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Freitag, 5. Juli 2024

Land unter - nicht mehr!


Der Titel kann sich zum einen auf das Kieler Wetter heute beziehen, teilweise hat es geschüttet wie aus Kübeln. Und ich war ja so klug, meinen Regenschirm mal wieder irgendwo vergessen zu haben. Ich könnte mir einfach einen günstigen Schirm bei Rewe besorgen, aber nein, es muss ja der richtige sein, also mache ich das nicht. Nach mehreren Regentagen habe ich es dann doch endlich gemacht; mal schauen, wie lange es dauert, bis ich auch diesen Schirm irgendwo liegen lassen werde.

Land unter hat aber auch noch eine zweite Bedeutung.

Der Waschbeckenabfluss in der Küche ist verstopft. So weit, so gewöhnlich, und ich kippe etwas Drano hinein und lasse das Ganze über Nacht einwirken - auch wenn mir noch die Worte der Sannitanic in den Ohren klingen, die Umwelt zu schonen und einfach mal den Siphon zu reinigen. Alles, was Rohre auseinandernehmen einschließt, ist für mich ein rotes Tuch, denn ich sehe sofort meine Wohnung überschwemmt und die der Nachbarn unter mir gleich mit. Das kann ich nicht. 

Am Morgen ist die Lage unverändert und ich werde etwas unsicher. Auch Pumpen hilft nicht wirklich, denn dadurch wird das Dreckwasser über die Geschirrablage gespült. Ach ja, ich wollte ja die Spülmaschine einschalten. Wird gemacht. Dann nachdenken - Säure hilft nicht, Pumpe hilft nicht, vielleicht sollte ich mich dann doch einmal an den Siphon machen? Ich öffne den Unterschrank, um mir das Teil einmal anzuschauen. Dann der Schreck: Auch das Abwasser der Spülmaschine läuft über diese Leitung ab. Und weil es nicht ablaufen kann, steigt der Wasserpegel im Waschbecken am Ende jedes Spülgangs an.

Maschine auf Pause schalten. Wasser aus dem Becken abschöpfen und im Klo runterkippen. Und dann mal bei Youtube schauen, ob ich da jemanden finde, der zeigt, wie der Siphon abgebaut wird. Und ich werde tatsächlich fündig. Long story short: Der Abfluss ist wieder komplett frei. 

Das hätte ich auch wesentlich schneller haben können - aber dieser Autist denkt ja wieder, dass er alles allein schaffen muss.

Montag, 8. April 2024

Sein dürfen, wie ich bin

Die große Buba und Dr Hilarius

Was für ein holperiger Titel - aber passend zu diesem Thema, das eine Menge Schlaglöcher bietet. Die Leitfrage lautet:

Darf ich so sein, wie ich bin?

Das fragen sich viele Menschen, die von der "Norm" abweichen, neurodivergente Menschen, die LGBTQ-Community und viele mehr, und das Spannende ist die Antwort, die man auf diese Frage von Anderen bekommt. Meistens ist es etwas in der Richtung "Ja, natürlich darfst du hier du sein." Ernstgemeint ist das aber meistens nicht.

Ich habe mir die Frage auch ein Leben lang gestellt. Immer, wenn ich an eine neue Schule gekommen bin, habe ich gefragt, ob es in Ordnung ist, dass ich schwarze Outfits und Nagellack trage. Immer hieß es "Kein Problem!" - und später gesellte sich dann die Frage dazu, ob ich autistische Verhaltensweisen zeigen darf. Schulleitung: "Wenn wir schon Inklusion an der Schule leben sollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium."

Es galt vier Monate lang, dann kam das erste "Du musst dich anpassen". Fragt Euch mal ganz ehrlich, an welchem Ort, mit welchen Menschen Ihr genau so sein dürft, wie Ihr seid. Ich behaupte, dass es eine sehr geringe Menge ist. Ort: Meine Wohnung, aber nur, wenn niemand dabei ist. Ausnahme: Die große Buba. Wenn sie hier bei mir im dritten Stock auf der Couch neben mir sitzt, dann darf ich endlich so sein, wie ich bin. 

Ich darf Fingerstimming machen. Ich darf an meinen Füßen herumgrabschen, während sie erzählt. Ich darf über alles reden, Krankheit, Videospiele, Filme, Schule. Ich darf Tee trinken. Ich darf an jeder Stelle sagen: "Äh, moment, das verstehe ich nicht. Bitte umformulieren." Ich darf Wäsche aufhängen. Ich muss nicht meinen Mund halten, aus Angst, dass etwas falsch verstanden wird. Ich darf meine Zähne putzen.

Ich glaube, sie ist derzeit der einzige Mensch, bei dem ich mich in keiner Weise verstellen muss. Ich weiß aber, dass auch die Sannitanic so wäre, wenn wir so viel direkten Kontakt hätten. Und ich weiß, dass seit einiger Zeit meine Mutter dazugehört. Kennt Ihr ja vielleicht, dass man sich vor seinen Eltern verstellt, um sie glücklich zu machen oder wasweißich, und dass die Offenheit und Ehrlichkeit erst später im Leben kommt. Dennoch besser spät, als nie.

Ich wünschte, mehr Menschen meinten es ernst, wenn sie sagen: "Sei ganz du selbst."

Sonntag, 24. Dezember 2023

Tag 146 - Die ersten Bissen


Heute wäre natürlich der perfekte Zeitpunkt, um über ein gewisses Fest in diesem Jahr zu schreiben. Das hat dieser Blog allerdings noch nie gemacht, und außerdem weiß ich, dass meine Mutter sich stattdessen über diesen Beitrag viel mehr freuen wird; schließlich haben wir gestern einmal telefoniert und ich habe versucht, rüberzubringen, dass sie im Moment nichts tun kann als abwarten und sich nicht zu viele Sorgen zu machen. Klar. Als ob eine Mutter sich mal keine Sorgen über ihre Kinder machen würde - ich denke mal, die Sannitanic dürfte das seit einigen Jahren sehr gut nachvollziehen können.

Neben dem gesundheitlichen Update haben wir gestern auch über heute gesprochen, denn ich verbringe das Fest nicht bei meiner Familie, sondern in meiner Wohnung mit Kräuterschnaps (Iberogast) und Fenchelhonig (den liebe ich ja). Am Ende des Gesprächs haben wir auch über das Abendessen gesprochen, denn ich wollte wissen, was es an Weihnachten zuhause zu essen gibt, auch wenn ich selbst nichts essen möchte. 

Und dann kam etwas, was mich aufgebaut hat: Wir haben detailliert über das Essen gesprochen, und am Ende hatte ich statt Magenkrämpfen ein kleines Magenknurren und richtig Appetit bekommen. Das hatte ich seit einigen Tagen nicht mehr, und Ihr kennt das ja vielleicht, wenn man ein paar Tage nichts mehr essen wollte oder konnte - wenn auf einmal wieder Appetit da ist, fühlt sich das schon wie eine Wunderheilung an. Das habe ich meiner Ma dann auch direkt mitgeteilt und es hat ihr gut getan, das zu hören. Sie hat mir erzählt, dass auch so kleine "Erfolgsnachrichten" schon Balsam für die Seele sind, also wird sie das hier freuen:

Ich habe letzte Nacht einmal gut vier und einmal gut drei Stunden am Stück geschlafen. Und nach unserem Telefonat habe ich ein paar Salzcracker gefuttert und sie haben einfach wunderbar geschmeckt. Ja, mein Magen hatte später trotzdem damit zu kämpfen, aber einfach das Gefühl von Geschmeck im Mund und nicht alles-wieder-rückwärts-loswerden-müssen, das war fantastisch. Und dann gab es abends eine Scheibe Toast mit Heidelbeermarmelade, absolut unvernünftig, aber sie hat paradiesisch geschmeckt. Das war es auf jeden Fall wert, und vielleicht besteht mein persönlches kleines Festessen heute aus Crackern, Toast und Marmelade. 

Gesundheit schön und gut, aber einmal genießen ist gut für die Seele.

post scriptum: Und wer weiß, wenn mein Magen es zulässt, gibt es heute Abend vielleicht zu der Scheibe Toast einen Teller Kartoffeleintopf; der von der Schlachterei "Wilhelm von Brandenburg" schmeckt wunderbar, und nein, ich bekomme kein Geld dafür, das hier zu schreiben ;-)

Lasst es Euch heute (und morgen etc.) schmecken!

paulo post scriptum: Und dann kommt noch meine himmlische Ersatzfamilie hier, also known as Buba and family, die mich mit einer Wärmflasche versorgt haben, das hat gestern Abend sooo gut getan!! Danke, Ihr Lieben! <3

Freitag, 27. Oktober 2023

Tag 88 - Im Bus


Kleine Anekdote von heute mittag. Ich war im Sophienhof, ich brauchte etwas aus der Apotheke. Das Einkaufszentrum ist gerammelt voll, denn es sind Ferien, es hat genieselregnet und es ist Freitag, die Leute kaufen ein, als gäbe es nach dem Wochenende keine Geschäfte mehr.

Dann stehe ich an der Bushaltestelle, unter dem Dach, denn ich hatte keinen Regenschirm mitgenommen. Gefühlt zweihundert Menschen stehen um mich herum, um sich ebenfalls vor dem Regen zu schützen. Ich warte auf die Zweiundsechzig - und ich wünschte mir so dringend, dass die Zwölf und Dreizehn wieder bis nach Schulensee führen, aber das tun sie momentan nur sonntags sporadisch - und da kommt sie. Ich sehe schon, dass der Bus sehr voll ist, na toll. Ich habe eine Technik entwickelt, durch die ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit genau an der Stelle stehe, wo die Eingangstür des Busses ist; so kann ich vor den Anderen einsteigen und vielleicht einen Platz finden.

Aber der Stress war ganz umsonst, es sind fast alle Fahrgäste am Hauptbahnhof ausgestiegen, und so konnte ich mir gleich den Platz rechts am Fenster im vorderen Vierer auf der rechten Seite sichern. Wunderbar!

...wenn da nicht nach und nach Tausende Menschen zusteigen würden; innerhalb kürzester Zeit sind alle Sitzplätze besetzt, der Gang füllt sich, es wird tatsächlich proppevoll. Kein Zusteigen mehr möglich. Kein Gehen mehr möglich. KEIN AUSSTEIGEN MEHR MÖGLICH!!! geht es mir durch den Kopf und ich bereue, den schönen Fensterplatz gewählt zu haben. Wie soll ich nur jemals an der Diesterwegstraße aus dem Bus kommen?

Für Ablenkung sorgt ein weinend-schreiendes Kleinkind im Kinderwagen in der Busmitte. Es weint ununterbrochen. Sehr laut. Immer wieder auf's Neue. Bis eine ältere Dame sich genervt zu dem Kind dreht und sagt: "Was ist denn los? Warum weinst du? Mach' doch die Augen zu! Schlaf' einfach ein bisschen!"

Man sagt ja gern, Autisten haben es nicht so mit der Empathie. Aber da sitzt ein Kleinkind im Kinderwagen, in einem völlig überfüllten Bus, überall riesige Menschen, die von allen Seiten reden. Das Kind ist völlig überfordert und es ist vollkommen natürlich, dass es weint!! Da kann es nicht einfach mal eben die Augen zu machen und schlafen, strategisch sinnvoll, aber nicht realistisch im Kopf eines knapp zweijährigen Mädchens. Wow. Ich habe mich gewundert, wie jemand so einen dummen Kommentar machen konnte. Noch dazu eine Frau mit viel Lebens-, aber vielleicht keiner Kindererfahrung. 

Ich gebe zu, ich habe meine Einschätzung auch erst von der Sannitanic lernen müssen. Aber ich habe mir das sehr zu Herzen genommen, denn ich weiß, wie es ist, inmitten einer Menschenmenge völlig überfordert zu sein - im Sophienhof war ich wieder kurz vor der Tablette zur Beruhigung.

Aber diese Ablenkung hat mir sehr gut getan, denn meine eigene Menschenmassenpanik ist in den Hintergrund gerückt, und so konnte ich den Sinn aufbringen, die Menschen um mich herum zu bitten, mich vorne aussteigen zu lassen. Eine Dame vor mir meinte, sie mache das genauso, weil die Menschen in der Busmitte sich anfühlen wie eine Wand. Da bliebe nur der vordere Ausstieg. Das hat mir mal wieder gezeigt, dass ich mit meinen Problemen nicht allein auf der Welt bin - die Grundessenz der Tonglen-Meditation.

Endlich wieder in der Wohnung!

Montag, 11. September 2023

Tag 42 - Dreiunddreißig Grad

Darf es ein bisschen heißer sein?

Langsam reicht es wirklich. Ich sollte nicht klagen, der Rest des Sommers war sehr mild, aber die Backofenwohnung läuft auf Hochtouren, und wenn um Mitternacht immer noch knapp über dreißig Grad übrig sind, das strengt einfach nur an. Und irgendwie bekommt das meinem Magen nicht, oder wie auch immer, jedenfalls bin ich froh, aus der Apotheke vorhin etwas Diphenhydramin gegen Übelkeit bekommen zu haben. 

Bis Mittwoch soll es sich ein wenig abkühlen, das wäre mir sehr recht. Die Sannitanic ist auf Klassenfahrt, wenn ich das richtig verstanden habe - hoffentlich muss sie sich mit ihrer Baggage nicht ganz so durchbacken lassen. Gilt natürlich für alle, die diesen Text lesen und die direkte Hitze vielleicht nicht so sehr mögen.

Daumen drücken für ein wenig Wind, dann kann die frische Luft heute Nacht hier quer durch die Wohnung ziehen und der Ventilator zur Abwechslung mal aus bleiben. Tipp: Nasse Handtücher in der Wohnung aufhängen, damit die Luft nicht zu trocken wird.

Montag, 5. Dezember 2022

Zurück zu den Schuhsohlen


Ich bin noch krankgeschrieben, und somit habe ich auch heute den SchülerInnen wieder Aufgaben zum Bearbeiten geschickt. Mal schauen, wie es weitergeht, ich hoffe immer noch, dass es morgen wieder besser ist und ich Mittwoch zurück in die Schule kann - ich muss noch weitere Klausurvorbereitungen mit den jungen Erwachsenen machen.

Besonders unpraktisch (weil ablenkend) sind die Krämpfe im Bauchbereich, die sind seit einigen Tagen da, aber schon etwas besser geworden. Hatte ich im Studium mal, und damals hat - wenn ich mich recht entsinne - die Sannitanic mir Iberogast empfohlen. Habe ich mir also auch diesmal wieder aus der Apotheke besorgt, vielleicht hilft die regelmäßige Einnahme. Allerdings schmeckt das Zeug immer noch nach durchgelatschten Schuhsohlen. Kräuterauszug eben (habe ich mir im Studium so ähnlich auch mal selbst hergestellt).

Interessant allerdings die unterschiedliche Reaktion zu damals: Ich weiß noch, dass ich die Iberogast-Tropfen damals nur extrem verdünnt einnehmen konnte, weil ich den Geschmack wirklich widerlich fand. Heute ist es kein Problem mehr, die zwanzig Tropfen in einem Schnapsglas Wasser aufzulösen und runterzukippen. Kann sein, dass es mit dem Älterwerden zusammenhängt - kann aber auch sein, dass das Lojong-Training hier geholfen hat, das härtet tatsächlich ab. 

So. Noch eben Essen und dann wieder in's Bett rollen. Allen Kranken da draußen: Gute Besserung!

Samstag, 5. November 2022

Geburt


Ich hatte irgendwann in meiner Jugend das Gefühl, dass ich keinen Draht zu meinen Brüdern finde - zweieiige Zwillinge, vier Jahre älter als ich. Genauer gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich dieses Gefühl einmal nicht hatte. Sie hatten ihre Zimmer oben im Haus, ich unten. Für mehr Details ist dieser Blog der falsche Ort.

Ich habe auf diesen Seiten schon öfters erwähnt, dass sich die Situation - beziehungsweise dieses Gefühl - in den letzten Jahren etwas geändert hat. Spätestens, seitdem ich versuche, die mental history meiner Familie etwas besser zu verstehen, weil ich denke, dass einer meiner Brüder ebenfalls auf'm Spektrum ist. 

Heute geht es um den anderen. Eigentlich gestern, wenn man genau sein möchte, aber ich habe die Mail erst heute gelesen, vorhin, zwischen Wäsche und Staubsaugen und günstiges-HDMI-Kabel finden.

Mein Bruder ist Vater geworden.

Diese Nachricht kommt nicht ganz so überraschend, denn eine Schwangerschaft bemerkt man in der Regel noch irgendwann vor der Geburt, und natürlich spricht sich das dann durch die Familie, und alle sind ganz aufgeregt und man bekommt einen angepeilten Stichtag irgendwo im November. In diesem Fall also gestern. Mein Bruder hat eine einen Tag alte Tochter - dieser Satz wirkt so surreal auf mich, weil ich nie gedacht hätte, dass es mal dazu kommen wird. Jetzt steht er da als Tatsache und ich bin seltsam berührt und bei'm Korrekturlesen kommt mir tatsächlich eine Träne in's Auge.

Ich freue mich riesig für meinen Bruder, und ich strahle auch eine Runde für meine Eltern mit, die sich dann ja doch irgendwann mit der Wahrscheinlichkeit abgefunden hatten, dass sie keine Großeltern mehr werden. So wird sich meine Ma nun an den Begriff "Oma" gewöhnen müssen, und mein Pa wird "Opa". Und ich glaube, dass sie damit keinerlei Probleme haben werden; ganz im Gegenteil, ihre Freude dürfte meine noch weit übersteigen.

An dieser Stelle erinnere ich mich an die beiden Geburten der Sannitanic, und wie die Zeit danach war, genau genommen bis heute, denn das hört ja nicht auf, der Stress, die Schlaflosigkeit, die vollgeschissenen Windeln, das Geschrei - und die Liebe und Zuneigung, die es nur zwischen Kind und Eltern gibt.

Und ich bin jetzt also Onkel, aber um mich geht es in diesem Beitrag nicht. Ich muss unbedingt irgendeine Nachricht für meinen Bruder fertig machen, keine dämliche zwei Euro fünfzig-Postkarte, sondern irgendwas Persönliches. Klar - dieser Beitrag wird seinen Weg auf die eine oder andere Weise auch zu ihm finden, aber ich möchte ihm gern persönlich sagen, wie stolz ich auf ihn bin.

Kommt noch. Erstmal verarbeiten! Und eine Runde strahlen...

Gilt für uns alle.

Dienstag, 2. August 2022

Chrónia pollá!

Kleine Erinnerung an eine verrückte Zeit ;-)

Hi Sanni!

Ich will mal hoffen, dass Ihr gerade einen kleinen Urlaub zu viert macht oder zumindest irgendwie den Tag genießt, denn schließlich ist nicht jeder Tag Dein Geburtstag. Ich wünsche Dir für das neue Lebensjahr Gesundheit und Gelassenheit, davon kann man nie genug haben, und dass Euer Haus nicht einstürzt, das kann auch nicht schaden.

Ich komme auf das Einstürzen, weil ich momentan täglich morgens um acht Uhr geweckt werde von den Schlagbohrern in der Nachbarswohnung. Ich dachte erst, dass die einfach nur renoviert werden soll, aber da werden tatsächlich komplett neue Leitungen verlegt, keine Ahnung, was sonst noch alles, jedenfalls haben mein Nachbar links und ich uns vorgenommen, das Treppenhaus erst wieder zu putzen, wenn die Arbeiter aus der Wohnung raus sind, denn die tragen jede Menge Dreck durch das Haus. Ich bin ja mal gespannt, wer da irgendwann einziehen wird; so nach und nach nähere ich mich dem Titel "Fossil im Haus", denn nun sind nur noch zwei Mietparteien länger im Haus als ich. Das ist irgendwie ein besonderes Gefühl - ein Zuhause zu haben. Du kennst das, gerade mit Deiner Familie, jetzt noch besser als ich. Deswegen wünsche ich Dir, dass das Haus nicht zusammenbricht (und Du auch nicht).

Und das mit der Gesundheit vor allem gerade akut, weil sich Corona mir nun langsam nähert: Die große Buba hat einen Coronafall in der Familie, und wir setzen deswegen tatsächlich mal zwei Abende aus, um zu überlegen, ob es jetzt sinnvoll ist, sich zu treffen. Es wäre nicht so ganz praktisch, wenn ich mir jetzt das Virus einfinge, denn am Wochenende stehen zwei wichtige Dinge an: Ein Besuch im Hansa-Park und einer bei meinen Eltern. Bei Letzterem werde ich dann auch das Auto abgeben - es wird wirklich Zeit. Kiel ist mit ÖPNV wunderbar erreichbar, und irgendwann werde ich mir auch wieder ein Fahrrad zulegen. Ich schaffe es in meinem jetzigen Zustand einfach nicht, ein Auto zu warten, so deprimierend diese Erkenntnis auch sein mag.

Jetzt habe ich den Hauseinsturz erklärt, und auch die Gesundheit, bleibt also die Gelassenheit. Irgendwann in den nächsten drei Wochen werde ich mit meinem Psychiater telefonieren, um zu erfahren, ob er einen Diagnoseplatz für mich finden konnte. Das ist alles aufregend und fällt mit Schulbeginn mit drei neuen Lerngruppen zusammen, das könnte schnell überfordernd werden. Und dank Caro erlebe ich es, wie es ist, als HSP in einer Situation überfordert zu sein - deswegen der Wunsch nach Gelassenheit für Dich.

Ist es nicht drollig, wie man einen Geburtstagsgruß an einen Menschen so verfassen kann, dass es irgendwie nur um einen selbst geht? ;-)

Viele liebe Grüße aus dem dritten Stock an die ganze Familie!

Dr Hilarius

Dienstag, 26. April 2022

Zweitprüfersuche


"Lehrer sind alle faule Säcke."

So oder so ähnlich hat damals Gerhard Schröder gesprochen und sich bei'm gesamten Lehrberuf unbeliebt gemacht. Manchmal denke ich, dass etwas Wahres darin stecken könnte. Das "alle" müsste weg: Die Sannitanic ist eine hochengagierte Lehrerin, und die große Buba hat an der Waldorfschule jeden Donnerstag Konferenztag, da ist Einiges zu tun.

Ich brauche noch einen Zweitkorrektor und Zweitprüfer für den MSA Englisch. Gar nicht so einfach. Es reißen sich nicht viele Menschen darum, mehr zu tun zu haben. Ich darf mich da nicht als Vergleichswert nehmen - aber ich kann mich an keine Anfrage in den letzten zehn Jahren erinnern, die ich abgelehnt hätte. Mehrere Abitur-Zweitkorrekturen, Sprechprüfungen, ich mach' das immer alles mit, wenn ich kann. Buddhist eben.

Schauen wir mal, ob sich nicht irgendwo ein Seelenverwandter findet ;-)

Samstag, 11. Dezember 2021

Zuviel Neues


Puh, ich bin mit der Zeit im Verzug. Ich hatte vollkommen vergessen, wie intensiv die Project Zero-Videospielreihe mich in das Geschehen einsaugt - die große Buba erinnert sich noch mit einem Schauern an unsere Erlebnisse mit Kunihiko Asous Camera Obscura. Und wenn ein Aspi sich in etwas vertieft, das ihn interessiert, dann verschwindet die Welt drumherum und er ist vollkommen fokussiert. 

Das ist ja eigentlich eine gute Nachricht: Ich habe etwas zu tun, mein Kopf ist beschäftigt. Allerdings bin ich zur Zeit leicht überfordert, wenn ich in's Nachdenken komme, denn ich habe nicht nur ein neues Videospiel, sondern ich habe auch eine neue Badewannenarmatur, und ich denke sehr viel darüber nach: Wie muss ich sie pflegen (denn sie ist hochwertig, da muss ich mich drum kümmern), wie toll finde ich den Thermostat, weil ich endlich nicht mehr überraschend eiskalt oder kochend heiß dusche, wie zufrieden bin ich mit dem minimalistischen Duschkopf ohne Schnickschnack, und Chrom glänzt so schön. 

Das wird noch eine Weile dauern, bis ich das verarbeitet habe, und dann kommt ein neues Spiel dazu? Das kann zu einem Gedanken-Overkill führen, und ich erinnere mich an etwas, was die Sannitanic mir mal erklärt hatte: Manche Eltern meinen es zu gut und schenken ihren Kindern regelmäßig reichlich neues Spielzeug - was leider keine gute Idee ist, denn gerade Kleinkinder sollten sich erstmal mit einem Spielzeug komplett auseinandergesetzt haben - wie funktioniert es, was kann ich damit alles anstellen, es dauert eine ganze Weile, bis ein Spielzeug wirklich "ausgespielt" ist. Das Kind vorher mit neuen Spielzeugen zu überschütten führt zu einer Überforderung.

Und genau daran musste ich heute denken, mit dem neuen Videospiel, der neuen Badarmatur, dem neuen "richtigen" Mikrofasertuch zur Pflege, das alles mit einer neuen Sorte Räucherstäbchen im Hintergrund. Ich muss das alles erstmal verarbeiten.

Habe ich die Episode richtig zitiert, Sannitanic?

Montag, 23. August 2021

Fremdes Glück


vorweg: Dieser Beitrag lag hier fast ein halbes Jahr so herum, wird Zeit für die Veröffentlichung!

Ich frage mich ja immer wieder, ob ich es überhaupt mit der Empathie habe. Gerade wenn ein anderer Mensch ein kleines Glück erleben darf, spüre ich das dann auch? Ich habe in meinem Leben schon oft den Satz "Das ist ja toll, ich freu' mich riesig für dich!" gebracht, aber den habe ich in der Regel gesagt, weil ich das als Phrase gelernt habe. Das sagt man eben, wenn ein anderer Mensch glücklich ist, egal, ob man das meint oder nicht. Ist ein Automatismus geworden.

Jetzt aber fühle ich tatsächlich etwas Wärme, Ruhe und Zufriedenheit in meinem Kopf, denn die Sannitanic läuft jetzt endlich in den Zielhafen ein. Ihre Reise vom metaphorischen Sherbourgh hat lang genug gedauert und sie hatte es wirklich nicht einfach, weder in Kindheit, noch Jugend, noch im jungen Erwachsenenalter. Ich nenne hier keine Details, aber ich möchte wieder einmal betonen, dass meine bisherige Zeit dagegen wirklich behütet und Konsorten war.

Mir hat es immer wieder wehgetan, wenn ihr ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde, sei es nun in Familien- oder Karrierehinsicht, und wir haben beide aufgehört, an ein Konzept von "Fairness" zu glauben (wobei ich an dem Karma-Gedanken festhalte). Umso mehr freut es mich, dass es für die jetzt bergauf geht: Nach mehreren Schulwechseln hat sie nun endlich eine Planstelle bekommen, ist also beruflich abgesichert, sie hat ihre Familie mit ihrem mittlerweile Ehemann und jetzt haben sie sich endlich ein eigenes Haus gekauft. 

Ich fühle mich so intensiv an meine Eltern erinnert - sehr oft habe ich früher die Fotoalben durchgestöbert, vom Hausbau, von der Schneekatastrophe und alles, was irgendwie interessant war, und habe oft gedacht, dass wir eigentlich paradiesische Umstände hatten (was meine Eltern sich aber erst hart erkämpfen mussten, so wie die Sannitanic). 

Und nun fühle ich, dass Sanni auch endlich in diese paradiesischen Umstände kommen kann. Sicherlich, es ist immer noch schwer mit zwei Kiddies von gut vier und zwei Jahren, Job, Ehemann, Haushalt - aber unter all' dem Am-Rad-Drehen liegt jetzt wenigstens ein sicheres Fangnetz. Das Gefühl, angekommen zu sein. Seinen Ort zu finden. Und genau dieses Bewusstsein erfüllt mich mit ein bisschen Stolz, aber vor allem Freude. Ich habe immer gedacht, dass es nicht fair wäre, wenn ich vor Sanni eine Planstelle bekommen würde, und ich muss offen zugeben: Ich hatte immer Angst, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen würde, an dem wir beide uns auf die gleiche Stelle bewerben und ich die Zusage bekommen könnte. Diese Vorstellung war der absolute Horror für mich, und deswegen fühle ich neben der Wärme und dem Glück auch eine große Portion Erleichterung.

Montag, 11. Januar 2021

Der falsche Käse


Der Start in die Woche läuft ein wenig durchwachsen. Das mit dem Lernvideo für meine Schüler muss einen Tag warten, weil ich seit gestern Abend immer mal wieder mit dem Magen zusitze. Drollig - etwas Falsches sollte ich eigentlich nicht gegessen haben, aber dazu später mehr. Heute werden die Zeugnisnoten und die Lernberichte fertig gemacht - oder zumindest Letztere, die Noten sind dann morgen dran, damit ich die USB-Sticks mit den Urteilen über meine Schüler pünktlich am Mittwoch loswerden kann. Diejenigen von Euch, die ebenfalls Lernberichte schreiben (müssen), wünschten sich vielleicht manchmal, sie müssten nur eine Note schreiben und nicht allzu umfangreich und individuell für alle Lernenden kleine Gutachten zusammenschustern, die manchmal dann doch nur aus vorgefertigten Phrasen bestehen. Die Ironie dabei: Diejenigen von uns, die Noten geben, wünschten sich vielleicht manchmal, sie könnten etwas besser differenzieren, als einfach nur eine Note hinzuklatschen, gerade bei Schülern wie Hilda-Pomfrieda, die sprachlich in Englisch gut ist, aber im Unterricht nie mitmacht, und so klatscht man dann aus einer Fünf für Unterrichtsbeiträge und einer Eins für Leistungsnachweise eine nichtssagende Drei in's Zeugnis.

Der Titel des Beitrags suggeriert, dass es aber gar nicht darum gehen soll. Aspis können ihre Vorteile haben, zum Beispiel, wenn sie am besten damit klarkommen, jeden Tag die gleiche Mahlzeit zu sich zu nehmen. Ich finde das sehr hilfreich, das gibt mir etwas, woran ich mich halten kann, von dem ich weiß, dass ich es mag und dass ich das gut vertrage. "Du kannst doch nicht jeden Tag das gleiche essen!" - solche Vorwürfe sind mir bestens vertraut von früher, mit dem Unterschied, dass ich heute einfach antworten würde "Warum nicht?"; die Sannitanic wird mir dann vollkommen zu Recht einen Vortrag über Nährstoffe, Vitamine und so weiter halten - naja, heute nicht mehr, weil sie weiß, dass mir nicht mehr zu helfen ist und dass meine Tablettenbox zum größten Teil aus Nahrungsergänzungsmitteln besteht.

Und so esse ich seit fast einer Woche Baguettes mit Zwiebeln, Schinken, Käse, Knoblauch und zwei Zahnstochern. Alles wunderbar, und so wollte ich eben nur schnell neuen Käse besorgen - junger Gouda in Scheiben, die Billigvariante in meinem Supermarkt unten. Und der war vergriffen. Da gehen für einen Moment alle Lampen im Kopf aus; ich kann doch nicht einfach irgendeinen anderen Käse nehmen... und so habe ich hier nun Butterkäse, immerhin ebenfalls in Scheiben, immerhin ebenfalls die Billigvariante, und muss mal schauen, ob ich den Abend überstehe.

Und hier noch ein shoutout an alle tapferen Menschen, die gerade in der Schule sind: Die Schüler, die mutig für ihre Abschlüsse trainieren; die Kollegen, die sie unermüdlich, aber distanziert unterrichten; die Kollegen auf Funktionsstellen, die es irgendwie schaffen sollen, dass das alles läuft; die Mitarbeiter im Ganztag und überhaupt die ganze Schulgemeinschaft, die den Laden am Laufen hält. 

Bleibt gesund!

Montag, 12. Oktober 2020

Geduld


Wer mich ein bisschen kennt, denkt sich wahrscheinlich, dass bei einer größeren Blogpause entweder ein neuer Film, eine neue Serie oder ein neues Videospiel dahintersteckt. Richtig gedacht: Da wäre zum einen The Haunting of Bly Manor (2020), die zweite Staffel nach der grandiosen Shirley Jackson-Verfilmung The Haunting of Hill House (2018) - mit einer Bewertung halte ich mich noch zurück. Bin mal gespannt, ob mein Eindruck sich mit dem Kritikerspiegel deckt. addendum: Ja, tut er.

Zum anderen wäre da Obduction - die Miller-Brüder, die kreativen Köpfe hinter der Myst-Reihe, die ich im Blog schon einmal kommentiert habe, haben vor einiger Zeit ein neues Spiel herausgebracht, das den Charakter von Myst behält, neue Technologie nutzt und eine high concept science fiction story erzählt. Mit allem, was ich an den anderen Spielen mochte: Viele Schalter zum Umlegen, viele Knöpfe, Gleise, Schwebebahn, knackige Rätsel, Atmosphäre pur. Und vor allem: Kein Stress. Kein Game Over. Ich kann das in aller Ruhe erleben.

Und genau um dieses "in aller Ruhe" geht es heute, denn früher hatte ich es nicht unbedingt mit der Ruhe. Einer der Nachteile, wenn man sehr intelligent ist: Der Kopf gewöhnt sich an die Grundhaltung, dass alles sehr schnell gehen muss. Aufgaben in der Schule, im Studium - sehr schnell erledigt. Und gerade wenn man noch davon ausgeht, der eigene Kopf ticke völlig normal, kommt man nicht auf die Idee, dass es auch anders ginge.

Man sitzt dann als Schüler im Unterricht, völlig unterfordert, und fragt sich, warum das nicht alles schneller voranginge. "Ich habe das doch alles schon verstanden, können wir nicht weitermachen?" Und auch, wenn man andere Menschen bei Aufgaben beobachtet, können einem schnell die Finger kribbeln. "Du brauchst so lange dafür... lass' mich das einfach machen, das geht schneller, dann können wir weitermachen." Vielleicht geht es anderen Hochbegabten da draußen nicht so - müsste ich aber erst noch kennen lernen, bisher konnte mir jeder Betroffene diesen Eindruck in unterschiedlichen Formen bestätigen.

Genau so bin ich auch an Spiele herangegangen, besonders Rätseladventures. Diese Spiele sind auf Ruhe und Langsamkeit ausgelegt, nicht auf Hektik. Wenn ich so ein Spiel vor mir hatte, die meisten Rätsel zügig lösen konnte, dann aber bei einem Rätsel nicht schnell genug auf die Lösung gekommen bin, habe ich mich schnell hilfesuchend an den Herrn WWW gewandt. So konnte ich die Spiele zwar zügig beenden, aber es geht ja nicht darum, möglichst fix an das Ziel zu kommen. In Rätseladventures ist der Weg das Ziel.

Das Meditationstraining und die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus haben mir einige Geduld beigebracht. Mittlerweile schaue ich nicht mehr nach Lösungen im Internet. Das kann dazu führen, dass ich ein Spiel beginne und dann mehrere Stunden lang an einem Rätsel festsitze, das Spiel dann erstmal wieder beende, ohne auch nur irgendeinen Fortschritt erreicht zu haben. Ich nehme das Rätsel dann mit in die Meditation, zerbreche mir weiterhin den Kopf, und wenn ich dann irgendwann die Lösung gefunden habe, ist das Gefühl einfach unbeschreiblich - zufrieden, erleichtert, glücklich, neu angespornt.

Klar, dass diese Geduld auch ihre Nachteile haben kann. In den unteren Klassenstufen, in denen die Schüler wuselig, laut und überall sind, hilft es nicht unbedingt, wenn man im Unterricht alle Klassengeräusche ganz geduldig hinnimmt, bis irgendwann die Schüler selbst sich beschweren, dass es zu laut im Raum ist und sie nichts lernen können. Trotzdem bin ich sehr glücklich darüber, dass ich etwas geduldiger geworden bin - wie ich auch damals schon im Blog in dem Artikel Entschleunigung geschrieben hatte.

In dem Sinne: Kommt entspannt und gelassen in die neue Woche!

(außer der Sannitanic, die wird Gelassenheit frühestens in siebzehn Jahren wieder erleben)

Sonntag, 13. September 2020

Nachbarschaftliche Schmunzelei


Ich wirke jünger, als ich bin. Das ist ein alter Hut, und über die Probleme, die das mit sich bringen kann - nicht ernstgenommen zu werden, für unerfahren gehalten zu werden, deswegen keinen Job zu bekommen - habe ich hier im Blog schon mehrfach lamentiert. Nichts davon heute. 

Manchmal kann das nämlich auch eine amüsante Anekdote mit sich bringen. Mein Nachbar wohnt jetzt seit gut zwei Jahren mit uns im Haus, und wir haben immer mal wieder miteinander zu tun. Post annehmen, Schlüssel ausleihen oder einfach ein bisschen chatten. Er weiß, dass ich ein bisschen seltsam ticke, er weiß, dass ich lieber per Briefkasten kommuniziere, als Dinge persönlich zu übergeben, und er kommt damit super klar. 

Er ist fünfzehn Jahre jünger als ich - aber das hat er erst vor ein paar Tagen bemerkt, durch einen Nachrichtenwechsel:

"Das ist eine weise und reife Einstellung."

"Es hat aber auch siebenunddreißig Jahre gedauert, um dahin zu kommen."

"Ach, so alt bist Du schon? :D"

Ist das nicht drollig, wie lange man seine Mitmenschen an der Nase herumführen kann? Und das nur wegen gefärbter Haare, lackierter Fingernägel und unreifen Verhaltens? Irgendwie hat mir das ein Schmunzeln auf's Gesicht gezaubert, und diesmal ganz ohne die deprimierenden Assoziationen (dass das auch in einem Kollegium vorkommen kann, in dem einige tatsächlich über ein Jahr lang denken, man sei ein Nulltsemester ohne jegliche Berufserfahrung und könne deswegen nicht ernstgenommen werden - die Sannitanic kennt das sehr gut. Wobei, jetzt ist sie zweifache Mutter und dürfte in den letzten dreieinhalb Jahren um vierzig Jahre gealtert sein, vielleicht hält man sie jetzt für dreißig).

Jedenfalls scheint es langsam wieder an der Zeit zu sein, die Dinge mit Humor zu nehmen, und endlich wieder zu Joachim Ringelnatz' Spruch zurückzukehren:

"Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt."

post scriptum: So langsam kommt die große Buba auch in diese Sphären, die hat nämlich heute Geburtstag und isst anstelle einer Geburtstagstorte einfach nervige Korrekturen auf. 

HAPPY BIRTHDAY, meine liebste fette Schnecke!!! Dauert nicht mehr lange, dann fliegen die Zimtsterne!!!

Freitag, 4. September 2020

Junger Aspi, alter Aspi


Ich bin endlich fertig mit Tony Attwoods Fachbuch zum Thema Asperger-Syndrom. Um seine Erläuterungen abzurunden, hat er zu Beginn und Ende des Buches einen fiktiven Aspi vorgestellt - "Jack" - einmal im Schulalter und zum Schluss als Erwachsener. Ich habe lange darauf gewartet, diese Passagen mit Euch teilen zu können. Ich fand diese Beschreibungen wunderbar; auch wenn nicht jeder Aspi all' diese Merkmale aufweist, so ist es doch das beste "Aspi-Muster", das mir bisher untergekommen ist. Die folgenden Passagen stammen aus Attwoods The Complete Guide to Asperger's Syndrome. Vielleicht finden meine Freunde mich darin wieder, vielleicht auch nicht, aber für mich waren das zwei der aufschlussreichsten Passagen aus dem gesamten Buch.

Not everything that steps out of line, and thus "abnormal", must necessarily be "inferior". - Hans Asperger (1938)

The door bell rang, heralding the arrival of another guest for Alicia's birthday party. Her mother opened the door and looked down to see Jack, the last guest to arrive. It was her daughter's ninth birthday and the invitation list had been for ten girls and one boy. Alicia's mother had been surprised at this inclusion, thinking that girls her daughter's age usually consider boys to be smelly and stupid, and not worthy of an invitation to a girl's birthday party. But Alicia had said that Jack was different. His family had recently moved to Birmingham and Jack had been in her class for only a few weeks. Although he tried to join in with the other children, he hadn't made any friends. The other boys teased him and wouldn't let him join in any of their games. Last week he had sat next to Alicia while she was eating her lunch, and as she listened to him, she thought he was a kind and lonely boy who seemed bewildered by the noise and hectic activity of the playground. He looked cute, a younger Harry Potter, and he knew so much about so many things. Her heart went out to him and, despite the perplexed looks of her friends when she said he was invited to her party, she was determined he should come.

And here he was, a solitary figure clutching a birthday card and present which he immediately gave to Alicia's mother. She noticed he had written Alicia's name on the envelope, but the writing was strangely illegible for an eight-year-old. "You must be Jack", she said and he simply replied with a blank face, "Yes". She smiled at him, and was about to suggest he went into the garden to join Alicia and her friends when he said, "Alicia's birthday present is one of those special dolls that my mum says every girl wants, and she chose it, but what I really wanted to get her was some batteries. Do you like batteries? I do, I have a hundred and ninety-seven batteries. Batteries are really useful. What batteries do you have in your remote controllers?" Without waiting for a reply, he continued, "I have a special battery from Russia. My dad's an engineer, and he was working on an oil pipeline in Russia and he came home with six triple-A batteries for me with Russian writing on them. They are my favourite. When I go to bed I like to look at my box of batteries and sort them in alphabetical order before I go to sleep. I always hold one of my Russian batteries as I fall asleep. My mum says I should hug my teddy bear but I prefer a battery. How many batteries do you have?"

She replied, "Well, I don't know, but we must have quite a few...", and felt unsure what to say next. Her daughter was a very gentle, caring and maternal girl and she could understand why she had "adopted" this strange little boy as one of her friends. Jack continued to provide a monologue on batteries, how they are made and what to do with them when the power is exhausted. Alicia's mother felt exhausted too, listening to a lecture that lasted about ten minutes. Despite her subtle signals of needing to be somewhere else, and eventually saying, "I must go and get the party food ready," he continued to talk, following her into the kitchen. She noticed that when he talked, he rarely looked at her and his vocabulary was very unusual for an eight-year-old boy. It was more like listening to an adult than a child, and he spoke very eloquently, although he didn't seem to want to listen.

Eventually she said, "Jack, you must go into the garden to say hi to Alicia and you must go now." Her facial expression clearly indicated there was no alternative. He gazed at her face for a few seconds, as if trying to read the expression, and then off he went. She looked out of the kitchen window and watched him run across the grass towards Alicia. As he ran through a group of four girls, she noticed one of them deliberately put out her foot to trip him up. As he fell awkwardly to the ground, the girls all laughed. But Alicia had seen what happened and went over to help him get to his feet.

This fictitious scene is typical of an encounter with a child with Asperger's syndrome. A lack of social understanding, limited ability to have a reciprocal conversation and an intense interest in a particular subject are the core features of this syndrome. Perhaps the simplest way to understand Asperger's syndrome is to think of it as describing someone who perceives and thinks about the world differently to other people. (p.23/24)

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(...) I would like to end with a plausible description of Jack as an adult, based on my extensive experience of several thousand children and adults with Asperger's syndrome and my being able to observe the long-term development of children I originally saw decades ago.

There was a loud knock on the office door. The new Human Resources Manager knew this must be Dr Jack Johnstone announcing his arrival for his annual performance review. He had listened to his colleagues talk about Jack and was eager to finally meet him. The company manufactured energy storage systems and Jack was working on a new energy storage system for vehicles to replace petrol-based engines. The research and development section usually employed a team of scientists to design new products, but Jack worked on his own.

The security staff knew him well. He would often be working in the research department until long after midnight. Jack had explained to his line manager that he worked more efficiently when the building was quiet and there was no one around to interrupt him with superficial conversations about the local football team's home game or what he thought of the new secretary's legs.

The Human Resources Manager had Jack's file on his desk. It was by far the largest file he had seen on a member of staff. There was the basic information on his academic qualifications, reference to his Ph.D. in electrical engineering, and testimonials from previous employers referring to his honesty, integrity and determination. However, there were notes in his file made by the previous Human Resources Manager that were written to assist his line manager and the company. There was a brief explanation of a condition called Asperger's syndrome and how this explained Jack's abilities and personality. The original diagnosis had been made in 2005 when he was nine years old and he had benefited from support at school to develop interpersonal skills, and extension classes to develop his talent for engineering. It was now 2028 and he had moved from academia to industry only two years ago.

There was a detailed description of his qualities in terms of knowledge, alternative ways of thinking and problem solving, and his high standard of work, but there was also advice regarding his difficulties in working in a team, tendency to be very forthright and his inability to cope emotionally with sudden changes in job specifications. His ideas had contributed to the recent improvement in the company's profits as he had designed a new long-life battery for hand-held games concoles. He was considered to be eccentric, but a very valuable member of staff.

There was some office gossip about Jack. He was in his early thirties, lived at home with his parents, and had a close friend he sometimes talked about, Alicia, whom he had met when he was at primary school. He had a relatively small circle of friends at work but apparently had never had a long-term relationship. He had dedicated himself to his research and seemed uncomfortable at social occasions such as the Christman party, last year staying for only 20 minutes. He explained that he had to return home as he had a hobby breeding rare marsupials and needed to ensure his koalas had a fresh supply of eucalyptus leaves. But just over six months ago, a new personal assistant was appointed for the company accountant. She was a single mother with two children and was very popular for her ability to make people feel relaxed in her company, and amazed everyone with how efficiently she organized the accountant's diary. She met Jack when he handed her his monthly expenses sheet, and from that day both their lives were transformed. They were planning to get married next month.

The Huiman Resources Manager said, "Come in", and Jack entered the room. He was not sure what to expect but the person before him was certainly memorable. He had untidy hair, hadn't shaved for a few days and in his shirt pocked there were at least four pencils, two pens and an old-style calculator. One of the pencils had recently leaked black ink onto his shirt. There were no formal pleasantries as Jack sat down and proceeded to give a monologue on his work performance over the last year and his projects for the next year. He seemed to be relieved when he had given the required information.

It was now the turn of the Human Resources Manager to give feedback to Jack regarding his work over the last year. His ideas had been highly original, although sometimes difficult to understand when he verbally explained the principles, but his computer model using 3D graphics was very clear. He was liked by his colleagues, although he did tend to keep repeating the same jokes. Jack had been the winner of the inter-departmental Trivial Pursuit championship and he was perceived as a kind, shy and dedicated colleague.

Jack was thoughtful for a moment and he agreed with the appraisal. He politely asked how the Human Resources Manager was coping with his new position, whether he had found a school for his children and what he thought of the new CEO (chief executive officer). As Jack left the room, he remembered his early childhood: how when he was young he felt that he was not understood or appreciated by the other children at his school, and during his adolescence he had suffered from los self-esteem and longed to be popular. Other children in his class tormented him that he was a failure, but if only those children could see him now! He was not a failure, he was a success. This thought comforted him as he opened the door of his new 7 Series BMW, and he realized he was late for the meeting to go through the final preparations for his wedding. (p.357-359)

Das sind die beiden besten Aspi-Beschreibungen, einmal jung, einmal erwachsen, die ich bisher gefunden habe.

Mittwoch, 19. August 2020

Arschkirmes


So, bei dieser Überschrift erwarte ich, dass sich bald besorgte Eltern bei der Schulleitung melden, DrH könnte ja seine Schüler schlagen. Zumindest sollte mich das nicht wundern; als ich vor einiger Zeit einen Artikel über Leni Riefenstahl geschrieben habe, kamen besorgte Anrufe bei der Schulleitung, ob ich vielleicht ein rechtsextremer Lehrer sei. Ich sage gar nichts weiter dazu.

Naja, fast nichts. Ich schlage meine Schüler nicht. So viel Zeit muss sein. Auch wenn ich manchmal vor der Klasse stehe und denke, so, Klaus hätte jetzt echt eine Ladung Arschkirmes verdient. Oder andere unsagbare Dinge; das kann in jeder Klasse passieren. Nur in Klasse sieben bis neun irgendwie nie. Und auch darüber nicht. Whatever.

Das soll auch eigentlich nur in die Richtung gehen, dass ich heilfroh bin, dass sich die zweite Schulwoche langsam dem Ende zuneigt. Anstrengend ist es ja so oder so, aber mit Maskenpflicht und Hitze und genervten Schülern, die sich nicht an die Regeln halten, und gewaltigen Fachrückständen und dem Coronavirus, und dann hat heute auch noch Er Geburtstag.

Ja ja, heute ist Er dran und eigentlich sollte Er heute einen Geburtstagsgruß im Briefkasten haben (in dem ich ihm wieder einmal schreibe, dass Er sich jederzeit bei mir melden kann und dass ich mich auf irgendwann freue). Hat Er aber nicht, weil ich den heute erst aufnehmen werde. Auch für die Sannitanic liegen hier seit drei Wochen Sachen rum, die ein so komisches Format haben, dass ich noch herausfinden muss, wie ich die am besten verschicke. Ich fange nur sehr langsam wieder an zu funktionieren - aber immerhin. 

Kommt gut in Richtung Wochenende!

Montag, 27. Juli 2020

Ein Glas "Asperger Pur", bitte!


Welch' ein Genuss:

Ich falle heute morgen gegen elf Uhr aus dem Bett, mit dem Tagesplan im Kopf, den ich mir in der letzten Nacht zurechtgelegt habe. Ich brauche mein Drehbuch für den Tag, das gibt mir Sicherheit - an dieser Stelle lohnt es sich wirklich, noch einmal den Beitrag Hochbegabte Entgleisungen zu lesen. Ich habe das eben gemacht, und da habe ich doch tatsächlich geschrieben, dass jeder dieses Gefühl kennen müsste, und dass ich Mitleid mit Autisten hätte, denn bei denen dürfte es schlimm sein, wenn dieses Drehbuch nicht abgespielt wird, beziehungsweise dieser Gedankenzug für den Tag entgleist. Lest das mal, es ist so anschaulich, das sollte ich im Themenbereich verlinken - oder zumindest diesen Beitrag, als Nachschlagewerk, quasi.

Schwenken wir also zu heute morgen, nutzen wir statt der Drehbuch- wieder die Zugmetapher. Mein Zug für heute schreibt mir vor, dass ich um Elf Uhr die große Buba anschreibe, Treffen und so, und der gesamte Rest des Tages ist auch geplant - wann ich ein Videospiel spiele, wann ich in meinem Tagebuch weiterlese, wann ich einen Blogartikel schreibe, wann ich esse, unter die Dusche gehe, meditiere, Buba kommt, ich ein Hörspiel höre und dann in's Bett gehe. Alles geplant, ich bin beruhigt, das kann jetzt so ablaufen.

Also öffne ich um Elf Uhr Facebook, um eine Nachricht zu schreiben, und dann wird mir in rot angezeigt, dass ich selbst eine neue Nachricht habe, nämlich von der Sannitanic:

"Hey DrH,
Das ist jetzt spontan, sorry! Ich habe um 11h einen Zahnarzttermin und danach "kindfrei" in Kiel - wollen wir uns in der Stadt treffen?
Liebe Grüße"

Und dann geht's los. Beziehungsweise nein, alles hält an. Ich schaue auf die Nachricht und reagiere nicht mehr. Ich möchte nachdenken, kann es aber nicht, während ich die Nachricht sehe, ich fühle mich wie einbetoniert. Screenshot. Ich gehe zur Küchenzeile, stütze mich mit der Stirn gegen den Küchenschrank und schaue auf die Gläser unten auf der Arbeitsfläche. Ich schaue auf die runden Formen, vergleiche die Größen. Ich stelle fest, dass es leichter ist, das Größenverhältnis von Quadraten anzugeben, als von Kreisen, und in Gedanken stelle ich die Glaskreise ineinander.

Was antworte ich ihr jetzt? Sie schreibt es ja selbst - "das ist jetzt spontan, sorry!" - also weiß sie doch eigentlich, dass ich das nicht annehmen werde, oder? Wie schreibe ich ihr das? Oder sollte ich es doch irgendwie hinbiegen, dass es klappt? Immerhin geht es um meine beste Freundin, und wir haben uns lange nicht gesehen, und es fällt mir immer noch sehr schwer, abzusagen. Was mache ich nur?

Ich stehe eine Weile so gegen den Küchenschrank gelehnt, noch immer geistig einbetoniert, schließe dann die Augen, denn die Glasringe unten lenken mich ab. Der Verkehrslärm von rechts ist dagegen gleichmäßig und entspannend. Ein Auto rauscht heran, dann rauscht es herab. Ob sie enttäuscht ist, wenn ich absage?

Ich habe noch nicht dieses Selbstbewusstsein, dass ich mir sage, okay, sie weiß, dass bei mir der Verdacht auf Autismus besteht, und das würde bedeuten, dass das absolut nicht in Frage kommt - sich spontan zu treffen. Hinzu kommt noch, dass das im Studium kein Problem zu sein schien; wenn da plötzlich abends ein gewisser Ole unten vor den Kronshagener Bergen stand und sich auf ein Glas Wein eingeladen hat - gar kein Problem! Oder mit YazzTazz mal eben zu Burger King tingeln und ein wenig Frust ablassen und Gedanken sortieren - jederzeit!

Es gibt eine Erklärung dafür. Ich habe mir das im Laufe der letzten Jahre gedacht, und mittlerweile hat Tony Attwood (Facharzt für das Asperger-Syndrom) es mir bestätigt: Das Asperger-Syndrom wird auch als high-functioning autism bezeichnet, weil es sich im Prinzip um Autisten handelt, die aber trotzdem noch sehr gut "funktionieren" können, die relativ wenig auffallen. Nicht ganz so krass wie zum Beispiel Dustin Hoffman in Rain Man (1988), und bei dem kommt ja auch noch das Savant-Syndrom hinzu. Und genau so war es bei mir im Studium auch - klar war ich auffällig, aber irgendwie eher skurrill, und das ist bei Studenten der Klassischen Altertumskunde nicht ungewöhnlich, wir hatten da einige Autisten (die lateinische und griechische Sprache sind so herrlich beruhigend angenehm logisch).

Der wesentliche Unterschied zwischen damals und heute: Damals hatte ich einen festgeschriebenen Lebensplan. Erst Schule, dann Studium, so lange, wie es dauert, und dann an eine Schule, arbeiten, dann irgendwann Ruhestand, dann whatever. Mir war überhaupt nicht klar, dass ich nach dem Studium keine Stelle bekommen würde, nicht einmal im Ansatz. Auch wenn die Sannitanic mich vorsichtig zu warnen versucht hat - ich habe niemals damit gerechnet, alles war sicher, alles war absehbar, und so konnte ich gut funktionieren.

Seit sechs Jahren gehe ich von einer Schule an die nächste, und meine Welt bricht immer mehr zusammen. Immer mehr Unsicherheiten, immer mehr Unwägbarkeiten, ich kann auf nichts mehr bauen, auf nichts vertrauen, ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll. Tony Attwood nennt es stress. Und genau da liegt die crux: Unter Stress funktionieren Aspis überhaupt nicht mehr. Dann bricht ihnen der Boden unter den Füßen weg, und die Symptome des ganz klassischen Autismus können immer stärker hervortreten. Dadurch habe ich mir meine Jobchancen durch auffälliges Verhalten mehr und mehr versaut, im Prinzip ein Teufelskreis. Ich konnte ihn bis dato nicht benennen, hatte das Prinzip zwar im Kopf, aber Tony Attwoods fachliche Expertise hat mir gefehlt.

Jetzt weiß ich also endlich, warum ich in der Scheiße stecke, und das ist weder übertrieben noch dramatisch gemeint, sondern einfach sachlich betrachtet. Und jetzt wird mir das Ausmaß des Umstandes bewusst, dass ich ein Jahr länger an meiner Schule bleiben kann, denn vielleicht gibt mir das jetzt endlich wieder eine Möglichkeit, einen Lebensplan aufzubauen. Ein groß- wie auch kleinformatiges Skript zu entwerfen, an einer Schule zu arbeiten, an meiner Schule zu arbeiten, mit Tagesabläufen, in denen ich irgendwann dann auch endlich wieder spontan einem Treffen zusagen kann.

Ich hoffe es sehr.

Samstag, 20. Juni 2020

Unflexibel. Pedantisch. Arrogant. Klugscheißer.


Wen es interessiert, für den lohnt sich das Lesen über Aspis, Kapitel Cognitive Abilities:

"...has a disctinctive learning style, being talented in understanding the logical and physical world, noticing details and remembering and arranging facts in a systematic fashion (...), and when problem solving appears to have a "one-track mind" and a fear of failure.

...at least 75 per cent of children with Asperger's syndrome also have a profile of learning abilities indicative of an additional diagnosis of Attention Deficit Disorder. (...)

If the child is attending to an activity associated with his or her special interest, the level of attention can be excessive (...) [and it] can have difficulty "changing track" while engaged in a "train of thought". (...) The person with Asperger's syndrome usually has considerable problems switching to a new activity until there has been closure, i.e. the activity has been successfully completed. (...)

The psychological term "executive function" includes (...) inhibition and impulse control (...) time management and prioritizing (...) using new strategies. We now have considerable research evidence to confirm that some children, but more expecially adolescents and adults, with Asperger's syndrome have impaired executive function.

Impaired executive function can include a difficulty considering alternative problem-solving strategies. (...) can be represented by a train on a singular track. If it is the right track, the child will quickly arrive at the destination, the solution to the problem, [but they may be] the last to know if they are on the wrong track, or to recognize that there may be other tracks to the destination. Thus, there may be a problem with flexible thinking. (...) An adult [with AS] assumed that his solution was correct and did not need to be changed. His thoughts were "This is the right way to solve the problem, why isn't it working?", which caused considerable frustration. (...)

The person with Asperger's syndrome may also become distressed in situations at school that do not provide an opportunity for mental rehearsal or preparation for change. (...) 

Some adolescents with Asperger's syndrome can also have difficulty with abstract reasoning, prioritizing which task to concentrate on first, and time management, especially how long to spend on a designated activity. This can be exasperating for parents and teachers, who know that the child has the intellectual capacity to complete the work to a high standard, but impaired executive function will contribute to a delay in the submission of the work and therefore incur penalties. (...)

Some children and adolescents with Asperger's syndrome facilitate problem solving by having an external (rather than internal) conversation and, as they are thinking and problem solving, find that it helps to talk to themselves. (...)

Adults with Asperger's syndrome may be famous (or notorious) for being an iconoclast and rejecting popular beliefs and conventional wisdom. (...)

The learning profile of children and adults with Asperger's syndrome can include a tendency to focus on errors, a need to fix an irregularity and a desire to be a perfectionist (...) [This can lead] to their thinking being described as pedantic. Creative adults with Asperger's syndrome (...) often cannot cope with any deviation from their original design. (...)

I have noted that children, and sometimes adults, with Asperger's syndrome have a tendency to point out the errors of other people, being unaware that such a comment breaks the social conventions, and can be embarassing or offensive. Your status does not matter; the child with Asperger's syndrome will point out your mistake and think that you should be grateful to them for doing this. Teachers in particular do not like their mistakes being loudly announced to class. (...)

The difficulty for children with Asperger's syndrome who are able to solve complex mathematical problems can be explaining in words how they achieved the answer (...) "I can't do this orally, only headily." The child can provide the correct answer to a mathematical problem but not easily translate into speech the mental processes used to solve the problem. (...)

[The child] develops an apparently inflexible adherence to specific, non-functional routines or rituals. (...) Once a pattern has emerged it must be maintained. Unfortunately, the components of the anticipated sequence may increase over time. For example, the bedtime routine may have started with lining up only three toys, but becomes an elaborate ritual where dozens of toys have to be placed according to strict rules of order and symmetry. When a journey to a destination has followed the same route several times, there is the expectation that this must be the only route and no deviation is tolerated. (...) Set routines, times, particular routes and rituals all help to get order into an unbearably chaotic life."

(Attwood, Tony: The Complete Guide to Asperger's Syndrome, London 2007, S.240-255)


Danach folgen eine ganze Reihe Tipps für Lehrer hinsichtlich Lehrerausbildung, Unterrichtsmethoden, Hausaufgabentipps, alles sehr hilfreich und fängt ein wenig den eiskalten Schauer ab, der mir bei'm Lesen dieser Passagen über den Rücken gelaufen ist. Es ist genau, wie die große Buba es vermutet hat: Es ist gruselig, all' diese Parallelen schwarz auf weiß zu lesen. Als hätte der Autor Kameras in meinem Leben positioniert, und zwar mit Blickwinkeln und Eindrücken, die ich immer vor meinen Mitmenschen geheimzuhalten versucht habe, bzw. die mir nie bewusst waren. 

Ich habe bereits eine ganze Menge aus diesem Buch gelernt, und das letzte Drittel liegt noch vor mir. Es ist fast noch gruseliger - und noch befreiender - zu lesen als damals das Brackmann-Buch über Hochbegabung. 

Noch irgendwelche Zweifel? 

Dienstag, 19. Mai 2020

Vermisse ich Dich?

Vermisse ich ihn?

Die große Buba: "Es wird Zeit, dass Sommerferien sind, ich vermisse dich soooooooo sehr!"
Dr Hilarius: "Ich vermute, das klingt jetzt grausam, aber ich vermisse dich nicht."

Ich bin sehr gut erzogen worden und habe gelernt, Menschen Dinge zu sagen, die sie hören wollen. Wenn mir jemand sagt "Ich vermisse dich", dann antworte ich automatisch "Ich dich auch". Wenn meine Eltern mir sagen "Wir haben dich lieb", dann antworte ich "Ich euch auch". Das ist ein Automatismus - den ich dank der Nachricht von der großen Buba (oben) hinterfragen muss.

Sie hat mir also geschrieben, dass sie sich schon auf das Wiedersehen freut, und dass sie mich vermisst. Diesmal habe ich mich vor der Automatik-Antwort gefragt, ob das bei mir eigentlich auch so ist. Und die eiskalte Antwort lautet "Nein". Ich freue mich auf das Wiedersehen, definitiv, aber wenn DGB ein Jahr nicht mehr zu Besuch kommen könnte, würde mich das auch nicht stören. Ich vermisse sie nicht - ich vermisse überhaupt keine Menschen, glaube ich.

Ich habe sie dann gefragt, wie sich das denn anfühlen müsste, wenn man jemanden vermisst, und habe ihr gesagt, dass ich dieses Gefühl (trotz der Automatik-Antwort) eigentlich überhaupt nicht kenne. Sie hat dann ganz klug gefragt "Hast du nie dieses Gefühl, dass du einen Film unbedingt gern nochmal sehen würdest?" - und damit hat sie mich ertappt. Doch, das kenne ich. Wenn es nicht so wäre, hätte ich nicht zwei Filmtaschen hier herumstehen. Aber ist "Lust auf etwas haben" das Gleiche wie "Etwas vermissen"? Könnt Ihr mir das erklären?

Ich glaube, ich bleibe erstmal bei der Asperger-Theorie: Ich vermisse Dinge, keine Menschen. Das klingt vielleicht richtig grausam, aber es ist so: Meine Oma wird irgendwann sterben - und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich sie vermissen werde. Sonst würde ich sie doch auch öfters besucht haben - oder? Und dieses Bewusstsein tut ein bisschen weh. Vermisse ich die Sannitanic? Nein - es ist schön, dass wir uns schreiben können, aber ich habe nicht dieses "Oh, ich möchte sie gern mal wieder besuchen". Nicht böse sein, Du weißt mittlerweile, wie ich ticke. Und Du weißt, dass ich sehr glücklich bin, dass es Dich gibt.

Vermisse ich Flo? Nein... und trotzdem liebe ich ihn immer noch. Sehr komische Gemengelage. Ich freue mich riesig darauf, wenn wir uns einmal wiedersehen können - so wie ich mich auf die große Buba im Sommer freue. Aber vermissen? Wie fühlt sich so etwas an? Please tell me!

post scriptum: Papa, ich weiß, dass Du das hier liest - und ich habe mir überall in der Wohnung Zettel aufgehängt, damit ich es nicht vergesse - HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUM GEBURTSTAG! :-) Ich vergesse andauernd Geburtstage (wobei ich auch nicht ganz verstehe, warum man zu so etwas gratuliert), und immerhin habe ich auf diese Weise heute daran gedacht, und ich hoffe, Du hast Deinen Tag in vollen Zügen (und Bussen) genossen!

paulo post scriptum: Ich habe DGB falsch zitiert - sie hat das so nicht gesagt. Sie hat etwas Ähnliches gesagt, was in mir den Gedanken "Ich vermisse Dich nicht" geweckt hat. DrH, Du solltest ein bisschen besser recherchieren! ;-P

Donnerstag, 14. Mai 2020

Plus One

Maske mit Stil

Plus One ist der Name einer der neueren Episoden aus The X-Files; es geht darin um einen Doppelgänger, den man sieht, als Omen eines schlimmen Ereignisses. Spannende Folge, aber darum soll es heute nicht gehen.

+1 findet sich auch in diversen Videospielen wieder; meistens geht es dabei um Gegenstände, die man durch diverse Techniken verbessert hat, so dass sie effizienter sind, schärfer oder sonstwie das Original übertreffen, zum Beispiel "Eisenschwert +1". Die große Buba erinnert sich gerade an Dragon Quest XI, wo man bis +3 aufwerten konnte. Und in gewissem Sinne geht es heute genau darum.

Ich habe vor Kurzem über die Schutzmaske geschrieben, die ich mir im Zuge der Maskenpflicht aus einem Baumwolltuch improvisiert hatte. Butter bei die Fische: Der Stoff ist Jahrzehnte alt und so oft durchgekocht, dass er dünn wie Papier ist, und so grobmaschig, dass sich eine Tröpfcheninfektion damit nicht wirklich vermeiden lässt. Gleichzeitig ist mir bewusst geworden, dass sich die Maskenpflicht noch eine ganze Weile hinziehen kann, also sollte ich mir vielleicht einmal was Ernsthaftes und Sinnvolles suchen.

Es muss schon irgendwie zu meinem Outfit passen, war mein Grundgedanke, aber wo bekomme ich eine Schutzmaske in schwarz her? Die Sannitanic kann toll nähen, aber sie hat zwei Kinder und 'nen Arsch voll Arbeit, die werde ich damit ganz bestimmt nicht behelligen. Hey, neulich hat doch eine Kollegin angeboten, für unser Kollegium Schutzmasken zu nähen. Ob ich sie danach fragen kann? Ich würde ihr den Stoff und die Arbeitszeit bezahlen, ganz klar, denn ich hätte gern Schutzmasken, die zu mir passen.

Ein normaler Mensch denkt sich "Gute Idee, ich frag' sie direkt mal"; ein Aspi hat es da etwas schwerer: Menschen mit dem Asperger-Syndrom können erhebliche Probleme damit haben, in einer bestimmten Situation um Hilfe zu bitten, selbst wenn ein geeigneter Helfer direkt vor der Nase steht. Ich dachte früher, dass das was mit der Hochbegabung zu tun hat, aber jetzt bin ich dank Lektüre ein wenig schlauer.

Jedenfalls habe ich mir sehr lange den Kopf zerbrochen, ob ich die Kollegin wohl danach fragen sollte, und in einem irrwitzigen Moment habe ich sie einfach angeschrieben. Lange Geschichte kurz: Jetzt bin ich stolzer Besitzer einiger schwarzer Masken, und ganz besonders stolz bin ich auf die Maske im Bild oben: Schwarz, mit englischen Gedanken zu Rosen als Aufdruck. So toll! Vielen Dank, Tessa!

Ich gehe ja kaum aus dem Haus, brauche die Masken also nicht so oft, aber ich fühle mich wesentlich wohler mit den schwarzen Masken. Warum stehe ich mir nur so oft selbst im Weg? (rhetorische Frage, so langsam weiß ich es ja)

post scriptum: Ich werde langsam ein Fan des Konzeptes "Miniserie", Serien, die oft nur aus einer Staffel bestehen und eine zusammenhängende, abgeschlossene Geschichte erzählen. Ich werde darüber wohl einen Eintrag für den Blog schreiben, denn es gibt ein paar brilliante Beispiele dafür.