Mittwoch, 30. Januar 2019

What the...?!

Was ist real und was nicht?

Später Nachmittag, es klingelt an der Tür. Ich erwarte niemanden - normalerweise bedeutet das, dass ich mich totstelle und warte, dass wer-auch-immer wieder weggeht; ich hasse Überraschungen. Und trotzdem öffne ich, denn mir fällt ein, was das sein könnte. Und ein paar Minuten später halte ich Stay in der Hand, den Film von gestern. Wow, vor achtzehn Stunden bestellt und schon halte ich die Bluray in Händen, manchmal ist es gruselig, wie schnell Hermes sein kann. Aber ich wollte diesen Film unbedingt haben, denn er ist ein Vertreter eines meiner Lieblingsgenres, Filme, die man mindfuck movies nennen könnte.

Solche Filme liebe ich ja: Filme, die sich nicht innerhalb der ersten fünf Minuten schon komplett erschließen lassen; solche, in denen nicht bereits nach zehn Minuten der gesamte kommende Handlungsverlauf klar ist und das Ende sehr vorhersehbar schon feststeht; Filme, in denen ich eine gewisse Arbeit zu leisten habe, in denen ich mir das Puzzle des Plots und des Charaktergeflechts in meinem eigenen Kopf zusammensetzen muss, und in denen auch in der zweiten Hälfte noch neue Aspekte hinzukommen; Filme, bei denen am Ende Fragen offen bleiben. Filme, die lange über die Schlusscredits hinaus nachwirken.



Mysterythriller, Science Fiction, psychological horror, alles, was sich unter der Überschrift „Mindfuck Movie“ einsortieren lässt. Das Paradebeispiel, das ich grundsätzlich nenne, ist David Lynchs Mulholland Drive (2001), aber ich freue mich immer sehr, wenn ich einen neuen Film der Sammlung hinzufügen kann. Viele interessante Filme aus dieser Kategorie sind vollkommen an mir vorbeigegangen, und deswegen habe ich Google vor einigen Tagen einmal befleißigt, mir etwas zu den best mindfuck movies zu sagen.



Ich bin dabei, diese Filme derzeit abzuarbeiten – das sorgt dafür, dass zwei Komödien, die ein Schüler mir ausgeliehen hat, warten müssen. Sorry, aber mein eigener sturer Kopf setzt sich dann durch. Und so bin ich gestern zu dem Film Vanilla Sky (2001) mit Tom Cruise gekommen, der zwar nett war, aber eher wie eine Fingerübung wirkte. Und der Cruise-Charakter war mit seinem Narzissmus wirklich sehr abstoßend. So war es schön, ab der Hälfte des Filmes immer weiter verwirrt zu werden, und ich liebe es, wenn Tom Cruise eine Abreibung bekommt, aber der Film ist nicht so intensiv in meinen Gedanken hängen geblieben wie zuvor Stay – der um gut eine halbe Stunde kürzer ist und mit knapp über neunzig Minuten die perfekte Dauer für solch' einen Rätselfilm hat.



Außerdem spielt Naomi Watts mit, in die ich seit Mulholland Drive verliebt bin, und Ryan Gosling, der auch in ein paar guten Filmen aufgetaucht ist (Drive, Blade Runner 2049), und auch Ewan McGregor wirkt sehr sympathisch in diesem Mysterythriller um einen Kunststudenten, der seinem Psychologen anküdigt, sich in drei Tagen umbringen zu wollen. Regisseur Marc Forster gibt vom Anfang an visuelle und akustische Hinweise, die dafür sorgen können, dass der Zuschauer ein gutes Stück vor dem Film bei der Auflösung ankommt; ich konnte genießen, wie viele clues in dem Film auftauchten und wie detailverliebt gearbeitet wurde. Das war echt cool und den möchte ich bald noch einmal sehen.



Ich pinne diesen Beitrag links in den Blog, wer weiß, vielleicht hat ja noch jemand ein ähnliches Interesse und findet hier ein paar Anregungen:



Memento (2000) über einen Mann, der den Mord an seiner Frau trotz seiner Amnesie aufklären will

The Invitation (2016) über eine sehr seltsame, surreale Dinnerparty

Eraserhead (1977) über die Ängste bei'm Vaterwerden

The Game (1997) über ein unheimlich passendes Geburtstagsgeschenk für ein reiches Arschloch

Solaris (1972/2002) über einen Planeten bzw. ein Meer, das ein Bewusstsein besitzt und unsere Erinnerungen rekreieren kann

Timecrimes (2007) über einen Mann, der zufällig in einen Mord verwickelt wird und in der Zeit zurückreist, um ihn zu verhindern

Predestination (2014) über einen Mann, der Verbrechen verhindern soll, bevor sie geschehen – per Zeitreisen (ähnlich wie bei Minority Report)

Looper (2012) über die „Entsorgung“ von Verbrechern per Zeitreise

Coherence (2013) über Schrödingers Katzen-Dinnerparty

Triangle (2009) über eine Gruppe Menschen, die ein Deja Vu auf einem Kreuzfahrtschiff erlebt

Inception (2010) werde ich hier nicht aufführen, und auch Dunkirk (2017) nicht, weil die Filme trotz ihrer fragmentarischen Erzählweise immer noch auf den Mainstream ausgerichtet sind

Persona (1966) über zwei Frauen, deren Identitäten immer größer werdende Schnittmengen aufweisen

Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004) über den Versuch der selektiven Erinnerungslöschung

Edge of Tomorrow (Live.Die.Repeat., 2014) über das Groundhog Day-Prinzip im Kampf gegen eine außerirdische Invasion (wesentlich besser, als es klingt!)

Cube (1997) über eine Gruppe Menschen, die in einem System aus würfelförmigen Räumen aufwachen und Antworten suchen

Jacob's Ladder (1990) über einen Kriegsveteranen, der nach der Heimkehr von Halluzinationen heimgesucht wird

Stay (2005) über einen Kunststudenten, der die Zukunft erahnen kann und seinen Suizid plant

Primer (2004), hochintelligenter Film über die zufällige Entdeckung von Zeitreisen

Berberian Sound Studio (2012), über einen Tontechniker, der bei der Arbeit an einem für ihn neuen Filmgenre allmählich den Verstand verliert

eXistenZ (1999), über ein erstaunlich realistisches Virtual Reality-Videospiel, eine Art Quasi-Vorläufer zu Inception

Paprika (2006), ein Anime über die Fähigkeit, in Träume anderer Menschen einzudringen - die Parallelen zu Inception (2010) sind unzählbar und Paprika wird oft als eine wesentliche Inspirationsquelle für Nolans Film genannt 

Welt am Draht (1973) über ein Computerprogramm, das reales Leben simulieren soll 

Remember (2015) über einen jüdischen Auschwitz-Überlebenden, der im hohen Alter Rache an dem Menschen nehmen möchte, der seine Familie ermordet hat 

Radius (2017) über einen Mann, der nach einem Autounfall nicht nur sein Gedächtnis verloren hat - alles, was ihm zu nahe kommt, stirbt auf mysteriöse Weise 

Come True (2020) über eine Schülerin mit Schlafproblemen, die an einer Studie im Schlaflabor teilnimmt
 
Hinter den Augen die Dämmerung (2021) über ein Paar, das seine Beziehung vor gothischer Kulisse neu überdenkt

Beyond the Infinite Two Minutes (2020) über einen Barista, zwischen dessen Café und Privatwohnung eine Zeitverschiebung besteht, so dass er je nach Standpunkt zwei Minuten in die Zukunft oder in die Vergangenheit schauen kann

Infinity Chamber (2016) über einen Mann, der in einer karg möblierten Kammer landet, Visionen von Zukunft (oder ist es die Vergangenheit?) hat und bewacht wird von einem freundlichen Roboter, der nicht über seinen Algorithmus springen kann, um ihm bei der Flucht zu helfen


Fröhliches mindbending!

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