Freitag, 29. September 2017

Positives über das Arbeitsamt

Auf ein Neues...

Ich habe bereits vor einem Jahr so meine Erfahrungen mit dem Arbeitsamt sammeln dürfen. Und die waren gar nicht mal negativ, Herr Denk war nett und geduldig, hat mir alles Mögliche erklärt und sich ein bisschen Zeit genommen, mich zu verstehen. Das tun nicht viele, weil es anstrengend ist und Offenheit zum Ausbrechen aus klassischen Denkmustern erfordert.

So war ich ganz froh, als dann vor ein paar Wochen die Einladung ins Arbeitsamt kam, "Sehr geehrter Dr Hilarius, ich möchte mit ihnen gern ihre berufliche Situation besprechen." Unpersönliches Schreiben, ist auch richtig so, dauert ja sonst viel zu lange. Und oben rechts in der Ecke stand dann beim Namen des Sachbearbeiters "Denk". Das war ein wenig unerwartet, nach über einem Jahr immer noch oder schon wieder denselben Sachbearbeiter zu haben, aber es war keinesfalls unwillkommen. Er kannte den Doc ja schon ein wenig, so würde das Gespräch nicht vollkommen bei Null anfangen müssen, und so begab sich Dr Hilarius heute pünktlich zum Arbeitsamt.

Pünktlich, denn ich hatte ja so meine Erfahrungen mit Sperrfristen und wie sehr im AA (Buba spült) darauf Wert gelegt wird, dass man sich an die Vorgaben hält. Termin um viertel vor zehn, also saß ich um genau neun Uhr vierzig im Wartebereich vor Zimmer siebenundfünfzig, hatte schon einmal angeklopft, um zu signalisieren, dass ich da bin (wie es laut Aushang gewünscht wird, was ja ebenfalls nachvollziehbar ist). Keine Antwort, nun, sicherlich sitzt Herr Denk noch in der Frühstückspause und kommt gleich den Gang heruntergebummelt.

Fünf Minuten später. Zehn Minuten später. Eine andere Angestellte kommt am Wartebereich vorbei, verschwindet in einem der hinteren Büros und durch geöffnete Türen hört man eine angeregte Unterhaltung zweier Damen, in deren Verlauf es irgendwo heißt "Marc ist diese Woche ja nicht da, deswegen übernehme ich dies (und jenes blabla...)" - moment mal, ich weiß noch, dass mein Sachbearbeiter mit Vornamen Marc heißt und werde ein wenig misstrauisch. Nochmals fünf Minuten später, im Denk-Zimmer ist noch immer kein Licht angegangen und jene Angestellte, die vorhin von rechts nach links spazierte, kehrt nun von links nach rechts zurück, keine Unterhaltung mehr, und so mache ich mich auf zum hinteren Büro, um einmal nachzufragen.

"Ja, Herr Denk fällt zur Zeit aus, ach, hatten sie einen Termin beim ihm? Oh, da muss ich mal nachschauen..." und da ich ja mein Gehirn noch nicht so leicht zügeln kann, explodiert schon wieder alles in mir, weil es nicht das erste Mal ist, dass ein AA-Termin platzt, ohne dass man davon in Kenntnis gesetzt wird, nicht wahr, Buba la Tättah. Und ich atme tief durch und höre nur "Also, eigentlich sind davon alle in Kenntnis gesetzt worden, ich schaue gerade mal bei ihnen..." und ich bin kurz davor auszurasten "...da steht, es wurde eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen..." und all die Wut verfliegt und ich bekomme Bauchschmerzen. Wie, AB? Sicher, darauf war eine Nachricht, aber die war doch von meinen Eltern, oder? Hatte ich etwa nicht eine eventuelle zweite Nachricht abgehört? Oh man, wie peinlich, und ich bitte mal eben, dass sich die Erde auftut und all' die fiesen Gedanken verschluckt, die ich der jungen Dame habe entgegen schleudern wollen.

Und dann kommt es zum Glück im Unglück, denn die junge Dame hat gerade Zeit - weil ihrerseits ein Kunde (so heißt man im Arbeitsamt) gerade nicht zum Gespräch erscheinen konnte, also schieben wir eine spontane Session ein, eingeleitet durch ihr "Haben sie denn ganz dringende Fragen, etwas, was sie wissen möchten?" und damit habe ich nicht gerechnet. Das ist ja klasse. Und ich setze mich, sie schließt die Tür. Und dann nimmt Frau Hauschildt sich eine halbe Stunde Zeit und ganz viel Verständnis und klärt mich über all jene Dinge auf, über die ich im Unklaren war:

1) Wenn sich für mich ein Angebot ergibt, bei dem ich netto weniger als mein derzeitiges ALG verdienen würde, muss ich das nicht annehmen.

2) Wenn ich eine kurzweilige Vertretung annehmen würde, z.B. drei Monate, wird danach mein ALG unverändert weitergezahlt und der Bewilligungszeitraum entsprechend verlängert.

3) Ich muss, genau genommen, überhaupt kein Angebot annehmen, da das Bewerbungssystem über das pbOn eine Arbeitsvermittlung durch die Agentur für Arbeit ausschließt. Nur wenn mir eine Arbeit vermittelt würde, mit Rechtsfolgenbelehrung, könnte mir aus einer Ablehnung ein Nachteil entstehen.

Das Alles beruhigt mich schon sehr. Denn ich möchte auf keinen Fall so eine Pleite wie an der Jungmannschule in Eckernförde nochmal erleben, in deren Kollegium ich einfach nicht gepasst habe, und auch möchte ich nicht für drei Monate befristet ohne Aussicht auf Verlängerung an einer neuen Schule antreten, nur um dort von der Hälfte des Kollegiums wieder misstrauisch beäugt zu werden. Diese Ängste sind allesamt ausgeräumt, und das sehr geduldig und verständnisvoll und ganz spontan, so dass der nächste Gesprächstermin nun bis Mitte November warten kann.

Und das finde ich toll, also einmal danke an Frau Hauschildt und an die AA (nicht so schlimm wie der Sprung in der Schüssel). Hätte nicht gedacht, dass es einmal so angenehm verlaufen kann. Wochenende kann beginnen! Und bitte, liebe Kollegen, geht Skilaufen oder was weiß ich und brecht Euch die Beine, muss ja erstmal nur für ein halbes Jahr sein, aber das wäre schon ganz nett. Sorry für den Zynismus!

post scriptum: Beim Lesen "Im Denk-Zimmer ist noch kein Licht angegangen" klingt irgendwie witzig!

Donnerstag, 28. September 2017

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte

Es tut mir Leid, aber wer die AfD wählt, der hat bereits einen Sprung in der Schüssel.
Die Albernheit kann ich mir heute nicht verkneifen ;-)

Mittwoch, 27. September 2017

Es nervt! ...nicht mehr.


"MAAAAAN du Spast, fahr' nicht so dicht auf! Scheiße, gleich sind wir auf der B76, dann kannst Du überholen. Hallo? Hier sind fünfzig! Na super erst einschwenken und dann blinken, den Scheiß kannst du dir gleich komplett sparen. Ach ne, BMW, quelle surprise!"

So oder so ähnlich hat sicherlich jeder Autofahrer schonmal vor sich hin geschimpft. Extrem genervt, aufgeregt, was für ein Arsch sitzt da eigentlich in dieser Prollkarre! Seitdem der Theodor-Heuss-Ring am Waldwiesenkreuz ein paar hundert Meter lang fünfzig vorschreibt, kann ich mich jedesmal wieder ärgern über diese nervigen Autofahrer. Kann ich - könnte ich. Mache ich aber nicht mehr, denn ich habe Ruhe trainiert.

Das hat sich während der letzten Jahre Meditation ergeben. Ich meditiere im Liegen. Irgendwann habe ich mir vorgeschrieben, mich während der Meditation kein bisschen zu bewegen, den Körper quasi runterzufahren (in den Keller...). "Vorgeschrieben, wieso? Das ist doch eine Leichtigkeit, mache ich mit links!" Aber so einfach ist es nicht. Am Anfang ist es ganz leicht, es tut sogar sehr gut. Nach einem stressigen Tag, vielleicht mit aufregenden Erlebnissen, Streit oder persönlichen Niederlagen. All' diese ganzen Eindrücke erstmal setzen lassen, wunderbar, so kommt der Körper zur Ruhe. Das ist auch der Grund, warum man vor einer speziellen Meditation (wie z.B. Tonglen) zunächst fünfzehn bis zwanzig Minuten sitzen sollte.

Dann kann es allerdings schwierig werden. Ausgehend davon, dass mein Körper nun komplett ruhig ist, gibt es äußere Reize. Schönes Beispiel ist das Schwitzen nach einem warmen Bad: Das Entstehen eines Schweißtropfens nehme ich als mitunter intensiven Juckreiz war. Oh, wie gern würde ich nur einmal mit der Hand drüberwischen, geht ja auch ganz schnell, und danach kann ich ja weiter still liegen. Doch genau darum geht es mir: Körperbeherrschung. Den Juckreiz spüren, ihn aushalten, bis er wieder nachlässt. Ruhig bleiben, die ganze Zeit.

Anfangs war das echt schwierig, ich wollte nur mal eben die Hand anders hinlegen, nur einmal schnell die Wimpern, die sich verhakt hatten, richten. Vor acht Jahren war ich die ganze Zeit dabei, mich zu bewegen. Das kann ich auch ohne Meditation. Aber mit der Zeit bin ich stiller geworden und halte während der Meditation jeglichen Körperreiz aus, nehme ihn zur Kenntnis, lasse mich davon aber nicht ablenken.

Die Effekte des Trainings sind spürbar: Ich lasse mich weniger von Autofahrern reizen (auch wenn es ab und an dann doch passiert), ich lasse mich von Schülern nicht mehr so leicht auf die Palme bringen (und GemSchüler haben ein Händchen dafür!), ich habe keine Angst mehr vor Schmerzen; das macht den Gang zum Zahnarzt zu einem Kinderspiel und auch vor der OP am linken Zeigefinger hatte ich keine Angst.

Da wir unsere Mitmenschen, die uns wahnsinnig machen, nicht ändern können/sollten, liegt es also an uns selbst. Ich allein muss mich in die Lage bringen, die Situation zu ertragen, egal, wie unangenehm sie auch sein mag. So findet man Wege, mit sich selbst und Anderen Freundschaft zu schließen.

Dienstag, 26. September 2017

Bye bye, Kirche!

Der Kirchenaustritt ändert nichts daran, dass ich die Kreuzästhetik mag, ebenso wie die Symbolik, wenn es nicht als Kreuzigung aufgefasst wird, sondern im Sinne des Ankh als Ausdehnung in Zeit und Raum.

Evangelisch ist jetzt nicht mehr - oder war ich das überhaupt jemals?

Heute bin ich aus der Kirche ausgetreten. Getragen habe ich mich mit dem Gedanken schon seit Jahren, aber ich war wohl immer zu faul dazu. Nun, in dieser erneuten Phase der Arbeitslosigkeit, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken über die Frage, warum ich überhaupt Mitglied der evangelischen Kirche bin.

Das wurde irgendwann einmal von jemandem festgelegt, der offensichtlich über diesen Aspekt meiner Identität entschieden hat, ich wurde nicht gefragt, da ich noch zu jung war, und so wurde ich dann auch getauft. Ich habe nie darüber nachgedacht, habe es auch anfangs nie in Frage gestellt. Ich habe den Konfirmandenunterricht mitgemacht, weil ich dachte, dass jeder das muss. "Warum", das konnte ich mir nicht erklären. Ich habe meine Gottesdienste abgesessen und mich gelangweilt. Irgendwann war dann Konfirmation und ich habe von allen möglichen Leuten Geld bekommen, und auch da wusste ich nicht, warum. Ich dachte, so ist das nun mal, so wird es immer sein.

Dass ich nicht an irgendeinen Gott glaube, ist mir erst im Studium einmal richtig bewusst geworden. Und dann gab es bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken eine riesige Auswahl an Glaubensrichtungen und ich habe zum ersten Mal angefangen, darüber nachzudenken, woran ich überhaupt glaube. Ich glaube nicht an den Gott der evangelischen Kirche mit Kreation, Sünde und allem, was dazu gehört. Eine lange Zeit dachte ich, ich wäre wohl eher ein Agnostiker, der zwar nicht an Gott glaubt, aber anerkennt, dass es da irgendeine höhere Macht gibt. Das erschien mir logisch. Gott erschien mir nie logisch. Irgendwann fing ich an, sachlich zu denken.

In meiner Pädagogikprüfung zum ersten Staatsexamen lautete eines der Prüfungsthemen Humanistische Pädagogik (HP) mit Schwerpunkt auf der Transaktionsanalyse als eine aus der HP stammende Methode. Ich lernte Pestalozzi und Montessori näher kennen und konnte mein eigenes Handeln mit dem Hintergrund der HP sehr gut identifizieren - dementsprechend flüssig und angeregt lief dann auch die mündliche Prüfung. Daran hatte ich Spaß, das wurde eine sehr gute Prüfung, anders als der Konfirmandenunterricht, mit dem ich von Anfang bis Ende nichts anfangen konnte und mich immer wieder auf's method acting berufen musste.

Dann hieß es irgendwann Verbeamtung auf Probe a.k.a. Referendariat, und dort habe ich einen Eid abgelegt, der die Formel enthielt "...so wahr mir Gott helfe." - ich habe meine damalige Schulleiterin gefragt, ob ich das auch sagen muss, denn ich glaubte nicht mehr an Gott. Nein, musste ich nicht, und so las sie diese Formel vor, aber ich blieb schön still und lächelte höflich. In der Vorbereitung auf mein zweites Staatsexamen habe ich mich erneut viel auseinandergesetzt mit meiner pädagogischen Richtung. Ich habe mein Wissen über die HP vertieft und versucht, mein schulisches Handeln vor deren Hintergrund zu erklären. Das erschien drei der vier Prüfer (den Vorsitz hat sich, warum auch immer, der IQSH-Schulartvorsitzende als viertes Mitglied der Prüfungskommission gegönnt) nicht einleuchtend und so landete ich auf einer Drei in einem Portfoliogespräch, das mit meinem Portfolio nichts zu tun hatte.

Dass ich unabhängig von dieser willkürlich gesetzten Note trotzdem schulischen Erfolg hatte, bestätigte mich in dem Glauben, dass ich das Richtige tat. Mittlerweile hatte ich mit Kirchlichkeit nichts mehr am Hut. Mehr mit Menschlichkeit und dem Glauben an die eigenen, menschlichen Fähigkeiten. Und so kam ich dann irgendwann zum Buddhismus und entdeckte eher zufällig, dass viele meiner Lebenseinstellungen mit der buddhistischen Tradition übereinstimmten. Ich fing an, mich mit Glaubenssätzen und Lebensprinzipien auseinanderzusetzen. Ich bin immer noch am Anfang, aber ich habe mit einem Blick auf meine Abschlussabrechnung an der Neumünsteraner Schule beschlossen, dass ich keine fünfzig Euro Kirchensteuer monatlich mehr für etwas bezahlen möchte, was mir irgendwann aufoktruyiert wurde (oh, wie ich das Wort hasse), woran ich nicht glaube, wovon ich keinen Gebrauch mache, was mich nicht tangiert.

Somit bat ich vor ein paar Tagen beim Kieler Standesamt um einen Termin zum Kirchenaustritt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dann plötzlich alles so schnell ging: Die Standesbeamtin Frau K gab mir einen Termin, nur ein paar Tage später, und ich brauchte nur meinen Ausweis und zwanzig Euro Bearbeitungsgebühr. Ja, selbst der Kirchenaustritt kostet Geld, je nach Standort zwischen fünf und einhundert Euro. Das bekomme ich aber durch die gesparte Kirchensteuer zurück, die mir noch einen Monat extra abgeknöpft wird wegen einer Eigenart des Programms ("Aber die bekommen sie mit der nächsten Steuererklärung zurück!"). Frau K war unglaublich freundlich und überhaupt gut drauf. Und als Standesbeamtin hatte sie eine Uhr an einem Regenbogen-Armband. Egal, ob das nun etwas über ihre eigene Orientierung aussagen sollte oder einfach ein Statement zu ihrer Tätigkeit als Standesbeamtin war - ich fand es großartig!

So hat also dieser Kirchenaustritt, mit dem ich mich jahrelang getragen habe, nicht länger als zwölf Minuten gedauert. Es kann so einfach sein - und ich bin mit mir selbst einen Schritt weiter im Reinen.

post scriptum: Sieh' an, Frauke Petry wird aus der AfD austreten. Damit wird der Weg ein Stück freier in Richtung rechtsextreme Positionen - und damit hoffentlich auch in Richtung Selbstzerlegung der Partei.

Montag, 25. September 2017

Die, Yuppie, Die!

Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis' American Psycho

Hausarbeit: Die Yuppie-Subkultur
vorgelegt von Dr Hilarius

Inhaltsübersicht

1 Einleitung
2 Einleuchtend: Eine Begriffsdefinition
3 Umwerfend: Das Erscheinungsbild
4 Egozentrisch: Das Umfeld 
5 Schockierend: Gefühle
6 Psycho-Logisch: Versuch einer Erklärung
7 Beängstigend: Ein Ausblick
Auswahlbibliographie

1 Einleitung
„Die, Yuppie, Die“ – In der Verfilmung von Bret Easton Ellis’ Roman American Psycho zieren diese Worte mit Blut geschrieben eine Zimmerwand. Die Hauptfigur Patrick Bateman hat sie selbst, nachdem er eine Frau ermordet hatte, dorthin geschrieben. Was für ein Mensch ist Bateman, der tagsüber reich, gut aussehend und beliebt ist, aber nachts seine Bedürfnisse auf kaum eine andere Weise befriedigen kann als Frauen zu misshandeln, zu foltern und bestialisch zu ermorden?
Es gab und gibt noch immer zahlreiche Subkulturen in der Gesellschaft, die sich alle durch eigene Mode, Musik und auch durch ihre Berufe vom allgemeinen Trend abgrenzen. In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts kam ein neuer Typ Mensch auf, der 1983 zum ersten Mal als „Yuppie“ bezeichnet wurde. Auch wenn bereits 1986 vom Tod der Yuppie-Generation gesprochen wurde, war sie nach ein paar Jahren noch längst nicht ausgestorben.1 Es gilt zu untersuchen, ob auch heute noch Yuppies in der Gesellschaft zu finden sind. Zunächst muss die Begriffsbedeutung geklärt werden, danach die Eigenschaften und Charakterzüge des Yuppies und nicht zuletzt die gesellschaftlichen Umstände, die damals das Entstehen dieser Subkultur ermöglicht haben – sind sie heute auch noch derartig ausgeprägt, dass der Yuppie nicht aussterben wird?
Neben ein paar anderen Aufsätzen liegen dieser Arbeit vor allem der Roman von Ellis sowie The Bonfire of the Vanities von Tom Wolfe zugrunde: Nirgendwo findet man detailliertere Beschreibungen der Yuppies, ihrer Lebensart und ihres Umfeldes – wenngleich man auch bei Ellis’ Roman die Zynik und die Übertreibungen kritisch betrachten muss.

2 Einleuchtend: Eine Begriffsdefinition

Der Begriff „Yuppie“ ist aus dem Akronym zu „young urban professional“ oder „young, upwardly-mobile person“ entstanden. Es muss sich also per definitionem um einen jungen Menschen handeln, der in der Stadt wohnt und auf der Karriereleiter entweder bereits sehr weit oben steht oder sich auf dem Weg dorthin befindet. Es gibt allerdings so viele verschiedene Typen von Yuppies, dass kaum einer alle Kriterien erfüllt.
Der Begriff „Yuppie“ ist 1983 entstanden. Er ist als Wandlung vom Yippie, einem Akronym für die Mitglieder der Youth International Party, entstanden. Dass nicht nur ein namentlicher, sondern auch ein gedanklicher Wandel stattgefunden hat, wird in dem Kapitel über das Jahrzehnt der Egozentrik, „Me-Decade“, und die vorhergehende Zeit erläutert werden.
Der Yuppie entstammt der Mittelklasse, ist Anführer auf der Stilebene und setzt neue Trends. Sein Ziel ist es, durch harte Arbeit und Ehrgeiz den Aufstieg in die Oberklasse, die Klasse der Reichen, zu erlangen.2 Es ist eine Variante des „American Dream“, die dem Yuppie als Leitfaden für seine Karriere und Lebensplanung dient. Der Yuppie ist zwischen 1945 und 1959 geboren. Diese Tatsache wird später eine Rolle spielen, wenn man betrachtet, welche sozialen Umstände seine Jugend beeinflusst haben. Das Jahreseinkommen sollte bei mindestens 40,000 Dollar liegen; wenn man Wolfe Glauben schenken darf, gehörte dazu nichts weiter als eine gute Ausdauer und ein starkes Durchsetzungsvermögen:
If you weren’t making $250,000 a year within five years, then you were either grossly stupid or grossly lazy. That was the word. By age thirty, $500,000 – and that sum had a taint of the mediocre. By age forty you were either making a million a year or you were timid and incompetent. Make it now!3

Es ist allerdings nicht jedes Mitglied der Mittelklasse automatisch ein Yuppie. Es gab auch die Neue Klasse, politisch links orientiert und in universitären Berufen sowie Stiftungen, Medien und öffentlichem Dienst engagiert. Die Yuppies verdienen ihr Geld in der freien Wirtschaft als Anwälte, Manager, Makler und Berater. Diese Figuren lassen sich gesammelt in Bonfire wieder finden; Ellis dagegen beschränkt sich auf die Finanzwelt.
Patrick Bateman ist als solch „perfekter“ Yuppie sicherlich überzeichnet. Er ist 27 Jahre alt und arbeitet an der Wall Street bei der Firma Pierce&Pierce. Seine Stellung ist so hoch, dass er mehr für sich arbeiten lässt, als dass er selbst arbeitet. Er hat viel Geld von seinem Vater geerbt, wodurch er nicht unbedingt auf die Arbeit angewiesen ist. Dadurch kann er seinen Tagesablauf auch auf die Bedürfnisse eines Yuppies einstellen – in der Hauptsache werden hierbei die eigenen Ideale und die gesellschaftlichen Beziehungen berücksichtigt. Etwas anders ist es bei Sherman McCoy, einer Hauptfigur aus Tom Wolfes Roman. Jener ist 38 Jahre alt, aber trotz des Alters nicht minder gut aussehend und auf das Äußere bedacht als Bateman. Auch er legt gesteigerten Wert auf die gesellschaftlichen Beziehungen, allerdings verbringt er den Großteil seines Tages mit richtiger Arbeit – zufällig4 ebenfalls bei Pierce&Pierce. Dies erscheint deutlich realistischer als das Leben des hochstilisierten Bateman, wie Ellis es beschreibt.

3 Umwerfend: Das Erscheinungsbild

Ein Yuppie legt sehr großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Da das Geld bei den jungen, erfolgreichen Geschäftsleuten meist reichlich vorhanden ist und keine Notwendigkeit, zu sparen, besteht, kann der Yuppie sich feinste Anzüge, Hemden und Accessoires der angesagtesten Designer leisten – Ralph Lauren, Manolo Blahnik, Ermenegildo Zegna und Giorgio Armani sind ein paar der meistgenannten Namen in American Psycho.5 Patrick Bateman beschreibt, sobald er einen Menschen trifft, zunächst dessen momentane Kleidung und selten auch seine persönliche Meinung zum gewählten Stil, wobei er sich als Maßstab des guten Stils sieht. Er nimmt nicht ohne Grund jede Gelegenheit wahr, sich selbst in großen Spiegeln zu betrachten und zu bewundern. Er gibt auch anderen Menschen Gelegenheit dazu – einigen drängt er sein gutes Aussehen fast schon auf, wenn er mit den Marken, die er trägt, angibt. Sein Äußeres ist ihm fast schon wichtiger als sein eigener Gesundheitszustand:
Before leaving my office for the meeting I take two Valium, wash them down with a Perrier and then use a scruffing cleanser on my face with premoistened cotton balls, afterwards applying a moisturizer. I’m wearing a wool tweed suit and a striped cotton shirt, both by Yves Saint Laurent, and a silk tie by Armani and new black cap-toed shoes by Ferragamo. I Plax then brush my teeth and when I blow my nose, thick, ropy strings of blood and snot stain a forty-five-dollar handkerchief from Hermès that, unfortunately, wasn’t a gift. But I’ve been drinking close to twenty liters of Evian water a day and going to the tanning salon regularly and one night of binging hasn’t affected my skin’s smoothness or color tone. My complexion is still excellent. Three drops of Visine clear the eyes. An ice pack tightens the skin. All it comes down to is: I feel like shit but look great.6

Wie Bateman es schon beschreibt, muss sich auch die Haut in einem perfekten Zustand befinden. Er legt großen Wert auf die Reinheit seiner Haut und noch größeren auf die Bräunung, für die er von seinen Kollegen viele Komplimente erhält. So, wie er für seine Kleidung wahre Unsummen ausgibt, leistet er sich auch teuerste Körperpflegeprodukte und die Pflege der Haut nimmt mehr Zeit in Anspruch, als er sich eigentlich erlauben könnte. Einen Großteil seines Morgens verbringt er im Badezimmer.
Auch Sherman McCoy ist auf sein Äußeres sehr stolz, wenn er auch, bedingt durch seine Arbeit, nicht so viel Zeit im Bad verbringen kann wie Bateman. Um jedoch in einem Anzug gut auszusehen, muss auch die Figur passend sein. Daher verbringen sowohl Bateman als auch McCoy viele Stunden ihrer Freizeit in Fitnessstudios. Auch hier findet unter den Kollegen ein kleiner Wettstreit statt und keiner wird müde, seine Muskeln zu präsentieren und zu bewundern. Selbst, als ihm ein Spionagemikrophon am Körper befestigt werden soll, gilt McCoys erste Sorge seiner Selbstdarstellung vor den anwesenden Detektiven.
The bodily vanity of the male knows no bounds. Sherman’s immediate concern was that the definition of his pectoral, abdominal, and triceps muscles stand out sufficiently for these two men to be impressed by his physique. For a moment this cut through everything else. He knew that if he extended his arms straight down as if he were simply holding them at his sides, the triceps muscles would flex.7

Das Erscheinungsbild des Yuppies muss in jeder Sekunde, in jeder Situation absolut perfekt sein. Wenn Bateman beim Zerstückeln seiner Leichen einen Anzug trägt, gibt er sich größte Mühe, keine Blutflecken auf das Sakko zu bekommen. Wenn er zur Massage geht, setzt er seinen muskulösen Körper ins beste Licht, um Eindruck zu schinden. Geht es hier mehr um Schein als um Sein? Die in den Romanen beschriebenen Yuppies haben eine fabelhafte Ausbildung genossen, es geht also nicht darum, durch gutes Aussehen Defizite im Allgemeinwissen zu übertünchen. Lediglich die Schwerpunktsetzung ist anders. Es ist nicht wichtig, viel zu wissen. In einer Konversation lässt sich viel besser über neue Modemarken und berühmte Persönlichkeiten sprechen. Sollte es einmal, z.B. bei einem Rendezvous, keinen passenden Gesprächsstoff geben, kann man dann immer noch, so wie Bateman, den Bizeps sprechen lassen. Während man den Teilnehmern der Studentendemonstrationen in der 60er Jahren vorgeworfen hat, sie seien antiintellektuell, ist hier einfach von unintellektuell zu sprechen. Die Qualität eines Tages ergibt sich aus dem, was unter dem Strich nach Zusammenrechnung von Konsum jeglicher Art bleibt. Ehrenreich belegt diese Einstellung schlicht mit einem Yuppie-Wort: Ultra-dämlich.8
Wir betrachten eine Generation, die andere Wertmaßstäbe und andere Zielsetzungen hat – und eine völlig andere Motivation für ihr Handeln. Es muss noch erwähnt werden, dass die Yuppies selbst sich dieser Tatsache durchaus bewusst sind:
Andriutti liked the fact that when he reached around behind one of his mighty arms with the other hand, it made the widest muscles of his back, the lats, the latissima dorsae, fan out until they practically split his shirt, and his pectorals hardened into a couple of mountains of pure muscle. Kramer and Andriutti were of the new generation, in which the terms triceps, deltoids, dorsae, and pectoralis major were better known than the names of the major planets.9

Zum Erscheinungsbild zählt selbstverständlich auch das Alltagsverhalten und das Auftreten in Gegenwart anderer Personen, ohne schon in Kommunikation mit ihnen zu treten. Nachdem das Aussehen perfekt ist und auf Klasse und Wohlstand schließen lässt, darf sich der Yuppie auch beim Einkaufen nicht zurückhalten. Einkauf ist dabei fast schon eine Untertreibung. Ehrenreich verwendet den Ausdruck des „Hyperkonsums“ für die Art und Weise der Yuppies, das Geld auszugeben10: Ausländische Autos gelten ebenso als Statussymbol wie überteuerte Mittagessen ab 50 Dollar, zu denen man auch gerne gute Kollegen einlädt, ohne auf die Rechnung zu schauen. Der Yuppie kapituliert vor dem Konsumdruck; er beugt sich den aufgezwungenen Trends, die seine Mitstreiter immer wieder neu setzen. Auch hier gibt es Markennamen, die zum guten Ton gehören: Evian, Perrier, Porsche.
Es muss erwähnt werden, dass nicht nur die Yuppies dem Kaufrausch verfallen waren. Ganz Amerika hat das Geld ausgegeben, trotz der Rezession 1982/83 – oder vielleicht auch gerade deswegen. Selbst nach dem Börsenkrach 1987 standen Luxusgüter in hohem Ansehen. Im Vergleich zur Arbeiterschicht konnten die Yuppies sich die wirklich teuren Statussymbole leisten – und sie taten dies. Thorstein Veblen nannte dieses Phänomen „conspicuous consumption“, demonstrativen Konsum; Konsum hauptsächlich, um zu zeigen, welcher Schicht man angehört.
In jeder hoch industrialisierten Gesellschaft beruht das Prestige letzten Endes auf der finanziellen Stärke, und die Mittel, um diese in Erscheinung treten zu lassen, sind Muße und demonstrativer Konsum. (…) Keine Klasse, nicht einmal die allerärmste, versagt sich jeglichen demonstrativen Verbrauch.11

Es gibt viele Redewendungen der Art „Zeig mir, wer Deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist.“ – und sie lassen sich auf die Yuppies anwenden. Das Ansehen des Yuppies scheint sich direkt von seinen Besitztümern abzuleiten.
Besitzen Sie zur Zeit einen BMW, einen Mercedes, eine Kaffeemaschine von Krups, eine Küchenwaage von Teraillon, ein Designerstück von Issey Miyake oder Calvin Klein sowie Leberpastete in Dosen für alle Notfälle? Dann zeigen Sie einige typische Merkmale des Yuppies. Doch tragen Sie auch bestimmte Verhaltensweisen Ihren Mitmenschen gegenüber zur Schau?



4 Egozentrisch: Das Umfeld

Hier muss unterschieden werden zwischen drei Gruppen von Mitmenschen des Yuppies: Berufskollegen, Familie und Geliebte.
Diese Unterscheidung klingt ein wenig seltsam: Man würde normalerweise anstelle der Geliebten eher Freunde erwarten. Aber hat ein Yuppie richtige Freunde? Betrachten wir noch einmal, was im Leben eines Yuppies zunächst zählt: Karriere, Ansehen und gutes Aussehen. Für ein gutes Aussehen sind Freunde unerheblich. Ansehen wird oftmals durch die Karriere bedingt und eine Karriere gründet sich auf gute Beziehungen. Hierbei geht es aber eher selten um freundschaftliche als vielmehr um geschäftliche Beziehungen und deren rein profitablen Nutzen.
Die Kollegen im Job entsprechen bei dem Yuppie am ehesten dem, was gemeinhin als Freund gilt. Man verhält sich jovial, bespricht die neuesten Ereignisse und zieht über den schlechten Geschmack anderer her. Diese Berufsfreundschaft hält nur für die Dauer des gemeinsamen Büroaufenthaltes an. Bei Patrick Bateman verschiebt sich diese Freundschaft vom Büro in einige der angesagtesten Bars und Restaurants von New York, da er selbst kaum im Büro anzutreffen ist und seine Tagesplanung grundsätzlich das Mittagessen mit ein paar Kollegen einschließt. Sherman McCoy verbringt so viel Zeit im Büro, dass Kontakt mit Freunden außerhalb und abgesehen vom gemeinsamen Mittagessen gar nicht möglich ist.
Stört es nun die Freunde, wenn sie scheinbar so im Stich gelassen werden? Wer sind die Freunde, mit denen der Yuppie sich umgibt? Es handelt sich um Geschäftsmänner, Börsenmakler und Anwälte; solche Menschen eben, die dem Yuppie den Aufstieg ermöglichen können. Meist sind sie selbst Yuppies: Es ist ein Geben und Nehmen von Gefälligkeiten, ein ständiger Wechsel von Einladen und Eingeladenwerden. Jeder ist hierbei ganz auf sich selbst und seinen Aufstieg fixiert – es ist ein Kampf um die höchsten Ränge in der Mittelschicht, jene, die der Oberschicht am nächsten stehen. Wer hier zu langsam ist und seine Arbeit mit den dazugehörigen „Nebenjobs“ (wie jenes beschriebene gemeinsame Mittagessen und das Knüpfen und Ausnutzen von Beziehungen) nicht mit aller Energie verfolgt, gerät schnell ins Hintertreffen. So handelt es sich also bei den Freunden des Yuppies selbst um Yuppies, die keine Zeit für freundschaftliche Beziehungen außerhalb der Arbeit haben. Sie machen sich nichts daraus, wenn der andere nur ein paar Minuten Zeit am Tag für sie hat. Solange die kurzen kommunikativen Tätigkeiten irgendwie reguliert sind, ist alles in Ordnung. Es kann sich dabei auch einfach um ein fünfminütiges Telefonat handeln, das im Terminkalender seinen festen Platz gefunden hat und bei der Morgenzeitung erledigt wird, während der Schuhputzer treu ergeben seine Arbeit macht – für Sherman McCoy eine weitere Gelegenheit, sich seiner Selbstverliebtheit hinzugeben:
Felix, the shoeshine man, was humped over, stropping Sherman’s right shoe, a New & Lingwood half-brogue, with his high-shine rag. Sherman liked the way the elevation of his foot flexed his leg and sprung it out and put pressure on the inside of his thigh. It made him feel athletic. (…) Sherman enjoyed the pressure of the rag on his metatarsal bones. It was a tiny message of the ego, when you got right down to it – this great strapping brown man with the bald spot in his crown down there at his feet, stropping, oblivious of the levers with which Sherman could move another nation, another continent, merely by bouncing a few words off a satellite.12

Die Arbeit des shoeshine man bringt übrigens nicht nur die Gelegenheit, sich selbst wieder einmal überlegen darzustellen, sondern auch ein paar kostbare Minuten der Erholung in der hektischen Arbeitswelt des Yuppies. Es ist eine von den Kollegen anerkannte Ausrede, um sich für wenige Momente dem Müßiggang hinzugeben.
My shoeshine companions, two businessmen, were having their tasselled loafers buffed before cutting the next deal. A man with the longest and narrowest brogues I’d ever seen was supping a coffee-to-go, humming along to his gleaming white I-Pod, while the guy on my right was engrossed in his dog-eared paperback. The atmosphere was relaxed and I could see why New Yorkers seek refuge from the outside world, if only for a few moments.13

Wenn man diese Überlegungen in Betracht zieht, kann man sich nicht vorstellen, dass ein Yuppie ein ausgedehntes Privatleben genießt und enge Freunde um sich schart.
Die berufliche Karriere bringt einige persönliche Einschränkungen mit sich; diese sind für den Yuppie am ehesten im Umgang mit den Mitmenschen zu treffen. So schafft McCoy es kaum, jeden Tag auch nur 45 Minuten mit seiner Tochter zu verbringen. Wie also ist es unter diesen Umständen um das Familienleben bestellt?
Der „ideale“ Yuppie hat noch keine eigene Familie. McCoy ist, wie bereits erwähnt, mit 38 Jahren aus dem eigentlichen Yuppie-Alter heraus und kann nicht als gutes Beispiel herangezogen werden. Ein Kind bringt vielmehr noch als eine Frau Einschränkungen mit sich. Es ist nicht mehr möglich, die Nächte auf wilden Partys zu verbringen; dadurch wird der allgemeine gesellschaftliche Umgang sehr eingeschränkt, denn der Yuppie knüpft viele Beziehungen aller Art auf diesen Partys. Da Ansehen dem Yuppie sehr viel bedeutet, kann es so zu großen „Verlusten“ kommen. Ein Kind ist also nicht unbedingt erstrebenswert für den jungen, aufsteigenden Geschäftsmann.
Mit der Frau verhält es sich ähnlich. Eine Frau schließt Liebschaften eigentlich aus. Zumindest darf nicht mehr in der Öffentlichkeit auf die Jagd gegangen werden. Die mühsam im Fitnessstudio antrainierten Muskeln werden vergeblich zur Schau gestellt – theoretisch. Sherman McCoy ist verheiratet, Patrick Bateman hat eine Freundin. Dennoch geben sich beide gefährlichen Liebschaften hin. Im Hinblick auf Bateman gefährlich, weil er diese nach und nach immer grausamer misshandelt; für McCoy gefährlich, weil er zusammen mit seiner Affäre einen Unfall verursacht, der ihn in die Presse bringt und sowohl seine Karriere als auch seine Familie vollständig ruiniert. Für diese Liebschaften kann es zwei Gründe geben: Es kann sein, dass mit der Wahl eines festen Partners eben doch nicht alle Bedürfnisse des Mannes gestillt werden und sich Ersatzbefriedigungen beschafft werden müssen. Ein anderer Grund, der wiederum zum Yuppie-Bild beiträgt, ist das Sammeln von Trophäen: Natürlich geht niemand, der eine feste Beziehung führt, damit hausieren, dass er eine oder mehrere Geliebte hat. Dem Yuppie geht es aber in erster Linie um das Ansehen bei sich selbst. Er möchte immer als Gewinner gelten, als ein Mann, der alles erreichen kann – und damit den American Dream lebt. Eine Ausübung des American Dream ist allerdings kaum mehr möglich, wenn man schon alles erreicht hat. Was aber ist „alles“? Wo ist die Grenze, an der man sich sagen kann, dass man nun genug geschafft hat? Der Yuppie setzt sich immer höhere Ziele und findet gerade bei sich selbst nie Perfektion. Ein Textbeispiel zu der genannten Jagd auf die Frauen:
Der Anwalt Larry Kramer, eine andere Hauptfigur aus Wolfe’s Roman, ist besonders stolz auf seine Halsmuskulatur. Bei jeder Gelegenheit, Frauen zu beeindrucken, spannt er sie an.
Kramer’s mind wandered… The girl with brown lipstick… Soon she would be coming out… The very thought made him straighten himself up in his chair… He wished he had taken a look at himself before he came into the courtroom… at his hair, his tie… He tensed his neck and threw his head back… He was convinced that women were impressed by men with huge strenocleidomastoid muscles… He closed his eyes…14

Dieser Tick führt in der abschließenden Gerichtsverhandlung zu einer Bloßstellung, als ihm dieses Anspannen als Idiotie oder Spastik ausgelegt wird; Kramer fühlt sich als Mann sofort erniedrigt. Hier zeigt sich, wie sehr der Yuppie durch eine Herabsetzung der ihm wichtigen Werte in seinem Ego verletzt werden kann.
He kept throwing his head back and doing something weird with his neck, like this, and looking at me through those slits for eyes. What a creep.”
[Kramer’s] face was now scarlet, aflame, boiling with anger and, worse than anger, dismay. Someone in the room made a sound that might be a cough and might be a laugh. He didn’t have enough heart to investigate. Bitch! said his mind, consciously. But his nervous system said, Wanton destroyer of my fondest hopes! In this little room full of people he was suffering the pangs of men whose egos lose their virginity – as happens when they overhear for the first time a beautiful woman’s undiluted, full-strength opinion of their masculine selves.15

Kramer zeigt eine Gefühlsregung. Sie wirkt erstaunlich, da er ansonsten ein überlegenes, fast schon gefühlskaltes Ich an den Tag legt. Sind Yuppies abgestumpft und unfähig, Gefühle zu zeigen?

5 Schockierend: Gefühle

Ellis’ documentary intentions are clear, but his laconic descriptions of numb fornications, pharmacological excesses and teenage nihilism come dangerously close to violating Mark Twain’s third rule of writing: “That the personages in a tale shall be alive, except in the case of corpses, and that always the reader shall be able to tell the corpses from the others.”16

Dieser Kommentar bezieht sich zwar auf einen anderen Roman von Ellis, nämlich Less Than Zero, trifft aber auf den American Psycho ebenso zu.
Patrick Bateman hat eine Freundin, die er vermutlich liebt – aber nebenbei hat er unzählige Affären mit anderen Frauen. Es ist fraglich, ob sich hierbei von Affären sprechen lässt; meist sind es nur One-Night-Stands. Im späteren Verlauf des Romans bekommt der Begriff „One-Night-Stand“ schon fast einen zynischen Beigeschmack, da Bateman die Frauen vor, während oder nach dem Sexualakt ermordet – somit wird jegliche Gelegenheit zu einem zweiten Wiedersehen radikal ausgelöscht. Warum sollte es aber auch zu einem erneuten Treffen kommen? Die Frauen verlieren für Bateman nach der ersten Nacht ihren Reiz – etwas Neues muss her! Wolfe, der seine Figuren nicht ganz so überzeichnet darstellt, lässt McCoy immerhin „nur“ eine Geliebte haben, mit der er sich immer wieder trifft. Eines aber scheinen beide Romanfiguren gemeinsam zu haben: Die Gefühle, die sie ihrer Affäre gegenüber hegen, basieren auf rein sexueller Anziehung. Wenn es um Liebe geht, hat die feste Freundin bzw. die Ehefrau den höheren Stand.
Diese Arbeit sollte ursprünglich darauf hinweisen, dass es in der Welt der Yuppies kaum noch Gefühle gibt – mittlerweile hat sich der Blickwinkel aber geändert: Es gibt durchaus Gefühle und es ist nun nicht mehr wichtig zu zeigen, wie gering sie sind, sondern wie gefährlich sie für den Yuppie und für seine Mitmenschen sind.
Sherman McCoy hat sein Leben im Griff. Er bezeichnet sich selbst als „Master of the Universe“ und „King of the Jungle“. Er herrscht über die Gesellschaft, über die Wirtschaft und selbst über das wilde Leben in der New Yorker Bronx. Er hat sich selbst stets unter Kontrolle und wickelt seine Geschäfte routiniert ab, doch genau wie Kramer, der, wie zuvor beschrieben, nach einer Herabsetzung seiner ihm wichtigen Werte sozusagen „den Faden verliert“, wird auch McCoy nach einem Unfall aus der Bahn geworfen.
Gefühle, das sind nicht nur Liebe und Leidenschaft, sondern zum Beispiel auch Angst. Für McCoy ist bei der Arbeit höchste Konzentration wichtig, um maximale Gewinne aus seinen Geschäften zu schlagen. Am Telefon möchte er einen seiner wichtigsten Deals mit einem Partner besprechen, als er in der Zeitung einen Bericht jenes Unfalls entdeckt, bei dem er einen Jungen aus der Bronx angefahren hat – während er mit seiner Affäre unterwegs war. Es steigt schlagartig Angst in ihm auf, Angst, im Gefängnis zu landen und nicht zuletzt Angst davor, dass seine Frau von der Affäre erfährt. Die kühle Fassade des Geschäftsmannes ist gebrochen und er schafft es nicht mehr, sich auf das Telefonat zu konzentrieren. In der Folge geht ihm später das geplante große Geschäft verloren. Gefühle sind für den Yuppie gefährlich, weil sie die Macht besitzen, seinen hart erarbeiteten festgelegten Weg durcheinander zu bringen. Sie können genau das zerstören, was ihm das Wichtigste ist: Die Gewissheit, Macht über andere zu haben, zwar keine Macht über das Schicksal zu besitzen, aber das Schicksal weitgehend und bedeutsam beeinflussen zu können.
Patrick Bateman ist eine gefühlskalte Figur. Er kann keine wahre Liebe gegenüber seiner Freundin äußern; die Beziehung bricht am Ende des Romans auseinander. Nicht einmal das weckt in Bateman eine starke Gefühlsregung. Die einzigen Gefühle, die Bateman wirklich bewegen können, finden sich auf sexueller Ebene. Er sucht sexuelle Befriedigung bei Pornos, Prostituierten und auch bei einfachen Bekanntschaften. Um wen es sich dabei handelt, bedeutet ihm nichts. Die Frau wird zum Objekt reduziert, auf das seine eigenen Wünsche projiziert werden. Seine Lüste zieht er aus den brutalen Darstellungen der Pornos, die er sich anschaut: Frauen werden missbraucht und umgebracht. Für Bateman entwickelt sich diese Gewaltdarstellung bald zu einem Maßstab für guten Sex. Poschardt schreibt, dass die Pornographie eine Art der Technologie ist, den Anderen zu virtualisieren: „Die Befriedigung ist zur Selbstbefriedigung mit Hilfe abstrakter Medien geworden, deren Kälte daraus resultiert, dass der Andere aufgelöst wird in Zeichen der Repräsentation.“17
Auch bei den Liebesszenarien, die Patrick Bateman entwirft und durchspielt, ist die yuppietypische Ich-Bezogenheit und Selbstverliebtheit zu erkennen. Er zwingt die Frauen, seine Phantasien auszuleben, hat die Sexualakte völlig unter Kontrolle und analysiert sein eigenes Verhalten auch dabei sehr distanziert. Zwar geht es ihm auch darum, die Frauen zum Orgasmus zu bringen, aber nicht, damit sie ihren Spaß haben: Er muss sich selbst beweisen, dass er in der Lage ist, eine Frau zufrieden zu stellen. Wichtiger jedoch ist ihm der eigene Orgasmus, den er später mit immer abstruseren und brutaleren Mitteln herbeiführt.
Was anfangs nur auf den Videos dargestellt ist, wird später für ihn zur Realität. Frauen werden zunächst misshandelt und vergewaltigt, danach gefoltert und umgebracht – zerstückelt, von Ratten zerfressen, mit Säure zersetzt und von diversen Werkzeugen verstümmelt. Die Frau ist das Objekt, die Leinwand, auf die Batemans Phantasien geworfen werden. Sie ist ein Ding, mehr nicht. Er entwickelt niemals Gefühle für die Frau an sich – in einer Szene praktiziert er Oralverkehr mit dem abgetrennten Kopf einer Frau, während eine zweite gefesselt daneben sitzt – und empfindet das als äußerst befriedigend. Wenn man die Gefühlskälte betrachtet, scheint es irgendwann wirklich nicht mehr möglich, Bateman von den ihn umringenden Leichen zu unterscheiden, um es mit Twains Worten zu sagen.
Man kann zu dem Schluss kommen, dass Ellis seinen „Protagonisten“ als gefühlloses Wesen dargestellt hat, das seinen einzigen Genuss aus maßloser Gewalt zieht.
Zum einen muss angemerkt werden, dass Bateman sich zwar auch an Kindern und Obdachlosen vergreift, dass er aber gewisse Personen wie zum Beispiel den bisexuellen Luis Carruthers, der sich in ihn verliebt hat, verschont. Ja, er warnt ihn sogar mehrfach, dass er ihn umbringen würde, wenn er ihn weiterhin belästigte. Es scheint also zumindest eine gewisse Differenzierung der ihn umgebenden Menschen durch Bateman zu geben, welche aus dem Grad der Beziehung zueinander resultiert.
Zum anderen ist Ellis’ Roman auch hier aufgrund seiner Übertreibungen wieder mit Vorsicht zu genießen; Tom Wolfe hat sicherlich das realistischere Bild der Gefühlswelt eines Yuppies entworfen.
Man muss bei Ellis jedoch die Quintessenz betrachten: Bateman vergewaltigt und mordet ohne Rücksicht auf irgend jemanden; er erzählt sogar offen von seinen Eskapaden, doch es scheint niemanden zu interessieren. Desinteresse und Egozentrik auch hier wieder im großen Stil – dadurch gewinnen die Schlussworte in Ellis’ Roman – auf einem Schild über der Tür in einer Bar – eine umfassendere Bedeutung: „This is not an exit.“18

6 Psycho-Logisch: Versuch einer Erklärung

Bisher wurden das Aussehen und das Verhalten des Yuppies beschrieben und eine Motivation für sein Handeln dargestellt. Es bleiben zwei Fragen offen: Wie kam es überhaupt zur „Entwicklung“ der Yuppies? Warum ist der Yuppie derart egozentrisch?19
Der Yuppie hat sich nicht durch ein urknallähnliches Ereignis selbst aus dem Nichts erschaffen. Es gab ihn schon länger, schon vor seiner offiziellen Benennung. Wie bereits beschrieben, ist der Begriff im Jahr 1983 entstanden. 1984 fanden Präsidentschaftswahlen in Amerika statt, der Wahlkampf lief bereits im vorhergehenden Jahr. Ronald Reagan hat die Wahl gewonnen, sein größter Gegner war Walter Mondale. Es konnte jedoch noch ein dritter Kandidat überraschend viele Stimmen für sich gewinnen, nämlich Gary Hart. In New Hampshire hat er Mondale sogar um 10% der Stimmen überholen können.
Es hatte sich eine Gruppe der aufstrebenden Mittelschicht auf seine Seite geschlagen; man war sich einig, diese Gruppe wie auch Hart selbst den Yuppies zuzuordnen. Auf diese Weise gelangte der Begriff an die Öffentlichkeit. Auch durch das 1983 von Marissa Piesman und Marilee Hartley veröffentlichte The Yuppie Handbook war das Phänomen in aller Munde.
Damit ist zwar erklärt, wie die Yuppies ans Tageslicht gekommen sind, wie sie entdeckt wurden, aber nicht, wie sie in erster Linie zunächst als unauffällige Subkultur entstanden sind. Das Augenmerk muss dabei weiter zurück in die Geschichte gerichtet werden zu den Verhaltensweisen der Hippie-Generation.
Der Begriff „Yuppie“ ist aus dem vorhergehenden „Yippie“ entstanden, einem Akronym für die Mitglieder der Youth International Party. Hierbei handelte es sich um eine Gruppe anarchistisch-radikaler Hippies der sechziger Jahre – und scheinbar ist etwas von dieser Radikalität bei den Jugendlichen der Generation zwanzig Jahre später wiederzufinden: Sie bringen ihre rücksichtslos fordernde Haltung in den Konkurrenzkampf der Achtziger ein. Diese Charakterzüge haben sich bereits in ihrer Jugend gefestigt, als sie versuchten, sich demonstrativ gegen ihre Eltern zu stellen und eine egoistische, politisch konservative Linie zu gehen. Man kann einen Übergang von den friedlichen Hippies über die Radikalen bis zu den Yuppies erkennen und diese Wandlung im Lebenslauf des Yuppies manifestieren: Als Kind erlebt er die Hippies ohne Möglichkeit zur „Gegenwehr“ mit; als Jugendlicher stehen ihm in anarchischen Gruppierungen erstmals Möglichkeiten zur Äußerung seines Unmuts offen und schließlich, im Alter von etwa 30 Jahren, kann der Yuppie gänzlich dem oben beschriebenen Lebensstil frönen und somit der Lebensart seiner Eltern den Rücken zuwenden.
Zwei grundlegende Voraussetzungen haben sich in den zwanzig Jahren von 1960 bis 1980 für den angehenden Yuppie nicht geändert: Er ist stets Mitglied der Mittelklasse (mit dem Wunsch zum Aufstieg) und er kann ein Leben im Überfluss genießen. Einzig die Art und Weise, mit dem Überfluss umzugehen, hat sich geändert.20
Mittelklasse und hohes Einkommen scheinen zunächst im Widerspruch zu stehen. Tatsächlich ist die Einkommensverteilung der amerikanischen Bevölkerung etwa als Gaußsche Kurve zu betrachten mit einem geringen Prozentsatz der Bevölkerung in den hohen bzw. niedrigen Einkommensbereichen. Unter der Regierung Reagan wurde allerdings direkt auf eine Umformung dieser Kurve hingearbeitet; Sozialleistungen und Subventionen für Sozialprogramme wurden gekürzt, während der Oberschicht großzügige Steuererleichterungen eingeräumt wurden.21 Die Folge war ein Ansteigen der Einwohner mit besonders hohem bzw. besonders niedrigem Einkommen. Der sogenannten Mittelschicht drohte der Boden unter den Füßen zu schwinden.
Die Yuppies hatten die Wahl: Entweder, sie gaben sich den politischen Maßnahmen hin, taten nichts und rutschten wie ein großer Prozentsatz der Bevölkerung in Richtung Armut ab oder sie traten den Kampf an zum Aufstieg in die Oberschicht. Die Yuppies entschieden sich für letztere Alternative. Ihre radikale, egoistische und zielstrebige Haltung sollte ihnen dabei helfen.
Das erklärt, wie es für den Yuppie zum Konsumrausch, zum Egoismus und zum Kampf um den Einstieg in die Oberschicht gekommen ist. Was hat es jedoch mit der Selbstfixiertheit und der Selbstverliebtheit, die sowohl in The Bonfire of the Vanities als auch in American Psycho so erschöpfend dargestellt werden, auf sich? Um meinen Versuch einer Erklärung darzustellen, ist zunächst ein kurzer Exkurs in die Subjektstheorie nach Jacques Lacan notwendig.
Im Folgenden wird der Mensch als Subjekt betrachtet, als handelndes Wesen, im Gegensatz zum Objekt, welches durch jeden anderen Menschen, also jedes „Nicht-Subjekt“ repräsentiert werden kann. Der Mensch, also das Subjekt, wird gern als hoch entwickeltes Wesen gelobt, man spricht von ihm als rational denkendes und selbstbestimmt handelndes Individuum. Das Subjekt selbst ist jedoch gespalten in ein „Ich“ und ein „Mich“, sozusagen in eine aktive Einheit und ein passives „Selbstobjekt“. Damit ist die obige Aussage nicht mehr haltbar: Der Mensch befindet sich ständig auf der Suche nach seiner Identität, nach einer Definition dieses Selbstobjektes und ist in seinem Handeln somit dieser Motivation unterworfen.22 Brigitte Nölleke schreibt: „Das Prekäre am Subjekt ist sein Widerspruch: unterworfen zu sein (…) und sich gleichzeitig als autonom, als Verursacher zu verstehen.“23
Das Subjekt ist einem System unterworfen. Dieses System ist eine Ideologie, die materielle Praxen und materielle Rituale vorschreibt. Die erste Wirkung dieser Ideologie zeigt sich bereits bei der Geburt, wenn die Kinder in Jungen und Mädchen unterschieden werden: Sie werden als unterschiedliche Subjekte konstituiert. Hier hat allerdings eine Fremdklassifizierung stattgefunden; wann erkennt der Mensch sich zum ersten Mal selbst?
Der Beginn jeder Subjektskonstituierung liegt im sogenannten Spiegelstadium. Lacan nennt den Menschen im 6.-18. Monat homelette, ein kleines Wesen, das sich selbst noch nicht erkannt hat. Erst der erste Blick in einen Spiegel erlaubt das Erfassen des eigenen Körpers als Einheit; dabei muss es sich noch nicht einmal um einen Spiegel handeln. Es kann jegliche Projektions- und Reflektionsfläche dienen, auch ein Gegenüber wie z.B. die eigene Mutter. Am Spiegel lässt sich die daraus resultierende Problematik allerdings noch besser erklären: Das Kind betrachtet und versteht nun diese Reflektion im Spiegel als sein „Mich“, als das Selbstobjekt, welches es ständig zu definieren versucht. Es ist für das Kind nun Standard, das Ideal-Ich nicht in der eigenen Person, sondern in der Reflektion der eigenen Person in einer anderen Gestalt zu sehen. Sein ganzes Leben lang wird es versuchen, diesen Prozess fortzuführen und sich in den anderen Menschen, den Objekten (=“Nicht-Subjekten“) zum Zweck der Selbstdefinition zu spiegeln. „Man kann das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen im vollen Sinne, den die Psychoanalyse diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwandlung.“24
In der zweiten Phase des Spiegelstadiums wird die Sprache erlernt. Das Kind wird Teil eines sprachlich-kulturellen Systems, kann mit anderen Menschen kommunizieren und sie als Objekte seiner Spiegelung betrachten. Es kann jetzt mit Worten zwischen „Ich“ und „Du“ unterscheiden und sich von seinen Mitmenschen abgrenzen. Diese Abgrenzung ist notwendig, um die eigene Identität überhaupt definieren zu können und sie nicht mehr als Kopie einer anderen Identität zu betrachten. Das Kind/Subjekt wäre damit überfordert, stets bei der Spiegelung die gesamte Persönlichkeit im Anderen zu sehen, zu erkennen und zu analysieren. Somit können bei jeder Spiegelung nur einzelne Charakterfacetten eingefordert und bestätigt werden. Ohne Mitmenschen ist es nicht möglich, das wahre Selbst zu bestimmen, weil das Unterbewusstsein des Subjekts nur im ständigen Diskurs – und dabei nur unzureichend – repräsentiert wird. Es bedarf der Anwesenheit eines „Nicht-Subjekts“, an dem sich das Subjekt realisieren und definieren kann.25 Eigentlich kann also von Autonomie und selbstbestimmtem Handeln des Menschen keine Rede mehr sein (bzw. Autonomie kann nur unter diesen kompromittierenden Voraussetzungen existieren), da der gesamte Vorgang unbewusst abläuft.
Übertragen wir diese Theorie nun auf die Yuppies: Der Drang zur Selbstabgrenzung entsteht aus der Rebellion gegen die elterlichen Lebensweisen. Die Yuppies wissen sehr genau, was sie darstellen wollen (und was nicht!), doch sie müssen ständig prüfen, ob sie ihrem eigenen Ideal genügen. Dies kann ganz einfach ein oberflächlicher Blick in den Spiegel oder auf den Kontostand sein. Es kann sich dabei auch um Nachfragen im Umfeld und Bestätigung durch die Mitmenschen handeln. Aber nicht zu unterschätzen ist jenes Verhalten der Spiegelung, bei dem der Yuppie durch sein Verhalten beim Anderen Reaktionen hervorzurufen versucht, die seine Selbstdefinition bestätigen und untermauern.
Sherman McCoy bezeichnet sich selbst als „Master of the Universe“ und „King of the Jungle“. Er meint, alle Fäden in der Hand zu haben und immer Herr der Lage zu sein. Durch die Reaktionen seiner Geliebten, seiner Frau und seiner Geschäftspartner auf sein Auftreten, die er teils bewusst (wie am Anfang dieser Arbeit beschrieben), teils unbewusst provoziert, fühlt er sich in dieser Position gesichert. Das Leben des Yuppies ist ein Hochseilakt, eine Wanderung auf schmalem Grad. Wenn das eigens aufgebaute Ideal nicht mehr erfüllt werden kann, wenn die Spiegelung fehlschlägt, dann kann dies nicht nur zum finanziellen und gesellschaftlichen Ruin, sondern auch zur völligen Zerstörung der eigenen Identität und jeglicher Grundlage zum Wiederaufbau selbiger führen. Sherman McCoy durchlebt eben diesen Prozess in mehreren, schmerzhaft kleinen Schritten bis zur Auflösung seiner Identität.
Sherman stared at Lopwitz’s smiling face and grew frightened. Lopwitz wasn’t perturbed. He wasn’t even particularly put out. Not, the fate of Sherman McCoy didn’t make all that much difference.26


7 Beängstigend: Ein Ausblick

Im Lauf dieser Arbeit ist ein durchweg negatives Bild der Yuppies entstanden. Sie sind egoistisch, auf materielle Werte fixiert, überheblich und stellen nur eine kurzlebige Subkultur dar. Zu Lebzeiten wurden sie von der Presse verspottet und bereits kurz nach der Geburt wieder zum Tode verurteilt. Wir haben jedoch gesehen, dass es sie bereits vor ihrem großen Auftritt 1983-1986 gab und viele Kritiker sprechen auch von ihrem Nachlass, der sich noch in die Neunziger erstreckte. Statistisch gesehen gibt es den 1953 geborenen Yuppie noch etwa bis ins Jahr 2030. Es mag sich so ergeben, dass die Kinder der Yuppie-Generation sich wiederum ihren Eltern entgegenstellen und andere Wege einschlagen wollen – und deren Kinder dann zurück auf den Weg der Yuppies gelangen.
Mir scheint die Gesellschaft jedoch einheitlicher geworden und der Trend nach Abgrenzung etwas zurückgegangen zu sein. In Zeiten von androgynen Popstars, Sozialhilfeempfängern mit Villen im Ausland und viel zu breit gefächerter Alltagsmode ist es nicht mehr leicht, aufzufallen. Man hat sich einfach satt gesehen und an zu viele Dinge gewöhnt, als dass die Yuppies heute noch beeindrucken könnten – auch nicht als „Gossips“ (Gadget Obsessed, Status Symbol Infatuated Professionals).
Die Voraussetzungen für das Yuppietum sind geblieben – man kann durchaus sozialen und finanziellen Aufstieg erkämpfen, aber es ist bei Weitem nicht mehr so (scheinbar) leicht wie vor zwanzig Jahren.
Ich gehe davon aus, dass es sie nach wie vor gibt, die geschäftstüchtigen, selbstsüchtigen jungen Aufsteiger, doch es kümmert niemanden, ob sie gerade einen Millionendeal abgeschlossen haben, wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis sitzen oder sich wegen einer Geliebten im Ehekrach befinden. Sie müssten schon Politiker oder Popstars sein – da hilft auch kein Manolo Blahnik.







Auswahlbibliographie

Birnbach, L. (Hg.). The Official Preppy Handbook. New York: Workman Publishing, 1980.

Chenoune, Farid. A History of Men’s Fashion. Paris: Flammarion, 1993.

Cooper, Jilly. Class. A view from middle England. London: Corgi Books, 1999.

Ehrenreich, Barbara. Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse. Hamburg: Rowohlt, 1994.

Ellis, Bret Easton.. American Psycho. New York: Vintage, 1991.

Gianoulis, T. “Yuppies”, St.James Encyclopedia of Pop Culture. Gale Group, 2002.

Gorer, Geoffrey. Die Amerikaner. Eine völkerpsychologische Studie. Hamburg: Rowohlt, 1956.

Guckel, Volker. Im Spiegel des Anderen: Studien zur Konstituierung des Subjekts im dramatischen Werk David Mamets. Würzburg: Königshausen & Neumann, 1993.

Hackett, Jeremy. Mr Classic. London: Thames and Hudson, 2006.

Lacan, Jacques. Schriften I. Olten: Walter, 1973.

Nölleke, Brigitte. In alle Richtungen zugleich: Denkstrukturen von Frauen. München: Frauenoffensive, 1985.

Polhemus, Ted. Street Style. London: Thames and Hudson, 1994.

Poschardt, Ulf. Cool. Hamburg: Rowohlt, 2002.

Shapiro, Walter. “The Birth and – Maybe – Death of Yuppiedom”, TIME magazine, April 8th, 1991.

Sheppard, R.Z. “Yuppie Lit: Publicize or Perish”, TIME magazine, June 24th, 2001.

Veblen, Thorstein. Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt/M.: Fischer, 1986.

Wolfe, Tom. The Bonfire of the Vanities. London: Picador, 1990.
1 Shapiro 1991.
2 Ehrenreich 1994, 193.
3 Wolfe 1990, 70.
4 Oder absichtlich; Ellis’ Roman ist direkt nach Wolfes Roman erschienen und sicher auch eine Satire darauf.
5 In seinem Buch weist Farid Chenoune darauf hin, dass der cool town suit allerdings in dem Moment an Ansehen verloren hat, als er von den Yuppies entdeckt wurde: „This suit lost its cool image, since the double-breasted version became an unmistakable symbol of competitive subservience and social climbing.“ (Chenoune 1993, 312).
6 Ellis 1991, 106.
7 Wolfe 1990, 633.
8 Ehrenreich 1994, 246.
9 Wolfe 1990, 118.
10 Ehrenreich 1994, 225.
11 Veblen 1986, 93; siehe auch: Gorer 1956, 125.
12 Wolfe 1990, 269, 271.
13 Hackett 2006, Kap.9.
14 Wolfe 1990, 142.
15 Wolfe 1990, 709f.
16 Sheppard 2001.
17 Poschardt 2002, 152.
18 Ellis 1991, 399.
19 Bisher habe ich nur versucht, die Motivation für das karriereorientierte Handeln zu erklären; es geht jetzt um die Ursachen der Selbstverliebtheit („Me-Decade“) und ihre Auswirkungen auf das Verhalten den Mitmenschen gegenüber.
20 Der Begriff „Überfluss“ ist sicherlich etwas großzügig; nach Ende des zweiten Weltkrieges ging der Trend zunächst zur Gleichheit der Amerikaner; Ende der sechziger Jahre begann dann aber die Aufspaltung in Arme und Reiche (Ehrenreich 1994, 196).
21 Ehrenreich 1994, 197.
22 Es handelt sich dabei nicht um die bewusste Selbstfindung bzw. Selbsterfahrung wie z.B. in den sechziger Jahren; die Suche nach dem Selbstobjekt findet unbewusst statt!
23 Nölleke 1985, 106.
24 Lacan 1973, 64.
25 Guckel 1993, 29.
26 Wolfe 1990, 474.

Sonntag, 24. September 2017

Let's talk about sex: Der Fetisch

Muskeln? Unterwäsche? Dog tags? Oder darf es etwas Abgefahrenes sein...?

Vorwort: Natürlich hätte ich heute über den Ausgang der Wahl schreiben können, so wie fast alle das machen würden. Zum einen beschäftigen sich aber bereits fast alle öffentlichen Medien damit, da muss ich nicht auch noch mithalten, zum anderen möchte ich ungern eine verfrühte Meinung äußern, bevor Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sind und die Politik der kommenden Jahre sich langsam abzeichnet. Also geht es um Sex, auch wenn es heute bei Weitem nicht so interessant ist wie der Wahlausgang - und ich will hoffen, dass Ihr alle Eure Kreuze gesetzt habt!

Sex kann eine großartige Sache sein. Anspannend, wenn es mal wieder nötig ist, aufregend, während man dabei ist, entspannend, wenn es vorbei ist. Ausgleichend, beruhigend, es gibt so viele positive Eigenschaften, aber was bedeutet "Sex" eigentlich genau? Natürlich geht es dabei nicht ausschließlich um den Geschlechtsverkehr, wie wir ihn alle irgendwann einmal kennen gelernt haben oder kennenlernen werden. Es gibt da weitaus mehr, und ein für mich besonders interessanter Aspekt sind Fetische.

In diesem Blog habe ich schon öfters von gedanklichen Assoziationen geschrieben, so zum Beispiel gestern erst über die Verbindung vom Geruch von Badesalz und Erinnerungen an eine Exkursion in Griechenland. Also hat mein Gehirn diesen Duft mit etwas Schönem verbunden; auch wenn ich beim Baden nicht in Griechenland bin, so fühlt sich das alles für einen Moment wieder erstaunlich real an. Und das wird auch in Zukunft noch oft so sein, wenn ich diesen salzigen Geruch verspüre.

Und auf eine ganz ähnliche Weise verbindet unser Gehirn im Laufe des Lebens Sex mit Dingen, die wir davor, dabei oder danach erleben. Ganz grundlegendes Beispiel: Der Duft des Körpers des Anderen. Schnell prägt sich dieser ein, und schon kann es reichen, den Anderen einfach in den Arm zu nehmen und einmal tief einzuatmen, um an Sex zu denken. Es können aber auch ausgefallenere Sachen sein, aber dazu weiter unten.

Ebenfalls extrem weit verbreitet sind bestimmte Körperfetische. Männer mit Bart, Frauen mit großen Brüsten, Brillen, Wespentaille - da kann es schon fast egal sein, was für ein Mensch in diesem Körper steckt, schon beim Anblick kommt der Gedanke an Sex, selbst wenn einen sonst nichts verbindet.

Ein ganz klein wenig ausgefallener sind Klamottenfetische. Da gibt es die Klassiker, Uniformen, Soldaten, Krankenschwestern, Bauarbeiter, Anzüge, Socken, Unterwäsche - und hier kommen wir langsam zu einer Eigenart des Fetischs: Die Abwesenheit eines Sexpartners. Über die Zeit hinweg hat man sich zum Beispiel einen Underwearfetisch angeeignet - Männer und Frauen in Unterwäsche anfangs, dann irgendwann mit Fokus auf den Wäschestücken; dabei fällt dann öfters auch der Geschlechtsverkehr an sich weg. Es reicht, das Wäschestück zu sehen, es in den Händen zu halten, fühlen, riechen, für viele Menschen eine wunderbare Grundlage zur Selbstbefriedigung. Der Fetisch kann also den Akt an sich ersetzen - und dadurch wird das Spektrum des Begriffs "Sex" deutlich erweitert.

Einen anderen Klassiker habe ich in diesem Blog schon einmal beschrieben, das sogenannte muscle worship. Eine ganz andere Form - sollte das schon als nicht-sexuell bezeichnet werden? Denn diese Form gemeinsamer Vergnügung ist definitiv ein Fetisch, der aber auch unter heterosexuellen Partnern gleichen Geschlechts stattfinden kann. Also mal nicht so verklemmt sein, offener werden und "Sex" nicht nur auf das Eine reduzieren, damit blockiert man sich gegen eine ganze Menge Spaß.

Es kann auch härter zur Sache gehen, so kann psychische und physische Gewalt zur Grundlage eines Fetisches werden, und das nicht nur beim BDSM (Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism). Es kann auch filmische Gewalt oder Gewalt in Videospielen (zum Beispiel bei den Varianten des Ryona) genossen werden. Wenn man sich gegenseitig Gewalt zufügen möchte, sollte selbstverständlich ein safe word verabredet werden; dann kann die Gewalt auch hier den sexuellen Akt komplett ersetzen.

Generell gilt, das alles erlaubt sein sollte, was
1) beiden Partnern Spaß macht
2) beide in diesem Moment wollen
3) niemand Anderem in irgendeiner Form schadet (wie z.B. Pädophilie, auch ein Fetisch) und möglichst legal ist.

Ich frage mich, ob jeder Mensch einen oder mehrere Fetische hat. Wenn man bei sich selbst eine speziellere Neigung entdeckt, sollte man sich ruhig einmal darauf einlassen. Es könnte so viel Spaß und Genuss dahinterstecken, also bleibt neugierig!