Dienstag, 29. September 2020

Erschießen oder vergasen - was Du willst.


Wir leben in einer Zeit, in der Skandale in der Politik ihre ursprüngliche Wirkung verloren haben. Wenn früher ein Parteifunktionär gesagt hätte, dass wir viele Zuwanderer brauchen, damit es Deutschland schlechter geht und die eigene Partei gut dasteht - man könne sie ja später immer noch erschießen, oder vergasen - hätte es einen Aufschrei gegeben und die Partei wäre in Verruf geraten.

Diese Aussage stammt von Christan Lüth, ehemaliger Pressesprecher der AfD, seit gestern aus der Partei gefeuert, nachdem auf Pro7 eine Reportage gezeigt wurde, in der jenes Interview ausgestrahlt wurde, in dem Lüth diese Worte gesagt hat. Hat diese ungeheuerliche Aussage irgendeine abschreckende Wirkung auf die AfD-Wähler?

Ich kann es mir nicht vorstellen. Gerade die radikaleren AfD-Wähler lieben ihre Partei genau für so markige Sprüche. Sie wollen das hören - Zuwanderer, die uns unsere Jobs klauen, unsere Frauen, die unsere Wirtschaft in den Dreck ziehen, all' so einen Schlonz. Sollte mich nicht wundern, wenn Lüth in der rechten Szene für das Interview gefeiert wird.

Oder schauen wir in die USA, wo nach langem Hin und Her endlich die Information an die Öffentlichkeit gedrungen ist, dass Donald Trump in den Jahren Zweitausendsechzehn und Zweitausendsiebzehn jeweils nur siebenhundertfünfzig Dollar an Bundeseinkommenssteuer gezahlt hat. Jeder papierlose Einwanderer, jeder Kellner mit Migrationshintergrund, hat mehr als zehnmal so viele Steuern gezahlt, rechnet Shooting Star Alexandria Ocasio-Cortez ("AOC") vor. 

Stört es irgendjemanden? Für Trump sind das alles natürlich wieder nur Fake News, und auch wenn man meinen sollte, dass diese Platte nach Jahren andauernder Wiederholung ausgeleiert ist, so geifert seine Anhängerschaft danach. Sie können nicht genug davon bekommen. "Grab 'em by the pussy"? Fake news. "Stormy Daniels"? Fake news. "No income taxes"? Fake news. Vetternwirtschaft bei der politischen Postenvergabe? Fake news.

Die Suche nach Wahrheit in der Politik scheint der Suche nach den spannendsten alternativen Fakten gewichen zu sein, ein Ausdruck, den Kellyanne Conway in einem Augenblick geistiger Umnachtung rausgehauen hat - und der sie zum Star der rechtskonservativen Szene Amerikas gemacht hat.

Wen interessiert schon die Wahrheit? Es wird mit Emotionen gehandelt, und Emotionen werden die USA-Wahl am dritten November entscheiden, genauso wie die Besetzung des freigewordenen Sitzes im Supreme Court. Wichtige, wegweisende und von der Mehrheit getragene Entscheidungen wie Roe v. Wade (das Gerichtsurteil für das Recht auf Abtreibung) können nach Lust und Laune gekippt werden. Das hat nichts mit der Mehrheit und deren Willen zu tun (denn die wird durch das electoral college untergraben). 

Es ist deprimierend. Und es ist abzusehen, dass es auch bei uns in diese Richtung geht, wenn Kommentare wie vom Erschießen oder Vergasen von Migranten unwidersprochen im Raum stehen können. Was wir tun können? Wir könnten unsere Mitmenschen auf ihre Ungeheuerlichkeit aufmerksam machen. Oder wir sitzen weiterhin faul vor dem Fernseher und echauffieren uns über "die Anderen".

Sorry for ranting. 

Sonntag, 27. September 2020

Durchhalten!

Ferienreif...

Liebe Blogleser,

mich haben die ersten Nachfragen erreicht, ob mit mir alles in Ordnung ist. Dieses Mitgefühl freut mich sehr; bei mir ist soweit alles okay, nur ist mein Kopf immer weiter mit Schule aufgefüllt, und dadurch kommt Anderes zu kurz. Der nächste reguläre Blogbeitrag ist auch seit gut einer Woche schon fast fertig, aber die kommende Schulwoche hat so viele "Unregelmäßigkeiten" - Elterngespräch, Klassenarbeiten, Nachschreiber, Mikrofortbildung, Papierkram, neuer Fernseher - dass ich das Gefühl habe, ich müsste mich vollkommen darauf konzentrieren, sonst bekomme ich die Sachen nicht auf die Reihe.

Es ist die letzte Schulwoche vor den Herbstferien, und es ist Durchhalten! angesagt. Geht es Euch auch so, dass man doch deutlich merken kann, dass dieser erste Schulblock nach den Sommerferien zwei Wochen länger ist als in den letzten Jahren? Vielleicht bin ich auch einfach noch nicht wieder auf den Gemeinschaftsschulstress umgestellt; an der Berufsschule war die Arbeit dann doch ein ganzes Stück anders.

Am Donnerstag ist es geschafft, mein letzter Schultag, dann noch einmal alles Schulische aus dem Kopf "wegmeditieren" und ich kann mich wieder voll in die Blogarbeit stürzen. Hat also bisher noch nicht so geklappt, der Rücksturz in den Alltag, aber vielleicht braucht es auch einfach für einen Autisten wieder etwas mehr Zeit als gewöhnlich - soll vorkommen ;-)

Kommt gut durch die Woche! Ich lebe noch, und Ihr offensichtlich auch, sonst hätte sich niemand bei mir gemeldet. Bald sind die Ferien erreicht, und dann kommt die fette Schnecke hier rübergetonnt und wir reißen das Haus ein. Das wird großartig!

Mittwoch, 16. September 2020

Aufgefangen


In St.Peter-Ording war es Thekla. Kursiv geschrieben, weil sie eine Institution am Regionalschulteil war (so hieß das damals). Die Schulsozialpädagogin, die Methode, die immer ging. Der Mensch, der sich wirklich dafür interessiert hat, wer Du bist und wie Du bist, egal ob Schüler oder Lehrer. Wenn ich Probleme im Unterricht hatte, war Thekla immer die perfekte Ansprechpartnerin, als Mediatorin zwischen Lehrer und Schülern, oder auch als persönliche Beraterin, als Impulsgeber. Das hat mir sehr gut getan.

Ich habe in den Zeiten danach nicht mehr so sehr die Nähe zu den SozPäden gesucht, weil in meinem Kopf der Gedanke stand "Ich kann eh' nicht an der Schule bleiben, warum sollte ich mir jetzt ein festes Netz mit der SozPäd aufbauen?" und es hat sich ja auch so entwickelt, es ging von einer Schule zur nächsten. Nun habe ich hier schon häufiger herausgepointed (neoclassical compound), dass die SPO-Vibes und die Toni-Vibes sehr ähnlich klingen - sich für mich sehr ähnlich anfühlen, und dass ich mein Leben vielleicht jetzt endlich vernetzt leben kann.

Das würde bedeuten, dass ich endlich wieder eine Thekla habe, die diesmal NK heißt. Das wäre schön, wenn es mal wieder zu "Übersetzungsfehlern" in der Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern kommt. Die große Buba weiß mittlerweile ziemlich gut, welche Übersetzungsfehler das sind, und es wäre cool, wenn ich NK als neues Auffangnetz für schwierige Situationen ansehen könnte. Nach einem Gespräch heute versuche ich das mal (...denn die sind echt cool!).

Passend zur holprigen Situation im Allgemeinen hat mein Fernseher nun den Geist aufgegeben. Nach sechseinhalb Jahren intensiver Hitze in der Wohnung hat einer der Kondensatoren nun versagt und das Gerät lässt sich nicht mehr richtig einschalten. Das ist einer dieser "vor's Regal setzen und vor und zurück wippen"-Momente, denn ich weiß überhaupt nicht, was ich mit dieser Situation anfangen soll. Dieser Fernseher ist für mich tatsächlich überlebenswichtig. Ich schaue darauf so gut wie nie fern, nur die Nachrichten, aber ich brauche den Screen für die Playstation, für die Meditationen als Menüanzeige für das Soundsystem, für Filme, mir bricht gerade der Boden weg und es fühlt sich an wie ein Ding der Unmöglichkeit, ein neues Gerät zu kaufen. Schöne Situation, an der ich veranschaulichen kann, dass ich behindert bin, denn das zerlegt mir meinen kompletten Tag, die Woche, und überhaupt das ganze Universum. 

Und auch hier hilft wieder der Buddhismus mit der Lojong-Losung Meditiere ständig auf das, was dir besonders zusetzt - sodass zum Zubettgehen der Kopf wieder ausgeglichen ist.

Sonntag, 13. September 2020

Nachbarschaftliche Schmunzelei


Ich wirke jünger, als ich bin. Das ist ein alter Hut, und über die Probleme, die das mit sich bringen kann - nicht ernstgenommen zu werden, für unerfahren gehalten zu werden, deswegen keinen Job zu bekommen - habe ich hier im Blog schon mehrfach lamentiert. Nichts davon heute. 

Manchmal kann das nämlich auch eine amüsante Anekdote mit sich bringen. Mein Nachbar wohnt jetzt seit gut zwei Jahren mit uns im Haus, und wir haben immer mal wieder miteinander zu tun. Post annehmen, Schlüssel ausleihen oder einfach ein bisschen chatten. Er weiß, dass ich ein bisschen seltsam ticke, er weiß, dass ich lieber per Briefkasten kommuniziere, als Dinge persönlich zu übergeben, und er kommt damit super klar. 

Er ist fünfzehn Jahre jünger als ich - aber das hat er erst vor ein paar Tagen bemerkt, durch einen Nachrichtenwechsel:

"Das ist eine weise und reife Einstellung."

"Es hat aber auch siebenunddreißig Jahre gedauert, um dahin zu kommen."

"Ach, so alt bist Du schon? :D"

Ist das nicht drollig, wie lange man seine Mitmenschen an der Nase herumführen kann? Und das nur wegen gefärbter Haare, lackierter Fingernägel und unreifen Verhaltens? Irgendwie hat mir das ein Schmunzeln auf's Gesicht gezaubert, und diesmal ganz ohne die deprimierenden Assoziationen (dass das auch in einem Kollegium vorkommen kann, in dem einige tatsächlich über ein Jahr lang denken, man sei ein Nulltsemester ohne jegliche Berufserfahrung und könne deswegen nicht ernstgenommen werden - die Sannitanic kennt das sehr gut. Wobei, jetzt ist sie zweifache Mutter und dürfte in den letzten dreieinhalb Jahren um vierzig Jahre gealtert sein, vielleicht hält man sie jetzt für dreißig).

Jedenfalls scheint es langsam wieder an der Zeit zu sein, die Dinge mit Humor zu nehmen, und endlich wieder zu Joachim Ringelnatz' Spruch zurückzukehren:

"Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt."

post scriptum: So langsam kommt die große Buba auch in diese Sphären, die hat nämlich heute Geburtstag und isst anstelle einer Geburtstagstorte einfach nervige Korrekturen auf. 

HAPPY BIRTHDAY, meine liebste fette Schnecke!!! Dauert nicht mehr lange, dann fliegen die Zimtsterne!!!

Freitag, 11. September 2020

Kontaktaufnahme


Und plötzlich ist Er wieder da. Ohne Vorwarnung taucht Er wieder in meinen Gedanken auf. Das ist ungewöhnlich, denn wir haben seit mehr als vier Jahren keinen Kontakt mehr, und mein Leben ist durch die vielen Schulwechsel so sehr den Bach runtergegangen, dass ich in meinem Kopf einfach keinen Platz mehr für ihn hatte. Im Gegenteil, ich war froh, dass ich mich auf mich selbst konzentrieren konnte. Ich bin ihm auch aktiv aus dem Weg gegangen, habe mir die zweite Hälfte der letzten Saturnalien nicht angeschaut, weil Er sich direkt schräg vor mich gesetzt hatte.

Und jetzt wabern immer wieder Gedanken an ihn durch meinen Kopf, und das fühlt sich so gut an. Bleibt wie im Inner Landscapes-Thread: Ich werde ihn nicht wieder drängeln. Aber ich möchte ihm ein kleines Zeichen geben, dass es mich noch gibt, und ihm signalisieren, dass ich hier bin und meine Tür offen ist, falls er wieder etwas Zeit mit mir verbringen möchte. Und ich mache mir auch überhaupt keine Erwartungen mehr, der Buddhismus hat mich in der Hinsicht sehr verändert.

Aber es fühlt sich schön an, der Gedanke, dass er sich einen Videogruß von mir anschauen könnte. Und genau dieser Gedanke macht es wert, diesen Beitrag zu schreiben, denn er signalisiert mir, dass - endlich - langsam alles in meinem Leben wieder in Ordnung kommen könnte, hinsichtlich Berufsaussichten. Und dieses schöne Gefühl wollte ich mit Euch teilen.

Donnerstag, 10. September 2020

"Halt die Fresse!"


Es ist mal wieder soweit. Es gibt Klärungsbedarf; mir ist mal wieder das Mundwerk ausgerutscht, und es passt wieder in meine Beobachtung, dass so etwas nur in der Orientierungsstufe passiert. Wie kann das passieren, dass die Stimmung bei Dr Hilarius so drastisch kippt? Mittlerweile weiß ich zum Glück, wie ich damit umgehen muss: Ich erkläre Klassenlehrern, Schulleitungen, Eltern et ceteris, dass ich mir immer Mühe gebe, nett zu Schülern zu sein. Dass ich auf mein Sprachregister achte, es an die Klasse anpasse. Dass ich eigentlich ein ruhiger Lehrer bin.

Es gibt aber eben Klassen, die besonders herausfordernd sind. Schüler laufen während des Unterrichts durch die Klasse, sie reden über die Köpfe der anderen hinweg miteinander, sie schreien sich an, sie werfen mit Müll, sie bemalen sich, sie sprechen in ihrer Muttersprache miteinander, die ich nicht verstehe, sie malen Sachen an die Tafel, sie verhalten sich respektlos, rücksichtslos, sie nehmen sich gegenseitig die Sachen weg und wieder wird geschrien, das Konzept des Ausreden-Lassens ist unbekannt, sie wedeln mit dem Besen in der Luft herum...

Vielleicht denkt jetzt jemand "Naja, so ist das eben in der fünften und sechsten Klasse, das ist keine Seltenheit, deal with it!" - und dann muss ich sagen, dass es eben nicht mehr um eine alltägliche Klasse geht, sondern um sehr besondere Schüler. Ich platze nicht in jeder fünften und sechsten Klasse. Das passiert nur selten - aber das Potential zum Platzen ist da, und dann achte ich überhaupt nicht mehr auf meine Wortwahl, da komme ich nicht mehr gegen mein Gehirn an, da knallt es dann sehr explizit - und im nächsten Moment bin ich wieder ganz friedlich und normal.

Hier zeigt sich eine Auswirkung des Asperger-Syndroms. Ich darf das getrost darauf schieben, und ich erkläre mittlerweile in aller Ruhe, wie es zu diesen Ausbrüchen kommen kann - aber auch, dass ich nicht viel dagegen tun kann, wenn eine bestimmte Schwelle erstmal überschritten ist. Auch heute habe ich meinen Schülern erklärt, dass solch' eine geistige Behinderung dazu führen kann, dass ich ausraste (ganz rührend dann übrigens ein Schüler, der mir erklärt, dass es ihm ähnlich geht, mit ADS).

Eigentlich bin ich nicht so - aber genau das macht das Hilarius-Lehrer-Gesamtpaket aus. Deal with it.

Dienstag, 8. September 2020

Paragraph Fünfundzwanzig


Jeder Referendar hat hoffentlich spätestens zu seinem Examen von §25 SchulG gehört; ich erst danach. Ich wünschte, es gäbe dafür überhaupt keinen Bedarf, aber das ist unrealistisch. Und es wäre auch langweilig, oder nicht? Der Paragraph regelt Sanktionsmaßnahmen bei Konflikten mit oder zwischen Schülern, und daran muss man sich als Lehrkraft entlang hangeln, wenn Schüler sich einfach nicht an die Klassenregeln halten wollen. 

Ich bin kein Freund von Strafen - in meinem rosaroten Bild von Schule kann man alle Schüler mit Worten erreichen - was natürlich Unsinn ist, und es wird Zeit, dass ich mich davon endlich verabschiede. Acht Jahre lang bin ich ohne Strafen ausgekommen, aber irgendwann stößt man an seine Grenzen. Es gibt immer wieder Lerngruppen, in denen es eben nicht läuft. 

Und ich werfe mir dann schlechten Unterricht vor, denn sonst wären die Schüler alle begeistert dabei - und auch das ist Unsinn; ein Körnchen Wahrheit steckt insofern darin, als dass ich mein Unterrichtskonzept überdenken muss. Es ist viel zu einfach, zu sagen "Die Klasse ist scheiße, die brauchen harte Maßnahmen" - nicht immer kann man das auf "die Klasse" schieben, sondern manchmal sind es einfach die Unterrichtsmethoden, die für eine bestimmte Lerngruppe eben nicht geeignet sind. 

Ändert nichts an der Tatsache, dass ich mir so langsam eine Textvorlage für einen blauen Brief auf dem Rechner erstellen sollte. Oder hat jemand von Euch da etwas, was ich mir vielleicht bearbeiten kann?

addendum: Hier erweisen sich das Asperger-Syndrom und auch das Lojong-Training als problematisch, denn ich selbst habe überhaupt kein Problem damit, wenn sich Schüler in meinem Unterricht unterhalten. Oftmals bemerke ich den Konflikt erst, wenn Mitschüler sich beschweren, dass sie nichts verstehen können, und das ist eigentlich zu spät. Muss mal schauen, ob ich da etwas bei mir ändern kann.

Samstag, 5. September 2020

Das Leben geht seinen Weg

Vertrocknete Blätter bleiben, wo sie sind.

Worüber schreibe ich denn heute mal? Darüber, dass ich vollkommen von der Kieler Woche überrascht worden bin? Dass ich das nur anhand der kleinen Fahnen auf den Bussen bemerkt habe? Dass ich letzte Nacht zufällig über einen beeindruckenden, sehr verstörenden Film über Kindesmissbrauch gestolpert bin, der mich noch nicht loslässt? Dass jetzt gerade vor dem offenen Fenster eine Krähe kräht?

Nein, nur ganz kurz über Melisse Etheridge. Sie hat das Bad für sich erobert, ist so stark gewuchert, könnte man sagen, dass sie Chuck der Pflanze das ganze Tageslicht genommen hat, mit ihren Blättern am Fenster. Deswegen wurde CdP jetzt erstmal in die Wohnung ausquartiert. Und meine Mutter hatte mir empfohlen, den Melissenwald ein wenig zurückzuschneiden, damit die Pflanze neu ausschlagen kann. Recht hat sie, aber genau das habe ich bisher nicht gemacht.

Ich habe ME einfach auf der Fensterbank wachsen lassen. Ich habe sie versorgt (die irre Tante säuft wie ein Loch!), und sie ist von kleinen Saatkörnern zu einem Biotop mutiert (ist es nicht toll, dass man jetzt mit Altgriechisch erklären kann, dass ein Biotop ein "Ort für das Leben" ist? Ich bereue mein Studium kein bisschen, auch wenn ich de facto kein Latein mehr unterrichte). Die Fensterfront lebt noch, aber einige der dem Bad zugewandten "Bäume" sind abgestorben, weil sie kein Sonnenlicht mehr bekommen. 

Ich finde das total faszinierend, weil ich jetzt mal live und in Farbe erleben kann, wie das Leben seinen Weg findet und geht. Würde ich die abgestorbenen Pflanzenteile abschneiden, wollte ich womöglich eine Perfektion erreichen - damit die Pflanze gut aussieht. 

Muss aber nicht perfekt sein. Ich finde natürlich an dieser Stelle irgendwie schöner. 

Freitag, 4. September 2020

Junger Aspi, alter Aspi


Ich bin endlich fertig mit Tony Attwoods Fachbuch zum Thema Asperger-Syndrom. Um seine Erläuterungen abzurunden, hat er zu Beginn und Ende des Buches einen fiktiven Aspi vorgestellt - "Jack" - einmal im Schulalter und zum Schluss als Erwachsener. Ich habe lange darauf gewartet, diese Passagen mit Euch teilen zu können. Ich fand diese Beschreibungen wunderbar; auch wenn nicht jeder Aspi all' diese Merkmale aufweist, so ist es doch das beste "Aspi-Muster", das mir bisher untergekommen ist. Die folgenden Passagen stammen aus Attwoods The Complete Guide to Asperger's Syndrome. Vielleicht finden meine Freunde mich darin wieder, vielleicht auch nicht, aber für mich waren das zwei der aufschlussreichsten Passagen aus dem gesamten Buch.

Not everything that steps out of line, and thus "abnormal", must necessarily be "inferior". - Hans Asperger (1938)

The door bell rang, heralding the arrival of another guest for Alicia's birthday party. Her mother opened the door and looked down to see Jack, the last guest to arrive. It was her daughter's ninth birthday and the invitation list had been for ten girls and one boy. Alicia's mother had been surprised at this inclusion, thinking that girls her daughter's age usually consider boys to be smelly and stupid, and not worthy of an invitation to a girl's birthday party. But Alicia had said that Jack was different. His family had recently moved to Birmingham and Jack had been in her class for only a few weeks. Although he tried to join in with the other children, he hadn't made any friends. The other boys teased him and wouldn't let him join in any of their games. Last week he had sat next to Alicia while she was eating her lunch, and as she listened to him, she thought he was a kind and lonely boy who seemed bewildered by the noise and hectic activity of the playground. He looked cute, a younger Harry Potter, and he knew so much about so many things. Her heart went out to him and, despite the perplexed looks of her friends when she said he was invited to her party, she was determined he should come.

And here he was, a solitary figure clutching a birthday card and present which he immediately gave to Alicia's mother. She noticed he had written Alicia's name on the envelope, but the writing was strangely illegible for an eight-year-old. "You must be Jack", she said and he simply replied with a blank face, "Yes". She smiled at him, and was about to suggest he went into the garden to join Alicia and her friends when he said, "Alicia's birthday present is one of those special dolls that my mum says every girl wants, and she chose it, but what I really wanted to get her was some batteries. Do you like batteries? I do, I have a hundred and ninety-seven batteries. Batteries are really useful. What batteries do you have in your remote controllers?" Without waiting for a reply, he continued, "I have a special battery from Russia. My dad's an engineer, and he was working on an oil pipeline in Russia and he came home with six triple-A batteries for me with Russian writing on them. They are my favourite. When I go to bed I like to look at my box of batteries and sort them in alphabetical order before I go to sleep. I always hold one of my Russian batteries as I fall asleep. My mum says I should hug my teddy bear but I prefer a battery. How many batteries do you have?"

She replied, "Well, I don't know, but we must have quite a few...", and felt unsure what to say next. Her daughter was a very gentle, caring and maternal girl and she could understand why she had "adopted" this strange little boy as one of her friends. Jack continued to provide a monologue on batteries, how they are made and what to do with them when the power is exhausted. Alicia's mother felt exhausted too, listening to a lecture that lasted about ten minutes. Despite her subtle signals of needing to be somewhere else, and eventually saying, "I must go and get the party food ready," he continued to talk, following her into the kitchen. She noticed that when he talked, he rarely looked at her and his vocabulary was very unusual for an eight-year-old boy. It was more like listening to an adult than a child, and he spoke very eloquently, although he didn't seem to want to listen.

Eventually she said, "Jack, you must go into the garden to say hi to Alicia and you must go now." Her facial expression clearly indicated there was no alternative. He gazed at her face for a few seconds, as if trying to read the expression, and then off he went. She looked out of the kitchen window and watched him run across the grass towards Alicia. As he ran through a group of four girls, she noticed one of them deliberately put out her foot to trip him up. As he fell awkwardly to the ground, the girls all laughed. But Alicia had seen what happened and went over to help him get to his feet.

This fictitious scene is typical of an encounter with a child with Asperger's syndrome. A lack of social understanding, limited ability to have a reciprocal conversation and an intense interest in a particular subject are the core features of this syndrome. Perhaps the simplest way to understand Asperger's syndrome is to think of it as describing someone who perceives and thinks about the world differently to other people. (p.23/24)

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(...) I would like to end with a plausible description of Jack as an adult, based on my extensive experience of several thousand children and adults with Asperger's syndrome and my being able to observe the long-term development of children I originally saw decades ago.

There was a loud knock on the office door. The new Human Resources Manager knew this must be Dr Jack Johnstone announcing his arrival for his annual performance review. He had listened to his colleagues talk about Jack and was eager to finally meet him. The company manufactured energy storage systems and Jack was working on a new energy storage system for vehicles to replace petrol-based engines. The research and development section usually employed a team of scientists to design new products, but Jack worked on his own.

The security staff knew him well. He would often be working in the research department until long after midnight. Jack had explained to his line manager that he worked more efficiently when the building was quiet and there was no one around to interrupt him with superficial conversations about the local football team's home game or what he thought of the new secretary's legs.

The Human Resources Manager had Jack's file on his desk. It was by far the largest file he had seen on a member of staff. There was the basic information on his academic qualifications, reference to his Ph.D. in electrical engineering, and testimonials from previous employers referring to his honesty, integrity and determination. However, there were notes in his file made by the previous Human Resources Manager that were written to assist his line manager and the company. There was a brief explanation of a condition called Asperger's syndrome and how this explained Jack's abilities and personality. The original diagnosis had been made in 2005 when he was nine years old and he had benefited from support at school to develop interpersonal skills, and extension classes to develop his talent for engineering. It was now 2028 and he had moved from academia to industry only two years ago.

There was a detailed description of his qualities in terms of knowledge, alternative ways of thinking and problem solving, and his high standard of work, but there was also advice regarding his difficulties in working in a team, tendency to be very forthright and his inability to cope emotionally with sudden changes in job specifications. His ideas had contributed to the recent improvement in the company's profits as he had designed a new long-life battery for hand-held games concoles. He was considered to be eccentric, but a very valuable member of staff.

There was some office gossip about Jack. He was in his early thirties, lived at home with his parents, and had a close friend he sometimes talked about, Alicia, whom he had met when he was at primary school. He had a relatively small circle of friends at work but apparently had never had a long-term relationship. He had dedicated himself to his research and seemed uncomfortable at social occasions such as the Christman party, last year staying for only 20 minutes. He explained that he had to return home as he had a hobby breeding rare marsupials and needed to ensure his koalas had a fresh supply of eucalyptus leaves. But just over six months ago, a new personal assistant was appointed for the company accountant. She was a single mother with two children and was very popular for her ability to make people feel relaxed in her company, and amazed everyone with how efficiently she organized the accountant's diary. She met Jack when he handed her his monthly expenses sheet, and from that day both their lives were transformed. They were planning to get married next month.

The Huiman Resources Manager said, "Come in", and Jack entered the room. He was not sure what to expect but the person before him was certainly memorable. He had untidy hair, hadn't shaved for a few days and in his shirt pocked there were at least four pencils, two pens and an old-style calculator. One of the pencils had recently leaked black ink onto his shirt. There were no formal pleasantries as Jack sat down and proceeded to give a monologue on his work performance over the last year and his projects for the next year. He seemed to be relieved when he had given the required information.

It was now the turn of the Human Resources Manager to give feedback to Jack regarding his work over the last year. His ideas had been highly original, although sometimes difficult to understand when he verbally explained the principles, but his computer model using 3D graphics was very clear. He was liked by his colleagues, although he did tend to keep repeating the same jokes. Jack had been the winner of the inter-departmental Trivial Pursuit championship and he was perceived as a kind, shy and dedicated colleague.

Jack was thoughtful for a moment and he agreed with the appraisal. He politely asked how the Human Resources Manager was coping with his new position, whether he had found a school for his children and what he thought of the new CEO (chief executive officer). As Jack left the room, he remembered his early childhood: how when he was young he felt that he was not understood or appreciated by the other children at his school, and during his adolescence he had suffered from los self-esteem and longed to be popular. Other children in his class tormented him that he was a failure, but if only those children could see him now! He was not a failure, he was a success. This thought comforted him as he opened the door of his new 7 Series BMW, and he realized he was late for the meeting to go through the final preparations for his wedding. (p.357-359)

Das sind die beiden besten Aspi-Beschreibungen, einmal jung, einmal erwachsen, die ich bisher gefunden habe.