Schwule Kommunikation hat mehr zur Entwicklung des Internet beigetragen, als man vielleicht denkt... |
Noch immer sind die Tanzbilder vom gestrigen Film in meinem Kopf; ich versuche langsam, sie beiseite zu schieben, denn heute geht es um eine kleine Anekdote aus meinem Studium, in der es um eine kleine Anekdote aus den Anfängen des Internet geht. Vorweg sei gesagt, dass ich nicht mehr die Quellen kenne, aus denen ich das entnommen habe, denn das waren Inhalte meiner mündlichen Examensprüfung in Pädagogik, und die liegt mittlerweile acht Jahre zurück. Ganz falsch kann das aber nicht gewesen sein, denn die Prüfung ist relativ gut gelaufen und somit hatte ich keinen Anlass, diese Erinnerung aus meinem Kopf zu streichen (wie zum Beispiel bei der katastrophalen Englischprüfung).
Eines meiner Prüfungsthemen bei Frau Allert (Medienpädagogik, CAU) drehte sich dabei um Identitätskonstruktionen auf Social Networking Sites (SNS). Die Konstruktion von Realität und Identität hat mich mein ganzes Englischstudium lang begleitet und ich habe es genossen, mich da mit der menschlichen Psyche auseinanderzusetzen. Dazu kam, dass ich damals selbst ein Profil im StudiVZ hatte, und in ersten Zügen auch bei Facebook, und somit einiges über mich selbst lernen konnte.
Natürlich habe ich nicht bei den Anfängen der SNS angefangen zu lernen, sondern bei den Anfängen des Internet selbst. Und dort habe ich gelernt, dass an der Verbreitung des Internet schwule Männer auf der ganzen Welt nicht ganz unschuldig waren. Es ging konkret um den Internet Relay Chat (IRC), in dem Menschen an unterschiedlichsten Orten auf der Welt schriftlich miteinander kommunizieren konnten. Das wurde von einem Finnen 1988 in die Öffentlichkeit geworfen und 1993 zum ersten Mal vollständig überarbeitet mit dem Internet verknüpft.
Und es zeigte sich, dass viele User des IRC schwule Männer waren (und auch lesbische Frauen? Gute Frage, ich meine mich zu erinnern, dass meine Quellen nur auf die Männer verwiesen hatten). Das ist gar nicht mal so überraschend, denn hier hatten ungeoutete Männer eine Möglichkeit, anonym quer über den Weltball nach anderen schwulen Männern zu suchen (wobei themenbasierte Chatrooms und Kanäle geholfen haben), um Erfahrungen auszutauschen. Zeigt, wie unangenehm die Realität damals für Schwule war. Ist sie auch heute noch, aber es war schon einmal deutlich schlimmer.
Man konnte, ohne sich zu outen, mit anderen über deren Outings reden, oder über Fantasien, Vorstellungen, Lebensweisen, über gesellschaftliche Bedingungen in anderen Ländern - quasi eine Goldgrube und eine Selbsthilfegruppe für Schwule, die in ihrem Leben niemanden hatten, mit dem sie offen über das Thema reden konnten. Es mag ja heute alles so aufgeklärt wirken (ist es nicht), und so offen und aufgeschlossen (ist es nicht), aber damals war der Kleiderschrank (closet) der einzige sichere Ort für einen schwulen Mann, an dem er keine Diskriminierung fürchten musste, keine Ausgrenzung und auch nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden.
Wenn man bedenkt, dass zum Beispiel in Deutschland der §175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, erst 1994 ersatzlos gestrichen wurde, ist es kein Wunder, dass IRC zu einem safe haven für schwule User wurde. Wir sind nicht so aufgeklärt, wie wir vieleicht denken. Sonst hätte sich das Internet damals vielleicht anders entwickelt.
Natürlich haben viele andere Faktoren zur Verbreitung des IRC und des Internet beigetragen; dies ist nur eine kleine Anekdote, die ich damals mit großem Interesse gelesen habe und immer wieder gern erzähle, wenn in Deutschland behauptet wird (besonders im Kontrast zu amerikanischen Camps zur sexuellen Umorientierung), wir seien schon immer progressiv und aufgeklärt mit dem Thema Homosexualität umgegangen.
Nix da.
Denn auch heute noch ist das Internet die einzige Möglichkeit für unzählige Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde, offen, hemmungslos und angstfrei über ihre eigene Identität zu sprechen.
Da liegt noch Einiges vor uns.
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