Samstag, 26. Februar 2022

LGBTQ v1.2: "Es gibt doch bereits Angebote!"


vorweg: Jeglicher Zusammenhang mit dem gestrigen Beitrag über das Stillsein ist zufällig und nicht beabsichtigt. Ich kämpfe immer noch damit zu realisieren, dass solche Disclaimer nötig sind.

Die beiden Beiträge zum Thema eines LGBTQ-Angebots an Schulen haben Reaktionen hervorgebracht - ganz unterschiedlicher Art. Eine Reaktion auf den ersten Beitrag hat zu v1.1 geführt, und eine weitere Reaktion auf das Konzept des safe space bringt mich zu diesen Überlegungen.

Dass ein sicherer Raum an einer Schule fehlt, gilt nicht nur für trans-Jugendliche. Es gilt nicht nur für homosexuelle Jugendliche oder jegliche, die sich der LGBTQIA+-Community zugehörig fühlen. Es gilt für jeden Jugendlichen, der sich konkret anders fühlt. Der sein Anderssein auf bestimmte Faktoren zurückführen kann, und sei es nur ein ständig wiederkehrendes Gefühl.

So kann es zum Beispiel sein, dass der tägliche Gang in die Schule für jemanden jahrelang zur Hölle wird, weil er hochintelligent ist. Und er kann sich noch so viel Mühe geben, das herunterzuspielen. Bescheidenheit bei den vielen Einsen zeigen, die er erhält. Sich nicht im Unterricht melden, um bloß nicht aufzufallen. Es wird immer die Streberleiche sein und immer aus irgendwelchen Richtungen dafür Anfeindungen erhalten, und er wird immer das Gefühl haben, sich verstellen zu müssen, um nicht ausgegrenzt zu werden, und auch für ihn gibt es womöglich keinen safe space in der Schule.

Was mir dann auch häufiger geschrieben und gesagt wird ist, dass es doch bereits Angebote für diese Schüler gibt: Es gibt das Enrichment für die Hochbegabten. Es gibt die Vertrauenslehrer für jegliche Probleme von Jugendlichen. Und immer wieder in den letzten Jahren wurde mir bei konkreten Ideen gesagt, dass man dafür ja bereits die Schulsozialpädagogen hat, und dass das Angebot auch gut genutzt wird und erfolgreich ist. Dass man das schlicht nicht braucht.

Das sind valide Argumente. Aber was ist mit der Dunkelziffer?

Ich kann nur für mich sprechen. Wir hatten einen Vertrauenslehrer an unserer Schule, und ich bin während der neun Jahre Gymnasium nicht ein einziges Mal zu ihm gegangen. Nicht wegen des Drogenhandels um mich herum, nicht wegen des Mobbings in der Klasse, nicht wegen der seelischen Folter vor und nach den Sportstunden, nicht wegen des schlechten Gewissens, weil ich eine Mitschülerin in einen Fluss geworfen habe, nicht wegen meiner sexuellen Neigungen, nicht wegen des Gefühls, dass mit meinem Kopf etwas nicht stimmt. 

In der Oberstufe gab es für Schüler extra das Tutorensystem: Jeder Schüler hat sich aus dem Kollegium einen Tutor gesucht, als Ansprechpartner für jegliche Art von Problemen. Ich bin sehr froh, dass ich meine Tutorin hatte, denn sie hat mir ein Gefühl von "okay sein" gegeben, bei den Kurstreffen, die wir bei ihr hatten, ohne dass ich mich irgendwie erklären musste.

Aber genau darin sehe ich die crux:

Es gab für mich kein Angebot, dass mir expressis verbis signalisiert hat, dass ich als schwuler Jugendlicher jemanden dort habe, an den ich mich wenden könnte. Keines der Angebote hatte das im Namen oder explizit in seinen agenda zu stehen. Ich habe mich meiner Tutorin in der Oberstufe nicht ein einziges Mal anvertraut, obwohl sie eine der tollsten Lehrerinnen war, die ich je hatte.

Ich kann nicht für den trans-Mann sprechen, der mir geschrieben hat. Ich kann nicht für die Hochbegabten sprechen, die mir geschrieben hatten. Vielleicht geht es ihnen ebenso, vielleicht stehe ich allein da. Aber mein Problem war, dass mir niemand gesagt hat "Wenn du schwul bist, dann ist das okay" oder "Wenn einer unserer Schüler über seine Sexualität sprechen möchte, dann haben wir ein Angebot, das genau für ihn gemacht ist". Enrichment ist schön und gut, aber es ist gemacht für "erkannte" Hochbegabte. Was ist mit hochbegabten Underachievern, die ihr Potential nicht nutzen können oder wollen, die aber tief im Inneren wissen, dass sie anders sind und gern mit jemandem drüber sprechen wollen, der sie versteht, und der vielleicht nicht nur den Unruhestifter in ihnen sieht? 

Es fehlt nicht an einem Angebot, das ruft: "Sag' uns, was Dein Problem ist, und wir helfen Dir." Die gibt es bereits reichlich, aber oft können Jugendliche ihre Probleme mit dem Anderssein noch nicht verbalisieren, noch nicht einmal bildlich konkretisieren.

Es fehlt an "Du bist schwul? Komm' zu unserem Gesprächskreis" oder "Du bist intelligent und fühlst Dich allein? Komm zur Mind Food-Gruppe" - und was es noch mehr gibt!

Wir müssen klarmachen, dass unsere helfende Hand speziell zu ihnen ausgestreckt ist.

post scriptum: Es tut mir WIRKLICH leid, wenn dieser Beitrag pathetisch klingt. Aber für zu viele Jugendliche ist die Schule eine jahrelange Folter, und jeder einzelne Teenager, der deswegen Suizid begeht, ist ein Zeugnis für unser kollektives Scheitern.

paulo post scriptum: Es war nicht geplant, dass aus diesem Thema eine Beitragsreihe wird - aber es kommt immer wieder ein Aspekt hinzu, der meiner Meinung nach hier Raum bekommen sollte. Bear with me. Cat, too.

Freitag, 25. Februar 2022

Donnerstag, 24. Februar 2022

Das Wander-Shampoo

Schwer zu erkennen, aber ich hatte damals seeeeeeehr lange Haare...

"Oh, du lässt dir die Haare länger wachsen, das steht dir."

Aber ich mag das eigentlich gar nicht mehr. Ich hatte einmal sehr lange Haare, einfach um es auszuprobieren (und weil der Schlagzeuger, in den ich damals verliebt war, auch lange Haare hatte). Da gab es immer wieder Menschen, die Komplimente zu meiner "Löwenmähne" machten, aber in meinem Kopf waren ganz andere Gedanken: "Es nervt." 

Es nervt, andauernd Spülungen und Haarkuren verwenden zu müssen (auch wenn es sich toll anfühlt, wenn die Haare bei'm Waschen weich werden). Es nervt, ewig lange die Haare zu föhnen, bis sie endlich trocken sind (aber ich habe damals gelernt, dass man überhaupt nicht mehr föhnen sollte, weil das die Haare stresst). Es nervt, alles vollzuhaaren. Es nervt, wenn mich die langen Haare bei'm Denken stören - klingt albern, ist aber so. Ich fände es praktischer, überhaupt keine Haare zu haben, dann lenkt da auch nichts ab.

Deswegen nehme ich gern the next best thing und lasse mir von Tina die Haare mit der Maschine absäbeln, damit der Kopf sich endlich wieder frei fühlt. Dass die Haare gerade wieder länger werden, liegt einfach daran, dass ich nicht daran denke, zum Friseur zu gehen. Das passiert bei schönen und unschönen Stimmungen, da vergesse ich alles Wichtige (essen, Müll rausbringen, Geschirr spülen, Rechnungen bezahlen). Egal. Morgen frage ich Tina, ob sie vielleicht übermorgen noch was frei hat. 

Was ich allerdings an den etwas längeren Haaren genieße, ist die Haarpflege, seitdem ich festes Shampoo und Spülung benutze. Laut Bedienungsanleitung soll man das Shampoo mit den Händen aufschäumen und dann in den Haaren verteilen - ich halte mein Shampoo einfach in der rechten Hand, während ich die Kopfhaut massiere, das funktioniert wunderbar. Klar, das Stück ist dann etwas schneller aufgebraucht (hält aber immer noch sehr lange), aber es fühlt sich auf diese Weise so intuitiv an und wie aus einem Guss, ohne zwischendurch die Shampooflasche öffnen zu müssen oder das Waschstück zur Seite zu legen.

Mittlerweile bekomme ich ein wenig Routine und kann meine Hände so interagieren lassen, dass das Stück von der einen Hand zur anderen wandert; anfangs hatte ich tatsächlich immer nur die rechte Hand benutzt (Aspis tendieren zu Problemen mit der Feinmotorik und Handkoordination). Jetzt ergänzt sich das zusammen mit dem Thermostat in der Duscharmatur zu einem Gefühl von "richtig". Von "mein Zuhause". Deshalb zählt dieser Beitrag als Home Improvement.

post scriptum: Ich hoffe, die große Buba fühlt sich bei dem Titel an unsere heißgeliebte Wanderkotze erinnert!

Mittwoch, 23. Februar 2022

"Ich will Keckse."


Zum Halbjahreswechsel ist es für mich immer an der Zeit, einen Hut aufzusetzen. Wenn ich schon mehrere Jahre an einer Schule würde unterrichtet haben, dann kennten die Schüler das Outfit: Hilarius plus Hut gleich Feedbackrunde - ich hatte schon einmal darüber geschrieben. Es macht wirklich Spaß, sich abends hinzusetzen und die vielen kleinen Zettelchen zu lesen, die die Schüler zusammengefaltet haben. Teilweise sogar kreativ: Ich hatte zum ersten Mal einen Origami-Schwan im Hut! Wollte ich gar nicht auseinanderfalten, aber es hat sich dann doch gelohnt: "Sie geben einem wenig möglichkeit zu sprechen aufgrund ihrer nervösität erregender aura aber dass ist nicht ihre Schuld."

Ich finde das wirklich hilfreich, weil es mich in's Nachdenken bringt. Und wenn man mehrmals den gleichen Verbesserungsvorschlag bekommt (zum Beispiel "mehr Englisch reden"), dann muss da etwas dran sein. Dringend benötigte andere Blickwinkel für diesen Aspi. Und es gibt auch immer etwas zu schmunzeln, wenn zum Beispiel jemand geschrieben hat "Ich will Keckse." - will ich auch, ich möchte unbedingt wieder den Cake Day einführen, aber unter Corona geht das alles momentan nicht.

Tja... und was wünsche ich mir für das zweite Halbjahr? In erster Linie eine Möglichkeit, noch etwas länger an der Schule bleiben zu können. Gesundheit wäre toll. Und der neue Teil der Star Ocean-Reihe. Aber vielleicht sollte ich als immer wiederkehrenden Wunsch festlegen: "Möglichst wenige Menschen verletzen". Klingt das albern? Ist es definitiv nicht: Ein Asperger-Autist hat das nicht gerade beliebte "Talent", sachlich, offen und ehrlich zu reden, und das kommt selten gut an (auch wenn es immer heißt, dass das eine tolle Eigenschaft sei). Das verletzt meine Mitmenschen, ohne dass ich es mitbekomme, weil in meinem Kopf das alles doch nur die Feststellung von Tatsachen ist. Warum sollte man sich dadurch verletzt fühlen? Es passiert immer wieder - story of my life.

Viele Wünsche für das zweite Halbjahr. Schauen wir mal.

Samstag, 19. Februar 2022

LGBTQ v1.1: Kannst Du es nachvollziehen?


vorweg: Dieser Artikel hat grünes Licht von allen beteiligten Personen bekommen.

Wie fühlt es sich an? Als LGBTQ-Teenager auf eine Schule zu gehen, in der einem unentwegt klar gemacht wird, dass das "nicht normal" ist. Dass es irgendwie falsch ist und man sich anpassen muss?

"Oh ja, das muss schlimm sein, das kann ich gut nachvollziehen."

"Nein, das kannst du nicht."

Du sagst es, um mir ein wenig von der damaligen Last und dem damaligen Schmerz zu nehmen, eine Art Höflichkeit oder Freundlichkeit. Aber:

Kannst Du es nachvollziehen? Wie es ist, sich jeden Morgen zu wünschen, krank zu sein, damit man nicht in die Schule gehen muss, und zwar nicht wegen der zu lernenden Inhalte? Wie es ist, auf der morgendlichen Busfahrt in die Schule auf den Fußboden zu schauen, in die eigene Kopfwelt zu verschwinden und die letzten zwanzig Minuten Frieden des Tages zu genießen? Aus dem Bus auszusteigen, und auf dem Weg in den Klassenraum einfach nur noch Angst zu haben? Angst davor, bestimmte Mitschüler zu sehen? Angst vor den Sportstunden? Angst davor, mit Stiften und anderen Sachen beworfen zu werden, weil Du anders bist? Angst davor, während des gesamten Vormittags keine Möglichkeit zu haben, aufzuatmen? Keinen Ort, an dem Du OK bist, so wie Du bist? Angst davor, von anderen Schülern gemobbt zu werden und am Ende dafür auch noch selbst Ärger vom Lehrer zu bekommen, Woche für Woche für Monat für Jahr? Mit Deinem Kopf in einem Rätselheft zu verschwinden, compartmentalizing, um nicht in der Stunde vor achtundzwanzig Mitschülern anzufangen zu heulen? Das grenzenlose Aufatmen, wenn Du nach der letzten Stunde endlich den Klassenraum verlassen kannst? Wenn Du weißt, dass auf der Rückfahrt im Bus wildfremde Schüler versuchen werden, Dir Drogen zu verkaufen, einfach nur um Dich zu verarschen, aber das stört Dich schon gar nicht mehr, weil es nichts ist im Vergleich zu der Folter, in der Schule absolut niemanden und absolut keinen Ort zu haben, um das alles mal herauszuschreien? Wenn Du im Supermarkt von einem wildfremden Mann angesprochen wirst, der Dir anbietet, ein Schwulenmagazin für Dich zu kaufen? Dein Tagebuch ausschließlich zu nutzen, nicht um täglich etwas zu schreiben, sondern um fünfzehn Jahre lang nur all' das hineinzuschreiben, was Du durchmachen musstest an diesem Tag, in dieser Woche? Wenn es sich anfühlt, als würde in Deinem Kopf jeden Tag eine Atomexplosion rückwärts ablaufen, wenn Du all' diese Wut, diesen Frust, diese Angst und Trauer so weit in Dich hineinsaugst, dass Dein Kopf irgendwann nur noch aus Atombomben kurz vor der Explosion besteht? Und Du hast nirgendwo die Möglichkeit, endlich einmal den Zünder zu drücken und das alles loszuwerden?

Kannst Du das wirklich nachvollziehen?

Wenn ja, dann kannst Du es auch verstehen, warum ich in Tränen ausgebrochen bin, als ich am Donnerstag folgende Nachricht erhalten habe:

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Hi! Ich habe gerade Deinen Blog über lgbtq Angebote in Schulen gesehen und möchte das gerne zum Anlass nehmen und mich ganz doll bei Dir bedanken!

In der 9. Klasse Englisch hast Du uns lgbt näher gebracht und wir haben u.a. über 'don't ask don't tell' diskutiert - das hat mir viel bedeutet und damals das Gefühl gegeben, dass mich 'zumindest ein paar Menschen akzeptieren werden' und dass ich nicht alleine bin und vor allem: dass das noch nicht mal im entferntesten Sinn etwas 'Schlimmes' ist. Für mich war die Schule kein sicherer Ort, mich als trans zu outen, zumal ich teilweise mitbekam wie sogar Lehrer untereinander abfällige Witze in diese Richtung gemacht haben und auch ohne Outing jede einzelne Pause Schüler über mich getuschelt haben und sich gefragt haben "ob ich ein Mädchen oder Junge bin". ^ dieser Satz hat mich jahrelang so verfolgt, dass ich bei jedem Flüstern in der Öffentlichkeit automatisch nur das gehört habe! [Unsere AG] besonders war für mich ein Safe Space - ich konnte dort sein wie ich bin! 😁 Ich hatte oft überlegt, ob ich mich Dir anvertrauen soll, letztendlich aber zu viel Angst gehabt, weil mein Umfeld alles andere als supportive war und ich mich mit einem Outing nicht verletzlich machen wollte - ich hatte mir damals stillschweigend gesagt, dass Du mich als die Person, die ich wirklich bin, siehst - danke, Dein Englischunterricht hat mir Hoffnung gegeben, dass irgendwann alles gut wird ☺ Liebe Grüße!!

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Zuerst hatte ich nur den Namen und das Profilbild gesehen, ein junger Mann, den ich nicht wiedererkannt habe. Ein ehemaliger Schüler? Dann der Blick in's Gesicht und der Nachname und der Ausdruck safe space. Ich hatte vor zehn Jahren eine hochintelligente, brillante Schülerin in Englisch, konnte anspruchsvolles Englisch in der neunten Klasse verstehen und auf muttersprachlichem Niveau schreiben. 

Jetzt weiß ich, dass dieser brillante Kopf ein Schüler in einem falschen Körper war. Und dann hat jeder einzelne Satz, den er mir geschrieben hat, tief in's Herz getroffen, über die Schule als unsicheren Ort, die abfälligen Witze, das Tuscheln und vor allem die Hoffnung, dass irgendwann alles gut werden wird. 

Ich hatte am Donnerstag Tränen in den Augen und auch jetzt laufen sie mir über das Gesicht, während ich diese Zeilen schreibe. Endlich habe ich die Gewissheit, dass die Schüler zumindest in meinem Unterricht oder Projektangebot einen safe space haben. Etwas, das sie zuhause nicht haben, draußen nicht haben, und auch sonst in der Schule nicht haben.

Und deswegen werde ich auch weiterhin für meine Schüler versuchen, diesen sicheren Raum einzurichten. Egal, wieviel Gegenwind es geben wird.

Ich freue mich riesig, dass er sich "gefunden" hat.

Mittwoch, 16. Februar 2022

LGBTQ-Angebote an Schulen

Auch mal die Regenbogenseite beleuchten

In Amerika ist gerade in einem Bundesstaat ein Gesetz verabschiedet worden, das spöttisch "Don't say gay-bill" genannt wird. Es beschließt, dass bestimmte Themen im Schulunterricht nichts zu suchen haben - einfach ausgedrückt: Lehrerzensur. Nicht über Rassismus reden, nicht über Homosexualität reden. Ein weiterer Nagel in meinem Sarg der Auswanderung in die USA.

Aus diesem Anlass habe ich mich gefragt, ob wir eigentlich an unserer Schule ein Angebot für Mitglieder der LGBTQIA+-Community haben. Das wäre doch mal etwas, was man starten könnte: Ein wöchentliches Angebot, vielleicht eine Art Redekreis, jedenfalls ein Ort, an dem Schüler und Lehrer in einem geschützten Umfeld offen über alles reden können, was mit LGBTQ zu tun hat. Wenn ein schwuler Lehrer und eine lesbische Lehrerin dabei sind, wenn wir zur Unterstützung vielleicht auch die Schulsozialarbeit in's Boot holen könnten, das wäre super!

Ich würde den Jugendlichen einfach gern eine Möglichkeit geben, über das Thema zu reden. Ich möchte einem heterosexuellen Schüler seine Homophobie nehmen können. In der Schule eine Gay-Straight-Alliance aufbauen... Schüler unterstützen, die ihre Trans-Identität nach und nach entdecken... und als Schule ein Zeichen zu setzen, ihnen zu signalisieren, dass sie OK sind, so wie sie sind. In Gus Van Sants Elephant (2003; anlässlich des Columbine High School massacre gedreht, bei dem genau dieses Thema eine Rolle gespielt hat) wird eine solche Gruppe an einer amerikanischen High School gezeigt, und ich fände es toll, wenn das auch bei uns ganz selbstverständlich sein könnte.

Habt Ihr an Euren Schulen ein solches Angebot?

Montag, 14. Februar 2022

"Mit Käse und Mozzarella"


Heute brauche ich einmal Eure Hilfe, um herauszufinden, ob ein bestimmtes Verhalten Asperger pur ist oder ob auch neurotypische Menschen damit zu tun haben.

Zur Abwechslung ist es diesmal eine ganz harmlose Situation, Einkauf bei Rewe (nicht das Zenntruwah @ fette Schnecke) und ich entdecke eine neue Tiefkühlpizza. Mit Käse im Rand, aha, das muss ich mal testen. Und so nehme ich die Schachtel in die Hand und lese mir alles Lesbare auf der Verpackung durch, und auf dem Frontbild steht fett und stolz "Käse & Mozzarella im Rand". 



Und mein Gedankenzug entgleist. Mozzarella ist doch ein Käse, warum benutzt man eine solche Formulierung? Es hat mir keine Ruhe gelassen und mich sogar bis in die Meditation verfolgt, deswegen schreibe ich darüber. Mich stört dieser Ausdruck extrem und ich komme nicht drüber hinweg, weil ich nicht verstehe, warum jemand so etwas schreibt.

Würde es Euch in dieser Situation genauso gegangen sein? Kennt Ihr das Problem? Oder ist das für Euch einfach eine unwichtige Kleinigkeit (wenn es Euch überhaupt aufgefallen wäre)?

Sonntag, 13. Februar 2022

Das Springseil (Kommentar)


Die Kurzgeschichte dreht sich um den Umgang mit Behinderten. Das wird am Ende der Geschichte vielleicht deutlich. Es geht nicht darum, dass die Schülerin Silja nur einen Arm hat; es geht darum, dass der Sportlehrer trotzdem von ihr erwartet, die Springseilprüfung abzulegen - eigentlich ein Irrsinn, natürlich würde niemand von einem einarmigen Menschen erwarten, mit dem Springseil zu springen - aber das ist oftmals genau das, was wir machen, wenn wir mit behinderten Mitmenschen umgehen. Wir erwarten, dass sie sich ein wenig Mühe geben und das Unmögliche möglich machen. Wir denken, sie könnten das schaffen.

Wir schreiben uns Inklusion auf die Fahne, aber Inklusion bedeutet mehr, als nur mit einem behinderten Menschen Umgang zu haben. Und es bedeutet explizit nicht, den Behinderten genau wie alle anderen zu behandeln (weil es ja fair sein soll). Es bedeutet, dass wir selbst uns anpassen müssen, damit der behinderte Mensch das Recht auf Teilhabe und gleichwertige Chancen erleben kann. Das ist bei auffälligen Behinderungen (wie der Einarmigkeit) definitiv leichter als bei Behinderungen, die man nicht sofort bemerkt.

Das ist eine sehr persönliche Geschichte, klar. Sie beruht auf einem Gespräch mit einer Schulleitung vor ein paar Jahren, eine Anekdote, die ich im Blog sicherlich schon irgendwo niedergeschrieben habe: Bei dem Auswahlgespräch hatte ich betont, dass meine autistischen Verhaltensweisen für Probleme sorgen könnten und habe dazu auch konkrete Beispiele genannt. Daraufhin bekam ich diesen Satz zu hören: "Wenn wir schon Inklusion leben wollen, dann gilt das selbstverständlich auch für das Kollegium."

Das ist genau wie in der Kurzgeschichte: Das klingt wunderbar, aber es ist eine Sache, das zu sagen, eine andere dagegen, es umzusetzen. Und so war ich damals bei der Schulleitung mehrfach zum Gespräch gebeten worden, als es dann Zwischenfälle gab - die absehbar waren, fast schon wie angekündigt. Ich habe das dann auch als Argument gebracht und gesagt, dass ich vorgewarnt hatte - autistische Verhaltensweisen können zu diesen Problemen führen. 

Die Antwort habe ich bis heute nicht vergessen: "Ja, aber das geht so nicht, da musst du dich schon ein bisschen anpassen und dir Mühe geben, dass sowas nicht wieder passiert." Das hat mich tief getroffen, mein erster Gedanke war "Aber genau das kann ich eben nicht!" - und ich hatte das Bild eines einarmigen Menschen im Kopf, der eine Aufgabe ausführen soll, für die man beide Arme braucht. So ist diese Geschichte entstanden.

Ich mag damit vielleicht allein dastehen, aber ich denke, wir sollten nicht von dem behinderten Menschen erwarten, dass er sich an uns anpasst - sondern genau umgekehrt. 

Das verstehe ich unter Inklusion.

Freitag, 11. Februar 2022

Das Springseil


Das Springseil

Unsere Schule ist inklusiv. Unsere Schule lässt niemanden zurück, schließt niemanden aus, niemand wird benachteiligt. Wir haben Schüler unterschiedlichster Herkunft, wir haben Jugendliche, die das gesamte Spektrum von Sex & Gender abdecken. Das ist alles ganz selbstverständlich; niemand soll sich bei uns fehl am Platz fühlen. Deswegen sind wir auch sehr stolz auf das Motto unserer Schule: Fair geht vor!

Das versuchst Du natürlich auch für Dein Fach Sport umzusetzen, und so habt Ihr schon vor Langem beschlossen, den Schülern Sportequipment zur Verfügung zu stellen. Die gleichen Sportschuhe, damit niemand aus sozial benachteiligten Familien bei den Laufwettbewerben geringere Chancen hat. Auf der letzten Fachkonferenz habt Ihr endlich beschlossen, auch die Springseile komplett auszutauschen, da waren noch unterschiedliche Sets aus den Neunzigern und Zweitausendern, endlich alle gespendet und es gibt nur noch eine Sorte Springseil für alle Schüler, natürlich anpassbar an die Körpergröße.

Das ist wichtig, denn die Note für bestimmte Sprungtechniken gilt als ein Leistungsnachweis. Und so gehst Du ein bisschen stolz zu Deinen Schülern, die brav in einer Linie stehen und aufgeregt ihrer Herausforderung entgegenfiebern. Da stehen sie, und Du verteilst die Springseile. Eines für Marie, eines für Kevin, eines für Yousef, eines für Johanna, eines für Lava, auch Hasan bekommt eins. Claudia hat zwar eine extreme Lese-Rechtschreib-Schwäche, aber sie ist eine echte Sportskanone. Martin hat den Förderbedarf Lernen, aber er hat auch die schnellsten Beine im ganzen Jahrgang, und auch Silja bekommt das gleiche Springseil. Sie stehen alle bereit, aufgeregt. Sehr aufgeregt: Du lächelst sie alle an, aber nicht alle lächeln zurück. 

Leistungsdruck im Hinterkopf. Du hast ihnen klargemacht, dass wir alle Leistungsnachweise als Team bestehen. Natürlich liefert jeder seine eigene Performance ab, aber alle Mitschüler feuern an und applaudieren für den Prüfling. So auch bei Marie, die gar nicht schlecht springt und eine Leistung im unteren Zweierbereich abliefert. Alle jubeln. Kevin ist sehr unsportlich, übergewichtig, aber er versucht es trotzdem. Mit viel Not schafft er eine Leistung im oberen Fünferbereich, aber niemand lässt ihn hängen, alle lächeln ihn an und jubeln, toll, dass du alles gegeben hast!

Einer nach dem anderen liefert ab, Du schreibst Dir alle Noten auf, die Stunde neigt sich dem Ende zu. Martin ist als Vorletzter dran, und auch wenn das Denken bei ihm nicht so schnell funktioniert wie bei seinen Mitschülern, hält ihn das nicht ab, wie ein Blitz das Springseil um sich zu schwingen und eine Leistung mit fünfzehn Punkten zu bringen. Alle klatschen, alle sind stolz auf ihren Martin. Und jetzt kommt noch Silja.

"Ich kann das nicht." 

Silja steht da, hält das Springseil in der Hand, schaut es an und schüttelt den Kopf. "Das kann ich nicht." Du bist ein wenig irritiert, denn bisher lief das alles wunderbar, Teamgeist, jeder wird mitgenommen, runde Stunde, läuft, wo ist das Problem? "Kann ich nicht", sagt Silja und bleibt still stehen. Die Mitschüler werden still. So war das nicht geplant.

Du blickst auf den Boden, atmest tief durch. Du versuchst, den Sportsgeist zu verinnerlichen, den Gemeinschaftssinn der Schule. Fair geht vor. Gemeinsam schaffen wir das. All' das rufst Du Dir hervor, und was Du in der Lehrerausbildung zum Thema Teambuilding gelernt hast. Ein freundliches Lächeln zeichnet sich auf Deinem Gesicht ab, als Du aufblickst und voller Motivation sagst:

"Silja, na klar kannst du das! Schau mal, wir alle haben das schon hinbekommen, das schaffst du auch! Es macht nichts, wenn es nicht perfekt wird, liefere einfach so gut ab, wie Du kannst. Streng' dich an, das zählt. Schau mal, Kevin mag Sport nicht, und das ist okay. Er hat es trotzdem versucht und wir haben ihn dabei unterstützt. Wir sind ein Team - du sollst keinen Nachteil haben, weil du mit nur einem Arm auf die Welt gekommen bist. Wir werden dich alle unterstützen! 

Du musst dir nur ein bisschen Mühe geben."


post scriptum: Kommentar folgt.

Mittwoch, 9. Februar 2022

Die Crux des Aspi-Bloggers


Ich muss umdenken. Es ist schade, dass mein Blog den Schulleitungen mehr Stress als nötig bringt, das war bisher an allen Schulen so. Da melden sich zum Beispiel besorgte Eltern, die nachfragen, ob Dr Hilarius vielleicht ein Neonazi sei, weil er einen Artikel über Leni Riefenstahl geschrieben hat. Natürlich wurde der Text nicht gelesen, sonst hätte es überhaupt keinen Grund zur Sorge gegeben. Es reicht, wenn Menschen sehen, aha, dieser Lehrer postet ein Bild von einem Nazi. Ob er womöglich selbst Nazi ist?

Ich kann nichts für die Dummheit der Menschen, und es tut mir unendlich leid, dass die Schulen immer wieder mehr Arbeit als nötig haben, die Eltern zu beruhigen.

Allerdings ist es nicht immer nur Dummheit, die die Menschen zu Vorverurteilungen führt. Es ist auch ein Klassiker dabei, das ganz normale Missverständnis. Missverständnisse sind einer der Hauptgründe, warum ich in meiner Freizeit nur wenig mit anderen Menschen mache. Keine soziale Interaktion bedeutet kein Missverständnispotential. Sehr entspannend, gerade wenn man sich Jahrzehnte lang einreden lässt, dass man selbst Schuld daran hat.

Die Missverständnisse resultieren sehr oft daraus, dass ich die Dinge so sage und schreibe, wie ich sie meine. Da ist kein Subtext dabei; you can take my words at face value, sagt man im Englischen. Das ist typisch Aspi: Die Dinge wörtlich meinen und auch wörtlich verstehen. Bei meinen Blogeinträgen ist nichts zwischen den Zeilen zu lesen - zumindest nichts beabsichtigt. Viele Menschen haben aber die Neigung, überall Dinge hineinzuinterpretieren, und das ist für einen Lehrer-Blogger ein Problem: Die potentiellen Leser kennen mich nicht, wissen nicht, dass ich die Dinge genau so meine, wie ich sie schreibe. Und oftmals wollen die Eltern etwas finden, was mit mir nicht stimmt - das ist leider Realität. Also interpretiert man etwas in die Beiträge hinein und wendet sich mit seinen Sorgen an die Schulleitung.

Und trotzdem möchte ich unbedingt am Blog festhalten, weil das eine der grundlegenden Hilfen für mich gewesen ist, seitdem mein Leben bergab gerutscht ist. Ich sollte in Zukunft besser keine Geschichten aus der Toni erzählen, egal, ob das frei verfügbares Wissen ist. Ich finde das sehr schade, weil ich gern über Unterrichtssituationen und Pädagogik schreibe. Ich werde versuchen, das in Zukunft allgemein, ohne Bezug zu realen Situationen zu schreiben. Kann sein, dass ich das nicht schaffe.

Time will tell.

Montag, 7. Februar 2022

Let's talk!


Eigentlich mag ich Elternsprechtage ja. Ich finde es spannend, mit Erziehungsberechtigten über ihre Kinder zu sprechen, vielleicht einige meiner Verdachtsmomente zu bestätigen, vielleicht neue Impulse für den Unterricht bekommen und - nicht oft, aber vorhanden - mir sagen zu lassen, wie ich meinen Unterricht zu machen habe. Das ist alles sehr interessant.

Corona hat das natürlich alles verändert, und nicht erst seit diesem Jahr. Es gibt bei uns telefonische Elternsprechtage; wir Lehrkräfte stellen den Eltern Zeiträume zur Verfügung, in denen wir sie nach Anmeldung anrufen und per Telefon alles Wichtige besprechen. Absoluter Horror für einen Aspi, denn ich weiß nicht, wie die Menschen klingen, die ich anrufe, und ich weiß nicht, worum es gehen soll. Das weiß ich bei einem klassischen Elternsprechtag oft auch nicht, aber am Telefon fühle ich mich extrem unter Druck gesetzt und besonders verunsichert. Und ich habe Angst, dass ich meinen Gesprächspartner nicht verstehe, oder dass es zu Missverständnissen kommt - also quasi alle üblichen Telefonprobleme.

Nützt alles nichts. Morgen stehen Gespräche an, und ich werde versuchen, ruhig zu bleiben. Einer Mutter habe ich im Vorfeld geschrieben, dass ich mich auf das Gespräch freue, und das stimmt in dem Fall ja auch. Vielleicht wird es alles gar nicht so schlimm morgen.

Macht Ihr auch telefonische Elternsprechtage?

Mittwoch, 2. Februar 2022

"Es geht an der Schule das Gerücht..."


Ich habe einen neuen Rekord aufgestellt (ohne eigenes Zutun): Ich war noch nie so lange an einer Schule wie jetzt an der Toni. Bisheriger Rekord waren zwei Jahre jeweils in Husum und St.Peter-Ording - gestern hat mein drittes Dienstjahr an "meiner" Schule begonnen, und auch wenn ich nicht weiß, wie sich die berufliche Situation entwickelt, bin ich sehr froh, endlich die richtige Schule für mich gefunden zu haben. Da will ich bleiben.

Und da passieren auch immer wieder kleinere Überraschungen: Heute sollte ich eine Vertretung in der Fünf C übernehmen. Fünften oder sechsten Jahrgang vertreten, das löst bei mir immer etwas Angst aus, weil ich mich frage, ob wir die Stunde ohne einen Borderline-Schreianfall überleben. Wäre halt nicht das erste Mal. 

Und dann war das heute eine ganz großartige liebe Klasse; es war ihre erste Stunde an diesem Schultag, also habe ich mit ihnen die Testung durchgeführt, und das ist vollkommen reibungslos verlaufen. Die Kiddies durften zum ersten Mal selbst die Testmaterialien verteilen, und das haben sie sehr gewissenhaft gemacht - das war schon mal ein guter Start.

Es meldet sich ein kleiner Steppke am Fenster und fragt: "Dr Hilarius? Es gibt an der Schule das Gerücht, dass sie schwul sind. Stimmt das?" Und wieder einmal: Kurzes Ja, oder besser die Auskunft, dass ich mich nicht festlegen möchte, es gibt da so etwas, das nennt sich bi. Und wieder einmal an dieser Schule: Das wird mit mehrheitlichem Kopfnicken hingenommen, weiter im Programm.

Das ist so angenehm: An dieser Schule Kinder und Jugendliche aufwachsen zu sehen, für die die sexuelle Vielfalt etwas völlig Normales ist. Ich habe das nicht oft erlebt, auch nicht in SPO, und erst recht nicht an gewissen Eliteschulen. Da wird das dann einfach "toleriert".

Dass also ausgerechnet in einer fünften Klasse heute so eine tolle Stunde stattgefunden hat, das hat mich doch sehr gefreut.