Freitag, 14. September 2018

Der Eid des Hippokrates

gemalt von Peter Engels

Es gibt da in Kiel diese Hautarztpraxis, ich habe den Namen vergessen. Die macht echt einen tollen Eindruck, hell, extrem freundlich, und es gibt zwei unterschiedliche Wartezimmer, eines für Kassenpatienten, eines für Privatversicherte. In letzterem steht ein kostenfreier Getränkeautomat. In dieser Praxis fühlt man sich königlich behandelt, keine langen Wartezeiten, und auch der Hautarzt selbst ist freundlich und aufgeschlossen, so scheint es.

Aber getrennte Wartezimmer sollten misstrauisch machen.

Und es ist ja nicht so, als arbeite dort ein inkompetenter Arzt, im Gegenteil, er kümmert sich um die Probleme und regelt sie. Er kümmert sich sogar um Probleme, wo vorher keine waren. Ich hatte damals einen akuten Neurodermitisschub (mittlerweile weiß ich zum Glück, wie ich damit umgehen muss) und bin in diese Praxis gegangen, um über Rötungen und juckende Haut zu klagen. Der Arzt hat sich diese Klagen sehr freundlich angehört und meine Haut unter die Lupe genommen - und hat ein Problem gefunden, das noch viel wichtiger zu sein schien als das Jucken, denn er äußerte umgehend Sorge über die Muttermale an meinem Körper, Hautkrebsrisiko, und die müssten unbedingt entfernt werden, um sicherzugehen, dass alles gutartig ist.

Und wie von Zauberhand hatte der Arzt auch schon die Verschreibung einer Operation parat. Ich war damals natürlich schockiert über die unheilvollen Nachrichten zu meinen Muttermalen und war sehr froh, dass der Arzt sie entfernt hat, fachmännisch herausgeschnitten. Um die Narbenbildung zu verringern, hat er mir ein Gel verschrieben, das rein zufällig in der praxisinternen Apotheke zu kaufen war. Ein Wunder!

Bei einer der Nachuntersuchungen hat der Arzt mich dann auch gefragt, ob ich wieder guter Dinge sei, und ich sagte ihm, dass die Stellen gut verheilt sind. Allerdings schob ich dann - endlich - noch einen Nachsatz hinterher, in dem ich ihn um eine Diagnose des Juckens und der Rötungen bat, denn beides war immer noch sehr intensiv vorhanden, und das war ja eigentlich auch der Grund meines Kommens. Seine Antwort werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen und hat mein Vertrauen in Ärzte im Grunde erschüttert:

"Ach das hatten sie auch noch! Ich möchte ihnen nur gerade klar machen, dass sie mir meine Zeit stehlen."

Zeit stehlen... bitte WAS?! Und erst dann bin ich auf den Trichter gekommen, dass es in dieser Hautarztpraxis in erster Linie um Gewinne geht, die tatsächlichen Beschwerden der Patienten sind sekundär. Das weiß ich, weil einer damaligen Kommilitonin genau das Gleiche passiert ist - und heute erzählt mir ein Kollege im Lehrerzimmer von seiner Erfahrung mit diesem Hautarzt, dessen Namen ich leider vergessen habe. Ist kein Einzelfall, das ist mir mittlerweile bekannt, der Wahnsinn hat Methode.

Und da komme dann ich, dachte immer, wenn man sich entscheidet, Arzt zu werden, dann macht man das, um Menschen zu helfen, sie zu heilen und womöglich Menschenleben zu retten. Man benutzt sie nicht als Material, um möglichst viele und umfangreiche Behandlungsmethoden aus ihnen herauszuholen. Dachte ich. Gibt es da nicht diesen Eid oder so?

Also, Patient, immer gründlich hinterfragen, was Dein Arzt Dir so mitzuteilen hat!

post scriptum: Heute habe ich "The Endless" (2018) geschaut. Das ist mal richtige Science Fiction, und es ist ein sehr intelligenter Film, der neben Sektenwirkung auch diverse andere Themen abarbeitet. Herrlich, wie der Film mit mir gespielt hat, mich im Unklaren gelassen hat. Anfangs dachte ich, wow, den Film kann ich in meinen Schulkanon aufnehmen, weil er überzeugend den Sog darstellt, den Sekten ausüben können - vielleicht schreckt das die Schüler ab, so dass sie nicht mehr so einfach in's Netz der Sektenfänger gehen. Gen Ende habe ich dann allerdings feststellen müssen, dass für sehr viele Schüler dieser Film "zu intelligent" sein wird, und dass sie Vieles nicht verstehen werden. Das wird bestätigt durch die Punktzahl in der IMDb, die recht niedrig ist - während die Kritiker mal wieder voll des Lobes sind, zum Beispiel auch Matt Zoller Seitz. Ich bin sehr froh, dass ich den Film gesehen habe.

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