Dienstag, 20. März 2018

Elternabend: Brennende Fragen

Schick machen? Nee...!

Elternabende sind doch eine fantastische Erfindung - zumindest, wenn man davon überzeugt ist, als Lehrkraft alles richtig gemacht zu haben.  Wenn nicht... davon handelt das heute etwas umfangreichere post scriptum.

Wenn man nicht gerade Klassenlehrer ist, besteht die eigene Hauptaufgabe am Elternabend darin, sich kurz vorzustellen (wenn man neu an der Schule oder in der Klasse ist), die Stoffverteilung zu skizzieren und für Fragen bereit zu stehen, derer normalerweise nicht viele auftauchen, denn die meisten Eltern wollten "nur mal sehen, wie der Neue aussieht." Und/oder sich von ihrer vorgefertigten Meinung überzeugen; ich habe es an anderen Schulen hin und wieder erlebt, dass mein Verhalten wohl doch nicht dem entsprochen hat, was die Eltern dachten ("macht keinen Unterricht, ist eine Gefahr für unsere Kinder, hält sich nicht an den Lehrplan, hat rechte Tendenzen, keine Umgangsformen, keinerlei pädagogische Kompetenz, überhaupt keine Erfahrung, noch nicht einmal sein Staatsexamen" und vieles mehr - nichts davon von mir erfunden, leider).

Mittlerweile ist es bei mir mit den Elternabenden wie mit dem Elternsprechtag - ich freue mich drauf. Wobei ich mir nicht sicher bin, wieviel "Mühe" ich mir geben soll - wenn ich nicht weiß, ob ich an der Schule bleibe oder nicht. Da besteht immer die Gefahr, dass sich eine "Scheißegal-Haltung" einstellt. Ich bereite nichts Konkretes vor, was ich vielleicht sagen möchte, stelle mich nicht auf eventuelle Fragen ein, und es bleiben in meinem Kopf als brennende Fragen nur noch übrig:

Was ziehe ich an? Szene oder etwas dezenter? Mit oder ohne Nagellack? Vielleicht mit ein bisschen Kajal? Die Eltern, die mich bereits kennen, sollen mich ja schließlich wiedererkennen können; das geht nicht, wenn ich in Bluejeans auftauche. Schauen wir mal. Mehr Zeit als auf mein Erscheinungsbild werde ich im Vorfeld darauf verwenden, mich nicht schuldig zu fühlen für das, was die Eltern zu beklagen haben. Zu dem Thema hatte ich bereits einmal einen Beitrag geschrieben, aber nicht veröffentlicht - das wird heute im PS nachgeholt.

post scriptum: Schuldgefühle. Kennt jeder, denke ich mir zumindest, und vielleicht hat ja der eine oder andere Lehrerkollege die hier beschriebene Variante auch schon einmal erlebt.

Die Klassenarbeit steht an, und ich fühle mich entspannt, weil ich im Kurs- oder Klassenbuch genau nachvollziehen kann, dass wir alle Themen, Grundregeln, Ausnahmen und Eselsbrücken im Unterricht vorbereitet haben. Sogar den Großteil der Vokabeln (am Beispiel der Lateinarbeit) haben wir explizit wiederholt. Es kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.

Und dann nimmt man sich den Stapel mit den Arbeiten vor. Ach herrje, ganz oben liegt die Arbeit von Schüler XYZ, der schon im Unterricht nicht der Leistungsstärkste ist. Ich schaue in seine Übersetzung und werde bestätigt. Ich lege seine Arbeit erstmal zur Seite, ich würde gern zuerst eine gute Arbeit korrigieren, um zu sehen, dass das Niveau leistbar war. Und so forste ich den Stapel durch...

...und finde keine einzige Arbeit, die auf Anhieb gut gelungen scheint. Nicht einmal der Paradeschüler ABC landet im oberen Notenbereich, und auf einmal stellt sich eine Befürchtung ein: Muss ich zur Genehmigung? Weil womöglich mehr als ein Drittel der Schüler eine Fünf oder Sechs bekommen hat? Was kann ich nur tun? Kann ich den Fehlerindex ein bisschen anpassen, kann ich einzelne Fehler schönen? Was ist denn da nur schiefgegangen?

Es muss an mir gelegen haben. Irgendwas muss ich im Unterricht falsch gemacht haben, wenn selbst die Vorzeigeschüler nicht auf eine Eins oder Zwei geschafft haben. Und sofort legt mein Kopfkino eine Extraschicht Horror ein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich... [und hier darf jeder seiner Fantasie freien Lauf lassen] - es wäre ja nicht meine erste Genehmigung. Gerade an den GemSen ist das hin und wieder mal vorgekommen, da hatte ich auch nie ein schlechtes Gewissen. Aber an einer Schule, deren Leitbild umfasst, die Schüler zu möglichst guten Leistungen zu bringen, bin ich nicht ganz so entspannt. Also... gar nicht entspannt. 

Denn dann sind sie wieder da, die Schuldgefühle. Als ob es in der Macht der Lehrkraft läge, jedem Schüler mindestens zu einer Zwei zu verhelfen. Dabei habe ich mir den Arsch aufgerissen, habe in jeder Stunde wieder versucht, ein Bewusstsein und einen Respekt vor den Anforderungen des Faches zu schaffen. Weil ich einen katastrophalen Ausfall habe kommen sehen - aber was kann ich sonst noch machen? 

Sie sind Jugendliche. Ich nehme es niemandem übel, wenn er keinen Bock auf Schule hat. In diesem Alter sind andere Sachen wichtiger: Freundschaft, Sex, Drogen, Selbstfindung und vieles mehr, was einen Teenager mächtig aus der Bahn werfen kann. 

Manch' einer muss eben erst richtig auf die Fresse fallen, bevor er merkt, dass "am Abend vorher lernen" irgendwann nicht mehr klappt... und ich muss genügend Rückgrat aufbringen, zu sagen, dass es eben nicht mehr für das Latinum (oder ESA, MSA, whatever) ausreicht. Anstatt so lange an Fehlerindizes herumzudrehen, Bonuspunkte zu kassieren und Sonstiges, nur damit es für fünf Punkte reicht. Denn manche Schüler suggerieren durch ihr Verhalten im Unterricht, dass sie es gar nicht auf die fünf Punkte anlegen - und das möchte ich entsprechend honorieren. 

Pädagogik und so.

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