Samstag, 7. April 2018

Mut zum Feedback


Geht es jedem Menschen so, dass er sich zunächst einmal nicht kritisieren lassen möchte? Dass er denkt, er macht alles richtig, so wie er es macht, und er könnte ewig so weitermachen? Jedenfalls ging es mir an meiner ersten Schule so, damals in Husum, damals im Referendariat.

Als ich von der Uni kam, hatte ich ja keine Ahnung, ob ich überhaupt mit Menschen arbeiten möchte. So viele Kinder um mich herum? Igitt, nimm' das wech! ...dachte ich. Und dann waren irgendwann die ersten Schulwochen um und ich bekam Positives zu hören. Zu meiner Lehrerpersönlichkeit, zum Unterricht etc. - Ihr kennt das sicherlich, ich glaube, das ist ganz oft so, wenn man an eine neue Schule kommt. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass ich das Negative nicht habe wahrnehmen wollen. Ich brauchte etwas, das mir bestätigt, dass ich eben doch mit Kindern arbeiten kann. Etwas gegen mein dauerbeschädigtes Selbstbewusstsein (immer noch als Konsequenz meiner Jugend).

Und so bin ich dann, abgesehen von den Unterrichtsbesuchen - wobei, komisch, da kam auch positives Feedback, das lag aber daran, glaube ich, dass man immer erstmal Positives herauskehren soll, bevor man an die Kritik geht. So bin ich dann strahlend und grenzenlos selbstverliebt durch die Schule gegangen und habe mich gefühlt wie ein neuer Pädagogik-Gott. Ja, es ist peinlich, das jetzt so zu lesen, aber so war es nun einmal. Und wenn ich Feedback-Runden mit den Schülern gemacht habe, wenn ich ihnen gesagt habe, dass sie Positives (+) und Negatives (-) aufschreiben sollten, kam nie wirklich viel Negatives zusammen.

Was mir in dieser Situation gut getan hat, waren die Abschiedsworte meines Lateinmentors collega cuneusligneus. Wir haben uns fantastisch verstanden während des Refs, sehr zur Unbill meiner Schulleitung. Er hat mir wenige, aber dafür genau die richtigen Denkimpulse gegeben (weil er versucht hat, mich zu verstehen, und daraus Konsequenzen für seine Mentorentätigkeit abgeleitet hat). Einer dieser richtig tollen Denkimpulse war sein Abschiedsgruß - das hat mir nämlich in meiner ansatzweisen Verblendung ganz gut getan: "Nimm' eine Sache mit auf den Weg: Es finden dich nicht alle toll."

Natürlich habe ich erstmal weiterhin gelächelt, innerlich einfach nur froh, von der Schule wegzukommen. Aber es hat mir schon einen gewissen Dämpfer verpasst. Das wollte ich an jenem Tag eigentlich nicht hören. Genau genommen auch nicht an irgendeinem anderen Tag. Ich habe mir viel lieber das ganze Lob reingezogen. Auf längere Sicht kann das aber ziemlich fiese Konsequenzen haben.

Wenn ich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Elternsprechtag zu Elternsprechtag immer nur höre, dass die Kinder ja so glücklich seien oder whatever, lässt es mich mit der Zeit denken, ich sei tatsächlich unfehlbar. Ein fantastischer Pädagoge, viel besser als die Kollegen, die dreißig Jahre lang schon ihren vertrockneten Unterricht machen. Dass das völliger Unsinn ist, gerät dabei immer weiter in den Hintergrund: Nobody is perfect, und erst recht ist kein Lehrer sein ganzes Leben über unschlagbar gut.

Wir alle sind angewiesen auf neue Impulse. Wir alle haben zu jedem Zeitpunkt im Leben Potential, uns weiterzuentwickeln. Wenn ich das aus den Augen verliere, dann werde ich irgendwann in dreißig Jahren selbst einer dieser vertrockneten Pädagogen sein, engstirnig, mit riesigen Scheuklappen, die sich bereits jetzt in meiner beruflichen Laufbahn andeuten.

Und noch etwas fehlt mir dadurch: Rückgrat. Wenn ich nie negatives Feedback bekomme, mir niemand mein Potential aufzeigt und ich denke, dass ich alles richtig mache, steigt vor jeder herausfordernden Situation die Angst. "Ich mache ja sonst alles richtig, aber hier?" - "Kann doch eigentlich gar nicht sein, dass ich keine Schwächen habe!" - "Scheiße, was ist, wenn ich das alles jetzt richtig verbocke?" Und das kann mich gedanklich intensiv beschäftigen. Abends, wenn ich im Bett liege und eigentlich mit gutem Gefühl einschlafen sollte. In den Ferien, in denen ich eigentlich gedankliche Freiheit genießen sollte.

Pema Chödrön hat einen Ratgeber zur buddhistischen Denkweise geschrieben mit dem Titel Geh' an die Orte, die du fürchtest. Der Titel beschreibt es eigentlich schon umfassend: Ich soll mich mit dem, was auf mich negativ wirkt, auseinandersetzen. Ich soll mich meinen Ängsten stellen. Ich soll mich auch der angebrachten Kritik stellen. Denn so kann mir niemand mehr den Boden unter den Füßen wegziehen, indem er eine Kritik bringt, die mich völlig unerwartet trifft, die in mir aber den Gedanken auslöst "Ach du Scheiße, was, wenn er Recht hat???" - wenn ich mir meiner Schwächen bewusst bin und mich in der Hinsicht immer wieder "update", macht mich das stärker. Es nimmt mir die Angst.

Auch, wenn es anfangs unangenehm ist. Denn ich dachte ja immer, ich sei so toll, so ein toller, unfehlbarer Lehrer. Die erste angebrachte Kritik ist oft die unangenehmste. Aber ich bin überzeugt, dass man davor nicht weglaufen sollte.

Dafür bedanke ich mich seit Jahren bei collega cuneusligneus.

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