Montag, 12. Oktober 2020

Geduld


Wer mich ein bisschen kennt, denkt sich wahrscheinlich, dass bei einer größeren Blogpause entweder ein neuer Film, eine neue Serie oder ein neues Videospiel dahintersteckt. Richtig gedacht: Da wäre zum einen The Haunting of Bly Manor (2020), die zweite Staffel nach der grandiosen Shirley Jackson-Verfilmung The Haunting of Hill House (2018) - mit einer Bewertung halte ich mich noch zurück. Bin mal gespannt, ob mein Eindruck sich mit dem Kritikerspiegel deckt. addendum: Ja, tut er.

Zum anderen wäre da Obduction - die Miller-Brüder, die kreativen Köpfe hinter der Myst-Reihe, die ich im Blog schon einmal kommentiert habe, haben vor einiger Zeit ein neues Spiel herausgebracht, das den Charakter von Myst behält, neue Technologie nutzt und eine high concept science fiction story erzählt. Mit allem, was ich an den anderen Spielen mochte: Viele Schalter zum Umlegen, viele Knöpfe, Gleise, Schwebebahn, knackige Rätsel, Atmosphäre pur. Und vor allem: Kein Stress. Kein Game Over. Ich kann das in aller Ruhe erleben.

Und genau um dieses "in aller Ruhe" geht es heute, denn früher hatte ich es nicht unbedingt mit der Ruhe. Einer der Nachteile, wenn man sehr intelligent ist: Der Kopf gewöhnt sich an die Grundhaltung, dass alles sehr schnell gehen muss. Aufgaben in der Schule, im Studium - sehr schnell erledigt. Und gerade wenn man noch davon ausgeht, der eigene Kopf ticke völlig normal, kommt man nicht auf die Idee, dass es auch anders ginge.

Man sitzt dann als Schüler im Unterricht, völlig unterfordert, und fragt sich, warum das nicht alles schneller voranginge. "Ich habe das doch alles schon verstanden, können wir nicht weitermachen?" Und auch, wenn man andere Menschen bei Aufgaben beobachtet, können einem schnell die Finger kribbeln. "Du brauchst so lange dafür... lass' mich das einfach machen, das geht schneller, dann können wir weitermachen." Vielleicht geht es anderen Hochbegabten da draußen nicht so - müsste ich aber erst noch kennen lernen, bisher konnte mir jeder Betroffene diesen Eindruck in unterschiedlichen Formen bestätigen.

Genau so bin ich auch an Spiele herangegangen, besonders Rätseladventures. Diese Spiele sind auf Ruhe und Langsamkeit ausgelegt, nicht auf Hektik. Wenn ich so ein Spiel vor mir hatte, die meisten Rätsel zügig lösen konnte, dann aber bei einem Rätsel nicht schnell genug auf die Lösung gekommen bin, habe ich mich schnell hilfesuchend an den Herrn WWW gewandt. So konnte ich die Spiele zwar zügig beenden, aber es geht ja nicht darum, möglichst fix an das Ziel zu kommen. In Rätseladventures ist der Weg das Ziel.

Das Meditationstraining und die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus haben mir einige Geduld beigebracht. Mittlerweile schaue ich nicht mehr nach Lösungen im Internet. Das kann dazu führen, dass ich ein Spiel beginne und dann mehrere Stunden lang an einem Rätsel festsitze, das Spiel dann erstmal wieder beende, ohne auch nur irgendeinen Fortschritt erreicht zu haben. Ich nehme das Rätsel dann mit in die Meditation, zerbreche mir weiterhin den Kopf, und wenn ich dann irgendwann die Lösung gefunden habe, ist das Gefühl einfach unbeschreiblich - zufrieden, erleichtert, glücklich, neu angespornt.

Klar, dass diese Geduld auch ihre Nachteile haben kann. In den unteren Klassenstufen, in denen die Schüler wuselig, laut und überall sind, hilft es nicht unbedingt, wenn man im Unterricht alle Klassengeräusche ganz geduldig hinnimmt, bis irgendwann die Schüler selbst sich beschweren, dass es zu laut im Raum ist und sie nichts lernen können. Trotzdem bin ich sehr glücklich darüber, dass ich etwas geduldiger geworden bin - wie ich auch damals schon im Blog in dem Artikel Entschleunigung geschrieben hatte.

In dem Sinne: Kommt entspannt und gelassen in die neue Woche!

(außer der Sannitanic, die wird Gelassenheit frühestens in siebzehn Jahren wieder erleben)

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