Freitag, 27. Oktober 2023

Tag 88 - Im Bus


Kleine Anekdote von heute mittag. Ich war im Sophienhof, ich brauchte etwas aus der Apotheke. Das Einkaufszentrum ist gerammelt voll, denn es sind Ferien, es hat genieselregnet und es ist Freitag, die Leute kaufen ein, als gäbe es nach dem Wochenende keine Geschäfte mehr.

Dann stehe ich an der Bushaltestelle, unter dem Dach, denn ich hatte keinen Regenschirm mitgenommen. Gefühlt zweihundert Menschen stehen um mich herum, um sich ebenfalls vor dem Regen zu schützen. Ich warte auf die Zweiundsechzig - und ich wünschte mir so dringend, dass die Zwölf und Dreizehn wieder bis nach Schulensee führen, aber das tun sie momentan nur sonntags sporadisch - und da kommt sie. Ich sehe schon, dass der Bus sehr voll ist, na toll. Ich habe eine Technik entwickelt, durch die ich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit genau an der Stelle stehe, wo die Eingangstür des Busses ist; so kann ich vor den Anderen einsteigen und vielleicht einen Platz finden.

Aber der Stress war ganz umsonst, es sind fast alle Fahrgäste am Hauptbahnhof ausgestiegen, und so konnte ich mir gleich den Platz rechts am Fenster im vorderen Vierer auf der rechten Seite sichern. Wunderbar!

...wenn da nicht nach und nach Tausende Menschen zusteigen würden; innerhalb kürzester Zeit sind alle Sitzplätze besetzt, der Gang füllt sich, es wird tatsächlich proppevoll. Kein Zusteigen mehr möglich. Kein Gehen mehr möglich. KEIN AUSSTEIGEN MEHR MÖGLICH!!! geht es mir durch den Kopf und ich bereue, den schönen Fensterplatz gewählt zu haben. Wie soll ich nur jemals an der Diesterwegstraße aus dem Bus kommen?

Für Ablenkung sorgt ein weinend-schreiendes Kleinkind im Kinderwagen in der Busmitte. Es weint ununterbrochen. Sehr laut. Immer wieder auf's Neue. Bis eine ältere Dame sich genervt zu dem Kind dreht und sagt: "Was ist denn los? Warum weinst du? Mach' doch die Augen zu! Schlaf' einfach ein bisschen!"

Man sagt ja gern, Autisten haben es nicht so mit der Empathie. Aber da sitzt ein Kleinkind im Kinderwagen, in einem völlig überfüllten Bus, überall riesige Menschen, die von allen Seiten reden. Das Kind ist völlig überfordert und es ist vollkommen natürlich, dass es weint!! Da kann es nicht einfach mal eben die Augen zu machen und schlafen, strategisch sinnvoll, aber nicht realistisch im Kopf eines knapp zweijährigen Mädchens. Wow. Ich habe mich gewundert, wie jemand so einen dummen Kommentar machen konnte. Noch dazu eine Frau mit viel Lebens-, aber vielleicht keiner Kindererfahrung. 

Ich gebe zu, ich habe meine Einschätzung auch erst von der Sannitanic lernen müssen. Aber ich habe mir das sehr zu Herzen genommen, denn ich weiß, wie es ist, inmitten einer Menschenmenge völlig überfordert zu sein - im Sophienhof war ich wieder kurz vor der Tablette zur Beruhigung.

Aber diese Ablenkung hat mir sehr gut getan, denn meine eigene Menschenmassenpanik ist in den Hintergrund gerückt, und so konnte ich den Sinn aufbringen, die Menschen um mich herum zu bitten, mich vorne aussteigen zu lassen. Eine Dame vor mir meinte, sie mache das genauso, weil die Menschen in der Busmitte sich anfühlen wie eine Wand. Da bliebe nur der vordere Ausstieg. Das hat mir mal wieder gezeigt, dass ich mit meinen Problemen nicht allein auf der Welt bin - die Grundessenz der Tonglen-Meditation.

Endlich wieder in der Wohnung!

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