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Sonntag, 20. Juli 2025

Treppensteigen


Vor ein paar Tagen:

Zwei neue Erfolgserlebnisse auf dem Weg der Genesung machen mich gerade sehr glücklich: Ich habe diese Nacht komplett durchgeschlafen! Zumindest scheint es so, und wenn man zweieinhalb Jahre immer nur ein bis zwei Stunden am Stück schlafen konnte, dann ist das etwas Besonderes. Es ist sechs Uhr morgens und ich fühle mich wach und aktiv. 

Und zum zweiten: Einer meiner ersten Gänge morgens führt mich runter zu nahkauf, um dort entweder Bananen zu holen, oder ein Stück jungen Gouda, Tomatensuppe oder weißes Toastbrot. Dann geht es mit voller Tasche wieder die Treppen hinauf in den dritten Stock. Als ich noch aussah wie der Tod, musste ich mich auf der zweiten Etage immer einen Moment hinsetzen, durchatmen, einen Schluck trinken, ich konnte nicht mehr. Das gehört nun auch der Vergangenheit an - vor zwei Tagen bin ich sogar den längeren Weg zum Rewe Center gewandert und mit voll belandener Tasche zurückgekehrt. Auf dem Weg die Treppe hinauf habe ich meine frühere Technik angewandt - immer zwei Stufen auf einmal zu nehmen - und auch das hat geklappt!

Das Fett kehrt zurück, die Farbe kehrt zurück, die Energie kehrt zurück, ich fange an, mich für unterschiedliches Essen zu interessieren, ich brauche derzeit kaum Schmerzmittel. Kurzum: Es geht bergauf, und ds gibt mir Gelassenheit und Freude, die ich hoffentlich an andere Menschen weitergeben kann.

VIELEN LIEBEN DANK für Eure Unterstützung, sei es mit gesunden Rezepten, Haushaltstools für Colitispatienten oder einfach liebe Worte der Anteilnahme. Das lässt meine Hoffnung in die Menschlichkeit wieder etwas aufflammen. :-) 

Heute:

Heute bin ich nicht gut drauf. Das muss auch mal erlaubt sein; es ist der zweite Tag mit 29 Grad in der Wohnung, der Ventilator hilft etwas, aber eben nur etwas. Das wird eine unangenehme Nacht werden, könnte wieder eine jener durchwachten Art sein, bei der ich mich morgens wie ein lebender Toter fühle. Hoffen wir mal, dass die Temperatur einigermaßen runtergeht.

Dienstag, 24. Dezember 2024

Dr Hilarius und der Silberstreif


So, nun wird es Zeit, weiterzuschreiben. Dieser Blog ist weder tot noch in Vergessenheit geraten, aber der Blogger geht gerade durch eine schwierige Phase. Zu viele Ärzte, zu viele Symptome, die mich beeinträchtigen, zuviel Papierkram, der in der Wohnung herumliegt, zu oft der Gedanke, einfach mal alles niederbrennen und neu anfangen zu wollen.

Und man soll sich ja nach außen bloß nichts anmerken lassen, so haben wir es mit fünf dicken Ausrufungszeichen im Referendariat gelernt. Und als ich mich dann daran gehalten habe, sagte meine Schulleiterin in's Gesicht, ich sei unglaubwürdig und man könne mich ja nicht ernstnehmen. Immerhin ist es gut zu wissen, dass Frau K nicht mehr Schulleiterin jener Schule ist, und damals konnte ich mir eine gewissen Genugtuung nicht verkneifen, als die SchülerInnenzahlen unter ihrer Führung um fast die Hälfte zurückgegangen sind. Das war noch am Anfang des Buddhismus; heute tut mir die Frau einfach nur noch leid, so sie noch lebt.

Ich lebe noch und habe jetzt für Anfang Januar einen wichtigen Untersuchungstermin bekommen. Fast schon ein Hauch von Tonglen, dem "Nehmen und Geben": Man hat mir den Termin gegeben, Tabletten zur Beruhigung, das Gefühl, keine Belastung zu sein, und man hat mir genommen - nämlich die Angst vor der Untersuchung, die Angst vor der Klinik, das Gefühl, allein mit den Problemen da zu sitzen. Denn was können meine Eltern schon machen? Es zerreißt meiner Mutter das Herz, dass sie sehen  - bzw. hören und lesen - muss, wie ich hier hin vegetiere mit gut noch siebzig Kilogramm Körpergewicht auf zwei Meter Körpergröße, Schwächeanfällen, die drei Etagen nach oben schaffe ich nur noch mit einer kurzen Sitzpause.

Sie muss das alles miterleben, aus der Ferne der Westküste, aber selbst wenn sie in Kiel wohnte - sie ist keine Ärztin. Sie kann keine Siagnose erstellen, sie kann keine Medikamente verschreiben. Ihre Erährungstipps decken sich nicht mit dem, was man bei einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung zu sich nehmen soll. Sie kann nichts tun, auch wenn sie noch so gern würde, und das muss für eine Mutter die Hölle sein.

Und Weihnachten? Mit viel Fingerspitzengefühl fragt Mama nach, ob ich denn nach den Feiertagen rüberkommen möchte, da sind meine beiden Brüder da, einer inklusive Familie, das wäre doch eigentlich ein schöner Anlass. Anlass wozu? Über meine Krankheiten zu reden? Über die drohende Arbeitslosigkeit und die nächste Runde abgelehntes Bürgergeld? Muss nicht sein. Ein Glas Wasser nach dem anderen zu trinken, während die Anderen das Essen genießen, das meine Ma liebevoll gekocht hat - von dem ich aber nicht weiß, ob ich es vertrage. Also haben wir auch hier eine andere Abmachung getroffen; wir warten, bis ich endlich meine Diagnose habe. Dann finden wir heraus, welches Essen ich mit relativ wenigen Problemen essen kann, und dann holen wir das Ganze einfach später nach.

Und so ist heute also der vierundzwanzigste Dezember, und für mich ist der Tag wie jeder Andere. Okay, zugegegeben, ich gönne mir hier und da etwas mehr, aber ansonsten vergeht die Zeit wie sonst auch. Es ist sogar noch eine Maschine Wäsche unterwegs, und wer weiß, wie sich Nachmittag und Abend entwickeln, vielleicht kommt die große Buba noch auf eine Stippvisite herein.

Sie wird jedenfalls in etwa zwei Wochen eine sehr wichtige Rolle spielen, aber das ist Stoff für einen anderen Beitrag, der mir sehr viel bedeutet.

Habt ein schönes Weihnachtsfest, so Ihr es denn feiert, oder habt einfach einen schönen Tag mit den Dingen und Menschen, die Euch wohlfühlen lassen.

Freitag, 25. Oktober 2024

Widerspruch - mal wieder


Ich habe nicht viel Glück mit behördlichen Angelegenheiten. Mein Antrag auf Schwerbehinderung war abgelehnt worden, ebenso der Widerspruch mit zwei psychiatrischen Gutachten - und nun ist auch mein Bürgergeldantrag abgelehnt worden, denn es bestünde für mich kein Bedarf. Der Grund: Meine Eltern haben mir im August ein Darlehen gegeben, damit ich die Miete, Stadtwerke etc. bezahlen kann. 

Das Jobcenter hat das als reguläres Einkommen gewertet und abgelehnt. Ich hätte wohl erst dann Anspruch, wenn sich die Mahnungen zuhause stapeln, und wenn ich mir nicht mal mehr Suppengemüse leisten kann.

Und wie nervig: Das bedeutet, dass ich im August nicht krankenversichert war; ganz toll mit den vielen Besuchen bei'm Augenarzt und den Medikamenten. Also muss ich auch hier mal wieder Widerspruch einlegen, das kann ich gerade wunderbar gebrauchen - ein weiterer Kontakt mit dem Bürokratiergehege. Mal schauen, wie lange es diesmal dauert, bis ich eine Antwort bekomme...

Sonntag, 6. Oktober 2024

Die Hochzeit meines Bruders


vorweg: Ich bin mir sehr sicher, dass er das lesen wird. Dass sie das lesen werden; und ich möchte nur vorweg den Ratschlag geben, das mit einem Augenzwinkern zu lesen. Denn unter'm Strich habt Ihr mich heute sehr, sehr glücklich gemacht.

Lieber Bruder, liebe Schwägerin!

Vor ein paar Wochen habe ich Mama gefragt, ob es wohl okay ist, wenn ich eine kleine, witzige Rede zu Eurer Hochzeit schreibe. Im Studium habe ich es geliebt, Beiträge für die Bühne zu schreiben und aufzuführen, und das war so eine tolle Gelegenheit - gerade weil es sich ein wenig so angefühlt hat, als käme die Hochzeit aus dem Nichts. Unsere Eltern hatten sich bereits damit abgefunden, dass unsere Familienlinie hier endet, und dass sie nie Großeltern werden würden, und dann kam eines nach dem anderen, ziemlich zügig. Reichlich Futter für ein paar unterhaltsame Worte.

Und dann kam nichts. Keine Inspiration, keine Muse, stattdessen Corona, die Arbeit an einer neuen, herausfordernden Schule und chronische Krankheit. Ist doch nicht wahr... aber ich hatte tatsächlich ein paar Tage vor Eurer Trauung die bittere Erkenntnis an unsere Eltern getextet, dass ich wohl nichts beisteuern könnte. Aber dann ist da ja noch Mama, die bei solchen Anlässen ihren Mund nicht halten kann - zum Glück!

Immerhin wollte ich aber dabei sein an diesem Tag, für Euch vielleicht der glücklichste seit Langem. Und dabei gab es Vieles, was im Kopf dieses Autisten im Weg gestanden hat. Mit so vielen Menschen einen ganzen Tag verbringen... normalerweise habe ich Medikamente, die das leichter machen, aber die sind zur Zeit nicht mehr da. Dazu meine unberechenbare gesundheitliche Situation... und dann kam auch noch die Schule dazu, denn unsere Schule hat sich keinen Brückentag gegönnt, im Gegenteil, Crosslauf für unsere SchülerInnen war angesagt, und Lernentwicklungsgespräche für die Eltern. Und ich war als Aufsicht eingeteilt, genau zum Zeitpunkt der Trauung, wie ungünstig. Viele Gründe also, abzusagen. Nix da. Ich wollte meinen Bruder unbedingt einmal in dieser Situation erleben, echte Verliebtheit für Publikum, wie geht er damit um, und ich wollte endlich meine Schwägerin und meine Nichte kennenlernen.

Zum Glück ließ sich die Aufsicht tauschen, und so war ich früh in der Kälte an der Schule, danach rasant nach Hause. Dabei in den falschen Bus eingestiegen, abgelenkt durch ein Schülergespräch, halbe Stunde Umweg, Anschlussbus verpasst, Stresslevel steigend. Als ich dann in den Bus zum Rathaus eingestiegen bin, war ich einigermaßen aufgewühlt, aber ich wollte das Ereignis auf keinen Fall verpassen.

Also gehe ich auf das Standesamt zu, und sehe sofort den roten Hut. Mamas Markenzeichen. Zum Glück, möchte ich meinen, denn es standen hier und da verteilt drei verschiedene Hochzeitsgesellschaften vor dem Amt - Wochenende, mittags, what do you expect. Eine Gesellschaft komplett in rote Shirts gewandet, und ich hatte ein wenig Angst bekommen, ob ich einen Dresscode verpasst hätte, aber wie gesagt, da war dann der rote Hut und nach und nach ist die Familie eingetrudelt, Onkels, Tanten, und natürlich auch die andere Familienhälfte, die ich nun zum ersten Mal sehen konnte.

Und Dein Trauzeuge - am Gesicht sofort wiedererkannt, aber ich habe gestaunt, wie viele graue Haare er bekommen hat, dabei wirkte es wie gestern, dass ich ihm noch an der Uni über den Weg gelaufen bin. Na, dann muss doch irgendwo auch der Bräutigam sein, aber ich hätte ihn nicht bemerkt, wenn unser Bruder mich nicht auf ihn hingewiesen hätte. Und da war er, und innerhalb von Sekunden wurde zuerst das Outfit gescannt.

Diese Schuhe.

Die gehen ja gar nicht, war mein erster Gedanke - dabei lag das Outfit voll im Trend, eine Kombination aus sandfarben, weiß und hellblau, ein schönes maritimes Motto. Allerdings wirkten die Schuhe wie ein rebellischer Kontrapunkt zur konservativen Fliege und Einsteckblume. Sind das Sportschuhe? Ganz in weiß? Fehlt eigentlich nur noch ein Nike-Logo, aber das war nicht dabei. Der Fairness halber muss ich hier aber auch erwähnen, dass ich mich innerhalb der nächsten Stunde mit den Schuhen anfreunden konnte, denn irgendwie haben sie ja zu Dir gepasst, laid-back, lockerer, entspannter, eigentlich genau richtig, könnte man sagen.

Und dann die Braut in einem absolut grandiosen Zweiteiler, eine weiße Spitzenbluse und ein cremefarbener, langer Rock, ein Hauch von bauchfrei, wunderbar passend zur gebräunten Haut und dem Sonnenschein gestern - der Hammer. Und dann erst habe ich realisiert, dass ich Dich, liebe Schwägerin, bisher noch nie gesehen hatte. Und dann Euch beide strahlend, Arm in Arm zu sehen, das hat mir ein Lächeln auf's Gesicht gebracht, fast schon krampfhaft, aber ganz ehrlich und authentisch. Ich habe selbst nicht so ganz verstanden, warum ich mich gerade so sehr freue.

Dieses Grinsen blieb auch, während die Standesbeamtin den Namen Eurer Tochter falsch genannt hat, und danach den Namen der Braut, zwei kleine fauxpas, die dem Ganzen allerdings Authentizität gegeben haben, das war erfrischend. Zu dem Grinsen haben sich dann doch tatsächlich zwei kleine Tränchen in den Augen eingefunden, und da sage nochmal jemand, Autisten seien emotionslos. Aber bevor ich zu gefühlsduselig werden konnte, kam ein Highlight der ganzen Zeremonie: Das Ja-Wort, das Du, lieber Bruder, so säuselig zur ihr hingehaucht hast, dass wir uns ein Kichern kaum verkneifen konnten. Ist halt schon etwas Besonderes, den Bruder, den man seit über vierzig Jahren kennt, so liebesduselig zu erleben. Es war grandios!

Ebenso grandios wie der Fotomoment danach vor dem Standesamt, bei dem wir alle quasi Spalier standen; bevor ich das realisiert hatte, hat man uns ein Bambusstöckchen mit Glöckchen und Geschenkband in weiß und rosé in die Hand gedrückt, so dass wir Euch bei'm Hinaustreten aus dem Gebäude wie ein Team aus Cheerleadern empfangen konnten. Und wie wunderbar Du dich dann über Deine Gattin gebeugt hast, um sie zu küssen, das hatte etwas Filmisches - natürlich auch hier nicht ohne das familientypische Lästern, denn Ihr habt es geschafft, das genau im Schatten einer der schlanken Säulen des Gebäudes zu machen. Um Euch herum die Sonne, doch Ihr steht im Dunklen.

Was mich zum Tenor bringt, der sich durch die Rede der Standesbeamtin und unserer Mutter gezogen hat, und an dem ja auch etwas dran ist: Zu einer Ehe gehören auch Schattenmomente. Man mag von stürmischen Zeiten oder von Gewitterphasen sprechen - es ist klar, dass es zwischen Euch in den kommenden Jahren immer auch mal krachen wird, weil Ihr unterschiedlicher Meinung zu einer Sache seid. Das ist auch gut so: Wie eine politische Opposition ist das Eure Möglichkeit, gegenseitig den Horizont zu erweitern und nicht in den gewohnten Bahnen zu erstarren. Jedes Gewitter hat etwas Reinigendes, hieß es später in der Rede, und die Rednerin - Mama - weiß, wovon sie da gesprochen hat.

Natürlich hat es auch zwischen unseren Eltern gekracht. Auch wenn sie versucht haben, das vor uns Kindern "geheim" zu halten, hat das nicht immer geklappt, und ich erinnere mich an Momente, in denen ich ängstlich im Bett gelegen habe und mich gefragt habe, ob Mama und Papa sich jetzt trennen. Schreierei, Tränen, das alles gehört gerade im Leben eines Autisten dazu (Meltdown, anyone?) - und trotzdem sind unsere Eltern jetzt seit über fünfzig Jahren verheiratet und werden irgendwann, nicht zu bald, auch noch zusammen in's Grab fallen.

Ich wünsche Euch beiden, dass Euer Band ebenso all' diesen Unwägbarkeiten standhalten wird. Das sage ich nicht ganz uneigennützig - ich werde nie das leckere Essen auf der Silberhochzeit unserer Eltern vergessen, also bis dahin müsst Ihr bitte auf jeden Fall kommen, damit ich mir noch einmal hemmungslos den Wanst vollschlagen kann und danach mit Haus-Natron wimmernd auf dem Bett liegen muss, weil ich mich überfressen habe.

Macht das, Ihr Lieben. Macht aus dieser Zeit eine der schönsten Eures Lebens! Nehmt Eure Tochter mit durch dieses aufregende, nicht immer einfache Abenteuer, und wer weiß, vielleicht gesellt sich irgendwann ja noch ein kleiner Steppke dazu. 

Ich hoffe, Ihr habt Euer Hochzeitswochenende in vollen Zügen genossen. Ich bin früher gegangen, Ihr wisst warum, aber traurig werden konnte ich darüber aus zwei Gründen nicht:

1) Diese Trauung, die ich miterleben durfte, hat mich wahnsinnig glücklich gemacht, eine Art Rausch, der bis zum heutigen Sonntag angehalten hat - jetzt wird es langsam Zeit für die Alltagwerdung - und der jeden wehmütigen Gedanken verdrängt hat.

2) Es war einfach zu absurd, wie ich danach durch die Stadt nach Haus gegangen bin, zwei Meter groß, schwarz lackierte Fingernägel und gänzlich schwarzes Outfit, mit zwei der weiß-rosé-farbenen Cheerleaderglöckchen in den Händen. Wenn mich irgendjemand darauf angesprochen hätte, hätte ich ohne Zögern mit einem Strahlen geantwortet, dass ich von der Hochzeit meines Bruders komme und es mir vollkommen egal ist, was andere Menschen denken mögen; in diesem Moment war mir nur wichtig zu wissen, dass Ihr beide glücklich seid.

Bleibt auch weiterhin glücklich, geht durch diesen Leistungskurs in Sachen Teamfähigkeit und habt viele schöne Stunden als Familie. Auch wenn ich manchmal in der Versenkung verschwunden erscheine: Ich bin immer hier, ich erlebe das mit, und freue mich auch weiterhin für Euch und fiebere mit Eurem Leben mit.

Danke, und alles, alles Liebe für Euch!

Euer Tobi

Montag, 8. April 2024

Sein dürfen, wie ich bin

Die große Buba und Dr Hilarius

Was für ein holperiger Titel - aber passend zu diesem Thema, das eine Menge Schlaglöcher bietet. Die Leitfrage lautet:

Darf ich so sein, wie ich bin?

Das fragen sich viele Menschen, die von der "Norm" abweichen, neurodivergente Menschen, die LGBTQ-Community und viele mehr, und das Spannende ist die Antwort, die man auf diese Frage von Anderen bekommt. Meistens ist es etwas in der Richtung "Ja, natürlich darfst du hier du sein." Ernstgemeint ist das aber meistens nicht.

Ich habe mir die Frage auch ein Leben lang gestellt. Immer, wenn ich an eine neue Schule gekommen bin, habe ich gefragt, ob es in Ordnung ist, dass ich schwarze Outfits und Nagellack trage. Immer hieß es "Kein Problem!" - und später gesellte sich dann die Frage dazu, ob ich autistische Verhaltensweisen zeigen darf. Schulleitung: "Wenn wir schon Inklusion an der Schule leben sollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium."

Es galt vier Monate lang, dann kam das erste "Du musst dich anpassen". Fragt Euch mal ganz ehrlich, an welchem Ort, mit welchen Menschen Ihr genau so sein dürft, wie Ihr seid. Ich behaupte, dass es eine sehr geringe Menge ist. Ort: Meine Wohnung, aber nur, wenn niemand dabei ist. Ausnahme: Die große Buba. Wenn sie hier bei mir im dritten Stock auf der Couch neben mir sitzt, dann darf ich endlich so sein, wie ich bin. 

Ich darf Fingerstimming machen. Ich darf an meinen Füßen herumgrabschen, während sie erzählt. Ich darf über alles reden, Krankheit, Videospiele, Filme, Schule. Ich darf Tee trinken. Ich darf an jeder Stelle sagen: "Äh, moment, das verstehe ich nicht. Bitte umformulieren." Ich darf Wäsche aufhängen. Ich muss nicht meinen Mund halten, aus Angst, dass etwas falsch verstanden wird. Ich darf meine Zähne putzen.

Ich glaube, sie ist derzeit der einzige Mensch, bei dem ich mich in keiner Weise verstellen muss. Ich weiß aber, dass auch die Sannitanic so wäre, wenn wir so viel direkten Kontakt hätten. Und ich weiß, dass seit einiger Zeit meine Mutter dazugehört. Kennt Ihr ja vielleicht, dass man sich vor seinen Eltern verstellt, um sie glücklich zu machen oder wasweißich, und dass die Offenheit und Ehrlichkeit erst später im Leben kommt. Dennoch besser spät, als nie.

Ich wünschte, mehr Menschen meinten es ernst, wenn sie sagen: "Sei ganz du selbst."

Sonntag, 10. März 2024

Skype mit Mama

Mama und Papa damals 👪

Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu sein. Was man hört, gibt immerhin schon einen Eindruck, aber ich - Autist eben - kann mir das Unbekannte nicht vorstellen. Einige gute Filme haben mir schon Einiges darüber berichtet, und ein Naturfilmer, den ich auf Youtube verfolge, filmt jedes Jahr diverse Eulen-, Turmfalken- und was weiß ich-Paare, die in verschiedenen Nestern und Astlöchern auf seinem Grundstück brüten, schneidet dann nach der Saison alles zusammen (die Videos) und versieht es mit einer schönen Story im voice-over, und da kann ich dann sehen und miterleben, wie die Eltern von Tieren sich so verhalten, und das bringt mir Einiges bei.

Es ist jedesmal wieder interessant zu erleben, wie liebevoll sich manche Tiere um ihren Nachwuchs kümmern. Bei den Eulen - wie bei vielen Anderen auch - kommt dann irgendwann der Moment, in dem die Jungtiere im Nest auf und ab hopsen, die Flügel ausbreiten und unruhig werden, und zack, irgendwann sind sie flügge und je nach Tierart für immer weg.

Wie muss sich das für eine Mutter anfühlen, wenn die Kinder "flügge" sind? Als meine Eltern meine beiden älteren Brüder in das Studium entlassen haben, war immerhin noch ich da, den sie betüddeln konnten, aber vier Jahre später war ich dann auch weg - und egal, wie oft Mama mir sagt, dass sie mich vermisst oder so gern mehr von mir hören oder sehen würde, konnte ich mir das nie vorstellen - und gerade in dieser ständigen Jobwechselphase habe ich mich auch von ihr weiter abgekappt und die Kommunikation bestand größtenteils aus Mails. Da ich kein Smartphone habe, kam auch sowas wie facetime nie in Frage.

Insofern ist es überraschend, dass mir vor ein paar Wochen wieder Skype eingefallen ist. Ich habe das Programm zur Videotelefonie zum ersten Mal im Studium kennen gelernt. Damals war es ein Segen, weil ich Kontakt mit Menschen aufnehmen konnte, die ähnliche Interessen oder Vorlieben hatten wie ich, ohne dass ich sie "direkt" ansprechen musste, und gerade als Mensch mit special interest ist das ein Segen. Wusstet Ihr, dass IRC (die erste Chatmöglichkeit per Internet) zu einem Großteil von Schwulen genutzt wurde? Sie haben versucht, Anschluss zu finden, weil die Mitmenschen draußen dem Thema so feindlich gegenüber eingestellt waren und auch immer noch sind.

Dann hatte ich irgendwann ein gut vernetztes soziales Leben in der Realität und Skype ist wieder in den Hintergrund geraten, und für mich für viele Jahre in Vergessenheit. Dann irgendwann die Frage, warum ich das nicht nutze, damit Mama und ich uns sehen können, ohne dass ich die Sicherheit meiner Wohnung verlassen muss? Seither haben wir immer sonntags um fünfzehn Uhr - mal etwas früher oder später - einen Termin; vor einer Viertelstunde war unser letzter Anruf zu Ende. Und ich fühle mich dabei immer so gut, wenn ich Mama sehen kann und wir über alles reden, was wir uns die Woche über auf unseren Zetteln aufgeschrieben haben. 

Eine Stunde, das ist genau die richtige Zeit, da fühle ich mich wohl, Mama macht sich ihre Zigarette an, ich trinke meinen Tee und wir reden ganz entspannt, und unter der Woche muss ich kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe - denn das hat mich tatsächlich oft belastet. 

Skype wiederentdeckt - Familie Hilarius glücklich!

Freitag, 8. März 2024

Interessante Einsicht


Früher sind wir als Familie fast jeden Sonntag zu Oma gefahren, zum Kaffeetrinken und Kuchenessen. Ich weiß, dass meine Mutter diesen Beitrag gerade liest, und ich hoffe, sie bekommt das Folgende nicht in den falschen Hals: Für mich waren die Besuche bei Oma immer lästig. Ich bin an einen fremden Ort gefahren, sechs Leute an einem Tisch, die Smalltalk machen - was viele Autisten nicht mögen - mein Bruder, der Klugscheißer, der nichts unkommentiert lässt. Ich selbst habe nur sehr selten etwas gesagt, zumindest ist das meine Erinnerung.

Es gab aber auch etwas Tolles an einem Besuch bei Oma, nämlich quality time mit der Oma selbst. Wenn ich sie ganz für mich hatte, das war toll, dann haben wir uns an den Küchentisch gesetzt und Rätsel gelöst. Fernsehzeitung, Klatsch und Tratsch, überall sind Rätsel drin, und meine Oma hat es geliebt, Rätsel zu lösen, und diese Leidenschaft hat sie an mich weitergegeben. Das war immer traumhaft, mit ihr als Team an die Rätsel zu gehen, und sie hat mir dabei Vieles aus ihrem Erfahrungsschatz beigebracht.

Allerdings mochte ich nicht jeden Rätseltyp. Silbenrätsel? Eher nicht, aber Lustiges Silbenrätsel fand ich toll, da muss man einen Begriff erraten, der auf humoristische Weise umschrieben ist - und ein Lösungswort oder -spruch gab es auch jedesmal. Was mich besonders angezogen hat, waren Wortsuchrätsel. In einem Buchstabenchaos nach Wörtern waagerecht, senkrecht, diagonal, vorwärts und rückwärts zu suchen - dabei habe ich mich wie ein Detektiv gefühlt. Besonders schön war es, wenn die übrig gebliebenen Buchstaben ein Lösungswort ergeben - ich habe auch immer gern Wortsuchrätsel für die fünfte und sechste Klasse in Englisch gebastelt.

Muss wohl ein Gefühl von Nostalgie gewesen sein: Ich habe mir ein Wörtersuchen-Rätselheft gekauft und in meinem Rucksack verstaut. Immer wenn ich mit dem Bus unterwegs bin, habe ich meinen Rucksack dabei; darin sind durchschnittlich acht Rätselhefte und viele Fasermaler in diversen Farben. Also haben diese Hefte nun einen neuen Nachbarn bekommen, und ich habe nach und nach eine Sache realisiert: Suchrätsel sind mir nicht anspruchsvoll genug. Es macht zwar immer noch Spaß, diese Wörter zu streichen und ein Lösungswort zu bekommen, aber mein Gehirn hat dabei nichts zu tun; es ist reine Sucharbeit.

Die anderen acht Hefte im Rucksack sind allesamt Logikrätsel - zwei Zeitschriften habe ich abonniert, damit immer genug Nachschub da ist. Denn bei diesen Logikrätseln fangen meine grauen Zellen an, zu arbeiten, und das mag ich, das reizt mich, das gibt ein kribbelig-aufregendes Gefühl. Je älter ich werde, umso mehr fällt mir auf, wie wichtig mir intellektuelle Stimulation ist. Drollig: Das ist das Hauptthema des großartigen Comedy-Dramas The Banshees of Inisherin. Und mittlerweile kann ich nachvollziehen, warum darin einer von zwei besten Freunden unerwartet die Freundschaft aufkündigt.

Suchrätsel sind Zeitvertreib. Logikrätsel, gerade visuelle, sind eine Herausforderung.

Und das mag ich.




Dienstag, 2. Januar 2024

Tag 154 - Die Würze im Leben


Originaltext: 

Manchmal bietet sich der Jahreswechsel an, um einen Blick auf das hinter einem liegende Jahr zu werfen. Diesmal halte ich es nach der Devise "Schaue niemals zurück - du ersparst dir den Blick in's Chaos." Zwanzig Dreiundzwanzig war für mich ein ziemlich mieses Jahr. Job und Zukunftsperspektive verloren, möglicherweise eine chronische Erkrankung dazugewonnen, noch immer kein Schwerbehindertenstatus, ich finde nicht viel Positives. Buddhismus würde mir in's Bewusstsein rufen, dass so ein blödes Jahr viel Gewinn im Lojong-Geistestraining gebracht hat. Ist auch so, und es entspannt sehr, ändert aber nichts an den kleinen Ungerechtigkeiten im Leben.

Also bleibt nur der Blick nach vorn, direkt geradeaus, und mit großen Schritten in den Januar zu gehen. Wichtige Gespräche stehen an, beruflich und ärztlich. Ich bin froh, dass ich bei alledem den Rückhalt meiner Familie und Freunde habe.

Und Berliner. Wie jedes Jahr zu Silvester habe ich mir ein Tablett bunt gemischt bestellt, allerdings keinen mit Senf. Den Senf esse ich dann lieber pur zum Abendessen - wobei, heute gibt es wieder Gemüsesuppe. Nach Würstchen mit Kartoffelsalat ist mir bewusst geworden, dass ich doch eher noch bei Schonkost bleiben sollte. Die fetten, süßen Berliner passen da natürlich nicht rein, aber ich lasse mir an diesem wichtigen Tag keine Freude nehmen.

Dieser Tag beginnt für mich immer am Vorabend, wenn die große Buba da ist, und wir irgendwann im Lauf des Abends uns gegenseitig briefen, wie wir Silvester so verbringen werden, denn sie weiß, dass ich an diesem Tag gern allein bin, ganz in meiner eigenen Welt, um mit dem Leben klarzukommen, wie es gerade ist.

...und das ist also die depressive Sichtweise auf dieses Silvester. Dann schalten wir die Atmosphäre doch mal eben um, wie Dario Argento in Suspiria, und schauen auf zwei feine Positivitäten. Da gab es ja schließlich doch was.

Vor ein paar Wochen ist nämlich Post angekommen, eine Bluray mit dem Film Hero. Ich war erstmal ein wenig verwirrt, hatte ich mir die bestellt? Hätte sein können, denn ich hatte gerade das wuxia-Filmgenre für mich entdeckt. Das sind Martial Arts-Filme, in denen es nicht um Kampf und Gewalt geht, sondern um Ästhetik. Da hat dann mit der Realität nicht mehr viel zu tun, aber das macht überhaupt nichts. Im Gegenteil: Wenn plötzlich zwei Kämpfer leichtfüßig über die Hausdächer springen und dazu wunderbare Musik erklingt, dann wirkt das surreal, wie ein Traum, und das kann man wunderbar genießen. 

Andere Filme in dem Genre sind zum Beispiel Crouching Tiger, Hidden Dragon oder House of Flying Daggers. Die Story interessiert mich da eher wenig, da sind keine großen Überraschungen dabei, manchmal übertrieben klischeehaft, aber das Künstlerische der Kampfszenen geht nicht an mir vorbei. Aber hatte ich mir Hero bestellt? Ich wusste, dass ich ihn mal sehen wollte...

...und dann ist mir der Gedanke gekommen, dass die große Buba mir vielleicht ein kleines Geschenk gemacht hat, denn wir hatten uns kurz zuvor über wuxia unterhalten. So eine kleine unerwartete Überraschung ist etwas Tolles, nicht disruptiv, sondern auf meiner Wellenlänge, und deswegen finde ich die große Buba toll.

Und auch etwas Anderes hat mir Lächeln beschert - ich habe mir endlich mal die Geduld genommen, eine milde Brühe aufgesetzt und dann reichlich Gemüse hinein und eine Stunde lang ziehen lassen. Ich war hin und weg, als ich realisiert hatte, dass die Brühe das Aroma des Gemüses aufgenommen hatte; plötzlich schmeckte die ganz normale Brühe so wie früher bei Mama, und das war ein toller Genuss.

Normalerweise tendiere ich eher dazu, Gerichte zu überwürzen, und bereite eine Brühe eher kräftig zu. Diesmal habe ich bewusst einen Löffel weniger vom Brühenpulver genommen - nachwürzen kann man immer noch. Eine schöne Erkenntnis, die ich schon viel früher hätte haben können, wenn ich nicht immer darauf fixiert wäre, das Essen schnell und unkompliziert hinter mich zu bringen.

Silvester.

Fünfunddreißig Minuten nach Mitternacht, die Hamburger Chaussee kommt etwas zur Ruhe, hier und da donnert noch das Echo von Knallkörpern durch die Häuserzeilen. Römisches Licht, Goldregen, Silberfunken, Crackling, Vulkan, Heuler, Ufo, Bodenwirbel, Frosch, Teppich, Kanonenschlag, Kugelbombe, Fontänenbatterie. Ich kenne jeden einzelnen dieser Effekte, denn ich liebe Feuerwerk über alles, und schon als Kind habe ich mich intensiv mit den Feuerwerkskörpern auseinandergesetzt, bevor es dann an Silvester zur Zündung ging.

Natürlich bleibe ich über Mitternacht im Haus. Ich wohne einfache Lage, das lässt sich übersetzen nach "viele junge Menschen, die gern sehr viel trinken und ausgelassen feiern." Und in deren Händen das Feuerwerk eigentlich nichts zu suchen hat. Mich hat es früher tatsächlich persönlich verletzt, wenn jemand einen Feuerwerkskörper nicht genau nach Anleitung gezündet hat. Und was machen die Vollpfosten da unten?

Stecken die Raketen extra fest in den Boden, damit sie nicht abheben können und dann direkt auf Augenhöhe in alle Richtungen explodieren. Nicht einmal, sondern fünfmal, jedesmal begleitet vom Johlen (und was da noch so für Geräusche herauskommen) der jungen Männer. Rücksicht auf andere? Wozu, sollen die doch drinnen bleiben! So wie ich. Und dann stellen sie eine Batterie quer auf den Boden und die ganze Ladung knallt nicht nach oben, sondern nach vorn. Geil! Lass' ma' Krieg spielen! Und dann überrascht es mich auch nicht mehr, wenn die gleiche Gruppe es zu einer Challenge macht, Raketen so lange in der Hand zu behalten, bis sie losfliegen, und dann bekommen sie den Feuerstrahl des Treibsatzes in's Gesicht und drehen sich erschrocken weg. Egal, das war aufregend, machen wir noch ein... nein, viermal.

Es überrascht mich fast schon, dass der erste Polizeiwagen mit Sirene und Blaulicht erst zwanzig Minuten nach Mitternacht vorbeifährt. Normalerweise geht das schneller. Und natürlich wird auch der Einsatzwagen von den Leuten unten angegrölt.

Und trotzdem liebe ich Feuerwerk auch weiterhin, und das wird sich nie ändern. Es ist nur die Kombination aus Feuerwerk, Alkohol und Testosteron, die mich zum Kotzen bringt. Aber bloß nicht das Gras freigeben! :O Und wenn, dann bitte nur in einem um Jahre verzögerten Pilotprojekt.

Menschen sind unlogisch. Leider macht genau das ihren Reiz aus.

Und jetzt stelle ich mich an den Herd, denn es wird Zeit für's Abendessen. Wasser, Brühe, Gemüse, Fleischklößchen in einen Topf, lange ziehen lassen, Nudeln dazu, wunderbar.

Auch wenn viele es wohl anders sehen mögen: Den perfekten Jahreswechsel verbringe ich allein, in Ruhe, in vertrauter Umgebung, in meiner ganz eigenen Taktung. Und glücklich.

Die Würze im Leben: Manchmal vermissen wir sie, dabei liegt sie direkt vor unseren Augen, wir müssen sie nur sehen können.

Sonntag, 24. Dezember 2023

Tag 146 - Die ersten Bissen


Heute wäre natürlich der perfekte Zeitpunkt, um über ein gewisses Fest in diesem Jahr zu schreiben. Das hat dieser Blog allerdings noch nie gemacht, und außerdem weiß ich, dass meine Mutter sich stattdessen über diesen Beitrag viel mehr freuen wird; schließlich haben wir gestern einmal telefoniert und ich habe versucht, rüberzubringen, dass sie im Moment nichts tun kann als abwarten und sich nicht zu viele Sorgen zu machen. Klar. Als ob eine Mutter sich mal keine Sorgen über ihre Kinder machen würde - ich denke mal, die Sannitanic dürfte das seit einigen Jahren sehr gut nachvollziehen können.

Neben dem gesundheitlichen Update haben wir gestern auch über heute gesprochen, denn ich verbringe das Fest nicht bei meiner Familie, sondern in meiner Wohnung mit Kräuterschnaps (Iberogast) und Fenchelhonig (den liebe ich ja). Am Ende des Gesprächs haben wir auch über das Abendessen gesprochen, denn ich wollte wissen, was es an Weihnachten zuhause zu essen gibt, auch wenn ich selbst nichts essen möchte. 

Und dann kam etwas, was mich aufgebaut hat: Wir haben detailliert über das Essen gesprochen, und am Ende hatte ich statt Magenkrämpfen ein kleines Magenknurren und richtig Appetit bekommen. Das hatte ich seit einigen Tagen nicht mehr, und Ihr kennt das ja vielleicht, wenn man ein paar Tage nichts mehr essen wollte oder konnte - wenn auf einmal wieder Appetit da ist, fühlt sich das schon wie eine Wunderheilung an. Das habe ich meiner Ma dann auch direkt mitgeteilt und es hat ihr gut getan, das zu hören. Sie hat mir erzählt, dass auch so kleine "Erfolgsnachrichten" schon Balsam für die Seele sind, also wird sie das hier freuen:

Ich habe letzte Nacht einmal gut vier und einmal gut drei Stunden am Stück geschlafen. Und nach unserem Telefonat habe ich ein paar Salzcracker gefuttert und sie haben einfach wunderbar geschmeckt. Ja, mein Magen hatte später trotzdem damit zu kämpfen, aber einfach das Gefühl von Geschmeck im Mund und nicht alles-wieder-rückwärts-loswerden-müssen, das war fantastisch. Und dann gab es abends eine Scheibe Toast mit Heidelbeermarmelade, absolut unvernünftig, aber sie hat paradiesisch geschmeckt. Das war es auf jeden Fall wert, und vielleicht besteht mein persönlches kleines Festessen heute aus Crackern, Toast und Marmelade. 

Gesundheit schön und gut, aber einmal genießen ist gut für die Seele.

post scriptum: Und wer weiß, wenn mein Magen es zulässt, gibt es heute Abend vielleicht zu der Scheibe Toast einen Teller Kartoffeleintopf; der von der Schlachterei "Wilhelm von Brandenburg" schmeckt wunderbar, und nein, ich bekomme kein Geld dafür, das hier zu schreiben ;-)

Lasst es Euch heute (und morgen etc.) schmecken!

paulo post scriptum: Und dann kommt noch meine himmlische Ersatzfamilie hier, also known as Buba and family, die mich mit einer Wärmflasche versorgt haben, das hat gestern Abend sooo gut getan!! Danke, Ihr Lieben! <3

Freitag, 22. Dezember 2023

Tag 144 - Tee & Zwieback, die Zweite


Wobei ich vielleicht den Zwieback aus dem Titel streichen sollte. Magen-Darm-Infekt, was für ein tolles Timing. Ihr kennt das vielleicht: Nichts bleibt drin, trinken geht nur in kleinen Schlucken, Dauerübelkeit und die Nächte sind die Hölle. "Lenk' dich ab mit irgendwas", würde ich mir gern sagen, aber ich habe es ausprobiert, länger als zwanzig Minuten auf der Couch - Serie, Videospiel - halte ich nicht durch. Also klassisch Bett und Hörspiele.

Was tatsächlich hilft ist, sich auf die positiven Seiten zu konzentrieren. Sie in den Fokus nehmen: Übergeben ist mies, ja, aber danach fühlt man sich (wenn es denn geklappt hat) richtig erleichtert. Bei mir ist das zumindest so, ich bin dann erschöpft, aber es fühlt sich besser an. 

Ich glaube, das ist das erste Weihnachten, das ich nicht bei meiner Familie verbringen kann. Natürlich hole ich den Besuch nach, wenn ich kann, aber es fühlt sich schon ungewohnt an. Und dabei hatte ich diese Woche noch Sachen vor - ich wollte heute früh in meiner ehemaligen zwölften Klasse hereinschneien und ein bisschen was machen, ich hatte mich echt darauf gefreut, aber daraus wurde nichts, und auch das Wiedersehen mit der großen Buba muss warten.

Buddhismus hilft, es nicht schwer zu nehmen. Das meine ich ernst, und es erleichtert ungemein. Das ist quasi das Gegenstück zur Männergrippe - auch bekannt als Schnupfen, über den wehleidige Männer sich lauthals beklagen (während Frauen da meist etwas robuster sind).

Silberschein am Horizont: Auswahlgespräch. Abwarten. ;-)

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Tag 128 - Zuviel Monat am Ende des Geldes

Neue Mitbewohner

Eigentlich
habe ich keine Probleme damit, mit meinem Geld zu haushalten. Das hat im Studium wunderbar funktioniert, ich habe es geliebt, mir einen Haushaltsplan zu erstellen und mich daran zu halten. Irgendeinen Grund muss es ja auch gehabt haben, dass ich Vorsitzender des Haushaltsausschusses des Kieler StuPa war.

Für einen Aspi bedeutet eigentlich so gut wie immer "unter gesicherten Umständen". Damals lief das alles super, aber wie wir wissen, taumele ich seit sieben Jahren von einer Schule zur nächsten, habe diese Sicherheit nicht mehr, und damit wird der Aspi quasi zum handfesten Autisten und ist mit vielen Sachen im alltäglichen Leben überfordert. Gerade aus diesem Grund strebe ich ja auch nach wie vor den Grad der Behinderung 50 an.

Eines der Probleme, die sich herauskristallisiert haben, ist das Geld. Ich habe hier in der Wohnung vier Notizbücher liegen, jedes von ihnen ein gescheiterter Versuch, endlich mal wieder ein vernünftiges Haushaltsbuch zu führen. Es klappt nicht. Weil ich nie weiß, wie das nächste (Halb-)Jahr finanziell aussehen wird und ich es nicht schaffe, mich vernünftig auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Zu oft war bei mir am Ende des Geldes noch zuviel Monat übrig, wie der Spruch sagt.

Ja, war. Meine Mutter, die in solchen Dingen ein Genie ist (das zieht sich durch unseren Aspi-Familienstamm), hat mir ihren Trick aus der Studienzeit verraten, der so einfach ist und doch so einleuchtend und praktisch klang, dass ich ab jetzt versuche, ihn durchzuziehen. Wie hatte sie mir das noch gleich beschrieben?

"Stelle dir 5 "Wochentöpfe" bereit und lege am Anfang des Monats in 4 Töpfe gleichmäßig verteilt das Geld rein, das du nach allen festen Abzügen für deinen Unterhalt übrig hast. 

Sollten am Ende der 1./2./3. oder 4.Woche ein paar Euro übrig sein, dann lege sie als "Notgroschen" in den Topf Nr.5; Topf Nr.5 darf aber erst 3 Tage vor Monatsende wieder geleert werden! 

Diesen "Trick" habe ich in meiner Studienzeit angewendet - mache ich sogar heute noch manchmal - der hilft ungemein und man "bemogelt" sich nicht selbst!!!"

Ja, das mit dem Bemogeln kenne ich zu gut: Wenn es drauf ankommt, finde ich immer irgendwelche Gründe, warum ich gerade eine bestimmte Anschaffung brauche, und weg ist das Geld, das ich vielleicht in der letzten Monatswoche noch benötigt hätte.

Ich habe ihren Trick noch um zwei Punkte erweitert:

1. Ich lege das Geld ausschließlich in Zwanzig-Euro-Scheinen in die Töpfe (bzw. Gläser, die man oben im Bild sieht). Ich lege immer nur einen Zwanziger in's Portemonnaie, und wenn der zur Neige geht, nehme ich mir einen neuen.

2. Ich bezahle ausschließlich in bar. Das habe ich jahrelang nicht mehr gemacht, weil die kontaktlose Kartenzahlung so einfach und schnell geworden ist - Karte an das Gerät halten, zwei Sekunden warten, Betrag ist vom Konto abgebucht. Das ist so einfach, dass man schnell den Überblick über viele kleine Ausgaben verlieren kann. Bei mir ist das zumindest so, da muss ich ehrlich sein.

Ob das alles nun funktioniert, werde ich erst nach ein paar Monaten resümieren können. In der ersten Woche habe ich allerdings bereits gemerkt, dass ich deutlich weniger "Unnötiges" einkaufe und gerade die Barzahlung mir gut tut, da ich nicht mehr Geld ausgeben "kann", als ich im Portemonnaie habe.

Danke, Mama! 💑

Freitag, 25. August 2023

Tag 25 - Beste Absage ever!


Fuck, wie gut ein Telefonat tun kann. Ich habe gestern und heute je eines hinter mich gebracht, und ich habe es selten gehabt, dasss ich nach einem Telefonat fröhlich klatschend durch die Wohnung gesprungen bin. The Reason I Jump. Nice!

Ich rufe eine unbekannte Schulleiterin an, aus eigenem Impuls heraus. Sie hat bei mir für eine Vertretung angefragt. Grund- und Regional- beziehungsweise Gemeinschaftsschule. Klein, ein- bis zweizügig, fünfundzwanzig Minuten mit dem Bus, inklusive Förderzentrum. Genau das richtige Umfeld für mich - wollte ich früher nicht wahrhaben, aber ich weiß jetzt als special needs person, wie wichtig das für mich ist.

Gesucht wurde eine Vertretung zunächst für ein halbes Jahr zwanzig Stunden, eventuell auf ein Jahr siebenundzwanzig aufstockbar. Ich bin jetzt seelentechnisch an einem Punkt angekommen, wo ich mich auf eine neue Schule einlassen kann, selbst wenn es nur für eine Vertretung ist. Geld muss dringend her, und zwar jetzt, denn die Arbeitsbescheinigung ist immer noch nicht eingereicht worden. Ich bekomme kein Geld, weil das DLZP seine Arbeit nicht richtg macht. Meine Sachbearbeiterin hat vorhin ihren guilt trip abbekommen, und wenn es drauf ankommt, kann ich das richtig gut. Ärgerlich nur, dass es manchmal eben darauf ankommen muss.

Dann habe ich überlegt, warum die Schulleiterin sich bei mir gemeldet hat. Nicht nur per Mail, sondern zusätzlich per Nachricht auf dem Anrufbeantworter, und mir deutlich gesagt hat, dass die Stelle vierundzwanzig Stunden für mich freigehalten wird. Das ist ein Luxus, der ist nicht normal. Solch' einen Aufwand hat damals nur die Nordseeschule in St.Peter-Ording für mich betrieben, weil sie mich behalten wollte. Um. Jeden. Preis. Also habe ich angerufen und gefragt, warum ich angefragt wurde, weil nämlich zu genau jener Vertretungs-Grundschule zwei FörderschulkollegInnen von mir an der Toni Verbindungen haben und es mich nicht überrascht hätte, wenn mein Name in Gesprächen dort gefallen wäre. Ist tatsächlich schonmal vorgekommen, es gibt nicht nur Schlechtes über mich zu berichten ;-)

Interessanterweise hat sich in unserem Telefonat aber herausgestellt, auch wenn das so explizit wohl nicht gesagt werden darf, dass das an meinem Gleichstellungsstatus mit Schwerbehinderten liegt. Tatsache - im pbOn, dem Schulbewerbungssystem, ist nämlich jetzt der Eintrag schwerbehindert freigeschaltet - und es zeigen sich erste Wirkungen.

Wir haben dann in einem tollen, offenen Gespräch mit weinenden und lächelnden Augen festgestellt, dass diese Stelle für mich nicht optimal geeignet ist. Der Impuls ging von mir aus, ich habe also quasi abgesagt. Genau das, worüber ich letztens hier geschrieben hatte - es wirkt! Es funktioniert! Und das gibt mir eine so unglaubliche Seelenruhe, dass ich jetzt endlich bereit bin, mein Leben anzugehen. Das Aufräumen. 

Das war eine der besten Absagen evar

post scriptum: Das andere Gespräch war ein Telefonat mit Mama vorhin über genau das (und mehr) - das hat mich klatschend in der Wohnung zurück gelassen. Diesen Tag lasse ich mir durch nichts wegnehmen!

Donnerstag, 3. August 2023

Tag 3 - WIDERSPRUCH!

Die perfekte Geisteshaltung für den Umgang mit Behörden. Schlonz ist hier der Hauptdarsteller!

"Dickschwartig sein."

Das ist eine der Lehren, die meine Mutter mir schon frühzeitig auf den Weg mitgegeben hat. Gerade bei Angelegenheiten, die mit Behörden zu tun haben, solle ich den Menschen immer auf die Füße und in den Arsch treten, damit sie ihre Aufgaben machen. Ich habe mich selten daran gehalten, weil ich in der Hinsicht eher der ruhige Typ bin. Nicht erst seit dem Buddhismus; ich komme da nach meinem Vater. Immer ruhig bleiben (wenn es nicht gerade zum Meltdown kommt).

Leider hatte meine Mutter damit immer Recht. Das Landesamt für soziale Dienste in Neumünster hat mein Vertrauen in den letzten dreizehn Monaten verspielt. Nicht nur, dass sie meinen Antrag haben vergammeln lassen - obwohl es hieß "Bitte erkundigen Sie sich nicht nach dem Bearbeitungsstand ihres Antrags. Wir werden uns bei Ihnen melden, wenn noch Dokumente fehlen oder ein Arzt nicht reagiert".

Meine Hausarztpraxis hat, warum auch immer, elf Monate lang nicht reagiert - und das Amt auch nicht. Ich finde sowas zum Kotzen, ich kann damit nicht umgehen, wenn ich genaue Anweisungen bekomme, aber Andere sich nicht an ihre Anweisungen halten. Mein Gehirn versteht das nicht und fragt sich dann, wo denn genau die Grenze ist, an der Fehlverhalten okay ist und wo nicht.

Und dann kam der Bescheid, über den ich hier ein wenig enttäuscht geschrieben hatte. Mittlerweile habe ich von fünf unterschiedlichen Seiten den Hinweis bekommen, umgehend Widerspruch einzulegen, von Schulelternseite, Kollegenseite, Familienseite, Freundesseite - das Tröpchen, was das Fass dann zum Überlaufen gebracht hat, war der Hinweis meines Psychiaters: Der Entscheid sei leider nicht sehr überraschend, da man auf solche Anträge oftmals erstmal mit einer Ablehnung reagiere und erst bei Widerspruch eine genauere Untersuchung stattfinde. Das hat sich gedeckt mit der Einschätzung einer befreundeten Kollegin, also habe ich mir das zu Herzen genommen.

Again, zum Kotzen! Also: Dickschwartig sein, Öl herausholen, damit alles an mir abprallt (Copyright Mama), und einen Widerspruch einreichen. Per Einschreiben mit Rückschein natürlich, genau wie damals bei Antragsstellung, weil ich diesem Amt nicht mehr vertraue und der Widerspruch fristgerecht innerhalb von vier Wochen eingereicht sein muss. Nun ist der Brief abgeschickt, und sobald mein Psychiater aus der Sommerpause zurück ist, geht es an eine, wie hatte er das genannt... eine "fachärztliche medizinische Widerspruchsbegründung". Wunderbar!

Und falls dieses komische Amt noch ein paar von den "leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten" haben möchte, liegt in meinem Kopf ein ganzer Katalog davon bereit, nicht zuletzt die Probleme bei der Jobsuche (beziehungsweise den Job zu behalten) und die Tatsache, dass ich nicht zum Arzt gehe, wenn etwas ist, das eigentlich dringend ist - siehe Fingergeschichte damals (süß, wie ich das alles damals noch auf die Hochbegabung geschoben hatte).

Irgendwann werde ich dieses ganze Bürokratiergehege zusammen mit der großen Buba einreißen und plattrollen!

Samstag, 31. Dezember 2022

Morgen...

Die Köpfe warten schon gespannt, denn...

...morgen Abend wird es interessant.

Morgen. Bis dahin:

Euch allen einen guten Rutsch und im Falle des Falles einen guten Chiropraktiker; kommt heil in Zwanzig Dreiundzwanzig an und bleibt gesund!

Und danke für Eure Unterstützung!!!

Dienstag, 27. Dezember 2022

Haare ab. Buba platt. Nachbarin tot. Feiertage.


Die Realität läuft nicht immer nach meinem Drehbuch, aber vielleicht sollte ich mein Drehbuch auch nicht immer so labyrinthine plotten wie Agatha Christie. Oh, nota bene, der "Nachfolger" des großartigen Whodunit Knives Out (2019) ist auf Netflix verfügbar (Glass Onion: A Knives Out Mystery). Für alle, die Krimis lieben.

Ja, heute Abend werde ich mir diesen Film weiter anschauen, nach Bad und Meditation, ein bisschen verarbeiten, denn die große Buba ist heute nicht da, und ich wäre auch nicht klöterbar, wie wir sagen. Krankheit geht rum, bald fällt die Maskenpflicht komplett weg, bleibt noch das normale Schniefen und die Buba hat sich davon eine Extraportion geholt.

Dann war heute endlich mein Termin bei Tina, ab mit dem Kopf, das war wieder überfällig und es fühlt sich gleich alles viel befreiter an, und ich sollte vor dem Drüberfärben schauen, ob ich nicht doch endlich ein paar graue Haare bekomme. Gerade gemacht, nein. Und erfahren, von Tina, dass Frau Keller verstorben ist. 

Damit bin ich jetzt - Friseur ausgenommen - der Zweitälteste im Haus, hier ist ordentlich Durchgangsverkehr. Frau Keller war immer total freundlich, ich habe gar nicht bekommen, dass sie gestorben ist. Ich wusste, dass sie Krebs hat, und dass ihr - genau wie bei Roger Ebert - der Unterkiefer entfernt werden musste. Trotzdem war sie immer noch so freundlich, sie wird mir tatsächlich ein bisschen fehlen.

Und ich habe nach längerer Zeit mal wieder ein neues Buch angefangen zu lesen, Poppy Z. Brites Soul Kitchen, ich mag ihren - seinen (trans) Stil einfach sehr. Soviel für heute, das Bad ist eingelaufen und nachher gibt es die himmlischen Frikadellen meiner Mama.

Samstag, 5. November 2022

Geburt


Ich hatte irgendwann in meiner Jugend das Gefühl, dass ich keinen Draht zu meinen Brüdern finde - zweieiige Zwillinge, vier Jahre älter als ich. Genauer gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich dieses Gefühl einmal nicht hatte. Sie hatten ihre Zimmer oben im Haus, ich unten. Für mehr Details ist dieser Blog der falsche Ort.

Ich habe auf diesen Seiten schon öfters erwähnt, dass sich die Situation - beziehungsweise dieses Gefühl - in den letzten Jahren etwas geändert hat. Spätestens, seitdem ich versuche, die mental history meiner Familie etwas besser zu verstehen, weil ich denke, dass einer meiner Brüder ebenfalls auf'm Spektrum ist. 

Heute geht es um den anderen. Eigentlich gestern, wenn man genau sein möchte, aber ich habe die Mail erst heute gelesen, vorhin, zwischen Wäsche und Staubsaugen und günstiges-HDMI-Kabel finden.

Mein Bruder ist Vater geworden.

Diese Nachricht kommt nicht ganz so überraschend, denn eine Schwangerschaft bemerkt man in der Regel noch irgendwann vor der Geburt, und natürlich spricht sich das dann durch die Familie, und alle sind ganz aufgeregt und man bekommt einen angepeilten Stichtag irgendwo im November. In diesem Fall also gestern. Mein Bruder hat eine einen Tag alte Tochter - dieser Satz wirkt so surreal auf mich, weil ich nie gedacht hätte, dass es mal dazu kommen wird. Jetzt steht er da als Tatsache und ich bin seltsam berührt und bei'm Korrekturlesen kommt mir tatsächlich eine Träne in's Auge.

Ich freue mich riesig für meinen Bruder, und ich strahle auch eine Runde für meine Eltern mit, die sich dann ja doch irgendwann mit der Wahrscheinlichkeit abgefunden hatten, dass sie keine Großeltern mehr werden. So wird sich meine Ma nun an den Begriff "Oma" gewöhnen müssen, und mein Pa wird "Opa". Und ich glaube, dass sie damit keinerlei Probleme haben werden; ganz im Gegenteil, ihre Freude dürfte meine noch weit übersteigen.

An dieser Stelle erinnere ich mich an die beiden Geburten der Sannitanic, und wie die Zeit danach war, genau genommen bis heute, denn das hört ja nicht auf, der Stress, die Schlaflosigkeit, die vollgeschissenen Windeln, das Geschrei - und die Liebe und Zuneigung, die es nur zwischen Kind und Eltern gibt.

Und ich bin jetzt also Onkel, aber um mich geht es in diesem Beitrag nicht. Ich muss unbedingt irgendeine Nachricht für meinen Bruder fertig machen, keine dämliche zwei Euro fünfzig-Postkarte, sondern irgendwas Persönliches. Klar - dieser Beitrag wird seinen Weg auf die eine oder andere Weise auch zu ihm finden, aber ich möchte ihm gern persönlich sagen, wie stolz ich auf ihn bin.

Kommt noch. Erstmal verarbeiten! Und eine Runde strahlen...

Gilt für uns alle.

Freitag, 12. August 2022

Denkwürdige AB-Nachricht


Nur kurz, aber erwähnenswert: Ich habe heute Abend eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter entdeckt, die nachwirkt. Von meinem Aspi-Bruder (diese Ferndiagnose erlaube ich mir einfach mal, auch wenn er das vielleicht - noch - anders sieht), nachträglich zum Geburtstag. Die üblichen Glückwünsche und Planung für das Wochenende; morgen soll es nach Dithmarschen gehen. Dazu demnächst mehr.

Unter den üblichen Glückwünschen hat sich allerdings ein Satz angefunden, den ich nicht erwartet hätte. Okay, generell erwarte ich keine Glückwünsche, und mir ist es jedes Mal total unangenehm, wenn ich nicht an den Geburtstag meiner Brüder denke. Gewissen und so. Und dann höre ich zwischen den anderen Sätzen:

"Schön, dass es dich gibt!"

Nun könnte man sagen, dass das auch eine klassische Geburtstagsphrase ist, die man früher gelernt hat und seitdem immer höflich aufsagt. Könnte man; ich habe diesen Satz in den vergangenen neununddreißig Jahren noch nicht ein einziges Mal von meinem Bruder gehört. Und deswegen bewegt mich das gerade, und ich hoffe, dass ich mich dafür revanchieren kann, wenn die ganze Psycho-Geschichte abgearbeitet ist.

Dienstag, 2. August 2022

Chrónia pollá!

Kleine Erinnerung an eine verrückte Zeit ;-)

Hi Sanni!

Ich will mal hoffen, dass Ihr gerade einen kleinen Urlaub zu viert macht oder zumindest irgendwie den Tag genießt, denn schließlich ist nicht jeder Tag Dein Geburtstag. Ich wünsche Dir für das neue Lebensjahr Gesundheit und Gelassenheit, davon kann man nie genug haben, und dass Euer Haus nicht einstürzt, das kann auch nicht schaden.

Ich komme auf das Einstürzen, weil ich momentan täglich morgens um acht Uhr geweckt werde von den Schlagbohrern in der Nachbarswohnung. Ich dachte erst, dass die einfach nur renoviert werden soll, aber da werden tatsächlich komplett neue Leitungen verlegt, keine Ahnung, was sonst noch alles, jedenfalls haben mein Nachbar links und ich uns vorgenommen, das Treppenhaus erst wieder zu putzen, wenn die Arbeiter aus der Wohnung raus sind, denn die tragen jede Menge Dreck durch das Haus. Ich bin ja mal gespannt, wer da irgendwann einziehen wird; so nach und nach nähere ich mich dem Titel "Fossil im Haus", denn nun sind nur noch zwei Mietparteien länger im Haus als ich. Das ist irgendwie ein besonderes Gefühl - ein Zuhause zu haben. Du kennst das, gerade mit Deiner Familie, jetzt noch besser als ich. Deswegen wünsche ich Dir, dass das Haus nicht zusammenbricht (und Du auch nicht).

Und das mit der Gesundheit vor allem gerade akut, weil sich Corona mir nun langsam nähert: Die große Buba hat einen Coronafall in der Familie, und wir setzen deswegen tatsächlich mal zwei Abende aus, um zu überlegen, ob es jetzt sinnvoll ist, sich zu treffen. Es wäre nicht so ganz praktisch, wenn ich mir jetzt das Virus einfinge, denn am Wochenende stehen zwei wichtige Dinge an: Ein Besuch im Hansa-Park und einer bei meinen Eltern. Bei Letzterem werde ich dann auch das Auto abgeben - es wird wirklich Zeit. Kiel ist mit ÖPNV wunderbar erreichbar, und irgendwann werde ich mir auch wieder ein Fahrrad zulegen. Ich schaffe es in meinem jetzigen Zustand einfach nicht, ein Auto zu warten, so deprimierend diese Erkenntnis auch sein mag.

Jetzt habe ich den Hauseinsturz erklärt, und auch die Gesundheit, bleibt also die Gelassenheit. Irgendwann in den nächsten drei Wochen werde ich mit meinem Psychiater telefonieren, um zu erfahren, ob er einen Diagnoseplatz für mich finden konnte. Das ist alles aufregend und fällt mit Schulbeginn mit drei neuen Lerngruppen zusammen, das könnte schnell überfordernd werden. Und dank Caro erlebe ich es, wie es ist, als HSP in einer Situation überfordert zu sein - deswegen der Wunsch nach Gelassenheit für Dich.

Ist es nicht drollig, wie man einen Geburtstagsgruß an einen Menschen so verfassen kann, dass es irgendwie nur um einen selbst geht? ;-)

Viele liebe Grüße aus dem dritten Stock an die ganze Familie!

Dr Hilarius

Freitag, 29. Juli 2022

Neue Reiseroute


Für gewöhnlich überlege ich mir den Nachmittag über, spätestens bei'm Duschen, in welche inhaltliche Richtung die Meditation gehen soll. Die Lojong-Losungen sagen uns "Meditiere ständig auf das, was dir besonders zusetzt", und ich finde das vollkommen richtig. Manchmal aber setzt einem gerade nichts zu, oder man hat kein aktuelles Denkthema. Dann überlege ich mir zum Beispiel, wie ich mein nächstes Buch schreibe, Gedanken über Grundstruktur, Erzählperspektive, schreibe die ersten und letzten Sätze und so weiter.

Heute kam es dann anders: Ich wollte eigentlich nur meine Mutter anrufen, um einen Besuch in Dithmarschen zu planen, das Telefon tutet, und dann meldet sich eine Stimme "Hier spricht der schönste, klügste und beste der drei Söhne" und ich kann mir das Lachen nur knapp verkneifen. Klar, mein Bruder. Und es ist immer wieder toll, ihn in so einer witzigen Stimmung zu erleben, und das hat sich auf mich übertragen.

Und siehe da: In der Meditation ging es in der ersten Hälfte um ihn. Eine Reflektion unserer Beziehung zueinander, eine Erleichterung und Freude darüber, wie sich das alles entwickelt hat. Wie ich mich entwickelt habe im Hinblick auf ihn. Wie ich in der Autismus-Geschichte weiter vorgehe, ob und wann und wie ich mit ihm über das Tebartz van Elst-Buch spreche.

Eigentlich sollte man meinen, dass eine solche spontane Planänderung für den Autisten beunruhigend, störend, beängstigend ist. Das Gegenteil ist der Fall, denn jetzt habe ich ein Thema, was mir besonders zusetzt (im positiven Sinne nach Lojong), und spontane Eindrücke sind für eine folgende Meditation besonders fruchtbar.

Tolles Erlebnis!

Freitag, 29. April 2022

Die Angelegenheiten anderer Leute


Lojong-Losung Nr.26: Denke nicht über die Angelegenheiten Anderer nach.

Eine schöne Geschichte von gestern früh: Ich sitze um kurz nach sieben im Auto, auf dem Weg zur Schule. Ich muss an der Ampel vor dem Abbiegen auf die Hamburger Chaussee warten. Ich bin nicht der Einzige, und wie der Zufall es will, erkenne ich das Auto vor mir wieder, und auch seinen Fahrer. Ich fange an zu grinsen und frage mich, ob er wohl merkt, wer da hinter ihm fährt - er merkt es nicht, und so biegen wir beide nach links ab, er schneller, ich muss noch ein anderes Auto vorbeilassen - doch an der nächsten Ampel am Waldwiesenkreuz stehen wir wieder hintereinander, mit dem Ziel, auf die B76 abzubiegen.

Jetzt hat er es gemerkt; er schaut in seinen Rückspiegel und winkt mir. Ich strahle und winke zurück, und dann wird die Ampel grün. Wir fahren beide vor, können aber nicht einfach nach rechts abbiegen, weil viele Schüler mit dem Fahrrad auf dem Schulweg sind und Vorfahrt haben. Wir müssen so lange warten, dass die Ampel wieder rot wird; ich komme nicht über die Ampel. Er hat Glück und ist drüber, könnte jetzt also nach rechts fahren.

Macht er aber nicht. Er steht da noch immer. Er scheint auf vier Mädchen zu warten, die angehalten haben und von ihren Fahrrädern abgestiegen sind, weil ihre Ampel natürlich mittlerweile rot zeigt, also könnte er jetzt einfach losfahren. Er scheint aber darauf zu warten, dass diese Mädchen endlich (bei roter Ampel) über die Straße fahren. Sie fahren nicht, und da sein Gestikulieren nichts bringt, drückt er auf die Hupe, während die Ampel der quer fahrenden Autos auf grün schaltet.

Das Hupen verwirrt die Mädchen so sehr, dass eines nun doch losfährt - während von links die Autos auf sie zufahren. Er steht da noch immer. Eigentlich kann ich nicht zuschauen. Zum Glück ist das Mädchen die einzige, die losfährt, die anderen bleiben stehen, und so wird niemand angefahren, und jetzt hat er auch endlich gemerkt, was los ist, und fährt weiter (erstmal auf die falsche Spur). Aufatmen für alle Beteiligten.

In der nächsten Grünphase fahre ich los, geht alles problemlos, und ich muss schmunzeln, sogar ein bisschen kichern. Habe ich den Fahrer so sehr aus der Fassung gebracht, dass er sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren konnte? Ich habe versucht, in seinen Kopf zu schauen - ich fand den Gedanken so amüsant, dass ich weiter gekichert habe - bis ich plötzlich abbremsen musste, mitten auf dem Theodor-Heuss-Ring - Stau. Auf der mittleren Spur, während links alle Autos zügig durchkommen, und ich kann nicht rausziehen, weil sie alle so dicht hintereinander fahren. Also muss ich weiter warten, bis ich nach einigen Minuten aus der Staustelle raus bin. Mist, ich habe gar nicht daran gedacht, dass das Barkauer Kreuz ja voller Baustellen ist und deswegen die Verkehrsführung geändert wurde. 

Ich hätte mich anders einordnen müssen, und das hätte ich auch getan, so wie jeden Morgen, wenn ich nicht in Gedanken bei dem Fahrer vor mir gewesen wäre und über sein Zaudern an der Ampel gekichert hätte. Und plötzlich macht diese Lojong-Losung für mich Sinn:

Denke nicht über die Angelegenheiten anderer Leute nach.

Eine der Losungen, für die ich einige Zeit brauchte, um mich mit ihr anzufreunden. Nicht über andere Menschen und ihre Gedankenwelt nachdenken? Heißt das, dass ich mir gar keine Sorgen um sie machen soll, wenn sie zum Beispiel gerade nicht bei mir sind? Sollen sie mir völlig egal sein? Was ist mit Hilfsbereitschaft, Fürsorge, hat das alles in der buddhistischen Gedankenwelt nichts mehr zu suchen? Nur egoistisch bei mir selbst sein?

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Zwei der Grundsätze im Buddhismus lauten Mitgefühl und liebende Güte. Natürlich helfe ich meinen Mitmenschen, wenn ich kann, und natürlich versuche ich zu verstehen, was sie durchmachen. Aber es ist schadhaft für mich selbst, wenn ich mir Sorgen über einen Menschen mache, an dessen Situation ich nichts ändern kann. Am Beispiel meiner Mutter:

Sie fiebert derzeit mit mir mit und macht sich Sorgen, ob ich mit der Diagnose vorankomme und ob es mir gut geht - so wie das vermutlich fast jede "gute" Mutter machen würde. Diese Sorgen helfen niemandem weiter, und am wenigsten ihr selbst. Ein großer Teil ihrer Denkzeit ist bei mir, Zeit, in der sie fröhliche Gedanken haben könnte, oder allgemeiner, weniger "schädliche" (für sie selbst) Gedanken. Es bremst sie selbst bei'm Streben nach dem Glücklichsein, wenn sie sich Sorgen um mich macht.

Ich versuche immer wieder, ihr das nachvollziehbar zu machen, aber ich habe natürlich keine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Mutter zu sein. Aber mittlerweile habe ich die Lojong-Losung verstanden und weiß, wie ich dahingehend trainieren muss. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob die große Buba stressfrei durch die Schulwoche kommt. Ich denke nicht mehr darüber nach, ob die kleine Familie der Sannitanic gesund ist. Ich versuche, nicht mehr in die Gedankenwelten anderer Menschen zu gehen, und es ist wirklich ungemein befreiend.