Szene aus Candyman (2021) |
Ein Film, der die Effekte der Gentrifizierung sozial schwächerer Viertel amerikanischer Großstädte aufzeigt. Ein Film, der Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern anprangert. Der in der Kunstszene spielt. Der selbst künstlerisch ansprechend ist. Der seine Sozialkritik mit rabenschwarzem Humor verbindet. Der gender fluidity wie selbstverständlich zeigt und uns gleich zu Beginn ein interracial gay couple zeigt, das tatsächlich eine wichtige Rolle spielt. Für mich klingt das wunderbar. Oh, und es ist ein Horrorfilm. Und so viel mehr.
Das verwundert nicht, wenn man sich anschaut, wer dahinter steckt - Jordan Peeles Monkeypaw Productions; der gute Mann hat uns mit Get Out und Us bereits zwei psychological horror films präsentiert, die sich mit racial injustice and the Black Experience in den USA auseinandersetzen. Diesmal handelt es sich um einen übernatürlichen Slasherfilm und Nia DaCosta hat Regie geführt. Dass es kein Standard-Slasher vom Fließband ist, zeigen die ersten zehn Minuten des Films: Die Auflistung der Produktionsfirmen verläuft etwas anders als üblich, und die opening credits zeigen uns eine Kamerafahrt durch soziale Wohnungsbauprojekte in den USA - konkret das Cabrini-Green - allerdings mit überkopf gehaltener Kamera, die die Hochhäuser nach oben filmt. Wenn man die vorbeigleitenden Wolkenkratzer betrachtet, deren Spitzen im Nebel verschwinden (gleichzeitig ein flashforward aus den Siebzigern in die Gegenwart), und dazu die abstrakte Musik hört - eindringlich-hypnotisierend, aber kein Ohrwurm - hat man eher das Gefühl, man schaut einen Science Fiction-Film mit in den Wolken schwebenden Gebäuden. Muss nicht extra erwähnt werden, dass ich mir die gesamte Sequenz wieder und wieder angesehen habe.
Und so geht es den gesamten Film über: Unkonventionelle Kameraarbeit und eine Regisseurin, die wenig Gewalt direkt zeigt (in den Mordszenen), aber über Musik und Geräusche mit unseren Vorstellungen spielt. Und sie gleichzeitig immer wieder überrascht: DaCosta liebt das Spiel mit der misdirection, der In-die-Irre-Führung: Man erwartet anhand bestimmter Kameraperspektiven dramatische Entwicklungen, aber sie enthält sie uns vor. Eine der Mordsequenzen erinnert an eine Einstellung aus dem neuen Halloween, in der die Kamera außerhalb des Hauses bleibt und durch die Fenster beobachtet, wie drinnen das Chaos ausbricht.
Horror in der Künstlerszene |
Der Film ist definitiv auch durch George Floyd und sämtliche zeitgenössischen Enthüllungen amerikanischer Polizeigewalt inspiriert - die tagline des Films lautet nicht ohne Grund "Say his name!" Die deutsche Filmkritikerin Antje Wessels zieht folgendes Fazit:
"In seiner stilistisch herausragenden Mischung aus abgebrühtem Killerfilm, Rassismusanklage und Psychodrama um einen von seiner Muse vereinnahmten Künstler ist „Candyman“ einer der besten Filme des Jahres und mit Sicherheit der Startschuss für eine spannende Karriere der Regisseurin Nia DaCosta."
Candyman | Wessels-Filmkritik.com
Ich freue mich schon, wenn im Dezember die Bluray veröffentlicht wird.
post scriptum: Wieder ein moderner Horrorfilm, der in der Künstlerszene veranlagt ist - das erinnert mich an die schwarze Horrorsatire "Velvet Buzzsaw" ("Die Kunst des toten Mannes") mit Toni Colette und Jake Gyllenhaal ;-) Aber der hier hat mehr zu sagen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen