Posts mit dem Label Meditation werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Meditation werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Dienstag, 21. November 2023

Tag 113 - Die Ruhe


Das war für mich immer ein Horrorszenario: Die Sendungsverfolgung bei DHL sagt mir, dass ein Päckchen zu mir unterwegs war, ich war aber nicht da, und so hat ein Nachbar das entgegengenommen. Es ist Meditationstag, das heißt, ich denke nicht daran, zum Nachbarn zu gehen, weil andere Gedanken wichtiger sind. Und so lande ich abends in der Meditation, alles ist dunkel, ich liege auf der Couch ausgebreitet, Räucherware sorgt für die Atmosphäre, zusammen mit unaufdringlicher Musik. 

Und ich bekomme Angst. Was, wenn ausgerechnet während der Meditation jemand an der Tür klingelt - der Nachbar, der besagtes Päckchen zu mir bringen will? So etwas ist schon zweimal passiert und ich werde komplett aus meinen Gedankengängen gerissen. Es fühlt sich an, als würde mein Zug entgleisen. Und so meditiere ich also immer mit der Angst im Hinterkopf, dass die Türklingel läuten könnte, und ich kann sie nicht abschalten. Ich habe zwar ein "Bitte nicht stören"-Schild oben an der Wohnungstür aufgehängt, aber was ist, wenn unten jemand klingelt, der das nicht sieht? Immer diese Unsicherheit im Hintergrund.

Bis vor Kurzem. Ich hatte berichtet, dass die Klingelanlage in unserem Haus ausgetauscht wurde. Das neue Gerät hat zwei Knöpfe, auf einem ist ein Schlüssel abgebildet, auf dem anderen eine Flurlampe (damit man für wen auch immer das Drei-Minuten-Licht einschalten konnte?). Sah zumindest für meinen Nachbarn und mich so aus - aber die Flurlampe ist bei sehr genauem Hinsehen eine Klingel. Dieser wunderbare kleine Knopf schaltet die Türklingel aus.

Interessant, was dieses Bewusstsein mit einem machen kann. Ich drücke jetzt jedesmal vor der Meditation auf diesen Knopf und habe Sicherheit, dass dieser nervtötende Klingelton nicht passieren wird. Ich habe Ruhe.

Und manchmal kann die Ruhe wirklich gut tun.

post scriptum: Liebe Eltern, DANKE!

Freitag, 4. August 2023

Tag 4 - Tonglen


Vor Kurzem erreichte mich eine Mail, die mich sehr berührt und mir Kraft gegeben hat:

Hey,
vielen Dank erstmal, dass ich dich hier erreichen kann. Ich hoffe, du kannst dich noch an mich erinnern. Ich will mich hier für deinen Blog bedanken. Nachdem du das BBZ Plön verlassen hast, habe ich die WKA- Unterstufe wiederholt. Ich habe es geschafft Spanisch zu meistern. Doch dann musste ich die Oberstufe wiederholen, so wie viele Schüler, die "einen gewissen Lehrer" im Unterricht aushalten müssen.
In den zwei Jahren in der Oberstufe ging es mir oft sehr schlecht, weil ich mich wegen Rechnungswesen schlecht und dumm fühlte. Ich spielte sehr oft mit dem Gedanken, ob ich die Schule abbrechen sollte. Auch konnte ich abends oft nicht einschlafen, weil ich große Selbstzweifel & Zukunftsängste hatte. Doch dein Blog gab mir den Mut weiterzumachen. Zu sehen, dass auch andere Menschen manchmal mit dem Leben struggeln und trotzdem kämpfen, hat mir sehr geholfen. Und ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn du über positive Dinge geschrieben hast, die dir passiert sind.
Nachdem ich mich durch "des Lehrers" Unterricht durchgebissen habe, habe ich mich dazu entschieden ein weiteres Jahr für das Wirtschaftsabi zu absolvieren. Diesen Abschluss habe ich vor einem Monat erhalten und das sogar mit guten Noten. Ich starte nächsten Dienstag meine Ausbildung zum Steuerfachangestellten bei SHBB und mein Ziel wird es sein, dass ich mich nach der Ausbildung zum Steuerberater weiterbilden werde.
Nochmal: Vielen Dank für deinen Blog. Ohne ihn bzw dich hätte ich definitiv nicht die Ausdauer dafür gefunden meinen Weg bis hierhin zu gehen.
 
Mit freundlichen Grüßen,
JB

Ich musste eine Weile überlegen, aber dann hatte ich JB wieder vor Augen, und mir ist das Herz aufgegangen. Es gibt immer wieder Nörgler, die von meinen Problemen nichts wissen wollen (wobei ich mich dann frage, warum sie diesen Blog überhaupt lesen), aber ich möchte diesen Blog authentisch halten und das reale Leben da draußen, gerade der erste Arbeitsmarkt, sieht für einen Autisten nicht gut aus. 

Auch wenn ich mich manchmal so fühle, als sei ich mit manchen Problemen allein auf der Welt - dem ist nicht so. Es ist genau, wie JB geschrieben hat: Auch andere Menschen müssen kämpfen, können fallen, aber auch wieder aufstehen und weiterkämpfen.

Diese Erkenntnis ist die Grundlage für die Meditationstechnik Tonglen, über die ich hier schon einmal geschrieben hatte. Man konzentriert sich während der Meditation intensiv auf alle Menschen, die das gleiche - oder ähnliche - Probleme haben wie man selbst. Bei'm Einatmen nimmt man mit dem Atem alle Probleme dieser Menschen in sich auf und atmet dann im Gegenzug etwas Gutes aus. Etwas, was diesen anderen Menschen gut tun könnte. Auf diese Weise wird nicht nur Altruismus trainiert, sondern auch das eigene Leid genau dadurch gelindert, dass man sich bewusst macht, dass man mit seinem Problem nicht allein ist.

Genau diesen Effekt hat mein Blog also auf JB gehabt, und das freut mich riesig und zeigt mir, dass ich weitermachen muss, egal, wie hart die Umstände gerade sein mögen.

Danke, JB, für Deine Nachricht!

post scriptum: Und die Zeit am BBZ Plön war auch für mich als Lehrkraft alles Andere als schön, nicht nur aufgrund "eines gewissen Lehrers", sondern weil man mich durch eine neurotypische Lehrkraft ausgetauscht hat.

Freitag, 29. Juli 2022

Neue Reiseroute


Für gewöhnlich überlege ich mir den Nachmittag über, spätestens bei'm Duschen, in welche inhaltliche Richtung die Meditation gehen soll. Die Lojong-Losungen sagen uns "Meditiere ständig auf das, was dir besonders zusetzt", und ich finde das vollkommen richtig. Manchmal aber setzt einem gerade nichts zu, oder man hat kein aktuelles Denkthema. Dann überlege ich mir zum Beispiel, wie ich mein nächstes Buch schreibe, Gedanken über Grundstruktur, Erzählperspektive, schreibe die ersten und letzten Sätze und so weiter.

Heute kam es dann anders: Ich wollte eigentlich nur meine Mutter anrufen, um einen Besuch in Dithmarschen zu planen, das Telefon tutet, und dann meldet sich eine Stimme "Hier spricht der schönste, klügste und beste der drei Söhne" und ich kann mir das Lachen nur knapp verkneifen. Klar, mein Bruder. Und es ist immer wieder toll, ihn in so einer witzigen Stimmung zu erleben, und das hat sich auf mich übertragen.

Und siehe da: In der Meditation ging es in der ersten Hälfte um ihn. Eine Reflektion unserer Beziehung zueinander, eine Erleichterung und Freude darüber, wie sich das alles entwickelt hat. Wie ich mich entwickelt habe im Hinblick auf ihn. Wie ich in der Autismus-Geschichte weiter vorgehe, ob und wann und wie ich mit ihm über das Tebartz van Elst-Buch spreche.

Eigentlich sollte man meinen, dass eine solche spontane Planänderung für den Autisten beunruhigend, störend, beängstigend ist. Das Gegenteil ist der Fall, denn jetzt habe ich ein Thema, was mir besonders zusetzt (im positiven Sinne nach Lojong), und spontane Eindrücke sind für eine folgende Meditation besonders fruchtbar.

Tolles Erlebnis!

Samstag, 2. Juli 2022

Frost-Armschienen

Surreal, mit Licht und so...

Ich liebe Physik. 

Ich war damals ein Teenager wie viele andere auch, der sich gedacht hat "Der Kram, den wir in der Schule lernen, den braucht man doch nie wieder!" - und werde immer wieder auf's Neue widerlegt. Nun also nach dem Sportfest. Ich hatte nicht daran gedacht, Sonnencreme auf die Arme aufzutragen, und irgendwo steckt in mir der naive Dr Hilarius, der sich denkt, naja, wenn ich im Schatten sitze, kann ich ja keinen Sonnenbrand bekommen. Dabei weiß der Physiker in mir natürlich, dass die Strahlung der Sonne auch durch ein Laubdach hindurch reichen kann. Dumm verhalten. Kann ich gut.

Und man merkt es natürlich erst gen Abend, wenn die Unterarme dann richtig anfangen, zu strahlen, zu leuchten - ich habe damit eigentlich kein großes Problem (Autisten sollen eine andere Schmerzwahrnehmung haben), aber dadurch, dass ich derzeit einen Neurodermitisschub habe, haben meine Arme nicht nur geglüht, sondern auch richtig angefangen zu jucken und Quaddeln zu bilden. Und das, während ich in Ruhe meditieren möchte.

Nach über zehn Jahren Training lässt man sich in der Meditation durch nichts mehr so leicht aus der Ruhe bringen - ich nehme die Entzündung behind closed eyelids dann als ein Strahlen wahr, anders kann ich es nicht beschreiben. Dann habe ich mir gedacht, wenn ich schon im Luftstrom des Ventilators meditiere, könnte ich doch einfach mal testen, welchen Effekt es hat, ein nasses Stofftaschentuch auf die Unterarme zu legen und in Ruhe anpusten zu lassen.

Physik sagt uns, dass es ein eiskaltes Gefühl im Arm geben dürfte, denn durch den Wind findet eine starke Verdunstung der Feuchtigkeit im Taschentuch statt, und diese entzieht der Haut ihre Wärme. Experiment sagt uns, dass es genau so ist: Es hat sich angefühlt, als hätte ich eisige Armschienen angelegt, wobei ich - wie sicherlich auch die fette Schnecke - an Rollenspiele denken musste; Frost-Armschienen sind ein Standard-Ausrüstungsgegenstand in vielen RPGs. Oft muss man sie sich selbst herstellen, mittels Schmiede oder Alchemie (der Dragon Quest-Opa sagt "Sssss-HUKKKK-Sssssss-HESSS!").

Jedenfalls hatte ich während der Meditation also eine Stunde lang eisige Armschienen, und es war wunderbar angenehm. Klassisches Hausmittel gegen Sonnenbrand: Ein nasses, dünnes Tuch auflegen und von einem Ventilator anpusten lassen.

Dr Hilarius äi käi äi MacGyver signing off!

Donnerstag, 27. Januar 2022

Schriftliche Missbilligung


Wenn ich einem Schüler eine schriftliche Missbilligung ausstellen muss, dann macht mich das fertig. Ich erlebe das als herbe Niederlage, als Bankrotterklärung für mein pädagogisches Talent: Ich habe es in einem halben Jahr nicht geschafft, zu diesem Schüler durchzudringen - so, dass er sich freiwillig in meinem Unterricht gut benimmt. Ich war immer ein bisschen stolz drauf, dass ich gerade Schüler in schwierigen Situationen gut "kriege", und so eine Sanktionsmaßnahme holt mich dann wieder schnell auf den Erdboden zurück.

Denn was auch immer ich an Vertrauensbasis oder Verständnisgrundlage zwischen mir und diesem Schüler aufgebaut habe, erlebt einen herben Dämpfer. Der Schüler macht wieder dicht, die Distanz wird wieder größer. Das hat mir Thekla damals in St.Peter-Ording beigebracht: Mit solchen Aktionen erreiche ich nichts. In der Konsequenz trainiere ich, keine Strafen mehr im Unterricht einzusetzen.

Immerhin hat mich das Meditationstraining dazu befähigt, mein Verhalten im Anschluss von allen Seiten auszuleuchten, und im Lojong gilt: Jede Schwäche bietet eine Möglichkeit, besser zu werden. 

Trotzdem ist das Gefühl erstmal shayze.

Dienstag, 14. September 2021

Gnädiger Fernseher


Ich bin wirklich sehr froh über eine Funktion meines Fernsehers - sorry, Smart TV - die ich hier schon einmal erwähnt hatte: Wenn ich mitten in eine Sendung hineinschalte, wird mir ein paar Sekunden lang eine Option angezeigt: "Anfang verpasst? Jetzt neu starten!" Ich drücke einen blauen Knopf und die Sendung beginnt von vorn.

Warum muss ich das so oft nutzen? Meine Abendtaktung ist ziemlich klar geregelt, ich dusche, gehe dann in Meditation und bin pünktlich wenige Minuten vor dem Schleswig-Holstein-Magazin fertig. Wann ich aus der Meditation gehe, regelt sich in erster Linie nach dem Musikalbum, das nebenher läuft; ich habe bei der Meditation die Augen geschlossen und die Zeit daher nicht im Blick, aber ich weiß, wie lang das jeweilige Album spielt und kann den Beginn der Meditation richtig setzen.

Es gibt allerdings auch ein anderes, sehr wichtiges Kriterium für den Meditations"bedarf": Manchmal kommt es vor, dass ich so viele Eindrücke am Tag gesammelt habe, oder so intensive Sachen erlebt, dass ich nach einer Stunde des Meditierens noch längst nicht fertig bin - und eines der Grundprinzipien der Meditation ist, nicht abzubrechen, nur weil eine bestimmte Zeitspanne um ist (es sei denn, man ist zum Beispiel in einer Gruppenmeditation).

Einer der Grundsätze im Lojong lautet: "Meditiere stets zuerst auf das, was Dir am meisten zusetzt." - und das kann gerade bei einer schlechten Nachricht sehr lange dauern. Mit dem neuen Fernseher kann ich ganz ohne schlechtes Gewissen oder Panik, etwas zu verpassen, die Meditation so weit verlängern, wie es nötig ist; das Album läuft in der Regel auf repeat, es sei denn, ich habe Konzeptalben, die sowieso fast zwei Stunden laufen.

Es ist so entspannend, am Ende der Meditation, wenn der Kopf richtig aufgeräumt ist, in eine Sendung hineinzuschalten und einfach per Knopfdruck die Sendung von Anfang an genießen zu können. Gibt schon echt hilfreiche Upgrades für die Wohnung...