Dienstag, 30. April 2019

Freigeschaltet & Nachgemacht


Freigeschaltet

Heute habe ich eine Mail bekommen, dass es Neuigkeiten im pbOn gibt. Manche von Euch haben weniger, manche mehr leidvolle Erfahrungen gemacht mit diesem System, das dazu dienen soll, freie Lehrkräfte in Schleswig-Holstein auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Neunzehn befristete Arbeitsverträge bisher, das bedeutete auch neunzehnmal meine Bewerbungsmappe zu aktualisieren, mit überarbeitetem Lebenslauf und Bewerbungsschreiben. Man kann da Vieles falsch machen oder vergessen, aber dafür gibt es bunte Lichter - wie oben im Bild dargestellt. Solange eines der Lichter noch auf rot steht, sollte man seine Bewerbungsmappe nicht einreichen, denn dann fehlt etwas Wichtiges.

Aber selbst wenn alle Lampen grün leuchten und die Mappe zur Prüfung durch das MBK eingereicht wurde, kann es immer noch sein, dass irgendwo eine Zahl fehlt. Oder der Name falsch geschrieben ist. Ich wollte gerade schreiben Irgendwas ist immer!, aber diesmal - ich staune - war es anders. Das ist das erste Mal, dass ich nach Prüfung direkt grünes Licht bekommen habe. Meine Bewerbungsmappe ist jetzt freigeschaltet und kann von allen eingesehen werden, die es nötig haben.

Klar. Natürlich kann ich mich jetzt auch auf Stellenangebote bewerben (aber wie einst geschrieben: Damit habe ich bisher noch nie Erfolg gehabt) und in's Nachdenken kommen, falls nun ein Schulleiter einer anderen Schule mir ein Angebot ab Sommer macht. Aber ich habe genug davon. Ich möchte an meiner jetzigen Schule bleiben, und wenn das (vorübergehend) nicht klappen sollte, beziehe ich zur Überbrückung eben ALG1. Letzten Sommer, als ich die Zusage bekommen hatte, wurde endlich ein Weg für mich vorgeschlagen, den ich für gangbar halte. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht noch mehr Lehrerstellen zusammengestrichen werden. Ich wäre ja auch schon über eine Vertretung glücklich.

Nachgemacht

Inception (2010) ist ein gar nicht mal so schlechter Film von Christopher Nolan. Labyrinthartig, spannend und filmisch gut umgesetzt. Umso neugieriger war ich, herauszufinden, dass Nolan eine sehr deutliche Inspirationsquelle hatte, nämlich den Anime Paprika (2006). Da geht es darum, dass man in die Träume anderer Menschen einsteigen kann. Sound familiar? Die Parallelen sind unzählbar, bis hin zu einer Szene, die komplett kopiert worden ist - jene, in der Paprika im Original durch einen Hotelkorridor rennt, der nach links abknickt, so dass Paprika für einen Moment auf der Seitenwand des Flures läuft.

Natürlich erschaffen solche Parallelen dann auch Vergleiche. Beide Filme sind gut, keine Frage, aber während bei Nolans Film die Technologie in erster Linie benutzt wird, um Verbrechen zu begehen, geht es bei Paprika um weitaus größere Beweggründe; da wird der Einstieg in die Träume Anderer auch von philosophischer Seite betrachtet. Sehr nett!

Und dann gibt es da auch noch David Cronenbergs eXistenZ (1999), der sich ebenfalls um verschachtelte Realitäten dreht, aber wesentlich weniger bekannt ist. Dabei gibt es in jenem Film, genau wie bei Inception, am Ende ein Detail, das die aktuelle Realität infrage stellt: Bei Nolan ist es ein Kreisel, der nicht mehr aufhört, sich zu drehen, und bei Cronenberg ist es eine Warteschleife, die in der realen Welt nicht existieren sollte.

Geht mir ja auch gar nicht um besser oder schlechter. Aber vielleicht konnte ich dem einen oder anderen Leser damit einen kleinen Filmtipp geben. Kommt gut in den Mai!

Samstag, 27. April 2019

Seiner Zeit voraus

Zuviel Glotze?

"Science Fiction-Filme sind ihrer Zeit weit voraus", könnte man sagen und hat damit Recht. Ist ja auch logisch, sie zeigen uns Situationen und Dinge, die es (noch) nicht gibt. Allerdings gibt es im Englischen ein schönes Attribut für Filme, die tatsächlich die Zukunft (bzw. einige Konzepte) abbilden: prescient - die Altphilologen wissen natürlich, dass das etwas mit "vorausahnen, vorherwissen" zu tun hat.

Einer dieser Filme ist Videodrome (1983). Er war damals sehr, sehr seltsam - und ist es immer noch - aber hat einige Entwicklungen des digitalen Zeitalters vorausgeahnt. Da kam mir bei'm Ansehen doch gleich die Idee, eine Unterrichtseinheit dazu zu entwerfen, denn ich werde immer wieder mit dem Themenkorridor Science & Technology in den Abschlussprüfungen konfrontiert werden. Und der Film bietet reichlich Diskussionspotential, stellt viele Fragen, über die man sich mit seinem Sitznachbarn nach dem Film unterhalten kann.

Dann wird mir allerdings bewusst, dass der Film damals nicht ganz ohne Grund in Deutschland auf dem Index gelandet ist (aber seit zweitausendachtzehn ab sechzehn freigegeben). Ein Name: David Cronenberg. Der Mann, der Jeff Goldblums Verwandlung in eine Fliege verfilmt hat und für explodierende Köpfe berüchtigt wurde. In Videodrome taucht davon nicht allzuviel auf, eigentlich gibt es nur eine sehr explizite Szene am Ende des Films. Meiner Meinung nach sind es aber die Ideen des Films, die ihn ungeeignet für Jugendliche machen, denen noch ein bisschen Lebenserfahrung fehlt, um den Plot dahinter zu verstehen.

Ganz kurz nur die Handlung: Max Renn sucht nach Videos für seinen Sender, die Zuschauer anlocken. Er weiß, dass Sex und Gewalt immer gehen (hat sich bis heute nicht geändert), und mithilfe eines Mitarbeiters gelingt es ihm, einen speziellen Sender anzuzapfen: Dort werden Snuff-Videos ausgestrahlt (das sind Filme, in denen Menschen gefoltert und getötet werden, meist ohne Handlung, möglichst real), und Max zeigt sich zusammen mit Radio DJane Nikki (Blondies Debbie Harry) von diesen Filmen fasziniert; so etwas müsste doch sicherlich die Zuschauernische anlocken, die es etwas härter braucht. Der Name des Senders - Videodrome.

Eigentlich läuft alles gut, doch Max beginnt nach und nach zu halluzinieren, selbst Gewalt auszuüben und Teil der Videodrome-Show zu sein, und als Nikki dann zu einem Vorstellungsgespräch mit den Machern von Videodrome reist, verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Illusion radikal.

Ach herrje. Wenn ich das so lese, fällt mir auf, wie trashig das klingt. Ganz klar: Wer diesen Film sehen möchte, und das volle Diskussionspotential erleben möchte, muss sich mit einem offenen Geist auf die ungewöhnlichen Bilder einlassen und beim Zuschauen glauben, dass ein Projekt wie Videodrome durchaus möglich wäre. Denn dann öffnen sich ganz neue Denkpforten.

Spoilerwarnung!

Videodrome wurde ursprünglich konzipiert, um den Menschen nach dem Tod eine Möglichkeit zu geben, weiterzuleben, indem sie Teil der Sendung werden. Dann haben aber zwei der Entwickler das Potential entdeckt, mit Videodrome die Gedanken der Menschen zu kontrollieren - das macht Videodrome schließlich zu einem Politikum.

Entwarnung!

Videodrome hat die Entwicklungen der transhumanistischen Technologien vorausgeahnt: Wie können wir über unseren fleischlichen Körper hinaus weiterexistieren? Heutzutage nennt man so etwas nicht mehr Videodrome, sondern Mind Uploading. Das ist natürlich nur eine Theorie - dass man sein Bewusstsein in eine Art virtuelle Realität hochladen kann, um den Tod zu überdauern - aber es gibt viele Menschen, die genau in diese Richtung forschen, und es gibt viele Filme, die sich damit beschäftigen - Source Code, Transcendence, die Matrix-Reihe...

Cronenberg hat das alles ein wenig vorhergeahnt; genau das macht seinen Film zu einem Faszinosum. Andere Fragen, die der Film anspricht, sind Gedankenkontrolle und die Sehnsucht des Menschen nach Gewalt und Sex sowie die Einflussnahme auf Menschen durch das Fernsehen. Wenn man es schafft, sich dem Film so weit zu öffnen, dass der Gedanke nicht mehr schwachsinnig ist, dass jemand eine Videokassette in Deinen Bauch schiebt, um Dich unter Kontrolle zu bringen, dann hat man sehr surreale neunzig Minuten Unterhaltung. Der Kritikerkonsens auf rottentomatoes.com besagt:

Visually audacious, disorienting and just plain weird, Videodrome's musings on technology, entertainment and politics still feel fresh today.

Irgendwas muss der Film ja an sich haben, sonst würde ich ihn mir nicht als physical release zuschicken lassen. Aber schulischer Gebrauch? Ich denke nicht.

Freitag, 26. April 2019

Rosa Taxi, blaue Palme


vorweg: Vokabelabfrage - L:"Number One - to dislike" - S:"Wie, da gibt es ein deutsches Wort für?" - long live the digital natives!

Die erste Schulwoche ist um, und langsam setzen sich die vielen Gedanken - und hinterlassen einen positiven Nachgeschmack. Mir ist deutlich bewusst geworden, wie negativ ich mich hier in letzter Zeit bezüglich meiner Jobchancen ausgedrückt habe; jetzt wird es Zeit für Optimismus. Ich würde sehr gern an meiner Schule bleiben, denn ich gewöhne mich langsam daran.

So sehe ich immer wieder auf den Straßen Richtung Plön ein rosafarbenes Taxi - sowas fällt natürlich auf, und mittlerweile weiß ich, dass das rosa Taxi bei jeder Fahrt einen Euro für krebskranke Kinder spendet. Mir geht immer wieder ein Lächeln über das Gesicht, wenn ich dieses Taxi entdecke. Ebenso gewöhne ich mich an eine fest installierte Blitzerstation auf der B76. Eine große blaue Säule, und ich habe keine Ahnung, warum, aber mir ist die Assoziation blaue Palme durch den Kopf geschossen.

Natürlich ändert jene feste Kontrollanlage nichts an dem Umstand, dass etwa sechzig Prozent der Autofahrer auf dem jüngst auf fünfzig km/h runtergebremsten Theodor-Heuss-Ring zu schnell fahren. Aber über sowas habe ich schon geschrieben, unwichtig. Der Umstand, das ich mich an diese Farben gewöhne, und dass ich mich langsam sogar gut fühle, deutet an, dass ich endlich ein Ziel erreicht haben könnte. Drückt mir die Daumen, dass mein Arbeitsvertrag irgendwie verlängert werden kann, denn mittlerweile will ich das wirklich!


post scriptum: Wie gut, dass unser Bildungsministerium seiner Vorbildfunktion gerecht wird und ausschließlich fehlerfreie Materialien an die Schulen sendet. Es wäre sehr peinlich, wenn dort grobe Schnitzer unterliefen, wo doch von uns Lehrkräften erwartet wird, perfekte Prüfungsvorschläge einzureichen.

paulo post scriptum: Heute gab es einen abgefahrenen Film, der mir aber gerade so viel Diskussionspotential bietet, dass ich ihn nicht in einem unauffälligen PS erwähne; ich denke, er verdient seinen eigenen Eintrag.

Montag, 22. April 2019

Rücksturz in die Realität

Kopf - manchmal wäre es ohne einfacher...

Ich hatte zu Beginn der Ferien darüber geschrieben, dass jeder von uns wohl mit ganz unterschiedlichen Gefühlen in die Osterferien startet; einige - wohl sehr viele - waren froh, dass endlich die Ferien erreicht sind, sowohl Schüler als auch Kollegen. Andere Schüler wiederum, und andere Kollegen, haben sich irgendwann in der freien Zeit dann mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass nach den Ferien ein harter Brocken Arbeit ansteht: Abschlussprüfungen.

Ich hoffe, dass niemandem dieser Umstand die Ferien madig gemacht hat. Und dann gibt es natürlich auch noch ein Gefühl von Unsicherheit, mit dem ich die Osterferien jetzt seit sechs Jahren erlebe: Die Unsicherheit, ob ich nach den Sommerferien einen Job haben werde oder nicht, jeweils mit dem Bewusstsein, dass es eine hohe Chance gibt, dass dem nicht so ist. Dieser Realismus hat sich von Jahr zu Jahr mehr eingeschlichen; damals dachte ich noch, dass sich "alles irgendwie regeln wird" - mittlerweile weiß ich, dass es nicht so ist.

Und dieser Umstand hat mir (auch die diesjährigen) Osterferien so ziemlich versaut. Und ich hoffe, dass morgen kein Kollege fragt: "Na, hattest du schöne freie Tage?" - denn dann wäre die einzige Antwort, mit der ich leben kann: "Jemand hat mal gesagt, wenn du nichts Gutes zu sagen hast, dann sag' am besten gar nichts."

Dabei gab es auch eine gute Sache, und das waren meine beiden besten Freundinnen. Sie erinnern mich daran, dass ich nicht ganz so nutzlos bin, wie es mir das Land Schleswig-Hostein jetzt fast vier Handvoll-mal zu verstehen gegeben hat. Und so konnte ich zwischen dem zweiten und dem zweitletzten Ferientag den ganzen Frust wegschieben. Und nun schauen wir mal, was wird.

Eine Sache ist unglaublich wichtig, und die habe ich der großen Buba in Erinnerung zu rufen versucht: Unsere Schüler werden uns in der ersten Woche direkt wieder daran erinnern, warum wir diesen Job machen und warum wir ihn gern machen. Das hat in den letzten Jahren immer wieder geklappt, und es wird auch jetzt klappen. Und es ist ein tolles Gefühl, von seinen "Klienten" so viel Positives zurück zu bekommen.

Ich gehe einfach mal davon aus, dass es bei Euch ein bisschen besser verlaufen ist ;-) Und falls nicht: Es gibt immer auch etwas Positives in der Situation zu sehen - nehmt es als Herausforderung, das zu finden!

Samstag, 20. April 2019

Ein Aha-Moment


Ich habe über dieses Thema schon einmal geschrieben, mehrfach sogar, aber ich tue es trotzdem wieder, weil es gerade aktuell ist und weil ich die Gelegenheit nutzen sollte, auch einmal Positives über die Hochbegabung loszuwerden - die meiste Zeit berichte ich ja nur von Problemen, die ich damit habe. Es kann durchaus nützlich sein, dass das Gehirn sich Unmengen merken kann, unabhängig von Wichtigkeit. Dann hat man da irgendwo tief vergrabene Informationen, auf die man plötzlich zugreifen kann, und dieser Aha-Moment schickt ein Lächeln über mein Gesicht.

Heute war es mal wieder Zeit für einen Film aus der science fiction. Ich wollte herausfinden, warum Roger Ebert den Film Silent Running (1971) mit vier von vier Sternen bewertet hat. Ganz habe ich es nicht herausfinden können, aber interessant ist der Film auf jeden Fall, gerade in der heutigen Zeit mit seiner ökologischen Botschaft. Leider hatte Amazon prime den Streifen nur mit deutscher Tonspur parat, aber man kann eben nicht alles haben, und so habe ich ihn mir auf deutsch angeschaut.

Der Protagonist überlegt in einer Szene, wie er seine Wälder retten kann, die in einer Raumstation bewahrt werden sollten (da auf der Erde nichts mehr wächst); der Befehl lautet, aus irgendeinem Grund zur Erde zurückzukehren und die Glaskuppeln mit ihrem Naturleben darunter in einer Nuklearexplosion zu zerstören. Diesem Befehl will unser Mann nicht nachkommen, denn er hat die Naturlandschaften lange Zeit gepflegt. "Was wird aus den Wäldern?" fragt er seine Kollegen, die ihn dazu drängen, endlich den Befehl zu befolgen.

Und da ist der Aha-Moment: "Was wird aus den Wäldern?", ich vermute mal ganz stark, dass es im englischen Originalton lautet: "What about the forests?" - und diese Frage kenne ich seit vielen Jahren; genauer gesagt seit dem Zeitpunkt, als ich zum ersten Mal den Song Photosynthesis der Carbon Based Lifeforms gehört habe. Ein großartiger Downtempo-Song, in dem als Sprachsample immer wieder "What about the forests? - No." auftaucht. So prägnant, dass ich das im Gehirn abgespeichert habe.

Und dann heute herauszufinden, dass das vermutlich aus dem Film Silent Running stammt, war ein schönes Gefühl, und es passt auch noch so gut - CBL-Musik ist atmosphärisch immer an SciFi orientiert. Passt also alles, der HB ist glücklich. Ich glaube, die große Buba kennt das Gefühl auch, wenn sie nämlich mit ihrem gedanklichen Webstuhl neue passende Verknüpfungen herstellen kann.

Nice.


Freitag, 19. April 2019

Reiche alte weiße Männer


Da ich nicht wirklich versiert in der Politik und Wirtschaft bin, tue ich mich mit diesem Beitrag etwas schwer, aber irgendwie fällt mir immer öfter auf, wie sehr wir von reichen alten weißen Männern gemanaged werden. Natürlich ist das weithin bekannt - Frauen in Führungspositionen tauchen quasi nicht auf, sind schlechter bezahlt, und multikulturelle Leitungsetagen sind eine Illusion.

Mir fällt das momentan wieder auf, weil die Staatsanwaltschaft endlich eine deutsche Anklage gegen Martin Winterkorn erhoben hat. VWs Dieselgate, Ihr kennt die Geschichte. Und wenn ich mich darüber weiter belese, wird mir immer bewusster, wie dickschwartig diese reichen alten weißen Männer sein können. Nichts zugeben, und wenn doch, dann duckmäuserig klingen, aber keine Taten folgen lassen, wie eben im Fall des Autoherstellers. Winterkorns Rücktritt 2015 ist ein Tropfen auf das heiße Bein, gerade wenn man bedenkt, dass er über die Firmengründung mit seiner Frau einen großen Teil seines Vermögens auf ihr Geschäft übertragen hat.

Ich finde es zum Kotzen, wie einfach es zu sein scheint, sich der Justiz zu entziehen, wenn man ein reicher weißer alter Mann ist. Man hat genügend Kapital, um ein Heer von Anwälten zu beschäftigen, man hat Büros, die irgendwo da oben jenseits jeglicher Sichtbarkeit liegen, kann sich in allem, zB dem Transport, von den restlichen neunzig Prozent der Gesellschaft abgrenzen.

Klar, nicht alle reichen alten weißen Männer sind ganz so schlimm. Obwohl der amerikanische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders kürzlich als Millionär geoutet wurde, bringt er sich weiter im Kampf gegen diese Schicht ein, von der er ein Teil zu sein scheint. Er ist populär bei der Jugend, wird von den anderen reichen alten weißen Männern gehasst, und allein wenn ich ein Bild von Sanders mit einem Bild von Winterkorn vergleiche, wandert mein rückwärts hochgearbeitetes Abendessen immer wieder auf den Geldsack, der den VW-Skandal immer noch kleinzureden versucht, während Millionen Kunden auf den Schäden sitzen bleiben und Tausende Jobs eingestampft werden.

Aber wer sagt schon, es gebe Gerechtigkeit auf der Welt.

Und vielleicht ist das auch besser so.

post scriptum: Durch Gespräche mit einem Geschäftsführer habe ich gelernt, dass oft ein erheblicher Arbeitsaufwand mit dem Wohlstand zusammenhängt - ich will das auch gar nicht kleinreden. Was mich ärgert, ist der Unwillen, Verantwortung zu übernehmen, wenn man Scheiße gebaut hat.

Mittwoch, 17. April 2019

+ / -

Ordnung tut gut

Ich hatte vor einiger Zeit mal darüber geschrieben, dass ich es mag, wenn Dinge sortiert sind, bzw. allgemein einer bestimmten Ordnung unterliegen. Ich hatte das damals als Milkaherzen-Muster-Mysterium (MMM) bezeichnet, als Anspielung darauf, dass ich aus einer Schachtel Milkaherzen die einzelnen Pralinen nach einem ganz bestimmten Muster heraus nehme.

Die Sannitanic hat mich darauf hingewiesen, dass nicht nur Hochbegabte das MMM kennen. Und es gibt noch weitere Instanzen, in denen ich mich ruhiger fühle, wenn bestimmte Ordnungen eingehalten werden. Die Lautstärke meiner Anlage sollte möglichst gerade sein - Lautstärke Sieben macht mich unruhig. Das ist ziemlich bescheuert, aber ich bin damit nicht allein.

Heute ist ein neues Objekt zum Ordnen hinzugekommen; bisher hatte ich die Batterien, die ich brauche, in einem kleinen Hängeregal in der Abstellkammer aufbewahrt. Eine Schublade für AA/AAA (die Buba kichert) und eine Schublade für Knopfzellen und die etwas größeren Blockbatterien. Hat auch problemlos geklappt, es war nur nicht allzu viel Platz für Ersatzbatterien dort. Und ich merke, dass meine Wohnung tatsächlich durchbatterisiert ist: Fernbedienung TV, Fernbedienung Heimkino, Fernbedienung Amazon fireTV-Box, Fernbedienung Beleuchtung, Wecker hier, Wecker da, Küchentimer, Rasierer, Taschenlampe und und und...

Und dann bin ich über den Kasten oben im Bild gestolpert. Ein hardcase mit einem Schaumstoffblock drin, in den ich alle Batterien übersichtlich einsortieren konnte - und ein Batterietester hat mir sowieso noch gefehlt: Wenn eine Fernbedienung nicht funktioniert hat, neige ich immer noch zum Klischee-Fester-Drücken, vielleicht geht es dann ja.

Das ist eigentlich volkommen überflüssig, denn in den letzten fünf Jahren habe ich auch ohne Tasche gut gelebt. Aber es ist tatsächlich wieder so: Die Ordnung, die in der Tasche herrscht, tut mir gut. So haben wir eben unsere Ticks.

Samstag, 13. April 2019

Kontrollverlust

Eine wunderbare Illusion

"I like to play the audience like a piano."

Diesen Satz soll Alfred Hitchcock einmal gesagt haben, und ich finde ihn großartig. Hitch wusste genau, mit welchen Blickwinkeln, Schnitten und Einstellungen er welche Reaktion bei dem Publikum erzeugen konnte. Und er hatte ja Recht: Auch Jahrzehnte später schaffen seine Filme es immer noch, mich als Zuschauer zu verwirren, mitzunehmen, immer wieder ist es für mich faszinierend, wie der Plot im Film North by Northwest (1959) vorangetrieben wird, ohne dass ich es bewusst mitbekomme.

Ich frage mich, ob das eine Eigenart von Hochbegabten ist: Alles unter Kontrolle haben wollen, um sicher sein zu können, was passiert, und nicht von Unvorhergesehenem aus der Bahn gebracht zu werden. Als ich Mitglied der Saturnalien war, war es für mich sehr wichtig, den Ablauf der Theateraufführung immer unter Kontrolle zu haben; das hat mir nicht gerade Begeisterung der anderen Teilnehmer eingebracht. Erst bei meiner letzten Aufführung Zweitausendelf habe ich es geschafft, die Anderen machen zu lassen.

Kennt Ihr das Gefühl?

Wenigstens habe ich gelernt, dass es auch mal ganz entspannend, bzw. bereichernd sein kann, wenn jemand Anderes die Zügel in der Hand hält. Jemandem zu vertrauen, dass er das Richtige tut - so geht es mir in Hitchcocks Filmen, oder auch in Vergnügungsparks: In Kings Island gibt es eine Dunkelachterbahn namens Flight of Fear. Von außen sieht man nichts, nur einen mittelgroßen Hangar einer Militärbasis, den man betritt. Das ist der Punkt, an dem ich die Kontrolle abgebe; ich lasse mich in eine andere Welt entführen, und das ist toll. Als ich im Inneren des Hangar angekommen war, stand dort ein UFO, und die Warteschlange führte am einen Ende hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus, dann wahrscheinlich zum Bahnhof.

Ich konnte mich in diesem Hangar gar nicht sattsehen, über Fernseher liefen mock documentaries über eventuelles Leben im Weltall, und nach und nach bin ich immer näher an den Einstieg des UFOs gekommen. Dann eine Treppe hinauf, und in dem Raumschiff einmal rundherum - und dann müsste es wieder nach draußen gehen. Dachte ich - aber ich trat durch die nächste Tür, immer noch in diesem Raumschiff, und plötzlich war da vor mir die Achterbahn-Station! What the...?! Nachdenken unmöglich, denn ich konnte sehen, wie vor mir ein voller Zug in die Finsternis rauschte - und leer wieder im Bahnhof ankam! Aufregung, Verwirrung, und ich habe es genossen, es war ein absolut tolles Erlebnis.

Mittlerweile weiß ich, dass der Hangar nur zur Hälfte existierte; die eine riesige Wand war komplett verspiegelt und lief mitten durch das Raumschiff, so dass man denken konnte, dass man aus dem Raumschiff wieder hinaustritt. Stattdessen befindet sich hinter dieser Spiegelwand der Bahnhof. Großartig! Man nennt sowas wohl misdirection in der Illusionistenszene, ich werde manipuliert und komplett an der Nase herumgeführt - und wenn das zu so einem tollen Erlebnis führen kann, finde ich den Kontrollverlust wunderbar.

Ich bin darauf gekommen, weil ich heute Now You See Me (2013) gesehen habe, in dem es um genau jene Illusionistenszene geht. Manchmal ist es wirklich schön, nicht total abgebrüht in so ein Erlebnis zu gehen.

Freitag, 12. April 2019

Creepy Cripy Chicken

Damals in den Kronshagener Bergen...

Es gibt Tippfehler, die vergisst man sein Leben lang nicht mehr - wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich "man" schreiben sollte, aber vielleicht geht es Euch ja auch so. In dem Fall seid Ihr herzlich eingeladen, in den Kommentaren auf eigene Erfahrungen zu verweisen!

Damals im Studium... ohkott bin ich alt ...sind YazzTazz und ich gern mal abends nach einem stressigen Unitag zum Abschalten zu Burger King gegangen. Das hat sich angeboten, weil es für uns beide ziemlich auf halber Strecke zum jeweils Anderen lag, nur fünf Minuten zu Fuß, und weil es immer Gutscheine gab, die man sich im Internet ausdrucken konnte. Wir waren Studenten, da nutzt man gern Chancen zum Einsparen aus. Aber BK musste es sein, auch weil da hin und wieder ein muskulöser junger Mann an der Kasse stand. Was für ein Anlass, noch gaaaaaaaanz lange zu überlegen, was man nimmt - auch wenn es dann meistens auf ein "Das hier mit Pommes und Cola" hinausgelaufen ist und ich einfach meinen Gutschein rübergeschoben hatte.

Aber es gab ja auch von den Sitzplätzen aus genügend zu sehen, und wenn nicht sexy Burgerbrater, dann eben MTV aus den Fernsehern. Diese Dates hatten eine gewisse Tradition für uns, und ich habe sie echt genossen, auch weil YazzTazz so herrlich durchgeknallt war - hey, sie hat in indischem Gewand eine Hochzeitsrede für mich und den Drachen gehalten, sonst noch Fragen?

YazzTazz hat gern den Gutschein genommen, in dem es um den Crispy Chicken ging, Inhalt des Burgers erklärt sich von selbst. Eines Tages hat sich allerdings ein Tippfehler auf den Gutschein geschlichen, und so stand da Cripy Chicken Sparmenü, und auch wenn das jetzt nicht so der Brüller sein mag, habe ich das mittlerweile über zehn Jahre im Kopf behalten.

Irgendwie ist es doch faszinierend, was im Gehirn so alles abgeht. Was es sich merkt, und was nicht. Was es wahrnimmt, und was nicht. Was es für wichtig erachtet - und was nicht.

post scriptum: What the...?! Wenn ich bei Google Bildersuche nach "Cripy" suche , werden mir unzählige Bilder von Marihuana angezeigt. Alles klar, das erklärt dann, warum wir an dem Cripy-Chicken-Abend so viel Spaß hatten... ^^

Dienstag, 9. April 2019

Elektrisierend

Eine tolle Tanztruppe!

In gewisser Weise trägt die Sannitanic Schuld daran, dass ich heute ein irres Erlebnis hatte. Sie hat mir vor ein paar Tagen unter dem Beitrag zum neuen Suspiria erklärt, dass Französisch Fachsprache beim Tanzen ist. Ich hatte mich nämlich ein bisschen gewundert, warum in dem Film neben Deutsch und Englisch auch Französisch auftaucht. Irgendwie scheinen die Franzosen es also mit dem Tanzen zu haben, und das hat mir mein heutiger Film bestätigt. Die Sannitanic hat mir indirekt den Denkanstoß gegeben, den Film Climax (2018) von Gaspar Noé anzuschauen.

Der steht schon etwas länger auf meiner "To Do-Liste für Filme", war aber bisher noch nicht bei Amazon prime verfügbar. Ich hatte mir den Film aufgeschrieben, weil ich einen früheren Film von Noé gesehen habe und feststellen durfte, dass das ein echtes Erlebnis war. Mir war Enter the Void (2008) zwar eine Stunde zu lang, aber es ist faszinierend, wie der Regisseur mit Farben, Formen, Neonlicht und Blickwinkeln arbeitet. Das ist ein Regisseur, der sich was traut, und das führt nicht immer nur zu guten Ergebnissen.

Zumindest ist das meine bisherige Erfahrung: Experimentalfilme können hit or miss sein, entweder treffen sie genau meinen Geschmack und ich finde sie toll, oder ich finde sie scheiße. Also mal wieder polarisierend. Weil ich aber das visuelle Design von Enter the Void toll fand, habe ich mich an diesen Experimental-Tanz-Horrorfilm gewagt. Mittlerweile ist er für mich verfügbar gewesen, und ich bin nicht enttäuscht worden. Climax finde ich richtig gut, eben weil er so unkonventionell ist.

Ein Plot existiert nicht. Oder, um genauer zu sein, der Plot dient als Aufhänger für abgefahrene Szenen auf einer Party. Und mir wird gerade bewusst, wenn ich hier etwas über den Inhalt schreibe, wird das extrem flach klingen - weil es extrem flach ist, die Dialoge sind banal bis infantil, die Charaktere... ja. Zum Glück war ich "vorgewarnt" und wusste, dass ich mich auf einen Noé-Film einlassen muss.

Er beginnt mit einer Vogelperspektive von Schnee. Bellen ist zu hören, eine Frau kriecht durch den Schnee und schreit, beim Wälzen im Schnee hinterlässt sie Blutspuren. Die Kamera wabert fort, zeigt uns einen Baum von oben und dann wird eine Texttafel eingeblendet - "Der Film, den sie soeben sahen, ...", gefolgt von den End-Credits. Großartig, wenn auch nicht originell, es scheint in Mode zu sein, einen Film mit der Schlussszene beginnen zu lassen. Und dann Bildwechsel, wir sehen einen Fernseher, auf dem Vorstellungsgespräche laufen.

Diese Fernseher-Szene fand ich toll, weil links neben dem Gerät Bücher aufgestapelt sind, und rechts daneben VHS-Kassetten. Unter anderem der Film Suspiria und Luis Bunuels Un Chien Andalou. Wer Filme liebt, kennt den andalusischen Hund natürlich und versteht das ganz als eine nette Anspielung für Filmliebhaber - genau wie die Bücher auf der linken Seite, von denen eines den Titel Fritz Lang trägt. Langs Metropolis (1927) war einer der ersten Science-Fiction-Filme überhaupt. Man merkt, dass Gaspar Noé das Filmemachen liebt.

Es stellen sich junge Tänzer vor, und wir erfahren, dass es um eine Choreographie geht, die mit einer Tournee in den USA verbunden ist (der Film spielt in Paris). Die Tänzer sind "echte" Tänzer, keine Schauspieler, und das lässt das Ganze etwas authentischer wirken. Und nach diesen kurzen Gesprächen beginnt die Generalprobe, die Kamera wechselt in eine Lagerhalle und wir bekommen eine "echte" Tanzszene zu sehen.

Wenn man bei Mainstream-Filmen hinschaut, bemerkt man, das Tanzszenen dort eigentlich immer zusammengeschnitten sind - damit keine Fehler auftauchen, oder auch aus dramatischen Beweggründen: ein Closeup tanzender Schuhe bringt etwas mehr Schwung in die Sache. Noé macht es anders, er zeigt die komplette Choreographie in einem ungebrochenen long take. Keine Schnitte, sondern alles in Echtzeit, und die Tanzszene war für mich so elektrisierend, dass mir in dem Moment klar war, dass ich sie mir nach dem Film noch einmal würde anschauen wollen.

Das sind bemerkenswerte Tänzer, die in einem Mordstempo mit ihren Körpern alles Mögliche anstellen können. Unglaublich viel zu sehen, wow, und bei etwa fünfzehn Minuten Minuten ab Start des Films ist die Probe dann zu Ende. Verdientermaßen nutzen die etwa zwanzig Tänzer die Gelegenheit, um das zu feiern. Was mir besonders gut gefallen hat: Die Tanztruppe ist divers, multikulti, es sind Schwule dabei und auch Lesben, klasse, das nenne ich Integration!

Irgendwann nach etwa fünfundvierzig Minuten werden die opening credits eingeblendet. Typisch Noé, und das ist hier auch ganz sinnvoll, denn ab diesem Zeitpunkt wird das ausgelassene Feiern der Tänzer etwas unbequemer - sie fühlen sich nicht mehr so gut und bekommen den Verdacht, dass ihnen jemand etwas in die Bowle gemischt hat. So ist es auch, und die zweite Hälfte des Films besteht aus dem graduellen Abstieg in einen Horrortrip, der sich gewaschen hat. Noé nutzt hierbei die subjektive Kamera, indem wir wie einer der Partygäste durch die Gänge des Gebäudes laufen, die letzten Szenen sind dann überkopf gefilmt.

Was ich bemerkenswert finde: Der Horrortrip ist ein einziger long take, keine Schnitte, keine versteckten Schnitte wie bei Birdman, sondern zweiundvierzig Minuten Abstieg in den Wahnsinn, ungekürzt. Keine Sorge, hier wird nicht herumgesplattert. In dieser Phase können wir in besonderem Maße genießen, wie Noé Gebrauch macht von farbiger Beleuchtung, in rot, grün und blau, das weckt Erinnerungen an Argentos Suspiria (1977).

Ich muss Schluss machen. Mein Fazit? Climax ist ein wunderbarer Film, wenn man sich darauf einlassen kann. Die Tanzszenen sind beeindruckend, und die Kameraarbeit ist aufregend. Es ist kein Film im klassischen Sinne, sondern eher ein Erlebnis - deswegen auch unedingt den Surround-Sound genießen! Ich werde ihn mir nachher wohl noch einmal mit der Original-Tonspur anschauen.

Sex, Drugs and Violence. Das kann schiefgehen (wie bei Nicolas Winding Refns Only God Forgives) oder funktionieren. Hier klappt es.

Montag, 8. April 2019

Männer und Autos


Was ist das nur mit Männern und ihren Autos? Es gab zwei Denkanstöße, die mich auf dieses Thema gebracht haben - so hat die große Buba berichtet, dass Er unlängst ihr gegenüber am Bahnhof stand. Ich hatte mich gefragt, was Er wohl am Bahnhof macht, und dann ist mir eingefallen, dass Er schon vor ein paar Jahren darüber nachgedacht hat, seinen BMW zu verkaufen. Das waren keine einfachen Gedanken, denn Er hat den Wagen richtig liebgewonnen, daran rumgeschraubt und geklebt, ich habe auch mal dringesessen. Ich fand es toll, wie Er sich für sein Auto begeistern konnte.

Der zweite Denkanstoß ist leider nicht mehr ganz so fröhlich; es ist der Fall der Kudamm-Raser, der wieder aufgerollt wird: Zwei junge Männer waren vor einiger Zeit nachts ein Rennen auf dem Berliner Kudamm gefahren, mit bis zu hundertsiebzig km/h - was nicht ganz so schlimm wäre, wenn dabei nicht ein dritter Fahrer in seinem Auto um's Leben gekommen wäre. Interessant die Aussagen der jungen Raser, die ihre Autos natürlich auch liebten, aufgemotzt hatten und sich hinter dem Steuer für die perfekten Fahrer hielten (die Anklage bleibt Mord). Leichtsinn und Dummheit, Männer und Autos.

Natürlich ist das ein heteronormatives Klischee - Jungs spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen - aber es scheint ja etwas daran zu sein. Der Großteil an Autounfällen wird von Männern verursacht, die sich überschätzen. Ich frage mich, was am Autofahren so "männlich" ist. Das Gefühl, eine große, schwere Karre unter Kontrolle zu haben? Der Wunsch nach Aufmerksamkeit, die anders nicht zu bekommen ist? Eigene Schwächen ausgleichen? Selbstwertgefühl steigern?

Irgendwann werde ich ja einen unbefristeten Job haben (schweig' Stulle, ich sage das zu Argumentationszwecken), und ich möchte dann auch gern ein auffälliges Auto haben. Allerdings kommen für mich - scheinbar aus Prinzip? - BMW, Mercedes und Audi nicht in Frage. Ich hoffe nur, wenn ich dann irgendwann mal mein eigenes Auto habe, dass ich dann nicht auch so werde...

Sonntag, 7. April 2019

Schwule Internet-Pioniere

Schwule Kommunikation hat mehr zur Entwicklung des Internet beigetragen, als man vielleicht denkt...

Noch immer sind die Tanzbilder vom gestrigen Film in meinem Kopf; ich versuche langsam, sie beiseite zu schieben, denn heute geht es um eine kleine Anekdote aus meinem Studium, in der es um eine kleine Anekdote aus den Anfängen des Internet geht. Vorweg sei gesagt, dass ich nicht mehr die Quellen kenne, aus denen ich das entnommen habe, denn das waren Inhalte meiner mündlichen Examensprüfung in Pädagogik, und die liegt mittlerweile acht Jahre zurück. Ganz falsch kann das aber nicht gewesen sein, denn die Prüfung ist relativ gut gelaufen und somit hatte ich keinen Anlass, diese Erinnerung aus meinem Kopf zu streichen (wie zum Beispiel bei der katastrophalen Englischprüfung).

Eines meiner Prüfungsthemen bei Frau Allert (Medienpädagogik, CAU) drehte sich dabei um Identitätskonstruktionen auf Social Networking Sites (SNS). Die Konstruktion von Realität und Identität hat mich mein ganzes Englischstudium lang begleitet und ich habe es genossen, mich da mit der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen. Dazu kam, dass ich damals selbst ein Profil im StudiVZ hatte, und in ersten Zügen auch bei Facebook, und somit einiges über mich selbst lernen konnte.

Natürlich habe ich nicht bei den Anfängen der SNS angefangen zu lernen, sondern bei den Anfängen des Internet selbst. Und dort habe ich gelernt, dass an der Verbreitung des Internet schwule Männer auf der ganzen Welt nicht ganz unschuldig waren. Es ging konkret um den Internet Relay Chat (IRC), in dem Menschen an unterschiedlichsten Orten auf der Welt schriftlich miteinander kommunizieren konnten. Das wurde von einem Finnen 1988 in die Öffentlichkeit geworfen und 1993 zum ersten Mal vollständig überarbeitet mit dem Internet verknüpft.

Und es zeigte sich, dass viele User des IRC schwule Männer waren (und auch lesbische Frauen? Gute Frage, ich meine mich zu erinnern, dass meine Quellen nur auf die Männer verwiesen hatten). Das ist gar nicht mal so überraschend, denn hier hatten ungeoutete Männer eine Möglichkeit, anonym quer über den Weltball nach anderen schwulen Männern zu suchen (wobei themenbasierte Chatrooms und Kanäle geholfen haben), um Erfahrungen auszutauschen. Zeigt, wie unangenehm die Realität damals für Schwule war. Ist sie auch heute noch, aber es war schon einmal deutlich schlimmer.

Man konnte, ohne sich zu outen, mit anderen über deren Outings reden, oder über Fantasien, Vorstellungen, Lebensweisen, über gesellschaftliche Bedingungen in anderen Ländern - quasi eine Goldgrube und eine Selbsthilfegruppe für Schwule, die in ihrem Leben niemanden hatten, mit dem sie offen über das Thema reden konnten. Es mag ja heute alles so aufgeklärt wirken (ist es nicht), und so offen und aufgeschlossen (ist es nicht), aber damals war der Kleiderschrank (closet) der einzige sichere Ort für einen schwulen Mann, an dem er keine Diskriminierung fürchten musste, keine Ausgrenzung und auch nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden.

Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel in Deutschland der §175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, erst 1994 ersatzlos gestrichen wurde, ist es kein Wunder, dass IRC zu einem safe haven für schwule User wurde. Wir sind nicht so aufgeklärt, wie wir vieleicht denken. Sonst hätte sich das Internet damals vielleicht anders entwickelt.

Natürlich haben viele andere Faktoren zur Verbreitung des IRC und des Internet beigetragen; dies ist nur eine kleine Anekdote, die ich damals mit großem Interesse gelesen habe und immer wieder gern erzähle, wenn in Deutschland behauptet wird (besonders im Kontrast zu amerikanischen Camps zur sexuellen Umorientierung), wir seien schon immer progressiv und aufgeklärt mit dem Thema Homosexualität umgegangen.

Nix da.

Denn auch heute noch ist das Internet die einzige Möglichkeit für unzählige Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde, offen, hemmungslos und angstfrei über ihre eigene Identität zu sprechen.

Da liegt noch Einiges vor uns.

Samstag, 6. April 2019

Suspiria einmal anders

Diesmal wird auch richtig getanzt!

Spoilerwarnung!

Ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Den Moment, in dem ich einen Blogbeitrag schreiben kann zu Luca Guadagninos Suspiria (2018); jetzt ist der Moment da, und ich fange an zu schreiben, und realisiere gleichzeitig, dass ich erstmal eine Meditation brauche, um das zu durchdenken.

Wer mich kennt, weiß, dass Dario Argentos Suspiria (1977) zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt. Ich habe ihn mittlerweile unzählige Male gesehen, in diversen Sprachen, und habe jetzt endlich eine tolle Bluray-Edition gefunden. Naja. Vor zwei Jahren. Und natürlich habe ich auch hier im Blog über diesen Horrorfilm geschrieben, der sinistre Machenschaften in einer Tanzschule aufdeckt - da haben Hexen ihre Hand im Spiel.

Als ich dann vor ein paar Jahren gelesen hatte, dass ein Remake in Arbeit ist, war ich zunächst misstrauisch. Wozu ein Remake? Kann doch nur schlechter werden, denn das Original ist ein Meisterwerk. Dann habe ich erfahren, dass es eher eine Neuinterpretation werden soll, nicht so sehr ein Remake. Die grundlegende Story in einem völlig neuen Gewand - und da bin ich dann aufmerksam geworden. Denn das könnte doch ganz interessant werden.

Dann die ersten Kritikermeinungen zu Guadagninos Film - polarisiert sei eine Untertreibung, hieß es in den Zeitungen. Und damit war ich dann wieder misstrauisch. Ich musste allerdings erstmal weiter warten: Ich wollte den Film beim ersten Mal ganz allein genießen, und mit der Original-Tonspur. Unverfälscht. Und das bedeutete, entweder auf die Bluray oder Amazon prime zu warten. Nun denn, heute war es dann endlich so weit, und ich habe mir den neuen Film angesehen. Misstrauisch, zunächst, und wer das Original kennt, muss sich tatsächlich erstmal komplett umstellen. Aber dann bin ich doch positiv beeindruckt worden. Ein sehr schöner Film mit Schwächen, und so völlig anders als das Original.

Es kommt fast darauf hinaus, dass nur die Namen es in den neuen Film geschafft haben. Noch immer leiten Miss Tanner und Madame Blanc die Tanzschule, im Auftrag der Direktorin Helena Markos. Aber das war es dann auch schon mit den Geeinsamkeiten.

Das Setting des Films wurde komplett verändert. Während Argentos Film in Freiburg spielte und vollkommen zeitlos war, so ist der neue Film in Berlin angesiedelt, zur Zeit der Teilung, Baader-Meinhof und so. Und ich muss zugeben, das habe ich als Schwäche des Films erlebt: Es wird versucht, unsere deutsche Geschichte mit der Tanzakademie zu verknüpfen, und es klappt einfach nicht. Die Einblendungen von authentischen Fernsehnachrichten sind nett gemeint, aber irgendwie hat mich das alles irritiert.

Susie Bannion, die "Heldin" der Geschichte, beginnt ihr Abenteuer im Original in einer surreal ausgeleuchteten Flughafenhalle - die heutige Susie steht am U-Bahnhof Pankstrasse, grau, trüb, und die Titeleinblendung könnte unauffälliger kaum sein. Hier hat Guadagnino einen Stilbruch gewagt; während Argento seinen Film mit den Farben Rot, Grün und Blau geflutet hat, ist in der neuen Version alles in einem Herbstgrau und Dauerregen verschwunden. Die visuelle Extravaganz von damals erhofft man sich hier scheinbar vergeblich.

Ich sage "scheinbar", denn was hinter den Türen der Tanzakademie stattfindet, ist ein wahrer Genuss. Während Argento das Thema "Tanz" trotz seiner Location nur ansatzweise angekratzt hat, geht es in dem neuen Film tatsächlich um's Tanzen. Die New York Times hat geschrieben: "...finally a movie that gets dance right." Mir ist bei den tollen Tanzszenen durch den Kopf geschossen, dass der Film der Sannitanic gefallen könnte, denn sie weiß das sicher zu schätzen.

Am eindrucksvollsten in der Neuverfilmung ist zweifelsohne Tilda Swinton in der Rolle der Madame Blanc. Ich liebe Swinton! Sie hat den Mut zu ungewöhnlichen Rollen, und sie hat aus lauter Jux und Dollerei in diesem Film eine weitere, zentrale Rolle übernommen - die des alternden Psychologen Josef Klemperer. Unter Tonnen von Makeup merkt man, wie sehr Tilda Swinton die Schauspielerei liebt.

Inhaltlich hat mich angesprochen, wie Guadagnino einen Diskussionspunkt des Originals zum zentralen Thema seines Films gemacht hat. Im alten Film verlässt Susie Bannion am Ende die Tanz Akademie (sic), die in Flammen aufgeht, und ein seltsames Lächeln ziert ihr Gesicht. Das hat zu unzähligen Interpretationsversuchen geführt, die darauf abzielten, dass Susie Bannion vielleicht selbst eine Hexe sein könnte. Guadagnino lässt diese Möglichkeit im neuen Film jedenfalls offen, und als Madame Blanc und Susie dann anfangen, telepathisch zu kommunizieren, entspinnt sich eine faszinierende Bindung zwischen diesen beiden Charakteren.

Argentos Film war berüchtigt für seine Mordszenen, und ist lange Zeit auf dem Index gewesen. Dabei werden gar nicht viele Menschen umgebracht, aber die Eingangsszene des Films war damals intensiv und ausführlich, da reichte es nicht, dass Pat Hingle einmal mit einem Messer erstochen wurde, sondern unzählige Male, bis dann schließlich ihr Herz in der Brust offenlag und das Messer in Großaufnahme darin versenkt wurde, und schließlich wurde Pat dann mit einem Telefonkabel in der Hotellobby erhängt. Ein atemberaubendes set piece, und wie ist Guadagnino da rangegangen?

Argento hat damals ziemlich erfolgreich auf Schocks, auf Angst und surreales Flair gesetzt. Die Neuverfilmung hat ebenfalls ein, zwei grausame Szenen dabei, die aber nicht die Intensität des damaligen Films erreichen. Sicher, gen Ende erwartet uns eine Szene, in der Körperteile und Blut durch die Gegend fliegen, aber eben erst nach zweieinhalb Stunden.

Und das ist ein weiterer bemerkenswerter Unterschied. Argento brauchte für seinen auf Zelluloid gebannten Alptraum knapp einhundert Minuten; Guadagnino hat dagegen fast eine ganze Stunde draufgelegt, um seinen Plot unterzubringen. Ja, Plot. Denn das hatte das Original so gut wie gar nicht; hier mag es ein bisschen zuviel sein, gerade in den "politischen" Szenen, aber es ist schön, wie sich Susies Karriere in der Tanzschule entwickelt.

Ein nettes Augenzwinkern an das Original ist der Umstand, dass der Film Gebrauch von mehreren Sprachen macht; Deutsch ist selbsterklärend, wenn man bedenkt, dass es um eine Tanzschule in Deutschland geht, Englisch wird meistens bei der Kommunikation zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen verwendet, und aus irgendeinem Grund (den ich jetzt mal verschweige) kommt auch noch Französisch hinzu. Was das mit dem Original zu tun hat? In den Siebzigern war es in italienischen Filmen Gang und Gäbe, dass jeder Schauspieler am Set seine Muttersprache gesprochen hat und das Ganze dann am Ende eine neue Tonspur bekam.

Ich muss zugeben, ich habe es sehr genossen, herauszufinden, wer Deutsch als Muttersprache hat und für wen es eine Fremdsprache ist. Ja, in diesem Film wird recht viel auf Deutsch geredet.

Ich muss Schluss machen. Ich freue mich, dass die Neuverfilmung einen ganz anderen Weg gegangen ist als das Original, dass die Themen Mutterschaft und Feminismus angeleuchtet werden. Swinton ist wunderbar, aber auch Dakota Johnson in der Rolle der Susie ist überzeugend. Oh, und als kleines Leckerli gibt es auch einen kurzen Auftritt von Jessica Harper, die vor vierzig Jahren die Susie gespielt hatte. Und auch heute noch hat sie diese Mangaaugen und das tolle Lächeln.

Mal schauen, ich muss mir den Film ein zweites Mal anschauen, diesmal aus lauter Neugier auf Deutsch. Meine Befürchtungen haben sich zerstreut, ich finde die Neuverfilmung wirklich gut.

Mittwoch, 3. April 2019

Der dritte April

Der Schwur des Kärnan - bald bin ich wieder da!

Ich könnte auch 04/03/19 schreiben, so wie im Englischunterricht. Kommt alles auf's Gleiche hinaus: Für viele von uns war heute der letzte Schultag vor den Osterferien. Nicht für die große Buba, denn die ist schon seit Freitag wieder in Kiel (das tut so gut). Wahrscheinlich starten wir alle unterschiedlich in die freie Zeit. Erstmal stelle ich aber fest, dass ich in den letzten Monaten und Jahren häufiger an den letzten Schultagen vor den Ferien nichts gepostet habe. Ich erlebe die letzten Schultage immer mit relativ viel Druck - wird nicht gerade besser durch die vielen Nachfragen nach der Jobsituation, das muss aber bis nach den Ferien warten.

In den letzten Tagen fühle ich mich noch stärker beobachtet als sonst, habe noch mehr Panik vor Fehltritten, und normalerweise konnte ich dann am ersten Ferientag einmal richtig aufatmen, all' das abschütteln. Diesmal nicht, denn nach den Ferien beginnen die Prüfungsphasen. Mein erstes Mal Abschlussprüfungen, mein erstes Mal an einer Berufsschule. Seit Wochen schwirrt mir durch den Kopf, dass meine Prüfungsvorschläge vielleicht fehlerhaft sind, dass ich in der Prüfungsdurchführung etwas versauen werde, irgendwas findet das HB-Gehirn immer.

Ich gehe also angespannt in die Ferien, und ich nehme mir vor, in den Ferien mein Rückgrat aufzuarbeiten. Dazu gehört ein Frühjahrsputz; seitdem ich an der neuen Schule bin, ist sehr viel liegengeblieben. Es gibt Einiges zu tun, Reifenwechsel, Steuererklärung, und ich muss die Sachen zeitig erledigen und nicht schon wieder aufschieben - denn dann zerbricht mir das schlechte Gewissen alles, was vom Rückgrat übrig ist.

Immerhin, ab morgen hat der Hansa-Park geöffnet. Die Saisonkarte liegt bereit, ich warte jetzt nur noch auf gutes Wetter, und dann geht es los - auch wenn die Großbaustelle Schottland im Park noch lange nicht fertig ist; ich brauche Fahrtwind im Gesicht.

Ich frage mich, wie die Prüflinge die Ferien erleben. Genuss? Freiheit? Oder steigende Panik? Ich weiß nicht mehr, wie es bei mir damals war. Jedenfalls wünsche ich Euch allen da draußen, dass ich viel Energie für alles tanken könnt, was nach den Ferien ansteht.

Kommt gut in die freie Zeit!