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Sonntag, 21. August 2022

Woche Eins


Angekommen am Sonntag, wird es nicht leicht, ein Fazit für diese Woche zu ziehen. Zwölf Uhr mittags und ich habe in meinem Kopf die wichtigsten Ereignisse der Woche abgearbeitet. Jetzt ist eigentlich der Punkt, an dem ich etwas freie Zeit genießen kann. Das klappt aber wieder nicht, denn anstelle eines freien Sonntagnachmittags sehe ich den Berg an Aufgaben, der abgearbeitet werden muss. Das deprimiert, denn es zieht mich gleich wieder in den Schulmodus zurück - aus dem ich erst vor knapp zwei Stunden herausgekommen war. Stundenplan. Now what? 

Ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr, heute im Blog über die vergangene Woche zu schreiben, weil es so lange gedauert hat, sie erstmal selbst zu verarbeiten. Also nur stichpunktartig: habe nicht daran gedacht, meinen Psychiater anzurufen, habe nichts in der Wohnung gemacht, war drei Tage krank, habe meinen Praktikanten kennengelernt, habe meinen Schulplaner und die Kursbücher nicht eingerichtet, meinen Stundenplan-Wunsch nicht an die Stundenplanerin geschickt, im Archiv nicht weitergearbeitet, habe von zwei Lerngruppen bisher keine Kurslisten, auch keine Schulbücher, habe keine Wäsche gewaschen, bin extrem glücklich, dass meine Mutter ihren Übergang zu den dritten Zähnen gut überstanden hat, war nicht auf der Lost Souls, habe keine Mails beantwortet.

Das klingt jetzt vielleicht nicht gerade positiv, ist es auch nicht, aber seit letztem Schuljahr kenne ich diesen Umstand und versuche, einen Plan auf die Frage "Now what?" zu entwerfen. Ganz ehrlich, ohne die Denkmuster des Lojong wäre es an der Zeit für einen (kleinen, überschaubaren) Nervenzusammenbruch. Passt aber nicht, denn: 

Bis heute Abend, zwanzig Uhr, habe ich jetzt frei, basta. Und danach schaue ich, was ich noch schaffen kann, bevor ich dann irgendwann in's Bett muss, um Schlaf aufzuholen. Und ich habe kein schlechtes Gewissen deswegen. 

Deal with it. I have to, as well.

post scriptum: Liebe Eltern, bitte keine Sorgen machen, wir haben telefoniert und Ihr wisst, dass das irgendwie klappen wird! :-)

Montag, 4. April 2022

Wenn das Wörtchen Venn nicht wär...


Ferien. Die fette Schnecke und das alte Frettchen haben etwas vor: Wir zeichnen ein Venn-Diagramm (das sind die mit den Kreisen, die sich teilweise überschneiden) unserer drolligen Verhaltensweisen und schauen, ob sie nur bei mir, nur bei der großen Buba oder bei uns gemeinsam auftreten. 

Wenn wir da einige gemeinsamen Verhaltensweisen gesammelt haben, dann öffnen wir ein neues Venn-Diagramm mit drei Kreisen Autismus, Hochbegabung und Hochsensibilität, um dem auf die Spur zu gehen - wo haben wir Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede, wo haben wir Gemeinsamkeiten, aber aus unterschiedlichen Gründen - und dergleichen mehr.

Ich habe lange nicht mehr die große Packpapierrolle aus dem Regal hervorgeholt; ich habe sie immer benutzt, wenn es um's Psychologisieren jeglicher Form ging. Zeit, mal wieder etwas Papier auszurollen, damit wir genug Platz haben, denn die Bubatuba hat mindestens genauso viele Ticks wie ich, glaube ich.

Was das bringen soll? Keine Ahnung. Aber es ist interessant, die eigenen Verhaltensmuster mal visualisiert zu sehen.

Samstag, 11. Dezember 2021

Zuviel Neues


Puh, ich bin mit der Zeit im Verzug. Ich hatte vollkommen vergessen, wie intensiv die Project Zero-Videospielreihe mich in das Geschehen einsaugt - die große Buba erinnert sich noch mit einem Schauern an unsere Erlebnisse mit Kunihiko Asous Camera Obscura. Und wenn ein Aspi sich in etwas vertieft, das ihn interessiert, dann verschwindet die Welt drumherum und er ist vollkommen fokussiert. 

Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht: Ich habe etwas zu tun, mein Kopf ist beschäftigt. Allerdings bin ich zur Zeit leicht überfordert, wenn ich in's Nachdenken komme, denn ich habe nicht nur ein neues Videospiel, sondern ich habe auch eine neue Badewannenarmatur, und ich denke sehr viel darüber nach: Wie muss ich sie pflegen (denn sie ist hochwertig, da muss ich mich drum kümmern), wie toll finde ich den Thermostat, weil ich endlich nicht mehr überraschend eiskalt oder kochend heiß dusche, wie zufrieden bin ich mit dem minimalistischen Duschkopf ohne Schnickschnack, und Chrom glänzt so schön. 

Das wird noch eine Weile dauern, bis ich das verarbeitet habe, und dann kommt ein neues Spiel dazu? Das kann zu einem Gedanken-Overkill führen, und ich erinnere mich an etwas, was die Sannitanic mir mal erklärt hatte: Manche Eltern meinen es zu gut und schenken ihren Kindern regelmäßig reichlich neues Spielzeug - was leider keine gute Idee ist, denn gerade Kleinkinder sollten sich erstmal mit einem Spielzeug komplett auseinandergesetzt haben - wie funktioniert es, was kann ich damit alles anstellen, es dauert eine ganze Weile, bis ein Spielzeug wirklich "ausgespielt" ist. Das Kind vorher mit neuen Spielzeugen zu überschütten führt zu einer Überforderung.

Und genau daran musste ich heute denken, mit dem neuen Videospiel, der neuen Badarmatur, dem neuen "richtigen" Mikrofasertuch zur Pflege, das alles mit einer neuen Sorte Räucherstäbchen im Hintergrund. Ich muss das alles erstmal verarbeiten.

Habe ich die Episode richtig zitiert, Sannitanic?

Donnerstag, 20. August 2020

Die Ruhe


Aspis brauchen in regelmäßigen Abständen Ruheinseln. Sie nehmen audiovisuelle Impulse sehr intensiv wahr und schaffen es manchmal nicht, sie schnell genug im Kopf "abzuarbeiten" - zu überlegen, woher dieses Geräusch nun kam, oder wie die Antwort auf jene Frage ist, oder warum Klaus heute Hosenträger hat. Es kann ganz schnell zu einer Überforderung kommen, verbunden mit einer Art Erstarrung: Der Kopf denkt überhaupt nicht mehr weiter, weil einfach zu viele Dinge auf ihn einprasseln, auf einmal sind rundherum nur noch Geräusche und Stimmen, die keinen Sinn mehr ergeben. In solchen Phasen ist es für einen Aspi wichtig, eine Möglichkeit zur Ruhe zu finden. Eine Atmosphäre, in der keine neuen Geräusche, Menschen, Wörter et cetera auftreten.

Mir geht das auch so, und das ist ein Aspi-Symptom, was sich nicht mit Hochbegabung übertünchen lässt. Wenn, dann wird es dadurch sogar noch verstärkt, und vielleicht kennen ein paar HBs unter Euch diesen "Zuviel-Input". Oder vielleicht liegt es eben doch nur am Autismus. Jedenfalls bin ich sehr froh, dass meine Schule einen Ruheraum für Lehrkräfte hat. Es ist meine siebte Schule, aber erst die zweite mit einer solchen Einrichtung; das kannte ich zuvor nur aus Neumünster.

Ich finde diesen Ruheraum wunderbar. Er liegt im Keller, wo sich keine Hitze staut, seine Fenster zeigen nach Norden, so dass er nicht durch die Sonne aufgeheizt wird, er hat eine gut isolierte Tür, durch die nicht viele Geräusche dringen. Innen befinden sich verschiedene Sessel und Liegen, sowie ein Berg an Kissen und Decken, und zwei dekorative Paravents für die richtige Atmosphäre. Heute habe ich gemerkt, wie gut es mir tut, an einem Neun-Stunden-Tag in den Freistunden einfach dort hinunter zu gehen, mich hinzulegen, einen Wecker zu stellen und wegzudösen, oder einfach nur zum Lesen dorthin zu gehen. 

Ich dachte immer, ich müsste Freistunden im Stundenplan ganz grausig finden, denn da sei mein Kopf unterfordert, es sei für mich quasi verschwendete Zeit. Jetzt, da ich zwei sechste Klassen unterrichte, bin ich heilfroh, die Ruhe zwischendurch genießen zu können, denn leider geht in diesen Jahrgangsstufen mein Kopf sehr schnell auf overload und Blockade. In St.Peter-Ording hatten wir keinen Ruheraum - zumindest nicht, dass ich wüsste - aber dort waren die Freistunden auch sehr sinnvoll; meistens bin ich in's Sekretariat getingelt und habe ein bisschen durch die Schülerakten gestöbert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das an meiner jetzigen Schule auch bald wieder losgeht.

Denn egal, wie chaotisch dieser Start in das Schuljahr sein mag - ich fühle mich an der Schule sehr wohl und habe endlich wieder das Gefühl, dass es sich lohnt, Zeit in die Schule zu investieren.

Freitag, 1. November 2019

Abgerundet

Nur ein Klick

Heute geht es um eine weinzige Kleinigkeit, die vermutlich kaum jemanden kümmern würde, aber ich merke, mir macht das tatsächlich etwas aus. Und wieder einmal kam das durch Zufall: Ich habe für die große Buba eine Karte für ihre Reise durch The X-Files gebastelt, mit Episoden, zu denen ich ihre Meinung hören möchte. Ausgedruckt, Zeit zum Laminieren. Da ich das Laminiergerät seit Ewigkeiten nicht genutzt habe, muss ich es erstmal Abstauben, und entdecke dabei, dass an der Unterseite des Geräts zwei weitere Gadgets sind - zum einen eine kleine Schneideschablone (quasi Schneidbrett in klein), zum anderen ein Knipser.

Dieser Knipser funktioniert bei allem Möglichen, was eine Ecke hat. Anpassen, klicken und die Ecke ist abgerundet. Ich hab's aus Spaß einmal ausprobiert und die Buba-Karte abgerundet - und es sieht auf einmal viel professioneller aus. Ich kann überhaupt nicht erklären, warum ich das so wahrnehme. Ich habe direkt danach die Ecken meines EGO-Buches abgerundet, und als nächstes geht es an meine Wohnung: Überall hängen diverse Schilder, Termine, das Buba-Stopf-Bild, bald kommen die Lojong-Losungen dazu. Ich finde es viel angenehmer mit diesen runden Ecken.

Lässt mich an Das Cabinet des Dr. Caligari (1920) denken, die Kulissen aus dem deutschen Expressionismus sind verwinkelt, spitz in die Länge gezogen - da hätte der Knipser Einiges zu tun. Und ich finde es faszinierend, wie so eine winzige Kleinigkeit tatsächlich für mich spürbar ist. Ob das was mit HSP zu tun hat? Jedenfalls werde ich den Knipser in nächster Zeit fleißig benutzen.

Wer genau hinschaut, sieht die abgerundeten Ecken.
post scriptum: Bitte keine Spoiler zu der Serie posten, damit die fette Schnecke das voll genießen kann ;-)

Donnerstag, 3. Oktober 2019

Feierlaune (WEG HIER!!!)

Par-TAY anyone?

Tag der Deutschen Einheit, und in diesem Jahr hat Schleswig-Holstein ja auch guten Grund zum Feiern (Vorsitz, rundes Jubiläum und so) - und da lässt sich das Land zwischen den Meeren nicht lumpen: Der ÖPNV in Kiel und die Bahnen in SH sind heute kostenlos, die Läden im Zentrum geöffnet, und der Effekt lässt nicht lange auf sich warten: Eine völlig überfüllte Kieler Innenstadt. Völlig überfüllte Busse auf den Hauptlinien (11, 6X, 10X, 50X, praktischerweise nach dem Samstagsfahrplan), jeder erwachsene Mensch entweder mit fünfzig Kindern an jeder Hand oder dabei, Selbstgespräche zu führen, wenn sie mit ihrem Knopf im Ohr reden - oder beides simultan. Absolute Überforderung für mich.

Das hat allerdings insofern ganz gut gepasst, als dass ich meinen täglichen Spaziergang mit dem Marsch in die City verbinden konnte und keinen Bus nehmen musste. Ich weiß nicht, wie oft ich Fibonacci im Sophienhof diesmal durchgehen musste, oftmals ist das schlimmste Gedränge irgendwo bei Sechshundertzehn überstanden.

Alle gehen heute feiern, naja, gefühlt alle. Das Polizeiaufgabot in der Innenstadt ist gewaltig, kein Wunder, alles zwischen Hauptbahnhof und Landtag ist heute ein wunderbares Ziel für Anschläge, so dass eine Mutti heute zu ihrer Tochter meinte - ungelogen: "Lucy, wenn wir irgendwo Menschen sehen, die sich vermummt haben, dann gehen wir ganz schnell auf die nächste Toilette!" Irgendwie witzig, wenn es nicht traurige Realität wäre, und auch diese riesigen Granitsäcke sind heute wie Pilze aus dem Boden geschossen, um die Fußgängerzonen zu schützen.

Dieser Feierwahn (heute sind unglaublich viele Schülercliquen mit Alkohol im Gepäck unterwegs) erinnert mich an meine Schulzeit - ab einer gewissen Jahrgangsstufe gehörte die Frage "Wochenende feiern?" zum Standardrepertoire, und für viele meiner Mitschüler war das Pahlazzo der Partytempel schlichtweg. Dithmarschen halt. Und irgendwie ist bei mir der Eindruck hängen geblieben, dass sehr viele Menschen hauptsächlich auf Parties gehen, um sich mit psychoaktiven Substanzen zu berauschen, Alk zum Beispiel. Fair enough.

Ich war nie auf auch nur einer dieser Feiern, weil mich das nie gereizt hat, und das tut es auch heute nicht. Die Musik, die da läuft, die interessiert mich schon lange nicht mehr (zur Schwarzen Szene kommen wir gleich), tanzen kann ich auch zuhause. "Ja, aber da kann ich mich endlich mal in der Freizeit mit ein paar Kumpels (ohgott, ich habe erst Mupels geschrieben) treffen", sagt mir Jan, weil er's kann. Vollkommen nachvollziehbar, aber ich treffe mich so gut wie nie mit anderen Menschen. "Und sie fühlen sich wohl damit", fragte die Psychiaterin, und ich sagte "Ja". Das finde ich deswegen interessant, weil mir in meiner Jugend und vor allem dann Richtung Studium immer wieder Menschen gesagt haben "Du musst doch mal was mit anderen Leuten unternehmen", und ich habe nett gelächelt und gesagt "Joah", heute verneine ich das einfach.

Ich bin nicht so sehr an Menschenmengen interessiert, und die einzige Party, die ich freiwillig besuche, ist die Lost Souls, weil da Menschen wie ich herumlaufen - nicht, dass ich irgendjemanden davon ansprechen würde - weil da Musik läuft, die ich mag, und wenn nicht gerade irgendein floorfiller läuft, dann habe ich da meinen kleinen, gemütlichen Tanzquadratmeter, und das reicht. Mehr mache ich auch auf dieser Party nicht. Ich esse nichts, ich trinke nichts, ich unterhalte mich mit niemandem, sondern tanze je nach Kondition zwei bis drei Stunden durch und dann gehe ich wieder.

So hat halt jeder Mensch seine eigene Vorstellung vom Feiern. Und damals dachte ich, dass mit mir was nicht stimmt, weil ich nie in's Pahlazzo mitgehen wollte, wenn jemand gefragt hat. Heute weiß ich, dass das OK ist.

Und Euch einen schönen Dritten Oktober!

Donnerstag, 4. Juli 2019

Anders: Erste Eindrücke

Wer bin ich? Wie bin ich?

Ich fange heute mal mit einem Zitat von Klaus an; ich weiß, dass sie das hier liest, und sie weiß, dass ich ihr auch weiterhin wünsche, dass sie ihre mentalen Fesseln bald abschütteln kann. Sie schreibt: "Selbst wenn Du Autist bist, und davon bin ich teils schon ausgegangen, als Du am Pult saßt und in jeder Stunde wieder denselben Fineliner befummelt hast..." - und an dieser Stelle habe ich herrlich gelacht. Faszinierend, wenn Menschen, mit denen ich zu tun habe, sich denken, ich könnte Autist sein, aber niemand mir das mitteilt. Vielleicht auch aus Angst, ich könnte mich in Zukunft ausschließlich darüber definieren: "...bist Du nicht nur Autist." Und das ist natürlich vollkommen richtig. Ich finde es interessant, dass ich diesen Hinweis immer wieder bekomme, das ging damals los, als ich auf die Idee gekommen bin, ich könnte hochbegabt sein.

Liebe Leute, ich bin nach wie vor ich, und entweder, Ihr haltet das mit mir aus, oder Ihr lasst das. ;-)

Aber eine gesicherte Diagnose könnte mir nicht nur endlich Antworten geben, sondern würde mir auch neue Wege öffnen. Ich könnte endlich herausfinden, welche Hilfen ich in Anspruch nehmen kann - und ich wüsste auch endlich, welche Rechte ich damit habe. So haben Asperger zum Beispiel ein "Recht auf fernschriftliche Kommunikation" (dazu weiter unten), und auch arbeitsrechtlich könnte mir das ein wenig mehr Chancen geben.

Dazu brauche ich allerdings die Diagnose, und davon bin ich noch weit entfernt. Ein erster Schritt, den ich jetzt endlich gegangen bin, war ein Blick in die Wikipedia zu den Themen Autismus und Asperger-Syndrom. Erste Eindrücke möchte ich hier aufschreiben, indem ich einfach nur Passagen zitiere und meinen Kommentar dazu gebe. Sorry, spannender wird's heute nicht ;-)

Und, je mehr ich darüber nachdenke... eigentlich hätte ich schon an der Schule in Neumünster darauf kommen können. Am Ende des Schuljahres hatte ich bei der Schulleitung nachgefragt, wie es mit der festen Übernahme aussieht, da das zu Beginn des Schuljahres in Aussicht gestellt worden war. Daran konnte man sich nicht mehr erinnern, deswegen hatte ich aus dem Vorstellungsgespräch zitiert und bekam als Antwort: "Wow, bei dir muss man ja richtig aufpassen, was man sagt!"

Tja, das ist so eine Autismus/Asperger-Sache: Man nimmt seinen Gesprächspartner bei'm Wort. Und ich dachte immer, dass das ganz normal wäre und dass man das eben so macht. Ich habe auf etwas unangenehme Weise erleben dürfen, dass Menschen alles Mögliche sagen, um sich besser zu fühlen und für Harmonie in der Kommunikation zu sorgen. Wahrheitsgehalt egal. Finde ich unglaublich anstrengend.

Merkmale sind, neben Besonderheiten und Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation, Unterschiede bei der Wahrnehmung und Reizverarbeitung (dazu gehören v. a. sensorische Über- und Unterempfindlichkeiten und Schwierigkeiten bei der Reizfilterung) sowie häufig außergewöhnliche Interessen und Begabungen.

Ja, ich habe Probleme bei sozialer Interaktion, weil ich immer die Wahrheit sage und weil ich alles munter heraus sage, auch Dinge, die jemanden verletzen könnten. Frau Rösner hat damals an der Uni zu mir gesagt "Dr Hilarius, sie tragen ihr Herz auf der Zunge. Passen sie auf, das kommt nicht immer gut an!" Natürlich hatte sie Recht - aber so bin ich eben.

Das Asperger-Syndrom ist nicht nur mit Beeinträchtigungen, sondern auch mit Stärken verbunden (etwa in den Bereichen der Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung).

Selbstbeobachtung, oh ja, ich denke quasi ununterbrochen über mein eigenes Verhalten nach (was meine derzeitige Schulleitung mir niemals glauben würde). Und das mit der Aufmerksamkeit kann gefährlich sein; oft hat man mir gesagt, dass ich im Gespräch immer sehr genau zuhöre - so geht es mir mit allem, was mich wirklich interessiert, nur leider bekomme ich dann um mich herum kaum noch etwas mit.

Eine Studie der Autismus-Forschungs-Kooperation (AFK) mit 271 erwachsenen Probanden mit Autismus ergab, dass deren durchschnittliches Alter zum Zeitpunkt der Diagnosestellung 35 Jahre gewesen war und dass 87 % der Probanden ihre Diagnose erst nach dem 18. Lebensjahr erhalten hatten. Besonders Asperger-Autismus würde häufig erst sehr spät diagnostiziert, weil die Probleme der normal intelligenten Autisten weniger „offenkundig“ seien.

Okay, ich bin noch fünfunddreißig Jahre alt und passe da hinein, oder? Mir wird immer klarer, dass ich mich endlich mal auf das Asperger-Syndrom testen lassen sollte.

"Gerade bei den Autistischen sehen wir – mit weit größerer Deutlichkeit als bei den ‚Normalen‘ –, daß sie schon von frühester Jugend an für einen bestimmten Beruf prädestiniert erscheinen, daß dieser Beruf schicksalhaft aus ihren besonderen Anlagen herauswächst."

So sagt Hans Asperger; ich lasse das mal unkommentiert.

Danach wird der Autor aufgrund seines Asperger-Syndroms eher als Problemfall (der Widerstand hervorruft) und wegen seiner Stärken als Kapazität (Leistungsträger) wahrgenommen. Menschen mit Asperger-Syndrom, die anscheinend von Kindheit an für einen bestimmten Beruf vorherbestimmt (prädestiniert) zu sein scheinen, stoßen in der modernen Arbeitswelt, in der es immer mehr auf Mobilität, Flexibilität, Teamfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit ankommt, auf große Schwierigkeiten. Inwieweit es ihnen gelingt, eine ihren Eigenarten entsprechende Nische zu finden, hängt sowohl von den Menschen, mit denen der Autist zusammenarbeiten muss, besonders den Vorgesetzten, als auch von den bereitgestellten Arbeitsbedingungen ab.

Genau das sind die Probleme, mit denen ich in fast allen Schulen immer wieder zu tun hatte, und ich suche immer noch ein Kollegium, das mich akzeptiert.

Autisten haben in Deutschland das Recht auf barrierefreie fernschriftliche Kommunikation. Das kann beispielsweise einer Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14. November 2013 entnommen werden, die von der Enthinderungsselbsthilfe von Autisten für Autisten erstritten wurde.

Ich hasse es, zu telefonieren - darüber habe ich auch hier schon oft geschrieben. Ich weiß nicht, wer mit mir sprechen will, ich weiß nicht, worum es geht, also gehe ich in der Regel nicht an's Telefon, wenn es klingelt.






Das reicht erstmal mit den Eindrücken. Der nächste Schritt besteht darin, herauszufinden, an wen ich mich für eine Testung wenden muss. Geht los.

Donnerstag, 16. Mai 2019

Himmlisch oder höllisch?


Morgendliche Autofahrt zur Schule, in Schwentinental fährt direkt hinter mir ein Polizeiauto auf die B76.

Himmlisch

Das ist so großartig und entspannend, denn kaum ist ein Polizeiauto zu sehen, halten sich die Raser zurück. Endlich keine gefährlichen Überholmanöver mehr, alle halten sich an die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. Niemand, der mich von hinten drängelt, endlich kann ich die Autofahrt richtig genießen. Ich rege mich nicht mehr auf, mein Blutdruck bleibt, wo er sein soll und ich komme gut gelaunt in der Schule an, ausgeglichen und freundlich strahlend. Und bestimmt sind die Polizisten in dem Wagen zufrieden, dass ich so vorbildlich gefahren bin.

Höllisch

Ach du Scheiße! Jetzt habe ich die Polizei hinter mir, ohgott, hoffentlich sind alle Lampen in Ordnung. Krampfhaft achte ich drauf, maximal drei km/h über Strich zu fahren, nicht zu langsam fahren, hoffentlich werde ich nicht gleich rausgewunken! Ob die rote Anzeige auf dem Autodach gleich aufleuchtet? Hoffentlich nehme ich niemandem die Vorfahrt, hoffentlich springt der Wagen gleich wieder an, wenn ich an der Baustelle gewartet habe. Hoffentlich mache ich nichts falsch! Ich kann den Wagen hinter mir nicht ausblenden, ich halte mich verkrampft am Lenkrad fest. Ich möchte, dass diese Autofahrt einfach nur vorbei ist. Kann die Polizei nicht abbiegen? Oder jemand Anderes schwenkt zwischen Polizei und mir ein? Nein, die gesamte Strecke entlang sehe ich den Wagen hinter mir und male mir allerlei Horrorszenarien aus. Als ich an der Schule ankomme, wische ich mir den Schweiß von der Stirn und versuche, meine zittrigen Hände zu beruhigen.

Fazit

HSP (Hochsensibilität) kann der reinste Horror sein. Viele Hochbegabte und HSPs merken das, wenn sie ihre ersten Fahrstunden haben. Ich würde so gern einfach ausblenden, dass die Polizei hinter mir ist, Hörspiel hören, Fahrt genießen, aber es geht nicht. Die visuelle Wahrnehmung ist gesteigert und ich kann solche Sachen nicht nicht wahrnehmen.

Kennt Ihr das?

Freitag, 10. Mai 2019

Umleitung

Gegen das Gedankengewitter

Hochbegabung und Buddhismus gehen gut zusammen.

Vor Kurzem habe ich im Schleswig-Holstein-Magazin gelernt, dass die B-Sechsundsiebzig die meistbefahrene Bundesstraße unseres Landes zwischen den Meeren ist. Das bestätigt meine Eindrücke bei'm Autofahren. Und eine so starke Belastung sorgt für Abrieb, Aufbruch, was auch immer: Die Straße geht kaputt. Hier, da, dort. Vor einem Jahr, vor einer Woche, in sechs Monaten, immer wieder; dann wird es Zeit für eine Ausbesserung. Dazu muss die Straße gesperrt werden, und zwar genau so, wie es jetzt der Fall ist zwischen dem Ostring und Elmschenhagen: Eine Fahrtrichtung wurde komplett gesperrt, die andere wurde so eingerichtet, dass Autos nach Kiel und auch wieder heraus kommen.

Diese Spuren sind recht eng, und dann sind da ja auch noch so viele Auf- und Abfahrten, an denen auch andere Verkehrsteilnehmer gern reinrumpeln würden. Machen wir es kurz: Man braucht Einiges an Geduld für dieses Stück, das in der Regel immer in einer Richtung einen Stau hat. Ich habe langsam realisiert, dass ich zwanzig Minuten mehr einplanen muss, kein Problem. Wobei, warte...

...denn ein Problem gibt es doch, und zwar kann ich mich im Stau so gut aufregen - zum Beispiel über die Verkehrsteilnehmer, die zu schnell fahren, rechts überholen und auch jene, die versuchen, die Sperrung per Straße direkt daneben zu umfahren (Elmschenhagener kennen das Szenario) - nur um dann wiederum zu warten, bis sie sich endlich wieder in den Stau einfädeln dürfen. "Wow", sage ich dann, "jetzt hast Du drei Autos aufgeholt und kommst zwei Minuten vor mir am Ziel an, und dafür diese ganze Rücksichtslosigkeit?" Ja, darüber kann ich mich aufregen, denn ein Stau dauert und bietet perfekte Gelegenheit, über alles Mögliche nachzudenken.

Und manchmal sind Streckenabschnitte der beliebten Bundesstraße komplett gesperrt, so dass man eine Umleitung fahren muss. Horror! Ich soll plötzlich irgendwo langfahren, wo ich vorher noch nie war? Immer schauen, ob irgendwo diese gelben U-Schilder leuchten? Dazu muss ich etwas langsamer fahren, sonst übersehe ich die vielleicht und bin dann komplett verloren - tja, und dann dieses Gefühl, von dem Hintermann gedrängt zu werden, denn ich bin ja nicht der Einzige, der diese Strecke umfahren muss. Wenn ich Horror sage, dann meine ich es wirklich so. Panikattacken stehen vor der Tür.

Das sind die Momente, in denen ich froh bin, dass der Dalai Lama vollkommen zurecht festgestellt hat: Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt. Ich bin so dankbar für diese Erkenntnis, denn der Autohorror spielt sich ja nur in meinem Kopf ab. Endlich kann ich sagen "Stau? Dann ist das eben so." und mich entspannt zurücklehnen, anstatt wie andere Fahrer nach jeglicher Möglichkeit zu suchen, etwas schneller voranzukommen. Und eine Umleitung? Ist doch klasse, dann sehe ich etwas mehr von meinem schönen Bundesland.

Entschleunigung, Ihr kennt das. Und für diesen Hochbegabten ist es verdammt wichtig, sich zu entschleunigen und mit Ruhe auf anstehende Probleme zuzugehen. Buddhismus hilft mir gegen das Tempo in meinem Kopf.

Hochbegabung und Buddhismus gehen gut zusammen.

post scriptum: Heute gab es einen richtig guten Film - "The Village of the Damned", und zwar das Original von Neunzehnsechzig. Das ist quasi Science Fiction, weil der Film sehr ernsthaft rangeht an die Frage, wie Menschen reagieren, wenn sie realisieren, dass ihr eigenes Kind "nicht normal" ist (zum Beispiel Asperger). Der Film ist mit knapp über siebzig Minuten kurz und kompakt, und bietet reichlich Diskussionsstoff. Ich dachte immer "Das Dorf der Verdammten" sei ein alberner Film über Kinder, die alle gleich aussehen, aber da steckt wesentlich mehr drin.

Freitag, 8. März 2019

Double Clap

klatschklatsch - Kopf aus

1998

Ich sitze in der Nacht vor dem Fernseher, habe gerade einen aufregenden Psychothriller zuende geschaut. Ein wenig müde, aber trotzdem zappe ich noch durch die Kanäle - wer weiß, vielleicht finde ich ja irgendwo zufällig einen Erotikfilm. Schließlich bin ich fünfzehn, und das Internet ist noch nicht so wirklich. Da muss man nehmen, was man kriegen kann, allerdings werde ich in dieser Nacht nicht fündig. Stattdessen bleibe ich beim Homeshopping hängen, und dort liegt eine ältere Dame gerade in ihrem Bett - sie realisiert, dass sie vergessen hat, das Licht auszumachen, aber sie kommt nicht mehr so gut aus dem Bett. Sie schaut etwas hilflos, dann genervt, und dann klatscht sie zweimal in die Hände und das Licht geht aus. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Idee aus Amerika kommt, und dass dort schon seit den Achtzigern diese ClapApps weit verbreitet sind. Aus Bequemlichkeit: Wie schön, dass man nicht mehr zum Schalter gehen muss, einfach an Ort und Stelle doppelt klatschen und die Sache ist erledigt. Ich bin auf der Suche nach Sex, finde aber etwas, das mir wesentlich länger im Kopf hängen bleibt.

2019

In den vergangenen Jahren habe ich das Doppelklatschen so oft in irgendwelchen Filmen gesehen, meistens mit einem ironischen Unterton, da man realisiert hat, dass diese Erfindung nur der eigenen Faulheit zuträglich ist. WALL-E und so. Aber die Idee bleibt in meinem Kopf hängen, und genau aus diesem Grund wünsche ich mir, dass ich mit einem klatschklatsch meinen Kopf ausschalten kann. Immer mal wieder, und so auch heute, als ich auf der B Sechundsiebzig unterwegs bin. Ich fahre mal wieder spießig "nur" Höchstgeschwindigkeit und werde von anderen Autos überholt.

Warum muss ich das wahrnehmen? Warum kann ich mich nicht einfach auf meine eigene Fahrt konzentrieren, sie genießen, zurücklehnen, an schöne Dinge denken? Warum muss dieser scheiß HSP-Kopf alles wahrnehmen, was um ihn herum abgeht? Das Aufblinken im Rückspiegel, weil ich den Laster nicht überhole. Das genervte Überholen der Anderen im Überholverbot. Warum muss mein Kopf daraufhin immer sofort reagieren? Wütend? Belustigt? Genervt? Warum kann ich das nicht einfach links liegen lassen? Ich war kurz davor, hinter dem Steuer zu klatschen, in der Hoffnung, dass mein Kopf einfach mal ausgeht. Oder HSP. Was auch immer.

Und bevor ich mich jetzt hier noch weiter aufre....clapclap

Sonntag, 30. Dezember 2018

Ich hör' nur Bahnhof!

Diesen Bahnhof werde ich mein Leben lang nicht vergessen, und auch nicht das Gefühl, als ich zum allerersten Mal hineingefahren bin...

Synästhesie.

Herr Leinhos weiß natürlich sofort, was das ist, denn er kann Griechisch. Es geht um das Zusammenwirken von Sinneseindrücken, dass man zum Beipiel Töne sehen kann, oder Farben schmeckt. Das klingt nach abgefahrenem Scheiß, ist aber nicht unüblich. So sehe ich manchmal ganz konkrete Dinge, wenn ich Musik höre, und ich spreche gerade nicht von Ambient, das mit seinen Natursounds bestimmte Assoziationen weckt. Und ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das irgendwie mit Hochbegabung zusammenhängen kann.

Ich führe als Beispiel einen Song aus dem Genre Downtempo/IDM an: Martin Nonstatic - Granite. Meistens höre ich diese Musik mit geschlossenen Augen beim Meditieren, um meine Fantasie spielen zu lassen, und manchmal entstehen da wunderbare Bilder. Dieser Song ist mir von Anfang an aufgefallen unter den anderen Liedern auf dem Album Nebulae - Live at the Planetarium. (Das war damals eine Nummer im Carl-Zeiss-Planetarium, in Bochum, glaube ich; irgendwann möchte ich so etwas auch einmal erleben, weil die Vorstellung toll ist)

Es ist sehr schwer, genau festzumachen, woran es liegt, aber bei Granite formt sich vor meinem geistigen Auge ein Bild eines unterirdischen Bahnhofs. So wie die Haltestelle Rathaus Spandau der U7 in Berlin: Groß, majestätisch, menschenleer. Ob es an den hallenden Sounds liegt? An dem Echo? An dem Rauschen im Hintergrund? An der Wahl der Synthesizersounds? Irgendwann habe ich zum ersten Mal diesen Bahnhof "gehört", und das Bild erschien mir so passend, dass es sich in den Folgemonaten immer weiter verfestigt hat.

Immer deutlicher konnte ich in die Tunnel hineinsehen, in denen nur einzelne Leuchtstoffröhren die Dunkelheit erhellen. Immer klarer wurde mir, dass an diesem Bahnhof wirklich keine Menschen sind - groß, leer, hallend, und immer mal wieder fährt ein Zug durch. Und weil ich das Gefühl sehr gut kenne (denn ich liebe es seit Jahren, U-Bahn zu fahren), kamen auch die anderen Sinne hinzu, nach und nach, und mit jedem Anhören immer detaillierter, ich konnte die muffige Luft des Bahnhofs riechen, und er fühlte sich kalt an, nach Marmorwänden (nicht umsonst heißt der Song Granite - was ich damals aber noch nicht wusste, als meine Bilder entstanden sind). Hier freut es mich wieder sehr, eine Anlage mit Surroundsound zu haben, denn viele Alben aus dem Downtempo, IDM, Ambient, Psybient (etc.) sind extrem sorgfältig auf alle Kanäle abgemischt. Dort links fährt der Zug vorbei. Rechts kann ich spüren, wie die Luft vor einem heranfahrenden Zug, die sogenannte ghost train an mir vorbeizieht.

Diese Detailliertheit, kombiniert mit dem Umstand, dass ich mich in U-Bahnhöfen wohlfühle, hat einen wunderbaren Effekt: Wenn ich Nebulae höre und realisiere, dass Granite gerade begonnen hat, entspanne ich mich sofort. Alle Anspannungen der Muskeln fallen ab, ich sinke noch tiefer in meine Couch hinein und freue mich, dass ich jetzt einige Minuten lang den Bahnhof hören kann.

Vielleicht steigt ja heute jemand aus dem Zug aus ;-)

post scriptum: Deswegen habe ich den Roman "Lowboy" von John Wray gern gelesen, über einen Autisten in der U-Bahn. Ach so, und hier hätten wir noch den Song "Granite" von Martin Nonstatic, in der Live-Version aus dem Planetarium, bei 12:01:

 

Donnerstag, 20. Dezember 2018

Wo sitze ich?

Mitte? Bloß nicht!

Mein sechstes Lehrerzimmer, meine sechste Suche nach einem Sitzplatz in der neuen Schule. Zum sechsten Mal frage ich "Habt ihr hier eine bestimmte Sitzordnung?", zum sechsten Mal bekomme ich die Antwort "Nein, wir machen das hier ganz locker, setz' dich einfach irgendwo hin." und zum sechsten Mal realisiere ich während der ersten Schulwochen, dass es eben doch eine Sitzordnung gibt, zwar nicht verbindlich, aber jeder Kollege scheint seinen Lieblingsplatz zu haben. Und damit beginnt der Terror für diesen Hochbegabten - denn ich mag mich auf gar keinen Stuhl setzen, aus Angst, dass ich ihn jemandem wegnehme. Deswegen suche ich mir anfangs meistens einen Sitzplatz irgendwo am Rand.

"Vielleicht würde es deiner Eingliederung in's Kollegium weiterhelfen, wenn du dich mit zu uns rübersetzt, einfach in die Mitte. Denn wenn du da hinten sitzt, dann entsteht bei den anderen ja erst recht der Eindruck, dass du dich abkapseln willst. Und da hinten bekommst du ja auch nichts mit - wenn wir zum Beispiel über eine Klasse reden. Ich glaube, es wäre wirklich gut, wenn du dich hierhin setzt."

Das hatte ich vor fünf Jahren in St.Peter-Ording, am damaligen Regionalschulteil (das waren noch weniger Kollegen als jetzt, etwa um die vierzehn, jetzt sind wir etwas über zwanzig, aber es sind selten alle Lehrkräfte im Raum), und jüngst wieder an der Berufsschule. Das war wirklich sehr nett gemeint - aber einer dieser Fälle, in denen ich freundlich lächele und gar nichts mehr sage. Weil ich parallel überlege, ob ich folgende Antwort bringen soll:

"Ich finde es nett, dass du dir Sorgen um mich machst, und ich habe dich ja auch um Hilfestellungen gebeten, es gibt hier so viel, in das ich mich erst einarbeiten muss. Aber in dieser Sache hilft es vielleicht, meine Kameraperspektive derselben Situation - DrH kapselt sich ab - zu schildern. Ich brauche nämlich einen Sitzplatz, von dem aus ich das gesamte Lehrerzimmer im Blick haben kann. Ich werde sehr unruhig, wenn hinter meinem Rücken etwas stattfindet. Ich bekomme dann Angst, dass ich etwas verpassen könnte (aus ebendiesem Grund habe ich eine Ein-Zimmer-Wohnung Släsch Loft); es ist nämlich genau andersherum: Als HSP bekomme ich alles mit, was in meinem Blickfeld ist, und ich höre jedes einzelne Gespräch im Raum. Auch wenn ich nebenbei Rätsel löse - ich bekomme das alles mit. Und wenn ich ein Gespräch höre, das ich nicht zuordnen kann, weil es zum Beispiel hinter mir stattfindet, bekomme ich Angst. Hier, auf diesem Sitzplatz ganz am Rand, fühle ich mich sicher. Ich kann alle beobachten, ich kann allen zuhören, und wenn ich merke, dass irgendwo ein "relevantes" Gespräch stattfindet, kann ich mich von hinten dazuschalten (wenn es gerade keine andere Unterhaltung stören würde). Darüber hinaus fühle ich mich ruhiger und sicherer, wenn ich einen festen Platz haben kann. Da weiß ich, dass ich niemandem den Sitz wegnehme, und die Autisten und Asperger wissen, wie wichtig Sicherheit und Verlässlichkeit sind."

Überlege ich also... und halte dann doch wieder meinen Mund, weil ich niemanden mit meinen Problemen nerven will, und die Erklärung ist eh' viel zu umständlich.

Wie war das noch mit der Offenheit?

Freitag, 14. Dezember 2018

UFO über Plön


Theoretisch könnte das heute ein Beitrag über Hochbegabte werden, aber ich wette, jede "stinknormale" HSP kann das nachvollziehen. Und eigentlich überhaupt jeder Autofahrer.

Denn es geht um das Autofahren. Das ist ein Teil meines Lebens geworden, spätestens seit meiner Anstellung an der Nordseeschule in St.Peter-Ording. Jeden Morgen ging es ganz früh los, Tasche in den Kofferraum geworfen - bzw. damals noch auf den Beifahrersitz, der jetzt mit meinem MusicMan besetzt ist - je nach Jahreszeit erstmal die nötigen Einstellungen gegen die Kälte treffen, und los ging es.

Ich finde es toll, eine Fahrstrecke zu meinem Arbeitsplatz zu haben. Ich habe gemerkt, dass die perfekte Fahrzeit so um die dreißig Minuten liegt, eher ein bisschen mehr. Ich nutze diese Zeit, um nach dem drömeligen Aufstehen klarer im Kopf zu werden, was im Winter durch die Kälte besonders gut klappt. Ich gehe meinen geplanten Unterricht im Kopf durch, ich habe genug Zeit, um meinen Schultag nochmal durchzuüben. So steige ich nun in Plön aus meinem Auto aus und fühle mich bereit für die Schule, für die Kollegen, für meine Schüler. So fällt es mir viel leichter, das Lächeln aufzusetzen, für den Gang durch die Schulflure (auch wenn manchen diese scheiß Fröhlichkeit auf den Geist gehen kann, und damit meine ich diesmal ausnahmsweise nicht die Sannitanic).

Und nach dem Unterricht? Wunderbar, das ist quasi eine Mini-Meditation, ich fahre zurück und kann alles, was ich am Vormittag erlebt habe, noch einmal durchgehen, verarbeiten, auswerten. "Aber du musst doch auf die Straße achten!" Ist richtig, aber das klappt. Das Erlebte fährt sozusagen als Film im Hintergrund in meinem Kopf mit. Geht gar nicht anders: Ich kann nicht nicht denken. Und auf diese Weise habe ich die abendliche Meditation schon einmal vorentlastet (witzig, bevor ich in's Referendariat gegangen bin, hatte ich noch die den Ausdruck Vorentlastung gehört, und nun kann ich ihn mir nicht mehr wegdenken. Das ist fast wie Die Schüler da abholen, wo sie stehen).

In der SPO-Phase hatte ich meistens das Radio an, wenn ich im Auto unterwegs war. DrH war ein treuer R.SH-Hörer, und das hatte zwei Vorteile: Zum einen wurde ich mit Mainstream-Musik versorgt. Das war hilfreich, um bei den Schülern mal ein bisschen mitreden zu können, denn das ist gar nicht so leicht, wenn man fast nur noch Downtempo hört. Zum anderen war es toll, von den Sprechern begrüßt zu werden. Die Stimmen wurden mir schnell vertraut, der Humor auch, und auch die Zeiten der einzelnen Radioprogramme hatte ich schnell im Kopf. Wenn ich in's Auto gestiegen bin und das Radio eingeschaltet habe, hat es sich angefühlt, als würde ich gute Freunde neben mir in der Karre haben - als wäre ich ein Teil ihrer Gesprächsrunde, und das hat sich toll angefühlt. Das hat alles zur Entspannung beigetragen. Aber warum ist mir Entspannung bei der Autofahrt so wichtig?

Ich bin in diesem Schuljahr immer erst zur dritten Stunde in der Schule. So kann ich etwas länger schlafen, und wenn ich auf die B-Sechsundsiebzig einbiege (eine Straße, die bald ihren eigenen Eintrag verdient, und zwar etwas ausführlicher als meine damalige Raserei), ist es bereits hell draußen und der Berufsverkehr hat seine Hauptzeit beendet. Herrlich entspannend, das kenne ich irgendwie so gar nicht. Es geht nämlich auch unentspannt - zum Beispiel, wenn es so läuft, wie in dieser Woche.

Haufenweise Stundenplanänderungen - was angesichts der Jahreszeit nicht verwundert - verlangen, dass ich zur ersten Stunde in Plön sein soll. Kein Problem, Wecker früher gestellt, Tagesrhythmus lässt sich allerdings nicht so schnell umstellen, und so steige ich noch recht dösig in's Auto. Draußen alles dunkel. Schwarz. Sonne? Nosirree! Und auf einmal ist der Blick durch die Windschutzscheibe völlig anders. Etwas, das ich lange nicht mehr gesehen habe: Es ist stockfinster, und die Straße ist nicht gerade hell beleuchtet, wenn man Schwentinental erst einmal verlassen hat. Hinzu kommt, dass jetzt der Berufsverkehr auf vollen Touren trötet: Unzählige Pendler fahren nach Kiel zu ihrer Arbeit, fast pausenlos blicke ich ihre Frontscheinwerfer an, ein Auto nach dem anderen. Draußen alles schwarz, nur die Scheinwerfer knallen mir entgegen.

Und wenn man dann halt ein bisschen HSP mit sich trägt, dann ist das verdammt anstrengend für die Augen. Den Rückspiegel habe ich bereits umgeklappt, damit es von dort nicht auch noch blendet, aber das Dauerfeuer der entgegenkommenden Lampen verunsichert mich, und ich kann in der Dunkelheit leider nicht ein einziges dieser Lichter aus meiner Wahrnehmung ausblenden. Die Nacht wirkt noch schwärzer als sowieso schon, ich sehe außer den Frontlampen der Autos nichts mehr. Mit Müh' und Not noch die Straßenmarkierun... ach ne, ist ja die B-Sechsundsiebzig, da sind Fahrbahnmarkierungen ein echter Luxus.

Und dann kommt ein Anblick, der mich vollkommen verwirrt, und ich überlege fast, an die Bushaltestelle zu fahren und kurz zu pausieren. Für eine Weile kommen mir gerade keine Autos mehr entgegen, es ist also alles schwarz draußen, wohin ich nur sehe. Nur ein leuchtendes Objekt schwebt höher, als es das eigentlich sollte. Wie kann das sein? Alles schwarz, nur ein beleuchtetes UFO so weit oben? Habe ich irgendeine Abfahrt verpasst und fahre gerade in die Twilight Zone?

Nein, natürlich nicht. Es ist das Schloss Plön, das im Dunklen immer beleuchtet wird. Es steht hoch auf einem Hügel; kombiniert mit dem Umstand, dass man gerade in weiter Entfernung bergab fährt, wenn man es sieht, wirkt es für einen kurzen Moment tatsächlich wie ein UFO. Seit Dienstag bekomme ich das Bild nicht mehr aus meinem Kopf, und irgendwie muss ich mir immer vorstellen, dass da tatsächlich ein UFO über dem Gymnasium Schloss Plön schwebt und Außerirdische die Schulleiterin Anne Paulsen entführen wollen. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Idee (bzw. gerade diese Person) komme. Aber es ist ein echtes Erlebnis, das UFO über Plön morgens im Dunklen zu erleben.

post scriptum: Ich HASSE Menschen in der Weihnachtszeit. Wie sie den Weihnachtsmarkt überfluten und ich nicht mehr durch die Nase atmen kann wegen der unzähligen, viel zu intensiven Gerüche. Wie sie zu zweit den halben Sophienhof blockieren, so dass man nicht mehr vorbeikommt, und im Schneckentempo wandern, ohne Vorwarnung stehenbleiben und plötzlich wirklich den gesamten Weg blockieren. Wie sie tonnenweise Sachen einkaufen müssen, denn nach Weihnachten wird es nie wieder was geben, und deswegen Kassenmarathonwarten angesagt ist. Wie sie nur auf sich bedacht sind, oder vielleicht noch auf die Stimmen in ihren Kopf a.k.a. Handy, auf das sie ununterbrochen schauen, während sie in mich hineinrennen, usw...

Donnerstag, 13. Dezember 2018

Manchmal ist Glück...

Anders.


Manchmal ist Glück ein Mensch, der Dich spüren lässt, dass Du OK bist.

post scriptum: Ich habe heute "The Jungle Book" (2016) gesehen, das ist Disneys "Real"verfilmung der Geschichte von Rudyard Kipling. Mir ist dabei bewusst geworden, dass ich den Film noch nie gesehen hatte, auch keine der anderen Verfilmungen, und auch das Buch nie gelesen hatte, aber trotzdem die Namen "Shere Khan", "King Louie", "Baloo the Bear" und noch weitere kannte, als wäre ich bestens mit ihnen vertraut. Liegt zum einen daran, wie weit verbreitet das Dschungelbuch ist - und ich finde, es ist ein schöner Kinderfilm, die heutige Version ist atemberaubend; toll, was mit der heutigen Technik alles möglich ist. Zum anderen liegt es an einer Animationsserie, die ich in meiner Kindheit und Jugend geliebt habe, "TaleSpin", ebenfalls von Disney, die ein paar Charaktere aus dem Dschungelbuch zu ihren Protagonisten gemacht hat. In Deutschland hieß das Ganze damals "Käpt'n Balu und seine tollkühne Crew", und ich bin froh, dass ich die Serie in meiner Videothek habe.

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Der Teufel im Detail

Da fehlt doch irgendwas!

Ich habe vor einiger Zeit mein Bad ein wenig umdekoriert; dafür mussten sechzig Teile eines Fliesenbildes einzeln auf die jeweiligen Fliesen geklebt werden. Genau genommen habe ich nur sechsundfünfzig angebracht. Die Fliesen, bei denen die Toilette in die Wand übergeht, habe ich ausgelassen. Warum? Ich müsste die richtig kompliziert zurechtschneiden, und ich wüsste auch gar nicht, wie ich mich auf den Boden legen müsste, um die Kleber passgenau anzubringen. Viel zu schwierig, viel zu umständlich, das schaffe ich nicht. Und das fällt doch eh' nicht auf, weil es nur kleine Teilflächen der Fliesen sind, die hätten beklebt werden müssen.

Und so habe ich gefeiert, dass das Bild endlich fertig war, und war stolz auf meine Arbeit - hatte ich hier berichtet. Aber - irgendwas war nicht in Ordnung. Jedesmal, wenn ich in das Badezimmer gekommen bin, habe ich eine Sekunde gestoppt. Ich kann das nicht einfach ausblenden, dieses unfertige Stück da unten. Jedesmal, wenn ich die Tür in's Badreich öffne, muss ich nach unten links schauen. Also habe ich, auch wenn es umständlich war, auch die letzten Teile des Bildes ausgemessen und aufgeklebt.
Jetzt passt es, jetzt kann ich wieder entspannt auf's Klo gehen ;)

Das ist gar nicht mal so eine Kleinigkeit, dieses HSP. Hochsensible Person bezeichnet den Umstand, dass ich eine gesteigerte Sinneswahrnehmung besitze, Geräusche höre, die andere nicht hören, und jede unstimmige Kleinigkeit im Blickfeld bemerke. Das kann ziemlich nervig sein - der Gang in's Bad als Beispiel, oder aber wenn man den Kaugeräuschen einer anderen Person beim Essen zuhören "darf". Die Sannitanic kann ein Lied davon singen...

Dieses Phänomen hat, wie auch die Hochbegabung, noch nicht die Anerkennung, die es benötigt. Da wird noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden müssen und wir sollten uns dessen auch als Lehrkraft bewusst sein: Es gibt Schüler, die unter ihrer gesteigerten Wahrnehmung ernsthaft zu leiden haben. Also nicht die Augen vor der Andersartigkeit verschließen!