Donnerstag, 30. April 2020

Die Phantom-Maske


Schwitzen - das war mein erster Eindruck in der Stadt unter Maskenpflicht. Dabei hat dieses Gefühl mit Schwitzen natürlich gar nichts zu tun, es ist der warme, feuchte Atem, der sich in der Maske verfängt, und es gibt schönere Gefühle, denke ich mal. Jedenfalls war es sehr befreiend, als ich fernab der Menschen die Maske wieder abnehmen konnte. Immerhin: Ich habe fast keine Menschen gesehen, die sich nicht daran halten. In allen Formen und Farben, und nicht selten sieht es aus, als hätte ein Mensch sich Unterwäsche über den Kopf gezogen.

Das Schwitzgefühl mag ein negativer Aspekt der aktuellen Situation sein, aber ich bin von einer Sache ganz positiv überrascht, nämlich der Hilfsbereitschaft. Plötzlich gehen viele Menschen an die Nähmaschinen und nähen Masken für ihre Mitmenschen zurecht. Eine Kollegin an meiner Schule hat allen angeboten, für Masken zu sorgen, und das fand ich richtig toll. Das ist dann die große Stunde der Näher, und Stoffmasken sind insofern besser als manch' andere, als dass man sie waschen kann.

Wieder einmal ein Moment, in dem ich stolz bin, dass meine Mutter mir beigebracht hat, wie vielseitig Stoffwindeln sind, große weiße Baumwolltücher, strapazierfähig und können gekocht werden, und sie trocknen extrem schnell. Seit fast siebenunddreißig Jahren für mich eine tolle Alternative zum Taschentuch, und jetzt kann ich jeden Tag eines dieser Tücher nehmen und am Wochenende einmal alle durchwaschen.

Eine interessante Erfahrung gab es eben in der Meditation - in der Phase gibt es nichts, was meinen Körper bedeckt, um mich möglichst frei zu fühlen. Dennoch hatte ich auf dem Gesicht immer noch eine Art Kribbeln, es fühlte sich an, als ob ich immer noch eine Maske aufgesetzt habe. Die Haut gewöhnt sich scheinbar an solche Gefühle, und das Gehirn kann sie auch registrieren, wenn die Kleidung nicht mehr angelegt ist. Erinnert mich an Phantomschmerzen.

Bleibt gesund!

Dienstag, 28. April 2020

Einer geht noch: Die Tastatur


Na super, da töne ich gestern noch 'rum, dass die Asperger-Beiträge erstmal ein Ende haben, da fällt mir noch eine interessante Kleinigkeit ein. Falls Ihr schon einmal Aspi-Schüler unterrichtet habt, kennt Ihr vielleicht den Nachteilsausgleich, dass Klausuren an einem Computer geschrieben werden dürfen. Das rührt daher, dass sehr viele Aspis Probleme mit der Handschrift haben; für sie selbst ist das durchaus lesbar, was sie da zu Papier bringen, aber als korrigierender Lehrer kann das ein echtes Problem geben.

Ich kenne das auch von mir selbst. Meine Mutter, eine ehemalige Grundschullehrerin, die ihr Leben lang Kindern das Schreiben beibrachte (und selbst eine perfekte Handschrift hat), hat mit mir viele und lange Schreibübungen gemacht, und das war auch nötig. Meine Schreibschrift war viel zu eckig, ich war bei den Feinheiten etwas ungeschickt - auch das nicht unüblich bei Aspis: Ich konnte im Kunstunterricht nicht gut runde Flächen aus Papier schneiden. Da waren immer Ecken drin, und auch das ist heute noch so, wenn ich meine Fingernägel schneide. Da bleiben manchmal Ecken übrig; ganz toll für den Sockenverschleiss.

Ich habe früh angefangen, selbst zu schreiben, angeregt durch den Schulunterricht. In Biologie bei Herrn Kries sollten wir damals eine Kurzgeschichte über einen Laubfrosch oder eine Erdkröte schreiben. Ich habe es geliebt, aus Fantasien heraus zu schreiben, und ich war heilfroh, dass Papa eine Schreibmaschine hatte: Per Hand schreiben war mir immer zu aufwendig, zu kompliziert, Tippen ist viel besser, und so kamen während der Schulzeit meine ersten Kurzgeschichten und Drehbücher zustande.

Das hat auch im Studium nicht aufgehört, und ich kann mich noch gut erinnern, dass man mir hin und wieder gesagt hat, dass ich ziemlich schnell am Computer schreiben könnte. Das konnte ich natürlich nicht einordnen, denn für mich war das alles normal, ich hatte keine Vergleichswerte. Ich habe also "fliegende Finger" an der Tastatur, ohne das trainiert zu haben, und das Zehn-Finger-System habe ich nie gelernt (das merkt man auch). Daran liegt es auch, dass ich beim Tippen fast nie auf den Bildschirm schaue, sondern immer auf die Tastatur starre (die große Buba sagt "Tatatus").

Und dann lese ich doch tatsächlich in Aspi-Büchern, dass Aspis überdurchschnittlich gut mit Tastaturen umgehen können. Eine random Information, aber ist mir in's Auge gestochen und hängen geblieben (bitte nicht bildlich vorstellen).

Hier sind die Links zu den anderen Asperger-Symptomatiken:

Visuelles Denken

Eingeschränkte Interessen

Denken in Extremen (Schwarz-Weiß-Denken)

Idiosynkratischer Sprachgebrauch

Lichtempfindlichkeit

Montag, 27. April 2020

Lichtempfindlichkeit


vorweg: Ich denke, dass dies hier der letzte Beitrag zu Asperger-Symptomen wird - für den Moment jedenfalls. Es gibt so viele andere schöne Themen, über die ich schreiben könnte, aber die ganze Sache beschäftigt mich zur Zeit wirklich sehr, und deswegen war der Blog etwas einseitig. Aber vielleicht kann ich daraus ja später auch eine Art "Nachschlagewerk" basteln, damit jemand, der sich für das Thema interessiert, schnell mal nachlesen kann, ohne sich ein Buch zu kaufen.

"Huch, das ist ja so duster hier drin, du musst dir doch mal etwas Licht anmachen!"

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz von meiner Mutter gehört habe - unzählige Male während meiner Kindheit, meiner Jugend und auch heute noch manchmal, wenn ich sie besuche - wobei sie mittlerweile aber weiß, dass ich nun mal so bin. Ich mochte es nie so ganz hell, lieber schummerig, lieber mit schwacher künstlicher Beleuchtung, warmes Licht - deswegen ist es in meiner Wohnung die meiste Zeit dunkel.

Dunkel ist schön, da fühle ich mich geborgen

Wenn Lampen an sind, dann nur mit niedriger Leuchtkraft

Ich finde das angenehm. Helles Licht wirkt auf mich irgendwie aggressiv, und ich gehe instinktiv in eine Art Verteidigungshaltung; man kann das noch immer an mir beobachten, wenn ich aus meiner Wohnung nach draußen gehe und es taghell ist. Zwar liebe ich die Sonne und das, was sie mit meiner Stimmung anstellt, und bin ein Kind des Sommers - aber die Sonne darf bitte gern draußen bleiben. Das ist einer der Gründe, warum ich immer eine schwarze Sonnenbrille trage und froh bin, wenn ich wieder reingehen kann.

Scheint ein Paradoxon zu sein, dass ich "dennoch" so gern in Freizeitparks gehe, die ja in vielen Fällen im Freien liegen. Und in der Tat ist es für mich unangenehm, in der Sonne anstehen zu müssen, und ich genieße sogenannte dark rides ganz besonders, die im Dunklen sind, wie zum Beispiel Geisterhäuser oder Dunkelachterbahnen. Damals in Kings Island bin ich in der knalligen Mittagssonne immer wieder gern zu der Achterbahn Flight of Fear gegangen, weil dort auch der gesamte Wartebereich im Dunklen lag.

In meiner Wohnung habe ich über dreißig verschiedene Lampen, die meistens abgeschaltet sind. Dass ich so viele Lampen habe, liegt daran, dass ich mit den unterschiedlichen Modellen ganz unterschiedliche Atmosphären erzeugen kann - und möchte. Duster, aber trotzdem alles sehen können. Und wenn möglich, dann nur indirekte Beleuchtung, so dass ich keine Lämpchen direkt sehen kann.

Ich dachte bisher eigentlich immer, dass das nur wieder eine Eigenart von mir ist, doch jetzt lese ich, dass das tatsächlich Methode haben könnte: Viele Menschen mit dem Asperger-Syndrom sind lichtempfindlich. Wobei das differenziert werden muss: In verschiedenen Belangen sind Aspis oft entweder überempfindlich oder empfinden kaum etwas. Das gilt für Licht, Hitze, Kälte - oder auch Schmerzen; als ich mir den Finger im rechten Winkel gebrochen hatte, hatte ich kein Problem damit, das einfach wieder zurückzubrechen. Klar, Schock, mag man sagen. Aber auch bei allem, was in den Tagen und Wochen danach kam, hatte ich keine Probleme mit den Schmerzen. Die langjährige Meditation verstärkt diese stoische Ruhe noch etwas.

Aspis können Situationen aushalten, die für normale Menschen unerträglich sind - oder aber überempfindlich gegenüber dem Tageslicht sein. Ich habe sowieso nie verstanden, warum Menschen an den Strand gehen: Da ist überall Sonne, selbst mit Sonnenschirm ist es überall viel zu hell, und mein Kopf hat gar nichts zu tun. Warum Menschen so gern an den Strand gehen, verstehe ich bis heute nicht.

Viele Grüße aus meiner Grotte! ;-)

Freitag, 24. April 2020

Idiosynkratischer Sprachgebrauch


"Appeldrabsch."

Dieses Wort existiert nicht - aber das hat meine Mutter nicht davon abgehalten, es immer wieder zu benutzen, um etwas zu beschreiben, was komisch, unbeholfen, albern oder ähnliches ist. So ganz ausgedacht hat sie sich das Wort allerdings nicht; es ist eine Abwandlung des niederdeutschen Wortes "appeldwatsch". Woher ich das weiß? Nun, was wäre ich ohne die Sannitanic?

Ich fand appeldrabsch absolut großartig, als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener. Ich werde nie jene Szene vergessen: Hochsommer, an der Front unseres Hauses hatten wir eine große Weinpflanze, alles mit grünem, dichten Laub bedeckt und kleine Weinbeeren sind nach und nach zu Boden gefallen - ein Genuss für Drosseln! Und wenn Weinbeeren lange in der Sonne liegen und gären, dann entsteht Alkohol, und es kam nicht selten vor, dass die Drosseln (wie auch alle anderen Vögel) über den Rasen gehopst sind, diese gärigen Beeren gefressen haben und... naja, wegfliegen ging irgendwann nicht mehr. Irgendwann waren die Drosseln tatsächlich so betrunken, dass sie sich mit ausgebreiteten Flügeln mitten auf den Rasen in die Sonne gelegt haben. Gerade laufen war nicht mehr drin, es war ein taumeliges Gehopse, und ich hätte dieses herrliche Schauspiel verpasst, wenn meine Mutter mir damals nicht Bescheid gesagt hätte: "Schau mal, die Drossel, die hat zu viele Beeren gegessen und jetzt wankt sie total appeldrabsch über den Rasen."

Seitdem fand sich appeldrabsch in meinem eigenen Wortgebrauch wieder. Das Drollige: Selbst nachdem die Sannitanic mich darüber aufgeklärt hat, dass es eigentlich appeldwatsch heißt, bin ich bei "meiner" Version geblieben, und das mit einer solchen Überzeugung und Hingabe, dass selbst die große Buba irgendwann des Wort appeldrabsch benutzt hat (was dann interessanterweise der Moment war, in dem ich aufgehört habe, es zu nutzen).

Das kommt übrigens nicht selten vor: Ich schnappe Wörter auf oder bastele sie in meinem Kopf zurecht, diese Wörter haben nichts mit gewöhnlicher Sprache zu tun, aber ich benutze sie trotzdem, wie zum Beispiel pomplodieren (ein Portmanteau aus dem lautmalerischen pomm und explodieren), oder Kartu (habe ich von Cate Blanchett aufgeschnappt, die große Buba hat es irgendwann übernommen, aber auf der zweiten Silbe betont, und jetzt benutze ich es nicht mehr, warum auch immer). Und über die Autobahn-Sulli hatte ich bereits geschrieben.

Es ist ein klassisches Merkmal von Menschen mit dem Asperger-Syndrom, dass sie einen idiosynkratischen ("eigenartigen") Sprachgebrauch pflegen. Ist mir auch bei dem Aspibuch von Leo M. Kohl aufgefallen, der beharrlich die Form frug benutzt - kein einziges Mal fragte oder hat gefragt. Und seitdem ich das Wort wenngleich kenne, benutze ich es immer wieder in diesem Blog. Manchmal sind es seltene und släsch oder altmodische Wörter, manchmal sind es ganz eigene Erfindungen. Ach ja, släsch ist auch ein Beispiel dafür, ebenso wie der Umstand, dass ich in den Blogartikeln fast immer Zahlen ausschreibe. Und dass ich weiß auf schwarzem Hintergrund schreibe. Jetzt habe ich also vielleicht eine Erklärung dafür.

Das ist immer drollig, wenn ich die Blogartikel zur Korrektur lese und diese seltsamen Wörter betrachte... kann man die überhaupt falsch schreiben? Das Korrekturlesen ist der Moment, in dem ich dann endlich mal die Schreibtischlampe einschalte, ansonsten ist es hier dunkel, mag ich lieber. Das ist übrigens gar nicht so ungewöhnlich... für einen Aspi. Aber darum geht es in dem nächsten Beitrag.

Mittwoch, 22. April 2020

Denken in Extremen


Wer aufmerksam mitgelesen hat, der wird gemerkt haben, dass sich die letzten beiden Beiträge über Visuelles Denken und Eingeschränkte Interessen um klassische Merkmale von Menschen mit dem Asperger-Syndrom gedreht haben, und ich habe versucht aufzuzeigen, inwiefern das auf mich zutreffen könnte. Heute geht es damit weiter, und vermutlich wird sich auch der nächste Beitrag noch einmal um Aspi-Symptome drehen. Vielleicht schreibe ich das einfach nur als Reaktion auf die Aspi-Bücher, die ich gerade lese, und in denen ich mich ziemlich gut wiederfinden kann. Keine Sorge, bald kommt auch wieder der ganz normale Wahnsinn an Blogthemen.

Ich bin nicht wirklich kompromissfähig. Das habe ich spätestens in der Saturnaliengruppe gemerkt; ich habe über die Jahre sehr viele Beiträge für das Theater geschrieben, der Großteil davon (zum Glück) unveröffentlicht. Gerade in den späteren Jahren habe ich dazu tendiert, Sketche zu umfangreich zu schreiben, zu viele Informationen, damit das Ganze "rund" wird. So hatte ich nach dem Schlussstrich zwar das Gefühl, ein fertiges Ding abgeliefert zu haben, aber für die praktische Umsetzung auf der Bühne waren die Sachen einfach zu lang, Lachfrequenz zu gering, zu sachlich.

Ich habe mich immer wieder mit der Frage konfrontiert gesehen, ob ich Sketche kürzen könnte, damit sie vielleicht doch auf die Bühne gebracht werden könnten. Ich konnte mich nie dazu durchringen: Ganz oder gar nicht. Und auf diese Weise sind viele Beiträge auf meiner Festplatte verstaubt. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie der Beitrag mit ein paar Kürzungen immer noch das sein konnte, was ich auf die Bühne bringen wollte.

Dieses Schwarz-Weiß-Denken, das Denken in Extremen, zeigt sich auch in einer anderen Anekdote.

Im Studium ist es oft vorgekommen, dass ich Gespräche immer wieder auf mich gelenkt habe, und das hat oft gar nicht so lang gedauert. Entweder ging es in meinen Beiträgen um mich oder um die Themen, die mich interessierten. Selten habe ich ernsthaftes Interesse für die Anderen gezeigt - ich habe einfach nicht daran gedacht. Es ging nur um das neue Buch, das ich gerade entdeckt hatte, oder um den neuen Film oder welches Problem mich gerade beschäftigte. Die Egozentrik ist für Aspis ein ganzes Kapitel für sich - darum geht es heute aber nicht.

Irgendwann bin ich auf diesen Umstand angesprochen worden. Ich habe nicht mehr den genauen Wortlaut zur Hand, und ich weiß nicht mehr, wer das war, nur, dass es mindestens zweimal von unterschiedlicher Seite gekommen ist: "Bei dir dreht sich alles nur um dein Thema." Ich wurde völlig aus der Bahn geworfen. Was? Machte ich das tatsächlich, immer nur von mir und meinen Themen zu reden? Und je mehr ich darüber nachdachte, umso stärker schwante mir, dass da etwas dran ist.

Also beschloss ich, gar nicht mehr zu reden. Auf diese Weise könnte ich auch nichts Falsches mehr sagen. Die Menschen, die mir nahe stehen, die Sannitanic und die große Buba, können bestätigen, dass ich heutzutage viel weniger rede als noch im Studium, sondern eher zuhöre. Selektiver Mutismus, das "bewusste Schweigen", ist ein klassisches Phänomen bei Aspis (unter anderem auch bei Greta Thunberg) und resultiert aus dem Denken in Extremen: Wenn ich etwas sage, dann ist es falsch, also sage ich gar nichts mehr.

Dass man auch abstufen könnte - weniger zu reden, oder anders zu reden - kommt mir dabei nicht in den Sinn, denn ich bin von diesem Schwarzweißdenken geprägt. Ganz oder gar nicht. Das ist auch etwas, was ich mir bisher nicht abtrainieren konnte (oder wollte). Nachdem nun aber jedes der Aspibücher, die ich lese, auf dieses Phänomen verweist, frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist, das abzutrainieren. Die Bücher postulieren, dass es geht, aber es gehört sehr viel Training dazu.

Der Umstand, dass Aspis gern allein sind, trägt leider nicht zur Verbesserung bei: Wenn ich allein bin, muss ich nicht aufpassen, was ich sage, und muss mich nicht anpassen. Das ist mir am liebsten, am bequemsten, aber gleichzeitig habe ich auf diese Weise kaum interaktionelle Trainingschancen, dieses extreme Denken zu überwinden.

Ist das nachvollziehbar?

Allein dieser Ausdruck "interaktionelle Trainingschancen"... da isser wieder, der arrogante, überhebliche Klugscheißer. Das führt zu dem nächsten Aspi-Symptom - aber das kommt im nächsten Beitrag. Danke für's Zuhören Släsch Mitlesen!

post scriptum: Das dritte Buch zu diesem Thema gefällt mir bisher am besten, weil es ein schön übersichtliches, geordnetes Handbuch ist - Tony Attwoods "The Complete Guide to Asperger's Syndrome". Dort werden nicht nur alle Symptomatiken beleuchtet, sondern auch die Frage beantwortet, warum man sich überhaupt eine Diagnose einholen sollte. Und diese Antwort werde ich jetzt jedem um die Ohren hauen, der mich fragt, warum ich denn unbedingt eine Diagnose haben will. ;-)

paulo post scriptum: Nachdem die Netflix-Serie "Tiger King" von den Kritikern so hoch gelobt wurde, musste ich herausfinden, warum das so ist. Ich bin jetzt mit der dritten Folge (von insgesamt acht) durch, und es spricht einfach so viele verschiedene Gefühle an, den Tiger King mit seinem Ehemann zu sehen, die Beziehungen zwischen Menschen und Großkatzen, aber auch die kriminellen Machenschaften - auch seitens der Tier"retter"; die dritte Folge bietet Stoff für einen Thriller, das war heute richtig spannend. Ich werde mir das definitiv weiter anschauen ;-)

Montag, 20. April 2020

Eingeschränkte Interessen


"Was für Musik hören sie eigentlich so? Lassen sie mich raten: Heavy Metal?"

Die Frage kommt früher oder später an jeder Schule, und meistens auch mit diesem Musikvorschlag. Und obwohl mir bewusst ist, dass viele der Schüler noch zu jung sind, um sämtliche Musikgenres inklusive der diversen Ausprägungen im Bereich "Metal" zu kennen, antworte ich jedesmal ganz ehrlich "Nein". Und mehr nicht. Erst, wenn der Schüler dann tatsächlich fragt, was für Musik ich stattdessen höre, gebe ich ihm eine Auflistung, in der sich gothic metal, doom metal, downtempo, ambient, electronic, industrial, goa, psytrance, aggrotech, pop, neoclassical und weitere wiederfinden. Dass ein Schüler mit so einer langen Auflistung überfordert sein könnte, realisiere ich nicht - bzw. erst jetzt, nachdem sich diese Frage immer wiederholt.

Aus einer solch' vielfältigen Aufzählung könnte eine Psychiaterin nun heraushören, dass ich "vielseitig interessiert" bin. Das könnte ich sogar fast verstehen - wenn ich davon ausginge, dass die Psychiaterin nicht bedenkt, dass sie es möglicherweise mit einem Aspi zu tun hat, der Wörter gern sehr wörtlich und sehr genau nimmt. Sie hat gefragt, was für Musik ich höre, nicht welche Musik mich interessiert, und das ist für mich ein großer Unterschied.

Hören bedeutet für mich, wenn Musik zufälligerweise läuft, zum Beispiel im Bus, im Supermarkt, auf dem Schulhof oder wo auch immer, dass ich gern zuhöre und nicht genervt weggehe.

Interesse bedeutet für mich, dass ich, wenn ich Lust auf Musik habe, ganz explizit sage "Diese Art von Musik würde ich jetzt gern hören." Im Studium waren das zunächst Ausprägungen von Metal, dann elektronische Musik aus der Schwarzen Szene. Nacheinander - nicht gleichzeitig. Denn zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich immer nur ein sehr eingeschränktes Interessengebiet in Sachen Musik (wie auch in anderen Bereichen - tolle Filme schaue ich sehr gern, aber von mir aus suche ich meistens nur nach Horror oder Science Fiction).

Anfang des Studiums habe ich also Metal gehört - und fast nichts Anderes. In der zweiten Hälfte bin ich bei der elektronischen Musik gelandet - und ich hatte zwar eine ganze Reihe Metal-Alben in meinem Regal stehen, die waren dann aber "out" und sind gemütlich eingestaubt. Und heutzutage bin ich also beim Downtempo mit seinen diversen Formen gelandet. Mittlerweile ist auch die Schwarze Szene-Musik für mich nur noch marginal relevant.

Das ist typisch für Autisten, selbst für Aspis (die meist nur milde Autismus-Symptome zeigen): Eingeschränkte Interessen, die sich durchaus ablösen können, aber der Blick bleibt immer wie durch Scheuklappen auf ein enges Interesse beschränkt.

Wie ich heute darauf komme? Ich habe eben im Supermarkt den Song New Age von Marlon Roudette gehört. Fand ich schön, fand ich damals, als er rausgekommen ist, schon schön - aber ich würde nie sagen "Also jetzt hätte ich Lust, Marlon Roudette zu hören!" - wenn im Radio ABBA laufen, finde ich das wunderbar, aber die CDs hier in meiner Wohnung waren schon seit Jahren nicht mehr im Player.

Ich habe im Studium öfters in Gesprächen den Satz zu hören bekommen "Bei dir geht es immer nur um ein Thema", egal ob es jetzt Achterbahnen, Medikamente, Hochbegabung, Autismus oder einfach nur mein Leben war (im Gegensatz zu den Anderen, an die ich oft nicht dachte und nicht denke). Meine Reaktion darauf war, das Reden einfach so weit wie möglich einzustellen. Einfach gar nichts mehr sagen, dann ecke ich nicht an (dachte ich).

Wie es zum Denken in diesen Extremen kommt, darum soll es in einem der nächsten Beiträge gehen.

Samstag, 18. April 2020

Visuelles Denken


Vor einer Weile hatte ich einen Beitrag über Synästhesie geschrieben - das Vermischen der Wahrnehmungen unterschiedlicher Sinne (Ich hör' nur Bahnhof). Ich hatte das Phänomen geschildert, dass ich bei'm Anhören bestimmter Musikstücke konkrete Orte vor meinem geistigen Auge sehe. Dabei handelt es sich nicht um ambient music, die ja oft konkrete Orte suggeriert, sondern um abstrakte Musikstücke. Zu Martin Nonstatics Granite sehe ich zum Beispiel vor meinem geistigen Auge zwei U-Bahnhöfe Berlins, Rathaus Spandau (oben) und Bundestag, und ich sehe bei bestimmten Klängen, wie die U-Bahn über die Gleise rauscht. Ich wusste nicht, woher das kommt - ob es vielleicht etwas mit Hochbegabung zu tun hat? Ich habe einen HB-Freund gefragt, der allerdings konnte keine ähnlichen Erfahrungen machen.

Dieser Tage lese ich dann, dass Synästhesie bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom auftauchen kann - das kommt zwar wohl selten vor, was aber ein Großteil der Aspis gemein hat ist eine starke Ausprägung des visuellen Denkens. Wenn ich an einem Tag etwas Interessantes erlebe, kann ich am Abend die genauen Orte vor meinem geistigen Auge abrufen und den Tag noch einmal detailliert Revue passieren lassen. Menschen allerdings kann ich mir nicht so gut merken - und das scheint wohl ein ganz normales Phänomen bei Aspis zu sein.

Ich habe bei meinem damaligen Synästhesiebeitrag den tag Geisteskrank verwendet, einfach aus Unsicherheit, worauf das wohl zurückzuführen sein konnte. Jetzt würde ich, wie auch bei diesem Beitrag, den tag Asperger setzen. Klar, ich habe noch keine verlässliche Diagnose, aber zur Zeit lese ich ein Buch, in dem ein Aspi-Twen seine Kindheit und Jugend schildert, und es klingt so oft, als würde er da meine Gedanken aufschreiben, ich finde mich fast überall in ihm wieder.

Und das gibt mir Mut, die Asperger-Geschichte weiter zu verfolgen - denn ich habe einfach keinen Nerv mehr, mir Vorwürfe für mein "unpassendes" Verhalten zu machen. Klar, in knapp siebenunddreißig Lebensjahren lernt man viele Strategien, man lernt, was die Menschen hören wollen, und ich bin sehr gut erzogen worden. Dennoch gibt es Bereiche, in denen ich diese Behinderung nicht so einfach kaschieren kann, und ich wüsste einfach gern, dass das okay ist.

Donnerstag, 16. April 2020

Ferienende


Jetzt wird es also Zeit, sich auf Schule mal anders einzustellen. Bis gestern war ich ganz ruhig in dem Gedanken, dass alles okay ist, wenn ich meinen Schülern Arbeitsblätter zum Üben herumschicke und für sie per Mail ansprechbar bin. Gestern hat man sich nun darauf geeinigt, dass der herkömmliche Schulbetrieb bis zum dritten Mai eingefroren bleibt.

So lange kann ich neuen Stoff im Englischunterricht einfach nicht aufschieben - ich habe zur Sicherheit nochmal die Sannitanic gefragt, und sie hat mir bestätigt, dass kein Weg daran vorbeiführt, neuen Fachinhalt per digitalem Unterricht einzuführen - zum Beispiel das simple past oder if-clauses type II.

Das fühlt sich etwas gruselig an, weil ich meine Schüler nicht direkt vor mir sehe, nicht direkt zu ihnen hingehen und ihnen helfen kann, das geht alles nur über das Internet. Es mag auf der einen Seite schön sein, für viele, dass der Unterricht noch weiter ausfällt. Auf der anderen Seite fühlt sich die ganze Situation nun wieder "unsicher" an, und mittlerweile weiß ich, was das für einen Aspi bedeutet.

Augen zu und durch! Ich hoffe, dass es allen Kollegen da draußen gut geht, die zu einer Risikogruppe gehören. Wenn Ihr Euch nicht sicher fühlt, bleibt zuhause, wir übernehmen! So kann es sein, dass ich zur Prüfungsvorbereitung des ESA oder MSA einberufen werde, in Klassen, die ich nicht kenne, aber das ist nunmal die Situation, und natürlich möchte ich versuchen, meine stärker durch das neuartige Coronavirus gefährdeten Kollegen zu beschützen.

In dem Sinne: Genießt die letzten Ferientage, so es denn für Euch überhaupt Ferien waren. Kommt gut in das Wochenende, bleibt zuhause und bleibt gesund!

Sonntag, 12. April 2020

Neue Erkenntnisse (Videobotschaft)

Ich glaube, ich bin einen großen Schritt weiter gekommen.

Wenn Ihr Interesse und zehn Minuten Zeit habt, erzähle ich Euch von meinen ersten Reaktionen auf mein erstes Buch über das Asperger-Syndrom - der Ton ist nicht perfekt, aber es sollte trotzdem reichen:


Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit! :-)

post scriptum: Bitte nicht anrufen :-)

paulo post scriptum: Ich habe heute den französischen Film "Raw" (2016) gesehen, ein intelligenter, ernsthafter, fesselnder, verstörender Film über eine junge Frau, die eine verbotene Leidenschaft entdeckt. Ich musste bei'm Anschauen sofort an meine Geschichte "Kleine, schwarze Welt" denken; wem sie tatsächlich gefallen hat, dem kann ich diesen Film wärmstens empfehlen. Nur für Hartgesottene!

Freitag, 10. April 2020

Ups

Neue Einblicke

Wie unangenehm. Ich habe mich heute in die erste Hälfte meines ersten Asperger-Buches versenkt, und realisiere erst jetzt, dass ich mal wieder alles um mich herum vergesse - ich komme sozialen Pflichten nicht nach, habe viel zu lange meine iServ-Nachrichten nicht gecheckt, meine Eltern hören nichts von mir. Immerhin kennen sie das schon und haben trainiert, sich keine Sorgen zu machen.

Ich stecke einfach gerade vollkommen in der kleinen Aspi-Welt. Je mehr ich in diesem Buch lese, umso seltsamer erscheint mir das Gutachten aus Lübeck. Ich bekomme eine Menge Informationen, und ich kann das nicht so schnell verarbeiten, und verliere Manches deswegen zur Zeit leider aus dem Blick. Bear with me. Katze auch.

Sobald ich dieses Buch ausgelesen habe und eine erste Einschätzung geben kann, schreibe ich hier, das ist klar. Immerhin, so ganz nutzlos ist mein Autismus-Gutachten nicht: Eine der Ärzte-Checklisten für das Asperger-Syndrom beinhaltet den Checkpoint "Diagnose Autismus wurde ausgeschlossen." - da kann ich jetzt einen Haken setzen.

Genießt die Ostertage, egal, wie Ihr sie verbringt! Sonnige Grüße aus dem dritten Stock!

post scriptum: Ist ja interessant, "dank" Corona werden manche Kinofilme momentan zusätzlich zum Kino-Release auch direkt als video on demand zur Verfügung gestellt. So konnte ich mir schon heute den SciFi-Streifen "The Invisible Man" (2020) anschauen, die Neuverfilmung des Romans von H.G.Wells, und die ist unglaublich gut! Es ist sehr verstörend, wie der Regisseur es schafft, das reale Problem von "male abuse" auf die Leinwand zu bringen. Wir leiden mit, wenn wir erleben, wie die Protagonistin von ihrem Mann gequält wird - und letztlich versucht, sich zur Wehr zu setzen. Das passt zu dem aktuellen Beitrag "Horror-Frauen-Power", endlich werden Frauen als starke Menschen gezeigt, die sich von ihrem Mann unabhängig machen können.

Mittwoch, 8. April 2020

Horror-Frauen-Power


Ich meine in modernen Horrorfilmen einen Trend zu erkennen, den man als female empowerment bezeichnen könnte: Gezeigt werden starke Frauen - was an sich nicht ungewöhnlich ist, nicht umsonst gibt es seit Jahrzehnten in Slasherfilmen das Konzept der scream queen und des final girl und leider auch des T&A (tits and ass), das die Frauen dann wieder auf ihre visuellen Reize reduziert. In diesem neuen Trend sehen wir allerdings Frauen, die sich explizit von einer Abhängigkeit von Männern freimachen, um stärker und unabhängig aus den Geschichten hervorzutreten.

Da wäre zum Beispiel die Ehefrau in Girl on the Third Floor (2019, low budget, aber high fun), die den ganzen Film über immer nur im Hintergrund bleibt, während sich die Kamera nur um den Ehemann dreht - am Ende ist ihr Gatte allerdings tot, und sie ist alleinerziehend und glücklich. Oder wie war das noch in Midsommar (2018), dessen bipolar geprägte Protagonistin sich ihrem Freund unterwirft, doch zum Schluss diese Fesseln abwerfen kann und ihren Freund zum Tode verurteilt. Oder das mittelalterliche Drama The Witch (2015), das von der Frauwerdung eines jungen Mädchens handelt und aus dem die junge Frau als "strahlende" Heldin hervorgeht (sofern man in dem Kontext von einer Heldin sprechen kann). Und wie ist es mit Essie Davis als alleinerziehende Mutter in The Babadook (2014), oder mit der Neuinterpretation von Dario Argentos Suspiria (2018), in dem fast alle Rollen mit Frauen besetzt sind und es um die Unabhängigwerdung einer jungen Tänzerin geht? Oder die junge Angetraute in Ready or Not (2019), deren Zeile "I want a divorce" angesichts ihrer vormaligen Ergebenheit ihrem Verlobten gegenüber kaum besser hätte plaziert werden können.

Wenn man dagegen in den Bereich der Science Fiction schaut, wirken männlich-zentrierte Filme wie The Martian (2015), Interstellar (2013) oder die Sohn-sucht-seinen-Vater-im-Weltall-Geschichte Ad Astra (2019) geradezu altmodisch und durch den male gaze geprägt (und es ist keine Wertung gemeint, ich finde alle drei Filme richtig gut, zwei mehr für den Mainstream, einer für die Arthouse-Kinogänger). Natürlich haben wir auch starke Frauen in der SciFi-Ecke - um vielleicht nur Amy Adams' Linguistin in Arrival (2016) als Beispiel zu nennen, oder die künstliche Intelligenz "Ava", die in Ex Machina (2014) unabhängig in die Welt entlassen wird.

Dennoch - und wahrscheinlich kommt es mir nur so vor - hat der Bereich SciFi noch mehr Potential, Frauen als selbständig denkende und handelnde Wesen zu zeigen, so wie die Horror-Power-Frauen. Ich würde es mir zumindest wünschen.

Dienstag, 7. April 2020

Essen wegwerfen

Darf es vielleicht noch ein bisschen mehr sein?

Habt Ihr schon einmal Essen weggeworfen? Mir ist das leider letzte Woche wieder passiert - eine Brottüte, in der noch zwei Scheiben übrig waren, aber ich habe sie nicht gegessen - so lange, bis dann Schimmel entstanden ist, und dann musste ich die Brotscheiben wegwerfen.

Das geht echt gar nicht. Und was noch weniger geht, ist der Grund, warum es überhaupt zu solchen Situationen kommt: Ich kaufe mehr Essen ein, als ich brauche, und dann entsteht in meinem Kopf eine Prioritätenliste - was esse ich zuerst, was danach? Und nicht selten kommt es vor, dass ich neues Essen einkaufe, bevor ich das "alte" Essen aufgegessen habe. Mich hat das ein bisschen an Supermärkte erinnert, die vollkommen intaktes Essen wegwerfen müssen, weil das MHD abgelaufen ist, oder Restaurants, die nachts Reste in die Tonne kippen. Das sind definitiv first world problems, und noch schlimmer ist, dass ich nur selten so intensiv darüber nachdenke, wie ich es in diesem Beitrag mache. Das Wegwerfen passiert einfach mal beiläufig - während es unzählige Menschen gibt, die derweil hungern müssen. Das Gewissen sollte mich eigentlich gründlich quälen.

Ausgerechnet ein Film hat mich diesmal an die Thematik denken lassen. Der SciFi/Horror-Hybrid El hoyo (Der Schacht, 2019) veranschaulicht die Konsequenzen dieses Handels so deutlich, dass ich überlegt habe, den Film in meinen Schulkanon aufzunehmen - habe mich aber dagegen entschieden, dazu weiter unten mehr.

Ich kann diese sozialkritische Parabel wärmstens empfehlen; wer sie schauen möchte (auf "Netflix" verfügbar), sollte an dieser Stelle vielleicht erstmal nicht weiterlesen.

"Es gibt drei Arten von Menschen: Die darüber, die darunter und die, die fallen."

Goreng wacht in einer Gefängniszelle auf - ein quadratischer Raum, etwas sechs Meter breit, lang und hoch. In der Mitte befindet sich ein großes, quadratisches Loch im Boden und eines oben in der Decke. Goreng ist nicht allein, auf der gegenüberliegenden Seite sitzt ein Mithäftling. Jede Zelle dieses Gefängnisses beherbergt zwei Gefangene. Goreng tritt näher an das Loch im Boden und schaut nach unten: Unter seiner Zelle ist eine weitere, gleich geschnittene Zelle. Und auch der Blick nach oben zeigt eine weitere Zelle. Alle Zellen dieses Gefängnisses sind übereinander gestapelt. Niemand weiß, wie viele es sind, eine große Achtundvierzig an der Wand zeigt die Ebene an. Mitten durch diese Zellen reicht ein gewaltiger Schacht von ganz oben bis...?

Ein lautes Summen, und langsam schwebt aus dem oberen Loch eine quadratische Plattform nach unten. Darauf befinden sich Essensreste; Goreng zögert, während sich sein Mithäftling gierig auf die Essensreste stürzt. Einen Moment später ertönt das laute Geräusch erneut, und die Plattform senkt sich langsam in die Zelle darunter herab.

Die Prämisse ist genial: Für die Verpflegung der Gefangenen wird jeden Tag auf der obersten Ebene ein Festessen zubereitet und auf der Plattform angerichtet, und diese Plattform fährt dann nach und nach durch alle Ebenen; jeder darf essen, soviel er möchte, er darf aber kein Essen bunkern. Die Menge an Essen, das zubereitet wird, richtet sich nach der Anzahl der Gefangenen - wenn jeder nur so viel essen würde, wie er braucht, würde das Essen für alle Ebenen reichen; da aber die Menschen auf den oberen Etagen sich den Bauch vollschlagen, ist die Plattform jedesmal noch vor der sechzigsten Ebene leergefuttert, und niemand weiß, wie viele Menschen darunter hungern müssen.

Das bietet bereits einen Spiegel unserer Gesellschaft, aber dieses Gefängnis hat noch eine weitere Grausamkeit auf Lager: Jeden Monat wird an einem Tag ein Gas in den Schacht geleitet, ein Schlafmittel. Am nächsten Tag erwachen die Gefangenen auf einer völlig anderen Ebene. So kann es sein, dass jemand einen Monat lang auf Ebene Acht schlemmen kann ohne Rücksicht auf Andere, im nächsten Monat erwacht er dann auf Ebene Neunzig und muss die Konsequenzen dieses rücksichtslosen Verhaltens am eigenen Leib spüren. Auch das findet sich in unserer Gesellschaft wieder, und auch hier fehlt uns oft das Bewusstsein für die Menschen auf den anderen "Etagen".

Es ist eine einfache, aber clevere Idee, und bietet Gesprächsstoff zu Themen wie Solidarität, Egoismus, Klassengesellschaft, need versus want und viele mehr. Dennoch sollte ich den Film nicht in der Schule verwenden, denn die Kamera zeigt schonungslos, was dieses grausame System mit den Menschen anstellt - Selbstmord, Mord, Kannibalismus. Der Film hat seine Freigabe ab achtzehn Jahren verdient, und der subtile Humor schafft es nicht immer, die düstere Atmosphäre leichter erträglich zu machen. Immerhin wird die Gewalt nie als Selbstzweck dargestellt, sondern ergibt sich aus der Not heraus.

Die surreale Story erinnert an den Film Cube (1997), ebenfalls ein minimalistischer SciFi-Film mit großer Wirkung, weitreichenden Implikationen und einer Schlussszene, die ein toller Ausgangspunkt für intensive Gespräche sein kann.

Ich habe mich durch den Film daran erinnert gefühlt, dass ich eben auch manchmal mehr Essen einkaufe, als ich überhaupt brauche, und dass das dann notfalls weggeworfen werden muss. Damit bin ich nicht besser als die Menschen auf den oberen Ebenen des Schachts, und es bleibt nur zu hoffen, dass ich nicht irgendwann selbst gänzlich ohne Mittel auskommen muss.


Freitag, 3. April 2020

Herzchen??? Am Arsch!!!

Wenn man sonst keine Probleme hat...

Ich wäre fast sorry für diesen expliziten Titel, aber er passt nun mal wörtlich und figurativ. Wir bekommen ja alle seit Wochen mit, wie Klopapier und Fertiggerichte gehamstert werden, und ich finde das mildly amusing, solange ich von außen zuschauen und den Kopf schütteln kann. Aber wenn ich selbst darunter zu leiden habe, ist das eine andere Sache.

Vor über einer Woche habe ich dann mal festgestellt, dass ich nun selbst neues Klopapier brauche, da ich bei den letzten zwei Rollen angekommen war. Und seitdem ich in der Drogerie dieses Klopapier mit den blauen Motiven gefunden habe, die wunderbar zu meinem Badthema passen, durfte es auch kein anderes mehr sein. Dieses Klopapier oder gar keines! Da bin ich mal wieder etwas festgefahren.

Also habe ich mich auf den Weg in die erste Rossmann-Filiale gemacht - aber das blaue Klopapier hatten sie nicht mehr, nur noch irgendeins mit Frühlingsblumen und in Lindgrün, und das geht nun echt gar nicht. Und so habe ich bis heute insgesamt neun Filialen besucht. Und es ist nicht nur, dass sie das blaue Papier nirgendwo mehr hatten - ab der vierten Filiale konnte ich dort überhaupt kein Klopapier mehr finden.

Alles nicht so dramatisch, dachte ich erst, aber gestern bin ich bei den letzten zwanzig Blatt angekommen, und dann war das nicht mehr so witzig. Klar, Küchenpapier wäre zur Not im Haus... aber es kann doch nicht sein, dass Opa und Oma an der Bushaltestelle mit acht Packungen á zwanzig Rollen Klopapier auf den Bus warten - und erzählt mir nicht, Ihr hättet nicht ähnliche Szenarien gesehen! Und für Leute, die das dann brauchen, ist nix mehr übrig.

So bin ich dann heute, mein Wille gebrochen, in die zehnte Drogeriefiliale getapert, in der Hoffnung, überhaupt noch irgendein Klopapier zu bekommen. Auch hier wieder gähnende Leere, mit den Aushängen, dass die Leute keine Hamsterkäufe machen sollen, dass es genug Klopapier gäbe, dass ständig nachgeliefert würde und dass sie die Abgabe auf höchstens eine Packung pro Kunde begrenzen. Und trotzdem - alles weg. Doch da... da oben bei den Taschentüchern, ich glaube es gerade nicht, da steht eine Packung Klopapier.

Mit Frühlingsmotiven. Mit Waschbären, und Blümchen, und roten Herzchen überall? Aber es nützt nichts, ich komme nicht drumrum, und so steht das Klopapier nun in meinem Bad, passt überhaupt nicht dorthin, und sobald ich wieder das blaue habe, verschenke ich diese dämlichen Frühlingsrollen. Herzchen??? Ganz ehrlich: Am Arsch!!!