Dienstag, 27. Februar 2018

Wie "rechts" ist Dr Hilarius?

Man kann mir vieles nachsagen, aber das nicht, denke ich.

Seltsame Frage, denkt sich jetzt vielleicht die große Buba. Das denkt sich eventuell auch die Sannitanic, bastelt sich aber womöglich gleich einen Hintergrund zurecht, der zu dieser Frage führen könnte. Wer mich kennt, weiß die Antwort auf diese Frage. Also dürften es Menschen sein, die mich nicht kennen, und die mir rechtes Gedankengut zuordnen, und zwar auf der Grundlage dieses Blogs.

Genauer gesagt, entstehen solche Befürchtungen aus Beiträgen wie diesem. Ich habe einen Artikel über Leni Riefenstahl geschrieben, genauer über ihren Film Triumph des Willens. Das habe ich gemacht, weil ich Filmliebhaber bin. Ich sehe sehr gern Filme, und ich sehe sehr gern sehr gute Filme. Dass es sich um Propagandamaterial handelt, ist bekannt, ist aber für meine Wertung des Filmes irrelevant. Darüber hinaus habe ich genau beschrieben, wie ich mich beim Ansehen des Films gefühlt habe. Das alles ist Inhalt jenes Beitrags; wer ihn also gelesen hat, wird nicht auf die Idee kommen, dass ich mich damit auseinandergesetzt habe, weil ich rechtes Gedankengut verbreiten will - oder überhaupt nur, weil ich irgendwie "rechts" bin. Ich bin kein Björn Höcke, der rechtsnationalistische Gedanken in seinen Unterricht bringen könnte.

Nur gibt es bei diesem Artikel, wie überhaupt bei Allem, was ich hier der Öffentlichkeit preisgebe, zwei Probleme. Zum einen kann jeder Satz mit mehreren Lesarten versehen werden und nur in den seltensten Fällen gelingt es mir, so scheint es, Gedanken so vermitteln zu können, wie sie tatsächlich in meinem Kopf entstanden sind. Das Gute ist, dass ich dann regelmäßig Feedback bekomme und mich in anschließenden Diskussionen mit den unterschiedlichen Lesarten auseinandersetzen kann.

Dafür danke ich allen kritischen Lesern.

Das zweite Problem liegt darin, dass viele Artikel gar nicht erst gelesen werden. Sie werden auf das Vorschaubild und den Titel beschränkt - und viele meinten dann, sie wüssten, worum es geht. Kein Wunder bei einem Vorschaubild, dass das Hakenkreuz enthält, und einem Titel wie Mein erstes Mal mit Leni Riefenstahl. Auch wenn ich es gern wollte, ich kann nicht den Anspruch von Intelligenz an die Leser stellen: Ich selbst ertappe mich oft genug dabei, wie ich nur das Vorschaubild eines Artikels lese und mir schon eine Meinung bilde: Shame on me!

Es mag nicht oft vorkommen, dass eine Lehrkraft Blogger ist (vermutlich doch öfter, als ich denke). Aber das muss nicht heißen, dass das nicht möglich ist. Weder ziehe ich hier über meine aktuelle Schule her, noch gebe ich sensible Informationen (§25) wieder. Genau wie als Lehrkraft versuche ich, mit diesem Blog Aufschluss zu geben, aufzuklären, Verständnis zu erzeugen. Es ist nun einmal so, dass das nicht immer und in jedem Artikel sofort ersichtlich ist.

Ich könnte noch nicht einmal ehrlich auf die Frage antworten, ob ich nun eher "links" oder "rechts" bin - weil ich im Konzept politischer Spektren nicht bewandert bin. Ich müsste Menschen diese Frage beantworten lassen, die mich etwas länger kennen. Vielleicht würde solch' ein Mensch dann eher lachen und entgegnen: "Dr Hilarius ist so weit links, wie überhaupt möglich". Meine Ansichten, Standpunkte und Blickwinkel zu (mir) wichtigen Themen sind mit einem einzigen Klick über die Links sind Links-Leiste zu erreichen. Dort dürfte man dann fündig werden.

Es sei denn, man sucht Beweise einer rechten Gesinnung.

post scriptum: Gerade weil es viele Menschen gibt, die es sich einfach machen, den Blog um Inhalte reduzieren und sich allzu schnell ein Bild von mir machen, bin ich immer wieder froh über Menschen wie den Vater, der mir vor Kurzem dieses Gespräch beschert hat ("Weil ich mir immer gern selbst ein Bild von Menschen mache").

Montag, 26. Februar 2018

Ein Haustier

Wie wäre es mit Tardar Sauce a.k.a. Grumpy Cat?

Heute kurz und bündig: Eine der Fragen, die ich öfters höre, zielt darauf ab, ob ich ein Haustier besitze. Ich antworte dann, dass ich eigentlich gern eines hätte. Aus irgendeinem Grund kommen dann viele auf die Idee, dass ich doch bestimmt einen Skorpion, eine Vogelspinne oder eine Schlange haben möchte - und mit letzterem Tier liegen sie gar nicht so falsch.

Dabei hätte ich eigentlich so gern eine Katze. Ein eigenwilliges Tier, nicht zu einfach gestrickt, mit weichem Fell. Aber es spricht so Vieles dagegen: Meine Wohnung ist nichtmal im Ansatz katzengerecht. Überall stehen Sachen herum, die heruntergefegt werden können. Hier sind viele Dinge, die zerkratzt werden können. Hinzu kommt, dass ich - zumindest vor Jahren - auf Katzenhaare allergisch reagiere. Und am wichtigsten ist mir, dass ich es mir nicht einmal ansatzweise zutraue, für ein anderes Lebewesen so viel Verantwortung zu übernehmen. Ich sehe das schon kommen: Ich vergesse, sie zu füttern, ich denke nicht dran, zum Tierarzt zu gehen und was man noch so alles vernachlässigen kann. Das möchte ich keinem Haustier antun (und man hört ja immer wieder, wie viele Menschen sich ein Haustier zutrauen und dann völlig überfordert damit sind).

Ich bräuchte ein Tier, das nicht Aufmerksamkeit rund um die Uhr braucht. Pflegeleicht. Hinter dem ich nicht viel herräumen muss.

Warum schaffe ich mir nicht einfach einen Stein an?

Samstag, 24. Februar 2018

Können Schüler das begreifen?

Bitte lächeln!

Die Halsknickfrau.

Bei neunundneunzig Prozent der Leser erscheint ein Fragezeichen über dem Kopf, nur bei der großen Buba geht das Kopfkino gerade wieder auf Hochtouren. Ich wollte heute ursprünglich über den beliebten Topos Zwillinge in der Literatur schreiben. Als schönes Beispiel die Zwillingsschwestern im Videospiel Project Zero 2: Crimson Butterfly (woher auch die Halsknickfrau stammt), oder als bekannteres Beispiel den Film Die purpurnen Flüsse (2001). Mir wird nur gerade wieder bewusst, wie gern dieses Thema als Ausgangspunkt für diverse plot twists verwendet wird; ich spiele zur Zeit wieder besagtes Videospiel und "genieße" es in vollen Zügen (und zur Not auch in vollen Bussen).

Und dann schleicht sich, nicht ganz subtil, eines der beliebtesten Bedenken besorgter Eltern und Kollegen ein, wenn sie davon Wind bekommen, dass ich einen Blog führe. Natürlich wird mir auch immer wieder die Warnung mitgegeben, dass ich in diesem Blog ja wirklich sehr viel von mir preisgebe. Das ist ja auch richtig, ich verstehe nur das Problem nicht. Das Hauptanliegen besorgter Eltern ist allerdings immer wieder diese eine Frage, diese Befürchtung, wenn Schüler aus lauter Neugier diesen Blog finden und dort ein bisschen herumstöbern:

Können Schüler das begreifen?

Ich weiß noch sehr genau, wie meine erste Schulleiterin damals gesagt hat, dass man als Lehrer in seinem Unterricht weder Ironie, noch Sarkasmus oder gar Zynismus verwenden dürfe - es gab in Lehrproben sofort eine ganze Note schlechter (wobei die Noten für das Gutachten eh' nicht viel gezählt haben, a.k.a. nichts) - weil die Schüler solche Witze beim Wortlaut nehmen würden und den eigentlichen Sinn dahinter nicht verstünden.

In der Theorie kann ich dieses Bedenken nachvollziehen. Wenn ich aber meine Schüler bereits seit anderthalb Jahren unterrichte und sie meine Art kennengelernt haben und meine Aussagen einzuordnen wissen, dann bewerte ich die ganze Angelegenheit etwas anders. Tatsache ist, dass der Großteil meiner Schüler genau wegen solcher Sprüche, genau wegen dieses Humors, gern in meinem Unterricht sitzt. Ich finde es immer etwas einfach gedacht, wenn Schülern die Intelligenz abgesprochen wird, diese Sprüche verstehen zu können.

Und trotzdem ist an diesem Vorwurf immer wieder etwas dran. Immer wieder leiten Schüler einzelne Sprüche aus meinem Unterricht an ihre Eltern weiter, immer wieder erreichen besorgte Anrufe meine Schule. Immer wieder muss genau das erklärt werden: Dass die Schüler mittlerweile meinen Humor zu verstehen wissen. Mir ist bewusst, dass es bis zu dieser Fähigkeit eine gewisse Weile braucht. Deswegen versuche ich gerade am Anfang immer wieder, mich zurückzuhalten. Dennoch ist mein Gehirn manchmal zu schnell und mein Mundwerk zu lose. Ich bin eben auch nur ein Mensch.

Welche Optionen habe ich also? Soll ich den Schülern verbieten, meinen Blog zu lesen, oder auch einfach nur davon abraten? Wir sind Pädagogen genug, um zu wissen, dass das die Neugier nur noch weiter verstärkt und die Schüler gerade dann versuchen werden, Artikel zu finden, die vielleicht nicht für ihre Altersstufe geeignet sind. Genau aus diesem Grund habe ich mittlerweile beschlossen, den Blog von mir aus überhaupt nicht mehr anzusprechen. Irgendwann, das lehrt die Erfahrung, finden die Kinder ihn, und dann können wir darüber reden. Aber dass die Kinder diesen Blog lesen, ändert nicht viel an ihrer Haltung zu meinem Unterricht.

Es sind vielmehr die Eltern, die mich nicht persönlich kennen, die nur einzelne, dem Kontext entrissene Fetzen von mir mitbekommen, bei denen die Warnlampen angehen. Viele wenden sich besorgt an die Schulleitung - nur die wenigsten sagen sich: "Ich möchte diesen Menschen einmal näher kennenlernen." Es ist wesentlich leichter, mich dann aufgrund meines Erscheinungsbildes einzusortieren in die Schublade Gefahr für unsere Kinder. Deswegen freue ich mich jedes Mal wieder über die Menschen, die stattdessen aufgeschlossen auf mich zukommen.

Bald ist Elternsprechtag, und wie jedesmal bin ich auch in diesem Jahr wieder gespannt auf die Menschen, die ich dort kennenlerne, und wie sie auf mich reagieren werden.

post scriptum: Ich hoffe, dass man mich nicht irgendwann vor die Wahl stellt, mich zu entscheiden zwischen der Schule und dem Weiterführen dieses Blogs. Wer mich kennt, weiß, was ich wählen würde - zu wichtig erscheint mir, was ich mit diesem Blog bewirken kann, auch wenn es nur einzelne Leser betrifft...

p.s.2 @BubaLaTättah: Halsknickfrau mit zwei Fotos besiegt, diesmal ist sie viel früher aufgetaucht und ich hab' fast 'nen Herzkasper bekommen! ;-) Aber harmlos im Vergleich zur Balkonsturzfrau.Und "Whhhyyyyyyyyyyy do you kill?"

p.s.3: Und Schüler verstünden auch nicht, Begriffe wie "Wanderkotze" und "RandömpömPommes" einzuordnen - wobei das sicherlich auch für vernunftbegabte Erwachsene zutrifft. Ändert nichts daran, dass die große Buba gerade *wedelspülplatscht*, Kloschüsseln aus- und Schokoostereier einatmet.

Freitag, 23. Februar 2018

Quengeltheke reloaded

Das Quengelregal an der Supermarktkasse - überfrachtet mit Schokoriegeln und Konsorten - scheint nicht nur Kinder anzuziehen...

Im Kieler Sophienhof kann man immer wieder interessante, nervenzerfetzende und witzige Abenteuer erleben, wie zum Beispiel Schnellkasse 2 - Die Kontrollwaage schlägt zurück. Oh mein Gott, ich lache mich gerade schon wieder scheckig, wenn ich die Story von damals lese. Hüdora-Atlantis-Mareike, Scheißhunde, Kotzkinder und Scangeilheit - WAS um alles in der Welt geht in diesem kranken Kopf vor??? Drollig ist, dass auch der heutige Vorfall wieder im EDEKA im Sophienhof spielt. Dort muss sich irgendeine geheimnisvolle Macht befinden, die Menschen durchdrehen lässt.

Ich wollte doch nur eben Joghurt einkaufen, der allerdings ganz hinten im Laden steht, gemessen an den Ausmaßen dürfte das nicht mehr Sophienhof sein, sondern schon halb unter dem Südfriedhof. Und wenn ich mir die genervten Mütter anschaue, mit ihren Tränensäcken unter den Augen, mit den Augenringen, müde und kaputt, nicht einmal mehr in der Lage, ihre Kinder beisammen zu halten, dann scheint mir sehr plausibel, dass ein paar Gräber sich kurz vor Ladenöffnung ebenfalls mit aufgetan haben und genervte Hausfrauen in den Supermarkt gespült haben.

Ich hätte ahnen müssen, dass heute irgendwas Seltsames passiert. Es hätte mir schon auffallen sollen, als ich durch die Apotheke gehe und plötzlich von irgendwoher höre: "Oh schau mal, Dr Hilarius!" und ich drehe mich um und dann stehen da zwei Jugendliche, die mich grüßen. Nett, dass sie mich grüßen, peinlich, dass ich nichtmal weiß, ob das meine Schüler sind, ich erkenne sie nicht wieder. Ich grüße nett zurück, joah, irgendwoher müssen die mich ja wohl kennen, und ich fühle mich schlagartig nach Husum zurückversetzt.

Eine kleine Stadt mit zwei Gymnasien. An einem davon hatte ich das Vergnü... jedenfalls hatte ich an einem davon einen Referendariatsplatz bekommen und bin deswegen sogar dorthin umgezogen, und überall, egal, wohin ich zum Einkaufen ging, traf ich meine Schüler. Das war gruselig - ein Gefühl, als ob überall Wachposten mit Videokameras stehen. Das vermisse ich eigentlich nicht - naja, nun muss ich mich drauf einstellen, dass Kieler Schüler mich wiedererkennen. Hin und wieder fahre ich mit ihnen im selben Bus.

Und sie sind ja auch nett. Anders als die Zombiemama mit ihren zwei Rotzbälgern. Zombiemama stellt den Wagen im Gang extra an die Seite, damit andere Kunden passieren können (ich will gar nicht wissen, was einigen passiert ist, so, wie sie aussehen...), doch Morphinchen und Ritalina, beide je halb so groß wie der Wagen, schieben ihn zielgenau in die Mitte des Ganges (ein Hauch von indischem Fernweh...) und hängen sich von links und rechts so dran, dass wirklich niemand mehr vorbeikommt. Da nützt es auch nichts, wenn ich zwei Meter groß und schwarz auf sie zugehen, denn die beiden Prinzesschen bekommen überhaupt nicht mit, was um sie herum vor sich geht. Ob Mutti etwas von ihren Downern abgegeben hat? Ich warte nur drauf, dass Kind A abrutscht und Kind B mitsamt Wagen in die Fertigsuppen rollt und damit eine regalvernichtende Domino-Kettenreation auslöst (erinnert mich an die Bibliotheks-Szene aus The Mummy).

Also gehe ich zurück und nehme den nächsten Gang, Bewegung ist gut für den Körper, nur leider führt der Gang an mehreren Metern Süßwaren vorbei. Das ist pure Folter! Wie soll ich es schaffen, davon völlig unbeeindruckt zu bleiben? Das ist bunt, und glänzt, warum kleben die kleinen Monster nicht stattdessen hier herum? Aber nein, der Menschenmagnetismus zieht sie in die Dosensuppen. Wunder der Erziehung!

Durch den nächsten Gang komme ich nicht durch, weil in der Mitte Menschen stehen. Och Leute, könnt ihr nicht ein bisschen Rücksicht auf Andere nehmen, frage ausgerechnet ich mich, während ich mich ohne Vorwarnung umdrehe und fast in eine alte Dame renne. Was ist hier nur heute los, frage ich mich, woher kommen all' diese Menschen? Und dann erst wird mir bewusst - ach ja. Es ist Freitag. Dreizehn Uhr dreißig. Was erwarte ich? Habe ich aus dem Schnellkassenabenteuer nichts gelernt? Die Menschen, die da den Gang blockieren, stehen für die Kasse an, die noch etwa fünfzig Meter entfernt ist.

Und eine Spur hat die Scannerkasse damals nun doch hinterlassen: Die panische Angst., dass ich wieder ein ERROR auslösen könnte und alles zusammenbricht, also gehe ich nicht zu den Schnellkassen, obwohl da gerade sogar zwei Modelle frei sind, sondern stelle mich an der fünfzig Meter langen Warteschlange an. Das sollte sich als weise Entscheidung herausstellen: Zombiemama geht mit Einkaufswagen und Klammeraffenkindern triumphierend an uns vorbei zu einer der freien Kassen. Sofort wird auch sie von der Scannermacht in Beschlag genommen, scannt alle Einkäufe ein, versucht noch eben schnell, die ganzen blödsinnigen Ideen aus den Köpfern ihrer Kindern wegzuscannen - was leider nicht funktioniert, die beiden krabbeln unter allen Absperrungen durch und treiben andere Kunden in den Wahnsinn. Endlich ist Zombiemama mit dem Bezahlen fertig, schaut noch einmal zu uns wartender Meute rüber - meine Schlange ist jetzt immerhin auf dreißig Meter heruntergeschmolzen, allerdings mache ich mir Sorgen, wie lange wohl die alte Dame vor mir mit ihren Einkäufen brauchen wird.

Allerdings lasse ich mir nichts anmerken, und erst recht nicht, als Zombiemama mit Kindern vor den Schranken steht, die den Ausgang versperren. Ich muss aufpassen, um mich nicht zu offensichtlich zu freuen; normalerweise scannt man hier den Kassenbon ein und darf den Laden verlassen. Zombiemom scannt und scannt, aber die Türen gehen nicht auf. Die Kinder krabbeln unter den Schranken durch und können nicht verstehen, warum ihre Mama nicht hinterherkommt. Zombiemom schickt Stoßgebete gen Himmel, ihr Gesicht wandelt sich von todmüde zu entnervt (die Sannitanic weiß, dass das ab einem gewissen Ereignis im Leben die einzigen beiden Gesichtsausdrücke sind, die noch zur Verfügung stehen). Mittlerweile sind vor mir nur noch fünf Meter Kundschaft, ich hole auf! Ich stehe in der Quengelzone - in der Süßigkeiten extra für wartende und quengelnde Kinder auf Augenhöhe in Regalen angeordnet sind. Die alte Dame vor mir wirft nur flüchtig einen Blick über Kaugummis, Brausepulver und Lollis, dann schaut sie wieder nach vorne. Dann nach rechts, und dann zieht es ihre Augen wieder nach links, auf Schokolade, Sammelbilder und Schokoriegel. Ihr Blick verweilt etwas länger dort, rutscht dann ein Regal höher, sie legt einen Schokoladen-Marienkäfer in ihren Einkaufswagen und ich denke, damit ist das Thema erledigt. Sie könnte jetzt vorangehen, wir sind fast an der Kasse angekommen.

Doch jetzt ist die Neugier der alten Dame geweckt. Sie dreht sich nach links um, kniet sich hin und geht Fach für Fach durch, angefangen ganz unten bei Ketten aus Brausebonbons und Überraschungseiern, sie nimmt eines davon in die Hand, ein zweites, sie schüttelt sie, legt sie zurück. Daneben sind die "Überraschungseier für Mädchen" (Heteronormativität 4EVA!!!), auch hier greift sie zu, schüttelt sie, legt sie zurück. Dann steht sie wieder auf, wendet sich endlich wieder ihrem Einkaufswagen zu und schiebt ihn nach vorne.

Einen Meter. Dann bittet sie uns nur um einen kleinen Moment Geduld, wendet sich wieder nach links zum Quengelregal. Ihren Gehstock und ihre Handtasche legt sie in den Wagen, dann begibt sie sich wieder auf Kinderhöhe, jetzt ist das dritte Regal von unten dran. Sie scheint da etwas Interessantes entdeckt zu haben, schiebt die Kaugummis nach links und Snickers nach rechts, dahinter ist offensichtlich etwas, das ihr Interesse geweckt hat. Sie greift mit ihrer runzligen Hand nach hinten durch, zwischen den Pappkartons hindurch, ihr rechter Arm verschwindet in der Auslage. Sie schließt die Augen und wühlt ganz konzentriert in der dunklen Finsternis herum, die auch als Hinter den Schokoriegeln bekannt ist.

"Kann ich ihnen helfen?" bietet die Kassiererin an, auch ich biete meine Hilfe an, aber die alte Dame weiß scheinbar ganz genau, was sie tut. Sie zieht den rechten Arm wieder aus den Regalen hinaus, schiebt die Pappkartons noch weiter zur Seite - so weit, dass die ersten Kisten mit Kaugummis links aus dem Regal herausfallen - und rechts die ersten Schokoriegel. Nun geht sie auch die Regale darüber und darunter an, sie schiebt alles zu den Seiten hinweg, so dass eine Art Loch zwischen den Süßwaren entsteht. Als das Loch groß genug ist, geht die alte Dame komplett auf die Knie und steckt ihren Kopf zwischen die Regale. "Aha!" höre ich es von unten rufen, sie hat offensichtlich gefunden, was sie sucht. Na dann wird sie ja gleich hoffentlich wieder herausgekrabbelt kommen, denn so langsam halten wir den ganzen Laden auf. Das Gute: Zombiemom steht immer noch vor verschlossenen Schranken und versucht genervt, ihren Kassenzettel einzuscannen, um endlich aus diesem verfluchten Laden herauszukommen!

Nur die alte Dame... sie möchte offensichlich weiter hinein, denn jetzt beginnt sie, zwischen den Süßigkeiten zu verschwinden. Stück für Stück kriecht sie vorwärts, ist mittlerweile bis zur Hüfte in das Regal gekrochen. Das kann doch irgendwie nicht richtig sein - so tief ist doch das dämliche Regal nicht! Aber weder ihr Kopf noch sonst irgendwas taucht auf der Rückseite des Regals wieder auf - stattdessen wird ihre Stimme immer leiser, während ich sie rufen höre: "Da hinten ist es, gleich habe ich es!" Und schließlich verschwinden auch die strampelnden Füße im Regal - und vor mir steht ein herren-, beziehungsweise damenloser Einkaufswagen. Äh, ja. Whatever. Ich lege einfach mal meine Einkäufe auf das Band und bezahle. Ein bisschen verwirrt. Aber immerhin habe ich jetzt Dosensuppe für heute Abend, und das zaubert mir ein breites Grinsen auf's Gesicht. Und das Grinsen wird noch breiter, als ich den Laden verlasse und tatsächlich an der mittlerweile laut zeternden, aber immer noch von der Schranke eingeschlossenen Zombiemama vorbeigehen kann.

Eat this, Beeee-atch!

post scriptum: Mehr Geschichten gefällig?

Der Wanderer - eine Schauermär
Expeditionen in's Badreich
Im Auge des Sturms
Die Zimtsterne - der Katastrophenthriller
Entschleunigung
Advent, Advent, das Drecksgör brennt
Expeditionen in die Tiefe
Bürokratiergehege 3 - Das Ministerium schlägt zurück
(unter "Bürokratiergehege" findet man per Blog-Suchmaschine auch die älteren Teile)

Donnerstag, 22. Februar 2018

Kein Tag wie jeder andere

Siebenhundert Jahre - bald...

Donnerstag.

Es gab einen Lebensabschnitt, in dem ich mich sehr wohlgefühlt habe, und zwar die Zeit in St.Peter-Ording, das habe ich hier immer mal wieder erwähnt. Es hatte Gründe, warum ich mich damals so gut gefühlt hatte - irgendwas muss gestimmt haben, irgendwie muss die olle Areté das hingebogen haben.

Die Woche bestand damals für mich aus zwei Teilen: Drei Tage Arbeit im Block, mit so vielen Stunden wie nur irgend möglich, und vier freie Tage, an denen ich das Leben genießen konnte und die Schule vollkommen ausgeklammert habe. Das scheint ungewöhnlich zu sein, aber es hat super funktioniert und war immerhin Anwärter auf ein Puzzleteil im Puzzle des Lebens. Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich vielleicht so mein Leben führen möchte: Einen Arbeitsblock und einen Freizeitblock.

Mein Gehirn kann nämlich nicht an einem Schultag abschalten. Das ist immer aktiv, rund um die Uhr geht es um die Schule, und deswegen ist es wichtig, dass ich einen Ausgleich dafür habe. Was die Zeit in St.Peter-Ording mit jetzt gemeinsam hat: Donnerstag ist der letzte Arbeitstag. Das wirkt sich tatsächlich aus, auf mein Gehirn und auf das Erleben des Tages.

Wenn ich von der Schule nach Hause komme, meditiere ich. In aller Ruhe. Ich verarbeite alle Eindrücke der Arbeitswoche, ich sortiere meine Gedanken, ich lasse positive Szenen Revue passieren. Ich bewerte mein Verhalten, ich denke darüber nach, was ich vielleicht anders machen sollte. Das alles mit der Vorfreude auf die freien Tage; dazu ein heißes Bad, um den angespannten Körper endlich mal zu entlasten.

Ich habe die Donnerstage damals geliebt - und genau deswegen bin ich so glücklich, dass ein guter Geist meinen freien Tag auf einen Freitag gelegt hat. Jetzt kann ich wieder meinen Arbeitsblock in der Woche abarbeiten, am Donnerstagabend dann meditieren, alles ordnen, regenerieren und mit freiem Kopf und gedanklicher Klarheit in drei freie Tage starten. Das bedeutet mir tatsächlich sehr viel - und deswegen schreibe ich hier jetzt nicht noch mehr, denn es wird Zeit für's Bad!

Dienstag, 20. Februar 2018

Unangemessenes Auftreten

Daneben fühle ich mich fast ein bisschen fehl am Platze...

Tag der offenen Tür, und auch wenn ich mich nicht repräsentativ gefühlt habe, um selbst etwas zum Programm der Schule beizutragen, bin ich trotzdem hingegangen. Ich wollte mir die Schnupperstunde in Latein eines Kollegen anschauen (prima lectio Latina mit Sechst- und Viertklässlern). Ich fand das ganz spannend, zu beobachten, und sollte ich an der Schule bleiben wollen/können, würde ich irgendwann wohl selbst solch' eine Stunde zeigen. Und ich fand es sehr nostalgisch, meinen alten Lateinprof, die "Wurzel", samt Töchtern dort zu treffen.

Und dann wurde es Zeit für einen Moment der Wahrheit, als danach beim Bummeln durch die Gebäude ein Vater eines Schülers zu mir in den Raum kam und sich vorgestellt hat. Und ich hatte ziemlich weiche Knie, denn ich hatte seinen Sohn im Kopf und hatte mir schon öfters überlegt, was für Eltern dahinter stecken. Im positiven Sinne: So einen höflichen jungen Mann habe ich lange nicht in der Schule erlebt, mit einer unglaublich sauberen, ausgeschmückten Handschrift. Heute hat sich mir dann erklärt, warum das so ist, und ich habe mich völlig fehl am Platze gefühlt.

Ich habe mich in den letzten Jahren mit verschiedensten Eltern unterhalten, aber noch nie mit solchen, neben denen ich mich "klein" gefühlt habe. Nicht von der Körpergröße her (wobei der Vater auch die zwei Meter geknackt hatte), sondern vom Habitus. Von der gefühlt elitären Aura her. Dieses Gefühl "Sein Rasierwasser kostet bestimmt mehr, als ich im ganzen Jahr verdiene". Und sollte ich an der Schule bleiben wollen, werde ich mich auf mehrere solcher Begegnungen einstellen müssen. Die KGS hat nun mal ihre Zielgruppen, und sie alle fühlen sich nach Düsternbrook an [für die Nichtkieler: Düsternbrook ist ein sehr "feiner" Stadtteil].

So hat dieser Vater mich also abgehorcht. Gefragt, was es mit meinem Outfit auf sich hat, ein paar literarische Fetzen ausgetauscht, gefragt, ob ich mit meiner Unterrichtsart Erfolg habe (der sich nach seiner Einschätzung gut danach beurteilen lässt, ob man in der Lage ist, den Lehrplan durchzubekommen). Und ich war ein wenig perplex, denn das Gespräch hat sich dann sehr positiv entwickelt. Am Ende hat mein Gesprächspartner sich für das Kennenlernen bedankt; die Wirkung der Unterhaltung hat mich den ganzen Samstag hindurch getragen. Und lehrt mich, allen Menschen gegenüber aufgeschlossen zu sein.

Und lässt mich gleichzeitig feststellen: Egal, ob die Eltern Unternehmer sind, oder adelig, oder einer sozial schwächeren Gruppe angehören, oder ob sie Politiker sind: Ihre Kinder verhalten sich dann doch irgendwie alle ähnlich. Wie jugendliche Schüler eben.

Don't judge a book by its cover - auch keine Männer in Anzügen. War eine gute Lektion für mich.

Montag, 19. Februar 2018

WTEiscreme?!

Wie pervers kann es eigentlich noch werden?

Neue Sorte, ohne Worte... :D

post scriptum: Es kann eine echte Qual sein, wenn ich mir vornehme, meinen Zuckerkonsum auf ein Minimum herunterzuschrauben und dann Eiscreme mit Kuchenteig, Vanillecreme und Erdbeersauce entdecke. Hoc est Folter!

Freitag, 16. Februar 2018

Das Puzzle des Lebens

Langsam entsteht ein Alltag...

Mir hilft es, wenn ich komplexe Sachverhalte mit Bildern erklären kann. An einer anderen Stelle habe ich darüber geschrieben, dass ich in meinem Kopf eine Art Puzzle habe, dass die Wahrheit abbildet. Es ist zu einhundert Prozent genau, aber es fehlen sehr viele Teile. Wenn ich neue Informationen bekomme, gleiche ich sie mit dem bisherigen Puzzle ab - gegebenenfalls muss ein Teil entfernt werden, damit das Neue passt. Und so weiter - könnt Ihr ja dort nachlesen.

Ein anderes Puzzle ist das gefühlte Puzzle des Lebens. Wer bin ich? Wer will ich sein? Wo ist mein Platz auf der Welt? Was ist der Sinn des Lebens? Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie ich mein Leben führen möchte. Da sind ganz viele kleine Puzzleteile, die genau passen müssen, sonst geht es mir nicht gut. Hochbegabung und so.

Damals in St.Peter-Ording schien es mir eine Zeitlang, als hätte ich meine Traumschule gefunden. Ich habe versucht, mein Puzzle an diesen Arbeitsplatz anzupassen, habe mit der Schule Abmachungen getroffen, um mein Puzzle zu vervollständigen. Dann aber hat ein Kollege mich darauf angesprochen, dass man manchmal im Leben Farbe bekennen muss. Das war ein unglaublich wichtiger Impuls - denn der hat dazu geführt, dass ich meinen Job in SPO aufgegeben habe.

Das war für alle eine unschöne Entscheidung. Weil eigentlich alles toll war - eigentlich. Denn irgendwie war da ein Fehler im Lebenspuzzle. Und so musste ich Teile herausbrechen, und ich vermisse die Nordseeschule in SPO immer noch sehr, ich denke oft an sie, denke daran, was die Schule von anderen unterschieden hat und sie toll gemacht hat.

Ich musste das Puzzle umsortieren. Mit SPO hätte ich es wohl nicht vervollständigen können (ob das überhaupt das Ziel ist, ist eine andere Frage - nicht nach Perfektion streben, sonst leidet der Genuss darunter). Das neue Puzzle hat wesentlich mehr freie Felder, was einfach daran liegt, dass ich wieder von vorn anfangen musste. Seitdem ich in meiner jetzigen Wohnung wohne (und eine Wohnung, die zu mir passt, ist ein ganz großes, komplexes Puzzleteil), sind allerdings viele Teile hinzugekommen, und es könnte sein, dass dieses Puzzle besser wird als das letzte - mir also ein glückliches Leben bescheren könnte.

Ein Puzzleteil ist vor ein paar Tagen per Post gekommen - meine Monatskarten der KVG. Ich steige um, wortwörtlich, vom Auto auf den Bus. Das ist teurer, als wenn ich mit dem Wagen fahren würde. Und ich bin nicht ganz so flexibel, wenn ich auf die Busfahrzeiten angewiesen bin. Aber: Alle Linien, die vor meiner Tür halten, fahren direkt an der Kieler Gelehrtenschule vorbei. Ich komme morgens aus der Tür, steige direkt in den Bus, steige wieder aus und stehe fast direkt in der Athenahalle der Schule. Und ich fühle mich etwas besser, weil ich meinen ökologischen Fußabdruck damit etwas verkleinere. Ich hätte nie gedacht, dass mir die Natur irgendwas bedeutet, aber es ist tatsächlich so - ich atme ein wenig leichter.

Ob das Lebenspuzzle in diese Richtung geht...? Ob ich an der KGS bleiben sollte...?

Warten wir es ab.

post scriptum: Schüler Piggeldi fragt im Unterricht, ob er etwas essen darf. Schülerin Tutsinelda (HB-Verdacht besteht schon länger) wirft ein: "Ich weiß gar nicht, was die Leute immer mit dem Essen haben. Man macht den Mund auf, schiebt irgendwas rein und schluckt es dann runter. So besonders ist das doch nun echt nicht, ich vergesse das andauernd." Dr Hilarius' Augen leuchten auf...

Donnerstag, 15. Februar 2018

"Die 9e kannst du vergessen!"


Ich habe heute zum zweiten Mal The Cabin in the Woods (2012) gesehen, eine sehr intelligente Horrorsatire, und jetzt, wo ich den Film schon kannte, habe ich ihn mit einer ganz neuen Perspektive erlebt. Und ich fand ihn noch deutlich besser als beim ersten Ansehen. Wenn ich einen neuen Film schaue, versuche ich immer, möglichst unvoreingenommen ranzugehen. Das klappt nicht immer, und vor allem schaffe ich das erst seit ein paar Jahren. Zu oft habe ich mir eine Inhaltsangabe im Netz durchgelesen und beschlossen: "Interessiert mich nicht." Auch bei Cabin habe ich vorher eine Zusammenfassung gelesen, denn ich hatte gehört, dass der Film richtig gut sein soll, aber ich wollte nicht unbedingt sehen, wie Menschen auf möglichst grausige Weise sterben, wie manche Horrorfilme es ja nun mal darbieten. Okay, dieser Film ist gen Ende etwas splatterig, aber so gut, satirisch und mit Meta-Ebene versehen, das schaue ich mir gern an.

Und was soll das nun mit der 9e zu tun haben - eine Klasse, die ich nicht unterrichte, weil es sie an meiner Schule nicht einmal gibt? Der gemeinsame Faktor ist die Unvoreingenommenheit, und das Zauberwort heißt:

Lerngruppenübergabe.

Wir Vertretungslehrer kennen das und leben davon: Dass unbefristet beschäftigte Kollegen ausfallen und wir sie für eine Zeit vertreten können. Also setzen wir uns mit ihnen in Verbindung, und sei es nur, um eine Namensliste und bisherige Leistungsübersicht der Klasse zu bekommen. Ganz oft habe ich kleine Kommentare unter diesen Listen gesehen, in etwa "...eine ganz liebe Klasse." oder "...die sind richtig aufgeweckt."

Ich mag das nicht.

Ich mag das wirklich gar nicht. Auch wenn die beiden Beispielkommentare doch eigentlich recht positiv und nett sind: Ich möchte mir mein eigenes Bild meiner Lerngruppe machen. Ich möchte unvoreingenommen auf sie zugehen, ich möchte sie authentisch und ohne Hintergedanken erleben. Es gibt Sätze, die möchte ich einfach nicht hören, wenn ich eine Lerngruppe übernehmen soll. Beispiele gefällig?

"Die 9e kannst du vergessen, die sind tierisch faul."
"Also bei einem Schüler musst du aufpassen, der ist ein Leistungsverweigerer, das könnte stressig werden."
"Also bis auf Schüler XY können die eigentlich gar nichts. Da unterrichte ich lieber in meiner 5a, die haben echt was drauf!"
"Kann anstrengend werden, die 8b ist eine der lautesten Klassen der Schule, die haben ein echtes Problem."

Und solche Sätze begegnen mir immer und immer wieder, und der großen Buba auch, und der Sannitanic auch. Was mich daran stört? Ich habe in den letzten sechs Jahren die Erfahrung gemacht, dass manche Schüler bei mir ein ganz anderes Unterrichtsverhalten an den Tag legen als bei anderen Kollegen. Das kann eher zum Besseren (Verhaltensauffällige) oder zum Schlechteren (Schleimerella) tendieren. Ich sage jedem meiner neuen Schüler: "Ihr startet bei mir mit einer tabula rasa, ausgeglichenes Konto, und ihr könnt von Anfang an alles richtig oder alles falsch machen." Und ich möchte wirklich, dass die Schüler mich dabei beim Wort nehmen können, und dann sind Sätze wie "Die Jungs hinten machen fast nie mit." nicht förderlich. Ganz im Gegenteil. Und ich gehe noch einen Schritt weiter.

"Die 9e kannst du vergessen, die sind tierisch faul" sagt mir wesentlich weniger über die Klasse selbst aus als über den Kollegen, der diesen Kommentar äußert. Er lässt mich denken, dass der Kollege Probleme in der Klasse hat. Er lässt mich vermuten, dass der Kollege in seinem Wertungsschema festgefahren ist und dass es keine großen Notenüberraschungen bei ihm gibt. Er lässt mich befürchten, dass jener Kollege selbst vielleicht nicht unvoreingenommen auf jeden seiner Schüler zugehen kann, und das tut mir für alle Beteiligten leid: Für den Schüler, der demotiviert wird, weil ihm nicht die Chance eingeräumt wird, sich im Unterricht drastisch zu verbessern, und für den Lehrer, der vielleicht so festgefahren in dieser Situation ist, dass er es selbst nicht mehr bemerkt und sich eben dessen nicht mehr bewusst ist - dass der Kopf rund ist, damit das Denken die Richtung ändern kann.

Ich schaue mir Vornoten nur vor den Zeugniskonferenzen an (weil große Notensprünge erklärt werden müssen). Ansonsten biete ich meinen Schülern die Möglichkeit, etwas Neues aus sich zu machen, wenn sie es denn wollen.

Ich hoffe, ich werde nicht selbst irgendwann sagen: "Die 9e kannst du vergessen!"

Mittwoch, 14. Februar 2018

Ich bin so geil! - Etiam altera pars audiatur...

Weekend is calling...

So, nach ein paar Tagen kreativer Pause (Kulturschock voller Stundenplan? Wohl eher mittlerweile drei Nächte mit nur je zwei Stunden Schlaf; ich seh' schon die "Stell Dich nicht so an, werd' Du erstmal Vater!"-Kommentare dieser verrückten jungen Dame aus dem Nordosten eintrudeln ^^ Jedenfalls bin ich wirklich froh, dass ich endlich wieder den SPO-Rhythmus habe, das bedeutet mir ziemlich viel) melde ich mich zurück - nicht mit dem Beitrag, den ich eigentlich posten wollte - darüber, wie man sich Stück für Stück sein "richtiges" Leben zurechtpuzzelt - sondern es ist, wie so oft, etwas in der Schule dazwischengekommen. Weil manche SoS (Schüler oder Schülerinnen, ich versuche zu chiffrieren) einfach nicht ihre Klappe halten können, wenn sie ihre Chance auf eine Bühne sehen. Und ich meckere ja auch gar nicht, denn ich kann das wunderbar nachvollziehen. Gibt ja schließlich nicht nur einen Menschen, der sich selbst so unglaublich geil findet, also sollte auch die andere Seite gehört werden. Oder zumindest erwähnt.

Und die hat heute gefragt, was sie denn tun muss, um in diesem Blog Erwähnung zu finden. Und damit die Frage eigentlich schon selbst beantwortet. Da man aber scheinbar, wie ich heute gelernt habe, in diesem Blog nur drei Beiträge finden kann, muss ich ernsthaft in Frage stellen, ob jene SoS, die dieser Beitrag betrifft, ihn überhaupt werden auffinden können. Wenn sie nur so viel Zeit in ihre Lateinübungen investieren würden... aber fünf Punkte verdienen sich in E ja von selbst, nicht wahr?

Kampf um Anerkennung, anyone? Dabei haben jene SoSuS das ja vielleicht gar nicht nötig ;-)

So, Zeit für's Abendessen und dann ein weiterer Versuch, eine Nacht vernünftig zu schlafen. Liebste Sannitanic... ich weiß gar nicht, wie Du das meistern wirst, mit Kind und Job. Höchsten Respekt an alle Eltern da draußen!

post scriptum: Ich finde es faszinierend, dass das Kendama zur Zeit die Runde unter Jugendlichen macht. Ich hab' es vor einigen Jahren liebgewonnen, als einer der Charaktere aus "Tales of Symphonia" ein Kendama als Waffe benutzt hat ;-)

paulo post scriptum: Dass ein Sechstklässler "The Shawshank Redemption" (Die Verurteilten, 1994) gesehen hat und ihn zu seinen Lieblingsfilmen zählt, beeindruckt mich mächtig. Auch wenn es mich angesichts seines Unterrichtsverhaltens nicht wirklich überrascht hat. Ich finde das toll.

Samstag, 10. Februar 2018

"Ah ah ich sterbe du Idiot"

"Bin das Baby, musst mich liebhaben!"

Thema heute: Wie nenne ich mein Kind?

Auslöser war ein spontaner Gedanke an die Serie Die Dinos, mit der ich aufgewachsen bin: Herrliche Satire, politisch und albern. Die Dinofamilie Sinclair hat ein Baby und es ist an der Zeit, ihm einen Namen zu geben. Für die Namensvergabe ist ein weiser alter Dino im Amt zuständig. Als die Eltern nun fragen, wie das Baby heißen soll, verschluckt der Weise sich, fängt an zu husten. Der Protokollant fragt genervt: "Wie soll das Kind denn nun heißen?", der Weise antwortet röchelnd: "Aaahhh.... aaahh... ich sterbe, du Idiot!" Protokollant: "Aha. Das Kind heißt [Ah ah ich sterbe du Idiot]. Der Nächste!"

Ich liebe diesen abgefahrenen Humor. Die Sache an sich bleibt aber interessant; ich würde mein Kind wohl nicht "Ah ah ich sterbe du Idiot" nennen (auch wenn es in der Serienfolge für einige Lacher sorgt). Wonach entscheidet man den Namen des Kindes? Ich habe jetzt an unterschiedlichen Schulen unterrichtet und das gesamte soziale Spektrum abgedeckt. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Kinder aus sozial schwächeren Familien eher Justin, Nancy oder Keira heißen, als ob man sich bei amerikanischen Popstars bedient hat.

Derzeit unterrichte ich am anderen Ende der sozialen Leiter, dort scheint man sich an historischen Persönlichkeiten zu orientieren. Carl Oscar Friedrich, hier ein Aeneas, da eine Klara, und generell mehrere Vornamen.

Natürlich hasse ich Verallgemeinerungen, aber das ist eine sehr spannende Beobachtung. Ich möchte in diesem Beitrag auch keine Namen bewerten; manche Namen sind leichter zu rufen, andere etwas komplizierter. Wird einem als Lehrer immer wieder bewusst, wenn man eine bunte Schar von Käwiehns und Schanntallähs und Tim und Tom und Klaus und Maria und Marieke Sophie und Otto und Carlotta und Regina und Corinna unterrichtet.

Ich glaube, ich müsste eine sehr lange Zeit überlegen, um zu einem Schluss zu kommen, wie mein Kind heißen soll. Wenn ich mich überhaupt irgendwie festlegen könnte. Naja, im Zweifel rufe ich dann irgendwann durch's Haus: "Ah ah ich sterbe du Idiot, es gibt Essen!"

post scriptum: Wer lachen möchte, hier ist ein kleines Best Of Baby Sinclair - Buba, schau Dir das an und spül' Dich tot, bei Sachen wie "Schnucki Schnucki Schnuck" (aber richtig ausgesprochen ^^)


Freitag, 9. Februar 2018

Ich bin so geil!

Echo and Narcissus (John William Waterhouse) - eines der bekanntesten Motive der Metamorphosen Ovids.

Es gibt da diese Phasen in meinem Leben, in denen ich mich richtig toll finde. Wenn ich allein bin. Wenn andere Menschen dabei sind, versuche ich immer etwas bescheidener aufzutreten - was mir lang nicht mehr so gut gelingt wie noch vor einigen Jahren. Aber wenn ich allein bin, setze ich mich in Ruhe hin und denke nach: "Ach, das war ein geiler Schultag, und mein Unterricht ist sowieso viel besser als der von Kollege XYZ." - "Die sind ja nett und sicher auch gute Fachvermittler, aber bei weitem keine so guten Pädagogen. Darin bin ich echt gut." - "Ich glaube, ich schaue mir nochmal die alten Saturnalien-Aufnahmen an - natürlich nur die Szenen, in denen ich vorkomme, weil ich einfach nochmal sehen will, wie geil ich bin." - "Ich glaube, ich sollte einen Blog schreiben, damit ich regelmäßig Feedback bekomme, wie toll ich bin." (Zum Glück habe ich kritische Leser, das hilft mir, diesen Gedanken nie Ernst werden zu lassen.)

Wow, das so aufzuschreiben weckt in mir ein recht widerliches Gefühl. Ziemlich ekelhaft, diesen Narzissmus auch noch schwarz auf weiß zu sehen. Und da nützt es auch nicht, wenn Mr Egomaniac pur Präsident der USA ist und das Ganze noch wesentlich weiter auf die Spitze treibt (indem er sich auch offiziell und vor Publikum endlos geil findet). Ekelhaft, und trotzdem genieße ich diese Momente, und ich kenne mindestens einen Menschen, dem es auch so geht.

Eigentlich könnte das ja eine niedliche kleine Macke sein. Aber ich muss aufpassen: Gerade wenn es um Schule geht, kann dieser Narzissmus zu Engstirnigkeit führen, zu Borniertheit, dazu, dass ich meine eigenen Unterrichtsmethoden so geil finde, dass ich überhaupt keine Alternativen mehr gut finden kann. Das kann sich über die Jahre unglaublich verhärten und dazu führen, dass man diese Scheuklappen selbst gar nicht mehr wahrnimmt. Ich habe in den paar Jahren Schule, die ich bisher erlebt habe, relativ viele Kollegen kennen gelernt, denen es ebenso geht. Die vollkommen unkritisch von ihrer Methode überzeugt sind und z.B. die Bedürfnisse ihrer Schüler kaum noch wahrnehmen. Und wenn ich nicht aufpasse, werde ich ganz genau so werden.

Immer schön geschmeidig bleiben, Dr Hilarius!

Woher dieses Verhalten wohl kommt? Und ob es jedem Menschen irgendwann so geht? Ich führe das ein bisschen auf die persönliche Entwicklung zurück. Als Kinder sehen wir uns selbst als Zentrum des Universums, kein Wunder, als Baby und Kleinkind werden wir ja oft auch so behandelt. Das führt ohne ordentlichen Gegenwind dazu, dass wir recht überhebliche Teenager werden; ich denke, jeder Kollege wird solche Schüler schon einmal erlebt haben. Und wir sollten uns dann nicht über ihr Verhalten ärgern, sondern versuchen, subtilen Einfluss auszuüben.

Ich glaube, dass Jugendliche, die in unsteten, schwierigen Verhältnissen aufwachsen (müssen), diesen Egozentrismus viel schneller ablegen als Jugendliche in behüteten Elternhäusern. So kann ich mir einen Menschen in meinem Bekanntenkreis vorstellen, der diese "Ich bin so geil"-Phasen sicherlich nicht so intensiv erlebt wie ich. Aber vielleicht liege ich mit dieser Erklärung auch vollkommen daneben.

...

Aber nein, ich bin ja so geil, ich habe natürlich Recht!

post scriptum: Liebe Kollegen, herzlich willkommen im wohlverdienten Wochenende!

Donnerstag, 8. Februar 2018

Große Dinge, die kaputt gehen

Aus dem Filmplakat zu Cloverfield

Ich habe heute The Mummy (1999) geschaut. Der mag nicht gerade künstlerisch wertvoll sein, aber hat mich super unterhalten, schöner Popcornfilm. Er hat mir aber eine Sache bewusst gemacht: Wie sehr ich als Zuschauer es genieße, im Film zu sehen, wie große Gebäude zerstört werden. Riesige Städte, die untergehen. Richtig schöne Verwüstung; allerdings wirkt es in Welten, die ich nicht kenne, irgendwie anders. Aha, da wird also eine "Stadt der Toten" dem Erdboden gleichgemacht. Okay, sieht gut aus, alle möglichen Dinge fliegen mir um die Ohren, aber es ist ein wenig anders als zum Beispiel bei Cloverfield, den ich vor ein paar Tagen geschaut habe.

Der Unterschied besteht darin, dass letzterer Film in einer Welt spielt, die ich kenne. Ich weiß, wie Manhattan aussieht. Und dadurch wirkt es ganz anders auf mich, weniger comicartig, eher schrecklich, wenn ich sehe, wie dort ein großes Gebäude einstürzt. Das berührt mich dann noch etwas mehr.

Bleibt aber dabei: Zerstörung im Film ist unglaublich faszinierend. Liegt vielleicht auch daran, dass ich endlich mal ein paar Bilder von dem bekomme, was passieren könnte, und wie es dann aussieht. Und dann ist der Film zu Ende und ich bin glücklich, dass es nicht so ist, glücklich, dass meine Realität da draußen noch heil aussieht, glücklich in dem Bewusstsein, dass es nur ein Film war und so etwas in echt nicht passiert.

Natürlich nicht.

Genau das ist eine naive Grundhaltung, denn in jedem Krieg auf der Welt gehen ununterbrochen große Dinge kaputt, es werden Bomben geworfen, an diesen Orten ist die Zerstörung ganz real. Aber wenn man so etwas noch nie gesehen hat, weil man sich zum Beispiel nicht dafür interessiert, was außerhalb des Tellerrandes passiert, dann kommt diese "Zum Glück passiert das nicht in echt"-Haltung.

Und genau aus diesem Grund hat 9/11 die USA so sehr erschüttert. Krieg im eigenen Land? Never! Der Bürgerkrieg ist lange her und dient oftmals eher zur Glorifizierung von Geschichte. Ich kann es niemandem verübeln, wenn man sich dann Zeit seines Lebens in Sicherheit wiegt, und dann kommt ein Anschlag, dann gehen große Dinge kaputt, nämlich das World Trade Center, und diesmal ist es kein Film. Diesmal gibt es kein Aufatmen. Diesmal ist das alles real. Das hat das Denken in den USA massiv beeinflusst, und deswegen ist 9/11 wichtig.

Ich wünsche mir wirklich, dass ich keine reale Zerstörung in meinem Leben mit meinen eigenen Augen werde ansehen müssen. Dann doch lieber zurück zum Film, wo Zerstörung ein Kunstobjekt ist. Faszinierend sondergleichen.

Mittwoch, 7. Februar 2018

No Child Left Behind

Auch das bekommen wir wieder hin ;-)

In der allerersten Lehrprobe, die ich anschauen durfte, habe ich Eines gelernt: Das Wichtigste am Unterricht ist, dass man mit dem Stoffpensum durchkommt. Das wurde dadurch noch verstärkt, dass ich in der ersten Lehrprobe, die ich gezeigt habe (noch vor dem Referendariat), als Feedback erhalten habe, dass man auch mehr Stoff in der Stunde hätte schaffen können, anstatt zum Beispiel Musik zu hören (um daraus eine Sammlung englischer Adjektive abzuleiten).

Daher war es nur konsequent, dass ich mir für meinen ersten offiziellen Unterrichtsbesuch des Studienleiters (damals Latein bei Herrn Kruse) Einiges vorgenommen habe. Bedeutet: In einem L3-Kurs sechzehn Zeilen Übersetzung in Think-Pair-Share. Das erschien mir logisch, und mittlerweile weiß ich auch, dass man noch wesentlich mehr schaffen kann, wenn man etwas mehr Druck macht. Und es kam der Tag der Lehrprobe, und wie es scheinbar vielen Junglehrern geht: Ich bin bei Weitem mit dem Pensum nicht durchgekommen.

Wir erinnern uns: In der Nachbesprechung einer Lehrprobe gibt zuerst der Referendar seine eigene Einschätzung - was hat gut geklappt, was nicht so, wie könnte ich nächstes Mal anders vorgehen. Also erhielt ich das Wort und hatte butterweiche Knie, denn das war mir echt unangenehm. Und so ging es los mit "Also, Herr Kruse, das tut mir wirklich leid, ich habe nur ein Viertel von dem geschafft, was ich mir vorgenommen habe, das ist wirklich ein ungünstiger Einstand, aber die Erarbeitungsphase hat so lang gedauert und es gab so viele Fragen, die ich beantworten wollte - ich habe ein Problem damit, Schüler zu ignorieren, wenn ich einen Finger in der Luft sehen, auch wenn ich das wahrscheinlich noch lernen muss, und überhaupt..."

"Dr Hilarius, holen sie doch erstmal tief Luft." Ich hatte schon öfters gehört, dass man als Referendar im ersten Semester eine Art Welpenschutz genießt. Die Besprechungen konzentrieren sich auf das Positive und man wird noch nicht so hart rangenommen (im Gespräch). Man darf Fehler machen, denn aus diesen soll man schließlich lernen. Insbesondere im letzten Semester wird dann Professionalität erwartet (was auch Fehler einschließt, aber deren sinnvolle und produktive Analyse verlangt).

Und dann hat Herr Kruse mir erklärt, dass das eine sehr schöne Lehrprobe war, und zwar nicht wegen der Fehler, die ich (meiner Meinung nach) gemacht hatte; Herr Kruse hat die Stunde aus einem ganz anderen Blickwinkel gesehen, und zwar, wie ich mit Schülern arbeite. Und das hatte ich wohl ganz seinen Vorstellungen entsprechend gemacht (eher instinktiv); ich gehe vor dem Arbeitsplatz der Schüler in die Hocke (Augenhöhe, und wenn der Lehrer hinter dem Schüler steht, kann das sehr bedrohlich wirken), ich gebe den Schülern Einhilfen, um ein Verständnis für das Problem zu schaffen, anstatt einfach nur eine richtige Übersetzung zu geben (daraus sollte sich letztlich meine Examensstunde in Latein entwickeln).

Herr Kruse hat damit in mir ein Verständnis gesät, worauf es seiner Meinung nach im Unterricht ankommt: Fortschritt, dass die Schüler reicher aus dem Unterricht gehen, und dass niemand mit seinen Problemen zurückgelassen wird (in Englisch sahen die Anforderungen leider etwas anders aus). Er hat mir erklärt, dass alles Andere nur Handwerkszeug ist, was man sich im Ref und im späteren Leben als Lehrer mit der Zeit aneignet. Die Grundlagen stimmen, hat er mir erklärt.

Es sollte allerdings erst nach dem Ref soweit sein, dass ich dessen Bedeutung richtig verstehen und umsetzen musste, nämlich bis zur Arbeit am St-Peter-Ording-Regionalschulteil. Bis zur Arbeit mit Schülern, die kognitiv nicht in der Lage sind, alle Anforderungen zu erfüllen, egal, wie viel sie üben. Und ich habe gelernt: Das ist okay! Für mich war wichtig, keinen in der Klasse zurückzulassen. Selbst ein Beton-Sechs-Schüler mit Null-Bock-Attitüde. Ich habe mir eingeredet, dass ich überall etwas erreichen kann, wenn ich nur den richtigen Dreh fände.

Konnte ich nicht. Aber der Versuch war es wert; jeder Versuch ist es wert, und das hat mein Schulleiter dann auch in der dienstlichen Beurteilung festgehalten. No child left behind, der Ausdruck stammt aus den Vereinigten Staaten, aus dem Jahr 2001. Ein Bildungsgesetz unter Bush. Selbst wenn ich über die genauen Inhalte uninformiert bin, fand ich, dass eine wichtige Idee ausgedrückt wird (seit 2015 gab es dann Every Student Succeeds, den Namen genieße ich etwas vorsichtiger; man kann jeden Fortschritt als Erfolg bezeichnen, und das ist auch wichtig, aber nicht jeder Schüler kann alle Anforderungen erreichen).

Eine Idee, hinter der ich stehe, keinen Schüler in der Klasse zurückzulassen, und ich kann mir das in der Schule nicht einfach abgewöhnen. Es hat einen riesigen Haken: Die Stoffprogression kann darunter leiden. Manche Kollegen bekommen das super hin, aber ich bin einfach einer der langsamsten Lehrer an der Schule, und das war bisher in jeder Schule so. Der Gedanke, dass ich mit dem Stoff vorangaloppiere und vielleicht eines der Kinder die Sachverhalte nicht verstanden haben könnte, lässt mich nicht kalt.

Und ich muss mir nun scheinbar wieder klarmachen und mich darin eingewöhnen, dass ich zurück an einem Gymnasium bin. Die Schüler können (zum großen Teil) mehr schaffen, aber es ist auch wichtig, dass ich das von ihnen einfordere. Hier kann ich zwanzig Zeilen Übersetzung in PA, HA und anschließender Besprechung in zwei Unterrichtsstunden durcharbeiten (früh in der Spracherwerbsphase Latein).

Also, mutig voran!

Dienstag, 6. Februar 2018

Desiderium Ordinis


Als personifizierte Incompetentia habe ich mit diesem Titel versucht, meine Sehnsucht nach Ordnung auf Latein auszudrücken. Anlass? Psychosomatische Effekte, die mich heute flachgelegt haben.

Wenn ich über Autisten und Asperger rede, ist das alles bitte mit einer gesunden Dosis Zweifel zu goutieren. Ich habe in meiner bisherigen Schulzeit hin und wieder mit beiden Arten von Schülern gearbeitet, aber was ich über diese "geistige Konfiguration" weiß, habe ich eher aus Büchern wie The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (dt. Supergute Tage) oder aber aus Brackmanns Buch zur Hochbegabung. Denn da gibt es ja gewisse Schnittmengen zwischen den Hochbegabten und den Autisten.

Zum Beispiel das Sehnen nach Sicherheit, Ordnung und geregelten Tagesabläufen. Mit Spontaneität komme ich nicht gut klar, unvorhergesehene Ereignisse können mich vollkommen aus der Bahn werfen. Die derzeitige Arbeitssituation hat für mich nichts mit Sicherheit zu tun: Erstmal nur elf Stunden, so dass mein Kopf nicht weiß, ob das jetzt richtig "Arbeit" ist oder nur eine Alternative zur Arbeitslosigkeit, eine unverbindliche kleine Beschäftigung, eh' nur drei Wochen, dann Ferien, dann vier Wochen, nichts Halbes und nichts Ganzes.

Und dann das zweite Halbjahr - Start mit reduzierter Stundenzahl, weil der neunte Jahrgang im Praktikum ist. Ich sollte mich freuen, dass ich so wenig Unterricht habe, und das wird mir auch noch bezahlt! Aber wieder ist der Stundenplan ein gefühltes zerstückeltes Werk. Ich muss zugeben, ich freue mich auf die nächste Woche.

Ich freue mich darauf, dass ich endlich einen vollen Stundenplan habe. Ich freue mich darauf, dass ich Aufsteh- und Zubettgeh-Automatismen einüben kann. Ich freue mich darauf, täglich etwas geschafft zu haben. Ich freue mich darauf, dass das jetzt ein paar Wochen so gehen wird. Denn jetzt weiß mein Gehirn endlich, dass es sich lohnt, sich für die KGS einzusetzen, jetzt kann ich mich darauf einlassen.

Wie sehr vermisse ich das, einen sicheren Stundenplan über längere Zeit - okay, das Ganze läuft jetzt auch schon wieder nur bis zu den Osterferien. Aber immerhin zwei Monate richtig arbeiten, das wird mir gut tun.

Diese mangelnde Sicherheit führt dazu, dass es mir richtig schlecht geht. Ich mache nichts in der Wohnung, ich habe keine "gedankliche Klarheit" und werde depressiv, ich frage mich, wofür ich das überhaupt tue. Und scheinbar gibt es auch einen psychosomatischen Effekt: Mein Immunsystem war lange nicht mehr richtig down, aber seit Dienstantritt an der neuen Schule schnodder' ich mich von A nach B und hänge in den Seilen.

Das war so schön damals, in St.Peter-Ording, ein geregelter Wochenplan, etwas, worauf ich mich verlassen konnte. Und vielleicht ist es nun verständlich, wenn ich schreibe, dass ich mich freue, dass ich ab nächster Woche endlich einen vollen Stundenplan habe.

Montag, 5. Februar 2018

Zombie

Ich könnte bei George A. Romero anfangen!

Montag. Der Wecker klingelt gnadenlos durch diverse Bewusstseinsebenen, auch wenn ich mir gerade vorgenommen hatte, diesen interessanten Traum von Bürokratie noch weiterzuträumen. Nützt ja alles nichts, die neue Arbeitswoche beginnt, auf zur Schule. Aber wie zu jedem Wochenbeginn fühle ich mich wie ein lebender Toter. Ich mag gar nicht in den Spiegel schauen, alle zwei Minuten reiße ich meinen Mund zum Gähnen so weit auf, dass die gesamte Schar kapitolinischer Gänse hineinpassen würde, die diese Woche übersetzt werden müssen. Wäre aber schade drum, denn dann würde Rom erobert. Lass ma', Stress muss jetzt nicht sein.

Ich merke, dass ich mir den Wecker in Zukunft noch eine Stunde früher stellen muss. Ich brauche verdammt lange, um nach dem Verlassen des Bettes wach zu werden, Koffein hin oder her, und ich schlafe im Bus fast wieder ein. Krampfhaft rekapituliere ich mein Method Acting, die Kiddies sollen nichts merken. Die Augenringe kann ich allerdings nicht wegschauspielern.

Es hat doch tatsächlich acht Wochen gedauert, bis erste Anfragen hinsichtlich des Blogs ankamen - "Darf der das denn?", so von solcher Art. Und die Standardantwort ist "Na klar darf der das!", solange er sich an §25 und die unter Punkt Zwei geregelten Ausnahmen hält. Hängt allerdings auch von der Schule ab; in Eckernförde durfte ich das nicht. Ist immer eine Frage der Menschen, denen ich damit Salz in Wunden streue. Ist nun einmal so: Die HB-Naivität sorgt leider auch dafür, dass man Problemzonen hemmungslos anspricht, aufdeckt, anprangert, ohne dass man jemanden verletzen möchte. Man fragt sich halt nur, warum denn niemand etwas dagegen tut. Und da kommt dann leider die menschliche Natur in's Spiel, die eben weder planbar noch logisch ist, weder sachlich noch einsichtig.

So, etwas später, Handwerker sind weg, Wasser wieder da, Zeit für ein wenig Hausarbeiten. Ich werde heute zum Test mal nach der tagesschau im Bett verschwinden, mal schauen, ob ich morgen immer noch derselbe Zombie bin oder ein wenig Lebensenergie aufgetankt habe (ohne an meinen Mitmenschen geknabbert zu haben).

Sonntag, 4. Februar 2018

Zuckerbaby

Ein nettes Experiment!

Ich liebe Süßes. Das war schon immer so, das wird wohl auch immer so sein. Und dennoch gab es in meinem Leben Phasen, in denen ich wochen- und monatelang nichts Süßes zu mir genommen habe. Dabei ging es gar nicht darum, mich zwanghaft zu kasteien: Die Neurodermitis hat mal wieder an die Tür geklopft. Und passend dazu hat die Sannitanic kürzlich einen Beitrag geteilt, in dem es im Prinzip darum ging, Kinder selbst die Grenzen des gesunden Zuckerkonsums kennenlernen zu lassen - logisch: Je mehr wir unseren Kindern Süßigkeiten verbieten, umso neugieriger werden sie darauf und umso stärker wird ihre magische Anziehungskraft. Das Kind sollte sich lieber einmal richtig den Magen verderben, um selbst zu merken, wie sich Grenzüberschreitungen anfühlen.

Ähnlich ist es bei mir auch, allerdings verderbe ich mir nicht den Magen, sondern es treten irgendwann Symptome meiner Neurodermitis auf. Das können Hautrötungen sein, starkes Jucken, was mir allerdings erst durch blutige Schrammen nach all' dem Kratzen bewusst wird, oder trockene, schuppige Haut. Oder alles zusammen. Es ist mal wieder soweit, und natürlich kann man die Symptome bekämpfen: Neurodermitis (auch atopisches Ekzem genannt) mag unheilbar sein, lässt sich aber wunderbar behandeln. So kann man die Haut mit Öl behandeln, Kortisonpräparate verwenden und auf die richtige Kleidung achten. Das allerdings sind nur Tropfen auf den heißen Stein, wenn man die Ursache des Neurodermitisschubs nicht angeht - in diesem Fall den Zuckerkonsum.

Die ersten zwei, drei Tage ohne Zucker sind schwierig. Das Craving, das Sehnen nach Süßigkeiten, ist sehr stark, ich muss oft daran denken und die Versuchung ist einfach zu groß, schnell mal unten in den Supermarkt zu gehen, und mich zu versorgen. Hier helfen mir, und deswegen habe ich es als Label zu diesem Beitrag angegeben, die Lehren des Buddhismus, stark zu sein und durchzuhalten. So lange, bis die kritische Schwelle überschritten ist und es mir nichts mehr ausmacht, mich zum größten Teil zuckerfrei zu ernähren.

Inspiration für den heutigen Beitrag war nicht die trockene Haut (leise rieselt der Schnee...), sondern eine Aktion bei rewe, in der Schokoladenpudding als Experiment angeboten wird: Vier kleine Becher, grundsätzlich die gleiche Rezeptur, einmal in der Originalvariante und dann mit jeweils 20%, 30% und 40% weniger Zucker. Die Kunden sollen testen und Feedback geben, welche Variante ihnen am besten gefällt. Eigentlich finde ich die Idee nicht schlecht, und weil es ein Experiment ist, sind die Puddinge auch preisreduziert. Ich werde das gleich einmal ausprobieren.

(...)

So, fertig. Das war eine spannende Erfahrung; mein Favorit war die Variante mit zwanzig Prozent weniger Zucker. Die Varianten mit weniger Zucker haben ziemlich lasch geschmeckt; ich hätte nicht gedacht, dass der Zucker so viel ausmacht. Hinsichtlich der Neurodermitis sollte ich also lieber auf "kein Zucker" umsteigen, bevor ich zuckerfreie Dinge esse, die ich nicht mag.

post scriptum: Zwischen den Unterrichtsvorbereitungen sollte man ruhig einmal abschalten, und so habe ich mir eben den Film "Cloverfield" (2008) angeschaut. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich durch einen Monsterfilm im "found footage"-Stil so gut unterhalten fühlen würde. Das war eine kurze, nette Ablenkung.

Freitag, 2. Februar 2018

Schwer erziehbare Kinder

Es ist nötig, hinter die Fassade zu schauen.

"Ach, machen sie sich keinen Kopf, wir sind hier eh' die absolute Horrorklasse", schallt es mir in meiner jetzigen Schule seitens der Schüler entgegen, bei der ersten Besprechung des Unterrichtsverhaltens. Als ich diese "Erklärung" höre, muss ich schmunzeln. Oder zumindest aufhorchen; zum einen, weil ich es sehr bedauerlich finde, dass offensichtlich seitens der Lehrkräfte den Schülern ein Bewusstsein vermittelt worden ist, sie seien anstrengend, nervig und eben der absolute Horror, bzw. eine Chaosklasse. Zum anderen aber, weil ihre Einschätzung sich nicht mit meinen Erfahrungen deckt, weil ich ganz andere Klassen unterrichtet habe. Schüler, die man im Volksmund als schwer erziehbare Kinder beschreibt. Spannende Kinder - und das, ohne dass es mir zunächst bewusst gewesen ist.

Ich habe an einer Schule gearbeitet, in der der durchschnittliche Lautstärkepegel während des Vormittags weit über dem lag, was ich von anderen Schulen kannte. Kein Schultag ging länger als bis zur sechsten Stunde, und dennoch war ich jeden Tag mittags so kaputt, dass ich erstmal ein bis zwei Stunden schlafen musste. Die Ohren haben mir geklingelt, und so gut wie nie habe ich es geschafft, in einer Stunde alles zu erledigen, was ich mir vorgenommen hatte. "Unterrichtsstörungen haben Vorrang", sagte mir ein sehr erfahrener Pädagoge und ich gehe seit Anfang meiner Unterrichtszeit mit ihm d'accord. Hat eben zur Folge, dass man weniger Pensum schafft - aber so ist Schule eben. Arbeit mit Menschen, die weit über das hinausgeht, was wir an der Universität gelernt haben und was in den Schulbüchern der Kinder steht.

Das Kollegium dieser Schule war sehr erfahren und abgehärtet im Umgang mit diesen Schülern, und sie haben mir erklärt, dass es durchaus vorkommen kann, dass man einmal laut wird im Unterricht. Und damit meine ich nicht laute Sprache, sondern Schreien. Die Klasse anbrüllen. Auf das Pult schlagen. Natürlich schwingt mir dabei immer der Satz einer anderen sehr erfahrenen Pädagogin im Ohr mit: "Wer laut wird, dem sind die Argumente ausgegangen." Und doch ist es mir an jener Schule auch hin und wieder passiert, dass ich tief in die Vulgärkiste gegriffen habe.

Das kommt nicht von ungefähr. Ich passe mich für gewöhnlich in meinem Sprachregister meinem Gesprächspartner an. Oft, ohne dass ich es merke. In vielen Klassen jener Schule saßen Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Allgemein als I-Kinder bezeichnet, nannte man sie früher Sonderschüler. Es gibt diverse Förderbedarfe, und an jener Schule habe ich sie alle kennengelernt und mit allen arbeiten dürfen.

Ich sage "dürfen", weil es unglaublich anstrengend ist, ungaublich herausfordernd und so oft unglaublich ernüchternd, und so oft bin ich an ihnen gescheitert, aber bei keinem anderen Schüler habe ich mich selbst so sehr weiterentwickeln können. Deswegen bin ich - anfangs etwas ängstlich - immer dankbar gewesen, wenn ich I-Klassen unterrichten konnte.

Einer dieser Förderbedarfe heißt, je nach Schule, in der Umgangssprache E/S oder EmSoz. Das ist kurz für den Förderbedarf emotionale und soziale Entwicklung und beschreibt Kinder, die genau auf diesem Feld Auffälligkeiten zeigen und/oder Rückstände aufweisen. Man bemerkt sie im Unterricht für gewöhnlich recht schnell als verhaltensauffällige Kinder - so haben sie zum Beispiel Probleme in der Interaktion mit ihren Mitschülern, werden schnell aggressiv oder verschließen sich vollkommen, schreien ohne offensichtlichen Grund herum, fangen an zu weinen und fordern ein gewaltiges Empathievermögen seitens der beaufsichtigenden Person ein.

In einer Klasse jener Schule hatte ich zwei E/S-Kinder, die mir regelmäßig den Unterricht zerlegt haben. Junge A wies unter anderem ADHS-Symptomatik auf, kletterte während der ganzen Stunde im Raum herum, konnte sich nie auf seinem Platz halten, hat übelste Vulgärsprache benutzt (siebte Klasse), hat Schuleigentum beschädigt und jede Möglichkeit gesucht, seinen Lehrern auf der Nase herumzutanzen. Mädchen B war sehr verschlossen. Sie meldete sich nie, zog dauerhaft eine Schnute und saß fast ununterbrochen mit verschränkten Armen an ihrem Arbeitsplatz (wir wissen, dass das eine Abwehrhaltung darstellt), mit ADS-Symptomatik. Sie versuchte krampfhaft, keine Emotionen zu zeigen, erst recht nicht Freude, Fröhlichkeit oder andere positive Empfindungen. Sie bemühte sich, möglichst wütend und stur zu wirken. Und jedesmal, wenn ich es geschafft habe, sie zum Lächeln zu bringen, drehte sie sich schnell zur Wand um und versuchte das zu verbergen.

In dieser Klasse habe ich es zu einem pädagogischen Totalausfall geschafft, und zwar nicht ob der allgemeinen Lautstärke und Unruhe, für die die Klasse an der Schule sowieso schon bekannt war (der Klassenlehrer wurde von uns allen sehr für sein Durchhaltevermögen bewundert), sondern besonders wegen der Spitzen, die die beiden E/S-Kinder dem Ganzen noch aufsetzen, die an Frechheit nicht mehr zu überbieten waren. In solchen Situationen schloddere ich mit meiner Sprache gern herum und klatsche ihnen auch nicht jugendfreie Dinge entgegen - ganz das reflektierend, was sie mir gegenüber äußern (s.Sprachregister oben). Einer dieser Vorfälle ist zuhause und dann der Schulleitung gemeldet worden und hat eine sehr spannende Kette von Ereignissen in Bewegung gesetzt.

Es kam zu einem pädagogischen Gespräch mit mehreren Beteiligten, Elternvertreter, Klassenlehrer, Vertrauenslehrer, Schulleiter, Soz.Päd. und Heimleitung.

Es war das erste Mal, dass ich seit Beginn meiner Arbeit dort mit einer Heimleitung gesprochen habe. Es hat nach Arbeitsbeginn sowieso sehr lange gedauert, bis mir bewusst geworden ist, dass der Einzugsbereich meiner Schule ein umfangreiches Netz von jugendpädagogischen Einrichtungen a.k.a. Kinderheimen umfasste. Das kannte ich vorher noch nicht, und ich habe sehr viel über den Umgang mit Heimkindern lernen können. Eines dieser Heime nenne ich jetzt mal Klaustal. Die E/S-Kinder jener besonders auffälligen Klasse waren beide Klaustal-Kinder, und zum Zeitpunkt, als ich die Klasse in Englisch übernommen hatte, wusste ich bereits, dass "Klaustal-Kinder" eine besondere Herausforderung sind. Früher hätte man das Haus Klaustal wohl als Heim für schwer erziehbare Kinder bezeichnet. Meine anspruchsvollsten Arbeitsfälle in der Zeit an jener Schule waren Klaustal-Kinder, und ich bin oft an ihnen gescheitert, bis ich mit der Zeit den richtigen Dreh gefunden hatte.

So saß nun also die Klaustal-Heimleiterin mit in der Runde und konnte nicht verstehen, wie ausgerechnet dieser Lehrer, über den bisher eigentlich ganz andere Rückmeldungen gekommen sind, solch' einen Totalausfall in der Stunde haben konnte.

Natürlich unterliegt dieses Gespräch der Schweigepflicht. Die Inhalte sind auch für diesen Beitrag weniger relevant als der Umstand, dass ich ein paar Wochen danach einen Termin abgemacht habe mit der Heimleiterin, um in Ruhe über ihre beiden E/S-Kinder zu sprechen. Und das taten wir dann; beide noch nicht ganz sicher, was wir vom jeweils Anderen halten sollten. Und es war ein tolles Gespräch. Die beiden Kinder berichteten mir danach in der Schule, dass es offensichtlich für alle Beteiligten sehr erleuchtend gewesen ist.

Mir hat das Gespräch vor allem klargemacht: Kinder mit einem E/S-Bedarf (oder jeglichem anderen) haben sich das nicht ausgesucht. A und B sind in einem Heim, und das nicht ohne Grund. Mancher Schüler ist ausgesetzt worden, manche Schülerin von den Pflegeeltern mehrfach sexuell missbraucht. Mit diesem Wissen in den Unterricht zu treten, war für mich erstmal nur noch mit einem riesigen Kloß im Hals möglich. Das Kind anzuschauen, das krampfhaft Emotionen zu verdecken sucht. Zu wissen, was mit ihm passiert ist... ich weiß noch genau, dass ich am liebsten losgeheult hätte. Und ich bin ganz anders rangegangen, mit einem ganz anderen Bewusstsein. Und auch bei A und B habe ich etwas bewirken können; gerade, als die Arbeit wirklich spannend wurde und erste Horizonte in Sicht waren, ging meine Arbeitszeit an jener Schule zu Ende. Schweren Herzens habe ich diese "Fälle" losgelassen.

Schwer erziehbare Kinder. Als ob die Kinder etwas dafür könnten, wie sie sind. Je verhaltensauffälliger sind, umso mehr tun sie mir leid...

post scriptum: Das ist tatsächlich einer der Hauptgründe, weshalb ich lieber an einer Gemeinschaftsschule als an einem Gymnasium arbeiten würde. Bei einer Stellenausschreibung für eine Vertretung hat der Schulleiter mir auf meine Absage hin geantwortet [denn ich hatte die Stelle an einer GemS in Aussicht]: "Aber Dr Hilarius, bedenken Sie, wir sind ein Gymnasium!" Als spräche das dafür, seine Stelle anzunehmen. Ich weiß, für viele Lehrer wäre das ein sehr schlagkräftiges Argument, aber ich habe nur geantwortet: "Sehen Sie, genau das ist der Punkt, Herr Schulleiter. Sie sind ein Gymnasium. Ich habe herausgefunden, dass ich lieber an einer Gemeinschaftsschule arbeiten möchte. Dort kann ich mehr erreichen."

Donnerstag, 1. Februar 2018

"Meine 2% Hochbegabung"

Dilletantisch, aber zweckerfüllend.

Dieser Ausdruck stammt von der großen Buba. Sie meint damit, dass es in ihrem Leben Momente gibt, in denen sie ansatzweise fühlen kann, wie ein Hochbegabter denkt und was für Konsequenzen das mit sich bringt. Ich finde das spannend, zu beobachten; sie ist da sehr aufgeschlossen und neugierig - denn sie hat mit Hochbegabten zu tun, um die kommt sie nicht herum.

Und gibt es das auch andersherum? Dass ich als Hochbegabter Momente im Leben habe, in denen ich fühle, wie ein "normales" Gehirn funktioniert? Denn ich weiß nicht, wie es ist, nicht zu denken. Ich habe über genau dieses Thema mit einigen hochbegabten Schülern meiner letzten Schulen gesprochen, und es scheint sich eine Aussage herauskristallisiert zu haben: Zum Abschalten kiffen manche Hochbegabte. Das fährt die Denkarbeit herunter, sie berichten, dass sie endlich mal chillen können, im Kopf.

Wenn mehrere HBs das unabhängig voneinander sagen, muss da was dran sein, oder? Ich habe im Studium Marihuana ausprobiert, konnte mich aber nicht dafür begeistern. Zum einen, weil ich generell nicht rauchen mag, ich sterbe vor Husten. Zum anderen war mein Gefühl unter dem Einfluss des THC nicht gechillt. Nicht entspannt. Sondern dumm. Ich habe mich unglaublich dumm gefühlt, für die einfachsten Gedanken zu blöd. Vielleicht ist es genau das, was die HB-Schüler als "geistige Auszeit" empfinden. Ich muss zugeben, ich mag das nicht - und genau das ist der Grund, warum ich seit Jahren nicht gekifft habe.

Ich frage ältere HB-Schüler (in vertraulichen Gesprächen) auch weiterhin, ob noch mehrere diese Erfahrung teilen. Denn spannend bleibt es nach wie vor - einmal zu empfinden, wie sich normalbegabte Menschen fühlen.