Samstag, 6. Februar 2021

Gebirge auf Kreta mit drei Buchstaben


Meine Oma ist heute am frühen Morgen gestorben.

Und bevor irgendjemand auf die Idee kommt, Nachrichten oder Kommentare in Richtung "Mein Beileid" zu schicken, oder das Tränen-Emoticon auf Facebook zu drücken: Es gibt keinen Grund, traurig zu sein. Oma ist im Kreis ihrer drei Kinder eingeschlafen - ich kann mir keinen schöneren Tod vorstellen. Außerdem hat sie in ihren letzten Jahren immer wieder gesagt, dass wir anlässlich ihres Todes und auch auf der Beerdigung bloß nicht traurig sein sollen. Sie hat sich lächelnde Gesichter gewünscht, die sich freuen, dass Oma nun im Himmel ist (ihr Wortlaut, ich glaube nicht an den "Himmel"), und das finde ich außerordentlich sinnvoll. Das werde ich mir auch wünschen, wenn es irgendwann soweit ist.

Ich habe mich in den vergangenen Monaten immer wieder gefragt, wie ich wohl auf die Nachricht von Omas Tod reagieren würde. Ich hatte meine Eltern gebeten, wenn es soweit ist, dass sie mich bitte nicht anrufen, um mir das mitzuteilen, sondern mir eine Mail schicken, weil ich Angst davor hatte, dass ich am Telefon mit der Information nicht richtig umgehen kann und vielleicht etwas Taktloses sage, und weil ich überhaupt nicht gewusst hätte, was ich denn dann sagen soll, und weil ich nicht gewusst hätte, wie lange dieses Telefonat dauern soll, wann ich auflegen kann, und ob es irgendwelche Formalitäten bei so einem Anruf gibt, die ich bedenken müsste.

Meine Eltern haben mir heute also eine Mail geschickt, die ich - Zufall - direkt vor der Meditation gelesen habe. Das war toll. Denn als ich die Nachricht gelesen habe, sind alle Gedankenzüge entgleist. Ich habe einen seltsamen Schauer am Körper gespürt und wusste nicht, was ich tun soll, also habe ich die Geschirrspülmaschine ausgeräumt, geduscht und bin mit der Nachricht vom Tod als "Reisegepäck" in die Meditation gegangen. Und ich habe festgestellt, dass ich nicht traurig bin. 

Ich hatte nämlich vor einigen Monaten meine Oma besucht, und habe ein schönes Gespräch mit ihr geführt, in der ich ihr alles mitgeteilt habe, was ich unbedingt noch sagen wollte, bevor sie geht. Ich habe sie gefragt, ob sie mit dem Leben nun "fertig" ist. Und ich habe ihr deutlich gemacht, dass es mir gut geht - dass ich endlich eine Schule gefunden habe, die mich so nimmt, wie ich bin, und ich habe meiner Oma gedankt für alles, was ich bisher in diesem Leben erleben durfte und dafür, dass ich für sie immer okay (im Sinne der Transaktionsanalyse) war.

Liebe Eltern: Ich habe Euch noch nicht geantwortet, weder per Mail noch per Telefon, und es mag für Außenstehende komisch sein, dass ich mich zuerst über diesen Blog melde. Aber eigentlich ist das ganz logisch, denn - Papier ist geduldig - hier kann ich meine Gedanken aufschreiben und sie mit meinen Freunden teilen und mit einem Anruf bei Euch noch etwas warten, bis die ersten Gedanken sich gelegt haben und die ersten Fragen aufkommen.

Und damit nicht wieder das alte Klischee bedient wird, Autisten hätten keine Gefühle (ja, das gibt es noch immer): Mir sind bei'm Schreiben dieses Beitrags die Tränen gelaufen, und ich weiß noch nicht einmal, wieso. Denn ich bin nicht traurig, sondern glücklich.

So, wie Oma sich das gewünscht hat.

post scriptum: Und wer sich fragt, was es mit dem Titel des Beitrags auf sich hat - Oma und ich hatten eine Leidenschaft für Rätsel, sie hat mich schon früh dafür begeistern können und wir haben gern zusammen das eine oder andere Rätsel gelöst. Sie hat mir erklärt, dass bei Kreuzworträtseln manche Wörter immer wieder auftauchen, zum Beispiel "Gebirge auf Kreta mit drei Buchstaben". Wer weiß die Antwort?

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