Mittwoch, 28. September 2022

Mehr Farbe in's Archiv!


Wenn es um Lernen und Lehren geht, bin ich eher der visuelle Typ. Ich kann mir Sachen gut einprägen, wenn ich sie mit Bildern verknüpfen kann. Analog versuche ich, meinen Schülern grammatikalische Konzepte mit Bildern zu erklären - zum Beispiel die Farbmethode in Latein zum Erkennen der Satzglieder oder der Zeitstrahl in Englisch, um zwischen past/present/future sowie simple/progressive/perfect unterscheiden zu können. Bisher habe ich damit auch gute Erfahrungen gemacht.

In diesem irren Kopf besteht tatsächlich der Glaube, dass ich unser Schularchiv mit einem Farbleitsystem schneller überschaubar machen kann - so dass man anhand eines Lageplans am Eingang direkt sehen kann, in welchen Regalen was zu finden ist, und die Regalreihen selbst sind ebenfalls farbig markiert. Sachen, die länger aufbewahrt werden sollen, kommen nach hinten, Akten mit einem schnelleren Turnus nach vorn, um Laufwege zu sparen. Am Eingang soll eine Fläche zur allgemeinen Ablage entstehen, wo man alles abladen kann, und ich sortiere das dann entsprechend ein.

Sachen sortieren. Ein System hineinbringen. Ein Genuss für einen Aspi.

post scriptum: Symptome gehen bisher immer noch nicht über eine normale Erkältung hinaus - nur den Müll runterzutragen, das hat geschlaucht. Ich klopfe auf Holz!

Dienstag, 27. September 2022

Trends? Nein, danke. Oder...


Donald Trumps Sohn Donald junior hatte damals getwittert "Apparently I got the 'rona", ein ziemlich armseliger Nickname für eine Krankheit, die Hunderttausende Tote gefordert hat. Trump lässt das klingen, als sei es ein Modeaccessoire, hey, habt Ihr auch alle das neue 'rona? Als wäre es ein Trend, wobei, genau genommen ist Corona ja ein Trend, es erwischt irgendwie alle. Selbst in meinem engen Umfeld, Familie, Freunde, Kollegen, hat es sich ausgebreitet. Und wie es bei Trends so ist, habe ich mich davon erstmal ferngehalten (als könnte man das bewusst steuern). Wenn alle das machen, sage ich erstmal "Nein, danke."

Bis gestern. Finally bin ich auch positiv getestet, mehrfach, und bis zum Wochenende in meine Wohnung eingeschlossen. Ab Samstag kann ich mich freitesten. Die Symptome beschränken sich im Moment auf einen rauen Hals, eine dichte Nase und Kopfschmerzen - also nichts Ungewöhnliches. Solange es nicht viel schlimmer wird, ist das die ideale Gelegenheit, meine Wohnung endlich mal wieder bewohnbar zu machen. Darauf meditiere ich gleich erstmal mit Onwards System. Das ist das neue Album des Downtempo-Künstlers Cell - der hat mich früher auf Compilations schon begeistert, und sein neues Album ist so schön, dass ich darüber wohl auch noch einen Artikel schreiben werde.

Freitag, 23. September 2022

Rückschlag


Soeben habe ich mit meinem Psychiater telefoniert. Endlich. Ernüchternd: Die psychiatrische Fachklinik, deren Chefarzt er ist, soll Ende diesen Jahres geschlossen werden, wie seinem Team Ende August mitgeteilt wurde. Es wird keine Relevanz dafür gesehen - ein ziemlicher Schlag in's Gesicht, wenn man die über einhundertsiebzig teilweise akut psychotischen Patienten auf der Warteliste bedenkt.

Willkommen in unserem Gesundheitssystem. "Frag' doch mal bei Dr.Hild in Kiel nach, die ist darauf spezialisiert, die hat auch gerade erst einen meiner Klienten diagnostiziert." ist ein lieb gemeinter Ratschlag, den ich in der Schule bekommen kann, aber Dr.Hild sagt sehr deutlich: "Aufgrund vieler Anfragen kann ich zur Zeit keine Autismus-Diagnostik anbieten." So wie Brit Wilczek. So wie jeder auf Autismusdiagnostik spezialisierte Arzt in diesem Land.

Something is effing wrong. Die manisch-depressive Achterbahn hat den nächsten Airtime-Hügel überquert und ist auf rauschender Talfahrt.

Für mich ist jetzt weiteres Warten angesagt, weil der Psychiater in Neumünster nicht loslassen will und versucht, mich über das Friedrich-Ebert-Krankenhaus irgendwie aufzunehmen, um zumindest auf ambulantem Weg eine Diagnose zu erstellen. Er meldet sich. Vielleicht Anfang nächsten Jahres.

Sorry, aber heute brauche ich definitiv keine weiteren menschlichen Kontakte.

post scriptum: Die große Buba des Nachts vielleicht ausgenommen.

Mittwoch, 21. September 2022

Sent To Destroy

Vorher...

Morgen geht es rund - in einer Fließbandaktion. Vielleicht sogar Möbius, wenn ich meine Mithelfer so positioniere, dass sie mir endlos helfen können, das Schularchiv aufzuräumen. Ich war ein bisschen erschrocken, heute Vormittag, als mir bewusst geworden ist, wie viel aus dem Archiv zu vernichten ist. Ich habe an alle Stapel, die in die Tonne sollen, einen roten Zettel geheftet. Ich muss morgen definitiv nochmal mit meiner stellv.SL vorher durchgehen, dass ich die Schuldatenschutzverordnung, Paragraph Zehn Löschung, richtig verstanden habe.

Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, dann habe ich morgen um die zehn Schüler, die mir helfen: Einzeln in's Archiv, Stapel von mir übernehmen, die Treppe hoch und in die Tonne werfen, wieder anstellen. Und wenn nichts mehr zu vernichten ist, habe ich hier einen Eimer mit Schokoriegeln, in den jeder Helfer dann einmal ganz tief reingreifen darf.

Sauber aufgereiht - mein Aspi-Herz hüpft!

Spannend! Ich darf endlich wieder dirigieren! Da kommt mir gleich die Saturnalien-Thalia hoch, die hol' ich aber so vor, wie ich dat brauche. Irgendwie musste ich heute die ganze Zeit an diesen Song von Combichrist denken, der immer mal wieder auf der Lost Souls läuft - Sent To Destroy. Ich wurde in's Archiv geschickt, um ungefähr die Hälfte davon zu zerstören. 

Let's vernicht!



Dienstag, 20. September 2022

Hummelwiese

In der Mitte - die Hummelwiese

Als ich vor neunzehn Jahren nach Kronshagen gezogen bin, gab es noch die alte Gablenzbrücke in Kiel - jene Brücke, die die Autos über die Bahngleise hinweg an's Ostufer bringt. Die war alt und modrig, und recht eng. Während meines Studiums hat man dann begonnen, die Brücke und Straße komplett neu zu bauen, diesmal viel breiter. Ich hatte mich damals vom Bus aus immer gefragt, warum das so breit werden sollte; damals wusste ich noch nichts von den Plänen zur Wiedereinführung der Kieler Stadtbahn. Heute ist klar: Wenn grünes Licht für den Bau der Straßenbahn gegeben wird, werden alle Linien über die Gablenzbrücke nach Osten führen, und mit Blick auf die Vollelektrisierung des Kieler ÖPNV ist klar, dass wir da eine Autotrasse und eine Elektrotrasse brauchen, in beide Richtungen. Und das braucht Platz.

damals

Immer, wenn im Bus die Ansage "Nächster Halt: Hummelwiese" kam, wurde ich neugierig, um zu sehen, wie weit der Bau vorangeschritten ist. Ich bin nie an der Hummelwiese ausgestiegen, warum auch, ich bin damals die Buslinien von einem Ende zum anderen abgefahren. Mir war die Bedeutung dieser Bushaltestelle nie klar. Erst seit meiner Wohnung in Hassee weiß ich, dass die Hummelwiese der perfekte Umsteigehalt ist, wenn ich Richtung Kieler Osten möchte. Eine Haltestelle vor dem Hauptbahnhof, und so getaktet, dass man nie lange auf seinen nächsten Bus warten muss. Manchmal sieht man ein paar Leute rennen - denn die Bussteige der Hummelwiese liegen ein Stück auseinander, und manche hetzen, um den richtigen Bus zu erwischen.

Die Hummelwiese ist toll. Natürlich hat sie nichts mit Hummeln zu tun, und sie ist auch keine Wiese. Sie ist ein Hauptverkehrspunkt in Kiel, also ist es da laut und dreckig, Unmengen an festgetretenen Kaugummis und Zigaretten pflastern die Bushaltestelle. Ich finde sie trotzdem toll, denn sie gibt mir zwischen der Linie Zwölf (wahlweise auch Dreizehn, Einundsechzig, Zweiundsechzig, Siebenhundertachtzig und -neunzig) und der Linie Vierzehn oder Fünfzehn einen Moment, die frische Morgenluft einzuatmen, den Logiktrainer herauszuholen und Rätsel zu lösen, dort und während der kommenden Busfahrt.

Nun hat die Hummelwiese also plötzlich eine besondere Bedeutung in meinem Leben, und ich bin schon sehr gespannt, wie es hier aussehen wird, wenn die Straßenbahnen endlich fahren. 

Montag, 19. September 2022

Schnorrer


"'Tschuldigung, haste vielleicht 'nen Euro für was zu essen?"

Ich vermute mal, die meisten von uns sind mit der Situation schon einmal in Berührung gekommen. Klassiker in mittleren und Großstädten, an Bahnhöfen und überhaupt überall, wo viele Menschen verkehren. Ich habe solche Situationen früher gehasst - ich hatte richtig Angst davor. Ich werde sowieso nicht gern von fremden Menschen angesprochen; das ist einer der Gründe, warum ich (zumindest in stressigen Phasen) immer den Blick auf den Fußboden richte, wenn ich durch die Stadt gehe. In der Hoffnung, dass mich keiner anspricht, solange kein Augenkontakt hergestellt ist.

Und wenn es dann doch passiert? Was soll ich sagen? Habe ich einen Euro in der Tasche? Brauche ich den selbst noch? Ich will eigentlich nur schnell weg, also suche ich mir irgendeine Ausrede im Sinne von "Ich bezahle nur noch mit Karte" oder "Ich brauche das Kleingeld für den Bus". Das waren extrem unangenehme Situationen für mich. Früher wollte ich immer auf Abstand zu Menschen bleiben, die anders sind als ich - behinderte Menschen, Obdachlose, ich hatte dabei sofort Panik bekommen und geschaut, ob ich nicht einen großen Umweg gehen kann.

Das Lojong-Geistestraining hat das alles verändert. Ich sehe diese Situationen heute ganz anders, und ich bin sehr dankbar dafür, dass der Buddhismus mich eine Denkweise lehrt, die wirklich zufrieden und glücklich macht. Heutzutage habe ich immer etwas Kleingeld im Portemonnaie, selbst wenn ich fast nur noch mit Karte zahle. Extra für diesen Zweck, und wenn ich dann am Hauptbahnhof unterwegs bin, oder in Gaarden bei der Bushaltestelle Karlstal, dann schaue ich nicht mehr krampfhaft auf den Boden, sondern lächele Menschen an. 

Und wenn mich dann tatsächlich jemand um etwas Geld anschnorrt, bin ich glücklich. Auf der einen Seite glücklich, dass ich in einer reichen Gesellschaft lebe, und dass ich Geld verdiene, so dass ich etwas davon abgeben kann. Auf der anderen Seite glücklich, weil ich mir vorstelle, wie dankbar ich wäre, wenn ich in seiner Haut steckte und mir jemand etwas Geld gibt, egal, wofür ich es in dem Moment brauche. Abgewiesen zu werden ist hart. Und jemandem ein Lächeln auf's Gesicht zu zaubern ist unbezahlbar.

Ich versuche nicht mehr, Schnorrern auszuweichen. Im Gegenteil, es macht meinen Tag etwas wärmer, wenn ich jemandem helfen kann.

post scriptum: Bei'm Korrekturlesen realisiere ich, dass das irgendwie esoterisch-kitschig klingt. Früher hätte ich gegenüber solch' einer Denkweise einfach den Kopf geschüttelt. Aber ich kann nicht von der Hand weisen, dass die buddhistischen Denkweisen und das Lojong-Training mein Leben wesentlich glücklicher gemacht haben.

Freitag, 16. September 2022

Endlich!!


Diese Woche hatte ich in der Schule einen ganz tollen Moment - ich habe von Schülern einen Kommentar zu meinem Kollegiumsfoto gehört. Dabei ging es mir gar nicht so sehr um den Kommentar selbst, sondern um die Tatsache, dass ich endlich an der Kollegen-Fotowand zu finden bin. Nach dreieinhalb Jahren hat mich das komplett umgehauen. Jetzt fühlt es sich wirklich so an, als ob ich zur Schule gehöre. Und da ich eher der visuelle Typ bin, macht dieser Anblick am Glaskasten unter der Verwaltung für mich eine ganze Menge aus.

Was für ein toller Wochenausklang!

Montag, 12. September 2022

Bei mir piept's wohl!


Der erste Montag, der etwas von Normalität hatte - und gleich macht die Schule etwas mehr Spaß. Rumschreien im Grundkurs, Schüler verwechseln in elf, Schrödinger's Inhaltsangabe in zwölf und danach Neigung - heute habe ich mit den Siebtklässlern losgelegt, wir machen uns auf die Jagd nach dem Hexenmeister vom flammenden Berg. Das macht richtig Spaß und ist ein toller Abschluss montags in der achten und neunten Stunde.

Außerdem war heute der erste Tag, an dem ich meinen neuen Intervallmesser (mit Uhrfunktion) am Handgelenk in die Schule getragen habe. Dort und auch zuhause bleibt das Ding den ganzen Tag am Arm, und es funktioniert, ich trinke jede Stunde ein Glas Wasser. Ich brauche das Teil den ganzen Tag am Arm, weil es ohne nicht klappt. Man könnte denken, ich sei behindert.

Und so piept es hin und wieder im Unterricht einmal kurz - es gibt zwar auch die ruhigere Variante - Vibrationssignal - aber ich habe beides lieber in Kombination, falls ich das Piepen bei einem Gespräch nebenbei überhöre. Seltsames Gefühl am Arm, da werde ich mich dran gewöhnen müssen.

Mittwoch, 7. September 2022

Ähh... Gehalt?


vorweg: Liebe Eltern, bitte macht Euch keine Sorgen! Ich habe die Lage jetzt im Griff, und ich habe Menschen vor Ort, die mir helfen.

Ein Glas Asperger pur. Das hatten wir schon länger nicht mehr, und diesmal darf es ein etwas größerer Schluck sein - soll heißen, dass die autistischen Verhaltensweisen diesmal richtige Probleme bereitet haben.

Ich habe kein Gehalt bekommen. Normalerweise ist das Land Schleswig-Holstein da recht zuverlässig und ich habe mein Gehalt zwei Tage vor Monatsende drauf (Beamte erhalten ihren Lohn zu Monatsbeginn). Eventuell früher, wenn ein Wochenende dazwischen liegt. Diesmal war nichts da, am Wochenende. Nach dem Wochenende. Am Einunddreißigsten. Am Ersten, Zweiten, Dritten, Vierten. Und plötzlich gehen alle Lichter im Kopf aus. 

Geistige Quarantäne, so nenne ich diesen Zustand, wenn da ein akutes, ernsthaftes Problem ist, das mich beschäftigt, an dem ich aber in dem Moment nicht viel ändern kann: Ich denke an nichts Anderes mehr und versuche mir mit Videospielen oder Serien ein wenig Sicherheit zu geben, alles Andere bleibt liegen. Wäsche. Müll. Rechnungen. Schulvorbereitungen. Korrekturen. Essen und Trinken. Als würde ich irgendwie versuchen, die Zeit zu überbrücken, bis das Problem behoben ist.

Im Dienstleistungszentrum Personal (DlzP) des Landes S-H hat jeder von uns eine Personal- und Sachbearbeiternummer. Das ist hilfreich, wenn mal etwas ansteht, denn so weiß ich genau, an wen ich mich wenden muss, zum Beispiel an Frau Duve. Doof nur, dass die Telefonzeiten immer nur vormittags liegen, und als Ausnahme für Lehrkräfte gibt es dienstags zwölf bis vierzehn Uhr. Gab es. Denn mittlerweile gibt es überhaupt keine Telefonzeiten mehr, nur nach Terminvereinbarung. Mail geschrieben, keine Antwort. 

Was mich immerhin ein wenig erleichtert hat, war der Umstand, dass ich vermutlich nichts falsch gemacht habe. Im Gespräch mit einer Kollegin hat sich herausgestellt, dass sie auch noch kein Gehalt bekommen hat. Mittlerweile ist es der Vierte, dann der Fünfte des Monats. Gestern Termin mit der Bank gemacht, irgendwie muss ich meine bestehenden Zahlungen leisten, Blick auf das Konto - immer noch kein Gehalt. Immer noch kein Müll rausgebracht, Wäsche gewaschen, Essen und Trinken - und dazu kommt, dass ich mir jetzt nach dem letzten Termin bei'm Urologen (ebenfalls Ende August, Überforderung pur) einen Timer für das Handgelenk zugelegt habe, um alle sechzig Minuten ein Glas Wasser zu trinken. Anders geht es im Moment nicht. Bis gestern ging wirklich gar nichts. Der Aspi ist da völlig hilflos, und dann kommt auch noch Fieber dazu und Ende Gelände (das war am Wochenende).

Immerhin ist das Finanzielle jetzt erstmal geregelt, meine Kollegin hat mir heute bestätigt, dass sie ihr Gehalt bekommen hat, morgen werde ich mir mal einen Kontoauszug holen. Und nein, ich mache kein Online-Banking. Ich habe es versucht, aber ich nutze es de facto nicht. Dann liegt hier eine Liste mit TANs, die ich nicht in Anspruch nehme, und am Kontoauszugsdrucker, so ganz oldschool mit Papier, kann ich mir keine Auszüge mehr ziehen deswegen. Alles das ist jetzt geregelt. Kein Online-Banking mehr. Neue Kundenberaterin, direkt vor Ort, zwei Häuser weiter.

Aufatmen. Und irgendwie die Scherben beseitigen, denn natürlich war das eine ziemlich miese Zeit für mich, aber es gibt Menschen, die unter meiner Situation mitgelitten haben - Kollegen, Freunde, Familie, Schüler, und jetzt muss ich erstmal versuchen, alles wieder auf die richtige Bahn zu bekommen.

Ach ja, Schlaf wäre auch schön. Vielleicht diese Nacht endlich wieder.