Sonntag, 26. Juli 2020

Mein erster Kuss - la version hétérosexuel


"Sind sie schwul?"

Unvergessener Lehrermoment aus der Zeit in St.Peter-Ording; die Antwort lautete damals kurz und knapp Ja, obwohl ich mir da eigentlich gar nicht so sicher war und bin. Mittlerweile antworte ich, dass ich mich eigentlich nicht festlegen möchte - warum sollte ich auch? Mein Tagebuch verrät mir, dass ich den Großteil meiner Schulzeit in Mädchen verliebt war. Was es mir nicht verrät, weil ich es - warum auch immer - nicht niedergeschrieben habe, ist die kleine Anekdote meines ersten Kusses mit einer Frau.

Ich nenne sie Tilda, auch wenn sie nicht Tilda heißt - vielleicht wird aus dem Text deutlich, warum hier die Anonymität sinnvoll ist. Ich war seit der Mittelstufe mit Tilda in einer Klasse, und ich fand sie cool, weil sie unauffällig, ruhig, aber irgendwie interessant war. Und sie wurde eine sehr gute Freundin, weil sie mit einem Freak wie mir gut zurechtgekommen ist. Wir haben auch über die Schule hinaus bis in's Studium immer wieder nette Zeiten verbracht.

Das war noch die Phase, in der ich so froh war, offen mit jemandem über das Thema Sex zu reden. Ich fand es total interessant, von Frauen zu hören, wie das bei denen denn so ist, und Tilda hatte auch keine Probleme, mit mir darüber zu sprechen. Und bei ihr war es richtig interessant, denn sie hatte eine Affäre mit einem verheirateten Mann, und was sie zu erzählen hatte, war richtig aufregend, und ich habe das alles gierig aufgenommen.

Ich hatte damals selbst noch nicht so viel zu berichten - trotzdem fanden wir immer Gesprächsthemen, wenn wir uns zum Beispiel für einen Abend bei'm Griechen verabredet hatten. Mal waren das Freizeitparks, dann waren es Affären, dann war es der Beruf oder das Studium. Und natürlich hatte ich ihr auch total begeistert von meinem ersten Kuss erzählt - ich kann ja meinen Mund nicht halten. Konnte. Oder kann immer noch nicht, whatever. Und dann waren wir auch auf die Frage gekommen, ob ich schon einmal eine Frau geküsst hatte, was nicht der Fall war.

Naja, irgendwann wurde der Abend später, und ich habe es schon damals nicht ganz so lange mit anderen Menschen ausgehalten, also verließen wir das Restaurant Richtung Parkplatz, wo jeder mit seinem Auto geparkt hatte. Ich weiß nicht mehr, wie es dann genau dazu gekommen war, aber ich glaube, ich habe sie gefragt, ob ich nicht einmal mit ihr einen Kuss ausprobieren könnte - schön mit allem, was dazu gehört. Da war dann keine große Barriere mehr, gesagt, getan, und mit geschlossenen Augen habe ich den Unterschied kaum mehr gemerkt.

Aber irgendwie war da dieses Bewusstsein, dass ich eben doch eine Frau küsste, und das hat die ganze Sache sehr "sachlich" werden lassen. Ein Experiment eben. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich so für einen heterosexuellen Mann anfühlen dürfte, einen anderen Mann zu küssen. Trotz aller Sachlichkeit bleibt dieser Moment aber unvergessen - mon premier baiser, la version hétérosexuel.

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