, die reiche, modebewusste Bitch, die den typischen Digitalsprech verwendet, das verwöhnte, arrogante Einzelkind mit psychischen Problemen, es wird noch einen witzigen, verpeilten besten Freund geben und ein Mädchen mit Punk-Attitüde, das gegen alles rebelliert.

Es dauert nur eine Viertelstunde, bis bereits ein dramatisches Ereignis eintritt, und damit verrate ich noch nicht zu viel: Auf der Schultoilette nach der Unterrichtsstunde zieht der verwöhnte Junge eine Waffe und erschießt das Punk-Mädchen, und Max muss das aus einem versteckten Winkel mitansehen. Und in diesem Moment entdeckt sie, dass sie die Fähigkeit hat, Dinge ungeschehen zu machen... 

Wir haben hier diverse Genres vermischt, Teenagerdrama, LGBTQ, Science Fiction, Thriller, Romanze. Es werden sehr harte Themen angepackt, und deswegen ist in den ersten Stunden umfangreiche Aufklärungsarbeit nötig: Kindesmissbrauch, Drogenkonsum, häusliche Gewalt, Suizid. 

Das ist der Punkt, der mir immer noch ein bisschen Sorge bereitet. Das Spiel bemüht sich um einen ordentlichen Entfremdungseffekt, aber es gibt einige Szenen mit Triggerfunktion für labile Schüler, und deswegen muss klar sein, dass die Schüler jederzeit ohne Angabe von Gründen den Hörsaal verlassen dürfen, dass ihnen jederzeit ein Gesprächspartner zur Verfügung steht, und als Spielleiter muss ich vor besonders intensiven Szenen vorwarnen, denn was nützt es, ein Spiel spoilerfree zu halten, wenn dafür ein jugendliches Trauma reaktiviert wird?

Es gibt nicht das richtige Spiel - aber ich denke schon seit längerer Zeit, mit Life Is Strange (2015) könnte dieses Experiment funktionieren; die erste Stunde hat gezeigt, dass sehr viele Schüler auf diese Reise mitgenommen werden. Jetzt musste ich mir nur noch die konkrete Durchführung zurechtlegen.

Fortsetzung folgt...

post scriptum: Ihr seid herzlich eingeladen, eine Diskussion in den Kommentaren zu starten, gerade zum "subject matter" des Spiels. Alle Leser der Kommentare seien an dieser Stelle gewarnt, dass es dort starke Spoiler geben kann (und wird).

paulo post scriptum: Wie aufregend, heute ist tatsächlich ein großer Brief von meinem Kurs in Neun angekommen! Gleich auspacken, lesen, verarbeiten. Freude, trotz krank!



Dienstag, 23. November 2021

Lieber Gott, mach' mich hetero!


Ich habe ab und an mit Lerngruppen den Film But I'm a Cheerleader! (1999) geschaut, eine Satire auf Sexualitäts-Konversions-Therapien in den USA. Großartiger Film, knallbunt, und ich frage die Schüler danach gern, ob das ein realistischer Film ist oder nicht. Nein, heißt es dann, natürlich ist das nicht realistisch, das ist doch Schwachsinn! Und dann mache ich den Schülern klar, dass da ein Korn Wahrheit drinsteckt, denn diese Therapien gibt es in Amerika (und anderswo) tatsächlich. Und ich erkläre ihnen, dass diese Satire das alles natürlich vollkommen übersteigert darstellt.

Offensichtlich ist das gar nicht so sehr übersteigert, wie ich heute gelernt habe. Auf Netflix ist eine Dokumentation zu dem Thema erschienen - Pray Away (2021), und ich realisiere, dass der Kinofilm schon sehr nah an der Realität war. Ein Beispiel:

Um die schwulen Jungen zu normalisieren, sollen sie einen heterosexuellen Lifestyle pflegen, dazu gehört natürlich, dass sie sich für Automechanik interessieren und American Football spielen. Bei den lesbischen Mädchen sieht der richtige Lifestyle so aus: Geschirr spülen, Teppich reinigen und so weiter. Diese Szenen habe ich immer als vollkommen übersteigert verstanden, heute habe ich gelernt, dass es solche Maßnahmen tatsächlich gab: Jungen sollten bei'm Football eine andere Art Freundschaft untereinander kennenlernen - und für die Mädchen gab es Make-Up-Sessions.

Das klingt gruselig - und ist es auch! Ich bin über diese neue Doku ziemlich froh, denn jetzt kann ich in einer Oberstufe in einer Unterrichtseinheit zuerst den Film schauen und bearbeiten und dann mit der Doku unterfüttern. Ich kann beides nur empfehlen, sowohl den Film als auch die Doku. Zwei schöne Blickwinkel auf die Ex-Gay-Bewegung in den USA (die es auch heute noch gibt, man sollte es nicht glauben).