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Sonntag, 16. Januar 2022

Endlich wieder da


Ich stelle fest, dass mich die erste Schulwoche vollkommen überfordert hat. Die Kollegen wiedersehen, die Schüler wiedersehen nach so langer Zeit. Den Unterrichtsversuch Videospiele weiterführen. Neue Corona-Maßnahmen, Verdacht auf HB/Aspi bei einer Schülerin und nebenbei eines der besten Videospiele erleben, die ich bisher gespielt habe, und als Abschluss Erkältung am Wochenende. Ursprünglich wollte ich meine Eltern an der Westküste besuchen, aber meine Mutter hat - weise, weise - vorgeschlagen, den Besuch um zwei Wochen zu verschieben, bis ich wieder im Tritt bin.

Acht Wochen ohne Unterricht, ohne Schule, das ist wahrscheinlich auch für neurotypische Menschen nicht einfach so umzustellen. Für den Aspi, der sich auf einen "Krankheits-Alltag" umgestellt hatte, ist das noch eine Spur schwieriger. Aber, und das bleibt immerhin zu erwähnen, es war eine tolle Woche. Viele neue Eindrücke, das Gefühl, dass einige Schüler sich tatsächlich freuen, dass Dr Hilarius wieder da ist. Vielleicht schaffe ich es in der nächsten Woche, das Chaos etwas abzuarbeiten, und vielleicht schaffe ich es endlich, den neuen Psychologen-Termin anzupeilen. 

Ich hätte nicht gedacht, dass grauer Alltag eine schöne Sache sein kann, aber er bietet Regelmäßigkeit, Sicherheit (so denn möglich), eine Art Ariadnefaden durch das Gewirr der Unvorhersehbarkeiten.

Kann losgehen (mit Zeugniskonferenzen an den nächsten drei Tagen, hochspannend)!

post scriptum: Die Neuverfilmung von Frank Herberts "Dune" durch Denis Villeneuve (2021) ist schön anzusehen und anzuhören [und weckt viele Erinnerungen an "Blade Runner 2049" (2017)], aber ich muss zugeben, sie hat mir wieder Lust auf die Verfilmung von David Lynch (1984) gemacht. Der alte Film mag zusammenhanglos, surreal und dreamlike sein - Lynch eben - aber ich glaube, er gefällt mir besser als der Neue, vielleicht gerade wegen seiner Skurrilitäten; Villeneuves Film ist auf Hochglanz poliert und massentauglich, soweit man bei der Romanvorlage von Massentauglichkeit sprechen kann. I prefer films with an edge.

Mittwoch, 5. Januar 2022

Zerstreut


Vor ein paar Wochen habe ich meinen Personalausweis bei Rewe vergessen. Bei der Impfung habe ich meinen Schirm dort liegen gelassen. Heute Mittag habe ich dann meine Bankkarte im SB-Automaten gelassen. Ich staune, dass ich es noch schaffe, meinen Kopf mitzunehmen, wenn ich die Wohnung verlasse - wobei, offensichtlich habe ich meinen Kopf nicht dabei.

Drollig, das lässt mich an einen wunderbaren französischen Animationsfilm denken, J'ai perdu mon corps (Ich habe meinen Körper verloren, 2019); dort ist eine Hand auf der Suche nach dem Rest des Körpers, niedlich, romantisch, sehenswert und auf Netflix verfügbar.

Nicht ganz so drollig ist, wie zerstreut ich momentan offensichtlich bin. Und jedes Mal geht es auf eine unvorhergesehene Planänderung zurück: Heute morgen klingelt mein Wecker wie geplant um Acht. Ich drücke die Snooze-Taste, noch fünf Minuten kuscheln, ich habe genug Zeit. Der Wecker klingelt nochmal, ich schalte ihn ab, okay, wie fange ich heute an? Ich muss darüber nachdenken... im Bett... kurz die Augen zu... FUCK. Halb Zwölf. Verschlafen.

Ich hatte keine Termine, aber ich wollte einige Dinge erledigen - die müssen auf morgen warten. Heute vor dem Zubettgehen schreibe ich mir eine komplette Liste für morgen, und bei'm Weckerklingeln stehe ich direkt auf. Ich muss meinen Perso wiederbekommen, meine Bankkarte wiederbekommen, das Video an die Schüler schicken, mein Iserv durchschauen - wovor ich tatsächlich etwas Angst habe - mein Impfbuch aus den Achtzigern zu meinem Hausarzt bringen, damit ich endlich mal einen neuen gelben Impfpass habe.

Hoffen wir einfach mal, dass ich morgen vernünftigen grip bekomme und meinen Kopf mal nicht nur wörtlich bei mir habe.

Sonntag, 2. Januar 2022

Kann losgehen!

Bald darf ich endlich meinen Schülern wieder auf die Nerven gehen...

So, angekommen im neuen Jahr Zwanzig Zweiundzwanzig (wie angenehm, die Zwei ist meine Lieblingszahl), heute nochmal gammelig-ruhig, kann es dann morgen losgehen mit der Arbeit. Da steht Einiges an, und ich vermute mal, dass ich meine Schulaufgaben besser werde erledigen können, wenn die Wohnung nicht mehr ganz so chaotisch aussieht. Außerdem ist Regen angesagt, grau, und das ist wunderbares Putzwetter.

Die Impfung (Moderna) habe ich scheinbar gut vertragen; gestern Abend war ich ein wenig matschig-flau, aber heute scheint alles wieder in Ordnung zu sein. Jetzt muss ich nur noch darauf achten, dass ich mich nicht komplett in das aktuelle Zelda-Spiel (open world games können massig Zeit fressen, weil man keinerlei Vorgaben bei der Erkundung der Welt hat) reinschlotzen lasse - geht aber, wenn ich einen vernünftigen Zeitplan mache. Das wird eine Woche der Buba-Abende, auch wunderbar, wir sind gerade voll im Fringe-Fieber und regen uns über dumme Männer auf (irgendwie geht das viel leichter als bei dummen Frauen - vielleicht, weil sie sich nur so selten dumm verhalten).

Morgen steht der nächste Gang zu Rewe an, denn die Salate, Sandwiches und Nachtische sind aufgebraucht. Also gehe ich wieder los und kaufe viermal das Gleiche. Es ist so wunderbar entspannend, wenn man sich nicht entscheiden muss, was es zu essen gibt. So kann ich mich eher auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren. Vorsätze? Nein. Die dienen nur als Grundlage für Enttäuschung, und im Buddhismus lernt man, keine Grundlagen für negative Gefühle zu schaffen. Stichwort: Ich sollte meine Lojong-Kenntnisse auffrischen.  

Nehmt Ihr Euch Sachen für das neue Jahr vor?

Donnerstag, 23. Dezember 2021

Schnee. Schuhe. Schuss.

Zeit für den nächsten Schuss

Wenn man in einer abgedunkelten Wohnung lebt, die Rollos quasi dauerhaft runtergezogen, dann bekommt man nicht mit, was draußen abgeht - von den Geräuschen mal abgesehen; es ist immer wieder erheiternd, das Kopfkino einzuschalten, wenn unten auf der Kreuzung entnervt gehupt wird. Und immer mal wieder ein Krankenwagen mit Lalü-Lala, denn ein paar Häuser weiter haben wir eine Klinik, und ein paar Häuser in die andere Richtung weiter haben wir ein Altenheim. So bastelt man sich seine Geschichtchen zurecht.

So habe ich heute überhaupt nicht mitbekommen, dass es schneit. Ich war damit beschäftigt, mit einer jungen Frau durch den Regen zu wandern und eine Geschichte zu entdecken. Gen Abend mache ich immer die Fenster auf, um über Eck durchzulüften, dafür ist eine Eckwohnung wirklich prädestiniert - und dabei habe ich dann das weiße Gedöns da draußen entdeckt. Schnee. Nass, kalt, dreckig. Und es ruft mir in Erinnerung, dass ich ja schon lange neue Schuhe kaufen wollte - Straßenschuhe, schwarz natürlich, möglichst bequem, denn momentan trage ich Hallenschuhe und die geraten bei Regen und Schnee gern in's Rutschen. Das muss nicht sein. Also werde ich über die Feiertage mal nach einem neuen Paar Schuhe suchen. Typisch Aspi: Eigentlich geht das doch alles, warum sollte ich etwas ändern? Erst danach merkt man, dass das doch eine gute Idee war.

Und wenn ich diese neuen Schuhe dann habe, dann kann ich sie nutzen, um an Silvester in den Bus zu springen und runter an den Schwedenkai zu fahren, ich habe mir endlich einen dritten Impftermin besorgt. Das habe ich ewig vor mir hergeschoben - sechs Monate sind ja noch nicht rum, Impfstoff ist knapp, bei'm Hausarzt würde ich einen Termin im März bekommen. Also probiere ich es gar nicht erst. Klottseidank habe ich heute dann einfach ein paarmal geklickt und kann mir jetzt den Schuss setzen lassen, voraussichtlich mit Moderna. Bin gespannt!

Ich hab's ja nicht mit Weihnachten, aber ich wünsche Euch einen schönen Tag morgen!

Freitag, 3. Dezember 2021

In Handschellen

Hat nicht viel mit dem Arzt von heute zu tun, aber mit dem Film I Am Not Your Negro (2016) von gestern. Schöne Kunstinstallation (aus Candyman (2021). Und trotzdem musste ich heute bei den JVA-Beamten daran denken.

Ja, wie erwartet, neue Eindrücke, aber gar nicht so viele. Genug, um sie während dreier Hallucinogen-Songs im Hintergrund niederzuschreiben, denke ich. Ich bin auch nach Urintest und Ultraschall gar nicht so viel schlauer, sondern habe hier im Wesentlichen mehr Medikamente und die nächste Krankschreibung für eine weitere Woche sowie den nächsten Termin am kommenden Freitag - und das ist auch kein Grund, sich Sorgen zu machen, denn so etwas kann auch bei guter Behandlung mehrere Wochen dauern; wird Zeit, sich was für die Schüler zu überlegen. Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass die "Autismus-Nummer", über die ich gestern geschrieben hatte, wieder funktioniert hat; ein sehr netter Arzt, ein sehr nettes Gespräch und Befund und ich fühle mich sicher betreut. Alles im grünen Bereich, soweit es eben geht.

Trotzdem war es interessant zu sehen, wie es so in einer urologischen Gemeinschaftspraxis aussieht - und ich finde es faszinierend, wie dort alles voller Männer ist, Ärzte und Patienten, aber trotz allem die Sprechstundenhilfen immer weiblich sind. Ich habe mit achtunddreißig Jahren noch keine männliche Besetzung dort getroffen. Nicht, dass ich was dagegen hätte - es fällt mir nur gerade kurios auf.

Ebenso kurios - naja, oder auch nicht, wenn man länger drüber nachdenkt - wie die beiden Herren in den Uniformen mit dem Aufdruck Justiz, die einen weiteren Herren in grünem Outfit und Handschellen in die Praxis hinein- und etwa eine Stunde später wieder hinausgeführt haben. Ich hatte ein bisschen Mitleid mit dem Häftling. Klar, es gibt Gründe, warum er in diese Position geraten ist. Trotzdem muss es sich irgendwie anfühlen, als Gefangener in Handschellen vor den Augen von zehn bis zwanzig Patienten zu einem Urologen gebracht zu werden. Und dieses Irgendwie kann ich mir nicht toll vorstellen. Sind aber vielleicht auch nur meine Theory of Mind-Probleme als Aspi (obwohl ich die ja scheinbar nicht habe, thank you Hochbegabung).

Und so geht es weiter: Strikte Ruhe zuhause. Videospiele, Filme, es wird Zeit für mein jährliches Viewing der X-Files. Starting now.

post scriptum: Ich finde, Toni Collette ist eine sehr talentierte Schauspielerin. Ich sehe sie immer gern, und es beeindruckt mich, dass sie in unterschiedlichsten Genres funktionieren kann. Ich hatte bisher gedacht, sie wäre eher auf Filme mit Comedy-Einschlag spezialisiert, wie "Knives Out" (2020) und "Hereditary" (2018), aber sie kann offenbar auch in einem Science Fiction-Film ganz ohne Humor überzeugen, und das auch noch als Captain einer Marsmission in "Stowaway" (2021). Tolle Frau!

Dienstag, 19. Oktober 2021

Nagelriss


Of all the things I could write about today
 schreibe ich über Pflaster. Und Socken. Und Hausschuhe mit Stahlkappen. Serviert mit einem charmanten Glas Asperger pur.

Ich liebe es, im Sommerhalbjahr barfuß durch die Wohnung zu laufen. Das fühlt sich irgendwie "authentischer" und befreiender an. Leider haben Aspis manchmal ja so ihre Problemchen mit der Feinmotorik - und vielleicht trägt auch die Hochbegabung zu der Situation bei: Wenn ich schnell durch die Wohnung gehe, mit dem Kopf schon drei bis fünf Schritte weiter, stoße ich öfters mit dem Fuß gegen etwas. In den Kronshagener Bergen hatte ich das Problem nie, da mein Zimmer quadratisch war und alle Sachen bei den Wänden waren; die Zimmermitte war frei, kein Navigieren nötig.

Das kann sehr schmerzhaft sein, wenn zum Beispiel die kleinen Zehen unter der Badezimmertür eingeklemmt werden und die Nägel brechen und es blutet. Manchmal ist es aber nicht schmerzhaft, sondern einfach nur nervig, zum Beispiel wenn ich mit dem großen Zeh gegen den metallenen Couchfuß stoße. Passiert häufiger, weil ich die Couch öfters in die Liegefunktion umstelle, ich schlafe im Wechsel mal im Bett, mal auf der Couch.

Leider war der Nagel des großen Zehs lang genug, um zuerst mit voller Wucht gegen das Metall zu stoßen. Der Nagel ist dabei gesplittert und mittig eingerissen bis in's Nagelbett. Das ist der Moment, in dem ich mir denke "Okay, wenn ich nicht hinschaue, ist es vielleicht nicht so schlimm" - nützt aber alles nichts. Es tat kaum weh, aber der Riss im Nagel kann meine Socken im Gebrauch zerreißen. Ist schon mehrfach passiert; leider kann ich diesen Riss nicht einfach wegschneiden, weil er so tief geht. Also muss ich ihn irgendwie abdecken, und dazu benutze ich Fingerpflaster. Wer sagt, dass man die nicht auch für Zehen verwenden darf? Klar, Leukoplast würde es auch tun. Aber ich nutze das, was ich im Schrank habe.

Um solche Unfälle zu vermeiden, sollte ich vielleicht mal über Hausschuhe mit Stahlkappen nachdenken - wobei das nicht zielführend ist, denn wenn ich meine Birkenstock-Latschen trage, dann habe ich solche Problem bisher nicht gehabt. Ein Gutes hat die Episode dann aber doch: Sie erinnert mich daran, dass ich mir Tigerpantoffeln für die Wohnung zulegen wollte. Die geben zumindest ein bisschen mehr das Gefühl von Fuß-Boden-Kontakt und schützen vor diesen Unfällen.

Passiert Euch das auch so oft? Dass Ihr in der Wohnung irgendwo anstoßt; muss nicht mit dem Fuß sein, Hand ist auch sehr beliebt, oder Schienbein et cetera. Oder kann ich die Häufigkeit (etwa einmal alle zwei Wochen) auf das Asperger-Syndrom schieben?

post scriptum für Frau Schwarzbohrer: In der Linkliste links ist der Abschnitt "Mindfuck Movies" - das sind Filme, die ich mir auf jeden Fall mehrfach anschaue. Teilweise wirklich *sehr* oft.

Samstag, 16. Oktober 2021

Entbuben, Teil Zwei


Das war echt ein kulinarischer Orgasmus (zumindest für mich, typisch Mann eben). Und nun ist es Samstag, und die große Buba fettschneckt zurück nach Pellworm, und wir beide spüren: Die Ferien gehen zu Ende, Montag ist der Alltag wieder dran. Das löst in meinem Gehirn eine Umstellung aus; Buba-Tage fühlen sich für mich ganz anders an als unbubige Tage. Klassisches Symptom: Ich werde wieder zu einer Hete. Und ich freue mich auf die Schule am Montag, denn jetzt darf sie wieder meinen Fokus darstellen.

Klar, das bedeutet, dass morgen ein Berg an Korrekturen ansteht. Das Wetter wird wieder etwas grau (aber das kann ich in meiner Wohnung zum Glück gut ausblenden), der Alltag wird nass, und ich werde mich am Montag und Dienstag erstmal wieder mit meinen Schülern reconnecten müssen. Es stehen ernsthafte Notengespräche an, und diesmal werde ich sie mir bei einigen Schülern tatsächlich vorher "skripten". Das macht es für die Kiddies natürlich nicht besser: Erste Englischstunde und es gibt sofort die Realitätskeule, das dürfte ein Motivationskiller für einige sein. Aber vielleicht kann ich daraus auch einen Funken mehr Mitarbeit im Unterricht machen.

Ich schaffe es tatsächlich nicht, mich an einem Tag sowohl auf die große Buba als auch auf die Schule zu fokussieren, und das ist typisch Aspi: Das sind quasi zwei meiner Spezialthemen, in die ich mich vollkommen vertiefen kann, da kann nichts Anderes nebenher sein. Ganz oder gar nicht. Und so habe ich den heutigen Tag damit verbracht, mich zu entbuben. Also heißt es jetzt erstmal für einige Wochen:

"Bye bye, die große Buba!" (und wir klötern natürlich, wenn wir die Zeit und den Nerv dafür finden)

Mittwoch, 6. Oktober 2021

Nach ihr das Spülbeben


Hat wieder ein paar Tage gedauert, aber nun kann das Ferienpoltern mit der großen Buba beginnen. Das lag zu einem guten Teil an mir, gestern hätte sie gekonnt, aber ich hatte noch ein Experiment, das sich bis in die Nacht gezogen hat - genauer gesagt, bis sieben Uhr achtundzwanzig heute früh. Schlafdefizit? Check! Aber dafür bin ich jetzt um einige Erfahrungen reicher, unter anderem um Charlie Kaufmans Film I'm Thinking of Ending Things (2020); wenn man seine Werke wie Eternal Sunshine of the Spotless Mind oder Adaptation oder Synecdoche, New York kennt, weiß man, worauf man sich einlässt und wie man für eine nicht immer ganz einfache Lektüre belohnt wird. Ist auf Netflix, wer ein wenig postmoderne Suche nach dem Sinn des Lebens braucht, findet dort allerhand (eigentlich ein bisschen ungewohnt für Netflix, das nicht gerade für seine Fülle an anspruchsvollen Filmen abseits des Mainstream bekannt ist).

Ich bin zudem völlig überfordert - aus "Hmmm, was ist das da für eine Miniserie, die mir da vorgeschlagen wird?" über "Rottentomatoes hat einen extrem positiven Kritikerspiegel und -konsens" zu "Ich habe gerade Mike Flanagans (The Haunting of Hill House) neue Miniserie die ganze Nacht durch geschaut". Das muss alles verarbeitet werden, Blogeintrag folgt. I'm a sucker for really good horror stories.

Wie dem auch sei, auf diese Weise habe ich nicht nur ein Schlaf-, sondern auch ein Lach- und Kreischdefizit angesammelt und die Nachbarn ahnen schon, was das bedeutet - diesmal habe ich aber nicht extra eine Warnung in's Treppenhaus gehängt. Die werden schon wissen, was abgeht, wenn es zwischen achtzehn- und dreißigmal unten an der Tür klingelt, dann von oben ein alter Mann "Getränk?" in das Treppenhaus brüllt und von unten eine stampfende Browniebuba "Cola!" entgegenschnauft.

Ich freue mich auf den Abend, mein Kopf ist komplett überfüllt, ich sollte heute eher rezeptiv bleiben und der großen Buba lauschen, was sie zu erzählen hat. Und wann ich einen Ferienbesuch bei meinen Eltern planen kann - Ihr Lieben, ich habe Euch nicht vergessen ;-)

Ferien FTW!!!

Mittwoch, 29. September 2021

Verschimmelter Schimmelkäse!


Endlich wieder online. Wo fange ich nur an?

Erstmal die Eckdaten - Wochenende mit Fieber zuhause verbracht, jetzt aber wieder bis auf Schnupfennase okay. Seit Samstag kein Internet und Telefon - Router/Modem kaputt, Techniker und so weiter, und natürlich komme ich nicht auf die Idee, dass ich alles Internettige ja in der Schule erledigen kann. Dafür begrüßen mich jetzt zig Nachrichten und Dienstmails; kombiniert mit einer Woche voller Klassenarbeiten eine gute Grundlage für eine Panikattacke. Dieser Tage versuche ich also einfach nur zu überleben, bitte nicht böse sein, wenn ich erstmal in den Ferien landen muss, um wieder in Form zu kommen.

Und was macht man so ohne Internet und Telefon? Man arbeitet mit dem, was man zuhause hat. Videospiele - wie passend, dass diesen Monat Tales of Arise erschienen ist; Tales of ist eine meiner Lieblings-Rollenspielserien. Und ich habe die Gelegenheit genutzt, endlich mal wieder die Holle Honig-Hörspiele durchzuhören.Sehr witzig, und ich frage mich wirklich, was die geraucht haben, um den Charakter Babsi Boingboing zu erfinden. Das geht schon mit dem Namen los - die anderen Figuren haben einen Nachnamen, der quasi ein Attribut darstellt - Holle Honig ist ein Bär, Johnny Jumper ist ein Känguruh, Alois Amazonas ist ein Papagei. Und Babsi? Die ist wirklich boingboing - nicht nur, dass sie eine rosa Hexenmaus auf einem Düsenbesen ist; ihr Sprech ist einfach der Hammer. Beispielszene: Babsi spricht mit dem Mäusekönig, und selbstverständlich spricht sie ihn mit Eure Hoheit an. Auch Euer Hochwohlgeboren. Aber weil sie immer wieder neue Namen für die Menschen benutzt, taucht dann später auch mal Euer Hochdruck auf, oder Euer Hochofen (Kopfkino ^^), und das Gespräch endet mit: "Vielen Dank, Euer... Hochbahn." Also lustig war die Zeit definitiv.

Und dann war da natürlich die Wahl, zu der ich wieder etwas schreiben wollte - genauer gesagt zum Wahl-o-Mat - machen wir es kurz: Oben seht Ihr mein Ergebnis. Ich gebe zu, die Linke war bei mir bisher noch nie so weit oben. Linke Socke. Ich habe grün gewählt, hätte mir ein etwas besseres Ergebnis für sie erhofft, aber gleichzeitig beruhigt mich, dass auch der Stimmanteil für die AfD gesunken ist. Annalena Baerbock hätte eine super sympathische Kanzlerkandidatin sein können, aber irgendwie hat sie sich bei den öffentlichen Auftritten blöd angestellt. Irgendwas hat mir da nicht gepasst. Wie dem auch sei, Sondierungsgespräche laufen und ich vermute, es läuft auf die Ampelkoalition hinaus, mit Scholz als Bundeskanzler. We'll see.

Was anderes Schönes: Die Bluray mit dem science fiction-psychological horror-Film Come True (2020) ist angekommen; es geht um eine Schülerin, die an einer Studie im Schlaflabor teilnimmt. Ich bin so happy - endlich wieder ein neues mindfuck movie! Muss ich definitiv meiner Liste hier im Blog hinzufügen, aber das mache ich im Zusammenhang mit einem eigenen Beitrag. Ich liebe Filme, die nachwirken. Filme, bei denen mit der Schlussszene das große Nachdenken erst anfängt. Dann noch mit schönen Farbfiltern und toller Musik - ein echter mind trip.

So, das war für jetzt erstmal alles, ich bin einfach nur froh, wieder "da" zu sein. Ferien nahen!

post scriptum: "Verschimmelter Schimmelkäse" ist ein Fluch, den Babsi Boingboing in jeder Folge mindestens einmal ausspricht, ebenso wie "geringelter Mauseschwanz" und "du kahle Katze!"

Dienstag, 17. August 2021

Odyssee durch Kiel


Normalerweise brauche ich zwanzig Minuten mit dem Auto von der Schule zurück zu mir nach Hause; heute waren es neunzig. Man gewöhnt sich mit der Zeit an Stau oder zumindest dichten Verkehr auf dem Ostring und dem Theodor-Heuss-Ring. Tritt nicht immer auf, aber es reicht schon eine kleine Baustelle am Überflieger oder Waldwiesenkreuz, um den Verkehr lahmzulegen. Heute war es auf dem Ostring ein liegengebliebener Müllwagen. Kein Problem, ich hab' Zeit, und danach war wieder alles frei. 

Dann allerdings der Theodor-Heuss-Ring. Ich schaffe es nicht, raufzufahren, weil es nur ruckelig vorangeht. Voran? Sorry, mein Fehler. Normalerweise geht es ruckelig voran. Heute hat sich die Autolawine überhaupt nicht bewegt. Nach ein paar Minuten ist mir das aufgefallen und ich habe etwas Unaspisches gemacht - vor dem Einlenken auf den THR blinke ich rechts, die Straße ist frei. Gedanke: Ich werde auf dem THR momentan überhaupt nicht vorankommen, Unfall oder so, ich muss einen anderen Weg finden. Kann ja nicht so schwer sein - und ich fahre rechts runter, weg von der Blechlawine. 

In den nächsten Stau, nach nur zweihundert Metern. Und dann werde ich unruhig: Hier auch Stau - aber immerhin geht es langsam voran. Aber wo bin ich? Ich bin noch nie auf dieser Straße entlang gefahren, und die ist an der nächsten Ampel vierspurig! Panik - sozusagen in Zeitlupe. Es dauert wirklich einige Momente, bis ich realisiere: Dadurch, dass es nur langsam voran geht, kann ich nachdenken, wohin ich fahren muss. Ich suche nach Schildern, einige Pfeile deuten zum "Zentrum". Da muss ich hin. 

Hier abbiegen, dort abbiegen, inmitten tausender Autos, und natürlich gehe ich meine sich nun verschiebende Tagesplanung im Kopf durch, denn ich kann ja nicht aufhören zu denken. Dann plötzlich! Ein Pfeil in Richtung Agentur für Arbeit, yesssss, ich bin irgendwo in der Nähe der Gablenzbrücke, einfach da rauf und dann endlich in Richtung Hamburger Chaussee äi käi äi Heimat. Und dann sehe ich die Gablenzbrücke - über mir. Mist, das wird nichts, wo fahre ich denn jetzt eigentlich hin? Ich sehe links von mir in der Ferne den Bahnhof und für einen Moment erstarre ich - bin ich wieder auf dem Ostufer? Ganz falsch, ohklott, was nun? Doch dann sehe ich rechts von mir die Hörn, atme auf, ich bin direkt am Hauptbahnhof und kann auf das Sophienblatt fahren, toll, einfach an der Ampel nach links, dann bin ich in Richtung Käseschlonz-Klospülingen unterwegs. 

Wäre ich. Wenn ich denn links abbiegen dürfte, aber das dürfen an dieser Ampel nur die Busse. Also biege ich nach rechts ab, total verwirrt, weil ich im Augenwinkel sehe, wie ein Mercedes da nun doch links abbiegt? What the... und dann entwirrt sich alles.

Endlich realisiere ich, dass ich am Ziegelteich bin, und diese Straße kenne ich endlich wieder, mittlerweile seit fast achtzehn Jahren. Jetzt kann ich Richtung Wilhelmplatz fahren und bin erleichtert. Der Rest klappt (fast) reibungslos.

Dieses Gefühl, nach einer Irrfahrt endlich einen Ort zu finden, den man wiedererkennt, ist unbeschreiblich schön. So schön, dass ich es mir nicht durch eine Wiederholung verderben möchte - ne danke, dann lieber auf dem THR stehen und im Geiste die Fibonacci-Reihe durchgehen.

Donnerstag, 22. Juli 2021

Bye bye, Buba!


Und nun ist es schon wieder eine Woche später und in Retrospektive fällt mir auf, dass ich mich nicht so gut auf meine Aufgaben konzentrieren kann, wenn POMMzilla da ist. Das klingt grausig - als sei die fette Schnecke eine Belastung, ein Hindernis, whatever. Und ja, vielleicht ist sie das auch, aber das liegt nicht an ihr, sondern an diesem Aspi-Kopf, deswegen don't take it the wrong way, darling!

Das ist mir aufgefallen, weil ich heute, am ersten Tag ohne die große Buba, Einiges geschafft habe. Ewig liegen gelassene Post für die Sannitanic abgeschickt, Brief an Mama mit dem ausgedruckten Mit Mama im Garten-Beitrag versendet, Hausarbeit. Und nebenbei einen herrlich erfrischenden teils-biographischen Film über Shirley Jackson gesehen, die mir inzwischen sehr an's Herz gewachsen ist. Shirley (2020) beginnt mit ihrer Schreibblockade, klasse, das kann ich großartig nachvollziehen, und Elisabeth Moss liefert wieder eine brillante, unvorhersehbare Leistung ab. ab. Ab vom Thema.

Jedenfalls haben DGB und ich gestern wieder einmal die Welt gerettet, diesmal mit einem ganz leicht bittersüßen Finale in Zelda - The Wind Waker (2003), und wir hatten einen Riesenspaß. Und genau darauf versuche ich in diesem Beitrag zu kommen: Ich finde es großartig, wenn die große Buba da ist und ich unsere Abende "planen" kann - aber wenn sie weg ist, fällt es mir leichter, die Dinge zu tun, die ich eigentlich erledigen wollte, wie zum Beispiel einen Friseurtermin oder einen bei'm Psychiater. Und die Wäsche waschen. Und die Wohnung endlich wieder mit dem Duft von Frangipaniblüten einräuchern - und heute eine wunderbare Meditation mit Meersalz- und Arganölbad (fieser Neurodermitisschub, meine Schuld, muss mich wieder besser unter Kontrolle bekommen).

Geht jetzt los. Bye bye, die große Buba, und ich freue mich schon riesig auf das nächste Wiedersehen mit klugscheißendem Peter, Hilarius-durchgeknalltem Walter und erfrischend-unsmiling Olivia.

Alltag kann jetzt wieder beginnen!

Montag, 5. Juli 2021

Bettendorf-Tourismus


Heute bin ich mit die große Buba (sic) nach Mettenhof zum Einkaufen gefahren. Nicht, dass wir alles Nötige nicht auch vor Ort hätten kaufen können; ein bisschen Sightseeing war einfach nötig. Wir waren Touristen in Mettenhof - und definitiv nicht die einzigen.

Ich genieße es ja, während der Sommerferien die Nummernschilder der Autos zu beobachten, um Touris zu entdecken. Wo kommen sie her? Wo wollen sie hin? Was halten sie wohl von unserem kleinen Land zwischen den Meeren? Und ich freue mich für sie, dass die Coronasituation einen Urlaub endlich wieder zulässt. Ja, kaum zu glauben, da regt sich in mir doch ein Hauch von Empathie.

Aber dort und heute, bei Aldi in Mettenhof, hätte ich gut auf die Touristen verzichten können. Anders kann ich mir die Menschenunmengen nicht erklären. Überall Einkaufswagen (extra mit der Regel: "Jede Person über zwölf Jahren benötigt einen Einkaufswagen"), überall Geräusche und man fragt sich, ob das wieder nur ein Schreikind war oder ob es tatsächlich Alarm gegeben hat. Für eine HSP wie die große Buba war das eine absolute Überforderung, und ich kann es in Ansätzen nachvollziehen - spätestens in dem Moment, als ein wildfremdes Kind sich meinen Einkaufswagen nimmt und einfach davonfährt. 

Ich habe mich gefühlt wie in einer Folge der Twilight Zone, wobei, so abgefahren war es dann auch wieder nicht. Spätestens in dem Moment, als eine Mutter ihrem Kind "Halt die Fresse!" entgegenblafft, weiß ich wieder, wo ich bin. 

Ich frage mich tatsächlich, warum so viele Menschen einkaufen waren. Ich habe einen Moment überlegt, ob vielleicht Samstag ist - nix da. Montagmittag. Und es stehen auch keine Feiertage an, und keine Klopapierknappheit. Es muss einfach mit dem Tourismus zusammenhängen.

Ich nehme aus diesem Erlebnis mit, dass ich in den Sommerferien lieber den Bus anstelle des Autos nutzen sollte. Es wird noch mehr auf dem Theodor-Heuss-Ring gedrängelt als sonst, und unpraktischerweise werden die Stützwände des Waldwiesenkreisels erneuert, so dass man in Richtung Elmschenhagen nur einspurig fahren kann. Stau bis auf den Olof-Palme-Damm

Wird Zeit, dass Kiel endlich seine Straßenbahn zurückbekommt!

Sonntag, 20. Juni 2021

Pieks Nummer Zwei

Diesmal ging das Pflaster daneben.

So da hätten wir: 

- nach Gettorf gefahren (und nachdem ich "Bettendorf" statt Mettenhof sage, klingt Get-Dorf viel logischer)

- Auto im Schatten geparkt (was eigentlich nicht nötig gewesen wäre, denn es windet draußen angenehm)

- mit Formularen rein in's Impfzentrum (das ging alles wirklich schnell, wie am Fließband, wunderbar, aber der Satz "Möchten sie noch ein bisschen länger sitzenbleiben oder kommen sie mit mir?" der Ärztin hat eine "Möchten sie damit sagen, dass ich kommen soll?"-Antwort nach sich gezogen, gegen Sommerhitze hilft ein Glas Asperger Pur)

- mit EU COVID 19 IMPFZERTIFIKAT und einem Pflaster wieder zurück zum Auto (wobei das Pflaster etwas daneben gegangen ist, die Klebefläche ist auf der Einstichstelle gelandet)

- Parkplatz in der Helgoländer Straße gefunden (zum Glück ohne Unfall; heute hat es anderswo auf der B Sechsundsiebzig gekracht)

Klasse. Komplett geimpft. Das fühlt sich irgendwie gut an. Ich bin seelisch eingestellt auf Fieber morgen (kennen wir ja irgendwoher), aber habe nichts dagegen, wenn nichts kommt. Damit ist das Thema durch, das Zertifikat wird abgeheftet, das Online-Zertifikat per QR-Code hole ich mir nicht, weil ich kein Smartphone besitze. Aber, Assoziation: Ich besitze jetzt ein Smart-TV, und das ist gar nicht so schlecht: Neulich dauerte die Meditation bis in die tagesschau hinein, ich habe den Anfang verpasst. Einfach nur eine Taste auf der Fernbedienung drücken und ich konnte die Sendung von Anfang an sehen, während live zeitversetzt die reale Show ausgestrahlt wird. Irgendwie gruselig, aber cool.

Und nun wird es Zeit für den offiziellen Ferienbeginn morgen (und endlich kann eine Tour in den Hansa-Park geplant werden, wenn ich denn über meine innere Aspi-Barriere hinwegkomme: Man muss sich vorher online anmelden, und das alles ist nicht "normal", das hat bereits letztes Jahr dazu geführt, dass ich gar nicht in den Park gefahren bin)!

Freitag, 4. Juni 2021

Backofen vorheizen

Erbsechore genießt das tolle Wetter (und säuft mittlerweile wie ein Loch!)

Dieser Tage geht es wieder los - der Sommer kommt. Die Sonne heizt meine Wohnung auf. Zuerst merke ich es nur daran, dass ich die Heizung nicht mehr einschalten muss, aber bald ist es soweit, dass ich für ein kühleres Gefühl in's Bad gehen muss. Zeit, die Handtücher auszulegen, Zeit, die Kleidung komplett auszuziehen, Zeit, den Ventilator bereitzustellen. Noch ist es nicht ganz so schlimm, es ist fast, als würde man einen Backofen vorheizen. Die richtige Hitze kommt erst noch.

Ich finde das faszinierend, weil eine meiner Lerngruppen in einem Backofen-Klassenzimmer untergebracht ist: Wenn die Kiddies und Frau Schwarzbohrer über die Hitze stöhnen, lächle ich unbeirrt weiter - diese Wohnung hier ist noch etwas knalliger (und Aspis haben tendenziell weniger Probleme mit zu hoher oder niedriger Temperatur). Aber das Problem bleibt: Bei der Hitze kann man nicht lernen.

Muss man nun aber auch nicht mehr. Die letzten zwei Schulwochen bestehen aus dem Einsammeln der Schulbücher und es wird auch wieder Zeit für den Hut. Und ich möchte eigentlich die Gedankenreise mit den Schülern machen, aber im Moment fehlt mir, ehrlich gesagt, die Motivation, ich frage mich, wozu ich das überhaupt noch machen soll?

Wochenende. Morgen wird spannend, es gibt ein kleines Aspi-Bonbon ;-)

Samstag, 6. Februar 2021

Gebirge auf Kreta mit drei Buchstaben


Meine Oma ist heute am frühen Morgen gestorben.

Und bevor irgendjemand auf die Idee kommt, Nachrichten oder Kommentare in Richtung "Mein Beileid" zu schicken, oder das Tränen-Emoticon auf Facebook zu drücken: Es gibt keinen Grund, traurig zu sein. Oma ist im Kreis ihrer drei Kinder eingeschlafen - ich kann mir keinen schöneren Tod vorstellen. Außerdem hat sie in ihren letzten Jahren immer wieder gesagt, dass wir anlässlich ihres Todes und auch auf der Beerdigung bloß nicht traurig sein sollen. Sie hat sich lächelnde Gesichter gewünscht, die sich freuen, dass Oma nun im Himmel ist (ihr Wortlaut, ich glaube nicht an den "Himmel"), und das finde ich außerordentlich sinnvoll. Das werde ich mir auch wünschen, wenn es irgendwann soweit ist.

Ich habe mich in den vergangenen Monaten immer wieder gefragt, wie ich wohl auf die Nachricht von Omas Tod reagieren würde. Ich hatte meine Eltern gebeten, wenn es soweit ist, dass sie mich bitte nicht anrufen, um mir das mitzuteilen, sondern mir eine Mail schicken, weil ich Angst davor hatte, dass ich am Telefon mit der Information nicht richtig umgehen kann und vielleicht etwas Taktloses sage, und weil ich überhaupt nicht gewusst hätte, was ich denn dann sagen soll, und weil ich nicht gewusst hätte, wie lange dieses Telefonat dauern soll, wann ich auflegen kann, und ob es irgendwelche Formalitäten bei so einem Anruf gibt, die ich bedenken müsste.

Meine Eltern haben mir heute also eine Mail geschickt, die ich - Zufall - direkt vor der Meditation gelesen habe. Das war toll. Denn als ich die Nachricht gelesen habe, sind alle Gedankenzüge entgleist. Ich habe einen seltsamen Schauer am Körper gespürt und wusste nicht, was ich tun soll, also habe ich die Geschirrspülmaschine ausgeräumt, geduscht und bin mit der Nachricht vom Tod als "Reisegepäck" in die Meditation gegangen. Und ich habe festgestellt, dass ich nicht traurig bin. 

Ich hatte nämlich vor einigen Monaten meine Oma besucht, und habe ein schönes Gespräch mit ihr geführt, in der ich ihr alles mitgeteilt habe, was ich unbedingt noch sagen wollte, bevor sie geht. Ich habe sie gefragt, ob sie mit dem Leben nun "fertig" ist. Und ich habe ihr deutlich gemacht, dass es mir gut geht - dass ich endlich eine Schule gefunden habe, die mich so nimmt, wie ich bin, und ich habe meiner Oma gedankt für alles, was ich bisher in diesem Leben erleben durfte und dafür, dass ich für sie immer okay (im Sinne der Transaktionsanalyse) war.

Liebe Eltern: Ich habe Euch noch nicht geantwortet, weder per Mail noch per Telefon, und es mag für Außenstehende komisch sein, dass ich mich zuerst über diesen Blog melde. Aber eigentlich ist das ganz logisch, denn - Papier ist geduldig - hier kann ich meine Gedanken aufschreiben und sie mit meinen Freunden teilen und mit einem Anruf bei Euch noch etwas warten, bis die ersten Gedanken sich gelegt haben und die ersten Fragen aufkommen.

Und damit nicht wieder das alte Klischee bedient wird, Autisten hätten keine Gefühle (ja, das gibt es noch immer): Mir sind bei'm Schreiben dieses Beitrags die Tränen gelaufen, und ich weiß noch nicht einmal, wieso. Denn ich bin nicht traurig, sondern glücklich.

So, wie Oma sich das gewünscht hat.

post scriptum: Und wer sich fragt, was es mit dem Titel des Beitrags auf sich hat - Oma und ich hatten eine Leidenschaft für Rätsel, sie hat mich schon früh dafür begeistern können und wir haben gern zusammen das eine oder andere Rätsel gelöst. Sie hat mir erklärt, dass bei Kreuzworträtseln manche Wörter immer wieder auftauchen, zum Beispiel "Gebirge auf Kreta mit drei Buchstaben". Wer weiß die Antwort?

Montag, 1. Februar 2021

Geistige Prioritäten

Wird mal wieder Zeit

Heute war eine kleine Expedition angesagt, im Auto, rauf auf die B Sechsundsiebzig, soweit noch vollkommen normal - wobei, nein. Ich bin nicht raufgefahren. Ich bin diesmal rechts geblieben, denn ich musste Richtung Kronsburg und Neu-Meimersdorf raus aus der Stadt, Ziel: Grot Steenbusch. Den Namen kenne ich, seitdem ich vor achtzehn Jahren das Kieler Busnetz auswendig gelernt habe, aber ich bin noch nie dort gewesen - nun blieb mir nichts Anderes übrig, denn mein neues Notebook hat das Wochenende dort in der Packstation verbracht. Unbekannte Strecken zu fahren ist nicht so meins, aber diese Strecke war wirklich kurz und einfach, und so hatte ich fix ein großes Paket im Kofferraum. Dieses große Paket liegt jetzt auf meinem Bett - verschlossen.

Das war mal anders - wenn ich irgendwelche Post bekommen habe, musste ich das sofort auspacken und ausprobieren. Heute geht das nicht, und auch morgen wird das nicht gehen, weil gerade zuviel Wichtiges in meinem Kopf unterwegs ist und da passt ein neuer Rechner gerade nicht rein. Morgen stehen wichtige Dinge an, Geburtstag meiner Mutter, Projektpräsentation, Dienstversammlung, neue Wochenpläne für die Schüler. Und ich brauche recht viel Zeit für neue Technik in meiner Wohnung, weil ich die Bedienungsanleitungen komplett durchlese und auch einfach, weil es meinem Aspi-Kopf schwerfällt, neue Arbeitsumstände zu akzeptieren.

Dann muss ich eben geistige Prioritäten setzen - das Notebook kann warten, denn den morgigen Tag kann ich auch noch mit dem aktuellen Equipment bestreiten. Es ist derzeit schwer vorstellbar, dass ich gen Ende des Studiums kein Problem damit hatte, mehrere Dinge parallel zu wuppen, eine Fachschaft zu leiten, Saturnalien zu organisieren, den Haushaltsausschuss der Kieler Studierendenschaft zu leiten, regelmäßig zu den Sitzungen der Fachschaftsvertreterkonferenz und des Studierendenparlaments zu gehen, und jeden zweiten Tag in's Fitnessstudio zu gehen.

Ich sehne mich nach jenem Zustand. Es kann klappen, aber momentan bin ich mehr Autist als sonst. Bear with me.

Freitag, 31. Juli 2020

Durchgebrannt (T'n'T)

Die Hochzeitsgesellschaft

Ich bin mir nicht ganz sicher - kann es tatsächlich sein, dass ich diese Anekdote im Blog noch nicht erzählt habe? Falls ja, dann überspringt Ihr das einfach. Falls nein - nun, diese Geschichte zeigt, wie viel Unsinn man machen kann, wenn man jung ist. Ist vielleicht gerade nicht ganz unpassend, wenn man betrachtet, wie viele Jugendliche und junge Erwachsene momentan trotz der Corona-Pandemie es auf's Feiern anlegen - momentan ist die Berliner Hasenheide in den Medien, aber auch in Hamburg soll es Einschränkungen zum Alkoholausschank geben. Und was hat dieser Irre äi käi äi DrH damals im Studium gemacht? Er ist mit seinem damaligen Freund durchgebrannt - und hat seine "Hochzeitsgesellschaft" sitzengelassen.

Aber von Anfang an. Ich habe T vor fünfzehn Jahren kennengelernt. Wir waren damals im Kieler Birdcage für einen netten Abend. Mein Freund D (wir waren damals seit einigen Wochen im Guten getrennt) hatte mich dorthin geschleppt, er wollte sich mit seinem Ex treffen, der hatte seinen neuen Partner dabei, und irgendwie waren wir dann also eine Tuckenrunde, in der scheinbar jeder was mit jedem hatte, außer mir. Ja, so ist die Schwulenszene nun mal; auch wenn nicht alle so sind, so werden Partner doch gern und häufig weitergereicht. Man nimmt eben, was man bekommen kann, als Minderheit in der Bevölkerung, und außerdem habe ich den Eindruck, dass Schwule sexuell aufgeschlossener sind - wenn sie denn ihr closet erstmal aufgeschlossen haben.

Ich fand T damals sofort total süß. Er sah ziemlich jung aus, hatte ein richtig niedliches Gesicht und Lächeln und überhaupt, ich war sofort in ihn verschossen - aber das behielt ich natürlich für mich. Nach und nach fingen wir an, über die blauen Seiten zu chatten, und so kam eins zum anderen, beziehungsweise ich kam im Auto eines Nachts zu ihm nach Westerhever auf Eiderstedt, wo er seinen Zivildienst in einem Pflegeheim absolvierte. Einfach nur für einen Filmabend, selbstverständlich, ich war viel zu schüchtern, um nach etwas Anderem zu fragen. Wir haben Sommersturm geschaut, ausgerechnet.

Sorry, es wird auch ein bisschen romantisch und kitschig - durchhalten!

Das war zwar nicht im Sommer, aber es war trotzdem stürmisch. Das hat es drinnen umso gemütlicher gemacht, und es hat nach dem Ende des Films nicht mehr lange gedauert, bis wir zusammen auf's Bett gefallen sind und gekuschelt haben. Das war einer dieser Momente, die bestimmt einige von Euch kennen - endlich ist diese Barriere gefallen, ich weiß, dass ich den Anderen küssen darf, die Schüchternheit darf mal etwas in den Hintergrund rücken. In dieser Stimmung hat T mir erzählt, dass er sich bereits an diesem Abend im Birdcage vor einigen Monaten in mich verguckt hat. Das hat wohl auf Gegenseitigkeit beruht, das ist eine Grundlage für immerhin ein paar schöne Momente. Außerdem hat es irgendwie gepasst - ohne in die Details zu gehen, kann man sagen, dass T'n'T charakterlich und sexuell ganz gut zusammengepasst haben.

Wir waren außerdem beide gern albern und etwas kindlich. "Etwas??" mag sich jetzt vielleicht die Sannitanic fragen. Ja, genau wie bei der großen Buba habe ich auch bei T in den Kindheitsmodus gewechselt; man könnte fast sagen, ich hätte mich schwul verhalten. An solch' einem albernen Abend haben wir uns überlegt, dass wir doch einfach mal heiraten könnten. Nicht Standesamtiges, nichts Kirchliches, einfach nur eine kleine nette spielerische Geste. Das war natürlich nur ein Hirngespinst, aber an dem Abend haben wir uns das richtig detailliert ausgemalt - ein schönes Essen, eine richtige Predigt, alle in tollen Outfits, und natürlich würden wir dann auch durchbrennen und einfach mit dem Wagen von Kiel nach Dithmarschen fahren, an die Westküste, zu meinen Eltern, und dort die Hochzeitsnacht verbringen.

Diese Hirngespinste sind nach und nach so detailliert geworden, dass wir uns fragten, warum wir eigentlich noch überlegen. Dass das eine völlig schwachsinnige, irre, planlose, wilde Idee war - geschenkt. Wir sind Twens, wir wollen high life in Tüten, also warum nicht? Und so haben wir uns zusammengesetzt und einen Plan gebastelt. Rückblickend: Perfekt - Pläne, die dann eingehalten werden können, finde ich toll, das entspannt mich, und deswegen haben wir einen genauen Ablauf für das Event vorgesehen, das ich im Folgenden einfach Hochzeit nenne.

Als Erstes würden wir uns bei Burger King treffen. Freunde des Bräutigams und des Bräutigams. Dort würden wir uns vollstopfen, und dort würden wir auch die Trauung durchführen lassen. Wer würde uns wohl die Ehre des Standesbeamten erweisen? Ich fand es großartig, dass YazzTazz sich bereiterklärt hat, die Hochzeit zu vollziehen, in einem wunderschönen Bollywood-Outfit, und die anderen Gäste bitte in Abendgarderobe. Das sollte problemlos ablaufen. Danach gehen wir dann die zweihundert Meter Richtung Kronshagener Berge, alle Gäste werden in mein Zimmer verfrachtet, und ich bereite in der Küche den Nachtisch zu. Das wäre meine Ausrede, um aus dem Zimmer zu verschwinden. Und T? Der würde sich einfach auf's Klo entschuldigen. 

Und dann? Wie bekommen wir das hin, ihnen klarzumachen, dass wir durchbrennen würden - nicht, dass sie sich noch ernsthaft Sorgen machen, wenn wir plötzlich unauffindbar sind. Wie man es auch dreht und wendet - wir brauchten einen Komplizen. Einer der Gäste musste in den Plan eingeweiht sein, musste den genauen Ablauf kennen und zur Not die richtigen Schritte im Ablaufplan dirigieren. Es musste jemand sein, auf den ich mich absolut verlassen konnte, jemand, der den anderen Gästen eher unbekannt war, damit nichts rausrutschen konnte. Also fragte ich bei meiner besten Freundin A an, jene, in die ich damals in der Oberstufe verliebt war. A fand die Idee witzig und machte sich von Dithmarschen auf den Weg, um unsere Verbündete zu werden. Dann mussten wir nur noch einen "Abschiedsbrief" vorbereiten, Knabbersachen und Getränke bereitstellen, damit die zurückgelassenen Gäste sich trotzdem noch einen schönen Abend machen können. 

Genau so haben wir das Event dann durchgezogen. Es hat alles geklappt wie am Schnürchen, YazzTazzs Rede war schön, das Essen war lecker, die Gesellschaft sehr nett, niemand hat Verdacht geschöpft. Ein irres Gefühl, wie der Puls schneller wird, wenn man realisiert, dass es nur noch ein paar Minuten sind, bis man die Wohnung verlässt. Aufregend! T war genau so aufgeregt, aber wir versuchten, uns nichts anmerken zu lassen. Als der Nachtisch fertig zubereitet war, gab ich A und T im Zimmer das verabredete Zeichen und begab mich auf die Flucht - T einen kleinen Moment später. Aufgeregt standen wir im Fahrstuhl nach unten, der Puls rast, hoffentlich merken sie noch nichts, wäre zu blöd, wenn sie uns doch noch abfangen. Aber trotz aller Aufregung musste ein romantischer Kuss im Fahrstuhl noch sein. Dann ab in den Wagen, die Taschen schon längst eingepackt, und raus aus Kiel, total verliebt.

Ein einziger Wehmutstropfen blieb - ich hätte zu gern miterlebt, wann die Anderen merken, dass etwas nicht stimmt, und wie sie darauf reagieren, und was sie aus dem Abend machen. Schon damals war ich intensiv daran interessiert, menschliches Verhalten zu beobachten, und das wäre echt toll gewesen. Leider hatte ich dazu keine Gelegenheit.

...würde ich sagen, wenn wir nicht auch das mit eingeplant hätten, und so hatte ich in meinem Bücherregal ein Diktiergerät versteckt und auf Aufnahme geschaltet. So habe ich am Sonntag Abend einen kompletten Tonmitschnitt des Abends vorgefunden, habe mir ein leckeres Essen zubereitet und dann genüsslich schmunzelnd angehört, was die anderen Gäste so erlebt haben. Ich habe diese Datei auch heute noch, und es ist immer wieder schön zu erleben, wie die Anderen sich zunächst irgendwann fragen, wo T'n'T so lange sind - Mutmaßung: T ist zu T auf die Toilette gegangen und sie machen dort herum. Lacher. Einige Minuten später wird es etwas ernster, einer macht sich auf die Suche, findet aber niemanden. Leider auch nicht den Abschiedsbrief, den wir nicht sehr subtil an die Eingangstür gehängt hatten. Zum Glück war A noch vor Ort, und hat unauffällig den Zettel gefunden und alle aufgeklärt, dass wir durchgebrannt sind. Zu schön, sich die Gesichter in dem Moment vorzustellen!

Nun hätte ich ja gedacht, dass sie dann einfach den Nachtisch essen und nach Hause gehen - aber Studenten feiern nun mal gern, und so haben sie sich den Nachtisch aufgeteilt und nette Musik angemacht - Zitat: "Gute Musik bei T zu finden - ein hoffnungsloses Unterfangen." und sind dann schließlich bei ABBA Gold gelandet; von da an haben sie sich noch einen schönen Abend gemacht, zwei Stunden lang nett unterhalten, amüsiert über unser Durchbrennen, und haben sich Pläne überlegt, wie sie sich "rächen" könnten, darunter das Bett auseinander bauen oder alle CDs in den Alben vertauschen. Großartig! 

Unter'm Strich muss ich sagen - egal, wie dämlich die Idee auch gewesen sein mag, es war aufregend und wir hatten jede Menge Spaß. Eine Anekdote, an die ich mich vermutlich noch lange erinnern werde. Und unsere Eheringe haben wir noch heute ;-)


Donnerstag, 23. Juli 2020

Die Corvette

Wie wir waren

Man wird diesen Beitrag leicht als Kommentar zum Thema Oberflächlichkeit lesen können, aber eigentlich geht es mir um etwas ganz Anderes, und ich hoffe, dass das bis zum Ende des Artikels deutlich wird. Auch sollte dieser Beitrag ursprünglich Über das Alleinsein heißen, denn genau daran musste ich heute viel denken - aber wie es so kommen kann: Die Gedanken sind frei.

Ich versinke zur Zeit in einem Panoptikum auf mein bisheriges Leben, unterstützt durch das, was von meinem Tagebuch seit dem Jahr Zweitausend erhalten ist. Ich stelle fest, wie ich mich verändert habe, und es ist nicht immer einfach zu lesen - wie schnell ich mich habe beeindrucken lassen, wie schnell ich zu Meinungen und Vorverurteilungen gelangt bin, wie impulsiv ich damals gedacht habe (wesentlich drastischer als heute), wie meine Tagebuchgedanken von Oberflächlichkeiten geprägt waren - nicht immer einfach zu lesen, weil es mich mit einem leichten Grauen davor schüttelt, was ich für ein Jugendlicher gewesen bin.

Sinngemäß habe ich den Satz heute wieder in einer Fernsehserie gehört, die sich mit dem Thema Zeitreisen beschäftigt - ist es nicht bemerkenswert, wie wir die meiste Abneigung einem Menschen gegenüber im Blick auf uns selbst empfinden können? Mich reizen Zeitreisegeschichten, wenn sie wirklich gut gemacht sind, wegen ihrer Implikationen: Wenn ich könnte, würde ich in die Vergangenheit reisen, um einen Menschen zu retten, den ich verloren habe? Wenn ich könnte, würde ich versuchen, mich davon abzuhalten, der zu werden, der ich heute bin? Wenn ich könnte, würde ich Dinge ungeschehen machen? Herrlicher Diskussionsstoff für die Oberstufe, und es gibt mittlerweile wirklich viel brillante Literatur, Filme, Serien, Videospiele und noch mehr, die sich mit diesen Fragen ernsthaft und anspruchsvoll auseinandersetzen.

Angeregt also durch diese Serie und einige Gedanken daraus, habe ich heute einmal auf eine Anekdote zurückgeblickt, die zwar nicht im Tagebuch festgehalten ist, an die ich mich aber sehr gut erinnern kann.

Gehen wir zurück, etwa zwanzig Jahre, als Dr Hilarius ein Jugendlicher war und in einem kleinen Dorf aufgewachsen ist, mit einer Nachbarsfamilie, deren Töchter S1 und S2 ganz tolle Spielgefährten waren - was ich ihnen damals nie in dieser Form habe bewusst werden lassen. Wie Kinder nun einmal so sind - Mitmenschen und Freunde werden quasi als selbstverständlich hingenommen. Und wie Teenager dann auch so sind - es finden sich erste Partner an. Und so stand eines Tages auf dem Rasen vor dem Nachbarhaus ein Auto, das wir in unserer Straße bisher noch nie gesehen hatten - eine Corvette. Ein auffälliges Auto, und kombiniert mit dem Umstand, dass in einem Zweitausend-Seelen-Dorf viel geredet wird und jede Veränderung kommentiert wird, oft mit Misstrauen, konnte das Lästern beginnen.

Die ältere Schwester S1 hatte sich also einen Freund geangelt, der eine Corvette fährt, ein Sportwagen, und ziemlich schnell haben sich Meinungen gebildet - in unserem Haus, aber auch bei S1s Eltern, und überhaupt in der ganzen Straße. Sofort war für alle klar, was das für ein Mensch sein musste, dieser neue Freund, mit so einer Prollkarre. Engere Auseinandersetzung mit diesem Menschen war gar nicht gewollt.

Nun ist es also zwanzig Jahre später, und wir haben mittlerweile vielleicht selbst Kinder. Werden wir auch so reagieren? Werden wir auch misstrauisch werden, wenn unsere Tochter sich mit einem Jungen trifft, der ein auffälliges Auto fährt? Oder wenn unser Sohn eine Freundin mitbringt, die sich sexuell aufreizend kleidet? Oder wenn plötzlich ein gleichgeschlechtlicher Partner auftaucht? Oder werden wir es anders machen wollen als unsere Eltern, weil wir damals erlebt haben, wie das ist? Und werden unsere Kinder es dann wieder anders machen wollen?

Ich merke, dass ich mich sehr an meine Examensarbeit erinnert fühle - Die Generation X in der nordamerikanischen Literatur - in der ich mich mit diesen Fragen auseinandergesetzt habe (Ach sieh' an, die habe ich noch nicht veröffentlicht? Ist in Arbeit!). Das war vor knapp zehn Jahren, und nun bin ich wieder etwas älter, denke wieder etwas anders, und wahrscheinlich werde ich in zehn Jahren - wenn dieser Blog dann noch besteht - wieder anders denken. Das fasziniert mich ungemein, und deswegen bin ich auch von dieser Serie fasziniert, beziehungsweise Zeitreisegeschichten im Allgemeinen. Werden wir immer derjenige, der wir später sind? Können wir da überhaupt "mitreden"? Sind wir uns dessen überhaupt bewusst? Und wie haben unsere Eltern diese Gedanken erlebt, und wie werden unsere Kinder diese Gedanken erleben?

Eure Gedanken dazu?

Eine Corvette