Montag, 15. November 2021

Videospiele im Unterricht - Kapitel 2


Kapitel 2 - Dagegen

Eigentlich gibt es viel zu viele Argumente dagegen, ein Videospiel im Unterricht zu machen. Im Referendariat ist explizit davon abgeraten worden. Und warum?

De facto geht dafür eine Englischstunde pro Woche drauf. Die könnte man viel sinnvoller nutzen, zum Beispiel mit Grammatikübungen, Sprechtraining, Textproduktion, Vokabeltests. Überhaupt heißt es dann gern, dass ein Videospiel nichts mit Englisch zu tun hat, es finde viel zu wenig Spracharbeit statt. Und selbst wenn man versucht, auf Englisch über das Spiel zu sprechen, werde doch noch zu viel Deutsch gesprochen (was eine interessante Theorie ist angesichts des Umstands, dass jene fearmongerer noch nie Videospiele im Unterricht behandelt haben).

Dann wird angeführt, dass Ballerspiele im Unterricht nichts zu suchen haben. Das sollen die Jugendlichen in ihrer Freizeit machen, heißt es. Gewalt hat auf der Leinwand in der Klasse nichts zu suchen, und interessanterweise gibt es tatsächlich Menschen, die zu meinen scheinen, dass es nur Baller-Videospiele gibt, in denen sich Menschen abschlachten. Dazu gehört auch, dass viele Videospiele eine Freigabe ab 16 oder 18 haben - und dass viele Schüler der Auffassung sind, dass Spiele ab zwölf oder jünger nicht besonders aufregend sein können. Oder sollte es etwa Videospiele geben, die all' diesen Anforderungen genügen? In welchem Jahrgang kann ich das überhaupt machen?

Soll der Plan sein, ein Videospiel komplett durchzuspielen? Das kann ewig dauern; möchte ich wirklich ein halbes oder ganzes Schuljahr lang jeden Freitag für's Daddeln opfern? Und muss ich alle Schüler verpflichten, an dem Spiel teilzunehmen? Läuft man nicht Gefahr, dass einige Schüler sich währenddessen wieder mit ihrem Handy beschäftigen? Und dass es wieder einige Spezialisten gibt, die das Spiel mit Spoilern versauen werden? Muss ich das Risiko eingehen, dass einige Themen des Spiels zu intensiv für labile Schüler sind? Dass sich das dann vielleicht in Alpträumen oder Weinkrämpfen äußert?

Die technische Ausstattung der Klassenräume ist sowieso noch nicht weit genug fortgeschritten, das wird man nur in Computerräumen machen können, und die sollen doch lieber für den Informatikunterricht genutzt werden. Soll ich meine eigene Spielkonsole mitbringen? Was ist, wenn sie beschädigt oder geklaut wird? Darüber hinaus dauert es doch ewig, das alles erst anzuschließen, hochzufahren und einzurichten. Wie soll ich das in der kurzen Pause vor der Stunde leisten können, zumal ich da auch noch Pausenaufsicht habe?

Will ich mir wirklich den Stress antun, erstmal bei der Schulleitung um Erlaubnis zu bitten? Die werden das doch eh' nie zulassen. Und dann einen Elternbrief aufzusetzen und von den Eltern die Erlaubnis einzuholen, dass ihr Kind diesem Videospiel ausgesetzt werden darf. Möchte ich wirklich empörte Anrufe und Mails der Eltern erhalten, die mich dann runterziehen, so dass ich das Projekt gleich wieder einstampfe? Außerdem ist es scheiße, wenn man mit einer solchen Aktion Schüler gegen die Kollegen aufbringt: "Warum darf die 9c das machen und wir nicht?" - "Unfair, bei Dr Hilarius spielen die Videospiele!"

Wie soll dieser Unterrichtsversuch überhaupt dokumentiert und vor allem evaluiert werden? Einzig durch eine Klassenarbeit, die inhaltlich auf das Videospiel zurückgreift? Rückmeldungen der Schüler werden sowieso keine Mängel aufzeigen, die freuen sich einfach nur, dass gedaddelt wird; ein zynischer Blick auf Schüler an sich, leider aber durchaus bei dieser oder jenem Kollegen vertreten ist.

Es spricht wirklich so gut wie alles dagegen, Videospiele im Unterricht zu behandeln.

Fortsetzung folgt...

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