Sonntag, 9. September 2018

Doc und Doc (Seelenstriptease II)

Jahre später - eine neue Perspektive

Heute möchte ich einen Artikel über Doc schreiben, den ich Doc nenne, weil er den gleichen Namen wie ich trägt.

Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, hatte ich unterschiedlichste Phasen. In der Orientierungsstufe war ich laut, nervig, überdreht. Albern, habe meine Hausaufgaben nicht gemacht, habe über Mitschüler gelästert. Und habe Mist gebaut, eine Mitschülerin zusammen mit anderen in einen Fluss geworfen - woraufhin diese dann versucht hat, mit einem Küchenmesser auf mich loszugehen. Es waren aber genügend Mitschüler auf jener Klassenfahrt in der Nähe, so dass nichts Schlimmeres passiert ist. Kurzum: Ich war hochintelligent, aber ein Arsch. Besserwisser, nervig aufgedreht und unmenschlich zu meinen Mitschülern.

War wirklich so.

Die Retourkutsche kam dann ab der achten Klasse, als ich lernte, was es bedeutet, gemobbt zu werden, denn damals kam Doc in meine Klasse. Ich kam in die Pubertät und habe viele Dinge in meinem Leben nicht mehr verstanden, ich bin nachdenklicher geworden, ich lernte, dass man auch Männer, bzw. andere Mitschüler attraktiv finden kann. Viel Verwirrung, mir war das alles peinlich, dazu kommt noch die ganze Handballgeschichte, kurzum: Ich wurde still in der Klasse.

Verhaltensauffällig in der anderen Richtung, könnte man sagen, nach dem Extrem in der fünften und sechsten Klasse. Und verhaltensauffällige Mitschüler werden nun mal gern zur Zielscheibe von Mobbern; ich muss es wissen, denn ich habe damals ja auch auf denen rumgehackt, die irgendwie anders waren. Nun war ich also dran, und es gab da drei Jungs in unserer Klasse, die ziemlich schnell merkten, dass ich eine wunderbare Zielscheibe bin. Einer dieser Jungs war Doc.

Sie machten Witze über mich, die Streberleiche, im Unterricht bewarfen sie mich mit Sachen, rempelten mich auf dem Schulhof an und vom Sportunterricht fangen wir gar nicht erst an. Es hat nicht allzu lange gedauert und ich hatte Angst, in die Schule zu gehen. Wenn Doc mal nicht in der Schule war, habe ich mich erleichtert gefühlt, aber die Angst vor diesen Jungs hat meine Mittelstufenerfahrung ziemlich beherrscht (neben Frau Janke, die verzweifelt versucht hat, uns deutsche Literatur näher zu bringen). Ich mochte mich im Unterricht nicht mehr melden, weil ich sofort zur Zielscheibe meiner Peiniger würde, und mein Zeugnisdurchschnitt ist um eine ganze Note abgerutscht.

Und ich glaube, dass Doc das nie bewusst gewesen sein wird. Genauso wie es mir nicht bewusst war, was ich meiner Mitschülerin angetan habe, als ich sie in der sechsten Klasse in den Fluss geworfen habe. Wer mobbt, scheint oft keine Ahnung von dem Ausmaß seiner Handlungen zu haben.

Und das Beste ist: Ich kann Doc nicht böse sein. Denn schon in der Oberstufe hat sich gezeigt, dass da eigentlich ein ganz interessanter Mensch drinsteckt. Im Projektkurs Filmanalyse habe ich gemerkt, dass er auch Horrorfilme mag. Und eigentlich gar nicht so fies war. Ob es seine Freundin war, die ihn etwas "bearbeitet" hat?

Jetzt, viele Jahre später, bin ich ziemlich stolz auf das, was aus Doc geworden ist. Er ist ein Genussmensch geworden, er kennt sich mit Horrorfilmen und Whiskey aus wie wenige andere, und er ist immer noch mit seiner Freundin von damals zusammen. Jedesmal, wenn ich ein Foto von den beiden sehe, muss ich schmunzeln. Wie man sich doch ändern kann... und jedesmal, wenn Doc einen meiner Beiträge im Blog liest und ein "Like" druntersetzt, strahle ich aus dem Innersten heraus - gerade wenn es Beiträge sind, die zum Beispiel mit meiner sexuellen Orientierung zu tun haben und früher cannon fodder für meine Mobber gewesen wären.

Ich finde es absolut klasse, wie Doc sich entwickelt hat. Und es zeigt mir, dass Schüler, die Andere mobben, Gründe dafür haben. Und dass jeder eine zweite Chance verdient hat. Das gibt mir sehr viel für meine eigene pädagogische Arbeit.

Also, so von Doc zu Doc: Toll, was Du aus Dir gemacht hast!

post scriptum gegen die Unkenrufe: Ich habe grünes Licht von Doc für diesen Beitrag erhalten, und ein Kompliment dazu, über das ich mich ziemlich gefreut habe; ihm gefällt die Offenheit, mit der ich hier die Dinge angehe. Klasse! So geht es definitiv nicht jedem, und die häufigste Kritik, die ich zu diesem Blog höre, ist: "Du weißt aber schon, dass das jeder lesen kann, oder? Ich würde das lieber nicht machen, du kannst doch nicht so Privates von dir preisgeben." - Das ist mein Privates, darüber entscheide ich, und ich weiß, dass mehrere der regelmäßigen Leser gerade die Offenheit zu schätzen wissen, vielleicht auch, weil sie sie selbst nicht haben und froh sind, dass ihnen jemand mal aus dem Herzen spricht.

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