Mittwoch, 24. April 2024

Betrunken unterrichten


Heute wieder einmal etwas für Lehrer, so wie der Kurzfilm Alternative Math, den ich neulich direkt auf Facebook geteilt hatte - diesmal allerdings etwas Ernsthafteres, aus verschiedenen Perspektiven. Es geht um einen etwas radikaleren Unterrichtsversuch eines desillusionierten Lehrers und seiner Freunde.

Vielleicht kann man sich die Situation vorstelllen - nach zehn, zwanzig oder mehr Jahren Unterrichtstätigkeit eine Art Burnout, Lustlosigkeit am Unterrichten, Verzweifeln daran, dass die SchülerInnen nicht alles so schnell aufnehmen, wie man das gern hätte, und das schlichte Gefühl zu versagen. Dann kommt eine Studie hereingeflattert, die zunächst einmal nichts mit dem Lehrberuf zu tun hat, aber gerade zu einem Versuch herausfordert.

Es geht um eine postulierte positive Wirkung eines dauerhaften bestimmten Promillegehalts Alkohol im Blut - wir sprechen hier nicht von Party am Abend, sondern einem konstanten Pegel tagsüber. Die Studie gelangt zu dem Schluss, dass eine Leistungssteigerung erreicht werden könnte, ebenso wie eine gesteigerte Kreativität und Spaß an der Tätigkeit. Die vier Lehrer wagen also den Versuch - was ist, wenn sie mit einem (geringen) Promillepegel in die Schule kommen - wird man es ihnen anmerken? Wird das Unterrichten anders laufen? Wie kommt das bei den SchülerInnen an?

Die Antworten lasse ich an dieser Stelle weg, keine Spoiler. Tatsache ist aber, dass der Film in den falschen Händen zu einer Trash-Komödie hätte verkommen können. Er geht allerdings ernsthaft und sensibel an das Thema heran. Der dänische Film Druk (Der Rausch) mit einem großartigen Mads Mikkelsen (Hannibal, Casino Royale, Indiana Jones and the Dial of Destiny) in der Hauptrolle lebt nicht vom Spektakel, sondern vom sorgsamen Beobachten seiner vier Lehrer.

Einfache Antworten wird man hier nicht finden, und auch das Ende kann auf unterschiedliche Arten gelesen werden. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass keine Lehrkraft von diesem Film kalt gelassen wird - ich könnte mir vorstellen, dass jeder sich eine Meinung zu dem Thema bilden kann und dass es danach einige Diskussionen geben wird.

Am Ende kann man der Vollständigkeit halber erwähnen, dass dieser Film den Academy Award für den besten ausländischen Film gewonnen hat, aber das sagt nichts über gar nichts aus, also lasse ich das. Ich fand ihn großartig, faszinierend, witzig, gedankenanregend - und er hat mir klargemacht, dass ich selbst dieses Experiment wohl nicht wiederholen werde. 

Aber ich bin mir bewusst, wie viele Lehrkräfte unter dem Einfluss von psychoaktiven Substanzen (Koffein, Antidepressiva, Beruhigungsmittel, Schmerzmittel etc.) in die Schule kommen, um ihren Unterricht gut zu wuppen. Der Film ist also weniger abgefahren, als man vielleicht denken sollte; die Prämisse beruht auf einigen Körnchen Wahrheit.



Dienstag, 16. April 2024

Farewell, Toni.


Die Gewissheit kann eine schillernde Sache sein.

Seit ein paar Tagen habe ich es jetzt schwarz auf weiß, dass eine Rückkehr an die Toni-Jensen-Gemeinschaftsschule aussichtslos ist, Gründe unterliegen natürlich der Verschwiegenheit. Diese Nachricht hat mich richtig fertig gemacht. Depressiver Schub, Angst, angewiesen auf ein Anxiolytikum. Über die vergangenen neun Monate habe ich mich quasi an diesen letzten Strohhalm geklammert, dass ich wieder an die Schule zurück kann.

Ich wollte das unbedingt, auch wenn ich von manchen KollegInnen passive-aggressively angefeindet worden bin - das ist an jeder Schule so, und sobald ich erstmal weiß, welche KollegInnen mir wohlgesonnen sind, kann ich den Rest gut ausblenden. Ich wollte unbedingt meine SchülerInnen wiedersehen und sie zu ihren Schulabschlüssen bringen. Ich wollte unbedingt das Schularchiv weiterführen, und ich wollte unbedingt den Gesprächskreis für autistische SchülerInnen einrichten.

All' diese Pläne sind jetzt endgültig hinfällig.

Aber, wie gesagt, diese Gewissheit schillert, und auch in optimistischen Farben. Ich kann jetzt endlich von den Toni-Plänen loslassen und mich darauf vorbereiten, dass ich an eine neue Schule kommen werde. Ich kann das Dreieinhalb-Jahre-Paket von meinen Schultern loswerden, ich habe den Kopf etwas freier für wichtige Dinge, die anliegen. 

Es hat einige Tage gebraucht, in denen es mir mies ging und ich eigentlich mit niemandem reden wollte. Stattdessen nutze ich, wie so oft, jetzt den Blog als Output für meine Seelenwelt. Ich wollte ursprünglich ein paar KollegInnen namentlich verändert erwähnen, die mir besonders am Herzen lagen und die ich wirklich sehr vermissen werde - aber ich bin sicher, dass diese Menschen wissen, dass sie gemeint sind, und ich danke ihnen für ihren Rückhalt und ihre Bereitschaft, sich mit einer autistischen Lehrkraft, die nicht immer ganz einfach ist, auseinanderzusetzen. Und ich möchte meinen ehemaligen SchülerInnen danken für alles, was sie für mich getan haben, und für ihre Bereitschaft, diverse Unterrichtsversuche auszuprobieren, ohne zu meckern.

Ich werde Euch alle vermissen, eine Zeit lang. In meinem Herzen bleibt Ihr für immer.

Und ich wollte auch eigentlich eine Art "Urteil" abgeben über meine Zeit an der Schule, so wie ich das bei anderen Schulen auch ab und an getan habe - aber ich lasse es diesmal. Ich möchte nur auf eine Sache hinweisen: Das Kollegiumsklima, bzw. dessen Wandel, gibt es auch an vielen anderen Schulen, for better or worse

Farewell, Toni.

Donnerstag, 11. April 2024

Augen auf!


Ich gehe derzeit sehr gezielt einkaufen, wenn ich im Rewe Center bin. Pfefferminztee, grüner Tee, Nudeln, Suppengrün, probiotischer Joghurt, reicht. Das macht den Einkauf schnell und nicht unnötig teuer. Meine Augen fixieren sich direkt auf das Zielprodukt, denn es sind immer die gleichen Sachen - immer wieder zum Suppengrün im Bioregal, immer wieder zum Grüntee gegenüber dem Kaffeeregal.

Für Autisten ist so eine wiederkehrende Routine wunderbar, sie beruhigt, fühlt sich "logisch" an, das macht tatsächlich glücklich. Es ist grauenhaft, wenn ich in einem riesigen Supermarkt stehe und eigentlich gar nicht weiß, was ich so einkaufen will. Allerdings kann dieses zielgenaue Einkaufen auch Nachteile haben, und einen davon habe ich heute entdeckt.

Schnurstracks zum Teeregal und den grünen Tee von Meßmer einpacken, fünfundzwanzig Beutel für zwei Euro neununddreißig. Wie jedesmal, fast ganz rechts am Rand, die ganzen anderen Sorten nehme ich überhaupt nicht mehr wahr. Was ich auch bisher nicht wahrgenommen habe, ist, dass es noch ein wenig weiter nach rechts geht - direkt neben dem Tee steht grüner Tee derselben Marke, ganz rechts am Rand, fünfzig Beutel für zwei Euro neunundneunzig. What the...?!

Das ist runtergerechnet fast der halbe Preis! Und mir ist die Packung bisher nie aufgefallen, weil das Design gleich ist, sie ist nur etwas größer und steht wirklich ganz rechts am Rand, wo man nicht sofort hinschaut. Das Preisschild ist unauffällig. Naja, besser spät als nie - ab jetzt nehme ich nur noch die Fünfzigerpackungen, die reichen für knapp zwei Wochen, wunderbar.

Zeigt mir mal wieder, dass ich auch mit dem Blick flexibel bleiben muss, und dass die eingeübte Routine nicht zwangsläufig die beste ist, nur weil sie funktioniert.

Montag, 8. April 2024

Sein dürfen, wie ich bin

Die große Buba und Dr Hilarius

Was für ein holperiger Titel - aber passend zu diesem Thema, das eine Menge Schlaglöcher bietet. Die Leitfrage lautet:

Darf ich so sein, wie ich bin?

Das fragen sich viele Menschen, die von der "Norm" abweichen, neurodivergente Menschen, die LGBTQ-Community und viele mehr, und das Spannende ist die Antwort, die man auf diese Frage von Anderen bekommt. Meistens ist es etwas in der Richtung "Ja, natürlich darfst du hier du sein." Ernstgemeint ist das aber meistens nicht.

Ich habe mir die Frage auch ein Leben lang gestellt. Immer, wenn ich an eine neue Schule gekommen bin, habe ich gefragt, ob es in Ordnung ist, dass ich schwarze Outfits und Nagellack trage. Immer hieß es "Kein Problem!" - und später gesellte sich dann die Frage dazu, ob ich autistische Verhaltensweisen zeigen darf. Schulleitung: "Wenn wir schon Inklusion an der Schule leben sollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium."

Es galt vier Monate lang, dann kam das erste "Du musst dich anpassen". Fragt Euch mal ganz ehrlich, an welchem Ort, mit welchen Menschen Ihr genau so sein dürft, wie Ihr seid. Ich behaupte, dass es eine sehr geringe Menge ist. Ort: Meine Wohnung, aber nur, wenn niemand dabei ist. Ausnahme: Die große Buba. Wenn sie hier bei mir im dritten Stock auf der Couch neben mir sitzt, dann darf ich endlich so sein, wie ich bin. 

Ich darf Fingerstimming machen. Ich darf an meinen Füßen herumgrabschen, während sie erzählt. Ich darf über alles reden, Krankheit, Videospiele, Filme, Schule. Ich darf Tee trinken. Ich darf an jeder Stelle sagen: "Äh, moment, das verstehe ich nicht. Bitte umformulieren." Ich darf Wäsche aufhängen. Ich muss nicht meinen Mund halten, aus Angst, dass etwas falsch verstanden wird. Ich darf meine Zähne putzen.

Ich glaube, sie ist derzeit der einzige Mensch, bei dem ich mich in keiner Weise verstellen muss. Ich weiß aber, dass auch die Sannitanic so wäre, wenn wir so viel direkten Kontakt hätten. Und ich weiß, dass seit einiger Zeit meine Mutter dazugehört. Kennt Ihr ja vielleicht, dass man sich vor seinen Eltern verstellt, um sie glücklich zu machen oder wasweißich, und dass die Offenheit und Ehrlichkeit erst später im Leben kommt. Dennoch besser spät, als nie.

Ich wünschte, mehr Menschen meinten es ernst, wenn sie sagen: "Sei ganz du selbst."

Mittwoch, 3. April 2024

Yip yip yip!


Ich habe zu Ostern ein Geschenk bekommen, das definitiv originell ist und das ich so noch nicht gesehen habe. Ich vermute mal, viele von Euch werden es schon auf dem Bild oben erkennen: Die große Buba hat mir einen der Außerirdischen aus der Sesamstraße gehäkelt. Sie liebt Häkeln und Stricken und kann das auch richtig gut, und als ich dann das Teil mit den Kulleraugen in der Hand hatte, war ich total begeistert.

Zunächst begeistert vom Nostalgie-Flash, der mich überkam, als ich vor meinem geistigen Auge wieder die beiden Außerirdischen sah, die sich gefragt haben, ob ein Telefon eine Kuh sei, und dann das Klingeln nachgeahmt haben, mit großartigen "Gesichts"ausdrücken. Und dann begeistert, weil der YipYip wie ein kleines Körbchen funktionieren kann, es passt genau ein Osterei rein - oder etwas, was einem wichtig und klein ist.

Ich realisiere außerdem gerade, dass es auf dem Foto so aussieht, als hätte der YipYip zwei Antennen, die ihm Licht spenden, so ähnlich wie der Tiefsee-Anglerfisch. Ganz großartig, ich bin begeistert, und so kann ich nachher mit der großen Buba wieder begeistert Monster verkloppen (oder Wände, wir nehmen das nicht so genau).



Samstag, 30. März 2024

Haustier: Hund. ...not.


Ich denke immer mal wieder darüber nach, dass ein Mitbewohner interessant sein könnte. Aber wen nehmen wir da? Sofort ausgeschlossen werden Menschen, besonders neurotypische. Quelle für Traurigkeit, muss nicht sein. Mit einem anderen Autisten könnte das vielleicht anders sein, aber ein menschlicher Mitbewohner kommt für mich nicht in Frage.

Was für ein Haustier also? Auch hier kann ich eines direkt ausschließen: Ich werde mir niemals einen Hund zulegen. Ich habe Angst vor Hunden, und das beruht auch auf dem Autismus. Hunde bellen. Laut. Ohne Vorwarnung. Ich erschrecke mich jedesmal wieder - und dann werde ich gegaslighted: "Der freut sich doch nur, du musst keine Angst haben!"

Ich weiß, dass Hunde auch bei großer Freude bellen können. Der Grund ist mit aber völlig egal. Es ist die Unberechenbarkeit; der Gedanke "jeden Moment könnte dieses Tier bellen". Angst. Natürlich könnte auch ein Kindheitstrauma da reinspielen, als mich kleinen Steppke auf dem Fahrrad ein Hund laut bellend in einem Mordstempo verfolgt hat. Da hatte ich auch Angst. Hauptsächlich ist es aber das Bellen, das ist mir im Laufe der Jahre klar geworden und eben wieder als Gedanke aufgeploppt, als während der Meditation eine Töle im Viertel angefangen hat, laut zu bellen. Und das nicht nur einmal, sondern über sieben Minuten einunddreißig Sekunden lang.

Ich bräuchte einen stummen Hund. Vielleicht hat das auch gar nichts mit Autismus zu tun, sondern mit Hochsensibilität; ein paar der Eigenschaften habe ich auch, das habe ich durch meine beiden besten Freundinnen realisiert. Aber selbst ein stummer Hund würde bei mir leiden, denn ich würde das Gassigehen vergessen, ich will ihm nicht meine gesamte Aufmerksamkeit schenken, immer und überall - ich bräuchte eher ein Tier, das eigenwillig und pflegeleicht ist und auch mit sporadischer Versorgung klarkommt. Ich lande da bei einem Terrarium mit ...? Vielleicht ein Reptil. 

Aber das ist Zukunftsmusik; erstmal muss ich mein Leben wieder in den Griff bekommen.

Kennt jemand von Euch das mit dem Bellen und Erschrecken?

post scriptum: Keine Sorge, Bruder, ich werde auf jeden Fall bei dem Ereignis im Herbst dabei sein! ;-)

Mittwoch, 27. März 2024

Das Gras ist angekommen

Damals in den Kronshagener Bergen....

Nun sind wir also endlich so weit, die Cannabis-Freigabe ist unterzeichnet. Wobei, so weit sind wir auch wieder nicht, denn jetzt steht eine Menge Bürokratie an. Strafen aus der Vergangenheit müssen überprüft werden. Cannabisclubs müssen gegründet bzw. zertifiziert werden. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis ich einfach losgehen und mir einen Joint besorgen kann.

Nicht, dass ich das unbedingt tun würde: Ich schreibe es hier immer wieder, die Wirkung von THC sagt mir nicht besonders zu. Außerdem bin ich kein Raucher; wenn, dann würde ich einen Vaporizer nutzen, denke ich. Oder eine Glasbong, kurz und fast schmerzlos. Was ich aber tun werde: Ich werde mir, wenn ich meine anderen Angelegenheiten im Griff habe, einen kleinen Vorrat an Gras hier zulegen. Als Notfallmedikation für was auch immer eintreten mag. Gibt mir dann ein Gefühl von Sicherheit. Ich muss es nur irgendwo vergraben oder so, ich mag den Geruch absolut nicht. Vielleicht kommt es, wie all' meine Notfallmedikamente, in den Keller.

Ich bin ja gespannt, ob sich jetzt die ganze Panikmache der CDU und der CSU bewahrheitet. Ob jetzt hunderttausende Menschen in die Abhängigkeit rutschen, der Straßenverkehr viel gefährlicher wird als vorher, die Drogenkriminalität noch mehr zunimmt. Bin wirklich gespannt - Modellversuche anderer Länder zeigen das Gegenteil. 

Allerdings frage ich mich auch, wie sich die neue gesetzliche Regelung auf unsere SchülerInnen auswirken wird, und da mache ich mir tatsächlich etwas Sorgen. Für sie wird es leichter werden, an das Gras zu kommen, und die Entwicklung des Gehirns kann tatsächlich beeinträchtigt werden, von der schulischen Performance mal ganz zu schweigen. Und allen Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Gras zuzutrauen wäre doch extrem naiv. Ich war auch mal jung und weiß, was Grenzüberschreitungen bedeuten, und das Gefühl von Unsterblichkeit.

Also, liebe KollegInnen: Starten wir in die Ferien mit dem Vorhaben, unsere Schulkiddies im Blick zu behalten. Ob sie kiffen, was das mit ihnen anstellt, ob die Situation sich in irgendeiner Art und Weise ändert - all' das. 

Bleiben wir achtsam!

Montag, 25. März 2024

Besuch bei'm Psychiater und das Stigma


Freitag

Ich nehme so gut wie nie Filmempfehlungen von anderen Menschen an - und davon bekomme ich als Lehrer reichlich von meinen SchülerInnen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich gute Filme liebe. Die meisten Jugendlichen haben in dem Alter noch kein Gespür dafür, was ein "guter" Film ist, weil ihnen die Vergleichswerte fehlen. Also empfehlen sie mir, was sie selbst toll finden. Und das höre ich mir dann höflich an, setze es aber nicht um.

Anders ist es, wenn die große Buba mir einen Film empfiehlt, denn ich glaube, sie gibt sich sehr viel Mühe, mich als Autisten wirklich zu verstehen, und auch zu verstehen, was mir echte Freude bereitet - dafür liebe ich sie, denn das ist ein hartes Stück Arbeit, was auch immer wieder Enttäuschungen mit sich bringt. Und selbst bei der großen Buba brauche ich manchmal sehr lange, bis ich einem Filmtipp auch wirklich nachgehe.

Dass jemand mir einen Film vorschlägt und ich direkt bei'm Nachhausekommen das Teil auf Netflix suche, finde und mir direkt anschaue, sowas gab es bis heute nie. Aber... vielleicht sollte ich am Anfang anfangen, am Beginn eines sehr erleuchtenden, aufregenden Tages, der in mir eine tiefe Zufriedenheit und Dankbarkeit hervorgerufen hat.

Definitiv nicht Zufriedenheit mit der Deutschen Bahn. Denn ich hatte heute um halb zehn morgens meinen Termin bei'm Psychiater, und ich bin auf den ÖPNV angewiesen, und das Deutschlandticket als Chipkarte works like a charm. Also gehe ich heute um viertel nach acht zu Gleis fünf, auf dem der Regionalexpress nach Pinneberg bereit steht.

Ist ja seltsam. Niemand sitzt drin, oder... doch, da hinten sitzt auch jemand. Aber warum stehen noch so viele Menschen auf dem Bahnsteig? Ich könnte natürlich einfach jemanden fragen, aber ich bin Autist und vermeide es, fremde Menschen anzusprechen. Also gehe ich noch einmal zur Tür, schaue draußen auf die Anzeigetafel - aber alles sollte eigenlich stimmen, und so suche ich mir einen Sitzplatz im Untergeschoss in Fahrtrichtung, links am Fenster natürlich. Ich hole meine Logikrätsel heraus und vertreibe mir die Zeit, bis ich sehe, dass die Menschen sich draußen in Bewegung setzen. Sie alle gehen zurück zum Eingang des Hauptbahnhofs, okay, what the ...? Ich bekomme Angst. Werde ich hier jetzt gleich auf ein Abstellgleis gefahren und komme nicht mehr aus dem Zug? Panisch renne ich zur Tür, zwar mit Rucksack, aber meinen schönen Regenschirm von Samsonite hat jetzt die DB. Und ja, ich weiß, es gibt da ein Fundbüro, aber das sind fremde Menschen, also kaufe ich mir lieber einen neuen. Von der gleichen Art natürlich.

Immerhin lande ich jetzt auf dem richtigen Bahnsteig, wo angezeigt wird, dass sich die Abfahrt um eine Viertelstunde verzögert. So what, ich habe einen kleinen Zeitpuffer, bevor ich im Krankenhaus sein muss. Und dann fängt auch endlich alles an, richtig zu funktionieren. Ich esse einen Schokoriegel - Zucker als Entzündungsförderer eigentlich nicht so gut, aber ich brauche etwas Energie für den Tag, die große Buba sagt Edhergighie.

Ich habe mich sehr auf diesen Termin gefreut, denn der letzte ist drei Monate her. Es hat einfach terminlich nicht besser gepasst; und während ich einmal bei einem monatlichen Besuch schon dachte, dass es eigentlich kaum Neues zu berichten gibt, waren drei Monate dann doch zuviel, vor allem, weil sich in meiner beruflichen, gesundheitlichen und familiären Situation viel getan hat in dieser Zeit, und nichts davon wirklich zum Positiven. Vielleicht sind anderthalb bis zwei Monate derzeit eine gute Frequenz für uns. Ich habe das aus verschiedenen Psychologieserien gelernt, dass man das je nach Bedarf umstellen kann und sollte, immer im Sinne des Patienten, und ich muss einfach mal konstatieren: Ohne den Rückhalt meines Psychiaters wäre ich in dieser Welt, an diesem Punkt angekommen, vollkommen aufgeschmissen. Meine lieben Eltern würden so gern helfen, aber ich brauche fachliche und rechtliche Hilfe, das heißt, es müssen Fachleute ran.

Ich möchte wirklich jedem, der ein starkes Gefühl davon hat, er könne auf dem Autismusspektrum sein, empfehlen, einen Platz bei einem guten, spezialisierten Psychiater zu bekommen. Auch wenn es eigentlich gerade nicht nötig scheint - irgendwann werden Probleme kommen, aus unterschiedlichsten Gründen (zum Beispiel, weil die Eltern sterben), und dann ist man hilflos und allein gelassen. Ihr nehmt es mir nicht übel, wenn ich mir im Kopf gerade ein paar wenige KandidatInnen vorstellen kann, denen das vielleicht helfen könnte. 

Bringt den Mut auf, sucht Euch einen Diagnoseplatz! Möglichst jetzt, denn die Vorlaufzeit ist unglaublich lang. Bei mir hat es - wenn mich die Erinnerung nicht trügt - anderthalb Jahre gedauert bis zum ersten Termin. Die PsychiaterInnen sind einfach komplett überlastet, und dabei können sie im Leben eines autistischen Menschen so viel Gutes bewirken, und das auch schon komplett ohne Medikamente, indem sie einen geschützten Raum zum Reden bieten. 

Bitte geht diesen Schritt. Auch wenn der Gedanke nagt "Nö, betrifft mich ja nicht unbedingt, brauche ich gerade eigentlich nicht wirklich" - die Fachliteratur bestätigt: Irgendwann im Leben werden wir AutistInnen Hilfe brauchen, und wenn wir noch so sehr high-functioning (a.k.a. Asperger) sind.

Aber zurück zum heutigen Besuch, und ich merke gerade, ich muss den Artikel morgen weiterschreiben, denn es war ein sehr langer Tag und ich habe das alles immer noch nicht verarbeitet. Keine Sorge, das mit den Filmen kommt noch, ich schreibe morgen weiter!

(...)

Let's go. Natürlich werde ich hier nicht vom konkreten Inhalt des Gesprächs schreiben, sondern etwas abstrahieren und mich vor allem darauf konzentrieren, was das bei mir ausgelöst hat. Könnte auch für meinen Psychiater interessant sein, vielleicht liest er das jetzt gerade. Falls ja, hier nochmal: DANKE für Freitag!

Natürlich hat es gut getan, nochmal die Rückschläge aus dem Januar und Februar Revue passieren zu lassen, die Ablehnung des Schwerbehindertenstatus und das Verbot, eine Vertretung an einer Schule zu übernehmen (ich habe bis heute keinerlei Entschuldigung aus dem Ministerium bekommen). Es hat mir nämlich wieder etwas Mut gemacht zu wissen, dass ich eigentlich nichts falsch gemacht habe, sondern dass das Problem im System liegt.

Ebenso hat es sich gut angefühlt, über Themen zu sprechen, zu denen ich einen Bezug habe, und so sind wir zwischendurch auch wieder bei'm Thema Filme angekommen, genauer Filme über Autismus. Es gibt so viele Filme, die Autismus darstellen wollen - vielleicht nicht als Thema, aber in einem ihrer Charaktere - und sich dabei auf Klischees berufen, die mit der Breite des Spektrums überhaupt nichts zu tun haben, oder sie stellen Autismus als etwas Drolliges dar, über das man lachen kann. Davon gibt es eine ganze Menge. Seltener sind authentische Darstellungen von Autismus-Spektrums-Störungen. 

Eine dieser authentischen Behandlungen findet man im Film The Reason I Jump, der auf dem gleichnamigen Buch des nicht-sprechenden autistischen Jugendlichen Naoki Higashida basiert. Im Film werden die Leben verschiedener Familien rund um die Welt beleuchtet, in den USA, Afrika, Indien, Australien, um zu zeigen, dass es die mutistischen AutistInnen überall gibt, und dass sie überall dieselbe Zurückweisung von neurotypischen Menschen erfahren. Es kommen auch ihre Eltern zu Wort, die sehr eindringlich erzählen, wie sie unter den Anfeindungen ihrer Kinder zu leiden hatten und immer noch haben. Der Film bringt durch seine subjektive Kamera das Erleben eines Menschen auf dem Spektrum sehr eindrucksvoll rüber und ist gleichzeitig ein Plädoyer für die Akzeptanz und Inklusion von Menschen mit Behinderung.

Mein Psychiater hat sich den Titel notiert, und mir im Gegenzug ebenfalls einen Film genannt, der das Thema Autismus zwar nicht in den Mittelpunkt stellt, dessen Hauptfigur aber eindeutig als Autist codiert ist. Der norwegische Film Elling, damals oskarnominiert als bester ausländischer Film, zeigt die Situation zweier neurodiverser Freunde, die durch das norwegische Gesundheitssystem irgendwie in die Gesellschaft integriert werden (bei uns würden sie eher allein gelassen, um selbst klarzukommen), nachdem Ellings Mutter verstorben ist und er nicht mehr auf ihre Hilfe und Führung bauen kann.

Diese Situation ist leider nur allzu realistisch: Was ist, wenn Deine Eltern sich um Dich ein Leben lang gekümmert haben und Du plötzlich als autistischer Mensch auf Dich allein gestellt bist? Meine Eltern werden nicht ewig leben und ich habe einen Bruder, der noch weiter zurück liegt auf dem Weg, auf sich allein gestellt zu sein, als ich. Irgendwie müssen wir es schaffen, dass er nicht irgendwann plötzlich wie Elling vor dem Nichts steht und komplett verkümmert, wenn es keine Unterstützung mehr von Mama und Papa gibt.

So habe ich mir also Elling notiert. Wie schon oben erwähnt: Normalerweise nehme ich keine Filmtips von anderen Menschen an. Aber zum einen ist mein Psychiater auf AutistInnen spezialisiert und kennt sich wirklich gut aus, und zum anderen trifft der Film leider gerade einen Nerv. So bin ich also nach unserem Termin nach Hause gefahren und habe den Film direkt auf Netflix gefunden und angeschaut, und war ziemlich begeistert.

Da wird mir bewusst, dass ich in der Linkliste links noch keinen Reiter mit der Designation Autismus im Film habe, das sollte ich bald mal ändern, um dort die Namen von Filmen einzustellen, in denen diverse Formen der Autismus-Spektrums-Störung authentisch und nicht klischeehaft dargestellt werden. Das könnte zur Aufklärung beitragen, und vielleicht glauben es mir die Leute ja irgendwann, dass ich geistig behindert bin, ohne mich erstmal zu gaslighten.

Das war ein toller Besuch bei'm Psychiater, in jeder Hinsicht, und drei Monate ohne waren definitiv zu viel. Ich wünsche jedem Menschen auf dem Spektrum so einen Ansprechpartner. Und zum Schluss noch ein Aspekt aus schulischer Seite (betrifft aber auch die Gesellschaft allgemein):

Ich finde es sehr bedauerlich, dass die Psychiatrie bei uns so stigmatisiert ist. Viele trauen sich nicht zuzugeben, dass sie regelmäßig zum Psychiater gehen - und wenn sie es tun, dann kommt die Häme aus dem Hinterhalt. An einer Schule meinte eine Kollegin zu mir: "Und das da vorne ist Frau XY, aber mit der solltest du lieber nicht reden, die nimmt Antidepressiva, das ist eine ganz arme Person." - und ja, das war der exakte Wortlaut; auch wenn es schon über zehn Jahre her ist, habe ich das nie vergessen. Es ist beschämend, wie Lehrkräfte hinter dem Rücken ihrer KollegInnen über ihre Mitmenschen reden. Kaum eine Schule ist frei davon; ich war bisher an sieben, und nur an der Nordseeschule in St.Peter-Ording war es anders - kein Wunder, dass sie zur Perspektivschule erklärt wurde, denn da ziehen alle Lehrkräfte zusammen an einem Strang, um SchülerInnen in schwierigsten Situationen eine Lebensperspektive aufzuzeigen. Ein völlig anderer spirit als an den meisten Gymnasien. 

Und ja, die "ganz arme Person" war an einem Gymnasium - aber hier kein Schulart-Bashing, denn es geht um den Segen, den ein geistig behinderter oder psychisch kranker Mensch erfahren kann, wenn er von der Psychiatrie betreut wird. In den Köpfen so vieler Menschen herrscht der Gedanke, dass es etwas Negatives ist, bzw. dass ein Mensch etwas Schlechtes getan haben muss, um eines Psychiaters zu bedürfen. Dass er ein schlechter Mensch sei. Es wird von oben herab über Menschen in psychiatrischer Betreuung gesprochen, auf eine Weise, die für Betroffene extrem schmerzlich sein kann. Ich weiß, wovon ich rede, denn es gibt garantiert einige ehemalige KollegInnen an verschiedenen Schulen, die das hier zu Gesicht bekommen und sich darüber aufregen, dass ich hier oversharing betreibe. Face facts: Es ist so, und es ist an fast jeder Schule so. Ich hoffe, niemand von Euch glaubt, in einem harmonischen Kollegium zu arbeiten - es sei denn, es ist tatsächlich harmonisch - zum Beispiel an kleineren Schulen, Grundschulen, Förderzentren oder Perspektivschulen.

Menschen können es einfach nicht lassen, schlecht über andere Menschen zu reden.

Elling ist auf Netflix verfügbar.

Weitere authentische Filme auf dem Spektrum: The Reason I Jump, The Imitation Game, The Speed Cubers, BenX, The Queen's Gambit - die Liste wird bald links auftauchen und noch mehr Titel beinhalten ;-)

Samstag, 23. März 2024

Polizeigewalt filmisch umgesetzt


Während ich hier an dem Artikel über den Beuch bei meinem Psychiater schreibe, möchte ich Euch einen wunderbaren Kurzfilm an's Herz legen - besonders den EnglischkollegInnen da draußen, Stichwort Landeskunde USA, Polizeigewalt gegenüber people of color. Nehmt Euch, wenn Ihr Lust habt, zweiunddreißig Minuten Zeit und sucht den Film Two Distant Strangers auf Netflix. Hat nicht umsonst den Kurzfilm-Academy Award bekommen. Bis zum Ende durchschauen, die "credits" am Ende haben es in sich. :-)

Mittwoch, 20. März 2024

Englisch gedacht - Deutsch gesprochen


"Es wird eine Tür geöffnet, und dann bekommt es Standardformel."

Dieser Satz ergibt erstmal keinen Sinn - der Kontext fehlt, allerdings gibt es auch noch ein anderes Problem. Zunächst zum Kontext: Wenn ich einen neuen Film schaue, schreibe ich im Geiste parallel dazu die Rezension. Das ist Gewohnheit; nachdem ich den Film geschaut habe, lese ich immer die jeweilige Rezension auf rogerebert.com. Dadurch haben sich im Laufe von hunderten Filmen und Rezensionen klassische Phrasen im Gehirn eingebrannt. 

Manchmal spreche ich Teile der eigenen Rezension laut aus - einfach, um zu testen, ob es authentisch klingt. Klassische Aspi-Masche: Verhalten von neurotypischen Menschen beobachten und nachahmen, um nicht aufzufallen. Heute habe ich einen Auszug aus einer Rezension eines Films gesprochen, den ich schon vor Jahren gesehen habe - I Am Mother. Hat gute Ansätze, regt zum Nachdenken an, aber dann passiert etwas und der Film wird vorhersehbar. Im Englischen würde man sagen:

"A door is opened, and then it becomes standard formula."

Und weil mir immer öfter Gedanken zuerst auf Englisch kommen, habe ich das aus irgendeinem Grund wörtlich in's Deutsche übersetzt - wobei to become natürlich eigentlich werden zu heißt. Diese "Verdeutschlichungen" passieren ab und an, und ich finde sie immer ganz witzig - und vielleicht kennt ja auch jemand von Euch dieses Phänomen. Zumindest das "erst auf Englisch denken"-Konzept, denn das hat nichts mit Autismus zu tun; mir haben einige EnglischkollegInnen erzählt, dass es ihnen auch so geht.

Sprache kann einfach drollig sein. Ich liebe Sprache.

Freitag, 15. März 2024

Darf bald mal losgehen

Das pbOn kann wirklich sehr frustrierend sein...

Der Frühling kommt an, und mit ihm nähern sich die Osterferien. Erfahrungsgemäß ist das die Zeit, in der neue Planstellen ausgeschrieben werden - unbefristete Stellen für Lehrkräfte. Das ist auch logisch; gen Ende des Schuljahres gehen immer wieder Lehrkräfte in den Ruhestand und ihre Stellen müssen neu besetzt werden - es sei denn, die Stelle wird gestrichen, um zu sparen.

Für mich ist das nun also die Zeit, in der ich häufiger in's pbOn schauen muss. Auf dem Online-Stellenmarkt für Schulen ist eine unbefristete Stelle immer für zwei Wochen ausgeschrieben, also sollte ich nichts verpassen, wenn ich jeden Freitagabend einmal nachschaue. So wie heute, aber die Ausbeute ist erschreckend. Eine Planstelle mit Englisch und Deutsch (kommt für mich damit nicht in Frage), keine Planstelle mit Latein (und darauf muss man auch nicht mehr hoffen; Latein ist häufiger Ausschlusskriterium).

Heute also nichts, aber es ist ja auch noch früh. Ich hoffe, dass sich in den nächsten Wochen etwas tut und dass sich die Martin-Zacharias-Prophezeiung erfüllt und ich ab dem ersten August fest im Dienst stehen kann. Ich habe die Nase voll von der Arbeitslosigkeit. Ich höre so oft Menschen schimpfen über die Hartzer, die es sich gut gehen lassen, aber sind das wirklich so viele? Ich bekomme noch Arbeitslosengeld I, das bringt mich über die Runden, aber die psychische Belastung ist hoch. Nichts zu tun, das kann dafür sorgen, dass man jegliche Perspektive verliert, und das kann auch nicht mit Videospielen und Filmen ausgeglichen werden.

Es geht (für mich) eben nichts darüber, mit Jugendlichen in einem schulischen Kontext zusammenzuarbeiten. Darf bald mal wieder losgehen.

Mittwoch, 13. März 2024

Essen. Und wieder essen.


Das heutige Thema verdient das "Psychologiebild". Wenn man über zehn Jahre lang intermittierendes Fasten praktiziert hat, ist es gerade für einen Autisten extrem schwer, das umzustellen. Ich habe bisher fast immer nur eine Mahlzeit am Tag gegessen, nach achtzehn Uhr. Den Rest des Tages gab es nur Wasser und Tee. Ich fand das ganz angenehm, denn auf diese Weise war ich in der ersten Tageshälfte deutlich wacher.

Jetzt soll ich das Ganze über den Haufen werfen und sechs bis sieben kleine Mahlzeiten zu mir nehmen. Hier ein Brötchen mit Mortadella, dort eine Banane, hier ein Ei, dort eine Gemüsesuppe. Ich hatte vor dieser Umstellung ein wenig Angst, denn mein Magen hat in letzter Zeit nach dieser einen Mahlzeit am Abend ordentlich rebelliert, und ich hatte keine Lust darauf, dass es mir den ganzen Tag über so gehen würde.

Trotzdem ausprobieren. Morgens runter zum Bäcker, eine Brötchentüte holen und mit einem kleinen Frühstück starten. Der erste Versuchstag ist jetzt schon ein bisschen her, und ich war recht überrascht, dass das wunderbar geklappt hat. Offensichtlich kommt mein Magen besser mit mehreren kleinen Mahlzeiten zurecht als mit einer großen und dann einen Tag lang nichts. 

Im nächsten Schritt probiere ich ein bisschen Variation bei diesen kleinen Mahlzeiten aus, denn immer nur Mortadellabrötchen sind zwar für einen Autisten super, aber ich kann nicht sämtliche Nährstoffe über Nahrungsergänzungsmittel aufnehmen müssen. Mal schauen, wie es weitergeht ;-)

Montag, 11. März 2024

Die Academy Awards


Eines meiner "Spezialthemen" sind Filme, also sollte ich auch einmal kurz die Verleihung der Academy Awards kommentieren, die in der letzten Nacht stattgefunden hat. Ich hatte einen Moment überlegt, ob ich mir das frühmorgens live anschaue, allerdings interessiert mich die Zeremonie selbst überhaupt nicht. Also habe ich lieber geschlafen und mir heute die Resultate angeschaut. Der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass die Oscars nichts aussagen über die Qualität eines Films.

Aber bei Christopher Nolans Oppenheimer (sieben Oscars) ist da defintiv ein Zusammenhang. Ich habe eine Hassliebe zu Nolan; keiner seiner Filme besteht den Bechdel-Test, und manche seiner Filme geben vor, intelligenter zu sein als sie es eigentlich sind, wie zum Beispiel Interstellar oder Tenet. Diesmal hat er aber ein dreistündiges Portrait amerikanischer Geschichte abgeliefert - wer sich für die Erfindung der Atombombe und die ethischen Implikationen interessiert, sollte sich den Film gern anschauen.

Ich hatte ja ein bisschen gehofft, dass der Preis für Best Animated Feature an Nimona geht, aber die Konkurrenz war übermächtig - The Boy and the Heron von Hayao Miyazaki (Chihiros Reise ins Zauberland) hat gewonnen. Ich fand es auch ein bisschen schade, dass weder Sandra Hüller noch Ilker Catak eine Trophäe nach Deutschland holen konnten, aber ihre Filme (Anatomie eines Falls und Das Lehrerzimmer) sind dennoch super. Wer den Oscar wirklich verdient hat, ist Hoyte van Hoytema. Der Kameramann ist ein Virtuose der visuellen Ästhetik und ich genieße seine Bilder jedesmal wieder - Interstellar sah immerhin toll aus!

Jetzt warte ich darauf, dass der eine oder andere Film endlich für das Heimkino verfügbar ist - besonders Miyazakis Film und Poor Things von Giorgos Lanthimos. Dessen Filme (Kynódontas, The Killing of a Sacred Deer u.v.m.) sind herrliche Satiren, wenn man sich darauf einlassen kann. Nicht für jedermann ^^

Und nun kann ich mich wieder den besten Filmen zuwenden, die man manchmal ordentlich suchen muss.

Sonntag, 10. März 2024

Skype mit Mama

Mama und Papa damals 👪

Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu sein. Was man hört, gibt immerhin schon einen Eindruck, aber ich - Autist eben - kann mir das Unbekannte nicht vorstellen. Einige gute Filme haben mir schon Einiges darüber berichtet, und ein Naturfilmer, den ich auf Youtube verfolge, filmt jedes Jahr diverse Eulen-, Turmfalken- und was weiß ich-Paare, die in verschiedenen Nestern und Astlöchern auf seinem Grundstück brüten, schneidet dann nach der Saison alles zusammen (die Videos) und versieht es mit einer schönen Story im voice-over, und da kann ich dann sehen und miterleben, wie die Eltern von Tieren sich so verhalten, und das bringt mir Einiges bei.

Es ist jedesmal wieder interessant zu erleben, wie liebevoll sich manche Tiere um ihren Nachwuchs kümmern. Bei den Eulen - wie bei vielen Anderen auch - kommt dann irgendwann der Moment, in dem die Jungtiere im Nest auf und ab hopsen, die Flügel ausbreiten und unruhig werden, und zack, irgendwann sind sie flügge und je nach Tierart für immer weg.

Wie muss sich das für eine Mutter anfühlen, wenn die Kinder "flügge" sind? Als meine Eltern meine beiden älteren Brüder in das Studium entlassen haben, war immerhin noch ich da, den sie betüddeln konnten, aber vier Jahre später war ich dann auch weg - und egal, wie oft Mama mir sagt, dass sie mich vermisst oder so gern mehr von mir hören oder sehen würde, konnte ich mir das nie vorstellen - und gerade in dieser ständigen Jobwechselphase habe ich mich auch von ihr weiter abgekappt und die Kommunikation bestand größtenteils aus Mails. Da ich kein Smartphone habe, kam auch sowas wie facetime nie in Frage.

Insofern ist es überraschend, dass mir vor ein paar Wochen wieder Skype eingefallen ist. Ich habe das Programm zur Videotelefonie zum ersten Mal im Studium kennen gelernt. Damals war es ein Segen, weil ich Kontakt mit Menschen aufnehmen konnte, die ähnliche Interessen oder Vorlieben hatten wie ich, ohne dass ich sie "direkt" ansprechen musste, und gerade als Mensch mit special interest ist das ein Segen. Wusstet Ihr, dass IRC (die erste Chatmöglichkeit per Internet) zu einem Großteil von Schwulen genutzt wurde? Sie haben versucht, Anschluss zu finden, weil die Mitmenschen draußen dem Thema so feindlich gegenüber eingestellt waren und auch immer noch sind.

Dann hatte ich irgendwann ein gut vernetztes soziales Leben in der Realität und Skype ist wieder in den Hintergrund geraten, und für mich für viele Jahre in Vergessenheit. Dann irgendwann die Frage, warum ich das nicht nutze, damit Mama und ich uns sehen können, ohne dass ich die Sicherheit meiner Wohnung verlassen muss? Seither haben wir immer sonntags um fünfzehn Uhr - mal etwas früher oder später - einen Termin; vor einer Viertelstunde war unser letzter Anruf zu Ende. Und ich fühle mich dabei immer so gut, wenn ich Mama sehen kann und wir über alles reden, was wir uns die Woche über auf unseren Zetteln aufgeschrieben haben. 

Eine Stunde, das ist genau die richtige Zeit, da fühle ich mich wohl, Mama macht sich ihre Zigarette an, ich trinke meinen Tee und wir reden ganz entspannt, und unter der Woche muss ich kein schlechtes Gewissen mehr haben, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe - denn das hat mich tatsächlich oft belastet. 

Skype wiederentdeckt - Familie Hilarius glücklich!

Freitag, 8. März 2024

Interessante Einsicht


Früher sind wir als Familie fast jeden Sonntag zu Oma gefahren, zum Kaffeetrinken und Kuchenessen. Ich weiß, dass meine Mutter diesen Beitrag gerade liest, und ich hoffe, sie bekommt das Folgende nicht in den falschen Hals: Für mich waren die Besuche bei Oma immer lästig. Ich bin an einen fremden Ort gefahren, sechs Leute an einem Tisch, die Smalltalk machen - was viele Autisten nicht mögen - mein Bruder, der Klugscheißer, der nichts unkommentiert lässt. Ich selbst habe nur sehr selten etwas gesagt, zumindest ist das meine Erinnerung.

Es gab aber auch etwas Tolles an einem Besuch bei Oma, nämlich quality time mit der Oma selbst. Wenn ich sie ganz für mich hatte, das war toll, dann haben wir uns an den Küchentisch gesetzt und Rätsel gelöst. Fernsehzeitung, Klatsch und Tratsch, überall sind Rätsel drin, und meine Oma hat es geliebt, Rätsel zu lösen, und diese Leidenschaft hat sie an mich weitergegeben. Das war immer traumhaft, mit ihr als Team an die Rätsel zu gehen, und sie hat mir dabei Vieles aus ihrem Erfahrungsschatz beigebracht.

Allerdings mochte ich nicht jeden Rätseltyp. Silbenrätsel? Eher nicht, aber Lustiges Silbenrätsel fand ich toll, da muss man einen Begriff erraten, der auf humoristische Weise umschrieben ist - und ein Lösungswort oder -spruch gab es auch jedesmal. Was mich besonders angezogen hat, waren Wortsuchrätsel. In einem Buchstabenchaos nach Wörtern waagerecht, senkrecht, diagonal, vorwärts und rückwärts zu suchen - dabei habe ich mich wie ein Detektiv gefühlt. Besonders schön war es, wenn die übrig gebliebenen Buchstaben ein Lösungswort ergeben - ich habe auch immer gern Wortsuchrätsel für die fünfte und sechste Klasse in Englisch gebastelt.

Muss wohl ein Gefühl von Nostalgie gewesen sein: Ich habe mir ein Wörtersuchen-Rätselheft gekauft und in meinem Rucksack verstaut. Immer wenn ich mit dem Bus unterwegs bin, habe ich meinen Rucksack dabei; darin sind durchschnittlich acht Rätselhefte und viele Fasermaler in diversen Farben. Also haben diese Hefte nun einen neuen Nachbarn bekommen, und ich habe nach und nach eine Sache realisiert: Suchrätsel sind mir nicht anspruchsvoll genug. Es macht zwar immer noch Spaß, diese Wörter zu streichen und ein Lösungswort zu bekommen, aber mein Gehirn hat dabei nichts zu tun; es ist reine Sucharbeit.

Die anderen acht Hefte im Rucksack sind allesamt Logikrätsel - zwei Zeitschriften habe ich abonniert, damit immer genug Nachschub da ist. Denn bei diesen Logikrätseln fangen meine grauen Zellen an, zu arbeiten, und das mag ich, das reizt mich, das gibt ein kribbelig-aufregendes Gefühl. Je älter ich werde, umso mehr fällt mir auf, wie wichtig mir intellektuelle Stimulation ist. Drollig: Das ist das Hauptthema des großartigen Comedy-Dramas The Banshees of Inisherin. Und mittlerweile kann ich nachvollziehen, warum darin einer von zwei besten Freunden unerwartet die Freundschaft aufkündigt.

Suchrätsel sind Zeitvertreib. Logikrätsel, gerade visuelle, sind eine Herausforderung.

Und das mag ich.




Dienstag, 5. März 2024

Demokratie, letzter Akt


In den USA erodiert die Demokratie - langsam, aber sicher. Die Werte kippen, hier ein schönes Beispiel:

Donald Trump muss sich vier Anklagen mit insgesamt einundneunzig Anklagepunkten stellen. Deswegen ist er in mittlerweile mehreren Bundesstaaten vom Wahlzettel gestrichen worden, denn laut Verfassung darf niemand für das Amt des Präsidenten kandidieren, der vorbestraft ist: Trump hat Wahlmanipulation begangen, nachweisbar, und dafür ist er (unter Anderem) angeklagt.

Natürlich hat Trump da Widerspruch eingelegt - seine Argumentation: Als Präsident müsse man vollkommene Immunität genießen können, ansonsten sei man handlungsunfähig. Um das etwas drastischer zu formulieren: Wenn Trump als Präsident entscheidet, das Seal Team 6 loszuschicken, um seine politischen Gegner zu ermorden, kann er nicht strafrechtlich dafür belangt werden, wenn er nicht mehr Präsident ist. In a nutshell: Trump fordert, dass er ohne Konsequenzen tun und lassen können möchte, was er will.

Natürlich ist das vollkommener Unsinn, und der Appeals Court hat den Widerspruch abgewiesen, mit einer ausführlichen Begründung. Und natürlich bleibt Trump hartnäckig - und nach einem Court of Appeals gelangt der Fall in nächsthöherer Instanz vor den amerikanischen Supreme Court (SCOTUS). Das amerikanische Pendant zu unserem Bundesverfassungsgericht

Gesunder Menschenverstand erwartet, dass SCOTUS den Fall überhaupt nicht annimmt. Nicht nur ist die Forderung irrsinnig, es gibt bereits eine seitenlange Begründung, warum das vor Gericht abgeschmettert wurde.

Aber mit gesundem Menschenverstand hat amerikanische Politik nicht mehr viel zu tun: SCOTUS hat den Fall tatsächlich angenommen und Termine für Anhörungen in den April gesetzt. Was für ein Schwachsinn! Natürlich werden sie nach den Anhörungen Trumps Forderungen ablehnen, aber Trump hat jetzt genau das erreicht, was er will: Verzögerung.

Seine Prozesse können durch diese rechtlichen Fragen so weit verzögert werden, dass er vor der nächsten Präsidentenwahl nicht verurteilt wird. Und wenn er dann erstmal wieder Präsident ist, dann wird er sich selbst die Schuld erlassen. Er gibt sich selbst ein presidential pardon, und damit sind all' seine Verbrechen nichtig.

Es ist so widerlich mitanzusehen, wie SCOTUS jetzt den Parteilinien folgt und Trump seinen Aufschub gewährt. Das höchste amerikanische Gericht, das keinesfalls parteilich sein soll, ist seit der Erhebung dreier republikanischer Richter in's Amt durch Trump seiner Legitimität beraubt worden.

Es ist der letzte Akt für die Demokratie in den USA, bevor sie die Bühne verlässt.

post scriptum: Ich werde nicht gern politisch, aber vielleicht sollten uns diese Entwicklungen ein Mahnmal sein, denn der Rechtsruck in Deutschland ist nicht totzuschweigen. Er findet sich in kleinsten Äußerungen wieder: "Ich setze mich im Café immer an den Zweiertisch am Rand, damit mir die Ausländer nicht zu nah auf den Buckel rutschen." - "Was soll ich mit so einem glitzernden Kunststoffgürtel anfangen? Die Türken, die mögen sowas ja."

Es beginnt mit der Sprache.

Montag, 26. Februar 2024

Die Wörterbücher


"Let the man avail himself!"

Wenn ich mir einen neuen Film anschaue, mache ich das - wann immer möglich - in Originalsprache mit englischen oder deutschen Untertiteln. Auch bei englischsprachigen Filmen: Ich mag vielleicht Englisch auf muttersprachlichem Niveau sprechen, aber ich habe tatsächlich im Hinterkopf immer die Angst, dass ich ein für den Plot wichtiges Wort überhöre oder falsch verstehe. Ist schon vorgekommen, und das kann im Extremfall die komplette Wahrnehmung eines Films verändern.

Manchmal kommt es vor, dass ich zwar verstehe, was ein englisches Wort in dem jeweiligen Kontext bedeutet, aber ich könnte nicht genau erklären, was es bedeutet - und das mag ich nicht: Wenn jemand mich im Unterricht fragt, was ein Wort bedeutet und ich kann das nicht genau erklären, das irritiert mich.

Heute schaue ich mir Martin Scorseses The Irishman an. Tempus Präsens, denn der Film geht über dreieinhalb Stunden und ich habe zwischendurch eine Pause eingelegt. Eigentlich mag ich keine Geschichten über Verbrechen sehen, aber es ist Scorsese und der Film soll toll sein (ist er bisher), als Filmliebhaber sollte ich da über meinen Schatten springen. Und dann taucht da dieser Satz auf:

"Let the man avail himself!"

Mir ist klar, was das in der Szene bedeuten soll, aber ich sehe diesen Satz in den Untertiteln und realisiere, dass ich das Wort "(to) avail oneself of sth." nicht übersetzen kann. In diesen Fällen pausiere ich tatsächlich den Film und gehe zum Regal, in dem noch immer meine Wörterbücher aus dem Studium stehen. Klar, in Englisch nutze ich das Longman DCE, und da lege ich mir alle zehn Jahre eine neue Ausgabe zu, weil sich die Sprache verändert. 

Ich schaue also die englische Definition im DCE nach, verstehe auch alles, aber finde immer noch nicht die richtige deutsche Übersetzung. Also nehme ich das gefühlt fünf Tonnen schwere Großwörterbuch Englisch von Langenscheidt hervor und suche auf den tausenden Seiten nach der Übersetzung. Gefunden, glücklich, wieder beruhigt, zurück zum Film.

Mich stört das wirklich, wenn ich bei einem Wort nicht genau sagen kann, was es bedeutet (oder wie es ausgesprochen wird) - und deswegen bin ich sehr froh, dass ich immer meine Wörterbücher im Regal habe. Gemoll, Stowasser und Konsorten sind treue Begleiter für's Leben.

post scriptum: Kannst Du den Satz "Let the man avail himself!" übersetzen? ;-)

Donnerstag, 22. Februar 2024

Eine unglaubliche Rolltreppe!

Tucker Carlsons "Ich bin dumm"-Gesicht hat eine Masche...

Gezielte Verblödung.

Tucker Carlson war einmal stramm rechtskonservativer Kommentator bei'm amerikanischen Sender Fox News. Sehr konservativ: Damit die Männer nicht ihre Männlichkeit verlieren, wie es ja angeblich seit einigen Jahren der Fall ist, hat Tucker Carlson Werbung für testicle tanning gemacht. Tucker ist sich wirklich für nichts zu schade, er ist ein Opportunist, der sich bei einem rechten, ultrakonservativen, sozial abgehängten Publikum anbiedert. Er mag eine Witzfigur sein, aber er richtet ernsthaften Schaden an.

Denn Tucker Carlson ist nicht dumm. Seine persona vor der Kamera ist es - er gibt sich als extrem dumm aus, um "die einfachen Leute" (normal people) zu erreichen, und es funktioniert leider. Sie fressen ihm aus der Hand. Tucker war der erfolgreichste Moderator bei Fox, bis eine seiner extremen Spitzen ihn endlich den Job gekostet hat - irgendwo musste Fox seine Grenze ziehen, fein. 

Aber was macht Tucker Carlson jetzt? Er hat keinen Sender mehr, aber er hat immer so sein (viel zu großes) Publikum - und das bedient er auch weiterhin mit seiner gespielt blöden, "authentisch" einfachen Art. Warum macht er das? Weil der Kreml sich das Einiges kosten lässt. Tucker bezieht ein ordentliches Gehalt aus Moskau für einen Trip nach Russland, von wo er Dinge sendet, die dümmer nicht sein könnten; es ist erschreckend, dass in den USA so viele Menschen das abkaufen.

In seiner Dokumentation lobt er die Moskauer U-Bahn - das immerhin vollkommen zu Recht. Das Moskauer U-Bahn-Netz ist eines der größten und schönsten der Welt, wenn man sich mal die Zeit nimmt, die Bahnhöfe zu bestaunen. So etwas haben wir in Deutschland nur ansatzweise - zum Beispiel am Westende der U7 in Berlin. Eigentlich könnte ich "U-Bahn-Fahren in Moskau" auf meine bucket list setzen (die ich sowieso einmal überarbeiten muss).

Aber dann staunt Tucker Carlson über einen russischen Supermarkt, in dem es etwas ganz Unglaubliches gibt. Tucker tut so, als hätte er das noch nie gesehen ("I'm figuring this out just now!") - auch hier wieder, um sich anzubiedern, bei seinem Publikum und bei'm Kreml. Eine Rolltreppe. Für Einkaufswagen. Und die Einkaufswagen bleiben stehen und rollen nicht zurück. Was für eine Erfindung! Hätten wir doch auch so etwas Tolles!! Kein Wunder, dass Jon Steward sich darüber lustig gemacht hat (im Video ab 1:50).


 

Vom desaströsen Interview mit Putin habt Ihr vielleicht gehört - Tucker als Stichwortgeber und Echokammer, mehr nicht. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass es so viele Menschen gibt, die ihm das abkaufen. Die ihn dafür vergöttern. Die ihm Geld schicken, um ihn zu unterstützen. Und diese vielen Menschen sind mittlerweile im amerikanischen Kongress angekommen, im Repräsentantenhaus, In Form einer Marjorie Taylor Greene oder einer Lauren Boebert. Dummheit macht Politik, na danke. Kein Wunder, dass Trump kommt.

Liebe KollegInnen, wir haben einen Auftrag, die junge Generation so zu bilden, dass sie nicht dieser Dummheit verfallen. Dass sie Dinge hinterfragen, dass sie sie nicht einfach hinnehmen.

Was wohl passiert, wenn Dummheit die Welt regiert?

post scriptum: Zu einem gewissen Grad tut sie das schon jetzt, aber das Niveau sinkt immer weiter ab, und das kann einem Angst machen.

Dienstag, 20. Februar 2024

Religion oder Philosophie?


Ich habe ja momentan viel Zeit zum Nachdenken, und da passt es, dass ich gerade ein zweites Mal The Talos Principle II spiele. Rätsel-Videospiele sind großartig, weil sie einem viel Zeit zum Nachdenken lassen. Man geht durch faszinierende Welten, hört angenehme, entspannende Musik, schaut sich die Sehenswürdigkeiten an und findet hier und da ein herausforderndes Rätsel - wenn das dann gelöst ist, dieser Heureka-Moment, das setzt eine enorme Menge Glückshormone frei und es macht mich offener für's Nachdenken.

Das Spiel stellt wichtige Fragen - nach dem Sinn des Lebens, des Strebens, nach dem freien Willen, nach dem Selbst. Das ist intellektuell anspruchsvoll, aber gleichzeitig anregend und hilft mir, aus festgefahrenen Denkweisen auszubrechen. Den gleichen Effekt hatte ich bei The Witness, ebenfalls ein Grafikadventure mit Rätseln und einer hohen philosophischen Dichte. Sollte man nicht meinen, aber es gibt tatsächlich auch Videospiele für erwachsene Intellektuelle, die ihren Horizont erweitern möchten - oder die ihre Grundsätze hinterfragen wollen.

Auch The Sojourn hat viele philosophische "Belohnungen" für's Lösen der Rätsel bereitgestellt, und ich realisiere, dass ich dieses Nachdenken mag. Und ich frage mich, warum ich damals in meiner Schulzeit so eine Abneigung gegen Philosophie hatte. Lag es am komischen Namen der Lehrerin? Kein Mensch heißt "Sandkühler-Jensen". Irgendwie scheine ich mir daraus ein falsches Bild dessen entworfen zu haben, was Philosophie eigentlich bedeutet, und habe fast ausschließlich Religionsunterricht in meiner Schulzeit gehabt, obwohl ich mit evangelischer Religion nie viel anfangen konnte.

Aber besser späte als gar keine Einsicht. Zeit zum Genießen!



Montag, 19. Februar 2024

Eurovision Song Contest 2024

Teemu Keisteri (Windows95man) und Henri Piispanen für Finnland '24

So lange ist es ja nicht mehr hin - am elften Mai fliegen die musikalischen Fetzen im ESC-Finale, und derzeit finden die Vorausscheide der Länder statt. Ich muss zugeben, dieses Jahr glaube ich nicht, dass Deutschland den letzten Platz bekommt - dazu hat der Song (Isaak - Always on the Run) zuviel Ohrwurm im Refrain. Ich denke mal, Platz sechzehn von vierundzwanzig oder so. Denn wenn ich sehe, was Finnland da wieder auffährt, das bringt etwas mehr Fun in die Bude.

Ich habe letztes Jahr den ESC verpasst - und im Nachhinein tut es mir echt leid. Nicht wegen des Siegerbeitrags von Loreen - klang mir dann doch zu sehr nach einem schwächeren Abklatsch von Euphoria (den ich toll finde). Aber Platz zwei war genial, Finnlands Käärijä mit dem sehr poppigen Cha Cha Cha, nicht ganz ohne Grund absoluter Favorit bei'm Zuschauervoting (und wem das am Anfang zu düster ist, der warte erstmal ab bis zu den Regenbogenfarben ^^):

 

Dieses Jahr gibt es für Finnland Windows95man mit dem Song No Rules! - bei der Performance konnte ich erstmal nicht wegschauen, dazu braucht man Chuzpe und eine Menge Spaß, und ich applaudiere der inklusiven Botschaft der Finnen. Ich freue mich auf das Finale, in dem sie sicherlich dabei sein werden - wenn auch zu befürchten steht, dass sie ihren Namen ändern müssen, denn der ESC erlaubt kein product placement. Einfach mal reinschauen:



Samstag, 17. Februar 2024

Nawalny

Großartiger Dokumentarfilm, der sich anzuschauen lohnt

Normalerweise berührt es mich nicht, wenn in den Nachrichten berichtet wird, dass eine bekannte Person gestorben ist. Ich nehme das als reine Sachinformation hin, abgehakt. Als ich aber gestern in der tagesschau als erste Meldung hörte, dass der russische Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wahrscheinlich tot ist, ist mir kurz die Luft weggeblieben.

Hintergrund: Ich hatte mir vor einigen Monaten den Dokumentarfilm Navalny (2022) angeschaut. Es hieß, das sei ein großartiger Politthriller, und ich war tatsächlich begeistert. Wie Nawalny mit seinem Team den Giftanschlag auf sich als Kreml-angeordnet aufdeckt, hat unglaubliche Durchschlagskraft, und eine Szene ist so brillant, dass Drehbuchschreiber sie als "völlig unrealistisch" wegwerfen würden - wenn es nicht wirklich so passiert wäre. Manchmal ist die Realität abgefahrener als jede Fiktion.

Ich habe vor ein paar Jahren einen Schüler unterrichtet, der aus Russland ausgewandert war, und der sehr deutlich gemacht hat, wie es um "Demokratie" in Russland bestellt ist. Seither interessiere ich mich für den Kampf zwischen einer möglicherweise kleinen, aber hoffentlich starken, "echten" Opposition und der Regierung in Russland.

Dass Nawalny nun tot sein soll, ist ein herber - wenn auch nicht unerwarteter - Rückschlag für die Oppositionsbewegung. Ich hoffe, dass sie nicht aufgeben. Und ich bin froh, dass ich nicht in einer Diktatur lebe. 

Democracy is the worst form of government, except for all others.

- Sir Winston Churchill

Freitag, 16. Februar 2024

Die Ruhe


Einer der Gründe, warum ich unbedingt in einer Stadt wohnen möchte, ist die Anonymität, kombiniert mit all' dem Leben um mich herum. Ich muss mir keine Sorgen machen, dass plötzlich meine Nachbarn mit einem Stück Kuchen vor der Tür stehen, ich kann inmitten von Menschen leben und trotzdem meine Ruhe haben - aber gleichzeitig bin ich auf die Geräusche angewiesen: Das Bellen des Hundes unten, der Bus, der vor meiner Wohnung hält, das Piepen der Fußgängerampel, die Sirenen der Notarztwagen. All' das gibt mir ein Gefühl von Leben.

Seit Mittwoch ist es einige Stufen ruhiger draußen geworden, denn das war der erste Tag des neuen Streiks. Unter anderem in Kiel sind fast keine Busse mehr gefahren. KVG wurde voll bestreikt, Autokraft ab Donnerstag, nur die blauen VKP-Busse sind noch gefahren. Vielleicht wäre das meine Möglichkeit gewesen, zur Schule zu kommen - wenn ich dort noch arbeitete. Wie haben die SchülerInnen das gemacht, wie war das mit der Anwesenheitspflicht? All' diese Fragen möchte ich mir gern wieder stellen.

Ich bin froh, wenn die Busse wieder wie normal fahren. Dann fühlt sich alles wieder etwas lebendiger an. Ich frage mich, wie das Feeling erst wird, wenn die Stadtbahn in einigen Jahren fertig ist, und wenn endlich das Projekt "Kieler S-Bahn" umgesetzt wird. Frühestens nach Zwanzig Dreißig, heißt es, soll die Umsetzung beginnen, aber die ersten Hinweise findet man schon - das Auftauchen von neuen Bahnhaltestellen, beziehungsweise die Reaktivierung alter Halte: Schulen Am Langsee, Kiel Hassee CITTI-Park, Kiel-Oppendorf, Kronshagen - das alles sind kleine Hinweise auf ein S-Bahn-System, das vielleicht irgendwann Kiel autofreier macht und die Umgebung enger zusammenbringt.

Mehr Leben, weniger Ruhe - ich mag' den Gedanken.

Mittwoch, 14. Februar 2024

Widerspruch: Zurückgewiesen (Tag -190)


"Der Widerspruch wird wahrscheinlich zurückgewiesen. Und wissen sie, was sie dann machen? Sie setzen sich sechs Monate Schamfrist, und dann stellen sie einen Änderungsantrag, in dem sie die Einschränkung ihrer Teilhabe an der Gesellschaft darlegen. Darum geht es nämlich bei'm Grad der Behinderung.

Nehmen wir einmal an, ihre Behinderung bewirkt, dass sie die Hand nicht mehr stillhalten können. Sie können argumentieren, dass ihre Dienstfähigkeit eingeschränkt wird, weil sie nicht mehr an der Tafel schreiben können. Das interessiert aber nicht. Der Umstand, dass sie auf einer Party ein Glas mit einem Getränk deswegen nicht mehr halten können, und dass sie deshalb auf keine Parties mehr gehen, weil sie sich schämen, sie könnten unabsichtlich jemandem ihr Getränk über das Outfit schütten, das ist eingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft. Darum geht's bei'm Grad der Behinderung."

Mir geht es richtig gut, denn so oder so ähnlich klingt das Gespräch mit Martin Zacharias im Ministerium nach. Deswegen hat es mich auch überhaupt nicht überrascht oder gar betrübt, als heute die Absage vom Landesamt für soziale Dienste hereingeflattert ist. Im Gegenteil, sie bestätigt Zacharias' Aussage, und damit verstehe ich endlich den GdB und was es bedeutet, einen höheren Grad der Behinderung zu haben. Jetzt weiß ich, wie ich argumentieren muss, jetzt weiß ich, wie die ärztlichen Befundberichte aussehen müssen, damit sie Relevanz für eine Neueinstufung haben.

Das ist großartig! Also setze ich mir jetzt diese sechsmonatige Frist - daher Tag minus hundertneunzig im Titel - und dann werde ich mich mit Hausarzt, Psychiater und Gastroenterologen zusammensetzen und eine Änderung beantragen. Das Thema ist also vorerst abgehakt, und das erleichtert ungemein! Rein rechtlich bin ich eh' auf der sicheren Seite, weil ich gleichgestellt bin, es geht ja nur noch darum, den vollen Nachteilsausgleich zu bekommen. 

Damit habe ich den Kopf jetzt wieder etwas freier für anstehende Arzttermine und das Aufräumen. Ja, Vertretungsstelle wäre jetzt natürlich noch besser, aber bis zum Sommer kann mich das ALG I zur Not tragen, und ich vertraue darauf, dass dann meine berufliche Zukunft gesichert sein wird.

Ist also nur scheinbar wiedersprüchlich, wenn ich mich über diese Absage freue und eine Menge Energie daraus mitnehme.

Montag, 12. Februar 2024

Tag 195 - Aufwachen!


Das Neumünster-Erlebnis hat mich mal wieder in eine Art Schockstarre versetzt. So sehr, dass ich zuhause nichts mehr mache und nur nachdenke. Und wenn dann ein Satz kommt "Bis zum Sommer finden wir eine Planstelle für sie!", dann freut mich das riesig und sorgt für Tränen im Ministerium, aber wirklich angekommen ist die Nachricht noch nicht. Es braucht erst eine Mail eines ehemaligen Schülers, der die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass sein Lehrer doch nochmal irgendwann antwortet. 

Wenn ich tatsächlich bis zum Sommer eine Planstelle gefunden haben werde, dann habe ich keine Ausrede mehr für's Hängenlassen. Dann wird es Zeit für Disziplin und die Euphorie, die abends aufkommt, wenn man sieht, dass man tatsächlich etwas geschafft hat. Im heutigen Fall Müll raus und Wäsche, und eine frühere Weckzeit meines Weckers, damit ich morgens mehr schaffen und abends früher in's Bett gehen kann. Einstellen auf ein Leben, in dem ich eine unbefristete Beschäftigung habe - denn so wie jetzt geht es nicht. Mails beantworten, Akten einordnen, vergammelte Lebensmittel entsorgen, Kühlschrank putzen, ich habe genug Arbeit für die nächsten Tage.

Wie passend, dass ich heute den Film Brittany Runs a Marathon (2019) auf Amazon prime gesehen habe - übrigens noch nicht wirklich mit Werbung, das kommt noch. Es geht um eine Frau, die mit dreißig Jahren in einer Lebenskrise steckt, übergewichtig, Single, kein Plan für das Leben. Mit der Hilfe von Freunden nimmt sie sich vor, am New York-Marathon teilzunehmen. Klingt wie eine Klischeegeschichte, ist aber eine Komödie mit Einblick und Ecken und Kanten. Sie zeigt, welche Probleme man treffen kann, wenn man sich vornimmt, sein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Mal schauen, was für Probleme mich erwarten.

Zeit, aufzuwachen!

Dienstag, 6. Februar 2024

Tag 189 - Tränen im Ministerium


Ich wiederhole meine Feststellung von gestern - mir kommen Tränen in die Augen, wenn jemand ernsthaft Verständnis für meine Situation zeigt. Wenn es jemand aus dem Ministerium ist, der sagt, er sei fassungslos, wie man über die Jahre - und vor allem in der aktuellen Angelegenheit in Neumünster - mit mir umgegangen sei, dann muss ich zur Seite schauen, sonst geht die Plärrerei erst richtig los.

Jedenfalls ist mein Fall jetzt im Ministerium bekannt und ich habe einen Ansprechpartner - vorher hat sich niemand dort weiter um mich gekümmert und tatsächlich gedacht, ich würde mich auf keine Planstellen bewerben - der Eindruck ist entstanden, weil ich mich in den dreieinhalb Jahren an der Toni nicht an anderen Schulen beworben habe. Auch das haben wir heute aufgeklärt, und ich habe jetzt starke Unterstützung, so positiv, und dabei auch so unterhaltsam.

Nächstes Mal, wenn ich im Ministerium bin, werde ich mit dem Paternoster fahren - heute war es faszinierend genug, als man mir erklärt hat, wie die Türen im Ministerialgebäude funktionieren, und dass man sie bloß nicht anfassen darf.

Die Details des Gesprächs (zum Beispiel der Satz "Da ist echt alles falsch gemacht worden!") bleiben im dortigen Sitzungsraum. Ich fühle mich aber jedenfalls unglaublich erleichtert. Und ermutigt, dem Landesamt für soziale Dienste auf's Dach zu steigen. 

Erstmal aber hauptsächlich glücklich, gehört worden zu sein.

Montag, 5. Februar 2024

Tag 188 - Tränen im Arbeitsamt


"Das muss man sich mal vorstellen: Da sucht eine Schule dringend eine Vertretung, und da sucht eine geistig behinderte Lehrkraft händeringend Arbeit und darf nicht."

"Das kann man echt nicht mehr erklären..."

Ich gebe zu, ich hatte ja ein bisschen Angst vor dem Termin heute in der Agentur für Arbeit, zum einen, weil ich befürchtet hatte, dass es wieder nichts Konkretes bringt - wie letztes Mal - zum Anderen, dass ich ernsthaft lernen soll, wie man eine Bewerbung schreibt. Und dann kam es etwas anders.

"Ah, Dr Hilarius, sie sind bestimmt direkt aus der Schule hierher gekommen?"

"Nein. Eigentlich sollte ich jetzt nicht hier sitzen, sondern in der sechsten Stunde vor einer Englischklasse einer Schule in Neumünster stehen [...Erklärung...]"

Und dann bekomme ich nach und nach Rückendeckung von meinem Sachbearbeiter mit einem Hundeblick, weil es ihm wirklich leid tut, wie sich das mit mir entwickelt hat, und das hat mir die Tränen in die Augen getrieben.

Er hat dann auch klargestellt, dass ich bereits alles tue, um in Arbeit zu kommen, dass es also seitens des Arbeitsamtes nichts weiter zu tun gibt. Es bleibt nur, wie so oft, abzuwarten. Wir warten den Termin morgen im Bildungsministerium ab, schauen, wie sich das mit der Vertretung bis Sommer entwickelt und sehen uns dann in einem Monat wieder.

Und dann, draußen vor der Behörde, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, weil es mich jedesmal fertig macht, wenn jemand Verständnis und/oder Bestürzung angesichts dieser Lage zeigt. 

Mal sehen, ob es morgen anders kommt.

Samstag, 3. Februar 2024

Tag 186 - Situationsbeschreibungen


Eigentlich sollte es für jemanden auf'm Spektrum kein Problem sein, eine Situation zu beschreiben. Sachlich ist unsere Stärke. Beispiel gefällig?

Gestern und heute fahren in Kiel fast keine Busse. Ich bin zum Citti-Park gegangen und habe gesehen, dass stattdessen die Straßen für einen Samstag um diese Uhrzeit mehr als überfüllt sind. Es sind unglaublich viele Autos unterwegs - logisch, wenn es eben nicht anders geht. Tolles Argument für die Verkehrswende. Ebenso sieht man auf den Gehwegen deutlich mehr Fußgänger - die strahlende Sonne trägt zur Wanderlust bei. Dass das Einkaufszentrum dann wieder völlig überfüllt war, ist unabhängig von der Bussituation, denn samstags ist dort immer die Hölle los. Schreiende Kinder, Kinder, die sich den Servierrobotern von Giovanni L absichtlich in den Weg stellen oder sie liebevoll streicheln, Menschengruppen, die versuchen, sich gegenseitig zu überholen und natürlich auch wieder jene, die völlig unvermittelt im Weg stehenbleiben.

Ich würde sagen, das war eine sachliche Situationsbeschreibung. Schwieriger wird es für mich, wenn es mich selbst betrifft (und ich habe das auch schon bei meinem Bruder erlebt). Älteres Beispiel: Mein Referendariats-Portfolio, in dem ich beschreiben sollte, wie ich die drei Semester erlebt habe. Aus meiner Sichtweise habe ich einfach nur die Fehler im System beschrieben, die mir das Leben während dieser Zeit zur Hölle gemacht haben. Zum Glück hatte ich die Sannitanic als Korrekturleserin, die mir klargemacht hat, dass das extrem anklagend und vorwurfsvoll klingt, und dass es zwar sachlich alles stimmen mag, aber mir definitiv keine Türen bei den Adressaten öffnen wird. 

In dieser Phase befinde ich mich jetzt auch wieder. Ich beschreibe gerade meine berufliche Situation, um das dann an den ÖPR oder die GEW oder die Frau aus dem Ministerium zu schicken, oder übermorgen meinem Sachbearbeiter im Arbeitsamt davon zu erzählen. 

Und wieder ist es so: Ich schreibe alles erstmal gefühlt sachlich auf, aber einen Tag später klingt der Text wie "Unser Schulsystem ist scheiße, ich fühle mich menschenunwürdig behandelt, und das Ministerium trägt die Schuld". Auch hier: Da mag zwar ein Körnchen Wahrheit dran sein, könnte aber das Todesurteil für Unterstützung seitens des Ministeriums sein. Also lasse ich den Text noch etwas garen. Überlege mir, ob wichtige Punkte fehlen, und wie ich ihn freundlicher, hilfesuchender gestalten kann. Dass am Ende der Eindruck bleibt, dass dieser Lehrkraft irgendwie geholfen werden muss.

post scriptum: Es wird mal wieder spannend - Dienstag früh gehe ich in's Bildungsministerium, ich habe einen Termin bei'm Schwerbehindertenbeauftragten. Darauf freue ich mich tatsächlich - vielleicht bekomme ich ein paar Antworten. Bis dahin sollte meine berufliche Situationsbeschreibung also fertig überarbeitet sein ;-)

Donnerstag, 1. Februar 2024

Tag 184 - ...nun also doch?!


Ich werde wahnsinnig. Heute erhalte ich aus dem Ministerium eine Mail, dass ich, befristet bis zum Ende des Schuljahres, nun doch eine Vertretungsstelle an einer Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe annehmen kann (warum diese Einschränkung? whatever...) - verbunden mit dem Hinweis, dass mir keine Planstelle entgeht, wenn ich alle zwei Wochen in's pbOn schaue.

Ich bin wütend (und werde deswegen gleich in die Meditation gehen), und zwar aus zwei Gründen:

1) An der Wilhelm-Tanck-Schule in Neumünster hätte ich jetzt eine Vertretungsstelle gehabt, an einer Schule, die zu mir passt und per ÖPNV gut erreichbar ist, die man mir erst verboten hat und die ich nun doch hätte übernehmen können. Nun habe ich immerhin einen Alternativvorschlag bekommen, aber mit anderthalb Stunden Anfahrt. Ich frage mal an der WTS nach, ob noch Bedarf besteht.

2) Ich komme absolut nicht damit klar, wenn ich behandelt werde, als sei ich dumm. Make no mistake: Ich habe ein großes Talent darin, mich dumm anzustellen und einen großen Hang zur Naivität. Aber wieder dieser mitschwingende Ton in der Mail, dass ich nicht wüsste, wie man richtig mit dem pbOn umgeht, macht mich wütend. Ich arbeite mit diesem System seit zwölf Jahren, ich weiß, wie man sich auf eine Planstelle bewirbt (und vor allem, wie man Absagen bekommt).

Jetzt ist wieder geistige Quarantäne angesagt, um mit der aktuellen Situation zurechtzukommen. Und eine Antwortmail zu formulieren, dass ich mich durchaus schon auf Planstellen beworben habe und warum ich mich nicht auf die nächstbeste Planstelle bewerbe, die im System auftaucht.

Tief durchatmen.

Montag, 29. Januar 2024

Tag 181 - Vertretung gesucht?! WTF!?!


Ich gebe auf. Eben lese ich eine Mail aus dem Bildungsministerium, man habe sich mit dem Schulamt in Neumünster in Verbindung gesetzt und es gebe eine Schule, die Vertretungsbedarf in Englisch hat, und mit der möge ich mich doch bitte in Verbindung setzen und meine Bewerbung in's pbOn einstellen.

What.

The.

Actual.

FUCK???

Muss ich denen erklären, dass ich keine Vertretungen mehr übernehmen darf? Es ist, als ob das Ministerium systematisch versucht, mich in den Wahnsinn zu treiben! 

Mal schauen, was als Erklärung kommt.