Dienstag, 30. Januar 2018

Eine Frage der Perspektive

Ich denke, ich sollte diesen Ort mal richtig kennenlernen...

Dieser Artikel geht in erster Linie an die große Buba, aber vielleicht werden noch sehr viel mehr Lehrerkollegen dieses Gefühl kennen, nämlich dass es einem mies geht - aus welchen Gründen auch immer: Planungsunsicherheit, Gehalt kommt nicht, ich weiß nicht, welche Klassen ich unterrichten soll, Umzug weg von Freunden, jedenfalls geht es einem so richtig schön scheiße. Einem. Mir. Ich erzähl einfach von mir. Und vielleicht identifiziert Ihr Euch damit.

Es geht mir nämlich gar nicht um das Schlechtfühlen, sondern um eines der Heilmittel dagegen: Die Schüler, ausgerechnet! Ich komme heute in die Schule, Kollege fragt mich, warum ich wie ein Wrack aussehe - joah, waren halt keine schönen Tage und keine gut durchgeschlafenen Nächte. Schulleiter grüßen, ein nettes Kompliment erhalten, aber wegen Übermüdung nur teilweise wahrnehmen können, Vertrag unterzeichnen, eine neue Lerngruppe kennenlernen (und ich bin so dankbar, dass die Kollegin, die ich vertrete, mich da an die Hand nimmt).

Doch dann die 8a. Ich betrete die Klasse, ich erkenne die Gesichter wieder, denn diese Schüler habe ich jetzt sieben Wochen lang unterrichtet. Und zum ersten Mal an diesem Tag, in dieser Schule, in diesem Kopf, fühlt es sich richtig an. Die olle Areté. Herr Leinhos versteht das. Und viele Kollegen, so denke ich, kennen das. Haben das schon einmal erlebt. Dass die Situation einer Untergangsstimmung ausgerechnet durch die Kinder, die man wiedererkennt, die man ganz langsam in's Herz zu schließen beginnt, gerettet wird.

Das hilft, meine Perspektive zu ändern, und zwar schlagartig: Ich realisiere, dass mein neuer Stundenplan toll ist, weil er nämlich der "vier Tage arbeiten, drei Tage frei"-Richtlinie folgt, ich realisiere, dass ich niemandem etwas beweisen muss, ich bin hier nicht auf dem Prüfstand, ich realisiere, dass ich mir jetzt endlich mal eine Monatskarte organisieren sollte. Ein bisschen eingewöhnen. Ein bisschen Licht am Horizont.

Es braucht einfach Zeit. an einer neuen Schule anzukommen.

Montag, 29. Januar 2018

Get a grip!

Manchmal macht der Kopf wesentlich mehr Terror, als nötig...

Ich glaube, das bin nicht nur ich. Ich glaube, das ist eine ganz normale, menschliche Eigenheit - sich zwischendurch in seinem Selbstmitleid zu suhlen. Obwohl es ganz einfach weitergehen könnte. Ich könnte die nächste Ladung Wäsche reinstecken, ich könnte das Haushaltsbuch auf den aktuellen Stand bringen. Ich könnte das Bad putzen. Ich könnte all' den Papierkram, der auf, unter, neben und hinter meinem Schreibtisch verteilt ist, Zettel für Zettel durchgehen und wegheften. Ich könnte Unterricht vorbereiten - halt, nein, das kann ich nicht. Ich weiß zwar, dass ich morgen arbeite, aber ich weiß nicht, wie mein Stundenplan aussieht.

Aber nein, stattdessen sitze ich da, höre introvertierte Musik, schaue hinaus in den Regen und tue mir selbst Leid. Warum macht der Mensch sowas? Eigentlich findet man doch immer etwas, was man machen kann, irgendwas gibt es immer zu tun. Eigentlich weiß ich doch, dass mein Gehirn durch die Arbeit abgelenkt wird. Und dass mir das gut tut. Also stehe ich auf, gehe in's Bad, stelle mich vor den Spiegel.

Ich schaue mir diesen Menschen an, der da so dämlich herumsitzt. Ich sehe, wie ich alles schlechtrede. Ich sehe, dass ich mir nicht mehr die Mühe mache, in Allem das Positive zu sehen. Ich sehe eine Drama Queen, die nicht mehr in der Lage ist, sachlich zu denken. Und ich werde ein wenig wütend, doch... bevor ich richtig aggressiv werde, fange ich an zu lachen. Ich lache aus vollem Halse, ein breites Grinsen ziert mein Gesicht.

Ich lache, weil ich nicht verstehen kann, wieso ich einfach mal eben meine Richtlinien vergessen habe. Positive Gedanken, nach denen ich lebe. Abgeleitet aus dem Buddhismus, irgendwann schreibe ich darüber mal. Aber erstmal räume ich jetzt den Müll weg und bereite Stunden vor, die morgen kommen "könnten".

Aufstehen, Staub abklopfen, weitergehen!

Sonntag, 28. Januar 2018

Nasenspray in den Augen

Daneben!

Es gibt Telefonate, nach denen ich zuhause sitze und erstmal einen Heulkrampf bekomme. Telefonate, während denen ich mich frage, ob ich meiner Mutter irgendwann endlich mal wieder Positives berichten kann. Einen Job, den ich länger als zwei Monate behalten kann. Oder überhaupt irgendeinen Job. Eine Schule, an der ich mich wohlfühle. Dass die Wohnung nicht mehr nur aus liegen gebliebener Arbeit besteht. Dass ich meine Miete fristgerecht bezahlen kann. Dass irgend etwas so läuft, wie es laufen soll. Dass ich die Dinge einfach mal leicht nehmen kann. Telefonate, nach denen ich so neben der Spur bin, dass ich mir das Nasenspray fast in die Augen sprühen möchte. Nach denen ich einfach nur noch in's Bett gehen möchte, Hörspiel, einschlafen, morgen mit frischer Energie an die Arbeit gehen.

Zum Glück kommt das nicht allzu oft vor.

Samstag, 27. Januar 2018

Es geht um Sex: Das "Gewerbe"


Ich habe vor ein paar Tagen Luis Bunuels Film Belle de Jour (1967) gesehen. Ich finde, der Film präsentiert auf eine recht glaubhafte Weise, wie eine "anständige" Frau das Sehnen verspürt, sich als Prostituierte zu betätigen. Kurze Einschätzung vorweg: Der Film ist toll, danke Amazon prime. Catherine Deneuve spielt alle Emotionen ihrer Figur Severine durch, die Abscheu, den Ekel, aber auch die Faszination des "Gewerbes". Der Film wird öfters in einem Atemzug genannt mit Stanley Kubricks Eyes Wide Shut (1999), nicht zuletzt wegen der Traumsequenzen.

Mir geht es heute aber nicht um den Film, sondern um das Thema an sich - Prostitution wird gern als ältestes Gewerbe der Welt bezeichnet - Sex sells, as we know.  Es gibt zahlreiche gute Gründe, sich zu prostituieren: Vielleicht sehnt man sich nach der Ablenkung zu seinem normalen Sexleben, nach Praktiken und Fantasien, die man mit seinem Lebenspartner nicht ausleben kann. Vielleicht ist es der Reiz, viele unterschiedliche Sexpartner kennenzulernen. Vielleicht ist es einfach eine Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Ich bewerte keinen dieser Gründe, ich zähle sie nur auf. Und ich stelle fest, dass ich all' diese Gründe gut nachvollziehen kann.

Wie kommt es, dass Prostitution so verpönt ist? Es gibt ganz sachliche Gründe, und mit Sachlichkeit kriegt man mich immer rum: Zu oft wird nicht verhütet und ein Leben "aus Versehen" in die Welt gesetzt; die Tiefe dieses menschlichen Abgrundes kann ich kaum ertragen. Oder aber es werden Krankheiten übertragen. Auch können Gewaltspielereien zu weit gehen, ernsthafte Verletzungen folgen. Oft wird die Grenze des Legalen zum Beispiel auch durch gleichzeitigen Drogenkonsum überschritten - wobei das schon zu einem Grund wird, den ich nur in Ansätzen nachvollziehen kann: Wenn die Menschen, die sich zum Sex treffen, ihr Erlebnis mit psychoaktiven Substanzen anfeuern wollen, dann lasst sie doch! Solange das Konzept der Drogenmündigkeit bewusst bleibt, ist das eine vollkommen natürliche Handlungsweise.

Was ich dagegen ganz und gar nicht verstehe, sind Vorbehalte der Prostitution gegenüber, die aus konservativen Antrieben entstehen: Sex ist etwas Heiliges, das man nur mit seinem festen Lebenspartner teilen darf. Leute, warum macht Ihr es euch selbst so schwer? Das ist genau wie James Dean, der einen genialen Satz geantwortet haben soll, und zwar auf die Frage, ob er jemals sexuelle Erfahrungen mit einem anderen Mann gesammelt habe (damals ein absolutes Tabu): "No, I am not a homosexual. But I'm also not going to go through life with one hand tied behind my back."

Diese ganze Verklemmtheit beim Thema Sex fasziniert mich immer wieder: Warum stellt sich Sexualität uns als Tabu dar? Warum machen wir uns nicht frei von den Ketten, die wir uns selbst auferlegt haben? Immerhin, langsam tauen wir auf. Langsam werden Seiten wie PlanetRomeo oder Tinder gesellschaftstauglich. Dennoch wird es ihn immer geben, diesen Zwiespalt, auf unverbindlichen Sex abschätzend herabzublicken und gleichzeitig davon fasziniert zu sein.

Freitag, 26. Januar 2018

Bonior audere eFundere

Sweet memories...

Einfach mal anders - dieser Beitrag besteht nur aus "post scriptum", Gedanken, die ich einem Beitrag hinzufügen wollte, der es nicht in die Mache geschafft hat.

post scriptum: Der Titel könnte als lateinischer Flachwitz gelesen werden - so schlecht, dass ich ihn auch siebzehn Jahre später noch im Kopf habe. Einfach mal wörtlich übersetzen: "bonior" als inkorrekte Steigerungsform wird zu "güter", audere bedeutet "wagen" und eFundere "ausGießen" - oder etwas bereinigt: "Güterwagen aus Gießen". Danke, Herr Kesslau!

ps2: Traurige News für diesen Achterbahnfan - die "Eurosat" im Europa-Park wird derzeit überarbeitet. Neben nötigen Renovierungen für die TÜV-Abnahme soll die Bahn neu thematisiert werden. Das finde ich sehr schade, denn gerade das teils trashige, teils extrem immersive Science-Fiction-Thema hat die Fahrt - und auch das Warten darauf - zu einem genialen Erlebnis gemacht. Muss ich jetzt erstmal verarbeiten; andererseits mag man diesen Schritt auch verstehen, da mit der Euro-Mir bereits eine weitere Achterbahn mit Weltraum-Thema im Park vertreten ist. Irgendwann schaue ich mir das Resultat mal an. 

ps3: Und wo wir schon bei Achterbahnen sind - "Colossos" im Heide-Park hat nun doch noch eine Zukunft vor sich. Nachdem die Bahn seit 2016 wegen erheblicher Streckenschäden geschlossen war, hat man nun beschlossen, noch einmal über zehn Millionen Euro in neue Schienen zu investieren, damit die Bahn 2019 wieder starten kann. Das wäre schon toll, denn Colossos hat tatsächlich Weltrang-Niveau.

Donnerstag, 25. Januar 2018

Verlängert

Peter Kirlan III - bei ihm möchte man nicht unbedingt wohnen...

Vertretungsstunde, und nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mal wieder eine Stunde mit Are You Afraid of the Dark? gemacht. In Klasse Acht oder Neun an den Gemeinschaftsschulen habe ich mit den Schülern jede Woche eine Folge der Jugendserie geschaut, auf Englisch, ohne Untertitel. Und sie hat mich bisher nie im Stich gelassen, irgendwie kommt sie immer wieder gut an. Zumindest gehen die Schüler recht motiviert mit und bekommen dann auch mal ihren Mund auf, um auf Englisch über die jeweilige Geschichte zu reden. Und nebenbei kann man Charakterisierungen und Inhaltsangaben üben: "Peter Kirlan is a strange boy, very creepy, something is wrong about him..."

Klar, dazu müsste ich wieder Englisch unterrichten, aber - vielleicht als Ausgleich für die letzten Jahre - es bleibt erstmal bei Latein. Ja, es bleibt - bzw. ich bleibe. Heute gab es endlich grünes Licht, aber wie das nun mal bei Vertretungen ist (jahrelange Erfahrung, mittlerweile...), erstmal nur für zwei Monate. Das kapiert mein Gehirn wieder nicht, das ist irgendwie Flickware. Also werde ich mich an diesem Wochenende hinsetzen und eine Stoffverteilung machen, und ich werde so tun, als ob ich bis zum Sommer bleiben kann.

Erstmal erleichtert. Aber nach wie vor unsicher, ob das die richtigen Schüler für mich sind.

post scriptum: Sehr geiles offizielles Wahlergebnis der SV-Wahl - Team A hat 48%, Team B 45% und Team C 13%. Realize something?

Dienstag, 23. Januar 2018

"Meine Nudel für den ganzen Tag"

Schülervertretung - ist schon cool, wenn Schüler sich für andere einsetzen. Das verdünnt meine Egozentrikgedanken ein wenig.

Okay, um den Spaß schonmal zu zerstören: Der Titel des Beitrags hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Mir ist dieser Werbeslogan heute beim Einkaufen über den Weg gewabert und... ich konnte den nicht einfach so unbeachtet lassen. Ist einfach zu... time to grow up.

Zeit, erwachsen zu werden - das werden sich auch eine Menge Schüler gesagt haben, die beschlossen haben, ihre Schülerschaft in der SV zu unterstützen. Das letzte Mal, dass ich eine SV-Wahl gesehen habe, muss Ewigkeiten her sein, vielleicht sogar noch zu meiner eigenen Schulzeit. Heute hatte ich wieder das Vergnügen - und das war es tatsächlich, sehr unterhaltsam. Es erinnert mich daran, wie Schüler so denken.

Wie sie zum Beispiel kreative, äußerst bescheidene Namen für ihre Gruppen verwenden: SV-Team "Unlimited", "Miracle" und "Student's Voice". Ich gebe zu, ich fand den letzten Namen am besten. Aber damals, zu meiner Schulzeit, hätte ich "Unlimited" schon ziemlich geil gefunden.

Herrlich der Einleitungssatz der alten SV-Leitung: "Je schneller ihr leise seid, umso schneller seid ihr hier auch wieder raus." Das Argument Freiheit zieht irgendwie immer. Und der Leitspruch vom Team Unlimited: "Wählt nicht nur eine SV, wählt unbegrenzte Möglichkeiten!" Zu der Musik vom Final Countdown. Ich würde mich gern scheckig lachen, aber bleibe noch ruhig und klatsche höflich. Denn die Show ist unterhaltsam und sie haben sich Mühe gegeben.

Was mich heute besonders interessiert hat, war, wie sich die Teams in ihrer Vorstellung unterscheiden, denn irgendwie sollte die Schülerschaft ja motiviert werden, nur ein Kreuz auf dem Wahlzettel zu setzen. Allerdings wirkten die Teams ziemlich ähnlich; sie alle wollen mehr Süßigkeiten für die Schüler anbieten, mehr Parties, Public Viewing, Schüler-WLAN. Und sie alle haben beim Einlauf in die Aula eimerweise Süßigkeiten auf die Schülermeute geworfen. Naschkram geht immer.

Ehrlich gesagt, kann ich gar nicht mehr sagen, wie sie sich unterschieden haben. Das Einzige, was mir einfällt, ist der Schlusssatz der Rede von Student's Voice: "So, und um zu zeigen, dass wir ein Ohr für eure Stimme haben, bieten wir als einziges Team jetzt noch die Möglichkeit an, uns direkt Fragen zu stellen!" Raunen, erste Finger gehen hoch, aber der alte SV-Leiter bricht ab: "Ja, also das geht nun leider nicht mehr, weil wir keine Zeit mehr haben." Dr Hilarius fällt vor Lachen fast vom Stuhl.

Nach Hickhack bekommen die Schüler dann doch noch fünf Minuten für Fragen.

Frage 1: "Glaubt ihr denn, dass ihr all' das wirklich umsetzen könnt, was ihr hier ankündigt?"
Frage 2: "Könnt ihr versprechen, dass ihr alles umsetzen könnt, was ihr erzählt habt?"
Frage 3: "Ja, ich wollte mich nur mal beschweren, ihr habt mich eben mit Süßigkeiten beworfen, das hat richtig wehgetan!"

Dr Hilarius stirbt vor Lachen.

Ganz ehrlich, das war eine tolle Alternative zu Unterricht!

Montag, 22. Januar 2018

One Trick Pony


Warnung: Dieser Beitrag enthält wesentliche Spoiler zu den folgenden Geschichten aus Film und Fernsehen; wer noch keine davon gesehen hat, sollte diesen Text überspringen oder sich dessen bewusst sein, dass die Auflösung hier vorweggenommen wird:

The Twilight Zone S01E16 - "The Hitch-Hiker" (1960)
The Twilight Zone S05E22 - "La rivière du hibou" (1962/64)  
Carnival of Souls (1962)
The Sixth Sense (1999)
Yella (2008) 

Die zugrundeliegende Geschichte hat auch Ambrose Bierce erzählt ("An Occurrence at Owl Creek Bridge", 1890); es lohnt sich, sie zu lesen, um den Ursprüngen näher zu kommen.

Fünf unterschiedliche Regisseure (Rod Serling, Robert Enrico, Herk Harvey, M.Night Shyamalan, Christian Petzold) bearbeiten auf ihre eigene Art und Weise die jeweils gleiche zugrunde liegende Geschichte: Die Hauptfigur durchlebt eine traumatische Erfahrung (beispielsweise einen Unfall oder einen Einbruch) und wird vor die Aufgabe gestellt, dieses Trauma zu verarbeiten. Zunächst gelingt das gut, doch mit der Zeit tauchen immer mehr Symptome auf, die die Hauptfigur an ihrem Verstand zweifeln lassen, bis sie sich schließlich in der finalen Offenbarung darüber klar wird (bzw. der Zuschauer darüber in Kenntnis gesetzt wird), dass sie bei dem damaligen Ereignis um's Leben gekommen ist und die gesamte Dauer der Erzählung über in einer Art Limbus zwischen Leben und Tod wandelt.

Wer noch nie eine dieser Geschichten gesehen hat und das mittlerweile berühmte twist ending nicht kennt, dürfte einigermaßen überrascht werden; je nach Erzählung sind die "Signale" unterschiedlich deutlich. Während Hauptfigur Nan Adams in The Hitch-Hiker nur ein Reifen geplatzt ist und von der Reparaturwerkstatt an jener titelgebende Anhalter erscheint, der sie zunächst leicht, später ziemlich verstört, sind die Hinweise bei The Sixth Sense wesentlich deutlicher - wenn man sie zu erkennen weiß. Ich gebe zu, dieser Film war mein erster Kontakt mit der Erzählung und auch wenn dieser kleine Junge der Hauptfigur mitten in's Gesicht sagt "Ich kann tote Menschen sehen" - habe ich nicht damit gerechnet.

Ich war vollkommen überrascht, wahnsinnig beeindruckt und habe den Film ein zweites Mal sehen müssen, um auf all' die Hinweise zu achten, die wirklich zahlreich und auffällig gegeben werden. Und danach habe ich den Film nie wieder gesehen. Anders ist es bei der Serienfolge aus der Twilight Zone und bei Carnival of Souls, die ich beide immer wieder sehen kann, weil sie in ihrer Wirkung nicht so sehr vom Twist am Ende abhängig sind, sondern einfach so gut sind, dass ich den ganzen Verlauf, vom traumatischen Ereignis bis zur apokalypsis, immer wieder genießen kann.

Mir stellt sich auch die Frage, ob man eine Geschichte, die in ihrem Effekt so sehr auf den Twist angewiesen ist, auf Filmlänge aufblasen kann. Rod Serlings Filmepisode ist nach vierundzwanzig Minuten um, sie wirkt zügig und eindrucksvoll und ich bin zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Shyamalan nimmt sich knapp zwei Stunden Zeit, und meiner Wahnehmung nach ist das ein bisschen zu lang. Dennoch immerhin genug Zeit, um Haley Joel Osment zu bewundern, der ein erstaunliches Schauspieltalent für sein junges Alter zeigt - wenngleich ich ihn in A.I. - Artificial Intelligence noch überzeugender fand.

Neulich habe ich nun also eine der neuesten Adaptationen geschaut, Yella von Christian Petzold, mit nun knapp zehn Jahren auf dem Buckel (2008). Und man könnte meinen: Unoriginell, Abklatsch, nicht schon wieder diese Story. Man könnte meinen, mit The Sixth Sense, unzweifelhaft der berühmtesten Verfilmung dieser Geschichte, bestehe nun kein Bedarf mehr für ein weiteres Remake, egal ob offiziell oder inoffiziell. Dann allerdings habe ich mich daran erinnert, dass Shyamalans Film nicht mein Favorit unter den tod-vs-lebendig-Erzählungen ist (Serlings Hitch-Hiker bleibt meine Nummer Eins), und das hat mir ein wenig mehr Lust gegeben, diesem deutschen Film eine Chance zu geben. Hinzu kommen noch ein paar andere Faktoren, die den Film für mich interessant gemacht haben, nämlich dass von allen Verfilmungen dieser Geschichte ausgerechnet die deutsche Verfilmung beim amerikanischen Filmkritiker Roger Ebert (r.i.p.) die höchste Bewertung bekommen hat, und dass es tatsächlich mal wieder ein deutscher Film über den großen Teich geschafft hat: Das muss einen Grund haben.

Es handelt sich tatsächlich um einen Lehrbuchfilm; Petzold verwendet Leitmotive, wie etwa die Mondscheinsonate, den Farbfilter, die Farbe Rot, die Szenen im Auto, das Wasser. Die Parallelen zu Carnival of Souls sind nicht zu übersehen - ein Auto, das von einer Brücke stürzt, eine Frau, die sich in einen neuen Ort und Beruf einfindet, die Bewusstseinsstörungen, das Zwitschern von Vögeln. Petzold ergänzt die Vorlage allerdings um eine deutliche Kapitalismuskritik. Yellas Welt ist kalt, aus Glas und Stahl, es geht um teure Autos, teure Hotelzimmer und um Abgebrühtheit.

Ich fand Petzolds Umsetzung nicht schlecht. Spannend: Manche Rezensenten lesen den Film gerade wegen seiner Kapitalismuskritik und sind vom Ende enttäuscht - sie scheinen nicht zu wissen, dass es sich hierbei um ein inoffizielles Remake von Carnival of Souls handelt. Ich bin froh, den Film gesehen zu haben, und kann ihn nur weiterempfehlen.

post scriptum: Sprachtümelei - der englische Begriff "one-trick-pony" bezeichnet eine Sache, die eigentlich nur aufgrund eines einzigen Effektes unglaublich beeindruckend erscheint - und wenn dieser Effekt erstmal bekannt ist, verpufft die Faszination damit sehr schnell. Wie oben beschrieben, trifft das nicht auf alle dieser Erzählungen zu.

Samstag, 20. Januar 2018

Sozialkompetenz

Zusammen. Miteinander. Ist das so schwer?

Ich bin soeben aus der Meditation erwacht und bringe den heutigen Eintrag sozusagen frisch aus meinem Gehirn in diesen Blog. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass ich bereits einen ganz anderen Beitrag geschrieben hatte, der schon in den Startlöchern stand und den ich nach der Meditation nur noch einmal zur Korrektur lesen wollte, bevor ich ihn veröffentliche. Dieser Beitrag muss nun warten, denn ausgehend von seinem Thema (Filme, die man mehrmals sehen sollte) hat mein Gehirn die üblichen HB-Sprünge gemacht und ich bin nach und nach gelandet bei der Antwort darauf, was mich am Unterrichten in der KGS so gestört hat. Weshalb ich auf die Idee gekommen war, dass ich diese Kinder vielleicht nicht so gern unterrichten würde wollen. Und das Alles hat seine Ursprünge in meinem zweiten Staatsexamen.

Im Referendariat bekommt man als Junglehrer zahlreiche Lehrproben zu Gesicht, und natürlich muss man auch selbst "vortanzen" und dann seinen eigenen Unterricht zerpflücken lassen. Generell finde ich das Konzept der Hospitation ganz gut, denn es gibt einem manchmal neue Impulse für den eigenen Unterricht, wenn man die Ideen der Anderen beobachtet. Was mir dabei aufgefallen ist: Die meisten Lehrproben, die ich zu Gesicht bekommen habe, hatten als Entwicklungsschwerpunkt entweder die Sachkompetenz oder die Methodenkompetenz.

Das überrascht nicht: In diesen beiden Kompetenzbereichen kann man als Lehrkraft im Vorbereitungsdienst wunderbar zeigen, was man alles gelernt hat. Und die Entwicklungsfortschritte können am Ende der Stunde besonders gut überprüft werden: Das ist wichtig für den Referendar, denn es zeigt, ob seine Stunde erfolgreich war. Quasi als Bewertungsgrundlage.

Ich habe in meinem Vorbereitungsdienst keine einzige Lehrprobe gesehen, die die Entwicklung der Sozialkompetenz im Fokus hatte. Nichts. Nada. Kann man ja auch nachvollziehen: Sozialkompetenz entwickelt sich so oder so, und eigentlich brauchen die Schüler die ja nicht, um ihr Abitur zu bestehen. Klingt grausig, aber bei genauerem Hinsehen findet man viele Kollegen, die tatsächlich so denken. Und wie soll man außerdem den Zuwachs an Sozialkompetenz als Referendar nachweisen? Ergo wird das nicht oft verwendet.

Allein deswegen, zum Trotz oder als Herausforderung, habe ich meiner Lateinstunde am Examenstag die Sozialkompetenz zum Schwerpunkt gegeben. Und in der Vorbereitung dieser Stunde ist mir nach und nach bewusst geworden, wie selten ich bis dahin auf eben jene Entwicklung des sozialen Miteinanders in der Klasse geachtet hatte. Genau an diese Lehrprobe musste ich denken, und mir ist wie Schuppen von den Augen gefallen, was mich an meiner jetzigen Unterrichtssituation so stört.

Ich unterrichte in jeder Lerngruppe eine Schar von kleinen Egozentrikern, die nur auf ihren eigenen Fortschritt bedacht sind. Um das zu veranschaulichen, hier ein Beispiel aus einer Lateinstunde. Mein Studienleiter, Herr Kruse, hat immer gesagt "Der Satz bleibt bei'm Schüler." Das bedeutet: Wenn eine Übersetzung vorgetragen wird, steht der vortragende Schüler im Mittelpunkt: Ist seine Übersetzung richtig? Hat er vielleicht einen Kasusfehler gemacht, oder dort den Numerus verwechselt? Und als Lehrer gebe ich Einhilfen, die es schaffen sollen, den Schüler seinen Fehler selbst zu erkennen und korrigieren zu lassen, so dass derselbe Schüler am Ende eine gute Übersetzung vortragen kann und mit einem positiven Gefühl verbleibt.

"Aber ist das nicht immer so?"

Nein. Aus meinem derzeitigen Unterricht: Ein Schüler meldet sich und trägt seine Übersetzung vor. Sofort gehen vier, fünf Finger hoch. Aber glaubt Ihr, die Mitschüler hätten etwas zum vorgetragenen Satz zu sagen? Nein, entweder möchten sie direkt den nächsten Satz vortragen oder einfach ihre eigene Übersetzung zum Besten geben. Was der Mitschüler gemacht hat, bleibt unkommentiert. Nur ein "Ich, ich, ich"-Gedanke: "Ich möchte meine Übersetzung vortragen, denn die ist bestimmt noch besser." "Ich möchte endlich etwas sagen, um meine Note zu verbessern." Ist leider nicht ausgedacht. Ist mir in den vergangenen sechs Wochen leider sehr häufig vorgekommen; viele Schüler denken nur daran, wie sie ihre eigene Note verbessern können. Sozialkompetenz? Soll ich lachen?

In meiner Auffassung von Schule und Unterricht geht es nicht um Einzelkämpfertum mit dem einzigen Ziel, die bestmögliche Note zu erhalten. Leider sehen viele Schüler das anders - und ich lege es ihnen noch nicht einmal zur Last, denn oft stecken dahinter Eltern, die von ihrem Kind nur das Beste erwarten, hoher sozialer Druck, der ihnen in irgendeiner Form suggerieren könnte "Ich muss unbedingt diese Eins haben, sonst..." - den Satz kann man verschiedentlich fortsetzen. Um ein Miteinander geht es nicht.

Und das möchte ich im zweiten Halbjahr nicht länger hinnehmen. Ich werde meinen Schülern einen Einlauf verpassen, in dem ich ihnen genau von diesen Eindrücken berichten werde. Meine Unterrichtsbeobachtungen. Und dass mich das sehr verstört hat. Ich werde diverse Wege suchen, ein Miteinander zu erzeugen: Eine O- oder U-Sitzordnung, geregelte Abläufe bei der Besprechung von Übersetzungen (da werde ich dann die Methodik aus meiner Examensstunde in Latein übernehmen, die soll wohl nicht schlecht gewesen sein). Diese Egozentrik (die ich leider nur allzu gut verstehen kann) möchte ich ihnen nicht durchgehen lassen.

Tut mir leid, aber ich habe ein anderes Bild von Schule. Dieses Streben nach der Eins, und zwar jeder für sich, das macht mich krank. Ich mag das wirklich nicht. Das sind Momente, in denen ich mich nach Alternativschulkonzepten wie z.B. der Waldorfschule sehne. Und das Schlimmste ist: Oft unterstützen wir als Lehrkräfte genau dieses Leistungsdenken der Schüler, gerade indem wir fast nur Stunden konzipieren, die einen Zuwachs an Sach- oder Methodenkompetenz zum Ziel haben.

Sind wir dafür Lehrer geworden?

post scriptum: Das bewegt mich wirklich, deswegen werde ich es links in die Linkliste pinnen. Vielleicht habe ich ein komisches Bild von Schule, aber so isses nun mal, dann bin ich eben strange, aber ich habe durch das Mobbing in der Schule selbst sehr gelitten - und bin vielleicht deswegen so versessen auf "sozialen" Unterricht.

Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass dieses Egozentrik-Phänomen ganz sicher nicht auf die KGS beschränkt ist. Ich kann mir vorstellen, dass manche Schularten dafür anfälliger sind als andere, aber das möge jeder selbst erkunden.

Freitag, 19. Januar 2018

Schwerverbrecher (+Kultfilm)

http://view.stern.de/de/picture/2544751/gefaengnis-knast-sinop-knast-sw-1920.jpg

Wieder einmal gibt es zwei unabhängige Themen und ich konnte mich nicht für eins entscheiden. Also beide: Wer sich für eine Seite aus dem Tagebuch eines Hochbegabten interessiert, kann direkt weiterlesen und unten gibt es dann aktuelle Gedanken zu einem Filmklassiker.

Schwerverbrecher

Heute morgen - genauer mittag - bin ich vom Klappern des Briefschlitzes aufgewacht. Ich mag es, einen freien Tag zu haben, dafür nehme ich auch gern ein Gehaltsminus in Kauf, denn der Gegenwert - geistige Ausgeglichenheit - lässt sich nicht in Geld bemessen. Nun denn, langsam wackele ich aus meinem Bett heraus, nehme den Brief in die Hand und schaue auf den Absender... und bin schlagartig wach. SCHEISSE! Mit einem Mal fällt mir eine Geschichte ein, die ich dieser Tage vor lauter Notengesprächen, Konferenzen und Planungs(un)sicherheiten völlig in den Hintergrund gedrängt habe.

Ich hatte im Dezember die Befürchtung, dass die Umstellung von Arbeitslosengeld zu Gehalt nicht sauber läuft, dass irgendwas schief geht. Nicht ganz zu Unrecht: Das Gehalt für den Dezember ist erst gut eine Woche in den Januar hinein überwiesen worden. Natürlich gibt es dann Probleme mit Miete, Strom, was auch immer wir an Rechnungen so haben, kennt man ja. So konnte zum Beispiel der Dauerauftrag für die Miete nicht ausgeführt werden, worüber ich ein paar Tage später informiert worden war.

Parallel erhielt ich damals ein Schreiben, in dem um Klärung der Kontosituation gebeten wurde, na super, sowas liebe ich ja. Natürlich sollte man in dieser Situation möglichst schnell einen Termin bei der Bank abmachen und die Situation erklären. Nicht so Dr Hilarius! Da ich zum Zeitpunkt jenes Schreibens immer noch weder Arbeitslosengeld noch Gehalt bekommen hatte, habe ich mir einen Termin im Kalender eingetragen, an dem ich das erledige, weil es wohl sinnvoll wäre, zu wissen, ob das ALG überhaupt kommt und wie hoch das Gehalt ist. Dachte ich.

Während ich also auf den Erhalt meiner Bezüge wartete, habe ich versucht, mich an der KGS einzuleben. Natürlich erfolglos: Wenn ich Ende Januar sowieso wieder raus bin, wozu dann die Mühe? Doch dann zeichnete sich ein Silberstreif am Horizont ab, wow, ich kann vielleicht bleiben, ich kann aufstocken, super, hmmmm, wie benehme ich mich jetzt den Schülern gegenüber, und dann kamen die drei Notengespräche-Sachen und mein Gehirn voll auf Konzeption des zweiten Halbjahres fixiert. So sehr, dass mein eingetragener Termin am Montag verstrichen ist, ohne dass ich davon etwas mitbekommen habe.

Und nun dieser Brief - es reicht schon, den Absender "Bank" zu lesen und ich krümme mich zusammen. Ich fühle mich wie ein Schwerverbrecher, weil ich diesen Termin verpasst habe, und ich fühle mich, als ob ein Gang zum Schafott bevorsteht. Und ich ärgere mich über die Hochbegabung: Warum müssen HBs aus allem ein Riesendrama machen? Und warum gibt es diese Phasen, in denen mein Gehirn sich voll auf eine Sache einschießt und alles drumherum nicht mehr mitbekommt?

Und dann höre ich schon wieder den Satz "Hochbegabung ist doch was Tolles!"

Montag nach den Zeugniskonferenzen wird das endlich geklärt. Aber Ihr kennt das, oder? Wie solche Dinge wie eine Last auf einem liegen, und wie man bei Briefen wie diesem nur den Absender liest und direkt durch ist? Wie albern. Und ich glaube, das gibt es nicht nur bei Hochbegabten, aber ich vermute, diese Gefühle und diese Situation sind bei HBs ein paar Stufen intensiver. Augen zu und durch!

Regisseur Herk Harvey selbst taucht in einer wichtigen Rolle auf - hier lächelt er...


Kultfilm

Ich hatte einmal im Blog darüber geschrieben, dass ich lieber etwas Neues sehen möchte, nicht immer diese Wiederholungen. Die Regel bei mir ist, dass ich einen Film einmal sehe und es reicht. Auch wenn er noch so toll ist - ich habe keinen Grund, ihn nochmal zu schauen. Aber ein paar Filme gibt es doch, die ich immer wieder gern sehe, ein richtiger Genuss. Manche Filme gewinnen durch wiederholtes Anschauen. Da entdecke ich immer wieder etwas Neues, oder ich genieße es, wie der Regisseur eine Atmosphäre erzeugt.

Einer dieser Filme ist Carnival of Souls, ein Film, der ursprünglich unbeachtet geblieben ist. Unabhängig finanziert, hat Regisseur Herk Harvey sämtliche Freiheiten gehabt und ein kleines Kunstwerk erschaffen. Der Film hat seine Schwächen, ganz klar (z.B. das Schauspielern), aber er hat so viel Gutes - die unheimliche, bedrückende Atmosphäre, die nicht zuletzt durch die effektive Filmmusik erzeugt wird. Der Film hat einen Twist am Ende, der vielleicht nicht originell sein mag (aber das war M.Night Shyamalan auch nicht), aber ich habe heute gemerkt, dass ich den Film in seiner Gesamtheit genieße, die Qualität des Films ist nicht auf das twist ending angewiesen. Genau deswegen hat er sich dann seit den Achtzigern zu einem richtigen Kultfilm entwickelt.

Heute habe ich ihn zum ersten Mal in einer colorierten Version gesehen und, noch wichtiger, mit der originalen englischen Tonspur. Es ist, als ob ich einen anderen Film sehe! Die deutsche Synchro ist eigentlich in Ordnung, aber im Englischen passt wirklich alles zusammen. Ein Beispiel: Die Protagonistin wechselt im Film zwischen zwei Bewusstseinsebenen. Im Englischen wird das dadurch vermittelt, dass ihre Stimme plötzlich mit einem Echo hinterlegt ist. Im Deutschen wurde dieser Effekt nicht übernommen, das finde ich sehr schade.

Und so kann ich den Tag nun doch mit einem positiven Grundton beenden, denn auch wenn mein Kopf von dieser ganzen Bank-Schulgeschichte voll (und voll unten) war, hat Carnival of Souls es geschafft, mich vollkommen in seinen Bann zu ziehen. Auch beim zehnten Ansehen.

post scriptum: Einen weiteren dieser Immer-wieder-ansehen-Filme gibt es gleich in Form von "Coraline". Manche Filme sind wie ein Fünf-Gänge-Menü, man kann sie in aller Ruhe und komplett genießen.

Donnerstag, 18. Januar 2018

Noch einmal mit Gefühl


Meine Schulwoche endet donnerstags, und das liebe ich. So war es auch in St.Peter-Ording. Alternativ kann die Woche auch am Dienstag beginnen. Ich unterrichte so viel wie möglich, solange ich drei freie Tage habe. Was das in Stunden bedeutet, handhabt jede Schule anders. Für mich ist das wichtig, damit ich genug Zeit für mich selbst habe. Wie hin und wieder bereits angedeutet, ist die Schule nicht auf Platz Eins der Prioritätenliste in meinem Leben. Ich möchte die Welt entdecken, und dazu brauche ich Zeit.

"Du hast doch nachmittags frei!"

Ja, ähm, nein. Für mich fühlt es sich anders an - ich weiß nicht, ob das am Gehirn liegt. Ein Arbeitstag ist ein Schultag, von Anfang bis Ende. Ich kann nicht einfach das Gehirn abschalten, wenn ich nach Hause komme. Das HB-Gehirn lässt sich da leider nicht so einfach kontrollieren, es sorgt dafür, dass sehr gründlich über die Schule nachgedacht wird. Daher brauche ich die Balance: Vier Tage Schule, drei Tage ich. Ich lebe nicht, um zu arbeiten.

Wie es aussieht, werde ich das zweite Halbjahr an der KGS bleiben können. Und aufstocken, zum Glück. Geld ist immer ein blödes Thema. Das Bewusstsein, jetzt immerhin für ein halbes Jahr Kurse zu bekommen, macht einen riesigen Unterschied zu bisher. Bis heute ging es nur darum, den Unterricht stattfinden zu lassen. Ich konnte mir kaum Namen merken und mein Gehirn hat sich gedacht, naja, wenn ich nach zwei Monaten eh' wieder weg bin, dann muss ich keine Denkzeit in die KGS investieren.

Mit Dienstantritt Anfang Dezember ist alles, wie erwartet, in die Grütze gegangen. Ich habe keinen Überblick mehr über meine Ernährungsgewohnheiten, meine Wohnung ist mittlerweile total versifft und ich habe noch einen Berg Post abzuarbeiten, und ich habe Kontakte vernachlässigt - eigentlich sollte Er schon vor zwei Wochen einen Videogruß bekommen haben. Nix da. Ist halt so: Mit tiefen Einschnitten, und dann noch kurzfristig, komme ich nicht klar. Schnittmenge Autismus.

Jetzt sieht das alles anders aus. Ich habe eine Gewissheit, für ein halbes Jahr. Jetzt gibt mein Gehirn grünes Licht dafür, die Dinge vernünftig zu machen: Unterricht vorbereiten, Putzplan zuhause, Konto langsam wieder ausgleichen.

Und vor allem wird sich im Unterricht Einiges ändern - denn jetzt sind das meine Lerngruppen, nicht mehr nur sechswöchige Vertretung. Jetzt lohnt es sich, Rituale einzuführen, klare Ansagen zu machen und durchzuziehen, jetzt lohnt es sich, deutlich strenger zu werden - denn heute gab es schon wieder Notenverhandlungen und mir wird immer mehr bewusst, wie sehr ich das hasse. Ich fühle mich damit unwohl; deswegen hatte ich die letzten drei Tage über die Notengespräch-Beiträge geschrieben. Ich werde andere Saiten aufziehen, denn ich bin etwas ernüchtert von der Arroganz und Ignoranz mancher Schüler. Ich werde ein paar Methoden aus der GemS-Zeit durchsetzen.

Im Prinzip also ein Neustart. Jetzt noch einmal mit Gefühl. Und ich werde das Halbjahr nutzen, um auszuloten, ob ich nicht vielleicht doch lieber wieder an eine Gemeinschaftsschule gehen möchte. Und da ich den Eindruck habe, dass mein Schulleiter, Herr Schöneich, einen ganz guten Blick für mich hat, werde ich hin und wieder zu ihm in's Gespräch gehen. Ergebnisoffen.

Endlich ist diese Holterdipolterphase vorbei.
Emotion? Unsicher.

Mittwoch, 17. Januar 2018

Notengespräch III: R E S P E C T

Was ist aus uns geworden?

Again: Fiktion.

Der dritte und letzte Teil der Notengespräch-Trilogie widmet sich einer Ansage der ganzen Klasse gegenüber - so könnte ich mir das vorstellen, und zwar, bevor ich in die Gespräche mit einzelnen Schülern gehe. Um nochmal ein bisschen Bewusstsein für die Bedeutung der Note Drei zu verschaffen. Und ein wenig mehr Toleranz und Aufgeschlossenheit. Und um nicht mehr so viel um Noten handeln zu müssen.

Klasse Acht

L: "Also, ich kann ein sehr entspannter und netter Lehrer sein und lasse euch mehr durchgehen als ich eigentlich sollte. Eine Sache kann ich allerdings überhaupt nicht ab, und zwar, wenn Schüler anfangen, um Noten zu handeln. Das war in den letzten Tagen an dieser Schule schon echt reichlich. 'Können sie da nicht noch einen Fehler wegstreichen?' 'Warum hab ich keine Eins?' 'Also ich finde, das hier ist drei Bonuspunkte wert.' 'Ich find', ich war in den letzten Stunden richtig gut.'
Und das nervt mich besonders, weil ich das in den letzten vier Jahren an der Gemeinschaftsschule so gut wie gar nicht hatte. Vielleicht liegt es daran, dass die Schüler dort eine andere Arbeitshaltung haben als am Gymnasium? Habt ihr eine Ahnung, was ich damit meinen könnte?"

fünf Finger gehen hoch

S1: "Ja, also, ich mag das ja nicht so gern sagen, ich meine das auch nicht fies, aber am Gymnasium wollen die Schüler arbeiten, und oft haben die in der GemS nicht so viel Lust dazu, die sind dann eher von der Schule genervt."

S2: "Das ist auch so, an der GemS rauchen die viel früher und auch mehr, und kiffen, und mit Alkohol und so, und bei uns ist das noch gar nicht."

S3: "Glaubst du das ernsthaft???"

S2: "Naja, und da wird auch auf dem Schulweg mehr geraucht."

L: "Ich glaube nicht, dass das mehr ist, aber an der GemS wird mehr und offener darüber gesprochen, hier traut sich doch keiner, das zu sagen."

S2: "Genau, weil wir vielleicht auch besser erzogen sind, und dort an der Schule haben ja viele Kinder Eltern, die sich überhaupt nicht um sie kümmern, oder kaputte Elternhäuser."

S3: "An der GemS sind die meistens auch schon älter, da kommt das vor, dass man mit achtzehn noch in der achten Klasse sitzt, und wir sind hier maximal fünfzehn."

S1: "Weil die auch öfters sitzenbleiben, weil die halt auch oft nicht so viel für die Schule tun."

L: "Ich möchte hier bitte unterbrechen, weil das in eine Richtung geht, die mir gar nicht gefällt. Ich wollte eigentlich auf etwas Anderes kommen, nämlich dass am Gymnasium manche Schüler denken, nur weil sie eine Gymnasialempfehlung bekommen haben, dass sie mindestens auf eine Zwei Anrecht haben. Für viele ist eine Drei schon die totale Katastrophe. Und manche denken, sie müssten noch nicht einmal etwas dafür tun. Dagegen habe ich viele Schüler an der Gemeinschaftsschule unterrichtet, die sich - entschuldigung - den Arsch aufgerissen haben und es trotzdem nie oder nur ganz selten auf eine Drei geschafft haben. Und wenn es geklappt hat, dann haben sie sich darüber gefreut."

Stille

L: "Ich möchte euch einfach noch einmal klarmachen, was die Noten bedeuten. Ich möchte, dass ihr etwas mehr Respekt davor bekommt. Denkt bitte daran: Wenn ihr das könnt, was ihr können sollt, dann ist das ausreichend. Dann ist das eine Note Vier."

hält vier Finger hoch

L: "Für eine Drei muss da schon etwas mehr kommen, und für eine Zwei erwarte ich 'gute' Leistungen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Und ihr könnt euch denken, dass für eine Eins dann deutlich mehr kommen muss. Ich möchte, dass niemand von euch auf Noten unterhalb der Zwei herabschaut. Sowas nennt man dann arrogant."

S4: "Ich habe eine Freundin an der Gemeinschaftsschule, die mir auch schon öfters gesagt hat, dass sie sich einfach schlechter fühlt, nur weil sie auf der GemS ist und wir auf einem Gymnasium."

L: "Danke, dass du das ansprichst. Denn genau dadurch entsteht eine Spaltung zwischen euch und den GemSlern, die dazu führt, dass sie quasi von unten wütend zu euch heraufschauen. Und traurig."

S5: "Aber wieso, wir tun doch gar nichts Schlimmes."

Raunen in der Klasse

L: "Nur noch einmal zur Erinnerung: Ich habe euch eben nach den Unterschieden zwischen GemS und Gym gefragt, und ihr habt mir zuerst nur Negatives aufgezählt: Die rauchen mehr, die kiffen mehr, die trinken mehr, die sind älter, bleiben öfters sitzen, die haben kein Bock auf Schule, die sind schlecht erzogen, die haben kaputte Familien."

Schweigen

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Es tut mir als Lehrer weh, wenn ich diese Haltung gegenüber den "anderen" Schülern bekomme. Das habe ich an der GemS in St.Peter-Ording ganz intensiv erlebt, dort wurde der Ortsteil, in dem sich der GemS-Teil befindet, wie ein Asozialenghetto von vielen Gymnasiasten behandelt, und das Viertel mit Gymnasium und Internat wie eine Bonzengegend von den GemSlern. Die ablehnende Haltung gegenüber den jeweils anderen Schülern gab es auf beiden Seiten, und ich habe hart darum gekämpft, etwas mehr Verständnis zu erzeugen. Sauschwer. Aber einfach mal zu zeigen, wie es wirklich auf der anderen Seite aussieht, anstatt einfach nur Abstand zu halten und sich hinter einer Mauer aus Ignoranz zu verbergen, das hat schon viel geholfen.

Deswegen war ich in SPO auch sehr dankbar, dass ich an beiden Schulteilen unterrichten durfte, und deswegen habe ich allen Gymnasialkollegen bei meiner Verabschiedung dieses Privileg, diese Erfahrung sehr an's Herz gelegt. Sonst werden wir einer Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft nie effektiv entgegentreten können.

post scriptum: Coole Anekdote - ich erkläre den Schülern den Begriff "Phubbing" (wenn Gäste beim netten Zusammensein die ganze Zeit auf ihr Handy schauen - ich hasse das, und die große Buba und auch Er nehmen seitdem Rücksicht darauf, finde ich total toll). Schülerin: "Sowas find ich auch total nervig und rücksichtslos. Beim Golfen hab ich ja eh' mein Handy nicht mit dabei, und wenn wir abends essen gehen, sammeln wir alle unsere Handys auf einem kleinen Turm, so dass beim Essen keiner rangeht, und wer zuerst nach seinem Handy greift, muss die Rechnung bezahlen." 

Die Aktion finde ich geil. Könnte ich mir niemals leisten, aber ich finde es gut, dass die Kiddies das machen. Wird ihnen wahrscheinlich nicht so sehr weh tun, eine Rechnung zu bezahlen, aber allein die Idee ist schon plietsch.

Dienstag, 16. Januar 2018

Notengespräch II: Lunte gerochen

"Gnôthi seautón" gilt für manchen Schüler mehr, als man denkt...

Das folgende Notengespräch ist fiktiv.

"Hey Gertrud! Kleinen Moment, geht gleich los."

Desinteresse

"Also bei dir finde ich das ja ganz spannend. Du machst bei mir im Unterricht ganz gut mit, aber bei Kollege XY hat es nur für eine Drei gereicht. Und die Klassenarbeit war echt super."

"Joah, keine Ahnung."

"Keine Ahnung! Ich glaub', du könntest deutlich mehr. Kann das sein, dass es irgendwie nur klappt, wenn dich ein Thema interessiert?"

Aufmerksamkeit

"Also sie auch! Das haben mir schon so viele Lehrer gesagt!"

"Ja, weißt du, manchmal hab' ich den Eindruck, dass du das auch provozierst. Eben zu Stundenbeginn hattest du die Füße auf dem Tisch - ich hab' kein Problem damit, aber man kann dadurch so einen Null-Bock-Eindruck erzeugen."

"Oh, hm, ja, war ja auch nicht böse gemeint."

"Keine Sorge, ich versteh' das ja. Aber kennst du das, dass du es dir selbst aussuchst, wen du als Autorität akzeptierst?"

"Und wie! Ich hab' auch das Gefühl, dass manche Lehrer mich einfach nicht verstehen wollen, und dann kann ich die auch nicht ernstnehmen. Wie in Mathe, ich will einfach nur das fertige Ergebnis aufschreiben, aber dann zwingt Frau XY mich, mit dieser blöden Springmaus auf dem Zahlenstrahl entlangzuhüpfen, was einfach nur schwachsinnig ist, ich kenn' doch das Ergebnis!"

"Ist echt so, oder? Warum sollte ich dann von denen überhaupt irgendwas lernen? Ich hatte so eine blöde Deutschlehrerin, bei der hatte ich nie was Besseres als eine Drei im Zeugnis und hatte nie Bock drauf."

"Ja, Deutsch ist ja auch mega langweilig."

"Gerade wenn der Lehrer das nicht gut rüberbringen kann. Und dann hatte ich in der Oberstufe Herrn Krüger, der war richtig gut, hat echt Spaß gemacht, und bei dem hab' ich nachher 15 Punkte geschafft!"

ihre Augen fangen an zu leuchten

"Sowas gibt's echt, oder?"

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Ja, meine Liebe, aber das kann auch am Schüler liegen. Gertrud, ich mach' mir mal eine kleine Notiz bei deinem Namen, denn ich find' das spannend...

Es sind die Momente, die ich liebe. Wenn der erste Verdacht eintrudelt, einen hochbegabten Underachiever vor mir zu haben. Dort kann ich vielleicht etwas erreichen, ernsthaft etwas bewirken. Und deswegen bin ich Lehrer geworden.

Hoffentlich kann ich noch ein Weilchen bleiben.

post scriptum: Zeugniskonferenz drei von sieben für heute, Kollegin betritt den Raum - "Oh, hier riecht es ja toll" - beugt sich zu mir runter - "Bist du noch etwas länger da?", quasi als Beweis, dass ich nach wie vor Räucherstäbchenschwaden mit mir umhertrage.

Was ich lange nicht mehr erlebt habe, sind Eltern, die bei der Zeugniskonferenz darauf achten, ob bestimmte Lehrer generell schlechtere Noten geben. Willkommen zurück am Gymnasium. Zum Thema Noten"kauf" wird demnächst auch noch etwas kommen.

Frau Zwerger und Frau Janke, das nehmen Sie mir nicht persönlich übel, aber wir hatten damals einfach keinen Draht zueinander. Erst recht nicht bei Günther Grass.

Montag, 15. Januar 2018

Notengespräch

 
"Und, wie siehst du dich?"

 Das folgende Notengespräch ist fiktiv.

"Hey Fritz, setz' dich, wir müssen mal ein bisschen reden."

"Okay?"

"Du hast mir letztes Mal gesagt, dass du mit dem Kollegen XY Beef hattest. Magst du erzählen?"

"Naja, er hat halt mich und Paul auseinandergesetzt, irgendwie ohne Grund, und als ich dann wissen wollte, warum er das gemacht hat, hat er mich rausgeworfen."

zustimmendes Nicken

"Alles klar. Hey, solche Sachen kommen vor. Ich bin damals auch wesentlich mehr als einmal rausgeflogen."

"Mhm."

"Ich hab dich in den letzten Wochen im Unterricht ein bisschen beobachtet, und ich muss dir mal eine Sache ganz direkt sagen. Du hast ein ganz schön großes Maul."

Schweigen

"Du reißt den Mund sehr weit auf. Immer irgendwelche Sprüche parat. Und ich sage dir, das ist ja auch in Ordnung. Ich komme da super mit klar. Solange du mir dann im Unterricht auch zeigst, dass du was drauf hast, finde ich das sogar klasse."

Schweigen, Frust

"Das klingt fies, ich weiß. Aber, so ist es nun mal. Und ich wiederhole mich: Das ist in Ordnung. Aber es gibt auch Lehrer, die damit nicht so gut zurechtkommen, und mit denen legst du dich dann eben an. Nimm' das für dein Leben mit: Nicht jeder kann mit einem lockeren Mundwerk umgehen. Wenn ich weiterhin dein Lehrer bin, haben wir kein Problem, solange du auch Leistung zeigst. Du bist ein Großmaul. Aber das ist in Ordnung so. Zeig' mir, dass du Englisch kannst, und wir werden überhaupt kein Problem haben."

Schweigen, kleines Lächeln

"Mhm."

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Es kommt immer wieder vor, dass Schüler von sich selbst eine ganz andere Wahrnehmung haben als andere Menschen. Das sind Zähne, die gezogen werden müssen, aber immer mit dem positiven Grundton am Ende, dass man da etwas draus machen kann. So dass man mit einem gemeinsamen Lächeln auseinander gehen kann.

Freitag, 12. Januar 2018

Wie in einem Spiegel...

...und wenn man beim Blick in den Spiegel so langsam ahnt, dass man richtig sein könnte...
...sasom i en Spegel würde Ingmar Bergman gesagt haben, wenn er die richtigen Schriftzeichen nicht zur Verfügung gehabt hätte, und velut in speculum inspicere wird den Phaedrus-Schülern bundesweit bald zum Hals heraushängen.

Ich habe mir heute Good Will Hunting (1997) angeschaut. Mal wieder; denn zum ersten Mal habe ich ihn damals im Kino gesehen und nach heutiger Revue damals nicht verstanden. Ich dachte, es geht nur um irgendsoein Supertalent, ein Typ, der ganz viel weiß. Und ich habe ihn mir damals angeschaut, um Matt Damon mit freiem Oberkörper zu sehen. Ja, so dachte ich, Sex rund um die Uhr. Und schön distanziert, denn nie wäre ich damals auf die Idee gekommen, dass ich auch so schlau sein könnte. Ja, die Klassenarbeiten waren oft gut, aber ich hatte damals MCSchleiff neben mir sitzen, der wesentlich mehr wusste als ich. Wie gut! So konnte ich mir immer wieder einreden, dass ich nicht so einer bin. So ein spezieller Mensch wie Will Hunting.

Heute habe ich mich ein wenig weiterentwickelt, ich weiß mehr über mich, und ich habe mich gefragt, ob der Film vielleicht einen Menschen wie mich darstellt.

Und das tut er.

Ich habe nie nach "ähnlichen" Menschen gesucht, ich habe nur immer wieder erfahren dürfen, dass es sie nicht gibt. Ich war eben anders. Und dann einen Film zu sehen, der das eigene Mindset widerspiegelt... ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Es wirkt auf einmal alles bekannt, immer wieder bin ich verlockt zu sagen "Ja natürlich reagiert Will Hunting so. Das kenne ich!", und es ist ein sehr schönes Gefühl. Endlich kann ich mir erklären, warum und vor allem wie ich anders bin. Für den Durchschnitts-Kinogänger geht es in dem Film um einen besonderen Menschen. Für mich? Story of my life, insbesondere der negativen Szenen und Zurückweisungen.

Und dann ist es sehr beruhigend, zu erleben, dass solch' eine Story ein happy ending haben kann, oder zumindest: dass es weitergeht.

Und warum ich das schreibe? Es geht nicht nur um das Wiedererkennen. Es geht darum, dass es ganz spezielle Menschen braucht, um mich für das wertschätzen zu können, was ich bin. Wie ich bin. Das kommt nur sehr selten vor; Matthias Ramm war damals so ein Mensch. Und ich frage mich dieser Tage, ob ich wieder einen solchen Menschen getroffen habe.

Und ob ich die Gelegenheit nicht beim Schopf packen sollte.

Donnerstag, 11. Januar 2018

"...würden sie denn bleiben wollen?"

Ob ich bald vielleicht endlich eine Zugehörigkeit entwickeln kann...?

Diesen Beitrag gab es in ähnlicher Form schonmal.

Heute habe ich diesen Satz wieder zu hören bekommen; möchte ich bleiben? Eigentlich wollte ich ja an eine Gemeinschaftsschule - allerdings habe ich in den letzten Wochen mit vielen meiner Vorannahmen hinsichtlich der Kieler Gelehrtenschule aufgeräumt. Ob das vielleicht wirklich etwas Langfristiges werden könnte?

Von der Schulform unabhängig gibt es immer wieder "spannende" Übersetzungen von Schülern, die KGS ist da keine Ausnahme. Ich zu Ute: "Wow, hör dir mal diese Übersetzung an, das hab ich ja als reiner Englischlehrer vermisst - Denn er täuschte den schändlichen, weil er die Götter bewegt hat." ["nefario enim modo deos fefellerat"]
Ute zu mir: "Schön, oder? Hast du aber auch im Fach Griechisch reichlich."

Das glaube ich ihr sofort, Herr Leinhos würde das bestätigen, wenn Griechisch als erste Fremdsprache schon in der Grundschule eingeführt würde. Man darf ja träumen. Und dieselbe Denkweise wie ich früher: Wenn die Übersetzung keinen Sinn ergibt - dann liegt der Fehler nicht bei mir. Latein klingt nun mal so. Andere Highlights:

Sisephas wus nicht die Strafe des Götter. (sic!) ["poenam deorum Sisyphus non providerat"]

Sisyphus' Strafe: Er musste einen saxum den mons volveren. (Bonuspunkt anyone?)

Heute brauche ich die zweite Meditationsstunde; "der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann," sagt man. Sehr viele Gedanken, die ich mal durchgehen sollte. Dass ich heute einen tollen Film gesehen habe (Fitzcarraldo mit Klaus Kinski, toller Abenteuerfilm!), macht es nicht einfacher.

Aber wenigstens sind das alles schöne Gedanken.

Mittwoch, 10. Januar 2018

Ein wohltuendes Wort

Terenz geht immer - wenn auch das Spanische mir nicht allzu treffend erscheint, mir fehlt das "puto".

Seit fünf Tagen kein neuer Beitrag - und es gibt ja tatsächlich Menschen, die sich überlegen, woran das wohl gelegen haben könnte. Da gibt es jene, die denken, dass es mir gerade besonders gut gehen müsste, weil ich dann gern mal Dies oder Jenes vergesse. Und dann gibt es jene, die vermuten, dass es mir nicht so gut geht und ich mich deswegen nicht zum Schreiben aufraffen kann. Sagen wir mal so, der Start in die Schule hätte insgesamt besser laufen können, da ist Einiges nicht so gegangen, wie es sollte, aber niemand sollte sich Sorgen machen müssen. Bald bin ich wieder arbeitslos, dann laufen die Dinge wieder etwas geregelter (sorry für den Zynismus).

Gerade aus dieser Grundstimmung heraus war ich heute sehr empfänglich für ein wohltuendes Wort. Das kam ganz nebenbei heraus, hat aber direkt den richtigen Nerv getroffen, denn ich habe dieses Wort, oder besser diesen Ausdruck, schon einmal gehört.

"Den Dr Hilarius brauchen wir an unserer Schule!" soll mein Schulleiter früh gesagt haben. Ich habe den Satz vor ein paar Jahren an der Nordseeschule in SPO gehört, als nämlich der dortige Schulleiter, Matthias Ramm, genau so auf unser Vorstellungsgespräch reagiert hat. Und es hat sich gezeigt, dass er das nicht nur so dahingesagt hatte; zu der Zeit habe ich mich bei Vorstellungsgesprächen nicht verstellt und mein ganz "normales" (also schwarzes) Schuloutfit getragen. Es musste einen Grund gehabt haben, dass er das damals gesagt hatte, und die folgenden zwei Jahre wurden zu einer wunderbaren Zeit - wenn ich das richtig verstanden habe, für alle Beteiligten.

Wenn es jetzt also wieder heißt "Den brauchen wir an unserer Schule!" - ist es vielleicht wieder ein gutes Zeichen? Wenn jemand gerade aufgrund meines Auftretens zu so einer Aussage kommt?

An meiner letzten Schule, in Neumünster, gab es eine ähnliche Reaktion, nur leider uneingedenk ein paar kleinerer Einschränkungen, die ich mitbringe. Ich habe von ihnen berichtet und sie wurden samt und sonders als "nicht hinderlich" deklariert. Wie sich die Dinge dann weiterhin entwickelt haben, ist eher ein unschönes Beispiel von Kommunikation und Einschätzungen.

Daher kann ich unter'm Strich sagen: Wenn wirklich jemand mit viel Berufserfahrung der Meinung ist, ich könne seine Schule bereichern - und dazu dieses Sekretariat mit reichlich Sprüngen in der Schüssel und einem herrlich losen Mundwerk...

...sollte ich dann nicht überlegen, doch wieder an ein Gymnasium zu gehen (wenn die Möglichkeit sich böte)? Ich habe in meiner Welt mit nur wenigen Graustufen in den letzten Jahren die Gemeinschaftsschule als angestrebte Schulform gesehen. Aber verzogene Gören, verhaltensauffällige SuS, pubertierend, das habe ich auch am Gymnasium.

Naja, diese Möglichkeit bietet sich derzeit nicht. In zweiundzwanzig Tagen bin ich arbeitslos - aber immerhin werde ich die Frage nach meiner bevorzugten Schulform bis dahin nochmal gründlich durchdenken.

Denn, liebe Leute, es ist ein ganz schönes Gefühl, wenn man die Schulleitung hinter sich weiß. Das war in Husum und in Eckernförde überhaupt nicht der Fall und in NMS nur unter bestimmten Voraussetzungen ("man funktioniert, ohne Stress zu machen" - das kennen sicherlich einige von Euch).

post scriptum: Heute wieder gesagt bekommen - "Hochbegabung ist doch nichts Schlimmes, das ist doch eine Bereicherung, quasi etwas, was du oben drauf bekommst!" - Gar nicht mal so unrichtig, ich fühle mich häufiger, als hätte ich eins oben drauf bekommen ^^

Freitag, 5. Januar 2018

Bürokratiergehege 3: Das Ministerium schlägt zurück

Es könnte so einfach sein...

Es gibt mal wieder Neuigkeiten aus dem Bürokratiergehege. Diesmal allerdings von seinem Seelenbruder, dem Ministerium für - ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie es sich derzeit nennt und es interessiert mich auch nicht. Das scheint sich in den vergangenen Monaten und Jahren mehrfach geändert zu haben. Ich nenne es einfach mal Bildungsministerium.

Das ist eine Sache, die vielleicht der eine oder andere Leser nachvollziehen kann, der sich in Schleswig-Holstein um eine Vertretungs- oder Planstelle im Regelschuldienst beworben hat. Über das dafür verantwortliche System pbOn habe ich schon einmal geschrieben. Es soll nun auch kein IQSH- oder pbOn-Thrashing werden, sondern ein Testament meiner eigenen Unfähigkeit, meiner absoluten Orientierungslosigkeit im Bürokratiergehege. Da kann ich noch so oft komplexe Sachverhalte erklären können: Ich bin nicht in der Lage, eine ordentliche Bewerbung zu erstellen.

Wenn ich mich nicht verzählt habe, arbeite ich derzeit nach meinem mittlerweile dreizehnten Arbeitsvertrag. Das bedeutet also, dass ich mich bereits dreizehn Mal online beworben habe. Dreizehn Mal musste ich ein Anschreiben fertigstellen, meinen Lebenslauf aktualisieren, in der Zwischenzeit hat sich meine Adresse geändert, meine Telefonnummer, meine Mailadresse und der Kreis der Menschen, die ich liebe. Doch eines blieb während all' dieser Änderungen unverändert - die freundlichen Antworten der Sachbearbeiterinnen im Online-Bewerbungssystem.

Denn jedesmal, wirklich jedes Mal, wenn ich glaubte, alle benötigten Bewerbungsunterlagen eingereicht zu haben, hatte ich kurze Zeit später eine Mail im Postfach mit folgendem Inhalt: "Es gibt Neuigkeiten zu Ihrer Bewerbung." Mit einem Link, wie ich mir die Neuigkeiten online anschauen kann. Klingt wie Spam, aber als angestellter Lehrer in Schleswig-Holstein fühlt man sich gern wie Spam behandelt, also passt das ja. Similia in similibus solvuntur, oder so ähnlich hat Herr Limmer das uns erklärt.

Leider waren die Neuigkeiten im System nie wirklich positiv. Da konnten die Sachbearbeiterinnen das auch noch so freundlich formuliert haben, immer schwang ein gewisser genervter Tonfall mit, wenn es hieß: "Sehr geehrter Dr Hilarius, bitte..."

"...laden Sie Ihren aktuellen Arbeitsvertrag hoch."
"...ergänzen Sie die zweite Seite Ihres Arbeitsvertrages."
"...entfernen Sie die Hausnummer in der Straßenzeile Ihrer Grunddaten."
"...ändern Sie Ihre Laufbahn auf [Sek II-Lehrer]."
"...aktualisieren Sie Ihren Lebenslauf um die derzeitige Beschäftigung."
"...belegen Sie Ihren Zivildienst."

Und das sind nur ein paar der Aufträge, die ich jeweils zu erledigen hatte. Nie war gleich alles korrekt und vollständig. Auch heute nicht. Es ist, als ob diese Zurechtweisungen für die Sekretärinnen im Ministerium eine Art Lebenselixier darstellen, ohne das sie nicht existieren können. Irgendwie muss ja jeder sein Geld verdienen, und wenn es durch Zurechtweisungen Anderer geschieht, nicht wahr, Herr Lehrer?

Ich sollte zufrieden sein, dass ich diesmal nur besagte Hausnummer entfernen musste, alles Andere war korrekt. Damit bin ich wieder auf dem Arbeitsmarkt für Vertretungen verfügbar, mal schauen, wann sich die erste Grundschule meldet, oder alternativ ein Gymnasium auf Sylt. Beides für mich gleich relevant.

Ich frage mich, wie das erst irgendwann (vielleicht einmal) bei einer unbefristeten Stelle laufen soll.
Ich frage mich, ob ich es überhaupt irgendwann einmal auf die Reihe bekommen werde.

Vielleicht werde ich doch Kassierer bei Sky.

Donnerstag, 4. Januar 2018

Glasscherben


Eigentlich wollte ich heute den neuesten Teil der Reihe Bürokratiergehege posten, ist auch schon fertig geschrieben, aber ich möchte heute noch einmal eine Feststellung erläutern, die sich zum Start in das neue Jahr eignet. Dazu sei gesagt, dass die Quintessenz des Folgenden nicht von mir stammt. Ich habe sie von Pema Chödrön gelernt, die sie wiederum von ihrem Lehrer erhalten hat; ich habe das dazugehörige Video auch schon mehrfach im Blog gepostet, aber viele klicken nicht auf die Links und Videos in den Beiträgen - was vollkommen in Ordnung ist, ich mache das auch nur selten - und deswegen schreibe ich es hier noch einmal auf. Es geht darum, wie gut es tut, sich manchmal so richtig über die Widrigkeiten des Lebens aufzuregen.

"Diese beschissene Welt!"
"Diese beschissenen Menschen!"
"Dieses beschissene Schicksal!"

So möchten wir manchmal hinausschreien, und wir finden Gründe zuhauf: Das Wetter ist zu schlecht. Die anderen Autofahrer sind zu rücksichtslos. Das Internet ist nicht schnell genug, die Butter ist zu teuer, das Gehalt zu niedrig und der Arbeitsaufwand zu hoch. Die Wohnung ist zu hellhörig und mein Kollegium kann ich erst recht nicht leiden. Diese beschissene Welt gibt uns zahlreiche Anlässe, sie beschissen zu finden. Scheiße, wohin wir auch blicken.

Es fühlt sich an, als müssten wir barfuß über Glasscherben gehen. Überall um uns herum, direkt bei uns und auch in tausenden Kilometern Entfernung; Glasscherben und Nägel und Schrauben und spitze Steine. Sie pieksen uns, sie zerschneiden unsere Füße, wir stolpern, wir bekommen blaue Flecken. Und wir fluchen darüber, um uns für einen Moment etwas Frustabbau zu verschaffen. Als Ventil. Doch dann kommt die Idee!

Wie wäre es, wenn wir einfach den ganzen Boden ringsherum mit einer Schicht dicken Leders auslegen? Quasi wie einen Teppich, durch den das Glas nicht schneiden und die Nägel nicht pieksen können. Wie heißt es so schön? "Mach' die Welt, wie Du sie haben möchtest." Und nach und nach kleiden wir alles mit dem schützenden Teppich aus Leder aus, und wir arbeiten immer weiter daran, weil wir daran glauben, dass wir irgendwann den gesamten Boden abgedeckt haben; dass wir uns die ganze Welt zurecht machen können.

Das klingt unrealistisch. Aber wenn man einmal darüber nachdenkt, ist es genau das, was wir machen. Immer wieder, oft unbewusst. Wir versuchen unsere Mitmenschen zu erziehen, wir suchen einen Job, der mehr Geld einbringt, und wenn das Wetter zu grau ist, ziehen wir einfach die Vorhänge zu. Und wenn zu wenig Geld auf dem Konto ist, schauen wir einfach nicht hin. Fakt ist: Es wird für uns niemals möglich sein, all' unsere Probleme zu modifizieren und aus dem Weg zu räumen.

Wie wäre es denn, wenn wir stattdessen nur zwei kleine Stücke des schützenden Leders nähmen und unsere Füße damit umwickelten? Auf diese Weise könnten wir hingehen, wo wir wollen, egal ob der Boden zerklüftet ist, mit Glasscherben bedeckt oder voller Nägel ist.

Das ist es, was Pema Chödrön (und alle vorhergehenden Lehrer des Buddhismus) sagen will: Wenn wir es stattdessen schaffen, uns mit der Welt zu arrangieren, an uns zu arbeiten, um mit den Widrigkeiten des Lebens umgehen zu können, dann wird unsere Wut weniger werden, auch unser Frust, und es wird leichter für uns sein, das Gute in jeder Situation entdecken zu können.

Mittwoch, 3. Januar 2018

Mein Vulkan und ich

Burn, baby, burn!

An diesem Silvester habe ich null Euro für Feuerwerkskörper ausgegeben. Das ist durchaus ungewöhnlich, meine Eltern können ein Lied davon singen: Ich habe in meiner Jugend immer wieder gern verschiedenste Feuerwerkskörper gekauft, angezündet, erlebt und auswendig gelernt. Ja genau: Mir war bald klar, was eine Wilde Hummel ist, oder Vierfarb-Fontäne, oder Fallschirm-Leuchtrakete, oder Feuertopf. Irgendwann wusste ich genau, was passiert, wenn ich eine 1000 Silbertaler-Fontäne anzünde. Und dann war es irgendwie nicht mehr so spannend.

Ich habe eher Sachen gekauft, die ich noch nicht kannte, weil ich erleben wollte, was mittlerweile so alles möglich ist. Als vor etwa fünfzehn bis zwanzig Jahren Feuerwerksbatterien für "Laien" noch ganz neu und unbekannt waren, war ich gleich dabei, ich wollte ausprobieren, was das wohl ist. Mittlerweile kenne ich sehr viele Feuerwerkskörper und -effekte. Dadurch ist der Reiz etwas verloren gegangen. Das bedeutet nicht, dass ich mir nicht immer noch gern Feuerwerke anschaue, im Gegenteil, aber ich hinterfrage inzwischen, warum ich Geld für etwas ausgeben soll, das ich schon kenne.

Knaller habe ich nie gekauft. Ich nehme zur Kenntnis, dass viele Menschen es lieben, einen Kracher anzuzünden und damit die gesamte Nachbarschaft mal so richtig zu erschüttern. Und es sei ihnen gegönnt; danach müssen sie wieder über dreihundert Tage darauf warten. Aber mich haben Böller nie gereizt. BUMM! Und das war's. Nix mit Genuss. Im Gegenteil, ich habe mich unglaublich verjagt, wann immer ein Knaller in meiner Nähe losgegangen ist, den ich nicht selbst gezündet hatte.

Mich reizen länger andauernde, sichtbare Effekte. Wie sich ein Funkenregen in Kaskaden aus bunten Kugeln verwandeln kann, und es dann zu knisternden, extrem hell aufleuchtenden Blitzlichtern kommt, das fand ich immer faszinierend - und daran hat sich bis heute nichts geändert. Je mehr ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich mir, dass ich nächstes Mal Feuerwerkskörper kaufen werde. Und zwar nicht einfach irgendwas, sondern ganz gezielt, denn unter dem ganzen Leuchtfeuerwerk habe ich einen Favoriten: die Vulkane.

Ich finde es aufregend, wenn der Vulkan zündet und zunächst nur eine relativ kleine Flamme aufleuchtet, mit einem Zischen, und Funken in die Luft schleudert, die nicht einfach verschwinden, sondern zurück auf den Boden fallen wie Lava. Ich bin gespannt, wie hoch die Flamme wohl wird - denn in der Regel steigert sich die Höhe des Funkenregens mit dem Abbrennen immer weiter, das Zischen wird zu einem immer lauter anschwellenden Fauchen, die vorhin noch kleine Flamme ist fast größer als der Vulkan selbst und die Funken steigen einen, zwei, drei Meter hoch in den Nachthimmel. Ich frage mich, was denn da noch alles rauskommt, denn der Effekt eines Vulkans lässt sich nur selten an seinem Äußeren erkennen - klein und unauffällig, kann der Funkenrausch die Aufmerksamkeit aller auf sich ziehen. Die kleinen Lichter fliegen inzwischen fast vier Meter hoch - doch dann stoppt die Fontäne, das Fauchen reduziert sich zu einem Zischen und es bleibt nur noch eine kleine Flamme auf der Spitze des Vulkans übrig. Manche Vulkane sehen danach tatsächlich aus wie ihre Namensvetter in der Natur, verkohlt, mit eingestürzter Flanke, Zeugnis des Infernos.

Nächstes Mal werde ich mir ein paar verschiedene Vulkane besorgen. Dann warte ich Mitternacht ab, beobachte all' die Feuerwerkskörper der anderen Menschen, und wenn ich dann Ruhe habe, wenn keiner mehr stört, genieße ich die flammende Sinfonie.

Dienstag, 2. Januar 2018

Ohrwurm

Entspannt in's neue Jahr...

Neujahr habe ich ohne neuen Beitrag gelassen - ich weiß ja nicht, wie es Euch geht, aber der Neujahrstag gehört für mich immer der "Schadensbeseitigung". Die Wohnung wird aufgeräumt, der Kopf wird durchgelüftet. Ich habe so viel nachgedacht in den letzten Tagen, dass ich an Neujahr einfach nur existiere. Das Gehirn auf Sparflamme laufen lassen. Musik hören. Videospiele. Und natürlich, wie könnte es in diesem Jahr auch anders sein, Twin Peaks.

Irgendwie verkriechen sich alle an Neujahr. Wenn sie aus dem Fenster schauen, sehen sie die inzwischen in braun-bunten Matsch verwandelten Überreste des Feuerwerks im Regen. Der Kopf dröhnt, oder tut weh, oder will einfach nur in Ruhe gelassen werden. Viele schlafen ihren Rausch aus, Aspirin, vielleicht etwas Koffein, gegen Mittag werden die ersten Zigaretten angezündet. Alle paar Minuten fährt draußen mal ein Auto vorbei; es ist ein Feiertag wie jeder andere Feiertag, die Geschäfte sind geschlossen, allerdings möchten an Neujahr - im Gegensatz zu den Weihnachtsfeiertagen - nicht viele Menschen die Zeit auf Teufel komm raus gemeinsam mit der Familie verbringen: Viele lassen in ihrem hämmernden Schädel ihre Vorsätze Revue passieren, wie auf einem Fließband, das durch ihren Kopf läuft, und an dessen Ende alle Vorsätze direkt in die "Naja, gestern war ich nicht nüchtern"-Müllkippe Zweitausendachtzehn entsorgt werden.

Und ich? Ich habe meine Fingernägel frisch lackiert. Meine Notebook-Tastatur ist begraben unter einem Haufen aus Notizzetteln, viele kleine Erinnerungen an Dinge, die erledigt werden müssen, die ich aber in den letzten Tagen des alten Jahres nicht erledigen wollte, weil ich nicht aus meinem Gedankenflow rauskommen wollte. Ich muss endlich meine Bewerbung im pbOn aktualisieren. Ich muss einer Freundin per Mail antworten. Ich muss Rechnungen bezahlen. Ich muss Bargeld holen. Manche der Notizzettel sind mit Ausrufezeichen versehen, als ob das etwas ändern würde. Manche habe ich in auffälligen Farben geschrieben - als ob das etwas ändern würde!

Und dann wollte ich gerade die Rollos herunterziehen, um das Neujahrsgrau auszublenden, da kommt tatsächlich die Sonne hervor. Meine Mutter würde mich jetzt ermuntern, einen Spaziergang an der schönen Luft zu machen, aber ich bin noch nicht mit dem Aufräumen fertig. Truth be told: Ich habe noch nichtmal mit dem Aufräumen angefangen. Ich muss keinen Kater haben, um das noch etwas hinauszuschieben. Lieber noch einmal den Ohrwurm abspielen, der mich seit dem Silvesterabend begleitet, seitdem ich drei Mädels in einer Folge Twin Peaks auf der Bühne habe performen sehen (Au Revoir Simone - A Violent Yet Flammable World), und eigentlich kann der ganze graue Alltag noch etwas warten. Leck' mich, die Arbeit kann auch am zweiten Januar beginnen.

(...)

Und nun ist der zweite Januar erreicht. Jetzt sollte ich endlich mal anfangen, die Silvestergrüße abzuarbeiten, die noch fehlen, das sind zum Glück nicht viele. Der Müll kommt raus, und dann wird es Zeit für die letzten beiden Folgen Twin Peaks - Serien können schlimm sein, erst recht, seitdem man mit einem Klick direkt die nächste Folge beginnen kann. So wird es sehr schwer, einfach zwischendurch aufzuhören. Soviel zum Thema Disziplin; ist sowieso ein blöder Vorsatz.

Kommt gut rein!