Sonntag, 31. Juli 2016

Zwei Uhr Dreizehn


Jeden vierten Freitag findet in der Traum GmbH in Kiel die Gays&Friends statt. Ich war da mal eine Zeit lang, habe aber vor etwa sieben Jahren aufgehört, dort hinzugehen.

Jetzt weiß ich wieder, warum.

Nicht meine Musik: Da läuft Pop, House, nichts, was mich ernsthaft reizt, schon gar nicht zum Tanzen. Und wenn ich dann sehe, wie alle mitsingen und ich selbst die Mucke überhaupt nicht kenne, trägt das ein wenig zu dem Gefühl bei, dass ich dort ein Fremdkörper bin.

Nicht mein Outfit: Mal abgesehen von ein paar sehr exzentrischen Paradetrinen sehen diese Tucken des 18-bis-24-Jahre-Rasters alle gleich aus. Mainstream-Fashion-Victims sind für mich keine Hingucker. Ich fühl' mich da nicht richtig aufgehoben.

Nicht meine Szene: Ich definiere mich bei Weitem nicht mehr so sehr über meine Sexualität wie noch vor zehn Jahren. Ich find' die schwule Szene nicht besonders... naja, ist eben nicht meine Szene. Ich komme mit der Unverbindlichkeit nicht so klar und ich beneide die ganzen Typen da um ihre Selbstsicherheit.

Nicht meine Folks: Ich find's tierisch langweilig, wenn ich dort rumsitze und - mit einer Ausnahme - nicht ein einziges bekanntes Gesicht sehe. Und ich bin kein Typ, der auf Menschen zugeht, sie antanzt oder womöglich anspricht. Unbekannte schon gar nicht. Stattdessen überall diese "fertigen" Pärchen - darauf kann ich verzichten. Und immer wieder schleicht sich der Eindruck ein, dass mehr &Friends da sind als Gays.

Unterm Strich: Zeitverschwendung. Das habe ich um zwei Uhr dreizehn beschlossen und mich wieder auf den Heimweg gemacht, und jetzt versuche ich der Nacht noch eine Bedeutung zu geben.

Und welcher Vollpfosten kommt überhaupt auf die Idee, bei so einer Party als Stempel ein Heteropärchen zu benutzen???

post scriptum: Also, man merkt vielleicht, dass ich den Artikel in der letzten Nacht geschrieben habe und dass ich ansatzweise genervt war. Und wenngleich es deprimierend sein mag, sich von der Playstation retten lassen zu müssen, so hat es doch geklappt. Und als Ausgleich für dieses Erlebnis gehe ich am zwanzigsten August zur Lost Souls - da gehöre ich schon eher hin.

Und beim Nachdenken über die Aussage dieses Posts sollte ich vielleicht noch eine Ermutigung hinzufügen an alle, die meinen, sie müssten es allen recht machen und dürften keine eigene Meinung oder keinen eigenen Willen besitzen. Ich hab in meinem Leben immer wieder Dinge gemacht, die mich wenig bis gar nicht gereizt haben. Ab einem gewissen Zeitpunkt bin ich z.B. nur noch meiner Gaby zuliebe auf die Gays&Friends gegangen. Und in meiner Jugend haben meine Eltern mich fünf Jahre lang Handball im Verein spielen lassen, obwohl mich das überhaupt nicht interessiert hat und ich immer mies drauf war, wenn ich zum Training sollte. Ich habe nie den Mund aufgemacht. Das fällt mir immer noch schwer, aber hin und wieder schaffe ich es mittlerweile.

Klar, wer mich kennt, weiß, an wen ich diese Worte in erster Linie richte, wenn nicht an mich selbst. Ich weiß, er wird diesen Beitrag nicht lesen, aber das macht nichts, denn ich habe bereits intensiv versucht, ihm klarzumachen, dass er seine Meinung sagen soll. Ich weiß nicht, ob er das mittlerweile hinbekommt. Ich bin mir nur ziemlich sicher, dass wir erst dann weitermachen können, wenn er mir genug vertraut, dass er mir die Wahrheit sagen kann. 

Und ein drolliger Zufall will es, dass es jetzt vierzehn Uhr dreizehn ist. Perfekter Zeitpunkt, um Schluss zu machen.

Freitag, 29. Juli 2016

Das erste Gehalt


Heute geht es mal wieder um ein Gefühl. Ich weiß, ich habe das Gefühl hier schon einmal beschrieben. Es hat meinen gestrigen Tag aber dergestalt beeinflusst, dass es mir ein Bedürfnis ist, das hier noch einmal schriftlich festzuhalten. Vielleicht auch als Ermutigung an alle armen arbeitslosen Seelen, die da draußen auf den "perfekten Job um die Ecke" warten. Ja, es gibt Angestellte, die an so etwas glauben. Ich habe da ein paar ganz liebe Menschen im Blick, die in der Durststrecke sind oder darauf zusteuern, und ich möchte Euch hiermit klarmachen, dass es sich lohnt, am Ball zu bleiben.

Los ging das gestern: Ich brauchte irgendwoher fünfzig Euro, um den Wagen aufzutanken. Woher nehmen und nicht stehlen? Wenn der Dispo vollends ausgereizt ist, gibt es ja noch die Kreditkarte. Ich war mir sehr, sehr sicher, dass ich deren Limit mittlerweile ebenfalls ausgereizt hatte. Verdammt. Und ich wollte nicht bei meinen Mitmenschen betteln gehen, so etwas ist demütigend. Jeder einzelne Cent ist erniedrigend und wiegt während der Dauer der Schuldnerschaft wie eine geistige Zentnerlast auf den Schultern. Genau das ist es, was der Begriff belastend meint.

Das Gefühl der Abhängigkeit. Auf Andere angewiesen zu sein, mehr, als man es unter normalen Umständen vielleicht schon ist. Sich unfrei fühlen. Der innerliche Zwang, das Bewusstsein, der Gedanke, man müsse über jeden geleisteten Schritt, über jeden ausgegebenen Euro Rechenschaft gegenüber all seinen Gläubigern ablegen. Ich ertrage dieses Gefühl kaum, und ich glaube nicht, dass da so unendlich viele Sozialschmarotzer draußen sind, wie gewisse politische Richtungen es einem Glauben machen wollen. Ich denke mir, dass viele von diesen Menschen sich ebenso belastet fühlen. Es macht keinen Spaß, auf Stütze angewiesen zu sein. Geld mithilfe der Kreditkarte abheben und auf das Girokonto einzuzahlen, damit man im Dispo noch so viel Raum hat, dass die Stadtwerke ihre Beiträge abbuchen können. Ich fühle mich wie ein Verbrecher.

Nun, ich habe dennoch gestern vor meiner Kreditkarte meine normale Kontokarte gezückt. Es könnte ja immerhin sein, dass nun doch schon mein allererstes Gehalt nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit auf dem Konto ist. Das Monatsende ist relativ nah (und wir Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis bekommen immer erst am Monatsende das Gehalt). Ich checke den Kontostand, in Erwartung der üblichen Anzeige mit dem Minus vor den über Tausend Euro, die sich in den letzten Monaten angesammelt haben.

Doch da! Nicht nur war das Minus getilgt und mein Konto wieder ausgeglichen - ich hatte sogar ein schönes Plus dort zu stehen! Und das Gefühl ist schwer zu beschreiben - vor allem, weil es sich im Laufe des Tages erst entfaltet hat.

Erster Gedanke: Endlich kann ich meine Miete bezahlen. Endlich kann ich den Stapel Rechnungen überweisen, der auf meinem Schreibtisch liegt. Endlich kann ich tanken fahren. Endlich kann ich Gästen wieder etwas Anderes als nur Leitungswasser anbieten.

Zweiter Gedanke: Okay, wenn ich erstmal alle Rückstände beglichen habe und dann noch die Kreditkartenabrechnung kommt, bin ich wieder im fetten Minus. Aber dann lasten mir keine offenen Posten mehr an!

Dritter Gedanke: Ich bekomme endlich wieder Gehalt. Endlich sind es keine paar hundert Euro Arbeitslosengeld mehr. Endlich kann ich mir wieder Kleidung kaufen! Endlich kann ich meinen Miet-Dauerauftrag einrichten, weil ich jetzt für mindestens ein volles Jahr mein Gehalt bekomme!

Vierter Gedanke: Endlich wieder arbeiten. Endlich wieder im System! Endlich die Lasten von den Schultern werfen. Endlich wieder richtige Beschäftigung! Endlich weniger Freizeit!!!

Gestern hieß es für mich endlich wieder durchzuatmen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich schön. Dieser Moment, auf den ich wochen-, monatelang hingehofft habe - endlich wieder eine Perspektive zu haben und nicht mehr ziellos herumzudriften.

Ich hatte es schon einmal vor etwa drei Jahren, dass mich ein Schulleiter "von der Straße geholt hat". Ich war damals endlos dankbar, und auch heute bin ich meiner Schulleiterin grenzenlos dankbar für alles, was sie mir von den Schultern genommen hat. Für sie mag es "nur" eine Lücke in der Unterrichtsversorgung sein, die sie gestopft hat. Für den arbeitslosen Junglehrer ist es allerdings etwas, woran er sich klammern kann, etwas, was mir jeden einzelnen Tag aufwertet, jedem Aufstehen einen Sinn gibt und jedes Zubettgehen mit mehr Perspektive versieht.

Und es mag noch so aussichtslos sein in der Arbeitslosigkeit. Und es mag noch so deprimierend, demütigend, erniedrigend und vernichtend sein. Und es mag noch so lange dauern und endlos erscheinen - irgendwann *hat* es ein Ende.

Und dieser Moment wiegt das ganze Warten auf.

Donnerstag, 28. Juli 2016

Komma klar!


Seit einiger Zeit lese ich gern Nachrichten per Google News. Heute sehe ich da eine erstaunliche Schlagzeile - die Arbeitslosenzahl in Deutschland ist im Juli auf 2661 Millionen gestiegen. Das ist erschreckend, da sie im Juni noch etwa 2,658 Milliarden weniger betrug. Wir haben also innerhalb eines Monats ein Wachstum von 100000%. Wenn das so weitergeht, haben wir im August 2,65 Billionen (deutsche Nomenklatur) zu beklagen. Besonders schockierend ist diese Mitteilung, wenn man bedenkt, dass in Deutschland nicht einmal einhundert Millionen Einwohner registriert sind. Das werden doch Populisten wie die AfD wieder für sich ausschlachten und die Schatten-Immigranten der Regierung um die Ohren schlagen!

Welch ein Glück, denke ich da im kleinen Rahmen, dass ich zumindest für ein Jahr Arbeit habe. Und endlich habe ich die Gewissheit - heute ist mein erstes Gehalt gekommen. Endlich kann ich die Anzahlung für den Sportwagen leisten, mein Hamasaki-Soundsystem installieren, den Delikatess-Lieferservice abonnieren und meine Haussklaven bestellen. ... Naja, nicht ganz. Endlich kann ich meine Miete überweisen, den Wagen auftanken, die Rechnungen für Telefon, Apotheke, Stadtwerke etc. bezahlen. Die Neuanschaffungen werden noch lange warten müssen, aber immerhin kann ich mich jetzt langsam aus dem Minus hervorarbeiten und hier und da anfangen, meine Schulden zu begleichen.

Ich gehöre also nicht zu den Tausenden von Millionen von Arbeitslosen in Deutschland, was ein Glück. Wohl aber scheint es ein paar Milliarden Lehrkräfte getroffen zu haben. Oder Lektoren. Menschen, die das Wort "Producerin" (sic!) im Tatort-Abspann tilgen. Menschen, die wissen, was ein fehlgesetztes Komma ausmachen kann, Menschen, die die mathematische Bedeutung des Kommas beibringen können, Menschen, die den Unterschied zwischen einer deutschen und einer internationalen "Billion" kennen. Menschen, die wissen, dass 2,661 in amerikanischer Schreibweise 2.661 ist. All diese Menschen sind nun arbeitslos geworden, und so wird es dazu führen, dass das Wachstum der Arbeitslosenzahl sich nächsten Monat sogar in Milliarden Prozent niederschlagen wird. Arm dran, wer jetzt noch mit einem Rechenbrett rechnet, denn er wird eines mit Abertausenden von Kugeln benötigen, und die wollen erstmal angeschafft sein.

Mittwoch, 27. Juli 2016

Frau Kuntzmann zieht aus


Dieser Beitrag könnte auch heißen: "Deutschland verjüngt sich" - dieser Effekt tritt derzeit in vielen Kollegien auf, in denen die Pensionierungswelle gerade rollt und haufenweise aufstrebende Junglehrer den Markt überschwemmen. Und im Kleinen läst sich dieser Effekt in unserem Mehrfamilienhaus beobachten.

In meiner Etage befinden sich drei Wohnungen - ich wohne in der Mitte, die perfekte Ausgangslage, um Nachbarn links, rechts und unten mit zu lauter Musik zu nerven. Als ich vor ein paar Jahren hier eingezogen bin, wohnte in der rechten Wohnung Frau Kuntzmann und links Herr Pfennig. Die Namen habe ich selbstverständlich eventuell geändert.

Okay, das mit Herrn Pfennig glaube ich zumindest, denn ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. Ich habe den Namen an seiner Türklingel gelesen und das war es auch. Einige Monate später sollte Herr Pfennig seinen großen Auftritt bekommen - es war ein warmer Sommerabend, ich hatte alle Fenster aufgerissen und einen Film geschaut. Plötzlich hörte ich es an meine Wohnungstür bollern - einmal, nochmal, dann der Ruf "Hier ist die Polizei!" - Herzschlag, Film abschalten, Drogen verstecken, totstellen. Jetzt erst sehe ich das Blaulicht in der Seitenstraße. "Herr Pfennig, öffnen sie die Tür!"

Okay - WAS ist hier los? Schnell springe ich zum Türspion, in der Hoffnung, dass ich nicht den Daria Nicolodi-Tod dort sterbe (Argento-Fans sehen gerade klirrendes Glas und ein kaputtes Telefon vor sich), und sehe zwei Polizisten vor des Nachbarn Tür stehen. Okay, das Klopfen war also gar nicht bei mir. Sie klingeln mehrfach, klopfen mehrfach. Nichts passiert. Zehn Minuten später haben sie die Tür aufgebrochen, ich höre nur "So eine Scheiße..." und denke mir, okay, nein, das ist nicht das, was ich jetzt denke. Oder? Ist es vielleicht die Erklärung für den komischen Fäulnisgeruch, der seit ein paar Tagen das Treppenhaus beherrscht? Ist das die Erklärung dafür, dass ich Herrn Pfennig nie zu Gesicht bekommen habe?

In den folgenden Tagen sehe ich die Tür und den Briefschlitz mit Dichtungsband abgeklebt, die Fenster stehen weit geöffnet. Alles klar, okay, nun ist es amtlich, Herr Pfennig ist in der Nachbarswohnung verreckt, salopp formuliert. Schön, eine Wohnung steht frei. In den folgenden Tagen sind allerdings erstmal diverse Reinigungsfirmen und Menschen in komischen Anzügen ein- und ausgegangen. Nun, knapp zwei Jahre später, sind neue Mieter eingezogen. Studenten, so scheint es. Ob sie wohl die Vorgeschichte ihrer Wohnung kennen? Vielleicht sollte ich mich mal auf einen Kaffee einladen...

Und dann war da also Frau Kuntzmann, doch in den letzten Monaten wurden erstaunlich viele Möbel aus ihrer Wohnung geräumt. Sollte sie nun etwa auch das Weite suchen? Besser als das Zeitliche zu segnen, immerhin. In der Tat, ihre Wohnung stand nun auch frei - das scheint sich allerdings ziemlich fix geändert zu haben. Heute morgen klingelte es an meiner Tür, Zeit, sich ein Handtuch um die Hüften zu schwingen und zu öffnen: Noch so ein junges Gesindel, sich vielmals entschuldigend, aber die Türklingel in der Nachbarwohnung funktioniert noch nicht.

Okay, scheint, als wäre da also noch ein Studentenpack. Bestätigt, was meine Nachbarin und ich letztens überlegt haben: Unser Haus scheint sich deutlich zu verjüngen. Ist auch mal eine nette Abwechslung - mit einem Mal bin ich der Älteste auf meiner Etage. Mal sehen, wie lange die es hier aushalten - die Wohnungen sind einigermaßen günstig, die Leute im Haus sind nett - das erklärt, warum sich für die Kuntzmann-Wohnung so schnell Nachmieter gefunden haben; bei Pfennig hat es knapp zwei Jahre gedauert und meine Wohnung stand immerhin ein dreiviertel Jahr frei.

Ich liebe Mietwohnungen.

Dienstag, 26. Juli 2016

Atelier Escha&Logy - Alchemists of the Dusk Sky

Videospiele. Genauer: Die Atelier-Reihe. Hatte ich noch nie von gehört, und dann durch Zufall mal einen der Teile ausprobiert. Oh, es gibt so Vieles, was gegen diese Spiele spricht. Plot gern dünn wie Papier. Sprachausgabe nur für etwa ein Viertel des Spiels. Anime-Stil. Unreife Witze. Schwierigkeitsgrad viel zu einfach. Und dann dieses unsägliche Zeitlimit, nach dessen Ablauf das Spiel einfach zu Ende ist.

Dabei sind die redeeming qualities dieser Spielereihe unübersehbar - wenn man sich nur die Zeit nimmt, sie wertzuschätzen. Die Teile dieser Reihe bauen nicht auf epische Storylines. Es geht auch mal ohne den Kampf Gut gegen Böse, ohne dass das ganze Universum auf dem Spiel steht. Ganz im Gegenteil, die Spiele sind leichtherzig und gutlaunig und das steckt an. Es geht um Probleme, die die Zielgruppe interessieren: Japanische Teenagegirls. Es geht um Romanze, um Klatsch und Tratsch.

Und es geht um Alchemie. Die Kämpfe, wie wir sie aus traditionellen RPGs kennen, stehen hier nicht im Vordergrund. Sie sind einzig der Schauplatz, um das unter Beweis zu stellen, was man im Hauptteil des Spiels fabriziert hat: Alchemie. Es gibt eine Vielzahl alchemistischer Formeln und in den neueren Teilen mittlerweile eine wahre Unzahl alchemistischer Zutaten. Mit ihrer Hilfe braut man Angriffs-, Heil- und Supportgegenstände zusammen. Man erschafft Edelsteine, Rüstungen, wichtige Bauteile. Man lernt, zielgerichtet Dinge zu alchemisieren.

Und in keinem anderen Spiel sind die Alchemieprozesse so komplex wie in der Atelier-Reihe. Es können Eigenschaften der Komponenten in das Produkt übernommen werden, teilweise miteinander kombiniert, und alles funktioniert so logisch, dass ich als Hochbegabter meinen Spaß daran habe, immer die bestmöglichen Produkte zu erhalten, die ich dann im Spiel ausprobieren kann.

Ja, die Handlungsstränge sind in der Tat oft sehr dünn. Bei Atelier Rorona muss man mithilfe von zwölf Aufträgen versuchen, den Alchemieworkshop von Roronas Meisterin zu retten. Für jeden der Aufträge hat man drei Monate Zeit. Und dann? Dann ist Ende, eiskalt. Nach drei Jahren Spielzeit (vier bei der Plus-Version) laufen die Credits über den Bildschirm, so dass man nach zwölf Stunden das Spiel beenden kann.

Es gibt unzählige Cutscenes, von denen allerdings nur ein kleiner Teil mit Sprachausgabe versehen ist - das bedeutet, dass es haufenweise Texte zu lesen gibt. Also eher nichts für die Spieler, die lieber nicht das Gehirn anstrengen wollen.

Zur Zeit spiele ich Atelier Escha&Logy. Einer der wenigen Teile, bei denen man die Hauptfigur wählen kann, und ich könnte schwören, dass die Namen Escha und Logy nicht zufällig gewählt sind, sondern sich vom englischen Begriff "eschatology" ableiten lassen. Generell findet man in diesen JRPGs die Besessenheit der Japaner mit ausländischen Namen wieder, besonders deutsche Wörter sind unglaublich beliebt. So heißt eine Blume "Dunkelheit", eine Legierung "Einzel Steel", eine Figur "von Ersleid". Weitere Beispiele gibt es in Unmengen.

E&L ist der vierte Teil, den ich spiele, inesgesamt einer der neuesten. Und diesmal bin ich begeistert, muss ich zugeben. Vom launischen Rocksong zum Titelvideo über eine eher lange Spieldauer bis hin zu einem handfesten Plot findet man hier alles, was man sich von der Reihe erhofft. Die Menge der alchemistischen Zutaten und Formeln ist gewaltig, es gibt eine Vielzahl an Missionen zu erfüllen und es ist unglaublich genugtuend, die Ergebnisse der eigenen alchemistischen Forschung auf dem Kampfplatz auszuprobieren und vernichtende Kombos hinzulegen.

Es ist eine angenehme Abwechslung, endlich mal keine schwülstige und schwergängige epische Tragödie vor sich zu haben, sondern ein leichtfüßiges, humoristisches Adventure, dessen Verlauf man aktiv beeinflussen kann. Wer sich also nicht von den seltsamen Namen irritiert fühlt und den zeitweiligen Seifenoper-Charakter aushält, der findet einen wunderbaren Zeitvertreib, der süchtig machen kann.

Sonntag, 24. Juli 2016

Über das Altern


Dreiunddreißig Jahre. Und endlich sind mal keine blauen Flecken oder Beulen irgendwo zu sehen. Solche Verschleißerscheinungen treten nun mal auf, können ja aber auch fix repariert werden, einfach ne Zeitlang schonen und alles funktioniert wieder, wie es soll. Mit dreiunddreißig Jahren können allerdings so langsam grundlegende Mängel auftauchen. Abgenutzte Gelenke. Hier und da knackt mal was. Man muss öfters mal zum Routine-Check. Ich habe mich heute wieder davon überzeugt, dass auch mit dreiunddreißig Jahren alles noch wunderbar funktionieren kann. Doch ich fange mal nach dem nicht vorhandenen Frühstück an.

DO-AH 387. Ich krieg jetzt schon nen Hals. Du blöde Urlaubstrulla mit deiner Sightseeing-Familie, seht ihr nicht, dass ich auf die B76 einschwenken möchte? Blinker? Ich versuche extra, in die Lücke zu kommen? Nein, Madame Tamara muss ja unbedingt ihre Schrottkiste gleichauf mit meiner halten. Völlig entnervt ziehe ich an ihr vorbei und fädel meinen Haufen TÜV-Kür in die Blechschlange Richtung Ostsee ein, was sie gleich mit entnervtem Hupen quittiert und dann im Siebziger-Bereich mit Hundert an mir vorbeizieht. Naja, was erwarte ich von jemandem mit dem Kennzeichen DO-AH 387. Wenigstens ist die olle Hopse endlich weg. Aber man sieht sich immer zweimal im Leben...

Das Wetter ist ja geradezu fantastisch: Sonnig mit einem leichten Lüftchen, nicht allzu heiß, dennoch gut, wenn man Sonnenschutz dabei hat. Ich bekomme nur ein bisschen Nervosität in die Finger, es sind unzählige Touristen unterwegs. Klar, nun haben fast alle Bundesländer Ferien - man sieht es ja in der Politik als Erfolg an, dass endlich alle fast gleichzeitig in die Ferien starten können. Whatever. Und so sehe ich ein buntes Gemisch nationaler und internationaler Kennzeichen, Österreich ist dabei, die Niederlande, Italien, einmal Spanien, viel Dänemark. Dädebahk. Verzeihen Sie diesem alten Mann das sinnlose Gebrabbel.

Endlich raus aus Kiel, Elmschenhagen, Spieß-Preetz, endlich ein bisschen B76-Romantik in der Landschaft, ach schau mal an, wer steht denn da vorne auf dem Seitenstreifen? DO-AH 387. Ich überlege schon, bösartig eine Runde zu hupen, aber das ist nicht mehr nötig: Das Beifahrerfenster steht offen und im Moment meines Vorbeifahrens arbeitet sich eine wunderschöne, umgekehrte Parabel aus Frühstück den Weg Richtung Erdboden, Pynchon wäre stolz, nur dass diese Kotzparabel nicht wirklich regenbogenbunt war. Man kann sich nur im Ansatz vorstellen, welch Genugtuung mir der Anblick verschafft hat, ich hätte am liebsten thaliamäßig "Tsch-hösschedäh mbhit Khöösschendhäh!" nach draußen gerufen.

Habs aber für mich behalten und mich delektiert an der geilen Radiowerbung mit der Marssonde. Kennt Ihr die? Ich hab sie heute zum ersten Mal gehört und mich vor Lachen fast hinterm Lenker verklemmt. Sehr witzig! "Oh, da kommt irgendw..."

Doch nachdem ich dann endlich am Busch Reihe Neunzehn geparkt und mich aus dem Wagen gequält habe - und meinen Körper unter einer zentimeterdicken Schicht Sonnenschutz begraben - komme ich nun zurück zu den Gedanken über das Altern.

Mit dem Alter wird es langsamer, sagen manche. Früher war die (die?) mal schneller, klar, früher war immer alles schneller. Davon war heute nichts zu spüren. Im Gegenteil, ich habe heute erleben dürfen, dass man das Alter nicht wirklich spürt.

Okay, so langsam klinkt sich der gesunde Menschenverstand aus, wovon rede ich hier? Ich spreche von Nessie. Ich habe dem Hansa-Park heute einen kurzen Besuch abgestattet, Sonne aufgetankt, Adrenalin um mich herum verschüttet, mein persönliches Update abgeholt. Und ich wurde konfrontiert mit Straßen voller Touristen (Kennzeichen-Fasching), so wie oben bestaunte Kotztante. Ich habe mich in der Konsequenz seelisch auf elendig lange Wartezeiten im Park eingestellt - und wurde überrascht!

Das ging fix, Kärnan brauchte keine zwanzig Minuten, Fluch von Novgorod ebenfalls nicht. Erklärung? Könnte daran liegen, dass es das Reisewochenende ist und dass die meisten Familien auf der Straße unterwegs sind. Ich hab's jedenfalls genossen und dabei eben auch einmal wieder Nessie beobachtet. Genau wie ich, ist die Achterbahn in diesem Jahr dreiunddreißig Jahre alt geworden (falsch, Herr Doktor, die wurde nämlich schon 1980 gebaut). Und ich bin beeindruckt, wie ruhig sie sich fährt. Man muss es den Schwarzkopf-Achterbahnen lassen: Sie altern würdevoll und machen immer noch eine Menge Spaß, ich staune!

Ich habe es munkeln hören, der Fluch sei nicht so elegant gealtert. Ruckeliger geworden. Klapperiger. Da gab es hier und da mal richtig Schläge, blaue Flecken, unbequem. Der Fluch ist keine Schwarzkopf-Achterbahn, sondern stammt aus dem Hause Gerstlauer Amusement Rides, ebenso wie die Schlange von Midgard und Der Schwur des Kärnan (witzig - ich wette, das hab ich hier alles schon mal geschrieben und irgendjemand wird das vielleicht merken). Es geht der Tenor in der Achterbahn-Szene, dass Gerstlauer-Achterbahnen beim Altern leider ruckeliger und störanfälliger werden. Deswegen der Vergleich zu Nessie: Ob die Gerstlauer-Bahnen auch auf so lange Zeit ausgelegt sind?

So, und nun muss ich nochmal loswerden, wie sehr ich mich über den Hanse-Flieger freue. Endlich! Ich finde, diese Kettenkarusselle (siehe Foto oben) sind ein Wahrzeichen in jedem Vergnügungspark. Das gehört einfach dazu, und so habe ich heute auch damit meine ersten Runden gedreht und es hat riesigen Spaß gemacht. Als ich vor ein paar Jahren in Kings Island war, hab ich auch gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd, als ich das Kettenkarussell entdeckt hatte.

Irgendwie muss ich beim Schreiben dieses Eintrags schon wieder an Thomas Pynchon denken, alles zusammenhanglos und aus dem Kopf auf das Papier, Sinn und Zusammenhang, ach Leute, strengt Euch doch mal ein bisschen an und ich werd

Samstag, 23. Juli 2016

Gewalt(ig beeindruckend)


So, nachdem ich bereits von zehn Minuten Morgenluft ins Schwitzen komme, wird der Park auf morgen verschoben, erstmal ist Hausarbeit dran und dann ab zum Friseur, runter mit dem Kopf.

Runter mit dem Kopf ist ein gutes Stichwort, wenn auch eine etwas makabre Überleitung. Ich wundere mich ein wenig, es vergeht keine Woche mehr ohne irgendwelche Gewalttaten, bald wird es nicht einmal gewaltfreie Tage mehr geben (gibt es eh' nicht). Ist das nur eine Frage meiner Wahrnehmung oder sind die Gewalttaten mehr geworden? Liegt es an veränderter Berichterstattung?

Ich habe heute Kommentare auf der Homepage der Tagesschau gelesen. Großer Fehler, das ist mir bewusst, weil sich darin die geballte Dummheit der Menschen offenbart und die Lektüre dieser Kommentare reinste Zeitverschwendung ist. Da werden alle möglichen Theorien aufgestellt, Hauptsache, es gibt etwas zu meckern. Und das erschreckt mich: Da sterben Menschen auf offener Straße und 95% der Kommentare sind Beschwerden über die Berichterstattung, Beschwerden über das Verhalten der Polizei, Beschwerden über die Qualität öffentlich-rechtlichen Fernsehens, da fehlen nur noch Beschwerden über das eigene Gehalt, das ja für solche Geistesleistungen (nämlich alles zu kritisieren) viel zu gering bemessen ist.

Könnt Ihr nicht einfach mal mit den Gedanken bei den Opfern sein? Oder zumindest das Maul halten, um den Familien ein wenig Respekt zu zollen? Müsst Ihr jeden dieser schrecklichen Vorfälle immer wieder für Euch als Plattform nutzen, da Ihr es ja eh schon immer wusstet? Wie marode das ganze System doch ist?

So schwachsinnig die Vielzahl dieser Kommentare sein mag, so zeigt sie doch ab und an interessante Punkte auf. Befinden sich ARD, ZDF und Konsorten auf einem niveautechnischen Niedrigflug? Nur weil ein Jens Riewa gestern verzweifelt ohne Text im Studio stand und mehrfach versucht hat, Interviews zu führen? Da wagen dann die Leute, diese Live-Berichterstattung zu kritisieren. Das sind genau die User, die bei fehlender Live-Berichterstattung klagen, dass sie mit zu wenigen Infos abgespeist werden.

Manchen kann man es eben nie recht machen, manche Menschen brauchen immer etwas zum Jammern. Und zu oft erkenne ich mich in diesem Verhalten auch selbst wieder - und versuche, aufzupassen, dass ich mich davon nicht einfangen lasse.

Und hoffe heute auf eine bessere Welt.

post scriptum: So ein Scheiß, der Friseur muss warten, bis ich mein Gehalt auf dem Konto hab. Nur noch eine Woche, dann ist endlich wieder für eine Weile durchatmen angesagt.

Freitag, 22. Juli 2016

Absturz in die Ferien!


So, nu isses geschafft, heute war der letzte Unterrichtstag in Schleswig-Holstein. Und wenngleich sicherlich all meine Bekannten in diesem Halbjahr mehr gearbeitet haben als ich, bin ich dennoch froh über das Abschalten-Können.

Zum einen erlebe ich es wieder, dass die Gemeinschaftsschule für mich körperlich auslaugender ist als das Gymnasium. Das soll aber kein Gejammer sein, im Gegenteil, ich habe das wirklich sehr vermisst und wünsche mir um nichts in der Welt die Arbeitslosigkeit zurück. Es war für mich nur sehr schwierig, mich für gerade einmal vier Wochen auf meine Lerngruppen einzustellen. Wer mich kennt, weiß, dass ich dazu viel mehr Zeit brauche. Das Neue braucht Zeit. Das muss ich selbst immer wieder lernen. Ich bin total glücklich, dass ich nicht mehr an einem Gymnasium arbeite und ich möchte dahin auch nicht zurück. Die Erfahrung in Eckernförde, darauf hätte ich gern verzichtet, aber wenn man erstmal arbeitslos ist, kann man nicht einfach aus derartig nichtigen Gründen eine Krankheitsvertetung ausschlagen. Whatever, nun habe ich jedenfalls das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, in diesen vier Wochen sind viele Kollegen offen und warmherzig auf mich zugegangen. Es fällt mir sehr schwer, zu erklären, warum das in Eckernförde in der doppelten Zeit nicht möglich war - zumindest, wenn ich nicht meine Vorbehalte gegenüber der Schulform hier schon wieder ausbreiten möchte und ein persönliches Urteil über die pädagogische Arbeit an manchen Gymnasien abgebe (Praeteritio erkannt?). Tief in mir drin weiß ich, warum es jetzt besser läuft.

So, für mich wäre eine Tour in nen Freizeitpark der ideale Startschuss für die Ferien. Draußen wird es aber gerade grau, wie angekündigt, und es sollen ja einige Gewitter durchziehen. Für morgen sieht der Wetterbericht für Sierksdorf wunderbar aus, ich habe schon mal wieder die Sonnencreme bereit gestellt. Lustige Sache: Ich habe die Creme vor zwei Monaten mal bereitgestellt und seitdem war das Wetter immer nur so mittelmäßig. Meine plietsche Nachbarin meinte dann, ich solle die vielleicht einfach wieder wegstellen, vielleicht würde das Wetter dann besser. Das Merkwürdige: Kaum war sie wieder im Schrank verschwunden (die Creme, nicht die Nachbarin), gab es am folgenden Tag strahlenden Sonnenschein. Vor zwei Stunden habe ich sie dann wieder rausgeholt, morgen werde ich sie wohl brauchen. Und schwupps, innerhalb von zwei Stunden hat es sich grau zugezogen. Ich habe magische Sonnencreme.

Und nun möchte ich nochmal meinen Respekt aussprechen für alle Kollegen: Ihr macht einen tollen Job, viele von Euch geben sich richtig Mühe, um unseren Schülern den Weg in die weite Welt zu bereiten. Das kann ein sehr herausfordernder Job sein, und oft genug kommt es vor, dass weder Schüler und Eltern, noch irgendjemand im Ministerium einem das dankt. Im Gegenteil - neue Erlasse, neue Gleichschaltung und mit dem Anwalt drohen, wenn die Note nicht gut genug ist: Solche Dinge begegnen uns immer wieder, und manchmal ist es nicht ganz leicht, durchzuhalten. Manchmal fragt man sich, wozu man diesen Job überhaupt macht. Manchmal wünscht man sich einen durch feste Arbeitszeiten geregelten Job. Manchmal wünscht man sich, man würde nicht immer so viel Verantwortung mit sich herumtragen. Und in solchen Phasen hat man dann die freien Tage ganz besonders nötig.

Ich wünsche allen Lesern einen guten Start in die Sommerferien!

Donnerstag, 21. Juli 2016

Epilepsie-Flashback


Gestern habe ich einen Artikel zum Thema Epilepsie gelesen. Ich bin kein Epileptiker, und dafür bin ich sehr dankbar. Vor einigen Jahren hatte ich allerdings mal einen epileptischen Anfall, und das war für mich so befremdlich, so erschreckend, dass ich den Tag noch gut in Erinnerung habe.

Ein Tag wie jeder andere, es war Sommer und ich habe noch in der WG in Kronshagen gelebt. Es muss gegen Ende des Studiums gewesen sein. Ich weiß noch, wie ich am Nachmittag mit dem Auto in der Stadt unterwegs war. Am frühen Abend hatte ich mir dann ein Computerspiel genehmigt. Kurz nach achtzehn Uhr war das. Ich entspannte also eine Runde beim Spielen...

...und plötzlich saß ich nicht mehr am Schreibtisch, sondern in meinem Nippel-Sessel. Neben mir standen meine beiden Mitbewohner und schauten auf mich herab. "Geht es dir wieder besser?" fragte Nummer eins. Ich wusste nicht, wovon sie redete - war doch alles in Ordnung! Aber warte mal, warum saß ich auf dem Sessel? Was hatte ich davor gemacht? Wie spät war es? Welcher Tag war damals? Ich merkte plötzlich, dass ich vollkommen verwirrt war, irgendwie hatte ich einen Filmriss, ich merkte nur, wie sich nach und nach extreme Kopfschmerzen einstellten.

"Wie, na klar, ist denn etwas nicht in Ordnung?" "Er kann sich nicht dran erinnern." "Dr Hilarius, du lagst gerade auf dem Fußboden, hast wie wild um dich getreten und gekrampft und Deinen Kopf gegen den Beistelltisch geschlagen." Erster Gedanke: PEINLICH!!! Zweiter Gedanke: What the fuck???

"Ich glaube, du hattest einen epileptischen Anfall", meinte Nummer zwei dann behutsam zu mir. "Bleib erstmal einen Moment sitzen. Wie fühlst du dich?" Eigentlich war alles in Ordnung, wenn da nicht die Kopfschmerzen gewesen wären, die noch immer stärker wurden.

"Also eigentlich gehts mir gut, hab nur ein bisschen Kopfschmerzen und ich weiß nicht mehr genau, was passiert ist. Fuck, ist mir das peinlich..." - "Wir haben versucht, dich festzuhalten und in den Sessel zu setzen, du hast dabei rumgeschrien und wir haben uns irgendwie Sorgen gemacht."

Langsam fielen die Puzzleteile an ihren Platz. Ich konnte mich noch an das Computerspiel erinnern, dann hatte ich einen Filmriss von etwa zwanzig Minuten. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Stirn, ich schwitzte sehr stark. Als ich die Hand wieder herunter nahm, sah ich, dass sie blutverschmiert war. "Oh, hab ich mir den Kopf angestoßen?"

Nummer zwei versuchte möglichst behutsam zu erklären: "Du hast deinen Kopf zwischendurch auch gegen den Ziegelstein unter deinem Schreibtisch geschlagen, aber das sieht schlimmer aus, als es ist. Möchtest Du erstmal ins Bad gehen? Gesicht waschen?" - "Ja, das ist besser, und zwei Aspirin. Es tut mir so Leid, dass ich euch Sorgen bereitet habe. Bitte erzählt das niemandem weiter, das ist mir so peinlich!" - "Mach dir darum keine Gedanken, natürlich erfährt davon niemand was. Wir gehen jetzt erstmal wieder in unser Zimmer zurück. Sollen wir einfach in einer halben Stunde nochmal nach dir schauen?" - "Ja, bitte. Ihr seid echt toll!"

Nun weiß ich also, wie sich so ein epileptischer Anfall anfühlt, und ich bin nicht scharf auf eine Wiederholung. Man könnte Schaden an der Einrichtung verursachen, sich selbst auf die Zunge beißen, sich Arme und Beine aufschlagen und dieses Gefühl absoluter Verwirrung und Orientierungslosigkeit danach und der verzweifelte Versuch, die Ereignisse zu rekonstruieren, das wünsche ich niemandem. Jetzt weiß ich, wie schwer das Leben hin und wieder für Epileptiker sein muss. Klar, dagegen gibt es Medizin, aber man ist nie vor so einem Anfall gefeit.

So, diese Erfahrung wollte ich nur einmal in diesem Blog mitteilen. Genießt die Sonne, es ist endlich wieder Sommer!

Mittwoch, 20. Juli 2016

Projektwoche


Endlich erlebe ich mal wieder eine schulische Projektwoche mit. Nach ganz klassischem Muster - Lehrer überlegen sich zu Beginn des zweiten Halbjahres ein Projekt, das sie anbieten möchten und die Schüler tragen sich dafür ein. In der letzten Woche des Schuljahres wird das Projekt dann durchgeführt; Unterricht findet nicht mehr statt.

Klassische Projekte sind zum Beispiel "Kosmetika herstellen", "Einen Zeichentrickfilm machen", "Flashmob-Dancing", "Zaubertricks" oder das "Outdoor-Projekt", für das ich gestern und heute zur Aufsicht mit eingeteilt worden bin. Ich muss zugeben, ich war mir sehr unsicher, ob ich dafür geeignet bin. Ich bin ein Stubenhocker und Denkmensch. Ich bin in der freien Natur vollkommen verloren und handwerklich gänzlich unbegabt.

Allerdings wird das Projekt von einer Kollegin geleitet, die sich selbst als absoluten Outdoor-Freak bezeichnet und eine Ausstrahlung hat, mit deren Hilfe sie alle Mitglieder für die Sache begeistern kann. So sind wir also mit der Gruppe in den vollkommen verwilderten Schulwald gegangen - dort gab es nichts "Fertiges", nur Gestrüpp, lebendige und tote Bäume und eine verwitterte Waldhütte. Keine Wege, gar nichts weiter.

Dann haben wir das Werkzeug ausgepackt: Viele Sägen in unterschiedlichen Größen, Arbeitshandschuhe, Spaten, Axt, Kettensäge, Spitzhacke, Seile und vieles mehr. Von da an hat die Projektleiterin nur noch kurze Impulse gegeben und die Teilnehmer motiviert, selbst etwas anzustellen mit allem, was sie in diesem Waldstück vorfinden konnten.

Heute ist Tag drei, und sie haben so viel geschafft: Wege entstrüppt und mit dicken Holzbalken markiert, einen großen Platz freigeräumt, Bänke aus Baumstämmen gebaut und eine große Feuerstelle ausgehoben und mit Steinen begrenzt. Drei Waldhütten aus Ästen und Laub gebaut, eine davon mit eigener Feuerstelle. Kleinigkeiten gebastelt, zum Beispiel Knöpfe aus Holz oder ein Kästchen für Räucherstäbchen sowie eine Art Traumfänger - siehe Foto oben; Letzterer ist allerdings noch lange nicht fertig. Die Sachen hab ich gebastelt und gemerkt, dass es gar nicht so schwer ist, mit der eigenen Umwelt zu arbeiten.

Ein Plädoyer dafür, seinen Kindern die Natur aufregend zu gestalten und nicht immer jegliches Spielzeug fertig konfiguriert vorzusetzen. Eines der Highlights war ein etwa zwanzig Meter hoher Baum, den wir gefällt haben - das war aufregend, ich hab sowas noch nie in natura gesehen. Morgen gibt es dann ein großes Abschlusslagerfeuer mit aus alten Fahrradteilen selbst gebautem Grill. Die Kollegin hatte auch schon einmal eine Neigungsgruppe (=AG) zu dem Thema; ich würde mir wünschen, dass es wieder dazu kommt, denn die Schüler haben heute voll motiviert gearbeitet und sich in die Natur gestürzt, ohne auch nur ein Mal auf ihr Handy zu schauen. Ganz toll, und genau für solche Vielfalt und spannende Projekte liebe ich Projektwochen.

Dienstag, 19. Juli 2016

Smombienation reloaded


Da laufen sie wieder: Die Köpfe gesenkt auf ihre schnurlosen Telefonapparate, versunken in ihrer eigenen Welt, die Sm(artphonez)ombies. Ist ja schon an sich nervig genug, besonders machts mich fahrig, wenn meine Gäste zum Phubbing neigen - also wenn sie mich besuchen und dann alle zehn Minuten krampfhaft ihre Nachrichten checken müssen. Deswegen hab ich für meine Wohnung ein Phubbing-Verbot verhängt: Entweder, das Handy bleibt in der Tasche oder der Besucher draußen.

Heute hätte ich beinahe zwei dieser Jugendlichen-Versionen der Smmbies überfahren, die bei rot über die Ampel gegangen sind. Aus dem gleichen Grund, warum andere Jugendliche ohne Vorwarnung in die Vorgärten von wildfremden Menschen steigen: Pokemon Go ist ein sogenanntes augmented reality game - schön und gut, wenn diese Leute keine andere Beschäftigung haben, sollen sie das machen. Aber wenn sie fremde Grundstücke betreten oder sich selbst in Gefahr bringen, dann hört der Spaß auf. Und dann liest man Berichte zweier Männer in den Staaten, die von einer Klippe gestürzt sind - und mein Mitleid hält sich so sehr in Grenzen, dass ich gar keine Grenzen mehr brauche.

Der Eintrag heute ist nur kurz, ich muss mich jetzt abreagieren. Videospiele. Meine Zombiewelt.

Samstag, 16. Juli 2016

Cloud Atlas


Mal wieder Zeit für eine Filmbesprechung. Oh, ich sehe, in dem Satz fehlt ein Prädikat. Muss ich mir wohl aus dem Film abgeguckt haben, der als eines von unzähligen Details eine Vielzahl unterschiedlicher Sprachstile anbietet, geschuldet dem halben Jahrtausend, über das verteilt die Ereignisse des Films geschehen.

Cloud Atlas (2012) ist ein Film von Tom Tykwer, Lana und Andy Wachowski. Ersteren Namen möge man im Kopf bitte mit Lola Rennt verknüpfen, einem Film, der jenseits des Teiches tatsächlich an Schulen regulär im Unterricht behandelt wird. Bei den Wachowskis möge sogleich die Lampe Matrix aufleuchten. All diese Namen beleuchten einen der wesentlichen Wesenszüge des Werks, das uns hier präsentiert wird: Die Verbundenheit aller Ereignisse, ob vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, sowie die Auswirkung unseres Handelns auf eben jene Ereignisse. Es sind Filme, die vom "Karma" handeln, Filme, die uns suggerieren, dass wir selbst die Konstrukteure unserer vielfältigen Realitäten sind.

Bei all diesen Vorgedanken entsteht im Kopf die Erwartung eines Filmes, der sich keiner Chronologie beugt, keine Erwartungen bedient, sondern als Kunstwerk nur den Vorstellungen Tykwers und der Wachowskis unterworfen ist. Diesen Film schaut man sich nicht an, man erlebt ihn. Das Publikum wird zum Spielball, ohne sich hintergangen und mit Gewalt auf irgendwelche Aha-Effekte hingewendet zu fühlen. Bereits nach zwanzig Minuten des Films hat man das Gefühl, eine Unzahl an Ereignissen, Charakteren und Schicksalen kennengelernt zu haben - und dieser Film erstreckt sich im Gesamten über fast drei Stunden. Bei dieser Feststellung geht mir Thomas Pynchon durch den Kopf - postmodern, umfangreich, unkonventionell. Sollte es sich hierbei um einen Pynchonesken Film handeln?

Ich bin völlig unfähig, einen kohärenten Überblick über den Plot zu geben. Ich zitiere den Text der Bluray-Ausgabe:

"1849: Ein amerikanischer Anwalt auf hoher See, der die Schrecken des Sklavenhandels kennenlernt. 1936: Ein junger Komponist, mit dessen Hilfe ein alterndes Genie ewigen Ruhm erlangen könnte. 1973: Eine aufstrebende Journalistin, die eine Atom-Intrige enthüllt. 2012: Ein Verleger, der in einem Altersheim erkennt, was Freiheit bedeutet. 2144: Eine geklonte Kellnerin, die ihre Wirklichkeit verändert. 2346: Ein Sonderling, der sich in einer postapokalyptischen Welt mutig gegen übernatürliche Kräfte stellt."

Sechs grundverschiedene Geschichten, simultan miteinander verwoben, mit minimaler Exposition, überfallen mich als Zuschauer. Ich kann mich nur zurücklehnen und rezipieren. Verstehen kann ich erst nach einer langen Zeit aufmerksamen Zuschauens. Die Geschichten, die sich über ein halbes Jahrtausend erstrecken, mögen vollkommen unterschiedlich sein, und doch haben sie Eines gemeinsam: Sie handeln von Erkenntnis, davon, wie Erkenntnis die eigene Welt verändert und davon, wie wir selbst die Erschaffer unserer Realitäten sind.

Das klingt bekannt: In Tykwers Meisterwerk Lola Rennt (1998) erleben wir drei verschiedene Durchläufe ein und derselben Ereignissequenz und erfahren, wie kleinste Variationen im Durchlauf völlig unterschiedliche Ausgänge herbeiführen können. Auch in Cloud Atlas erleben wir noch vor der Sechzig-Minuten-Marke, wie vergangene Erkenntnisse die Zukunft wesentlich beeinflussen können. Tykwer spielt wieder mit Zeit, mit Raum, überschreitet mutwillig die Grenzen des Begreifbaren - dies ist sein Kunstwerk, er darf das. Er erschafft, zusammen mit den Wachowskis, eine Art Lola auf Steroiden. Lola v2.0.

Mit allen Möglichkeiten, die die Filmkunst in den vergangenen achtzehn Jahren hinzugewonnen hat: CGI, Makeup-Effekte, das alles wird völlig natürlich in das Geschehen eingebunden. Es sticht nicht als Selbstzweck heraus, hier schreit niemand "Schaut mal, was ich alles mit dem Computer machen kann!" - Die Macher haben sich vorgenommen, zwei Panoptika der Zukunft zu entwerfen und das gelingt ihnen überzeugend. Dabei geben sie Statements zum Konzept der Apokalypse ab, indem sie in der neuesten Ära auf der visuellen Ebene alles verknüpfen, was in den vorherigen Zeitaltern gewesen ist. Eine Art Steampunk für die übernächste Generation.

Kommen wir von dem Visuellen zum Sprachlichen. Der Film bietet genug Grundlage für eine wissenschaftliche Hausarbeit an der Universität. Ich habe lange überlegt, ob ich Cloud Atlas auf Deutsch oder Englisch anschauen soll. Tykwer ist Deutscher - er wird die Lokalisation sehr gründlich überwacht haben. Die deutsche Version ist nicht einfach nur "deutsch" - sie zollt dem Umstand Tribut, dass Sprache sich über fünfhundert Jahre hinweg wandelt. Wir erleben also in den sechs Zeitaltern unterschiedliche Sprachkonzepte, und besonders in den Zukunftsvisionen ist es hochspannend, wenngleich zunächst sehr fordernd, die Sprache zu erleben und zu verstehen. Das ist kein Film, den man mal eben nebenbei laufen lässt. Das funktioniert so nicht. Die Sprache ändert sich - und ebenso geschieht es mit den Figuren.

Ich denke, dass ein Absatz der Besetzung gewidmet werden sollte. Wer, so wie ich, ohne jegliche Vorabinformation an den Film geht, wird zunächst sehr positiv beeindruckt werden. Er wird viele bekannte Gesichter erkennen, Tom Hanks, Halle Berry, Hugh Grant, Susan Sarandon, Hugo Weaving, die Liste geht noch viel weiter. Und man wird alle Figuren in den sechs Epochen erleben. Das ist nicht nur eine Rolle for Frau Berry. Sie wird sechsfach ausgeschlachtet, sozusagen, und das erhöht den Filmgenuss ungemein. Der Stab wird je Ära neu augestattet, mit neuer Sprache versehen und darf wieder seine Schauspielkunst unter Beweis stellen. Das lässt uns auch an die Theorie denken, dass Geschichte sich immer wiederholt. Dass Ereignisse nur Variationen ihrer selbst sind - schon einmal dagewesen, nur anders.

Ich habe mich während des Films nicht ein einziges Mal gelangweilt - Hut ab, Herr Tykwer! Es wirkt wie ein Pasticchio aus bedeutungsvollen Szenen. Analoges Beispiel: Wir hören Popmusik. Die Strophen bauen etwas Atmosphäre auf, der Refrain ist dann das, worauf alle warten, der Ohrwurm, eingängig, alle singen mit. Die zweite Strophe folgt, das Publikum wird ruhig. Genaugenommen sind wir immer wieder nur scharf auf den Refrain. Wäre es nicht also ökonomisch, nur Refrains in einem Song zu haben? Cloud Atlas sieht sich als Mosaik aus "filmischen Refrains", es gibt nur Höhepunkte, das hält die Spannung aufrecht.

Ich könnte diese Besprechung noch lang weiterführen. Es gibt so unendlich viel in diesem Film zu entdecken, dass wiederholtes Ansehen reichlich belohnt wird. Das philosophische Grundkonzept haben wir schon bei Matrix und Lola Rennt erlebt, hier wird es eine Stufe prächtiger und umfangreicher verpackt. Ich weiß, dass ich - derzeit im Alter von zweiunddreißig Jahren - den Film wieder und wieder sehen werde. Und ich bin mir bewusst, dass ich den Film in fünf Jahren anders sehen, pardon - erleben werde als jetzt. Ich bin sehr froh, dass ich mir die Bluray zugelegt habe; diesen Film sollte man in höchstmöglicher Qualität genießen und sein ganzes Leben lang bei sich tragen. Wie eine Enzyklopädie, wie einen Atlas. Da hat man immer was von.

Da hätten wir sie also: Echte Filmkunst.

post scriptum: Jetzt, nachdem ich das geschrieben habe, habe ich mir die Internetmeinungen angeschaut und Roger Eberts Rezension gelesen. Ich liege gar nicht so falsch, ich scheine mich ihm anzuschließen, wenngleich der Film stark zu polarisieren scheint. Vermutlich fühlen sich die Zuschauer, die einen einfachen, kohärenten, klassischen Plot erwarten, abgeschreckt. Deren Pech. Welch Meisterwerk!

Freitag, 15. Juli 2016

Nachricht an die (andere) alte Schule


Diese Botschaft geht nach SPO (Was sollen diese fünf Buchstaben bedeuten? Sankt! Peter! Dorf!) und erinnert mich an meine Anfänge an jener Schule. Ich hatte mitbekommen, dass der Gemeinschaftsschulteil der NOS einen gewissen Ruf hatte, der wohl nicht sehr positiv war. An den Lehrern wird es nicht gelegen haben: Ich finde es toll, wie einige Kollegen dort einen schülerorientierten Unterricht machen und auf jede mögliche Weise das Potential der Schüler herauszukitzeln versuchen. Ist echt so! Auch wenn das jetzt einige meiner ehemaligen Schüler lesen und sich denken "Boah, aber Herr XX und Frau XY sind total scheiße". Daraufhin kann ich nur mit dem Kopf schütteln.

Nein, liebe Schüler der Nordseeschule in Sankt Peter-Ording. Ich bekomme langsam Vergleichswerte und kann Euch sagen, dass Ihr von einem sehr aufgeschlossenem Kollegium unterrichtet werdet. Das ist eine bunte Truppe, und das ist auch gut so! In der Schülerschaft spiegelt sich das auch wider. Trotzdem Ihr eine kleine Schule seid, ist die Vielfalt bei Euch bemerkenswert. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Kollegen mit Andersartigkeit offen umgehen und sich auch neugierig zeigen. Keine Anpassung an bestimmte Richtlinien, die von irgendwoher suggeriert werden.

Und das wirkt sich auch auf Euch aus, liebe Rasselbanden, die ich mal unterrichtet habe! Denn an der Nordseeschule wird nach einem Prinzip gearbeitet, das sich "individuelle Wertschätzung" nennt. Leider gibt es da auch ganz andere Schulen. Und Ihr habt zwei hervorragende Sozialpädagoginnen, von denen ich so viel habe lernen können für meine eigene Arbeit als Lehrer. Bei Euch wird direkt gearbeitet: Bei Problemen kommt eine SozPäd' auch gern mal in den Unterricht - oder man lässt den Unterricht in ihrem Raum stattfinden.

Das klingt banal, ist aber immens wichtig! SPO war für mich als Lehrkraft eine absolute Luxusschule - ich werde die Vorteile hier jetzt nicht aufzählen - und nach einem halben Jahr Arbeit hatte ich mich an diesen "pädagogischen Luxus" gewöhnt. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, dass es an manchen Schulen auch interpersonelle Kälte geben kann. Irgendwie waren alle an der Nordseeschule Beteiligten - Schüler, Lehrer, Angestellte, jeder eben - wie eine große Familie. Da wurden Probleme unbürokratisch gelöst. Da wurde direkt am Schüler gearbeitet anstatt an Aktennotizen.

Warum schreibe ich das heute überhaupt? Weil meine ehemalige Klasse mich heute zum Grillen eingeladen hat, ein letztes Mal die ganze Truppe zusammen - und ich hab mich riesig darauf gefreut! Auf all die spannenden Schüler der Klasse, mit all ihren Eigenheiten, und auch auf die Kollegin, bei der die Party steigt. Aber ich habe es die letzten Tage über immer wieder husten und räuspern hören, und nun bin ich matschig und mit Erkältung im Bett. Ich schwitze sogar, während ich diese Zeilen tippe.

Mein Appell an alle NOSler:

Genießt Eure Zeit an dieser Schule! Ihr wisst gar nicht, wie gut Ihr es habt (doch, einige schon). Schüler, freut Euch, dass Ihr als Individuen wahrgenommen werdet und mit Euren Macken akzeptiert werdet. Lehrer, freut Euch, dass Ihr so große Freiheiten bei der Ausgestaltung des Unterrichts genießen könnt! Für mich war die Nordseeschule in Sankt Peter-Ording die perfekte Schule. Auf meiner Prioritätenliste steht ganz oben allerdings mein Privatleben, deswegen bin ich jetzt in Kiel. Und habe den Unterschied zwischen Eiderstedt und Kiel sehr deutlich zu spüren bekommen.

Es ist Eure Zeit: Macht was draus!

Mittwoch, 13. Juli 2016

Dario Argento's "Suspiria"


Es gibt Filme, die man eher als Kunstwerk denn als herkömmliche Filmkost betrachten sollte. Sie sind Liebhaberstücke, der Filmkunst-Amateur kann diesen Filmen mehr abgewinnen als der Storyfanatiker, dem Faktoren wie Kameratechnik und Soundtrack egal sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich diese Kunstwerke - unabhängig von ihrer Qualität! - oft in kurzen Abständen erneut schauen kann. Klar kenne ich dann den Plot, aber um den geht es mir dann nicht mehr. Ich möchte Kameratricks analyieren, ich möchte die Raffinessen entdecken, mit denen die Macher an das Werk gegangen sind.

Einer dieser Filme ist zum Beispiel Coraline, den ich jetzt innerhalb von zwei Wochen viermal gesehen habe; deswegen habe ich ihn hier auch besprochen. Heute geht es mir um einen weiteren Film, der mich nicht so einfach loslässt - vermutlich auch, weil er so ein langes Vorspiel mit mir hatte. Es geht um Dario Argentos übernatürlichen Horrorfilm Suspiria (1977).

Ich liebe Horrorfilme. Ich habe damals im Projektunterricht Filmanalyse im 13. Jahrgang meiner Schule die Frage untersucht, wie Spannung im Film erzeugt wird, damals anhand von John Carpenters Meisterwerk Halloween (1978). Ich habe es lieben gelernt, wie Regisseure mit mir spielen, mit meinen Erwartungen, und wie sie mir einen Festschmaus für Augen und Ohren darbieten. Ich finde das in Horrorfilmen besonders effektiv.

Gleichzeitig habe ich ein Problem damit, wenn diese Filme zu blutig werden. Mit Splatterfilmen kann ich nichts anfangen, das finde ich meistens einfach nur eklig, selbst wenn es sich um Funsplatter handelt. Das soll keine Wertung sein: Es gibt unbestritten gute Splatterfilme wie zum Beispiel Evil Dead oder Braindead. Ist halt nur nichts für mich. Wenn Justus Jonas bei den Drei Fragezeichen ernsthaft das Horrorgenre als eine "wenig kunstvolle Mischung aus Splatter und Exploitation-Film" bezeichnet, dann ist das eine für seine Verhältnisse stümperhafte und unreflektierte Aussage. Gegenbeispiele liefern die zahlreichen kunstvollen Horrorfilme.

Nun also zu Suspiria. Wer Dario Argento kennt, der weiß, dass er mit Blut, Gewalt und Sex nicht geizt, ganz im Stil des italienischen Giallo. In der Regel nicht so splatterig wie ein Lucio Fulci, aber dennoch äußerst grafisch. Und genau das hat mich früher davon abgehalten, mir den Film anzuschauen. Ich habe fabelhafte Rezensionen gelesen, die den Film über den Klee loben. Die gelobten Punkte werde ich weiter unten ansprechen. Sie erwähnen jedoch auch die Todesszenen, die recht intensiv und in die Länge gezogen sind.

Irgendwann habe ich es dann gewagt, habe mir ein Exemplar der limitierten Anchor Bay-DVD gesichert und den Film angeschaut. Und ich habe es bis heute nicht bereut.

Wer unvorbereitet an den Film geht, der wird den Kopf schütteln. Der Plot ist dünn wie Papier. Die Schauspielkunst ist sehr unterschiedlich, gern vom Overacting geprägt. Die Ausleuchtung hat mit Realismus nichts zu tun. Das Blut sieht aus wie helle Wandfarbe. Die Effekte überzeugen nicht. Die Synchro ist schlecht. Sagte ich schon, dass ein Plot quasi nicht vorhanden ist?

All diese Kritikpunkte tragen zum surrealen Flair des Filmes bei, und man sollte sich informiert haben, um dem Film die ihm gebührende Aufmerksamkeit zukommen lassen zu können, und um zu wissen, was es da alles zu genießen gibt.

Da wären vor allem die kräftigen Farben. Selbst alltäglichste Szenen hat Argento mit leuchtendem Rot, Grün oder Blau ausgeleuchtet. Die Farben wirken besonders in der neuen Bluray-Disc von '84 Entertainment faszinierend. Der Film erinnert dadurch an einen Traum, oder besser, an einen Albtraum, und das soll er ja letztlich auch sein. Und es sind nicht nur die Farben, es ist die gesamte visuelle Ausstattung des Films. Nicht umsonst liegt der Hauptspielort in der "Escherstraße", überall finden sich Motive von M.C.Escher wieder. Die Einrichtung ist extrem detailliert, unmöglich einer einzelnen Stilrichtung zuzuordnen. Mit kleinen Tricks hat Argento das visuelle Erlebnis bestmöglich erschaffen: Jessica Harper in der Hauptrolle der Suzy Bannion hat große Manga-Augen, die ihr das Antlitz eines Teenagers verpassen; die Türklinken sind bewusst unnatürlich hoch angebracht, damit die Charaktere kleiner und wesentlich jünger wirken. Realismus wäre in diesem Film völlig fehl am Platze - somit sollte man dessen Fehlen nicht als Kritik zu deuten wagen.

Die akustische Atmosphäre ist düster, gruselig - unterlegt mit dem Soundtrack von Claudio Simonettis Band Goblin, die in mehreren von Argentos Filmen einen wunderbaren Job abliefert - so auch hier. Die Musikstücke sind durchzogen von Flüstern, magischem Brimborium, den titelgebenden Seufzern...

Man könnte noch eine lange Liste weiterer Vorzüge des Films hier nennen. Ich bin dazu allerdings zu faul und würde jedem, der ein paar intensivere Mordszenen übersteht (sind letztlich nur vier), empfehlen, den Film selbst zu genießen. Jedes einzelne Anschauen ist sicherlich belohnender als diese Rezension hier, also wünsche ich gute Unterhaltung mit einem Horror-Meisterwerk von Dario Argento!

Dienstag, 12. Juli 2016

Hochbegabte Ästhetik


Vorweg: Das hier muss nichts mit Hochbegabung zu tun haben. Ich habe es allerdings in erster Linie bei mir selbst und in Gesprächen mit Hochbegabten festgestellt - dass eine bestimmte "Konfiguration" meiner Umwelt beruhigend auf mich wirkt. Das können Kleinigkeiten sein; so muss die Lautstärke meiner Anlage stets auf einer durch zwei teilbaren Stufe sein. Latstärke sieben geht nicht, dann werde ich unruhig. Das Bewusstsein allein reicht da schon aus. Einer meiner Schüler hatte eine ähnliche Wahrnehmung, bei ihm allerdings musste die Lautstärke durch fünf teilbar sein. Das kann unpraktisch sein, wenn die Anlage eine großschrittige Lautstärkeregelung hat.

Wie komme ich jetzt überhaupt darauf? Zur Zeit spiele ich mit großartiger Unterstützung mal wieder Tomb Raider, das Original in der Anniversary-Neuauflage. Das waren noch Zeiten: Mehr Titten, weniger Gerede, mehr erforschen, weniger Menschen, mehr Tiere und Monster, weniger Spielerlenkung, mehr coole Sprüche, weniger leicht, mehr aufgespritzte Lippen. Einfach großartig, ich genieße es in vollem Umfang, alte Ruinen, Höhlen und Tempel zu erforschen, auch mal ohne zu wisen, wo der nächste Schritt mich hinführt. So einwandfrei das PS3-Reboot der Reihe dagegen umgesetzt sein mag, so atemlos zieht es den Spieler durch seine Umgebungen - das Denken wird einem fast komplett abgenommen. Deswegen gefällt mir Anniversary mindestens genau so gut.

Gestern haben wir den letzten Abschnitt der Ruinen in Ägypten erforscht, das Heiligtum des Scion. Und ich habe es unglaublich genossen, weil es von der Architektur her stimmig war und dank seiner Symmetrie einfach wunderschön und entspannend. Da macht es auch nichts, wenn ich Lara in dem einen oder anderen Schacht hundertmal das Genick gebrochen habe (umherfliegende Beine inklusive) oder wenn Mampf-Wände die Frau mit der schmalen Taille gierig zerkloppt haben. Das alles hat mich überhaupt nicht gestört - weil der Ort so "ausgewogen" war.

Im Wesentlichen besteht das Heiligtum aus einer Sphinx, die sich in einer gewaltigen Höhle befindet. Nach links und rechts führen Treppen, die genau an den gleichen Stellen unterbrochen sind. Jeweils ein Hebel befindet sich am Ende dieser Treppen. An jedem der Beine der Sphinx muss man einen Schlüssel einsetzen, damit sich die Tür - natürlich genau in der Mitte - öffnet. Wie herrlich! Ich könnte einfach nur in aller Ruhe unten stehen und mir dieses Bauwerk anschauen.


Links und rechts dieses Raumes befinden sich jeweils schachtähnliche Hallen - mit dem gleichen Rätsel, nur eben spiegelverkehrt. Es geht um Lichtreflektion, natürlich wieder in perfekter Symmetrie. Und wenn man schließlich in jeder dieser Hallen einen Schlüssel gefunden und in die Sphinx eingesetzt hat, dann geht es noch tiefer in das Heiligtum - eine riesige Halle, mit Wasser gefüllt, die von einem thronenden Anubis und Osiris beherrscht wird. Zwei gewaltige Statuen in genau gleicher Positionierung, am Grund des Sees genau zwischen ihnen ein Schalter. Wie herrlich!

Der aufmerksame Leser wird nun sagen: Moment mal, Herr Doktor! Links Anubis und rechts Osiris? Hat dich das denn nicht etwas verunsichert?

"Gut aufgepasst!" anworte ich dann. Und beim Überlegen, warum ich trotzdem ausgeglichen war, fällt mir ein, dass die Statuen sich nur durch ihren Kopf voneinander unterschieden haben. Und die Köpfe habe ich nicht so oft gesehen, weil ich meistens am Grund des Sees in Aktion war.

Ich liebe die Symmetrie. Sie beruhigt mich. Sie kann mir bei Panikattacken helfen. Manchmal ist sie sogar notwendig, weil ich sonst gestresst werde - wie z.B. bei der Lautstärkeregelung. Und ich bin damit nicht allein. Ich weiß nicht, ob das ein Hochbegabten-Ding ist - oder ob das z.B. auch HSPs (Hochsensible Persönlichkeit) so geht.

Jedenfalls ist das auch ein Grund, warum ich in der Ausgestaltung meiner Wohnung so oft wie möglich Achsen- oder besser noch Punktsymmetrie zum Einsatz kommen lasse. Lang lebe das Design!

Montag, 11. Juli 2016

Ein neues Gefühl


Ich bin rechts. Nein, stop. Ich war rechts. Früher war ich immer rechts. Am Autobahnkreuz Kiel-West bin ich, wenn ich die Stadt verlassen habe, immer rechts abgebogen. Von der Stadtautobahn runter auf die A210. Die Strecke kenne ich jetzt seit dreizehn Jahren. Im Studium: Wenn ich das Wochenende bei meinen Eltern verbringen wollte, bin ich rechts abgebogen. Ich weiß noch, das haben sie mir damals eingehämmert: Wenn du die Ausfahrt verpasst, wenn du nach links abbiegst, dann kannst du erst nach fünfzehn Kilometern wieder wenden. Also bin ich immer rechts gefahren. Aber links ging es ja auch nach Blumenthal. Wer wollte da schon hin?

In St.Peter-Ording: Immer, wenn ich am Dienstag früh um 4:30 Uhr aufgestanden bin, habe ich die Strecke rechts genommen - mit einer Ausnahme, Schneechaos, da war nix mehr mit rechts und links. Jede Woche am Dienstag bin ich rechts abgebogen, begleitet vom R.SH-Morgenprogramm. Ich hatte bald das Gefühl, als sei ich Voller Mittmanns Sitznachbar. Vertraut, regelmäßig wiederholt, jede Woche einmal. Und mein Gehirn hat sich die Abläufe alle eingeprägt. Dass ich auf die rechte Spur wechseln muss, die Geschwindigkeitsbegrenzungen... ich kannte dieses Autobahnkreuz auswendig.

Das war schon keine Straße mehr, das war ein Gefühl. Immer, wenn ich auf der Rückfahrt über die A215 hinweg fuhr und mich dann in die gemeinsame Strecke einordnete, war das für mich ein Symbol für das Wochenende. Arbeit hinter mir lassen. Probleme hinter mir lassen? Abschalten. Daher die Aussage, Kiel-West sei ein Gefühl. Und auch auf der Hinfahrt: Immer, wenn ich rechts abbog, mit dem Ziel St.Peter-Ording, immer war das der Startschuss für eine sehr lange Fahrt. Die erste Etappe von einhundertvierzig Kilometern Nachtfahrt. Der Startschuss für die Arbeit an der Nordseeschule. Kiel-West weckte tatsächlich eine gewisse Vorfreude, Kollegen wiederzusehen und meine Schüler wieder unterrichten zu dürfen.

Jetzt haben die Dinge sich geändert. Jetzt bin ich links. Kein Startschuss mehr, denn wer auf der A215 fährt, muss erstmal bei einhundert km/h bleiben. Es fühlt sich wirklich anders an. Eine neue Richtung, jetzt fahre ich endlich Richtung Blumenthal. Ein neues Gefühl.

Dieses Gefühl ist wunderbar. Endlich habe ich wieder Arbeit. Ich habe einen geregelten Tagesablauf. Ich habe einen Grund, morgens aufzustehen. Ich verdiene Geld. Mir wird erst so nach und nach bewusst, wie sehr die Arbeitslosigkeit mich hat versumpfen lassen. Und ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt nicht mehr so viel Zeit habe.

Kiel-West.
Nach rechts abbiegen, das Kapitel habe ich abgeschlossen.
Nach links abbiegen, neugierig gehe ich auf das neue Kapitel zu.

Samstag, 9. Juli 2016

Nachschlag von der alten Schule

Vermutlich ist es ein ganz normaler Bestandteil jedes Lehrerlebens, dass man wieder mit längst zurückliegenden Ereignissen in Berührung kommt, und da zeigt sich dann auch mal, ob man einen positiven oder negativen Eindruck hinterlassen hat. Konkret: Plötzlich machen die Schüler Abitur, mit denen man zu Beginn seiner Lehrerlaufbahn als unschuldiger Nulltsemester eine Menge Spaß in der Schule hatte - und sie sind so groß geworden, so erwachsen, und wenn man ihre Fotos anschaut, sieht man noch die "kleinen" Kiddies vor sich, die sie damals waren.

Meistens. Some things never change - einige sehen noch genauso aus wie damals, und das ist auch gut so.

Ich habe Post bekommen: Der neue Quelle-Katalog? Nein, aber dennoch knapp 2,5kg schwer und großformatig mit über sechshundert Seiten: Die Abizeitung meines ersten Schülerjahrgangs an einer Schule, die ich mit dem Motto "Ab mit Schaden" verlassen habe. Und weil ein paar meiner eingeschworenen AGler sich etwas Rückmeldung von mir gewünscht hatten, habe ich ein kleines Interview gegeben.

Ich bin verdammt stolz auf Euch, dass mein kurzer Auftritt in Eurem Leben es Euch wert war, mich in der Abizeitung zu erwähnen. Ich find's toll, was aus Euch geworden ist, und ich wünsche Euch, dass Ihr mit Euren Abschlüssen und Euren frischen Impulsen jetzt neugierig die große, weite Welt erstürmt!

Das Copyright für diese beiden Seiten der Abizeitung liegt selbstverständlich beiThomas Lorenzen sowie dem gesamten Redaktionsteam und Gesichter sowie Namensnennungen im Text habe ich unkenntlich gemacht. Wozu eigentlich, weiß doch eh jeder, worum es geht. Nochmals: Danke! Ihr habt mich lebend durch das Referendariat gebracht!



post scriptum: Die Seiten 482/483 haben mich tief berührt.

Freitag, 8. Juli 2016

Klasse 5


Ich habe immer ein bisschen Unbehagen, wenn ich daran denke, dass ich irgendwann eine fünfte Klasse unterrichten soll. Nein, das ist untertrieben - das ist für mich der absolute Horror. Das war schon vor ein paar Jahren so und ist immer noch so. Und warum?

Ich habe Angst, dass ich den Anforderungen nicht gerecht werden kann. Meine Tafelbilder sind improvisiert, ich achte nicht auf saubere Heftführung. Meine Unterrichtssprache ist locker - an der Umgangssprache der Schüler orientiert.

Ich mache mir Sorgen, dass ich den Kindern wichtige Werte nicht beibringen kann. Nur weil ich viele Dinge im Kopf erledigen kann und keine sauberen Aufzeichnungen brauche, heißt das nicht, dass jeder das kann. Ich befürchte, dass sich die Kinder sich von meinem Verhalten Vieles abgucken, was eher "ungünstig" ist.

Und die Kinder sind so grabschig. Gehen auf Tuchfühlung, hängen am Rockzipfel. Und das ist ja auch vollkommen okay, sie sind eben noch Kinder! Aber ich mag diese körperliche Nähe nicht so.

Und dann wäre da noch meine allgegenwärtige Angst, dass ich keinen altersstufengemäßen Umgang mit den Kindern habe.

Bah, das ist gerade nichts Halbes und nichts Ganzes. Merkt man, oder? Dass in meinem Kopf gerade ganz andere Dinge wichtig sind? Dass ich hier nur nen halbgaren Kommentar zur eventuellen kommenden Unterrichtsverteilung hinklatsche.

Naja. Wird alles schon bald wieder ganz klar werden. Und: Stimmung ist positiv!

Donnerstag, 7. Juli 2016

Identität - Die Geschichte von Timo und Julian (part 7)


Sollte hier etwa endgültig Funkstille herrschen? Nein, das nicht, aber ich merke doch, dass jetzt mit der neuen Arbeit Tage auftauchen, an denen ich den Kopf für den Blog nicht frei bekomme. Und auch, wenn eine gute Freundin mich unlängst als "hochfunktionalen Soziopathen" bezeichnet hat, habe ich ihr direkt widersprochen: "hochfunktional" bin ich nicht, der Eindruck täuscht. Nun also endlich ein weiterer Teil der Story um die zwei Jungs auf der Suche nach sich selbst.



Disclaimer: Diese Geschichte ist Fiktion. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen sind rein zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt. Das wäre ja sonst ein roman à clef, und zu solchen literarischen Kunststückchen ist der Autor sicher nicht fähig.

Dieser Abschnitt der Geschichte enthält explizite Darstellungen von Drogenkonsum sowie seinen Auswirkungen und/oder Szenen körperlicher Nähe. Wer an solchen Bildern Anstoß nimmt, möge dieses Kapitel bitte überspringen. Darüber hinaus möchte der Autor immer zu einem verantwortungsbewussten Konsum psychoaktiver Substanzen mahnen: Das ist der sicherste Weg zur Drogenmündigkeit, dem Gegenstück zur Abhängigkeit.

Identität – die Geschichte von Timo und Julian



part 7

…und ich möchte gerade gar nicht, dass das aufhört… und Timo… er genießt das bestimmt auch grad richtig… ich hoffe, es ist für ihn okay, dass ich grad so gar nix sag… Wahnsinn, ich fühle mich so wohl, so warm von innen, so klasse, und all der Stress ist weg… die Wiese ist so kuschelig und ich hätte gerade dermaßen Bock auf…

„Na, fühlst du dich wohl?“
„Aber hallo, wow Timo, was hast du da mitgebracht?“
„Ich war mir ziemlich sicher, dass es dir gefallen würde. Ich hab niemanden erlebt, der nen Opioidturn beim ersten Mal nicht super findet.“
„Lass uns unbedingt noch hier liegen bleiben, ich will das grad richtig genießen.“
„Hey klar, wir haben noch reichlich Zeit, wir sollen erst um 18 Uhr bei Cory sein, bis dahin chillen wir hier.“
„So machen wir das.“
Ich rückte unauffällig ein Stück näher zu ihm, so dass unsere Hände sich leicht berührten. Ich kannte dieses Drogengefühl schon und genoss es aus vollen Zügen, gleichzeitig fühlte ich mich so entspannt und enthemmt. Ich war mir sicher, dass es ihm auch so ging, und ich schaute zu ihm rüber. Ich fand es so schön, dass wir ungestört waren, ich war entspannt, all die Aufregung war nun abgefallen. Ich wollte einfach nur mit ihm hier liegen, ohne irgendwelche Ängste oder Sorgen oder Zwänge. Ich strahlte ihn an. Ju schaute zu mir und strahlte zurück. Er hatte Mühe, seine Augen richtig offen zu halten.
„Mh, Timo, das ist so geil…“
„Oh ja… ich finds schön, dass wir heute hier sind.“
„Ich find es auch schön, und die Entscheidung werde ich nicht bereuen.“
„Ich hoffe, es ist okay, wenn ich dich gerade die ganze Zeit angaffe.“
„Ist doch vollkommen okay, warum sollte ich damit ein Problem haben.“
„Ich finde einfach, dass du echt einen schönen Körper hast.“
Wow, das müssen die Drogen sein.
„Sorry“, schob ich schnell hinterher.
„Wieso denn, ist doch alles in Ordnung. Das kannst du doch ruhig sagen.“
„Naja, aber dann denkst du, ich will was von dir oder so, whatever…“
„Ach was, mach dir mal keine Gedanken darum. Außerdem, wer hört nicht gerne, dass er einen hübschen Körper hat?“
„Bist du denn mit ihm zufrieden?“ Das Gespräch kam in Gang, die Opioide taten ihren Dienst. Julian schien sich nicht im Geringsten davon gestört zu fühlen, im Gegenteil, wir genossen den Moment in vollen Zügen.
„Ja, eigentlich schon. Naja, am Bauch ist noch zuviel Fett, das muss noch weg, aber dazu ess ich einfach zu gerne.“
„Hallo? Wo bist du denn da zu fett?“
Julian hob den Kopf und schaute an sich herunter. „Naja, willst du mal anfassen?“
„Darf ich?“
„Warum nicht… schaut doch keiner zu… mach einfach.“
Ich entschied mich dafür, in dieser Stimmung einfach mit dem Flow zu gehen, und legte meine linke Hand auf seinen Bauch. Dabei zog er sein Shirt ein Stück nach oben, damit wir besser schauen konnten. Ich fühlte die kleinen Härchen auf seiner leicht gebräunten Haut und in dem Moment war es mir vollkommen egal, ob er zu fett war oder zu dünn, sein BMI interessierte mich überhaupt nicht und seine Frisur war vollkommen vergessen, und gedankenverloren streichelte ich ein bisschen hin und her… bis mich meine Gedanken wieder einholten und ich zügig die Hand zurückzog, und in möglichst neutralem Ton hinterher schob: „Ach, Schwachsinn, stell dich nicht so an. Ich finde, du siehst gut aus.“ Ich drehte mich wieder zurück, wir lagen beide auf dem Rücken und schauten durch das Blätterdach in den strahlend blauen Himmel. War das gerade echt? Ich wüsste so gern, was in seinem Kopf vor sich geht, dachte ich damals – wie ich es auch danach noch häufig denken sollte.
Nun, da die Zungen endlich gelöst waren, wollte ich wissen, was mit ihm los war. Ich wollte wissen, wie die Geschichte mit seiner letzten Freundin gelaufen war. Ich wollte für ihn da sein und ihm zeigen, dass ich in einer solchen Situation ein guter Freund sein kann. Ich wollte so sehr, dass er mich mochte. Was war da los? Hatte ich mich etwa… nein, das kann gar nicht… ablenken!
„Ju?“
„Ja?“
„Möchtest du von ihr erzählen?“
„Von Thea?“
„Ist das ihr Name?“
„Ach ja, ist er. War er. Ist aber egal, ich versuch das einfach alles hinter mich zu bringen, gibt auch noch mehr Frauen auf dieser Welt und irgendwo ist bestimmt die Richtige dabei.“
Das saß. Ich atmete etwas zu lautstark aus.
„Timo? Alles okay?“
„Ist alles in Ordnung, ich finds nur schade, dass dich das so sehr getroffen hat… ich hoffe, Cory und ich können dich heute ein wenig ablenken.“
„Ich fühl mich jetzt schon gut abgelenkt, ehrlich gesagt.“ Und er drehte seinen Kopf zu mir rüber: „Danke, Timo.“ Und wir lächelten uns kurz an. „Und Heroin ist also so ähnlich wie das jetzt? Dann kann ich verstehen, warum so viele Menschen davon abhängig sind.“
„Ja, es ist noch intensiver, unmittelbarer und so, aber im Wesentlichen kann man das vergleichen. Keine Angst, ich pass auf dich auf.“
„Ich wusste gar nicht, dass es Drogen mit so einer schönen Wirkung gibt. Ich kenn nur Alk, das ist zum Abschießen ja okay, aber auf die Nachwirkungen könnte ich verzichten, und das Kiffen damals hat irgendwie überhaupt nichts bewirkt. Und so was hier, ich finde, das kann man hin und wieder mal machen.“
„Das ist auch einer der Hauptgründe, warum ich so gut wie keinen Alkohol mehr trinke. Das Gefühl ist mir einfach zu räudig.“
„Hast du denn sonst noch mit anderen Drogen Erfahrungen?“
„Hm, sagen wir mal so, ich hab ein paar Sachen ausprobiert, aber nicht so viele verschiedene Substanzklassen. Ich kenn noch ein paar Opiate mehr, hab diverse Beruhigungsmittel mal ausprobiert, das hat mich aber so gar nicht gereizt.“
„Hattest du schon mal einen Trip?“
„Jep, nicht klassisch mit einem Halluzinogen, sondern mit einem Dissoziativum. Dauert zu lang, das zu erklären, jedenfalls hat mir das gut gefallen, weil ich dadurch viel über mich selbst gelernt habe.“
Und das war nicht gelogen. Ich hatte gelernt, mein Verhalten öfters mal von außen zu sehen, ich habe ein Bewusstsein bekommen dafür, dass meine Gedanken und Taten nicht immer die ideale Lösung sind. Und die Trips halfen mir, das Gedankenchaos in meinem Kopf zu beseitigen, weil ich wie bei Meditationen lange, ruhige Nachdenkphasen dabei hatte. All das erläuterte ich Julian. Wir schwiegen einen Moment, als wir bemerkten, dass ein älteres Ehepaar langsam an unserem Platz vorbei flanierte.
„Timo, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen verrückt, aber das würde mich auch mal interessieren.“
„Psychedelische Substanzen? Du möchtest mal auf einen Trip gehen?“
„Naja, ich hab ein bisschen Angst, dass ich kleben bleibe, ich hab darüber schon Einiges gelesen. Und ich würds nicht allein machen.“
„Nein, ist besser, wenn man einen Begleiter oder Tripsitter hat, gerade wenn man selbst noch unerfahren ist.“
„Würdest du das machen? Mit mir mal auf einen Trip gehen?“
Ich blickte wieder zu ihm rüber. Das wurde ja immer besser. Als er es bemerkte, wandte er seinen Kopf zu mir.
„Ich mein, musst du nicht, ich will dich zu nichts drängen, aber…“
„…aber du bist neugierig geworden, richtig? Das steht wie ein Punkt zum Abhaken auf der Lebens-To Do-Liste, oder?“
„Woher weißt du das, war das bei dir auch so?“
„Das geht sehr vielen Menschen so. Die Neugier, den eigenen Horizont zu erweitern, etwas Neues zu erfahren, sich selbst kennenzulernen… das machen die Menschen schon seit Jahrtausenden, findet man ja auch bei diversen Naturvölkern.“
„Ist das also ein Ja?“
„Und wie! Du glaubst gar nicht, wie lange ich das schon mal ausprobieren wollte – mit jemandem zusammen auf einen Trip gehen. Das können wir gern machen! Ich werd dir das auch alles erklären, damit du weißt, was auf dich zukommt. Wir planen das Ganze richtig gut durch.“
„Wow, ich bin so aufgeregt, ich würd am liebsten jetzt schon weitermachen…“, sagte er verträumt, aber ich musste ihn bremsen.
„Machen wir, Julian, kein Ding! Aber wir sollten jetzt langsam mal losgehen, wir sollten um 18 Uhr bei Cory sein, und jetzt ist es bereits zwanzig nach.“
„Oh shit, ich hab gar nicht mitbekommen, wie die Zeit rumgegangen ist, ich hätte hier noch ewig liegen können. Macht nichts, für Cory finden wir schon ne Ausrede.“
Wir grinsten uns noch einmal an, dann standen wir auf. Julian geriet deutlich ins Schwanken und stützte sich auf meine Schulter.
„Wow, alles klar, damit hab ich jetzt nicht gerechnet, ich muss mal ne Sekunde stehen bleiben, mir ist schwindelig.“
„Keine Sorge, ganz normal, Du bist zu schnell aufgestanden und das auch noch unter Opioid-Einfluss, da macht der Kreislauf gern mal solche Zicken.“
Er stützte vornübergebeugt seine Hände auf den Knien ab.
„Und? Geht wieder?“
„Ja, danke für die ganzen Erklärungen, Timo, ich fühl mich damit sicherer. Okay, dann mal Abflug zum Auto und auf dem Weg überlegen wir uns ne Geschichte für Cory, warum wir zu spät sind.“
Strahlend wie zwei Honigkuchenpferde wanderten wir über die grüne Wiese Richtung Tor. Bevor wir den Ausgang des Parks erreichten, blieb Ju abrupt stehen, lächelte mich an und fragte: „Möchtest du eigentlich mal meine Muskeln anfassen? Du meintest doch, dass dir das gefällt, oder?“
Alles klar, da denke ich, gut, der Peak ist überschritten, und dann so was. Ich schaute ihm direkt in die Augen. Angriff, und zwar jetzt!
„Klar, würd ich gerne, spann doch mal an!“
Wir schauten uns noch kurz um, ob niemand in der Nähe war, dann zog Julian die Ärmel seines Shirts hoch und spannte seine Oberarme an. Wow. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich sah, wie seine Tattoos durch die Muskeln ein wenig verzerrt wurden. Mir wurde ziemlich heiß, wusste grad nicht so richtig, was ich machen sollte, aber Ju ging nun in die Vollen.
„Na los, du kannst ruhig anfassen!“
Und das tat ich. Zuerst tippte ich nur mit den Fingern ein bisschen dagegen, dann legte ich eine Hand auf seinen Oberarm, schließlich packte ich mit beiden Händen richtig zu. Ju strahlte, während er selbst seinen Arm betrachtete.
„Wow, Julian, da hat sich aber seit dem Theater Einiges getan! Das fühlt sich so geil an, ich fühl mich grad richtig geehrt, dass ich da mal ran darf.“
„Ja, die sind ganz schön fest, oder? Da kommt auch so schnell keiner gegen an. Das muss an den Drogen liegen, ich weiß auch nicht, ich hatte einfach total Lust, Dir meine Muskeln zu zeigen, warum auch nicht? Und jetzt ist die Chance, gleich bei Cory wäre das irgendwie unpassend.“
Ich musste kichern.
„Wenn die wüsste, was wir beide schon alles gemacht haben, bevor wir überhaupt zu ihr losgefahren sind. Lass uns bloß nichts erzählen!“
„Nein, natürlich nicht.“
„Okay, dann komm, ab zum Auto.“
Ein klein wenig schwankend gingen wir den Fußweg zu meinem Auto zurück, während ich fieberhaft überlegte, was ich Cory bloß erzählen sollte…

fortsetzung folgt...