Samstag, 26. Januar 2019

Mein erster Kuss


So, Klaus, nun kannst Du lesen, was Deine Mail angerichtet hat. Und vielleicht liest ja auch einer meiner ehemaligen Schüler, der sich gerade geoutet hat - Ich bin SO stolz auf Dich!

"Hase: Totes Kaninchen."

Ich glaube, ich war dreizehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal realisiert hatte, dass ich Männerkörper aufregend finde. Das war für mich schwierig einzuordnen, denn gleichzeitig war ich in eine Mitschülerin verliebt, und auch danach in der Oberstufe ging es wieder um ein Mädchen. Wenn es um Gefühle geht, kann man das oft nicht einfach einordnen. Bin ich jetzt schwul oder nicht? Und wozu sollte ich mich überhaupt auf eine einzige sexuelle Orientierung festlegen?

Ich bin in der Phase richtig neugierig geworden und habe mich gefragt, wie sich das wohl anfühlt, einen Mann zu küssen. Bestimmt nicht so schön, wenn er einen Bart hat, oder so was Kratziges - oder? Neugier war da, Interesse, ja, aber ich lebte auf dem Land. Nicht zu sehr auffallen. Wenn ich nach Kiel ziehe, da bin ich unbekannt, vielleicht kann ich da einen Mann küssen. Dachte ich mir.

Ich war auch bei diesem Thema ein Spätzünder, musste erst einundzwanzig Jahre alt werden, um meinen ersten Kuss zu bekommen. Und dann auch gleich mit einem Mann. Das war im Winter Zweitausendvier Släsch fünf, und ich hatte Daniel auf den blauen Seiten kennengelernt. Er war mir sehr sympathisch, hat ganz nette Sachen geschrieben, und ich hatte mich in sein Gesicht verguckt. Aber ich hatte keine Ahnung, wie man an einen Kuss kommt, absolut nicht. Muss man danach fragen? In den Filmen geht das irgendwie immer so automatisch.

Daniel hat einen ersten Schritt gemacht, indem er vorgeschlagen hat, dass wir uns zu einem Abendessen bei Burger King treffen. Und ich habe natürlich wieder mit meiner Standardantwort reagiert: "Oh, da habe ich leider keine Zeit, eine Freundin kommt da zu Besuch." Panische Angst, dass ich plötzlich einen offen schwulen Mann treffen könnte - bloß nicht!!! Und dann wäre das ja auch noch so ein unkompliziertes Treffen: Daniel könnte nach der Arbeit direkt zu BK gehen, nur fünf Minuten von seinem Büro entfernt - und fünf Minuten von meiner Wohnung. Eigentlich ideal, und gerade weil es so greifbar schien, musste ich auf jeden Fall absagen. Remember? Ich war schüchtern, zwei Meter groß und spindeldürr.

Daniel hat aber nicht locker gelassen. Er war sieben Jahre älter als ich, schon seit Langem geoutet und hatte scheinbar keine Berührungsängste, und das war wohl auch ganz gut so, denn sonst hätten wir uns nie getroffen, weil ich immer wieder neue Ausreden gebracht hätte, um abzusagen und in Sicherheit bleiben zu können. Er wusste schon recht genau, was er tat, als er dann den Tag des Treffens einfach verschob auf den siebzehnten Januar. Oh mein Gott... ich lag die halbe Nacht davor wach... und tippte etwas in mein Tagebuch:

Mo, der 17. 1. 05, 1:25 Uhr:
Guten "Morgen"! Ich bin VERDAMMT aufgeregt!!!!! Alles weitere morgen...

Wenn ich nur so wenig sage oder schreibe, ist das meistens ein Zeichen für meinen Gemütszustand. So kam also der Montag. Treffen 19 Uhr unten bei Burger King. Was ziehe ich nur an??? Zähne putzen, Haare waschen, Mundwasser, fünfmal neue Outfits anziehen. Soll ich nicht doch schnell noch absagen?? Ohgott, was mache ich nur... diesen Gedanken nahm ich mit nach unten und bummelte gen BK. Und dort wartete er. Einen Kopf kleiner als ich, und auf Krücken. Ich wollte ihm die Hand geben - ich meine, wie begrüßt man eigentlich einen schwulen Mann? Wie begrüßt man überhaupt Menschen?? Und warum hat er Krückenwassagichdennnurichbraucheeindrehbuchaaaaaahhhhhhh...

Keine Ahnung, wie es dann genau kam, ich sehe uns nur noch beide da sitzen und futtern und reden, er hat sich seinen Fuß verstaucht, als er auf Glatteis ausgerutscht ist. Was noch? Keine Ahnung, mir fuhren sieben Gedankenzüge gleichzeitig durch den Kopf, und dazu fünf verschiedene Filme auf derselben Leinwand, und deswegen konnte ich auch gar nicht mehr genau nachdenken, als sein Vorschlag kam, noch zu mir hoch zu gehen und einen Film zu schauen. Ich weiß nicht mal mehr, welcher Film es war, ich im Nippelsessel, Daniel neben mir, seine Hand auf meiner und ich hatte eigentlich nur noch darauf gewartet, dass der Teppich sich unter mir öffnet und mich einsaugt, oder dass Conny reinkommt und mich totrollt, um die angespannte Stimmung aufzulockern. Mein Puls muss gen zweihundert gegangen sein, und es hat nicht gerade zur Beruhigung beigetragen, dass Daniel sich nach dem Film zu mir gedreht hat und mich in die Hüfte gepiekst hat. Kitzeln, und bevor ich mich wehren konnte, saß er auf meinem Schoß und lächelte mich an, ich kicherte, weil ich unglaublich kitzelig bin, aber dann nahm er seine Finger wieder zu sich und wir wurden beide etwas ruhiger...

...und schauten uns in die Augen, und für den Bruchteil einer Sekunde ist mir durch den Kopf gegangen, dass ich vergessen habe, mir eine Anleitung im Internet durchzulesen, wie man jemanden küsst, aber dann war das auch schon wieder egal, weil sein Gesicht sich meinem näherte, und ich legte meine Hand um seinen Hinterkopf und plötzlich war mir vollkommen klar, wie man das macht, und wir schlossen unsere Augen, ich neigte meinen Kopf ein Stück nach links und zog Daniel näher an mich heran, bis ich seine Lippen auf meinen spürte, und plötzlich trat ein Zustand ein, den ich so noch nie gespürt hatte: Keine Gedanken mehr. Nichts mehr in meinem Kopf, ich ließ mich vollkommen fallen, in diesem Sessel, in diesen Kuss, der überhaupt nicht mehr zu enden schien, und ich wollte weiter eintauchen, wovor ich noch Stunden zuvor so viel Angst hatte, und ich öffnete meinen Mund und unsere Zungen...

...

...

...

Di, der 18 1. 05, 00:40 Uhr:

Oh mein Gott, die Aufregung war sehr berechtigt. Ich habe mich heute zum ersten Mal mit einem Schwulen getroffen. Und ich habe heute meinen ersten Kuss bekommen. Und meinen ersten Zungenkuss gleich hinterher - um genau zu sein, ganz viele Küsse. Mann, war das schön, und jetzt weiß ich ganz sicher, dass ich schwul bin. 
(...)
Einen Monat später, ich bin von Verrückten umgeben (...), denn plöztlich ist Daniel mein Freund. Ich muss ein paar Sachen nachtragen, zum Beispiel, dass Conny mich einen "komischen Mann" genannt hat, und einen "Affen", und Daniel hat auch irgendwas gesagt, und außerdem der Satz von Conny: "Hase: Totes Kaninchen". Damit wäre auch schon alles im Moment Wichtige gesagt.

Damit wäre auch schon alles im Moment Wichtige gesagt. Es war einer der schönsten Momente in meinem Leben, und ich glaube nicht, dass ich ihn vergessen werde.

Also, Ihr Ungeküssten da draußen: Freut Euch darauf, und wenn es so weit ist, Kopf abschalten und einfach nur genießen ;-)

post scriptum: Der Beitrag hat eine Weile gebraucht, weil ich per Meditationen versucht habe, vierzehn Jahre zurück zu reisen und den Abend nochmal zu erleben. Hat super geklappt, war ein irres Gefühl, und das Ergebnis habt Ihr gerade gelesen.

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