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Dienstag, 5. November 2024

Das Ende einer Wahl


Ich kann es einfach nicht verstehen. Heute endet die Wahl zum Präsidenten der USA - und die Umfragen sind extrem nah beieinander, und das erschreckt mich angesichts der Wahl zwischen der ersten Frau für das Amt, die anpacken möchte, und einem Soziopathen, der Nazirhetorik verwendet und das Land gegen alles abriegeln will. Dass seine "Reden" oftmals zusammenhanglos sind, scheint niemanden im Publikum zu stören - Hauptsache, er ist rechts genug.

Ich frage mich, ob solche Zustände auch bei uns in Deutschland möglich wären, und natürlich sind sie das. Man muss nur schauen, wie sehr die extrem rechten und linken Parteien an Stimmen gewonnen haben, und wenn man dann sieht, dass es gemeinsame Schnittmengen zwischen der AfD und dem BSW gibt, bekomme ich einen Bammel vor unserer nächsten Wahl im nächsten Jahr.

Jetzt hoffe ich erstmal nicht nur, dass Kamala Harris die erste Asian-American Präsidentin der USA wird. Ich hoffe, dass die Wahl ohne Unruhen, Proteste und Gewalt ausgeht. Trump hat die Samen dafür früh gesät, indem er immer wieder behauptet hat, dass die Wahl nur dann fair ist, wenn er gewinnt. Ansonsten ist es Wahlbetrug, und es könnte zu einem Protest wie dem Kapitolsturm kommen. Hoffen wir einfach mal, dass niemand stirbt. 

Ein Präsident Trump würde ein globales Desaster bedeuten...

Dienstag, 5. März 2024

Demokratie, letzter Akt


In den USA erodiert die Demokratie - langsam, aber sicher. Die Werte kippen, hier ein schönes Beispiel:

Donald Trump muss sich vier Anklagen mit insgesamt einundneunzig Anklagepunkten stellen. Deswegen ist er in mittlerweile mehreren Bundesstaaten vom Wahlzettel gestrichen worden, denn laut Verfassung darf niemand für das Amt des Präsidenten kandidieren, der vorbestraft ist: Trump hat Wahlmanipulation begangen, nachweisbar, und dafür ist er (unter Anderem) angeklagt.

Natürlich hat Trump da Widerspruch eingelegt - seine Argumentation: Als Präsident müsse man vollkommene Immunität genießen können, ansonsten sei man handlungsunfähig. Um das etwas drastischer zu formulieren: Wenn Trump als Präsident entscheidet, das Seal Team 6 loszuschicken, um seine politischen Gegner zu ermorden, kann er nicht strafrechtlich dafür belangt werden, wenn er nicht mehr Präsident ist. In a nutshell: Trump fordert, dass er ohne Konsequenzen tun und lassen können möchte, was er will.

Natürlich ist das vollkommener Unsinn, und der Appeals Court hat den Widerspruch abgewiesen, mit einer ausführlichen Begründung. Und natürlich bleibt Trump hartnäckig - und nach einem Court of Appeals gelangt der Fall in nächsthöherer Instanz vor den amerikanischen Supreme Court (SCOTUS). Das amerikanische Pendant zu unserem Bundesverfassungsgericht

Gesunder Menschenverstand erwartet, dass SCOTUS den Fall überhaupt nicht annimmt. Nicht nur ist die Forderung irrsinnig, es gibt bereits eine seitenlange Begründung, warum das vor Gericht abgeschmettert wurde.

Aber mit gesundem Menschenverstand hat amerikanische Politik nicht mehr viel zu tun: SCOTUS hat den Fall tatsächlich angenommen und Termine für Anhörungen in den April gesetzt. Was für ein Schwachsinn! Natürlich werden sie nach den Anhörungen Trumps Forderungen ablehnen, aber Trump hat jetzt genau das erreicht, was er will: Verzögerung.

Seine Prozesse können durch diese rechtlichen Fragen so weit verzögert werden, dass er vor der nächsten Präsidentenwahl nicht verurteilt wird. Und wenn er dann erstmal wieder Präsident ist, dann wird er sich selbst die Schuld erlassen. Er gibt sich selbst ein presidential pardon, und damit sind all' seine Verbrechen nichtig.

Es ist so widerlich mitanzusehen, wie SCOTUS jetzt den Parteilinien folgt und Trump seinen Aufschub gewährt. Das höchste amerikanische Gericht, das keinesfalls parteilich sein soll, ist seit der Erhebung dreier republikanischer Richter in's Amt durch Trump seiner Legitimität beraubt worden.

Es ist der letzte Akt für die Demokratie in den USA, bevor sie die Bühne verlässt.

post scriptum: Ich werde nicht gern politisch, aber vielleicht sollten uns diese Entwicklungen ein Mahnmal sein, denn der Rechtsruck in Deutschland ist nicht totzuschweigen. Er findet sich in kleinsten Äußerungen wieder: "Ich setze mich im Café immer an den Zweiertisch am Rand, damit mir die Ausländer nicht zu nah auf den Buckel rutschen." - "Was soll ich mit so einem glitzernden Kunststoffgürtel anfangen? Die Türken, die mögen sowas ja."

Es beginnt mit der Sprache.

Donnerstag, 22. Februar 2024

Eine unglaubliche Rolltreppe!

Tucker Carlsons "Ich bin dumm"-Gesicht hat eine Masche...

Gezielte Verblödung.

Tucker Carlson war einmal stramm rechtskonservativer Kommentator bei'm amerikanischen Sender Fox News. Sehr konservativ: Damit die Männer nicht ihre Männlichkeit verlieren, wie es ja angeblich seit einigen Jahren der Fall ist, hat Tucker Carlson Werbung für testicle tanning gemacht. Tucker ist sich wirklich für nichts zu schade, er ist ein Opportunist, der sich bei einem rechten, ultrakonservativen, sozial abgehängten Publikum anbiedert. Er mag eine Witzfigur sein, aber er richtet ernsthaften Schaden an.

Denn Tucker Carlson ist nicht dumm. Seine persona vor der Kamera ist es - er gibt sich als extrem dumm aus, um "die einfachen Leute" (normal people) zu erreichen, und es funktioniert leider. Sie fressen ihm aus der Hand. Tucker war der erfolgreichste Moderator bei Fox, bis eine seiner extremen Spitzen ihn endlich den Job gekostet hat - irgendwo musste Fox seine Grenze ziehen, fein. 

Aber was macht Tucker Carlson jetzt? Er hat keinen Sender mehr, aber er hat immer so sein (viel zu großes) Publikum - und das bedient er auch weiterhin mit seiner gespielt blöden, "authentisch" einfachen Art. Warum macht er das? Weil der Kreml sich das Einiges kosten lässt. Tucker bezieht ein ordentliches Gehalt aus Moskau für einen Trip nach Russland, von wo er Dinge sendet, die dümmer nicht sein könnten; es ist erschreckend, dass in den USA so viele Menschen das abkaufen.

In seiner Dokumentation lobt er die Moskauer U-Bahn - das immerhin vollkommen zu Recht. Das Moskauer U-Bahn-Netz ist eines der größten und schönsten der Welt, wenn man sich mal die Zeit nimmt, die Bahnhöfe zu bestaunen. So etwas haben wir in Deutschland nur ansatzweise - zum Beispiel am Westende der U7 in Berlin. Eigentlich könnte ich "U-Bahn-Fahren in Moskau" auf meine bucket list setzen (die ich sowieso einmal überarbeiten muss).

Aber dann staunt Tucker Carlson über einen russischen Supermarkt, in dem es etwas ganz Unglaubliches gibt. Tucker tut so, als hätte er das noch nie gesehen ("I'm figuring this out just now!") - auch hier wieder, um sich anzubiedern, bei seinem Publikum und bei'm Kreml. Eine Rolltreppe. Für Einkaufswagen. Und die Einkaufswagen bleiben stehen und rollen nicht zurück. Was für eine Erfindung! Hätten wir doch auch so etwas Tolles!! Kein Wunder, dass Jon Steward sich darüber lustig gemacht hat (im Video ab 1:50).


 

Vom desaströsen Interview mit Putin habt Ihr vielleicht gehört - Tucker als Stichwortgeber und Echokammer, mehr nicht. Das Problem an der ganzen Sache ist, dass es so viele Menschen gibt, die ihm das abkaufen. Die ihn dafür vergöttern. Die ihm Geld schicken, um ihn zu unterstützen. Und diese vielen Menschen sind mittlerweile im amerikanischen Kongress angekommen, im Repräsentantenhaus, In Form einer Marjorie Taylor Greene oder einer Lauren Boebert. Dummheit macht Politik, na danke. Kein Wunder, dass Trump kommt.

Liebe KollegInnen, wir haben einen Auftrag, die junge Generation so zu bilden, dass sie nicht dieser Dummheit verfallen. Dass sie Dinge hinterfragen, dass sie sie nicht einfach hinnehmen.

Was wohl passiert, wenn Dummheit die Welt regiert?

post scriptum: Zu einem gewissen Grad tut sie das schon jetzt, aber das Niveau sinkt immer weiter ab, und das kann einem Angst machen.

Samstag, 17. Februar 2024

Nawalny

Großartiger Dokumentarfilm, der sich anzuschauen lohnt

Normalerweise berührt es mich nicht, wenn in den Nachrichten berichtet wird, dass eine bekannte Person gestorben ist. Ich nehme das als reine Sachinformation hin, abgehakt. Als ich aber gestern in der tagesschau als erste Meldung hörte, dass der russische Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wahrscheinlich tot ist, ist mir kurz die Luft weggeblieben.

Hintergrund: Ich hatte mir vor einigen Monaten den Dokumentarfilm Navalny (2022) angeschaut. Es hieß, das sei ein großartiger Politthriller, und ich war tatsächlich begeistert. Wie Nawalny mit seinem Team den Giftanschlag auf sich als Kreml-angeordnet aufdeckt, hat unglaubliche Durchschlagskraft, und eine Szene ist so brillant, dass Drehbuchschreiber sie als "völlig unrealistisch" wegwerfen würden - wenn es nicht wirklich so passiert wäre. Manchmal ist die Realität abgefahrener als jede Fiktion.

Ich habe vor ein paar Jahren einen Schüler unterrichtet, der aus Russland ausgewandert war, und der sehr deutlich gemacht hat, wie es um "Demokratie" in Russland bestellt ist. Seither interessiere ich mich für den Kampf zwischen einer möglicherweise kleinen, aber hoffentlich starken, "echten" Opposition und der Regierung in Russland.

Dass Nawalny nun tot sein soll, ist ein herber - wenn auch nicht unerwarteter - Rückschlag für die Oppositionsbewegung. Ich hoffe, dass sie nicht aufgeben. Und ich bin froh, dass ich nicht in einer Diktatur lebe. 

Democracy is the worst form of government, except for all others.

- Sir Winston Churchill

Samstag, 8. April 2023

Ist das noch demokratisch?

Irgendwie musste ich daran denken...

Die Amerikaner sind stolz auf ihre Demokratie - beziehungsweise ihre Interpretation des Begriffs, abhängig von der politischen Orientierung. Ist das nicht toll: Es gab vor gut einer Woche mal wieder ein school shooting, viele Menschen sind danach auf die Straße gegangen für gewaltfreien Protest und den Schrei nach strengeren Waffengesetzen. Unter den Protestierenden waren auch zwei Mitglieder des Parlaments von Tennessee. Ex-Mitglieder, kann man jetzt sagen, denn sie wurden daraufhin quasi gefeuert. Zwei African Americans weniger, und der Aufschrei ist enorm. Pikant: Die weiße Abgeordnete, die ebenfalls mitdemonstriert hatte, darf bleiben.

Was hat das noch mit dem Recht auf Meinungsfreiheit zu tun? Stimmen, die uns nicht passen, werden einfach unterdrückt? Parlamente "gesäubert"?

Ob die USA wirklich noch eine Demokratie sind, kann ich seit ein paar Jahren nicht mehr beurteilen. Das alles erinnert mich an den Churchills Ausspruch "Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen - ausgenommen alle anderen." Demokratie ist anstrengend und erfordert die Bereitschaft, mit entgegen gesetzten Meinungen in einen Diskurs zu gehen. Das ist letztlich einer der Hauptaspekte der Oppositionsarbeit - Probleme und Alternativen aufzuzeigen, damit es nicht zu einer Autokratie kommt. Interessenvertretung aller Teile der Gesellschaft, die an den Wahlen teilgenommen haben.

In den USA wird die Schlammschlacht (die große Buba sagt Schwammsch-eh-wacht) immer niveauloser, hat mittlerweile zumindest seitens vieler Republikaner nichts mehr mit politischen agenda zu tun, sondern mit Diffamierung der anderen Partei. Laut Marjorie Taylor Greene sind die Demokraten alle Pädophile, das könne man an der "Frühsexualisierung" der Kinder ablesen. Und die Tante hat momentan durch ihre Posten zumindest ein Sprachrohr für den Scheiß, den ihr Gehirn mitunter absondert. Änderung, nicht "mitunter", sondern "ständig". MTG ist die Frau, die die kalifornischen Waldbrände auf Jewish space lasers zurückgeführt hat.

Dagegen sind die Vorgänge in unserem Bundestag fast schon intellektuell, dürfen fast schon als "Politik" bezeichnet werden. Selbst die AfD gibt in ihren Redebeiträgen hin und wieder handfeste Argumente neben den üblichen Verunglimpfungen.

Ich bin froh, dass ich kein amerikanischer Politiker bin. Angesichts der grenzenlosen Dummheit (ob Einstein wohl mal im House of Representatives gesessen hat?) würde mir längst der Kopf geplatzt sein. Was zeigt, dass ich nicht die nötige Offenheit - Stichwort Diskurs mit der Gegenseite - für demokratische Arbeit habe, so scheint es.

Aber naja, in meinem autokratisch geführten Frontalunterricht brauche ich das schließlich auch nicht.

post scriptum: Über einhundertdreißig "mass shootings" in neunzig Tagen des Jahres - die USA scheinen auf einen neuen Rekord hinzuarbeiten...

Donnerstag, 9. Februar 2023

Es darf kein Unterricht ausfallen!


Ich weiß nicht, ob es Euch auch so geht - ich traue mich momentan nicht mehr, in der Schule zu fehlen. Heute musste ich zu meinem Hausarzt, das war leider dringend, und das hatte ich jetzt drei Wochen lang vor mir hergeschoben, damit kein Unterricht ausfällt (Eltern: Keine Sorgen machen!). Das ist durch Urologen und Psychiater in diesem Jahr bereits zu oft passiert, und wann immer möglich, versuche ich Arzttermine auf meinen "freien Tag" (den Konferenztag als freien Tag zu bezeichnen, ist zynisch) zu legen - oder, so wie in zwei Wochen, auf den Freitag nach meinem Unterricht. Da muss ich dann zwar von der Schule direkt zum Bahnhof, direkt nach Neumünster in die Psychiatrie hetzen, und es irgendwie schaffen, während der Zugfahrt von Schule auf privat umzustellen, aber so ist es eben.

Die Berichterstattung über den Lehrermangel macht es mir da nicht einfacher; im Kopf wird fest verankert: Es darf kein Unterricht mehr ausfallen! Da helfen auch keine Aufgaben über's Internet - die ich zum Beispiel heute herumgeschickt habe: Die SchülerInnen, deren Eltern am lautesten über den Unterrichtsausfall jammern, nutzen nicht die Gelegenheit, die Aufgaben zu bearbeiten und mit mir online zu besprechen. Dahinter steckt vielleicht auch das Bewusstsein, dass Zeitaufwand für Schule auf SchülerInnenseite nur während der Schulzeit geschehen darf. Und bei einer gebundenen Ganztagsschule ist da auch ein Körnchen Wahrheit drin.

Trotzdem klöppelt sich in meinem Kopf dieses Bild zurecht: Ich, die Lehrkraft, muss perfekt sein. Es gibt Gesprächsbedarf seitens der Eltern - glaubt Ihr, irgendjemand von jenen ist vorgestern zum Elternsprechtag gekommen? Es wird Übungsbedarf seitens der SchülerInnen geäußert - glaubt Ihr, irgendjemand von jenen nutzt das zusätzliche Übungsangebot? 

Was mich heute tatsächlich trübsinnig stimmt, ist der Ausfall meiner Stunden im elften Jahrgang. Wir wollen in den nächsten Wochen die Shirley Jackson-Flanagan-Verfilmung The Haunting of Hill House (2018) anschauen und analysieren, dazu Literaturgenres erarbeiten - Schwerpunkt auf gothic fiction - außerdem, wie man eine systematische Charakterisierung anfertigt. Und da haben wir jetzt endlich donnerstags eine Doppelstunde Englisch (ist dafür dringend nötig) und müssen den Start um noch eine Woche verschieben. Dabei liegen die character sheets der Hauptfiguren hier fertig neben mir und ich bin extrem gespannt darauf, wie die Klasse auf die Serie reagiert.

Was sich in meinem Kopf derzeit ebenfalls verfestigt ist, dass der gesamte Unterrichtsausfall immer der Lehrkraft selbst anzulasten ist. Auch wenn LehrerInnenverbände immer wieder betonen, dass die Bildungsministerien sich vielleicht einmal Mühe geben sollten, zumindest eine 100%ige Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Die Kultusministerkonferenz kläfft gegenan, dass sich die Lehrkräfte nicht so anstellen sollen, dass sie einfach mehr Yoga und Entspannungsübungen treiben sollen und gefälligst nicht mehr in Teilzeit arbeiten. Ist es da ein Wunder, dass das Berufsbild leidet? Wenn mit solch' einer Penetranz gefordert wird, dass LehrerInnen nicht solche Weicheier sein sollen?

Zeit für die Entspannungsübungen, damit ich nicht mehr krank simuliere

Und Ihr so?

Sonntag, 29. Januar 2023

Mal drüber nachdenken


In den USA ist Anfang Januar ein schwarzer Mann bei einer Polizeikontrolle in den USA verprügelt worden und dann drei Tage später an seinen Verletzungen gestorben. Soweit (leider) nichts Neues. Wobei doch, diesmal kann man auf den Bodycams und Überwachungskameras sehen, dass es überhaupt keinen probable cause für die Kontrolle gab - der Mann wurde ohne Anlass angehalten, zu Boden gebracht und verprügelt, ohne dass er sich gewehrt oder die Beamten irgendwie anderweitig provoziert hätte. Zu hören, dass er dann von den Polizisten an den Schultern hochgehoben und ihm mehrmals in's Gesicht getreten wurde, das löst etwas Unbehagen aus, vielleicht.

Erinnerungen an George Floyd werden wach, und an Derek Chauvin, den hauptverantwortlichen Polizisten, der jetzt für eine lange Zeit wegen Mordes im Gefängnis sitzt, ebenso wie seine Kollegen für Beihilfe und unterlassene Hilfeleistung. Polizeigewalt gegen Schwarze ist nichts Neues in den Vereinigten Staaten. Es ist nicht auffällig, dass Schwarze häufiger ohne Anlass kontrolliert werden. Es ist nicht auffällig, dass mehr psychische Gewalt bei ihrer Vernehmung angewandt wird, und es ist auch nicht auffällig, dass letztlich viel schneller zum Mittel körperlicher Gewalt gegriffen wird als bei weißen "Opfern". Kein besonderer Fall eigentlich.

Eigentlich.

Was diesen Fall interessant macht ist, dass die fünf Beteiligten Polizisten allesamt ebenfalls schwarz sind. Kein einziger weißer Mann in ihrer Runde - und damit wird es etwas schwerer, diesen Fall zu bewerten. Eine Lesart, die sich schnell herauskristallisiert hat: Das amerikanische Polizeisystem zwinge auch afroamerikanische Beamte, sich zu "assimilieren" und ebenfalls gegenüber Schwarzen häufiger, leichter und mehr Verdächtigungen und Gewalt anzuwenden. Das Narrativ von der white supremacy könnte damit aufrecht erhalten werden.

Ich kann diesen Fall nicht bewerten, weil mir dazu die Nähe fehlt und jegliche politische und historische Kenntnis und Eignung. Ich finde den Fall grausig, wie jedesmal, wenn ich von ähnlich gelagerten Fällen lese. Dass nun aber Schwarze auf Schwarze losgehen - und nicht zu verstehen, ob sie es wollen oder müssen - das beunruhigt mich.

Und das wollte ich einfach teilen.

post scriptum: Ich habe jetzt die vier von der Polizei geteilten Videos des Einsatzes gesehen und sie sind nur schwer zu ertragen. Wie Nichols grundlos gestoppt wird, wie er zu Boden gebracht wird, getreten, geschlagen, mit dem Taser getroffen, weiter getreten, geschlagen, angeschrien, in's Gesicht getreten, wie die Polizisten danach lachen müssen über Aspekte des Einsatzes, und wie sie sich ein Narrativ zurechtlegen, das ihre Brutalität in dem Einsatz rechtfertigen soll - er habe eine Waffe gehabt, habe nach den Waffen der Polizisten gegriffen, habe Widerstand geleistet - alles Lügen.

Dafür ist mir in diesem Zusammenhang positiv aufgefallen, wie schnell die Polizeidirektion diesmal reagiert hat. Kein Schweigen, kein Vertuschen, kein gaslighting, sondern direkt die Veröffentlichung aller betreffenden Überwachungsvideos, direkt die Entlassung der Polizisten und ihre Anklage, unter anderem wegen Mordes zweiten Grades. Einer der ganz seltenen und willkommenen Fälle, in denen die Polizei einmal vernünftig reagiert und Menschen für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden.

Natürlich verfolge ich diesen Fall auch in den nächsten Tagen, um zu sehen, wie das Strafmaß für diese fünf Männer ausfallen wird. Vielleicht nicht ganz so hart wie das für Derek Chauvin (den Mörder von George Floyd), aber hoffentlich angemessen im Verhältnis zur eingesetzten grundlosen Brutalität.

Es ist so typisch menschlich, dass wir denken, mit Gewalt könnten wir alles erreichen, wenn wir mit Worten nicht sofort Erfolg haben. Davon mache ich mich nicht frei - und wenn es nur das Herumschreien im Klassenraum ist. 

Es ist der alte Topos, dass die Menschheit sich selbst zugrunde richten wird. Let's go!

Samstag, 19. November 2022

Linie 3 nach Dietrichsdorf ("Ich fahre!")

Noch wirkt es etwas surreal...

vorweg: Ich habe die Liniennetze leider in keinem anderen Grafikformat zur Hand, deswegen müsst Ihr mit dem Gedöns unten vorlieb nehmen. 

Wer mich richtig gut kennt und gleichzeitig weiß, was in der Kommunalpolitik so vor sich geht, könnte sich gefragt haben, warum ich gestern über eine classroom debate geschrieben habe anstatt über das Event am siebzehnten November, auf das ich seit Wochen hin gefiebert hatte. Es war fett im Kalender markiert, ich habe alles Mögliche an News dazu verfolgt, was ich finden konnte, gefühlt tausende Male den einschlägigen Artikel in der Wikipedia angeklickt. Ganz pragmatisch: Am letzten Schultag einer Woche steckt mein Kopf noch komplett in der Schule fest. Da war gestern kein Platz für Anderes.

Am Donnerstag hat die Kieler Ratsversammlung getagt. Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Die Stadtbahn Kiel ist beschlossene Sache. Nachdem Neunzehnhundertfünfundachtzig die letzte Tram in der Landeshauptstadt gefahren ist und viele sich gewundert haben, warum man sie eingestellt hat; nachdem ein zwischenzeitlich als greifbar wahrgenommenes Projekt namens StadtRegionalBahn auf dem Tisch lag; nachdem das ganze Vorhaben zum Erliegen gekommen schien, obwohl es so viele Fürsprecher dafür gab.

Und es dauert gar nicht mehr lange! (das soll Ironie sein) Wenn alles zügig geht, dürfte um Zwanzig Dreiunddreißig släsch Vierunddreißig die erste Linie in Betrieb genommen werden. Wenn es zügig geht. Mir wabern da Horrorszenarien vor dem geistigen Auge herum, wie der Flughafen BER, die Elbphilharmonie und Stuttgart 21. Egal, man wird ja wohl noch hoffen dürfen. 

Das Ganze ist ein ziemlich großes Projekt für Kiel, weil im Rahmen der Umsetzung das Stadtbild drastisch verändert wird, und damit sind nicht nur die Gleise auf den Straßen und die Stromleitungen gemeint. Gleichzeitig soll mehr Grün in die Innenstadt gebracht werden, die Bahn soll auf Rasengleisen fahren - der neue Kieler Holstenfleet zeigt einen Hauch dessen, was da kommen könnte - verkehrsberuhigte Bereiche ohne Autos, mehr Bäume in der Stadt. 

Dann natürlich die Frage, wo die Bahn langfahren soll. Geplant sind erstmal vier Linien, die je nach Bedarf auf sechs erweitert werden könnten. Die Linie 1 soll von der Universität nach Wellingdorf führen - über die Holtenauer Straße, Bergstraße, Lorentzendamm, Hauptbahnhof, Hummelwiese, Karlstal, HDW. Wenn alles läuft, soll sie am einen Ende zum Rungholtplatz verlängert werden, am anderen zur Fachhochschule Kiel.

Das vorerst geplante Zielnetz

Die Stammstrecke - jener Streckenabschnitt, der von allen Linien befahren wird - reicht von Karlstal bis zur Andreas-Gayk-Straße und Ziegelteich. Hier soll durch die Zehnminutentaktung der vier Linien alle zweieinhalb Minuten eine Bahn entlang rollen.

Wenn sich alles entwickelt wie geplant, dann dürfte für mich irgendwann die Linie 3 sehr interessant werden, mit der ich von der Hummelwiese bis nach Dietrichsdorf werde fahren können, Toni-Jensen-Haltestelle Lüderitzstraße inklusive. Andere Linien werden in die Wik führen, nach Mettenhof, Projensdorf und nach Elmschenhagen.

Der Kieler Süden ist leider zumindest in den ersten Realisierungsphasen nicht an das Bahnnetz geknüpft. Das könnte sich ändern, wenn man das geplante Netz aller möglichen Erweiterungen betrachtet - dann soll eine Linie nach Schulensee führen - durch Hassee, wäre interessant für mich), eine andere nach Meimersdorf und auch Holtenau und Schilksee sollen erreicht werden. Das hängt zum großen Teil von der Stadtentwicklung ab.

Klar, das wird alles ewig dauern, und erstmal jede Menge Stress in Form von Bauarbeiten mit sich bringen. Egal, ich freue mich wie ein Kind unter'm Weihnachtsbaum und werde, wenn es soweit ist, natürlich alle Linien vorwärts, rückwärts, seitwärts und ran fahren!

Der Plan mit allen möglichen Erweiterungen


Freitag, 18. November 2022

A teacher's redemption


"Killing should be a festival."

"Uh, no, I mean... killing someone should be a celebration of life, uhm..."

Der heutige Schultag ist meine persönliche teacher's redemption. Ich erinnere mich an meine erste Englisch-Lehrprobe im Referendariat, genauer an den ersten Studienleiterbesuch. Ich wollte zum Einstieg in die Stunde einen stummen Impuls ausprobieren und hatte ein Bild einer Hinrichtungszelle mit Liege für die Injektion an die Wand geworfen.

Zehn Jahre später würde ich das nicht noch einmal versuchen. Stumme Impulse mache ich hin und wieder noch, und es fühlt sich gut an, wenn ich zum Beispiel nur einen Stift hinlegen muss und die narrative Analyse einer Kurzgeschichte macht sich wie von selbst. Ein Genuss, würde Herr Kruse gesagt haben.

Damals hat der Impuls allerdings nicht funktioniert, und die Stunde hat mit einem endlosen, unangenehmen Schweigen begonnen - und ich glaube, mein Gehirn hat aus Selbstschutz den Rest ausgeblendet. Damals kam jedenfalls nix von Schülerseite. 

Heute war es an der Zeit für eine Classroom Debate. Rollen verteilt, Strikter Ablauf - opening statements, rebuttals, open discussion, closing arguments, vote. Okay, der Ablauf war dann für die Tonne, denn: Diesmal hat es geklappt, und die Schüler hatten Einiges zu sagen zu folgendem Statement:

"We should introduce the death penalty in Germany."

Klar, eine formale Debatte ist ein Rollenspiel, das heißt, es mussten sich SchülerInnen für und gegen das Statement finden, Moderator, audience, halbe Stunde Vorbereitung und dann ging es los, und bereits nach dem ersten opening statement ging es in die offene Diskussion. Okay, also den Ablauf üben wir nochmal, aber ich wollte die Diskussion nicht abbrechen, weil ich es interessant fand, was da gesagt wurde. Kosten für Hinrichtung vs. Kosten für lebenslang. Ob es ein Genuss sei, jemanden zu töten. Es ging ziemlich fix Richtung Rassismus, als das Argument more immigration = more crime genannt wurde, und die Debatte hätte gern noch eine halbe Stunde länger dauern dürfen.

Ich merke also, in einem E-Kurs im zehnten Jahrgang kann sowas laufen. Das macht die versaute Lehrprobe damals wieder wett. Und interessant, dass sich in der Abstimmung am Ende acht SchülerInnen für die Todesstrafe ausgesprochen haben. The times are'a'changin'...

Montag, 7. November 2022

Eine Demokratie kippt...

Mit dem Psycho-Logo, weil es mich intensiv beschäftigt.

Morgen ist ein wichtiger Tag für die USA - es stehen die midterm elections an, Zwischenwahlen, die immer zwei Jahre nach der Präsidentenwahl stattfinden. Die Mehrheiten im House of Representatives und im Senate werden gebildet. Diese Wahlen gelten als Stimmungsbarometer für die Arbeit der vor zwei Jahren gewählten Regierung, und es sieht echt übel aus für die Amerikaner - und für ihre Demokratie.

Joe Biden hat extrem niedrige approval ratings, Vizepräsidentin Kamala Harris war in den zwei Jahren quasi nonexistent, ein Mob aus aufgebrachten Bürgern hat im Januar vor zwei Jahren das Kapitol gestürmt; dabei sind fünf Menschen um's Leben gekommen und vier Mitglieder der Capitol Police haben in der Folge Suizid begangen. 

Die Republikaner stellen zahlreiche Kandidaten auf, die die Wahlergebnisse von Zwanzig Zwanzig leugnen. Kandidaten, die sagen: "Wenn ich als Repräsentant gewählt werde, werden die Republikaner in diesem Bundesstaat nie wieder eine Wahl verlieren" - und das ist kein dahergesagter Spruch: Die Republikaner sind seit Monaten dabei, das Wahlrecht so zu verschärfen, dass in erster Linie Minderheiten darunter zu leiden haben, die für gewöhnlich die Demokraten wählen.

"Entweder wir gewinnen die Wahl, oder die Wahl wurde manipuliert" - das hat Trump vor zwei Jahren gesagt und es ist mittlerweile ein Credo der republikanischen Partei, und das macht mir Angst. Dort nähert man sich dem status quo einer Diktatur an: Freie, faire Wahlen könnten in Zukunft abgeschafft werden - wozu braucht man sie, wenn man die Wahlergebnisse sowieso nicht akzeptiert?

Die Demokratie ist eine anstrengende Regierungsform, und sie fordert Kompromisse, Zugeständnisse und Mitarbeit. Viele Amerikaner wollen diese Mühen nicht mehr auf sich nehmen. Zu sagen, dass Amerikas Demokratie bröckelt, ist nicht mehr aktuell, das konnte man schon vor zwei Jahren bei dem Angriff auf das Kapitol sehen. Wir sind mittlerweile einen Schritt weiter, und deswegen sind die Zwischenwahlen morgen so wichtig wie nie zuvor.

Eine Demokratie kippt.

post scriptum: Das wollte ich heute eigentlich mit meinem zwölften Jahrgang behandeln, aber ich habe einen Magen-Darm-Infekt und so wurde nichts daraus. Irgendwo musste ich das einfach loswerden, und ich habe Angst, dass es bei uns auch so kommen wird. Die Zeichen sind jedenfalls nicht mehr zu übersehen - in Amerika wird dem Ehemann der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi mit einem Hammer der Schädel eingeschlagen, in Deutschland wird Walter Lübcke auf seiner Terrasse hingerichtet. Wo wird das hinführen?

Freitag, 14. Oktober 2022

Die Grenzen der Redefreiheit

Kann nun nicht mehr ganz so sorglos herumschreien: Alex Jones

"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!"

Ein beliebter Satz in der rechten Szene, auch bei den anti-wokeness-Verfechtern. In der Tat, in vielen Ländern der Welt darf man seine Meinung frei äußern, inklusive Lügen (das nennt sich dann Politik) und Beleidigungen. Hass, Hetze und üble Nachrede stellen dagegen die Grenzen der Redefreiheit dar. Und was ist, wenn man einfach nur harmlose Behauptungen aufstellt?

Alex Jones ist mit dieser Frage konfrontiert worden. Der amerikanische Radiomoderator haut mit seinem Programm InfoWars gern Verschwörungstheorien und allerlei Humbug raus. Dazu gehören auch Unterstellungen gegen die demokratischen Politiker - alles, was sein Publikum begeistert, zu dem neben einigen incels generell Menschen gehören, die auf irgendwas schimpfen wollen und sich von der Politik allein gelassen fühlen. Quasi ein amerikanisches AfD-Programm.

Jones verdient damit viel Geld, denn in seinem Onlineshop verkauft er unter anderem Kleidung und Nahrungsergänzungsmittel, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass er sich an eine uwah uwah-Bevölkerung richtet, tendenziell eher niedriges Bildungsniveau, blue collar workers, sozial Abgehängte, und dass er ihre Lage eiskalt ausnutzt.

Darf er das einfach? Seine Karriere auf Lügen aufbauen? Na klar, so lange es ein Publikum gibt, das bereit ist, dafür zu zahlen. Allerdings wurden ihm jüngst die Grenzen dessen aufgezeigt, was er behaupten darf.

Sandy Hook - einer der vielen Namen in der Reihe von Columbine, Stoneman Douglas und Hunderten mehr. Schulen, in denen ein Amokläufer Menschen erschossen hat. Diese Amokläufer sind durchgehend Männer - macht daraus, was Ihr wollt. Die Schicksale der Familien, die ein Kind verloren haben, sind sehr berührend; ich kann da nicht anders, als Mitleid zu empfinden (ja, sowas kann ein Aspi auf seine eigene Art).

Auftritt Alex Jones, der über zehn Jahre lang immer wieder behauptet hat, Sandy Hook sei eine false flag attack gewesen, eine Inszenierung mit Schauspielern, von der Regierung organisiert als Gehirnwäsche. Er hat das in seinen Sendungen auch sehr gründlich bearbeitet - dieser Mann zeigt zu wenig Emotionen, jener Mann zu viel, und außerdem habe man ja die angeblich ermordeten Menschen danach durch die Stadt gehen sehen. Alle haben sie gesehen! Das weiß doch jeder!

Verschwörungstheoretiker fahren darauf ab. Klicken auf InfoWars. Kaufen im Onlineshop ein. Machen Alex Jones reich. Für die tatsächlich Betroffenen dieser (natürlich) realen Katastrophen ist diese Masche ein Schlag in's Gesicht. Nicht nur, dass geleugnet wird, dass man einen Mitmenschen verloren hat; die Familien der Opfer werden bedroht und öffentlich lächerlich gemacht. 

In dieser Sache zumindest ist jetzt Schluss. Die Familien der Sandy Hook-Opfer haben Zivilklage erhoben, und Jones war im Gericht so dämlich, wie man nur sein kann; die Jury durfte live erleben, was für ein Mensch er ist. Das Urteil tut richtig weh: Jones muss insgesamt neunhundertfünfundsechzig Millionen Dollar Schadensersatz an die Familien zahlen. Ob ihm das wehtut? Ob ihn das nachdenken lässt?

Natürlich nicht. Er hat sich direkt in Videos über das Strafmaß lustig gemacht, die Familien hätten Pech, denn sein Unternehmen habe Insolvenz erklärt und wo soll dann das Geld herkommen?

Aber das Signal an die Öffentlichkeit ist wichtig: Redefreiheit hat ihre Grenzen.

Freitag, 23. September 2022

Rückschlag


Soeben habe ich mit meinem Psychiater telefoniert. Endlich. Ernüchternd: Die psychiatrische Fachklinik, deren Chefarzt er ist, soll Ende diesen Jahres geschlossen werden, wie seinem Team Ende August mitgeteilt wurde. Es wird keine Relevanz dafür gesehen - ein ziemlicher Schlag in's Gesicht, wenn man die über einhundertsiebzig teilweise akut psychotischen Patienten auf der Warteliste bedenkt.

Willkommen in unserem Gesundheitssystem. "Frag' doch mal bei Dr.Hild in Kiel nach, die ist darauf spezialisiert, die hat auch gerade erst einen meiner Klienten diagnostiziert." ist ein lieb gemeinter Ratschlag, den ich in der Schule bekommen kann, aber Dr.Hild sagt sehr deutlich: "Aufgrund vieler Anfragen kann ich zur Zeit keine Autismus-Diagnostik anbieten." So wie Brit Wilczek. So wie jeder auf Autismusdiagnostik spezialisierte Arzt in diesem Land.

Something is effing wrong. Die manisch-depressive Achterbahn hat den nächsten Airtime-Hügel überquert und ist auf rauschender Talfahrt.

Für mich ist jetzt weiteres Warten angesagt, weil der Psychiater in Neumünster nicht loslassen will und versucht, mich über das Friedrich-Ebert-Krankenhaus irgendwie aufzunehmen, um zumindest auf ambulantem Weg eine Diagnose zu erstellen. Er meldet sich. Vielleicht Anfang nächsten Jahres.

Sorry, aber heute brauche ich definitiv keine weiteren menschlichen Kontakte.

post scriptum: Die große Buba des Nachts vielleicht ausgenommen.

Samstag, 30. Juli 2022

"Warum brauchen fette Frauen Abtreibungen?"

Olivia Julianna

"Why is it that the women with the least likelihood of getting pregnant are the ones most worried about having abortions? Nobody wants to impregnate you when you look like a thumb."

"These people are odious from the inside out. They're like 5'2'', 350 pounds, and they're like Give me my abortions or I'll get up and march and protest."

Diese außerordentlich liebenswürdigen Worte stammen von Matt Gaetz, einem Abgeordneten des amerikanischen Repräsentantenhauses. Ein Politiker - das ist also das Niveau, auf dem gegenwärtig in den USA in der Politik debattiert wird. Ich hoffe, dass es bei uns nicht dazu kommen wird.

Allerdings schreibe ich diese Story nicht als Aufreger, sondern wegen einer der Folgen, die Gaetz' Worte hatten, denn das ist eine herzerwärmende Geschichte, die ich unbedingt mit Euch teilen möchte. Beteiligte Person ist Olivia Julianna (die ihren Familiennamen klugerweise nicht bekannt gegeben hat), neunzehn Jahre alt, Aktivistin für Abtreibungsrechte der Frauen und - fett. Und sie hat Gaetz auf seinen Kommentar bei Twitter angesprochen und als Reaktion einen fundraiser gestartet, eine Spendenaktion für ihre Gruppe von AktivistInnen, die sich für Frauenrechte einsetzen. 

Es ist toll, was sich daraus entwickelt hat: Innerhalb von vierundzwanzig Stunden hat Julianna fünfzigtausend Dollar an Spenden gesammelt und eine "Dankeskarte" an Matt Gaetz getweeted:


Am dritten Tag hat die Aktion bereits über anderthalb Millionen Dollar an Spenden gesammelt. Ich bin SO begeistert, dass es Frauen gibt, die solche Aktionen starten. Und dass es Menschen gibt, die diese Frauen unterstützen. 

Und die Matt Gaetz klarmachen, was für ein armseliges Würstchen er ist.

Sonntag, 12. Juni 2022

"Reclaiming my time."

Ein echtes Schlachtschiff: Katie Porter

Als Teenager hätte ich im Leben nicht gedacht, dass mir Politik einmal soviel Spaß machen würde. Und heute sitze ich da und verfolge MSNBC und C-Span und feiere meine eigene kleine Party. Aber von Anfang an.

Es gibt ein paar amerikanische Politiker, die mir sehr sympathisch sind und denen ich gern zuhöre, zum Beispiel die SenatorInnen Elizabeth Warren, Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez ("AOC"). Ich mag ihren bissigen Stil, und wie sie es schaffen, in den Anhörungen den Finger immer direkt in die Wunde zu legen und keine deutliche Sprache scheuen, wenn sie die Tricks und Betrügereien von Politikern und Geschäftsführern (CEOs) auf's Tapet bringen (maskulinum, weil es - leider - zum allergrößten Teil Männer sind, die Mist machen).

Nun gibt es seit ein paar Jahren eine freshman congresswoman, eine neugewählte Kongressfrau, die ordentlich auf den Putz haut. Ich dachte bei Katie Porter erstmal nichts Besonderes, schien eine unauffällige Dame zu sein, aber wenn sie in den Anhörungen den Mund aufmacht, dann werden die Angehörten schnell ganz klein: Sie ist immer extrem gut vorbereitet, sie befolgt eine goldene Regel ("Stelle niemals eine Frage, auf die du die Antwort nicht weißt") und sie macht sehr schnell klar, wer hier das Sagen hat.

Und das ist im Kongress ganz genau festgelegt: Jeder Abgeordnete hat das Recht auf fünf Minuten Rede und Fragen an den Angehörten. Weil das auf die Sekunde genau abgemessen wird, ist es their time, ihre Zeit; das bedeutet, dass Katie Porter und jeder andere Abgeordnete mit diesen fünf Minuten machen darf, was sie will.

Nun wissen wir, dass einige Politiker und CEOs pikanten Fragen gern ausweichen, sei es mit Platitüden oder ausweichend-aufgeblasenen Antworten a la "Vielen Dank, Kongressfrau, für diese Frage, und zuerst einmal muss ich ihnen mein Kompliment aussprechen, wie sorgfältig sie diese Sitzung vorbereitet haben blablablablablabla..." - das Ziel ist es eindeutig, die fünf Minuten Redezeit möglichst selbst zu füllen, damit so wenig bohrende Fragen wie möglich kommen.

Es gibt allerdings eine Redeformel, die das verhindern soll: Reclaiming my time. Übersetzt in etwa "Ich fordere meine Zeit zurück!" oder "Seien sie still, sie weichen aus, sie reden Unsinn, sie stehlen mir meine Zeit." Als "anständiger" Angehörter stoppt man dann sofort seine Antwort. Manche sind allerdings so dreist, dass sie ununterbrochen weiterreden, und dann sogar der Kongressperson Unverschämtheit vorwerfen dafür, dass sie nicht ausreden dürfen. Sie sind damit im Unrecht.

Ich finde es so herrlich, wie sinnvoll, wie stringent und gnadenlos Katie Porter davon Gebrauch macht und man dann das dümmliche Gesicht des Angehörten sieht. Wer das einmal erleben möchte, für den gibt es zwei kurze Videos - einmal Maxine Waters im Gespräch mit dem damaligen Finanzminister Steven Mnuchin (unter Trump), der sie dann anpampen möchte, aber direkt zurechtgewiesen wird (00:40-04:00 [ein besonderer Genuss ist ihr gebetsmühlenartig wiederholtes "reclaiming my time" inklusive Blick bei 02:30] - she kills me EVERY time!):


Und einmal eben jene Politiker grillende und Geschäftsführer durch die Mangel drehende Katie Porter, die ich mittlerweile auf Youtube abonniert habe, weil sie mich auch weiterhin an gute PolitikerInnen glauben lässt (auch die Kommentare darunter lohnen sich):


Und mir macht es wirklich Spaß, das zu beobachten. Hätte ich niemals gedacht, aber das ist genau meine Art von Humor, wenn diesen Labersäcken endlich mal das Maul gestopft wird. Hätte ich selbst gern so manches Mal in meiner Zeit im Kieler Studierendenparlament gesagt. Und falls Ihr mich nun zutexten wollt:

Reclaiming my time. Hier gibt's jetzt Videospiele.

post scriptum: Ja, ich bin mir bewusst, dass niemand sonst das witzig findet. Aber wisset Ihr, dass ich hier gerade mit Magenkrämpfen bei einem Lachanfall fast gestorben wäre. Die große Buba kennt das, das ist schon kein Lachen mehr, sondern ein Pfeifen aus den letzten Löchern. Äi käi äi es geht mir heute gut.

Donnerstag, 10. März 2022

Bus Richtung Frieden


Mittlerweile positioniert sich jeder zum Krieg in der Ukraine, und ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Vielleicht, dass es ein Zufall war, dass ich gerade heute zwei Busse der KVG gesehen habe, die statt der üblichen "Dienstfahrt"-Anzeige ein "Stoppt den Krieg!" vorn und an der Seite in Leuchtschrift hatten. Zufall, weil die AYAOTD-Geschichte heute in der Schule sich ausgerechnet Neunzehnachtundsechzig zugetragen hat - Flower Power und Peace-Generation. War ein großartiger Gesprächsanlass.

Vielleicht darüber, dass die ersten Flüchtlinge bei uns eintreffen - "uns" heißt Kollegen, die sich einsetzen, oder eben jene KVG. Und darüber, dass ich den Horror kaum mitansehen kann - wenn Putin Fluchtkorridore einrichtet und diese dann bombardieren lässt. Wenn er Krankenhäuser zerstören lässt. 

Dieser komische kleine Mann an seinem überlangen Tisch, an dem selbst "Vertraute" fünfzig Meter entfernt sitzen (die Buba spült und sagt "pfömpfzig"). Ich muss an Stauffenberg denken - und dabei habe ich keine Ahnung von Geschichte. Scheint, als ob die wesentlichen Punkte irgendwie hängenbleiben. 

Und ich finde den Vergleich erwähnenswert: Die USA und die Ukraine haben beziehungsweise hatten einen TV-Entertainer zum Präsidenten (wer es noch nicht gehört hat - Selensky war Comedian, und Trump Vollidiot). Der eine allerdings ist feige, behäbig, eine Schande für sein Volk - und der andere mutig, leichtsinnig, unterstützt sein Volk. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Trump sich in Selenskys Situation mit einer Tüte Hamburger und einem Fernseher in Sicherheit hätte fliegen lassen.

Keine Ahnung. Jeder Tag Krieg ist einer zu viel. Aber das ist leider typisch menschlich: Angst, Aggression, Misstrauen, Waffen, Neid - das steckt in jedem von uns. Immerhin hat das Lojong-Training das Ziel, dem nicht nachzugeben. Deswegen interessiere ich mich dafür.

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Auf einmal demokratisch?


Der amerikanische Präsident Biden hat das ganz bewusst provoziert: Er hat einen Demokratiegipfel stattfinden lassen, an dem sich über einhundert Länder beteiligt haben, mit den Fragen, wie Demokratie funktioniert, wie sie bewahrt werden kann und was der Dinge mehr sind. Explizit ausgeladen wurden Russland und China, alles Andere wäre bar jeden gesunden Menschenverstandes gewesen.

Und dennoch ist China offensichtlich richtig sauer darüber, dass der Welt gezeigt wird, das Einparteienland sei keine Demokratie. Ganz im Gegenteil, tönt es aus propagandistischen Medien, Chinas Demokratie funktioniere sogar besser als die westliche, denn dort habe man die Pandemie unter Kontrolle, während es in den USA hunderttausende Tote zu beklagen gibt.

Was für eine Logik. Klar hat man das in China unter Kontrolle: Da wird jeder geimpft, ob er will oder nicht. So etwas wie Querdenker gibt es offiziell nicht. Völlige Gleichschaltung unter Regierung der Kommunistischen Partei. Better known as: Diktatur. Dass eine Diktatur auf die amerikanische Provokation hin behauptet, eine Demokratie zu sein, und in diesem Zug den Demokratiebegriff völlig neu definiert (in China war zuvor jeder Andersdenkende demokratisch gesinnt), das findet in meinem Kopf kein Platz.

Für wie blöd wird der Westen eigentlich gehalten? Sicher, er bietet reichlich Angriffsfläche, aber das ist echt was ganz Neues.

Mittwoch, 29. September 2021

Verschimmelter Schimmelkäse!


Endlich wieder online. Wo fange ich nur an?

Erstmal die Eckdaten - Wochenende mit Fieber zuhause verbracht, jetzt aber wieder bis auf Schnupfennase okay. Seit Samstag kein Internet und Telefon - Router/Modem kaputt, Techniker und so weiter, und natürlich komme ich nicht auf die Idee, dass ich alles Internettige ja in der Schule erledigen kann. Dafür begrüßen mich jetzt zig Nachrichten und Dienstmails; kombiniert mit einer Woche voller Klassenarbeiten eine gute Grundlage für eine Panikattacke. Dieser Tage versuche ich also einfach nur zu überleben, bitte nicht böse sein, wenn ich erstmal in den Ferien landen muss, um wieder in Form zu kommen.

Und was macht man so ohne Internet und Telefon? Man arbeitet mit dem, was man zuhause hat. Videospiele - wie passend, dass diesen Monat Tales of Arise erschienen ist; Tales of ist eine meiner Lieblings-Rollenspielserien. Und ich habe die Gelegenheit genutzt, endlich mal wieder die Holle Honig-Hörspiele durchzuhören.Sehr witzig, und ich frage mich wirklich, was die geraucht haben, um den Charakter Babsi Boingboing zu erfinden. Das geht schon mit dem Namen los - die anderen Figuren haben einen Nachnamen, der quasi ein Attribut darstellt - Holle Honig ist ein Bär, Johnny Jumper ist ein Känguruh, Alois Amazonas ist ein Papagei. Und Babsi? Die ist wirklich boingboing - nicht nur, dass sie eine rosa Hexenmaus auf einem Düsenbesen ist; ihr Sprech ist einfach der Hammer. Beispielszene: Babsi spricht mit dem Mäusekönig, und selbstverständlich spricht sie ihn mit Eure Hoheit an. Auch Euer Hochwohlgeboren. Aber weil sie immer wieder neue Namen für die Menschen benutzt, taucht dann später auch mal Euer Hochdruck auf, oder Euer Hochofen (Kopfkino ^^), und das Gespräch endet mit: "Vielen Dank, Euer... Hochbahn." Also lustig war die Zeit definitiv.

Und dann war da natürlich die Wahl, zu der ich wieder etwas schreiben wollte - genauer gesagt zum Wahl-o-Mat - machen wir es kurz: Oben seht Ihr mein Ergebnis. Ich gebe zu, die Linke war bei mir bisher noch nie so weit oben. Linke Socke. Ich habe grün gewählt, hätte mir ein etwas besseres Ergebnis für sie erhofft, aber gleichzeitig beruhigt mich, dass auch der Stimmanteil für die AfD gesunken ist. Annalena Baerbock hätte eine super sympathische Kanzlerkandidatin sein können, aber irgendwie hat sie sich bei den öffentlichen Auftritten blöd angestellt. Irgendwas hat mir da nicht gepasst. Wie dem auch sei, Sondierungsgespräche laufen und ich vermute, es läuft auf die Ampelkoalition hinaus, mit Scholz als Bundeskanzler. We'll see.

Was anderes Schönes: Die Bluray mit dem science fiction-psychological horror-Film Come True (2020) ist angekommen; es geht um eine Schülerin, die an einer Studie im Schlaflabor teilnimmt. Ich bin so happy - endlich wieder ein neues mindfuck movie! Muss ich definitiv meiner Liste hier im Blog hinzufügen, aber das mache ich im Zusammenhang mit einem eigenen Beitrag. Ich liebe Filme, die nachwirken. Filme, bei denen mit der Schlussszene das große Nachdenken erst anfängt. Dann noch mit schönen Farbfiltern und toller Musik - ein echter mind trip.

So, das war für jetzt erstmal alles, ich bin einfach nur froh, wieder "da" zu sein. Ferien nahen!

post scriptum: "Verschimmelter Schimmelkäse" ist ein Fluch, den Babsi Boingboing in jeder Folge mindestens einmal ausspricht, ebenso wie "geringelter Mauseschwanz" und "du kahle Katze!"

Donnerstag, 23. September 2021

Ist so 'ne Sache mit der Wortwahl...

Wenn die Coronawut explodiert...

Neulich im Unterricht:

"Liebe Stefanie-Helmut, würdest du es bitte unterlassen, dem Detlef mit deinem Kugelschreiber die Augen auszustechen? Sonst muss ich dich noch einmal ermahnen." Daneben liegt Detlef mit blutigen Augen schreiend auf dem Boden.

Okay, das mag etwas übertrieben erscheinen. Aber es geht mir auch nur um den seltsamen Lehrer-Tonfall angesichts einer so drastischen Situation - und wer die Nachrichten verfolgt, ahnt, dass es um Armin Laschet geht.

Solltet Ihr nicht ganz hinter'm Deich oder auf Pellworm leben, habt Ihr vielleicht vom Tankstellenmord am Wochenende gehört: Ein neunundvierzigjähriger Mann hat einem zwanzigjährigen Studenten hinter der Kasse in den Kopf geschossen. Keine spontane Aktion, sondern eine Hinrichtung, wie der Täter dann auch offen zugibt. Was ist passiert?

Der Tankstellenmitarbeiter hat versucht, die Maskenregelung in der Tankstellenfiliale durchzusetzen und wollte dem Kunden klarmachen, dass er ohne Maske den Laden nicht betreten darf. Kunde (sinngemäß): "Dann fahre ich eben weg, ohne zu bezahlen." Angestellter (sinngemäß): "Dann muss ich die Polizei rufen, ihr Auto ist auf dem Videoband gut zu erkennen."

Kunde bezahlt schimpfend, rauscht wütend ab, kommt eine halbe Stunde später wieder, erneut ohne Maske, geht zu dem Angestellten und erschießt ihn. "Weil ich endlich ein Zeichen gegen diese schwachsinnigen Corona-Maßnahmen setzen wollte."

Und mit einem Mal erscheint die Kugelschreibergeschichte vom Beginn nicht mehr ganz so übertrieben. Dieser Mord ist beispiellos (naja, nicht ganz, in Dithmarschen hat ein Autofahrer einen anderen erschossen, weil der vor ihm zu langsam gefahren ist). Angesichts so einer Aktion muss man als politische Person deutliche Worte finden - denke ich zumindest. Und was sagt Armin Laschet dazu?

Wörtlich: "Wir verurteilen diese Aggression und fordern jeden auf, das zu lassen!"

Das klingt wie der Papa bei einer kleinen Standpauke für den Sohnemann. Ne. Noch nicht einmal das. Ich habe das Gefühl, dass Laschet es noch nicht so ganz mit Kameraauftritten hat. Sei es nun das Lachen bei der Flutkatastrophe (klar, hätte auch mir passieren können, aber ich bin kein wichtiger Politiker) oder jetzt eben dieses "Bitte lasst das doch mit dem Töten."

Da hat sogar Mutti Raute bessere Worte gefunden, oder zumindest einen besseren Ghostwriter gehabt; Laschet hätte hier ruhig etwas drastischer in seiner Wortwahl sein dürfen. Wo bleibt ein

"SAG MAL, HACKT'S????"

post scriptum: Sorry, schon wieder Politik. Aber dieser Mord und vor allem das Eingeständnis des Mordmotivs danach haben mich völlig aus der Bahn geworfen. Complete disregard for human life - oder wie es in der Mordanklage heißen wird: "Mord aus niederen Beweggründen."

Sonntag, 19. September 2021

Düstere Zeiten für Menschenrechte

Ernüchternder Blick auf die Nachrichtenlage...

Zwei Nachrichten von heute, die mich leider wieder im lateinischen Sprichwort homo homini lupus bestätigen: In Russland findet die Wahl der Duma statt. Natürlich sprechen die Wahlveranstalter von fairen Wahlen. Natürlich räumen sie allen Parteien Chancen ein. 

Natürlich erwähnen sie nicht, dass im Vorfeld fast alle oppositionellen Parteien von der Wahl ausgeschlossen wurden. Natürlich erwähnen sie nicht, dass sie Nawalnys Wahl-App, um Menschen das Wählen (anderer Parteien) zu erleichtern, sofort blockiert haben. Natürlich beklagen sie derzeit heftige Wahlmanipulationsversuche seitens der USA, Deutschland und der Ukraine, unerwähnt bleiben die intensiven Wahleinmischungen in den Präsidentschaftswahlen der USA. Politik geht - mal wieder - nur darum, was man sagt und wie man es sagt. Und was man verschweigt. Im Wahlkampf geht es scheinbar nie um Taten - und schon gar nicht um Charakter. Dunkle Zeiten für die Pressefreiheit in Russland. Wundert mich dann nicht mehr, dass einer meiner russischstämmigen Schüler sagt, dass er auf keinen Fall eine Schülerreise nach Russland empfehlen würde.

Und in Afghanistan? Natürlich sagen die Taliban, dass von nun an alles besser würde. Natürlich garantieren sie die Einhaltung der Menschenrechte (solang sie denn der Scharia entsprechen). Natürlich räumen sie für Frauen das Recht auf Arbeit und Bildung ein.

Und was schreibt dann das Dekret zur Wiederöffnung von Schulen? Dass "Lehrer und männliche Schüler hingehen und teilnehmen sollten". Von Mädchen kein Wort - ein de facto-Verbot, das die Taliban natürlich umgehend dementieren. Und dass Frauen nur in niederen Berufen arbeiten dürfen, scheint also ihre Auffassung von Arbeitsrecht für Frauen zu sein. Es zeigt sich auch hier in den Taten der Taliban immer mehr, dass ihre Worte nichts als Schall und Rauch waren. Ernüchternd ist, dass ihnen doch noch so viele Menschen angesichts ihrer Ankündigungen vertraut haben, selbst als die Taliban Protestanten niedergeschossen haben.

Einen Hoffnungsschimmer stellt allerdings das kritische Hinterfragen vieler politischer global players dar. Nicht alle, und in jedem Land gibt es Gutgläubige, die sich hinter's Licht führen lassen (als Aspi ist man für so etwas prädestiniert). Dennoch gibt es immer eine gesellschaftliche Opposition, und vollkommen werden sich die Menschenrechte nicht über lange Zeit unterdrücken lassen - dazu ist das Freiheitsstreben des Menschen dann doch zu groß.

Aber es stehen ein paar düstere Jahre für die Menschenrechte weltweit bevor.

post scriptum: Ja, dazu gehören auch Länder wie der Südsudan, Brasilien, China, Nordkorea und viele weitere. Aber die standen - immerhin - heute mal nicht in den Nachrichten.

Samstag, 4. September 2021

Am Boden zerstört

Finden Roe v Wade mehrheitlich übergehbar - der Supreme Court der USA

Ich habe einen Tag gebraucht, um diese Story zu verarbeiten, weil mich das persönlich mal wieder sehr berührt hat, und eigentlich kann ich gar nicht verstehen, warum - es geht nämlich um Frauenrechte in den USA.

Mehrere Jahrzehnte lang gab es dort Roe v Wade, eine Gerichtsentscheidung, die zum Präzedenzfall und Synonym für das Recht der Frau auf Abtreibung wurde. Damals hat der Supreme Court mit sieben zu zwei Stimmen entschieden, dass Frauen selbst über ihre Schwangerschaft bestimmen dürfen - ich dachte tatsächlich, dass so etwas eine Selbstverständlichkeit ist, aber viele Menschen denken nicht so.

"Leben wird zerstört" - "Man nimmt diesen Embryos das Recht auf Leben" - blablabla. Kommt natürlich in der Regel von Männern, Frauen, die noch nie vergewaltigt worden sind, und religiösen Gruppen. In den USA war immer eine Mehrheit in der Bevölkerung für Roe v Wade, für das Recht auf Abtreibung (das Urteil war aber zu keiner Zeit unumstritten).

Nun allerdings hat Texas - wer auch sonst - ein neues Gesetz eingeführt: Man darf nur noch bis zur sechsten Schwangerschaftswoche abtreiben (viele wissen da noch nicht einmal, dass sie schwanger sind) - das sogenannte Heartbeat Law. Danach wird Abtreibung unter Strafe gestellt, und es kommt noch besser; Denunziantentum wird gefördert: Wer beobachtet, dass jemand einer Frau bei einer Abtreibung hilft - in einer Klinik, oder sie auch nur dahin fährt - kann ihn anzeigen und darf mit bis zu zehntausend Dollar Belohnung rechnen.

Dieses neue Gesetz ist so hanebüchen, dass eigentlich klar sein sollte, dass es gegen die amerikanische Verfassung verstößt - und in der Konsequenz sollte es vom Supreme Court abgeschmettert werden.

Sollte. Würde Haben Hätte. Donald Trump hat den Supreme Court mit Konservativen vollgestopft, zuletzt Amy Coney Barrett, davor Schmierbolzen Brett Kavanaugh. All' diese Konservativen haben nun mit fünf zu vier Stimmen sich dafür entschieden, nichts gegen das neue texanische Gesetz zu sagen; in der Konsequenz werden sicherlich mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten nachziehen.

Irgendwie interessiert es mich ja scheinbar doch, was in den USA abgeht. Jedenfalls war ich erstmal am Boden zerstört, als ich die Nachricht gehört habe, weil es so ungerecht ist - und doch seit Trumps Nominierten für den Supreme Court absehbar war. Das hat hoffentlich noch ein Nachspiel.