Donnerstag, 25. November 2021

Brainfood per Post


Das hat mir den gestrigen Tag extrem aufgewertet: Ich hatte zweien meiner Lerngruppen die Aufgabe geschickt, mir Briefe auf Englisch zu schreiben, zum Beispiel unter Verwendung von Adjektiven und Adverbien, weil das in einer Gruppe gerade Unterrichtsthema war. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass sie das wirklich machen, oder zumindest nicht davon, dass sie mir tatsächlich einen Brief per Post zukommen lassen, und tatsächlich kamen gestern und heute einige Mails an mit den Botschaften der Kiddies, über die ich mich wirklich gefreut habe.

Gleichzeitig fand ich gestern aber auch einen großen Briefumschlag vor meiner Tür, den der Postbote mitgebracht hatte, und darin waren tatsächlich knapp zwanzig einzelne Briefe aus meinem Kurs in Neun; die Vertretungskollegin hat diesen Arbeitsauftrag mit den Schülern umgesetzt, und diesen Briefumschlag zu öffnen und die Texte zu durchstöbern, das hatte etwas von Entdeckungsreise.

Ich bin ja davon überzeugt, dass man sehr interessante Dinge über seine Schüler herausfinden kann in kreativen Schreibaufgaben, die möglichst offen und themenungebunden formuliert werden - so kann jeder bewusst oder unbewusst Einiges von sich in diesem Brief mitteilen. Ein paar der Nachrichten möchte ich hier posten, weil sie so richtig schön programmatisch für diesen Kurs sind und mich zum Strahlen gebracht haben (wie natürlich auch alle hier nicht abgebildeten Briefe).



Da war zum Beispiel eine Rückmeldung zum Spielprojekt dabei; das hat mich gefreut, allerdings bin ich bei sowas immer lieber etwas zurückhaltend, mit dem Gedanken "Wartet lieber, bis wir damit durch sind, vielleicht geht das in eine für Euch blöde Richtung" - und trotzdem tut es gut, sowas zu lesen!



Das hier dürfte der enigmatischste Brief gewesen sein; Handschrift kombiniert mit Textknappheit lassen vielleicht Rückschlüsse auf autistisches Verhalten zu? Natürlich habe ich gerätselt, was es wohl mit dem riesigen Auge am Himmel auf sich haben könnte - die Antwort kam eine Weile später; die Kiddies konnten in Grüppchen bis zu drei Schülern zusammenarbeiten und mein BrainSquad hat sich zusammengetan - drei Schüler des Kurses, die allesamt sehr faszinierende (weil ungewöhnliche) Hirnstrukturen haben. Einer hat dieses Bild gemalt, im zweiten Stand im Brief unter anderem der Satz "we are watching you ALWAYS", ob das eine Anspielung an George Orwell war? Und Nummer drei in diesem Team hat dann folgenden Brief geschrieben, eine interessante Variation eines Genesungswunsches:




Eine der stärksten Schülerinnen des Kurses hat einen anspruchsvolleren Brief erstellt (oben), als ich ihn in einer neunten Klasse erwartet hätte - wobei abzusehen war, dass sie sich die Aufgabe etwas herausfordernder gestaltet. Ich war jedenfalls beeindruckt!

Darüber hinaus gab es auch Poesie mit Augenzwinkern und einen kleinen Cartoon, so dass dieser Brief insgesamt wie eine Wundertüte war und mir viel gedankliches Reisegepäck für die Meditation mitgegeben hat. Großartig! Hoffentlich kann ich bald wieder in die Schule und ihnen persönlich dafür danken ;-)




Mittwoch, 24. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 4


Kapitel 4 - Das richtige Spiel

Eigentlich ist der Titel irreführend, weil er suggeriert, es gäbe das richtige Spiel für so ein Projekt. Ich habe sieben Jahre lang überlegt, was sich anbieten könnte, und bei vielen Spielen, die ich in dieser Zeit gespielt habe, überlegt, ob das etwas für eine Lerngruppe sein könnte. In der Zeit habe ich mir eine Art Checkliste zurechtgelegt, mit Kriterien, die das Spiel erfüllen sollte.

Mir ist wichtig, dass (möglichst) niemand das Spiel schon kennt. Das Kriterium gilt auch bei allen Filmen oder Serien, die ich meinen Schülern zeige. Meine Überlegung dabei ist, dass die Schüler sich eher zurücklehnen und "berieseln" lassen, wenn sie den Inhalt des Gezeigten schon kennen, und das wäre fatal: Ich brauche ihre Aufmerksamkeit, sie müssen mit ihren Gedanken vorne auf der Leinwand sein und wirklich das verstehen wollen, was da auf Englisch gesagt wird. Auf diese Weise ist es für das Gehirn leichter, sich neue englische Wörter und Phrasen einzuprägen. Außerdem besteht immer die Gefahr, dass jemand wichtige Entwicklungen der Geschichte schon vorher verrät, wenn er die Story schon kennt. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass die Schüler sich selbst "spoilern", wenn sie im Internet nachschauen, was passiert - aber dann läge das in der Verantwortung jedes Schülers selbst, wohingegen sie keine Wahl haben, wenn ein Mitschüler ihnen alles verrät.

Wenn ich ein Videospiel wähle, das möglichst vielen der Gamer in der Klasse gefällt, gibt es ein Problem: Die Mehrheit favorisiert First Person Shooter. Kommt für mich nicht in Frage, mit Schülern ein Spiel zu spielen, in dem man - egal aus welchen Motiven! - herumläuft und andere Menschen tötet. Da diskutiere ich gar nicht erst, ebensowenig bei Fifa oder anderen Sportspielen, Autorennen und so weiter, denn:

Das Spiel muss einen einigermaßen komplexen Plot haben. Ich brauche etwas, was die Aufmerksamkeit der Schüler nach den fünfundvierzig Minuten Unterricht eine Woche lang gespannt hält bis zur nächsten Stunde. Da muss etwas passieren auf dem Bildschirm, und nicht sauer sein: Bei Resident Evil passiert nicht viel (und trotzdem liebe ich die chronologisch ersten beiden Teile, und Autorennen und so weiter). 

Es spricht also alles für ein Adventure, ein Abenteuer, das oftmals nach klassischer Drei- oder Fünf-Akt-Struktur aufgebaut ist. Jetzt wiederum besteht die Gefahr, dass das Ganze zu langweilig für die Schüler mit kürzerer Aufmerksamkeitsspanne wird, und davon haben wir heutzutage ziemlich viele. Da muss also etwas auf der Leinwand passieren, was idealerweise alle interessiert, und es müssen wichtige Dinge in nicht allzu großem Abstand voneinander passieren.

Dann bleibt noch die ewige Frage des unterschiedlichen Interesses bei Jungen und Mädchen, das übrigens kein Klischee ist, sondern empirisch belegt. Sicher gibt es immer Ausnahmen, aber Jungen und Mädchen tendieren generell zu unterschiedlichen Spieltypen.  Jetzt wird es wirklich eng mit der Spieleauswahl, denn wie soll ich die Schüler alle mitbekommen nach den oben genannten Kriterien? Die Schüler da abholen, wo sie stehen, das ist einfach gesagt. Ein Videospiel finden, mit dessen Inhalten sich eine ganze Lerngruppe identifizieren kann?

Vor einigen Jahren habe ich ein Spiel gespielt, bei dem mir relativ schnell klar war, dass das etwas für Jugendliche ist. Protagonistin ist eine achtzehnjährige Schülerin, Max, die Fotografie studiert. Der Prolog des Spiel sieht Max in einem schrecklichen Sturm, in dem sie von einem Gebäudeteil erschlagen wird - aber es stellt sich als Traum heraus, und sie wacht direkt in einer Unterrichtsstunde bei ihrem Lieblingsdozenten Mr Jefferson auf. Ein Blick durch die Klasse und wir erkennen sofort altbekannte Schülertypen: Das Mauerblümchen, das von den anderen gemobbt wird, die reiche, modebewusste Bitch, die den typischen Digitalsprech verwendet, das verwöhnte, arrogante Einzelkind mit psychischen Problemen, es wird noch einen witzigen, verpeilten besten Freund geben und ein Mädchen mit Punk-Attitüde, das gegen alles rebelliert.

Es dauert nur eine Viertelstunde, bis bereits ein dramatisches Ereignis eintritt, und damit verrate ich noch nicht zu viel: Auf der Schultoilette nach der Unterrichtsstunde zieht der verwöhnte Junge eine Waffe und erschießt das Punk-Mädchen, und Max muss das aus einem versteckten Winkel mitansehen. Und in diesem Moment entdeckt sie, dass sie die Fähigkeit hat, Dinge ungeschehen zu machen... 

Wir haben hier diverse Genres vermischt, Teenagerdrama, LGBTQ, Science Fiction, Thriller, Romanze. Es werden sehr harte Themen angepackt, und deswegen ist in den ersten Stunden umfangreiche Aufklärungsarbeit nötig: Kindesmissbrauch, Drogenkonsum, häusliche Gewalt, Suizid. 

Das ist der Punkt, der mir immer noch ein bisschen Sorge bereitet. Das Spiel bemüht sich um einen ordentlichen Entfremdungseffekt, aber es gibt einige Szenen mit Triggerfunktion für labile Schüler, und deswegen muss klar sein, dass die Schüler jederzeit ohne Angabe von Gründen den Hörsaal verlassen dürfen, dass ihnen jederzeit ein Gesprächspartner zur Verfügung steht, und als Spielleiter muss ich vor besonders intensiven Szenen vorwarnen, denn was nützt es, ein Spiel spoilerfree zu halten, wenn dafür ein jugendliches Trauma reaktiviert wird?

Es gibt nicht das richtige Spiel - aber ich denke schon seit längerer Zeit, mit Life Is Strange (2015) könnte dieses Experiment funktionieren; die erste Stunde hat gezeigt, dass sehr viele Schüler auf diese Reise mitgenommen werden. Jetzt musste ich mir nur noch die konkrete Durchführung zurechtlegen.

Fortsetzung folgt...

post scriptum: Ihr seid herzlich eingeladen, eine Diskussion in den Kommentaren zu starten, gerade zum "subject matter" des Spiels. Alle Leser der Kommentare seien an dieser Stelle gewarnt, dass es dort starke Spoiler geben kann (und wird).

paulo post scriptum: Wie aufregend, heute ist tatsächlich ein großer Brief von meinem Kurs in Neun angekommen! Gleich auspacken, lesen, verarbeiten. Freude, trotz krank!



Dienstag, 23. November 2021

Lieber Gott, mach' mich hetero!


Ich habe ab und an mit Lerngruppen den Film But I'm a Cheerleader! (1999) geschaut, eine Satire auf Sexualitäts-Konversions-Therapien in den USA. Großartiger Film, knallbunt, und ich frage die Schüler danach gern, ob das ein realistischer Film ist oder nicht. Nein, heißt es dann, natürlich ist das nicht realistisch, das ist doch Schwachsinn! Und dann mache ich den Schülern klar, dass da ein Korn Wahrheit drinsteckt, denn diese Therapien gibt es in Amerika (und anderswo) tatsächlich. Und ich erkläre ihnen, dass diese Satire das alles natürlich vollkommen übersteigert darstellt.

Offensichtlich ist das gar nicht so sehr übersteigert, wie ich heute gelernt habe. Auf Netflix ist eine Dokumentation zu dem Thema erschienen - Pray Away (2021), und ich realisiere, dass der Kinofilm schon sehr nah an der Realität war. Ein Beispiel:

Um die schwulen Jungen zu normalisieren, sollen sie einen heterosexuellen Lifestyle pflegen, dazu gehört natürlich, dass sie sich für Automechanik interessieren und American Football spielen. Bei den lesbischen Mädchen sieht der richtige Lifestyle so aus: Geschirr spülen, Teppich reinigen und so weiter. Diese Szenen habe ich immer als vollkommen übersteigert verstanden, heute habe ich gelernt, dass es solche Maßnahmen tatsächlich gab: Jungen sollten bei'm Football eine andere Art Freundschaft untereinander kennenlernen - und für die Mädchen gab es Make-Up-Sessions.

Das klingt gruselig - und ist es auch! Ich bin über diese neue Doku ziemlich froh, denn jetzt kann ich in einer Oberstufe in einer Unterrichtseinheit zuerst den Film schauen und bearbeiten und dann mit der Doku unterfüttern. Ich kann beides nur empfehlen, sowohl den Film als auch die Doku. Zwei schöne Blickwinkel auf die Ex-Gay-Bewegung in den USA (die es auch heute noch gibt, man sollte es nicht glauben).

Montag, 22. November 2021

Folgebescheinigung

Momentan Dauerplatz

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mir irgendwann schon einmal eine AU-Folgebescheinigung vom Arzt abholen musste. Gibt für alles ein erstes Mal; ich bin die ganze Woche krankgeschrieben, bis das Antibiotikum aufgebraucht ist. Hoffentlich hat sich mein Zustand dann verbessert.

Das heißt, ich sollte mir wirklich etwas für meine Schüler überlegen. Vielleicht bitte ich meinen Kurs in Sieben, dass sie mir Briefe auf Englisch schreiben und darin möglichst einige Adjektive und Adverbien verwenden (ist gerade Thema). Vielleicht können sie die Briefe dann ja alle in einem großen Umschlag an meine Adresse schicken.

Was mache ich mit meinem MSA-Kurs in Zehn? Da ist eigentlich nur angebracht, eigenständig sich alte Prüfungen im Internet anzuschauen, daran zu arbeiten. Neun? Auch das mit den Briefen, denn von denen brauche ich noch mehr text production. Acht? Meine elf Leutchen in Acht... die vermisse ich wirklich, habe heute in der Schule zwei Mädels getroffen und ihnen gesagt, dass wir uns wohl erst nächsten Montag wiedersehen. Vielleicht auch Briefe.

Das ist alles extrem unkreativ, I know, aber ich bekomme den Kopf gerade nicht frei für inspirierte Vertretungsstunden -.- Hier sind damit weiter Videospiele, Filme, Kühlpack und Schlafen angesagt. Ich wünsche Euch einen etwas besseren Start in die Woche!

Freitag, 19. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 3


Kapitel 3 - Dafür

Trotz aller berechtigten Argumente gegen ein Videospiel im Unterricht glaube ich daran, dass es einen positiven Effekt haben wird. Das fängt an bei der Präsentation des Spiels in Englisch. Englische Sprachausgabe, englische Untertitel und englische Menütexte - soweit eigentlich genau wie jeder englische Film, den ich mit Schülern schaue. Videospiele gehen allerdings einen Schritt weiter.

Ich habe hier im Blog schon einmal darüber berichtet, als es um survival horror ging, konkret um Project Zero 2: Crimson Butterfly, eines der unheimlichsten Videospiele, die ich bisher spielen durfte. Dort hatte ich den Vergleich gezogen mit Horrorfilmen: Bei einem Film sitzt man als passiver Zuschauer vor der Leinwand, man wird beschallt, mit Effekten übergossen, mit unheimlichen Szenen überschüttet, man ist zwar wehrlos, aber zur Not kann man sich immer noch die Augen zuhalten und warten, bis die gruselige Szene vorbei ist.

Ein Videospiel ist da etwas anders, denn ich kontrolliere (in der Regel) den Protagonisten. Ich stehe vor einer knarzenden Tür, und dahinter ist es dunkel. Ich weiß, dass da gleich etwas Schlimmes passieren wird - aber ich kann nicht einfach stehen bleiben und die Augen zumachen und abwarten - denn von allein geht es nicht weiter. Ich selbst muss mich mit meiner Figur in die Gefahr wagen, um diese oder jene Ecke blicken, hier in den Schatten greifen, dort ein verfluchtes Objekt aufheben. Ich bin dadurch viel mehr eingebunden als bei einem Film. Ich werde nicht bespielt, sondern ich spiele selbst - Stichwort Immersion

Bezogen auf unser classroom experiment bedeutet das: Ich sitze als Lehrkraft vorn mit dem Controller in der Hand, aber ich mache nur das, was die Schüler mir sagen. Und wenn die Schüler mit einer Ansage zu lange brauchen, dann verpassen sie eben die Chance, einen Freund zu retten. Oder sie tragen mit ihrer Entscheidung dazu bei, dass eine Stadt zerstört wird. Indem die Schüler Verantwortung für ihre Aktionen und deren Konsequenzen nehmen, sind sie bei'm Videospiel viel involvierter, als sie es bei einem Film oder einer Serie je sein könnten. Auf diese Weise prägt sich das Erlebte viel stärker im Gehirn ein - und die erste Unterrichtserfahrung bestätigt mir das: Der Kurs ist viel grundaufmerksamer und aktiver am Geschehen beteiligt, und zwar eben nicht nur die "Jungs, die sich ja sowieso mit Videospielen auskennen."

Mal abgesehen von den heteronormativen Hintergründen einer solchen Aussage muss es das Ziel dieses Unterrichtsversuchs sein, alle Schüler einzubinden. Ich muss ein Spiel finden, dass gleichermaßen Jungs und Mädchen anspricht - und ich fand es bemerkenswert, dass in einer Lerngruppe alle Anweisungen und Kommentare in der ersten Stunde von den Mädchen kamen.

Womit wir wieder zurück bei'm Punkt der Spracharbeit wären; die rezeptiven Fähigkeiten sind oben schon erwähnt worden - es gibt viel zu lesen und viel zu hören. Als Spieler mit dem Controller in der Hand akzeptiere ich allerdings nur Handlungsanweisungen auf Englisch. Die dürfen gebrochen sein, grammatikalisch nicht perfekt, Vokabeln etwas verdreht, das ist mir alles egal, solange ich verstehe, was der Schüler mir mitteilen will. Und wenn es dazu führt, dass auch diejenigen etwas sagen, die sich sonst im Unterricht eher still verhalten, umso besser! 

Das ist anders als in einer normalen Unterrichtssituation - "Describe the picture." - "Comment on the statement." - blablabla. Hier entsteht der Sprechimpuls aus dem, was auf der Leinwand gezeigt wird, und dem Wunsch, die Situation der Spielfigur zu beeinflussen. Intrinsische Motivation als Sprechanreiz ist - zumindest meiner Meinung nach - wesentlich besser als die oft zu gestelzten Arbeitsaufträge des Englischunterrichts, wie wir sie im Referendariat mitunter gelernt haben.

Bleibt noch die produktive Schreibarbeit, und wenn man sich das richtige Videospiel ausgesucht hat, sollte es kein Problem sein, Schreibaufträge abzuleiten, die sich mit den Anforderungen des ESA oder MSA decken. Anfangs entlasse ich die Schüller aus der Stunde mit einem einfachen Auftrag: "Write a diary entry about today's English class." Hier gibt es kein inhaltliches Richtig oder Falsch, hier können sie einfach drauflos schreiben, und gleichzeitig sammle ich damit schon erste Eindrücke für eine spätere Evaluation des Unterrichtsversuchs. Wer möchte, kann mir die Texte dann im Unterricht abgeben oder per Mail zuschicken, und natürlich geht das in die Note der Unterrichtsbeiträge ein. Gleichzeitig kann ich bei von den Schülern wahrgenommenen Mängeln auf diese Weise frühzeitig entgegensteuern und das Unterrichtsformat abwandeln, falls nötig.

Eigentlich klingt das alles geil: Rezeptive und produktive Spracharbeit, mündlich und schriftlich, entstehend aus einer intrinsischen Motivation der Schüler. Allerdings muss für eine solche Situation das Medium stimmen: Ich brauche das passende Videospiel. Es muss Schüler und Schülerinnen ansprechen, intro- wie extrovertierte, verteilt über das ganze kognitive Spektrum. Es muss... ja, was eigentlich? Soll ich einfach mein Lieblingsspiel nehmen?

So einfach ist es mal wieder nicht.

Fortsetzung folgt...

post scriptum: Die große Buba, falls Du das liest und Du an der Geschichte der Videospiele interessiert bist, gibt es auf Netflix eine Dokuserie "High Score" (2020). Nerd-Heaven ;-)

Mittwoch, 17. November 2021

Epididymitis


"Man spricht da nicht gern drüber. Deswegen ist das nicht so bekannt, auch wenn es recht häufig auftreten kann."

Dann wollen wir doch mal etwas gegen das Nicht-drüber-Sprechen tun und ein bis drei Worte über die Nebenhodenentzündung verlieren. Das kann einem nämlich schon ein bisschen Angst machen.

Am Anfang tut es im Schritt weh, so, als hätte jemand mir zwischen die Beine getreten. Mein Kopf sagt sich dann wieder, joah, kommt vor, geht wieder weg, ich kümmere mich nicht weiter drum. Fehler - aber dazu später. Am zweiten Tag bemerke ich, dass der Schmerz immer noch da ist, aber ich rede mir ein, dass es schon weniger schlimm ist als am Tag zuvor, und wirklich schlimm ist es ja eh' nicht. Nur wenn ich mich hinsetze, muss ich ein wenig aufpassen, sonst tut es weh. 

Immerhin gehe ich schon einmal vor den Spiegel und schaue mir an, was da los ist. Interessant, das sieht aus, als ob der rechte Hoden ein bisschen geschwollen ist. Ich traue meinen Augen aber oft nicht, und deswegen taste ich da unten alles ab und realisiere, dass der rechte Hoden fast doppelt so groß ist wie der linke. Okay, wenn es morgen noch so ist, dann könnte ich ja mal bei einem Urologen anrufen. 

Zumindest sagt mir das Internet das. Genau genommen sagt es mir, dass ich schon sofort zum Arzt hätte gehen sollen. Wenn man das bei einem Jugendlichen bemerkt, sogar sofort den Notarzt rufen, denn es gibt da mehrere mögliche Diagnosen, von denen die Epididymitis die harmloseste ist, eine Bakterieninfektion, die mit einem Antibiotikum und Ruhe behandelt werden kann.

Andere Möglichkeiten wären eine Hodentorsion (Verdrehung), die schnell behandelt werden muss, da sie ansonsten Unfruchtbarkeit nach sich ziehen kann. Wenn eine Schwellung ganz ohne Schmerzen vorliegt, dann könnte es richtig unangenehm werden - dann könnte ein Karzinom vorliegen. Hodenkrebs. Sofort operieren. Klar, das Internet eröffnet mir diese Möglichkeiten, aber Sicherheit kann ich erst bekommen, wenn ich das von einem (Fach-)Arzt abtasten lasse. Sich selbst im Internet zu diagnostizieren ist shayze. 

Also bin ich heute zum Schulentwicklungstag gefahren und habe dann in der Frühstückspause bei einer urologischen Praxis angerufen; die waren leider wegen Krankheit selbst vollkommen ausgebucht, haben mir aber andere Namen genannt und auch den Tipp gegeben, erstmal bei'm Hausarzt vorzusprechen, der vielleicht schon eine Entzündung feststellen und ein Antibiotikum mitgeben kann.

Also mal wieder bei Evi entschuldigt und direkt zu Britz nach Kronshagen, eine Stunde mit National Geographic im Wartezimmer, dann schaut Britz sich das an, tastet es auf alle möglichen Arten ab, um den Schmerz zu lokalisieren und die Art festzustellen. Am Ende gehe ich mit dem Begriff Epididymitis, einem Rezept für Doxycyclin und einer AU für den Rest der Woche nach Hause. Ruhe halten, nicht viel gehen, auf die richtige Unterwäsche achten.

Ich bin jetzt etwas schlauer, und als Aspi hat man nicht so wirklich Probleme, über so etwas zu sprechen; ist doch gut, wenn auch andere Menschen aufgeklärt werden, oder?

Liebe Eltern, macht Euch bitte keine Sorgen! :-) 

post scriptum: Eben im "Schleswig-Holstein-Magazin" wurde kurz über die "Gorch Fuck" gesprochen. Herrlich.

Montag, 15. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 2


Kapitel 2 - Dagegen

Eigentlich gibt es viel zu viele Argumente dagegen, ein Videospiel im Unterricht zu machen. Im Referendariat ist explizit davon abgeraten worden. Und warum?

De facto geht dafür eine Englischstunde pro Woche drauf. Die könnte man viel sinnvoller nutzen, zum Beispiel mit Grammatikübungen, Sprechtraining, Textproduktion, Vokabeltests. Überhaupt heißt es dann gern, dass ein Videospiel nichts mit Englisch zu tun hat, es finde viel zu wenig Spracharbeit statt. Und selbst wenn man versucht, auf Englisch über das Spiel zu sprechen, werde doch noch zu viel Deutsch gesprochen (was eine interessante Theorie ist angesichts des Umstands, dass jene fearmongerer noch nie Videospiele im Unterricht behandelt haben).

Dann wird angeführt, dass Ballerspiele im Unterricht nichts zu suchen haben. Das sollen die Jugendlichen in ihrer Freizeit machen, heißt es. Gewalt hat auf der Leinwand in der Klasse nichts zu suchen, und interessanterweise gibt es tatsächlich Menschen, die zu meinen scheinen, dass es nur Baller-Videospiele gibt, in denen sich Menschen abschlachten. Dazu gehört auch, dass viele Videospiele eine Freigabe ab 16 oder 18 haben - und dass viele Schüler der Auffassung sind, dass Spiele ab zwölf oder jünger nicht besonders aufregend sein können. Oder sollte es etwa Videospiele geben, die all' diesen Anforderungen genügen? In welchem Jahrgang kann ich das überhaupt machen?

Soll der Plan sein, ein Videospiel komplett durchzuspielen? Das kann ewig dauern; möchte ich wirklich ein halbes oder ganzes Schuljahr lang jeden Freitag für's Daddeln opfern? Und muss ich alle Schüler verpflichten, an dem Spiel teilzunehmen? Läuft man nicht Gefahr, dass einige Schüler sich währenddessen wieder mit ihrem Handy beschäftigen? Und dass es wieder einige Spezialisten gibt, die das Spiel mit Spoilern versauen werden? Muss ich das Risiko eingehen, dass einige Themen des Spiels zu intensiv für labile Schüler sind? Dass sich das dann vielleicht in Alpträumen oder Weinkrämpfen äußert?

Die technische Ausstattung der Klassenräume ist sowieso noch nicht weit genug fortgeschritten, das wird man nur in Computerräumen machen können, und die sollen doch lieber für den Informatikunterricht genutzt werden. Soll ich meine eigene Spielkonsole mitbringen? Was ist, wenn sie beschädigt oder geklaut wird? Darüber hinaus dauert es doch ewig, das alles erst anzuschließen, hochzufahren und einzurichten. Wie soll ich das in der kurzen Pause vor der Stunde leisten können, zumal ich da auch noch Pausenaufsicht habe?

Will ich mir wirklich den Stress antun, erstmal bei der Schulleitung um Erlaubnis zu bitten? Die werden das doch eh' nie zulassen. Und dann einen Elternbrief aufzusetzen und von den Eltern die Erlaubnis einzuholen, dass ihr Kind diesem Videospiel ausgesetzt werden darf. Möchte ich wirklich empörte Anrufe und Mails der Eltern erhalten, die mich dann runterziehen, so dass ich das Projekt gleich wieder einstampfe? Außerdem ist es scheiße, wenn man mit einer solchen Aktion Schüler gegen die Kollegen aufbringt: "Warum darf die 9c das machen und wir nicht?" - "Unfair, bei Dr Hilarius spielen die Videospiele!"

Wie soll dieser Unterrichtsversuch überhaupt dokumentiert und vor allem evaluiert werden? Einzig durch eine Klassenarbeit, die inhaltlich auf das Videospiel zurückgreift? Rückmeldungen der Schüler werden sowieso keine Mängel aufzeigen, die freuen sich einfach nur, dass gedaddelt wird; ein zynischer Blick auf Schüler an sich, leider aber durchaus bei dieser oder jenem Kollegen vertreten ist.

Es spricht wirklich so gut wie alles dagegen, Videospiele im Unterricht zu behandeln.

Fortsetzung folgt...

Freitag, 12. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 1


Kapitel 1 - Die Vorgeschichte

Ich weiß nicht, wie es Euch so geht, liebe Lehrkräfte, aber bei Vielem, was ich so erlebe, frage ich mich direkt "Kann ich das irgendwie in meinem Unterricht verwenden?" - besonders, wenn ich es toll finde. Immerhin, ein Zahn ist mir schon früh gezogen worden: Was ich toll finde, finden Schüler deswegen nicht auch gleich super. Menschen sind eben unterschiedlich. Während meines Studiums habe ich überlegt, ob ich eine Serie im Unterricht zeigen könnte - das war sozusagen die Geburt des Are You Afraid of the Dark-Projekts. 

Irgendwann im Referendariat muss die Idee aufgekommen sein, einen Schritt weiter zu gehen. Allerdings noch klein und unauffällig, denn das Referendariat hat mich gelehrt, keine Unterrichtszeit für Filme oder Serien draufgehen zu lassen, das ist alles kostbare Zeit, da wollen wir von Videospielen gar nicht erst anfangen. Und wenn ich dann darüber nachdenke, was ich an manchen Schulen schon für erzürnte Eltern hatte; das ist dann die Schattenseite des "Serie im Unterricht schauen": Gerade an einem Gymnasium - und erst recht an einem Elite-Gymnasium - kommen dann an einem Elternsprechtag erzürnte Mütter vorbei und erzählen mir, wie ich meinen Englischunterricht zu machen habe. Wenn sie dann selbst auch noch Englischlehrerin sind, umso schlimmer. Und das war vor Jahren, als ich noch sehr frisch im Schulsystem war, kein dickes Fell und leicht zu beeindrucken. 

Serien im Unterricht? Habe ich an den Gymnasien nicht wieder gemacht, und an der Berufsschule gar nicht erst daran gedacht. Der Lehrauftrag ist eben ein anderer, das muss ich akzeptieren. Umso deutlicher öffnete sich dann für mich eine Tür mit Lerngruppen, die keinen Bock auf Schule hatten. Da sitzen dann zwischen elf und achtundzwanzig Schülern, hochpubertär, keinen Bock auf gar nichts und erst recht nicht Englisch, denn das braucht man später eh' nicht, und dann auch noch der komische neue Lehrer an der Schule. Immer wieder erlebt - in St.Peter-Ording, in Neumünster, auch jetzt an der Toni. Das ist genau die Art Schüler, bei der jener Leitsatz aus dem Referendariat im Kopf wieder aufleuchtet. Bis zum Erbrechen gehört, immer und immer wieder, und in den Lehrproben natürlich versucht zu zeigen.

"Die Schüler da abholen, wo sie stehen."

(Die große Buba holt dat aber so vor, wie sie dat braucht.) Klar, der Satz ist eine Form von Phrasendrescherei, aber mit diesen Kids in schwierigen Situationen ist das einfach mal die goldene Regel: Finde den Zugang zu ihnen. Schau' sie Dir an! Im Englischen gibt es den Ausdruck "See them!" Und seit St.Peter-Ording habe ich GenZ (oder meinetwegen auch die Digital Natives) kennengelernt. Und in SPO habe ich zum ersten Mal das AYAOTD-Experiment gemacht. Als ich denn gesehen habe, wie gut das funktioniert hat, und wie einige Eltern tatsächlich davon begeistert waren, sind plötzlich wieder die Videospielgedanken in meinen Kopf zurückgekommen - denn ich liebe gute Videospiele.

Und so habe ich also fast sieben Jahre lang darüber nachgedacht: Wenn ich ein Videospiel mit Schülern würde machen wollen - welches nähme ich denn bloß? Welche Klassenstufe? Kann ich das überhaupt verantworten? Ich habe sieben Jahre lang ernsthaft gezweifelt - und an Schulen unterrichtet, an denen solch' ein Unterrichtsexperiment absolut tabu gewesen wäre; die Kieler Gelehrtenschule oder die Jungmannschule in Eckernförde und auch das Berufsbildungszentrum Plön hätten das (zu Recht?) niemals zugelassen. Sieben Jahre lang hin und her überlegen. Von einer Schule an die nächste wechseln. Und dann an der Toni landen, wo man ausprobieren darf. Und so kam es dann, wie es kommen musste.

Heute hatte ich in einer neunten und einer zehnten Klasse meine erste Videospielstunde.

Hier geht es zu Kapitel 2

Donnerstag, 11. November 2021

Eine etwas andere Black Story


vorweg: Ich habe im Internet neben den Klassikern ("Romeo und Julia tot auf dem Boden, Teppich nass" - "(Albatross- oder) Leguansteak" - "Schachspiel, der Gewinner erschießt sich" und so weiter...) eine Black Story gefunden, die ich noch nicht kannte und die richtig gut klingt. Ich muss sie mal mit einer Klasse ausprobieren. Wichtig ist, dass man das mit einer Lerngruppe macht, die schon einige Black Stories gelöst hat und das Prinzip kennt!


The Cave - an unusual situational puzzle

A woman enters a cave and sings a loud song. She then picks up an object and dies. Why? 

(scroll down for the solution)


















The solution: There is no solution to this story. You answer every question alternating between YES and NO. At some point one of the students may realize this pattern - but by then you will have heard some amazing theories and stories. That is the objective of this story: Let the students be as creative as possible; there is no end to this and you can have lots of fun. 

Mittwoch, 10. November 2021

Die Ablehnung


Das Problem: Eine Physikstunde muss vertreten werden.

Der Plan: Ich mache eine Englischstunde, tell me about your internships, and then we'll do a situation puzzle (=Black Story).

Die Realität: Wir reden über das Geldverdienen. Wieviel Geld verdient man eigentlich so? Was bedeutet brutto und netto? Wo geht das abgezogene Geld überall hin? Wie bekommt man überhaupt Arbeit? Wieviel verdient Dr Hilarius? Was ist Arbeitslosengeld? Kann Dr Hilarius an der Schule bleiben?

Also habe ich wieder mein Bild mit den Kreisen (=Planstellen einer Schule) herausgeholt und den Schülern erklärt, dass ich als Unfallvertretung für Frau Rogenweg (Frau R) eingesprungen bin und eigentlich erstmal nur ein halbes Jahr bleiben sollte.

Das ist interessant, denn ausgerechnet aus der heutigen Klasse hatte ich damals einige Schüler in meinem Englischkurs, und ich weiß noch ziemlich gut, wie sehr ein paar von ihnen mit Ablehnung auf mich reagiert haben (weil Frau R besser ist). Heute sieht das anders aus; Frau R ist immer noch toll, aber ich bin an der Schule ein bisschen bekannter und ausgerechnet die Schüler, die damals stark geblockt haben, haben sich heute im Unterricht beteiligt. The times are a'changin', und ich habe das gleich für eine Lehrstunde genutzt und die Bewerbung an der Toni vor sieben Jahren ausgepackt.

Ich hatte damals im Blog darüber geschrieben, dass ich keinen Erfolg mit der Bewerbung hatte. Der Schulleiter meinte damals zu mir "Werden sie mal konkret.", als ich ihm erzählt habe, dass ich eine ungewöhnliche Lehrkraft bin. Und das konnte ich dann nicht. Im Nachgang klassisches Asperger-Symptom - etwas Hypothetisches nicht genau ausmalen können. Deswegen bin ich nicht vor sieben Jahren an die Toni gekommen, sondern erst vor zwei Jahren aus einer Not heraus.

Weil man mir erstmal mit Ablehnung oder zumindest reserviert begegnet. Fast immer. Deswegen habe ich keine Chance in Auswahlgesprächen auf Planstellen an unbekannten Schulen, das Lied habe ich hier schon oft genug gesungen. Worum es mir geht: Ich konnte anhand dieses Beispiels den Schülern gut zeigen, wie das ist mit ersten Eindrücken, Oberflächlichkeit, Offenheit und verpassten Chancen.

War eine tolle Physikstunde!

Dienstag, 9. November 2021

Ich wiederentdäcke Knäcke


Immer wieder interessant, was so alles bestimmte Erinnerungen an die Kindheit triggern kann - zum Beispiel, wenn man sich den Magen verdorben hat: Als Schonkost gilt Zwieback oder besser noch Knäckebrot, und ich stehe vor dem Knäckeregal im Supermarkt und fühle mich angesichts Wasa in's Haus meiner Oma zurückversetzt. 

Meine Oma hatte in der Küche immer mindestens eine Dose mit Knäckebrot; vielleicht ist das noch aus der Zeit der Flucht geblieben - immer etwas dazuhaben - denn es hält sich ewig. Und ich habe, wenn ich meine Oma besucht habe, immer diese Dose gesucht und Knäckebrot gegessen. Ohne Aufstrich und Belag, weil ich den Geschmack von Knäcke pur so gern mochte. 

Das ist auch heute noch so, ich mag diese krachenden Scheiben mit dezentem Roggen- oder Vollkorngeschmack. Und wenn es gesund ist, umso besser. Dazu noch ein kleiner Tablettencocktail bei Bedarf gegen Übelkeit, Magenkrämpfe oder Durchfall - kann nur besser werden.

Woher das kam? Von schlechtem Sushi, da bin ich mir sehr sicher. Normalerweise esse ich es sofort, aber das hier dürfte ein paar Tage im Kühlschrank gestanden haben. Kommt davon, wenn man planlos Nahrungsmittel einkauft, also findet sich in dieser Anekdote ein Hauch von Asperger pur wieder.

Und falls die große Buba das liest: Nein, es lag nicht an meiner Schimmelmelone, die munter durch den Kühlschrank gewandert ist. Das Teil ist inzwischen komplett entseucht. ;-)

Sonntag, 7. November 2021

Filmgenuss mit Botschaft

Szene aus Candyman (2021)

Ein Film, der die Effekte der Gentrifizierung sozial schwächerer Viertel amerikanischer Großstädte aufzeigt. Ein Film, der Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern anprangert. Der in der Kunstszene spielt. Der selbst künstlerisch ansprechend ist. Der seine Sozialkritik mit rabenschwarzem Humor verbindet. Der gender fluidity wie selbstverständlich zeigt und uns gleich zu Beginn ein interracial gay couple zeigt, das tatsächlich eine wichtige Rolle spielt. Für mich klingt das wunderbar. Oh, und es ist ein Horrorfilm. Und so viel mehr.

Das verwundert nicht, wenn man sich anschaut, wer dahinter steckt - Jordan Peeles Monkeypaw Productions; der gute Mann hat uns mit Get Out und Us bereits zwei psychological horror films präsentiert, die sich mit racial injustice and the Black Experience in den USA auseinandersetzen. Diesmal handelt es sich um einen übernatürlichen Slasherfilm und Nia DaCosta hat Regie geführt. Dass es kein Standard-Slasher vom Fließband ist, zeigen die ersten zehn Minuten des Films: Die Auflistung der Produktionsfirmen verläuft etwas anders als üblich, und die opening credits zeigen uns eine Kamerafahrt durch soziale Wohnungsbauprojekte in den USA - konkret das Cabrini-Green - allerdings mit überkopf gehaltener Kamera, die die Hochhäuser nach oben filmt. Wenn man die vorbeigleitenden Wolkenkratzer betrachtet, deren Spitzen im Nebel verschwinden (gleichzeitig ein flashforward aus den Siebzigern in die Gegenwart), und dazu die abstrakte Musik hört - eindringlich-hypnotisierend, aber kein Ohrwurm - hat man eher das Gefühl, man schaut einen Science Fiction-Film mit in den Wolken schwebenden Gebäuden. Muss nicht extra erwähnt werden, dass ich mir die gesamte Sequenz wieder und wieder angesehen habe.

Und so geht es den gesamten Film über: Unkonventionelle Kameraarbeit und eine Regisseurin, die wenig Gewalt direkt zeigt (in den Mordszenen), aber über Musik und Geräusche mit unseren Vorstellungen spielt. Und sie gleichzeitig immer wieder überrascht: DaCosta liebt das Spiel mit der misdirection, der In-die-Irre-Führung: Man erwartet anhand bestimmter Kameraperspektiven dramatische Entwicklungen, aber sie enthält sie uns vor. Eine der Mordsequenzen erinnert an eine Einstellung aus dem neuen Halloween, in der die Kamera außerhalb des Hauses bleibt und durch die Fenster beobachtet, wie drinnen das Chaos ausbricht.

Horror in der Künstlerszene

Der Film ist definitiv auch durch George Floyd und sämtliche zeitgenössischen Enthüllungen amerikanischer Polizeigewalt inspiriert - die tagline des Films lautet nicht ohne Grund "Say his name!" Die deutsche Filmkritikerin Antje Wessels zieht folgendes Fazit: 

"In seiner stilistisch herausragenden Mischung aus abgebrühtem Killerfilm, Rassismusanklage und Psychodrama um einen von seiner Muse vereinnahmten Künstler ist „Candyman“ einer der besten Filme des Jahres und mit Sicherheit der Startschuss für eine spannende Karriere der Regisseurin Nia DaCosta."

Candyman | Wessels-Filmkritik.com

Ich freue mich schon, wenn im Dezember die Bluray veröffentlicht wird.

post scriptum: Wieder ein moderner Horrorfilm, der in der Künstlerszene veranlagt ist - das erinnert mich an die schwarze Horrorsatire "Velvet Buzzsaw" ("Die Kunst des toten Mannes") mit Toni Colette und Jake Gyllenhaal ;-) Aber der hier hat mehr zu sagen.

Donnerstag, 4. November 2021

Das Betriebskostenabrechnungsdrama


Es ist unglaublich schwer, sich runterzufahren, wenn einem verschiedene Blogideen in den Kopf schießen. Drei Möglichkeiten - ich könnte über einen wunderbaren Film schreiben, den ich gestern entdeckt habe und der intensiv nachwirkt. Ich könnte über - ach, wie praktisch, Nummer Zwei ist schon wieder aus meinem Bewusstsein verschwunden. Bleibt also der dritte Punkt: Das Betriebskostenabrechnungsdrama.

Ein Wort für das Glücksrad. Ich glaube, ich habe noch nie so lange auf eine Betriebskostenabrechnung gewartet wie in diesem Jahr; vor zwei Tagen ist sie dann gekommen, zusammen mit der Heizkostenabrechnung. Und ich habe die Briefe erstmal einen Tag ungeöffnet gelassen, denn - Schrödingers Katze grüßt: Erst wenn ich den Brief öffne, wird es unangenehm, vorher ist das alles unsicher.

In den letzten Jahren hatte ich da horrende Nachzahlungen; das lag daran, dass ich gegen einen ziemlich fiesen Neurodermitisschub regelmäßig medizinische Ölbäder machen musste. Dann hat die Sannitanic mich darauf hingewiesen, dass in der Neurodermitis-Szene Kokosöl sehr beliebt ist, und seitdem reicht es mit Duschen und danach den Körper mit Kokosöl behandeln. 

Und das zahlt sich jetzt aus, denn zum ersten Mal bekomme ich eine Rückzahlung der Betriebskosten, großartig! Auf der anderen Seite muss ich bei den Heizkosten ein wenig nachzahlen, aber das macht gar nichts. Fast nichts. Denn mich verwirrt die dämliche Abrechnungsmaschinerie von Vonovia und ihren Subunternehmen.

Brief Eins: Ganz toll, Sie haben zuviel Betriebskosten bezahlt, wir zahlen Ihnen etwas zurück und die Miete wird gesenkt von A auf B.

Brief Zwei: Sie müssen bei den Heizkosten noch etwas nachzahlen, infolgedessen wird die Miete erhöht von A auf C.

Ich hoffe wirklich, dass die das ordentlich miteinander verrechnen, und ich werde Anfang Dezember meinen Kontoauszug sehr genau studieren.

I hate Vonovia. 

Dienstag, 2. November 2021

Wir hatten etwas vor


...aber erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt. Zum Glück, möchte man in diesem Fall sagen. Ich habe mir gestern noch einmal Get Real (1998) angeschaut - immer dran denken, mit Deinen Schülern keine Sachen anzuschauen, die Du noch nicht oder lange nicht gesehen hast, die Erinnerung kann trügen! Der Film ist gut, das bleibt auch so, aber er ist für die heutige Jugend zu langsam. Die Kiddies sind heute an instant gratification gewöhnt, die (meisten von ihnen) halten so einen slow burn nicht durch. Also habe ich meinen Plan für heute geknickt.

Hat ja sicherlich auch etwas Gutes: Ich trainiere, spontan einen Plan zu ändern. nota bene: Es gibt Dinge, die man als Behinderter nicht trainieren kann, dazu gibt es demnächst auch eine kleine Allegorie hier. Ich habe heute also eine Alternative gemacht, die eigentlich idiotensicher ist - wir haben uns den MSA Zweitausendachtzehn vorgeknöpft, die rezeptiven Aufgaben, um den jungen Erwachsenen einen Eindruck davon zu geben, wie fit sie tatsächlich für die Abschlussprüfungen sind. So ein eye opener möglichst früh im Schuljahr kann sehr hilfreich sein: Plötzlich kommt die Panik in den Augen, plötzlich werden andere Sachen unwichtiger - Fitnessstudio, Parties, Videospiele, Rumhängen. Lernen ist angesagt, sonst endet man wie der Wiederholer.

Und ganz ohne Film ging es dann doch nicht, wir haben The 13th Floor (1999) gestartet, der bietet auch Diskussionspotential (es geht um das Leben als Simulation, ein Remake von Welt am Draht (1973), einer Romanverfilmung), und den kann ich in der nächsten Woche dann mit meinem Kurs abschließen und Schreibaufgaben dazu geben. Genau dieses Programm (mit einer black story anstelle des Films) gibt es morgen auch, Donnerstag nochmal, die Parallelklassen sind dran. Und endlich beginnt das Projekt der Neuorganisation des Toni-Jensen-Schularchivs!

Aber das ist eine andere Geschichte...

Montag, 1. November 2021

Wir haben etwas vor


Vorhabenwoche.

Ich denke, jeder kennt das irgendwie, sei es nun als Lehrkraft oder aus den Erinnerungen an die eigene Schulzeit, vielleicht auch unter dem Namen Projektwoche: Eine Woche, in der der Stundenplan außer Kraft gesetzt ist und auf andere Art und Weise gearbeitet wird. Das bietet viele tolle Möglichkeiten - aber wenn man sich nicht rechtzeitig ein gutes Konzept überlegt hat, könnte es eine thematisch schwammige Zeitverschwendung werden.

Ich habe keine eigene Klasse und bin somit als Springer verfügbar - zur Verstärkung oder bei Krankheitsausfällen, und eine Kollegin hat mich schon im Vorfeld gefragt, ob ich in ihrer Klasse nicht etwas Vorbereitung auf den MSA machen könnte. Gar kein Problem.

Problematischer wird es bei den anderen Einsätzen. Wenn ich nicht weiß, was ich machen soll, und wenn ich noch nicht einmal weiß, ob ich überhaupt etwas machen soll, werde ich panisch. Kurz gesagt: Diese Woche ist für mich ein Horror. Wenn ich frühzeitig mitgedacht hätte, hätte ich den Kollegen ab Klasse Neun einen zwei- oder vierstündigen Workshop Suchtprävention angeboten, aber wie ich schonmal geschrieben hatte, das muss auf nächstes Mal warten.

Eigentlich klingt das paradiesisch: "DrH, morgen gehst du von der zweiten bis vierten Stunde in die 10c, mach' mit denen, was du willst." Aber das ist fürchterlich, denn ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe heute zwei Stunden in Meditation verbracht, um mich auf etwas festlegen zu können, das hoffentlich allen Seiten gerecht wird:

Morgen gehe ich in die Klasse, frage, ob irgendjemand dort zur LGBTQIA+-Community zählt. Wir werden eine englische classroom discussion machen über die Situation von Jugendlichen, die sich ihrer Sexualität nicht mehr sicher sind; als Grundlage, quasi als Denkinput, schauen wir uns den Film Get Real (1998) an. Dort wird die Frage gestellt, ob man sich outen sollte, oder ob man lieber ein closeted life leben soll - ganz passend anhand einer Gruppe von Schülern, von denen einer offen schwul ist, ein anderer offen hetero - und dann funkt es zwischen ihnen, aber die Hete hat panische Angst davor, dass irgendjemand etwas erfährt. Klassische Geschichte.

Und um noch eine text production hinterherzuschieben, biete ich ihnen als Schreibübung an, einen comment zu folgendem Satz zu schreiben: "If you are not heterosexual, then you should keep it a secret." Das werden wir natürlich nicht alles in diesen drei Stunden schaffen - die Schreibaufgabe wird ein Rausschmeißer; wer möchte, darf mir seinen Text gern per Iserv zuschicken, ich korrigiere und bewerte ihn. 

Mittwoch gibt es ein anderes Thema, aber dazu morgen mehr. Wenn ich meine eigene Klasse hätte (bloß nicht!), dann würde ich diese Vorhabenwoche natürlich komplett durchorchestriert haben. Und das wäre vielleicht sogar toll. Aber so als Springer, ohne konkreten Einsatzplan, das ist für den Aspi echt unschön.