Samstag, 29. Mai 2021

Sommerferienticket


Kleine Anekdote aus meiner Jugend, mal wieder ein Eintrag in der Kategorie Ein Glas "Asperger Pur", bitte!

Damals gab es für Schüler das Sommerferienticket: Für gar nicht so viel Geld konnte man während der Sommerferien mit Bus und Bahn quer durch Schleswig-Holstein fahren. Wer diesen Blog häufiger liest, der ahnt schon, was ich damals gemacht habe: Von Heide aus mit dem Zug nach Hamburg, und dort den ganzen Tag S- und U-Bahn fahren. Das Hamburger Liniennetz mag nur ein Bruchteil des Berliner Netzes sein, aber ich bin nicht müde geworden, immer wieder nach Hamburg zu fahren. Angekommen in Altona hat sich ein wundervoller Tag ergeben, natürlich immer mit der gleichen Struktur, zu der es gehörte, abends im Zug zurück nach Heide drei Stücke Pizza Hut zu essen (und den Fußgänger-Elbtunnel zu durchqueren und das Ambiente zu genießen). 

Jedes Jahr habe ich das gemacht, und jedesmal ging es nach Hamburg. Nie irgendwo anders. Irgendwann müssen meine Eltern wohl nachgefragt haben, ob ich nicht auch einmal woanders hin fahren möchte, denn ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich ihnen ab und an gesagt habe, dass ich den Tag in Kiel verbracht habe. Ich hatte Angst, dass sie nicht zufrieden wären, wenn ich immer nur die gleiche Reise machte. Irgendwie muss sich in meinen Kopf der Gedanke eingeschlichen haben, dass es "nicht normal" ist, immer wieder das Gleiche zu machen, und damit auch, dass es "nicht okay" ist. Also habe ich meine Reiseziele in meinen Aussagen variiert - ich bin vor meinem Studium tatsächlich noch nie in Kiel gewesen.

Und wie ich diese Tage in Hamburg genossen habe! Im Rucksack den Kassettenrecorder (heutige Schüler dürften mit einem Bild von Kassette und Bleistift nicht viel anfangen können) von meinem Vater: Ich habe früher gern "Shows" aufgenommen, ich als Moderator, meine Nachbarinnen als Gäste, und natürlich habe ich auch eine der Hamburgreisen aufgenommen - scheißegal, was die Leute wohl über den Jugendlichen gedacht haben, der mit seinem Kassettenrecorder redet. Ich habe all' diese Shows auch heute noch, in digitaler Version, und ich werde heute Nacht mal wieder ein paar der alten Bänder durchhören ;-)

Freitag, 28. Mai 2021

Kontakt

Antwort lesen? Erst, wenn ich mich "bereit" fühle

vorweg: Dieser Artikel schrammt gerade so an der Verschwiegenheit vorbei - da sich das Abgebildete allerdings fast nur auf mich bezieht, sollte das in Ordnung sein.

Wie mache ich das nur? Wie soll ich mit diesem Schüler Kontakt aufnehmen? Ich bin wirklich ein bisschen stolz, dass die Kollegin mich angesprochen hat: Einer ihrer Schüler, mitten in der Pubertät, beschäftigt sich intensiv mit seiner Andersartigkeit, aber bis dato hat niemand herausgefunden, was die Ursache dafür sein könnte. Daher hat sie mich gefragt, ob ich nicht einmal mit in Verbindung treten kann, um ihm vielleicht einen ähnlich getakteten Ansprechpartner zu geben.

Aber wie mache ich das nur? Mir ist klar, dass der erste Kontakt per Mail sein muss; so hat er genügend Zeit, darauf zu reagieren und eine Antwort zu formulieren, die tatsächlich dem entspricht, was er sagen will. Aspis sind nun mal so. Aber was schreibe ich ihm? Angenommen, er tickt wie ich: Eines Tages öffnet er seinen Iserv-Maileingang und sieht eine neue Nachricht. Von jemandem, den er nicht kennt, und es scheint kein Spam zu sein. Meine erste Reaktion auf so etwas wäre eine leichte Panikattacke, weil ich bestimmt wieder irgendwas falsch gemacht habe. Wie kann ich ihm diese Angst nehmen? Und wie kann ich ihm signalisieren, dass er okay ist, und dass es tatsächlich Menschen gibt, die ihn verstehen?

Auf Grundlage eines Gesprächs mit meiner Kollegin ist dabei herausgekommen:

Betreff: Feeling different today?

Hi you,

it seems you know me - or so I've heard. I've talked to Mrs Teacher, and I am the person she mentioned to you - the one that might understand your situation a little better than others. So, first a few things about me ;-)

- My name is Dr Hilarius and I teach English and Latin

- I have Asperger's Syndrome (I think; they've tested me for autism and the test was negative, because they did tests with me that were designed for children and teenagers, not for a 37-year-old adult ^^) - you might already know that Asperger's is a mild form of autism

- It makes me feel different, because:

- I talk to myself at home - I "rehearse" everything I am going to say and do in an upcoming situation or I repeat some of the day's events that I found interesting

- I tend to forget eating and drinking, because they feel "uninteresting" to me (my thoughts are everywhere, but never on food ^^)

- I love to observe and analyze people's behavior (my blog has a tag "Verhaltensmuster"), and I am really interested in psychology

- I don't like to look people in the eyes when I talk to them, and I don't like to be touched

- I have very special interests - black holes, rollercoaster systems, psychoactive substances (and also films, but that is a pretty normal field of interest ^^)

- People couldn't read my handwriting, so I decided to write in "Druckbuchstaben"

- I like mail contact a lot more than contact by telephone - I never answer the telephone or the doorbell when they ring unannounced (because I don't know who it will be and I cannot rehearse what I am going to say)

- I do not have a bipolar disorder, but I may tend to manic depression - feeling great at times, so much so that others can get annoyed with me, and then suddenly "falling into a hole", especially when something unexpected happens, because:

- I need a structure/safety/assurance in my life. Having to change school six times in the last nine years has caused complete chaos in my private life

Well... so now I've bombarded you with stuff about me without having written anything about you. I thought that you might recognize yourself in two or three of these bullet points. Do you? If so, maybe we could talk sometime about your situation in life, or what makes you feel different, and how to deal with these feelings and with certain situations in life.

We could do so by mail, if you want to, or we could talk in person, or use mail at first and later switch to a real dialogue - whatever suits you best ;-) And of course we could continue in German, if you'd like that. Mrs Teacher told me you're an English freak so she thought it would be a nice idea to start this way ^^

I may be a teacher, but I suggest we leave your parents completely out of this, at least for now. This is about you and I'd like you to speak as freely as possible. Looking forward to hearing from you, and if you'd first like to know more about me you can finde some information on http://doctorhilarius.blogspot.com

War das so in Ordnung? Den Rest dieser Episode werdet Ihr natürlich nicht so direkt mitbekommen (§25 anyone?), aber mir ging es in diesem Beitrag auch nur darum, wie man so ein "Projekt" starten könnte. Und das ist eben die Methode DrH: Direkt mit der Tür in's Haus fallen.

Donnerstag, 27. Mai 2021

Zwei-Stunden-Telefonat

Eigentlich mag ich ja nicht gern telefonieren - und trotzdem habe ich mich in der vergangenen Woche am Mittwoch fast zwei Stunden mit einer Doktorandin aus Augsburg unterhalten - man kann schon ahnen, worüber, denn ein Thema, das mich nicht interessiert, würde ich keine zwei Stunden durchhalten. Es ging also um Autismus.

Zumindest so ganz breit gesagt. Die Doktorandin möchte in ihrer Dissertation prüfen, inwiefern englische Unterrichtsmaterialien, die als "inklusiv" bezeichnet släsch beworben werden, auch für Schüler mit einer Autismus-Spektrums-Störung geeignet sind. Ich war total interessiert, als die Mail nach Umfragekandidaten durch das Kollegium ging, habe dieser unbekannten Frau geschrieben und wir haben einen Terminplan gemacht - im ersten Teil hat sie mir Materialien aus sechs verschiedenen Schulbüchern zugesandt, die ich im Hinblick auf typische Autismus-Fragen untersucht habe (Sind die Aufgaben logisch und klar formuliert? Ist die Seite übersichtlich aufgebaut? Werden verschiedene Informationskanäle gleichzeitig eingefordert) etc [was übrigens die tolle Englischstimme der VERA-Prüfung heute als "excetra" ausgesprochen hat, das tat schon ein bisschen weh, oder, Herr Leinhos? Wenn man das so liest?]). 

Und dann habe ich sie zum vereinbarten Termin angerufen (auf die Minute genau, wie Autisten das eben machen, wenn sie einen genauen Termin haben) und es hat sich ein echt interessantes Gespräch entwickelt, in dem es um mich sowohl in der Lehrer- als auch in der Schülerrolle ging, wenn ich feststellen sollte, ob autistische Schüler mit bestimmten Aufgabenstellungen Probleme haben könnten (wie zum Beispiel "Draw a monster. Use a dice." - ich male nicht mit einem Würfel, sondern mit einem Stift).

Das war unglaublich inspirierend, ich habe sehr viele Gedanken daraus mitgenommen, und ich bin wirklich gespannt darauf, die Dissertation zu lesen, wenn sie irgendwann durch die Prüfung ist. Ich bin zwar - ich weiche von der Einschätzung nicht ab - "nur" Aspi, aber ich weiß, welche meiner Ticks ich mir extremer vorstellen muss, um autistisch zu denken. Und es ist ein tolles Gefühl, auf irgendeine Weise etwas beitragen zu können.

post scriptum: Flower Power! Erbsechore zeigt die ersten Blüten - will sie sich etwa schick machen, um aus ihrer Geiselhaft entlassen zu werden? Mal schauen, wann ihre Schwestern es ihr nachmachen.

Mittwoch, 26. Mai 2021

Hausaufgabe zu... irgendwann.


Scheinbar sind es noch dreieinhalb Wochen bis zu den Ferien. Allerdings fällt wegen der mündlichen Prüfungen im ESA, MSA und Abitur wieder eine ganze Menge Unterricht aus, und natürlich auch wegen der Testungen in der Schule. Hat sich was mit comprehensive tests, die ich noch schreiben wollte, Tests, die den gesamten Stoff des Schuljahres abfragen. Also machen wir das live im Unterricht, so dass die Schüler selbst in der zweiten Stundenhälfte die Möglichkeit haben, sich zu korrigieren und eine Note zu geben. Da hat dann ein kleines vocab quiz eben sechzig Vokabeln, und es folgt ein Mix aus allen grammatikalischen Zeiten, die wir bisher hatten.

Waren die letzten vier Schulwochen auch vor Corona schon immer so zerfleddert? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mich um diese Zeit schon einmal gefragt habe, warum wir überhaupt noch Unterricht machen. Ich versuche, den sechsten Klassen noch als takeaway das going to-future zu erklären, damit sie mir erzählen, was sie in den Sommerferien alles machen werden. Ich versuche, der neunten Klasse noch etwas über indirekte Rede in Hong Kong zu erklären. Ich versuche, der achten... who am I kidding? Die Doppelstunden morgen gehen für die Vergleichsarbeit drauf. Und ja, das hätte ich online machen können, aber ich bin da altmodisch und mir ist es tatsächlich wichtig, zwischendurch zu sehen, wie gut meine Schüler damit klarkommen.

Aber da ja bekanntlich nichts entspannender sein soll als das anzunehmen, was kommt, fühlt sich diese Zeit tatsächlich sehr gechillt an und macht wieder richtig Spaß. 

post scriptum: Der Kampf um ein weiteres Jahr an der Toni läuft, aber es ist eben genau das (für alle Beteiligten): ein Kampf. Querversetzungen gehen vor - wobei es mir eh' nicht mehr um eine Planstelle geht, sondern darum, überhaupt irgendwie bleiben zu können.

Montag, 24. Mai 2021

"Germany - no points"

Wir versinken mit Stinkefinger in der Bedeutungslosigkeit...

Am Samstag war es mal wieder soweit - der Eurovision Song Contest, den die große Buba und ich uns hier gackernd zu Gemüte geführt haben. Wer das Ganze ebenfalls verfolgt hat, hat Deutschlands Niederlage mitbekommen - mal wieder. Der Sänger Jendrik ist auf dem vorletzten Platz gelandet, mit drei Punkten aus allen Jurywertungen und null Punkten vom Publikum.

Man gewöhnt sich daran. In den letzten fünf Wettbewerben ist Deutschland immer auf dem letzten oder vorletzten Platz gelandet - ach warte, einmal war ein vierter Platz dabei. Man sollte meinen, dass irgendwann mal das Auswahlverfahren für den deutschen Beitrag hinterfragt würde, aber nein, man nimmt einen unbekannten Song, dem die Buchmacher nicht einmal Außenseiterchancen einräumen, und verliert verdientermaßen.

Drollig, wenn es danach in der NDR-Pressemitteilung heißt, es sei eine "perfekte Performance" gewesen. Drollig auch wieder Kommentator Peter Urban, den man eigentlich nur so ertragen kann, wie er selbst an dem Abend offensichtlich war: Hackendicht, verpeilt, völlig neben der Spur. Auch er fand unseren Beitrag ganz toll und mutmaßte nach der Niederlage, dass der Song wohl "zu schwierig" gewesen sein. Auf welchem Planeten Herr Urban lebt, das fragt man sich schon lange nicht mehr.

In einer Zeit, in der seit einigen Jahren der Trend zu Musik in der Heimatsprache und heimischem Stil geht, hält Deutschland an undefinierbarer Musik mit englischem Text fest. Dass die Sieger des ESC auf italienisch gesungen haben, die zweitplatzierte französisch, das wird man bei'm NDR nicht weiter beachten. Lieber wieder ein weichgespülter Auftritt, den man nur mit Jendriks eigenen Worten kommentieren kann:

"I don't feel hate - I just feel sorry." 

Freitag, 21. Mai 2021

...Gummibärchen?


Drollig, in der Sechs D hat sich ein running gag eingeschlichen. Ich hatte in meiner Schultasche noch so eine Minitüte Gummibärchen - muss von den Abschlussprüfungen übrig geblieben sein. Also habe ganz rändömpömpöm mitten in der Englischstunde gefragt "Möchte jemand Gummibärchen?" - es hat eine Sekunde gedauert, um die Botschaft zu verarbeiten, aber dann sind die Finger in die Höhe gegangen und der Schnellste hat die kleine Tüte bekommen.

Irgendwie fand ich das witzig, und als eine Schülerin meinte "Ich hab' das gar nicht mitbekommen, dass sie das gesagt haben!" ist mir eine Idee durch den Kopf gewabert: Ich nehme einfach jede Stunde eine von diesen Minitüten mit in den Unterricht. Irgendwann zwischendurch frage ich unauffällig "...Gummibärchen?" und dem Ersten werfe ich sie zu. Das dauert exakt vier Sekunden, ist eine Kleinigkeit und hat in den letzten zwei Stunden tatsächlich dazu geführt, dass einige der Schüler besser aufpassen.

Ich höre schon die Unkenrufe bezüglich Vegetarier, unfair, falscher Konzentrationsfokus und Konsorten - aber es geht um acht Gummibärchen. Ein kleiner Spaß zwischendurch von diesem Lehrer mit dem komischen Kopf ;-)

post scriptum: Wie niedlich. "Maggi Fix" muss das K vergessen haben, bei der Aufforderung "50g Käse über den Nudelauflauf geben". Und ja, ich brauche momentan Geschmacksverstärker, ich will irgendwie bis zu den Sommerferien überleben und die sind gut für die Seele or whatever ^^

Donnerstag, 20. Mai 2021

Fast Privatunterricht


Meinen Drei-Schüler-Rekord habe ich heute Nachmittag unterboten, als in der achten und neunten Stunde tatsächlich nur zwei Schüler aus meiner Lerngruppe vor Ort waren. Irgendwie ist das ein surrealer Moment - man geht auf den Klassenraum zu, geht durch die Tür und es sitzt nur eine Schülerin da.

"Hey Frettchen! Die anderen sind wahrscheinlich noch in der Mensa? Oder auf dem Schulhof?"

"Nein, ich bin nur noch übrig und Töwe, der kommt gleich. Nur wir zwei."

Also haben wir quasi Privatunterricht gemacht: Die Schülerin, der Autist, die Schulbegleitung und ich - und wir haben die Gelegenheit genutzt, Englisch zu reden, denn wenn weniger Mitschüler da sind, ist der Gedanke "Ich trau mich nicht, das zu sagen, das ist bestimmt falsch" nicht mehr so stark. Es war tatsächlich total entspannt, und so haben wir uns über das Thema Liebe unterhalten, und die Frage erörtert, ob Liebe auch unheimlich sein kann, ob sie Horror sein kann, oder ob sie einen verletzen kann. 

Dazu haben wir uns eine der besten Folgen Are You Afraid Of The Dark? angeschaut - The Tale of the Dream Girl, in dem es um Johnny und Erica geht, Bruder und Schwester, die die besten Freunde sind, bis Johnny eines Tages in seinem Spind einen mysteriösen Ring findet. Ganz ehrlich, das ist eine tolle Episode, die man wunderbar mit Mittelstuflern schauen kann - nicht zu unheimlich, bisschen romantisch. Sie hat ein wunderbares twist ending, Jahre vor einem Hollywood-Film, der es weltweit bekannt gemacht hat. Wenn Ihr fünfundzwanzig Minuten Zeit habt, dann schaut Euch die Geschichte unten an.

Ich war jedenfalls total überrascht, wie gut sowohl Schülerin als auch Autist Zugang zu der Story gefunden haben, wir haben zwischendurch überlegt, wie es wohl weitergehen könnte, versucht, Erklärungen zu finden - eine der schönsten Englischstunden dieser Woche. Nice!

Und hier könnt Ihr Euch The Tale of the Dream Girl ansehen:



Dienstag, 18. Mai 2021

Spannende Schüler - die andere Variante


vorweg: Irre - Impf-Fieber kommt wie der Blitz und geht wie der Blitz - back to school tomorrow!

Normalerweise meine ich mit spannenden Schülern verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche, auf die ich während des Unterrichts ein genaueres Auge werfe, um das Verhalten zu beobachten; eben jene Beobachtungen nehme ich dann zuhause mit in die Meditation, um die Kiddies zu verstehen.

An meinen sieben Schulen habe ich aber auch Jugendliche unterrichtet, die auf eine andere Art spannend waren - nicht wegen ihres Verhaltens, sondern wegen ihrer Herkunft, beziehungsweise ihres Umfelds. Ich nenne sie jetzt einfach Elitekinder, wobei darin keinerlei Wertung stecken soll - es wird einfach nur beschrieben, dass es sich um Kinder von bekannten und släsch oder einflussreichen Menschen handelt. Man findet solche Kinder zum Beispiel im Internat Louisenlund - dort habe ich aber nur einen Modultag erlebt, deswegen habe ich keine ausreichende Expertise dazu.

Man findet sie aber auch an der Kieler Gelehrtenschule - vielen "wichtigen" Menschen liegt es am Herzen, dass ihre Kinder eine anspruchsvolle Ausbildung bekommen, und die wird an der KGS geboten (ist das nicht toll? Ich kann auch über ehemalige Schulen reden, ohne negative Worte zu verlieren, selbst wenn es Gelegenheit dazu gäbe. Hm. Und genau mit diesem Einschub ist das auch schon wieder zunichte gemacht). 

Da sitzt dann vor mir im Unterricht zum Beispiel der Sohn des Geschäftsführers eines Architekturbüros, oder der Sohn einer Kieler Richterin - ich merke das nie, denn diese Kinder sehen oft ganz normal aus und verhalten sich ganz normal. Sicher, es kann auch mal vorkommen, dass der Sohnemann mit frisch gebügeltem Hemd und Fliege in der Schule erscheint. Sicher, es kann durchaus sein, dass Töchterlein ihren "wichtigen" Hintergrund deutlich nach außen trägt. Aber man kann keine "Checkliste" für diese spannenden Schüler erstellen, im Gegensatz zu meinen HB- oder Aspi-Checklisten.

Manchmal kann es sogar vorkommen, und das würde die olle Areté ganz besonders freuen, dass man den Sohn des Geschäftsführers eines in der Freizeitparkbranche weltweit bekannten Unternehmens wie der HUSS Maschinenfabrik unterrichtet. Das sind die, die zum Beispiel die Fahrgeschäfte Enterprise, UFO und Fly Away erdacht haben (da habt Ihr vielleicht auch schon einmal drin gesessen). Für einen von Gravitation faszinierten Freizeitparkjunkie kann es gar nicht passender sein. Areté klatscht. 

Und diesen Sohn hat man dann ausgerechnet an der Nordseeschule in St.Peter-Ording unterrichtet. Klar, dass dort spannende Schüler des ersten Typs unterrichtet werden, habe ich hier schon häufig breitgetreten, aber dank des angebundenen Internats findet man in SPO mitunter auch spannende Schüler des zweiten Typs.

Aber was macht sie spannend, abgesehen von dem Bekanntheitsgrad ihres Elternhauses? Genaugenommen nur die Frage in meinem Kopf, ob sie wohl ganz "normale" Jugendliche wie andere auch sind. Ob die Pubertät sie genauso trifft wie die Mitschüler. Meistens sind sie eben doch in erster Linie eines: Teenager. Nicht berühmt, populär oder gar "wichtig", sondern einfach junge Menschen mit ihren eigenen Problemen.

Egal, wie teuer ihr Pausenbrot sein mag.

post scriptum an ANNIE KAY: Patrizia, ich antworte Dir, definitiv! Nur momentan kriege ich den Kopf dafür nicht hin. Keine Sorge, Vic, ich habe Dich nicht vergessen, und Du bekommst auf jeden Fall eine Mail, Klaus!

Montag, 17. Mai 2021

...und platsch.

Die Geiseln des Erbsenmörders - jetzt hat er sie an Stangen gefesselt...

Pieks... und platsch. Herr Leinhos hat mich vollkommen zu Recht daran erinnert, dass es einen Unterschied gibt zwischen einer Nebenwirkung und einer Impfreaktion. Letztere hat mich jetzt vollkommen erwischt, mit Fieber und dem Gefühl, dass der Kopf brennt. Klar, das ist nicht ungewöhnlich, und es ist ein gutes Zeichen, dass der Körper eine Immunreaktion zeigt. Ekelhaft fühlt es sich trotzdem an, ich fließe zwischen Bett und Couch hin und her und lasse mich mit Fringe berieseln - eines der vielen easter eggs der Serie sorgt für Ablenkung: Immer vor der Werbeunterbrechung wird ein Symbol eingeblendet. Mit dem richtigen Decoder ergibt das in jeder Episode ein Wort, das für den jeweiligen Plot relevant ist. Spielkram, aber zeigt, dass sich jemand viel Mühe mit der Serie gemacht hat. Der Aspi mag sowas.

Ich schaue heute nur einmal kurz aus dem Fenster, sehe Regengrau, der Anblick lohnt sich nicht, zum Abendessen gibt es Dosensuppe und Ibuprofen. Immerhin eine sinnvolle Sache habe ich heute geschafft - Erbsechore und ihre Schwestern haben endlich ihre Rankstäbe bekommen. Ich hätte das total vergessen; schön, wenn man eine Mutter hat, gegen die Demeter einpacken kann. 

Kleines Lächeln heute: Ein nettes Corona-Schreiben aus dem Ministerium weist uns darauf hin, dass es vorkommen kann, dass nun Ärzte aller Orientierung auf Lehrer zugehen zwecks Impfung. Das sei eine gute Sache, man möge aber doch ein wenig darauf achten, die Termine so zu legen, dass es aufgrund von Impfreaktionen nicht zu Häufungen von Unterrichtsausfällen kommt. Lächeln aus zwei Gründen - zum einen wegen des perfekten Timings des Schreibens, zum anderen lese ich aus dem Schreiben, dass der Unterricht möglichst nicht ausfallen soll. Angesichts des unmittelbaren Zusammenbruchs des Online-Impftermin-Systems sollte jeder Lehrer froh sein, überhaupt irgendwie geimpft werden zu können. 

Für diesen Aspi ist das alles zu chaotisch, zu unvorhersehbar, der absolute Horror da draußen. Ziel: Überleben, Unterricht ohne Kollateralschäden geben. Und jetzt? Mit Fencheltee zurück in's Bett.

Sonntag, 16. Mai 2021

Pieks


Der erste Pieks ist getan, der erste Impfstoff in meinem Körper, Biontech/Pfizer. Jetzt ist Daumendrücken angesagt, dass das Ganze ohne Nebenwirkungen abgehakt ist. Irgendwie ist es faszinierend, wie schnell das gehen kann, nachdem das Anmelden vorher so ein Aufwand war, und nachdem tonnenweise Papierkram ausgedruckt werden musste. Große Ankündigung, dass der gesamte Impftermin etwa fünfundvierzig Minuten dauern werde.

Impfzentrum Gettorf, ganz toll, wenn die Ausschilderung etwas Anderes sagt als Google Maps, Auto parken, seelisch auf einen langen Termin einstellen, J.G.Ballards Crash liegt als Lektüre parat, bisschen was Unkonventionelles zur Ablenkung. Temperaturscan, Papierstapel abgeben, direkt durch zum Aufklärungsgespräch durch den Arzt: Ich kläre den Arzt darüber auf, dass es immer noch Schulen gibt, an denen Latein ab der fünften und Griechisch ab der siebten Klasse unterrichtet wird. Daraufhin werde ich an die Schwester weiterverwiesen, es piekst, fünfzehn Minuten mit den anderen Patienten warten, bis eine sehr intensive Stimme mich aufruft, bis zum nächsten Mal, dort geht es zum Parkplatz raus. Gesamtdauer zwanzig Minuten. Buch? Ungelesen.

Jetzt noch irgendwie damit klarkommen, dass Iserv mal wieder nicht funktioniert, etwas ungünstig für diverse Dinge, die heute Abend erledigt werden sollten. Bratkartoffeln, Bett. Zweite Junihälfte dann noch einmal.

Freitag, 14. Mai 2021

Psychologische Supernova


Wenn ein Stern unter dem Gewicht der Elemente zusammenbricht, die er selbst produziert, also quasi kollabiert, kommt es zu einer Supernova. Genau so fühlt es sich an, wenn der HB-Aspi realisiert, dass er eine Panikattacke bekommt, weil zu viele neue Informationen auf einmal auf ihn eindringen. Diese einzelnen Gedanken werden plötzlich immer mehr und mehr, bis es zum großen Knall kommt und mein Gehirn dichtmacht.

Auslöser kann eine einzige Information sein, wie zum Beispiel ein unerwarteter Anruf: "Eine deiner Schülerinnen hat sich mit dem Coronavirus infiziert." Dann geht das Denken los. Wann ruft das Gesundheitsamt an? Wo sind die Sitzpläne? Warum habe ich die nicht an die Schule geschickt? Wo sind meine Testkits, ich mache einen Selbsttest. Habe ich die Schülerin überhaupt im Unterricht einmal gesehen? Wechselgruppen? Wie groß war der Abstand zwischen uns? Waren die Fenster geöffnet? 

Den Fragen folgen weitere, es wird immer chaotischer, bis mein Gehirn einfach abschaltet - nichts geht mehr. Der gesamte Tagesablauf bricht zusammen. Ich suche reflexartig nach ritualisierten Abläufen, um mich runterzufahren - zum Beispiel Bad und Meditation. Das funktioniert dann auch. Aber es ist ein Schema, das ich seit so vielen Jahren kenne, und ich frage mich hin und wieder, warum mir nie in den Kopf gekommen ist, es könnte sich um eine geistige Behinderung handeln.

Mittlerweile weiß ich natürlich, warum ich nie auf die Idee gekommen bin. Aber von Panikattacke zu Panikattacke wird es immer offensichtlicher, es schreit mich geradezu an: "AUTIST!" Wird Zeit, mir einen schriftlichen Notfallplan für solche Situationen zu erstellen.

post scriptum: Liebe Eltern, es ist alles okay. Das bedeutet nur, dass ich mal wieder keine Mails lese, geschweige denn beantworte, bis ich meinen Kopf wieder aufgeräumt habe.

Donnerstag, 13. Mai 2021

13-05-2021 - Die Entdeckung

Wer erinnert sich noch an dieses Bild?

"Wäsche-LEINEN LOS!!!"

Als wir damals zu den donnernden Worten des Käpt'ns in See stachen, hatten wir bestes Wetter, doch heute ist der Himmel handtuchverhangen. Überall sieht man Socken und Unterwäsche, so dass man kaum noch einen Blick auf die See erhaschen kann. Aber wir bleiben tapfer!

"Blick nach links!" - "Volle Biotüten!"

"Blick nach rechts!" - "Gefüllte Schreddereimer!"

Seit Monaten - oder sind es mittlerweile Jahre? - sind wir unterwegs auf unserer Entdeckungsreise. Der Käpt'n hat uns bis heute nicht gesagt, wo es hingehen soll, aber schließlich sind wir nur Arbeiter auf dieser Expedition, wir sollen Aufgaben ausführen, nicht Pläne hinterfragen. Ich bin seit Stunden damit beschäftigt, die Schweißausbrüche des Käpt'n aufzufangen; was soll ich auch sonst machen? Ich bin nur ein unbedeutendes Kopftuch. Schwerer hat es da der Rest der Crew - der erste Maat Pappkarton ist unter der Belastung des Papiermülls zusammengebrochen, und ich frage mich, ob den Planern der Exkursion nicht vorher klar war, dass wir undurchquerbare Papierberge durchdringen müssten? Und das war noch, bevor die Isla Kochtopfa ohne eine Vorwarnung auf der See erschienen ist und seither wie ein Bollwerk auf unserer Reiseroute wirkt. 

Auch der Unteroffizier Gelber Sack ist mittlerweile total grün angelaufen; er steht kurz vor dem Brechen. Wir wissen gar nicht, wohin mit den ganzen Kollateralschäden, die wir auf der Suche nach was auch immer verursachen. Und das Einzige, was der Käpt'n uns immer wieder sagt: "Wir haben diese Reise monatelang vor uns hergeschoben. Jetzt hilft kein Jammern mehr, da müssen wir durch. Seid tapfer, Leute, wir befinden uns auf der Suche nach dem Paradies! Ich kann es euch nicht beweisen, dass es dieses Paradies wirklich gibt. Alle Zeitzeugen, die gesamte Generation, die einen Blick dieses Landes erhaschen durfte, weilt mittlerweile nicht mehr unter uns. Wir können uns nur auf ihre Berichte verlassen und hoffen, dass unsere Suche nicht umsonst sein wird."

Das war vor einer Ewigkeit, in der wir bisher nichts entdeckt haben. Unter all' dem Papier, das wir durchquert haben, fanden wir nur noch mehr Papier. Backbord Arbeitsverträge aus einem anderen Zeitalter, Steuerbord Steuerunterlagen, und unter dem Ganzen eine dicke Schicht Klassenarbeiten. Dabei haben wir mittlerweile schon mehrere Meter Bonbontüten, Shampooflaschen und und Räucherstäbchenasche vernichtet. Unsere letzte Hoffnung ist der neue Seemann an Bord, Lieutenant Staubsauger, der sich mit seinem tiefen Atem einen gewissen Ruf erarbeitet hat. Wird er uns helfen können, das Paradies zu finden? 

Die ganze Crew steht auf dem Deck, an die Reling gelehnt, und schaut dem Neuen bei der Arbeit zu. Wie ein Wirbelwind arbeitet er sich durch Pizzareste, Käsekrümel und ganze Heere von Staubmäusen - wir haben so etwas zuvor noch nie gesehen, und tatsächlich dauert es nur noch wenige Stunden und Beuteltransplantationen, bis der Mann im Ausguck aus vollem Halse brüllt: "Hoooooooooolz in Sicht! HOOOOOOOOOOOLZ!!!!" Und so können wir endlich einen bedeutenden Moment in unserem Logbuch festhalten:

13-05-2021 - Die Entdeckung des Fußbodens

Doch für mich ist es eine bittersüße Entdeckung, denn mir ist bewusst, dass der Käpt'n mich nun nicht mehr brauchen wird. Er wird mich in's Badreich verbannen, wo ich vom Mahlstrom der gnadenlosen Herrscherin durchgespült werde. Das hat noch niemand überlebt. Aber mein Glaube ist stark: Ich weiß, ich werde wiedergeboren werden - anders, reifer, sauberer - als Geschirrtuch. Möge das Waschmittel sich meiner erbarmen!

post scriptum: Irgendwie scheint sich das zu einem running gag zu entwickeln, dass Aufräumanfälle mit einem Blogbeitrag bedacht werden. Hauptsache, Ihr seid gut unterhalten ;-)

Mittwoch, 12. Mai 2021

Takes one to know one


vorweg: Manchmal gibt es auch positive Gründe für Funkstille im Blog - zum Beispiel weil der Kopf ununterbrochen an interessante Dinge denkt:

Andrea Brackmann hat wieder zugeschlagen. Ihr Buch Jenseits der Norm - hochbegabt und hoch sensibel (2005), das Zweitausendachtzehn bereits in der zehnten Auflage erhältlich war, steht immer in doppelter Ausführung in meinem Bücherregal. Lieber doppelt, denn ich leihe es gern an Menschen aus, die es betreffen könnte, und da ich quasi ein Geigerzähler für Hochbegabung bin (zumindest habe ich eine hohe Trefferquote), kommt das öfters vor (herrje, das klingt angeberisch, typisch Aspi). 

Derzeit bei einem Schüler und, in der gleichen Klasse, bei einer Schulbegleitung. Ich finde das irgendwie drollig, weil Frau Gelbdrücker mich extrem an Frau Scheißdrauf erinnert - die hochbegabte Schulbegleitung damals in Neumünster-Brachenfeld (und ich finde sie beide toll). Brackmanns Buch kann man gern als eye opener bezeichnen, und es klärt nicht nur den betroffenen Schüler auf, sondern auch die ganze Familie, denn die Hochbegabung ist erblich; man lernt auf einmal sehr viel über die eigenen Eltern und Großeltern - und Geschwister, nicht wahr, die große Buba?

Ich habe immer wieder betont, dass ich mich an Gemeinschaftsschulen wohler fühle als an Gymnasien (weil die Schulgemeinschaft oft authentischer ist); nun kommt noch dazu, dass ich an den GemSen wesentlich mehr Positives bewirken kann, denn nicht wenige verhaltensauffällige Schüler, die aufgrund ihrer "Schrägheit" nicht an einem Gymnasium ankommen, stellen sich als hochbegabte Underachiever heraus. 

Takes one to know one bedeutet, dass ich als HB-Aspi es leichter habe, meinesgleichen unter den Schülern zu erkennen - und das ist an meinen bisherigen GemSen wesentlich häufiger passiert als an den Gymnasien. Dort sind die hochbegabten Kinder meistens schon "erkannt" (wobei es faszinierend sein kann, dass auch an Elitegymnasien Hochbegabung bis in die Oberstufe nicht als solche erkannt werden kann; eine Familie aus Holzdorf kann davon ein Lied singen) - und für mein "Talent" gibt es kaum noch Bedarf.

Irgendwann möchte ich endlich mal Radi an der Uni besuchen und ihm dafür danken, dass er das in mir erkannt hat (das Talent, mit Menschen zu arbeiten), denn ich hatte zeitweise auch mit einer akademischen Laufbahn geliebäugelt.

Viele liebe Grüße an Alex, Inka und Anne!

Samstag, 8. Mai 2021

C U 2n8!


Wie es scheint, sind es der Beiträge drei. Da Samstag generell weniger Leser den Blog besuchen, hebe ich den mir persönlich wichtigsten Beitrag für morgen auf, heute gibt es eine Sache, die aber auch nicht ganz unwichtig ist, denn da blockiert mein Kopf - vor versammelter Klasse.

Das Englisch-Lehrwerk Orange Line 2 für die Klassenstufe Sechs bringt den Schülern in den hinteren Units als Pflichtvokabular folgende Phänomene aus dem Universum des short message service bei:

TTYL - Talk to you later - Ich spreche dich später!

LOL - Laugh out loud - laut lachen

Das lässt mich auf verschiedenste Weise nachdenken.

Ich finde es tatsächlich ganz sinnvoll, dass die Kiddies mal lernen, was die Dinge eigentlich bedeuten, die sie da in ihre Kurznachrichten tippen. Sprache entwickelt sich immer weiter, und gerade die Schulbücher der modernen Sprachen müssen dem Rechnung tragen.

Dann allerdings soll ich den Schülern beibringen, dass C U 2n8! "See you tonight!" heißen soll, und da gehen bei mir die Lichter aus. Okay, ganz unbekannt ist die Formulierung mit der Acht nicht - im Deutschen gibt es den Ausdruck gn8 für "Gute Nacht", das kann ich nachvollziehen. Aber im Englischen funktioniert das nicht:

Die Aussprache von "See you tonight" ist /si ju tunait/. Die Aussprache von "C U 2n8" ist /si ju tuneit/, denn die englische Acht heißt eight und nicht aight. Das macht mich ganz kirre - habe ich da etwas falsch gemacht? Oder ist das einfach mal wieder ein Fall von unlogischer Sprache? Ich musste das im Unterricht vor der Klasse direkt thematisieren, denn wenn ich eines nicht vertrage, dann, den Schülern bewusst falsche Sachen beizubringen. Vor allem gibt es ja eine korrekte und tatsächlich verwendete Kurzschriftvariante von "See you tonight", und die heißt C U 2nite

Bin das nur ich, oder habt Ihr auch schonmal an Eurem Schulbuch zu knabbern gehabt? Betrifft ja nicht nur Englisch, sondern alle Sprachen (und gewissermaßen jedes Schulbuch an sich).

Ich freue mich auf Eure Eindrücke!

Freitag, 7. Mai 2021

Inhale - Exhale


Zwei Beiträge schweben, ach, in meinem Kopf! Heute gibt es diesen:

Rituale zu Stundenbeginn - fand ich anfangs irgendwie gezwungen und konnte nicht verstehen, warum man so etwas macht. Erst recht nicht dieses monotone Aufstehen, GOOOOOOOD MOOOOOOOOOOORNING MISTER HILARIUS, Hinsetzen. Mittlerweile bin ich ein wenig klüger geworden - ja, es lohnt sich durchaus, hin und wieder auf andere Menschen zu hören.

Ein kleines Ritual zu Stundenbeginn kann gerade in der Orientierungsstufe helfen, die Kinder aus der Pausenstimmung herauszuholen und für den Unterricht vorzubereiten. Es gibt da unterschiedlichste Methoden, in Englisch zum Beispiel den five minute teacher, bei dem ein Schüler die ersten Aufgaben des Lehrers übernimmt (Klasse begrüßen, Anwesenheit prüfen usw.). Man kann es auch so machen, dass alle sich hinstellen, warten, bis es ruhig ist, dann ein "Good morning" und setzen, und dann darf ein Schüler "Los!" sagen und für sechzig Sekunden sollen alle ganz still bleiben.

Ich muss zugeben, ich fand es sehr schön, dass an der Toni solche Unterrichtsrituale noch gemacht werden, und habe erstmal versucht, mich mit den vorhandenen Ritualen anzufreunden und sie zu übernehmen.

So weit, so gut. Aber jetzt ist wieder diese Phase, in der meine berufliche Zukunft in der Schwebe ist. Ich weiß nicht, wie es weitergeht, wenngleich ich mir bewusst bin, dass alle Beteiligten es irgendwie schön fänden, wenn ich bleiben kann. Das lässt mich an meine allererste Schule zurückdenken: Viele neue ungewöhnliche Ideen, alles einmal ausprobieren. Eine Sache habe ich dort gemacht, die ich - auch wenn das Schuljahr dem Ende zugeht - in meine Englischstunden einbringen möchte. Etwas, mit dem ich mich identifizieren kann, denn wenn ich etwas von einem Kollegen übernehme, fühlt es sich nicht an wie "mein" Unterricht.

Also stehen wir zu Stundenbeginn alle auf. "Close your eyes. Left hand: Inhale." Alle heben den linken Arm hoch, während sie tief einatmen. Kurze Pause. "Exhale." Alle senken den Arm, formen eine betende Hand dort, wo sie ihren Solarplexus vermuten. "Right hand: Inhale." dasselbe vollzieht sich mit dem zweiten Arm, so dass schließlich zwei betende Hände ohne Berührung voreinander auf Höhe des Solarplexus gehalten werden. "Open your eyes. Sit down."

Natürlich ist das ein bisschen esoterisch - aber ich habe die Schüler damals gefragt, ob sie das albern finden; dem war nicht so, und deswegen ist dieses Begrüßungsritual auch in meine Englisch-Examensstunde eingegangen. Auch über acht Jahre später finde ich dieses Ritual noch sinnvoll (warum auch immer), und deswegen werde ich es jetzt an die Toni mitnehmen. Damit ich mir endlich "meinen Platz" dort schaffen kann (und der Zen-Garten für den Arbeitsplatz im Stützpunkt ist bereits bestellt).

An der Berufsschule hätte sowas natürlich keinen Platz gehabt. Zu albern.

Donnerstag, 6. Mai 2021

Der Aha-Moment


Worüber schreibe ich heute?

Ich könnte darüber schreiben, dass ich derzeit den Arsch voll Arbeit habe, dass mein Kopf seit Anfang der Woche nur noch auf Schule eingestellt ist, oszillierend zwischen Schülertests, Impfterminen, VERA, Notensticks und der Erforschung spannender Schüler, und dass alles Andere momentan warten muss - Nachrichten auf dem AB, Mails etc.

Ich könnte darüber schreiben, wie ich heute versucht habe, einen Impftermin zu bekommen, und dass zwanzig Minuten nach Öffnung der Online-Warteschlange noch vierhundertsiebenundneunzigtausend Teilnehmer vor mir warteten, und dass zehn Minuten später alle Termine bereits vergeben waren - wobei ich eh' nicht geglaubt hatte, dass ich heute einen Impftermin bekommen würde.

Darüber schreibe ich aber nicht, sondern ausgerechnet über eine Vertretungsstunde heute, und dabei war die noch nicht einmal besonders kreativ, aber sie hat mir einen ganz bestimmten Moment vor Augen geführt, den ich total toll finde. Klasse Sieben, mittlerer Englischkurs (äußere Differenzierung), kleine Vorstellungsrunde, What's your name, how old are you, tell me about your hobbies, in einem Wechselunterrichtskurs mit sechs Schülern.

Bei der Vorstellungsrunde bekam ich den Eindruck, dass die jungen Leute kein Problem damit haben, Englisch zu sprechen - also habe ich eine Black Story ausgepackt. Ich hab' ein bisschen gestaunt; niemand von ihnen wusste, was eine BS ist, und so habe ich ihnen das Prinzip erklärt und ihnen eine schöne Geschichte auf Englisch serviert. Ich finde das für eine Vertretungsstunde sehr sinnvoll - die Schüler wiederholen, wie man auf Englisch Fragen stellt, im Präsens und Präteritum, sie müssen irgendwie ihre Gedanken versprachlichen, das ist super.

Die besten BS sind total abgefahren und haben Herleitungen zu den jeweiligen Situationen, auf die man von selbst kaum kommen kann (zum Beispiel die Frau, die sich nach Genuss eines Leguansteaks erschießt, oder der Mann, der mit dem Fahrstuhl in den zehnten Stock fährt, dann die Treppen bis zu seiner Wohnung im zwanzigsten Stock nimmt, seine Wohnung betritt und sich dann aus dem Fenster stürzt). Deswegen habe ich kein schlechtes Gewissen, wenn ich den Schülern dabei helfe, indem ich ihnen Tipps gebe, was sie vielleicht herausfinden sollten.

Früher habe ich das anders gemacht - völlig ohne Tipps, und wenn sie am Ende die Lösung nicht hatten, habe ich ihnen die Geschichte komplett erzählt. Ich fand das sinnvoll - aber in hindsight war das blöd. Es ist viel toller, wenn die Schüler selbst auf die Lösung kommen. Klar, dazu muss ich Tipps geben, dazu muss ich ein wenig steuern. Aber die wichtigsten Erkenntnisse und die Lösung, darauf sollen die Schüler dann selbst kommen - denn dieser Aha-Moment, dieses Leuchten in den Augen, als die Schülerin mir heute die richtige Erklärung gegeben hat, das ist Gold wert. 

Wenn am Ende der Stunde die Schüler erzählen "Joah, wir haben eine Black Story gemacht, die war total abgedreht, haben wir nicht herausgefunden", dann ist das eine Sache. Wenn die Schüler am Ende aber das Gefühl haben, dass wir alle zusammen ein schwieriges Rätsel gelöst haben, und dass die entscheidenden Hinweise von ihnen selbst kamen, dann ist das Gold, dann ist das etwas, was man mit nach Hause nimmt.

Lehrer-nerdig. Aber ich mag dieses Aha-Leuchten!

Samstag, 1. Mai 2021

Videospiele und Schule


Hallo, Frau Mutter!

Ich habe Ihrem Sohn das Videospiel "The Talos Principle" vorgeschlagen. Das ist - unter Erwachsenen gesprochen - ein kleiner Versuch. 

Ich selbst bin damals fast im gleichen Alter wie Ihr Sohn von einem Rätselspiel gefesselt worden; ich war fasziniert von der unbekannten Welt, die mir da präsentiert wird, von den Klängen und der Musik. Ich mochte es, dass dort kein Stress herrscht und, das war mir damals noch nicht so bewusst, dass alle Aufgaben und Rätsel einem logischen Prinzip unterliegen. Alle Rätsel sind - teils mit sehr langer Nachdenkzeit - logisch lösbar. Ich konnte mich stundenlang in diesen Welten aufhalten und einfach nur nachdenken, das war für mich absolut wunderbar - das, was man in der Psychologie "Flow-Erleben" nennt: Genau in der Balance zwischen Über- und Unterforderung, der Kopf hat Einiges zu tun, wird dabei aber nicht gehetzt. Ihr Sohn ist in einer der letzten Stunden zu mir gekommen und meinte, dass die Englischaufgaben zuhause alle klappen, aber in der Klassenarbeit geht dann mal etwas schief - und das glaube ich ihm sofort, denn ich kenne das von mir selbst. 

So wie ich einen Zugang zu meinem intellektuellen Potential über ein Computerspiel gefunden habe - damals war es "Myst" - so könnten wir vielleicht auch zum Kopf Ihres Sohnes einen Schlüssel über die Videospiele finden - etwas, das er mag, wo er "frei" sein kann, nicht unter Druck, und intellektuell hoch gefordert wird, ohne dass er es merkt. Solche Spiele gibt es für alle Altersstufen; für Jugendliche sind sie mit einer interessanten Storyline versehen, für Erwachsene sind sie etwas abstrakter / philosophischer. Ich kenne zum Glück mittlerweile eine ganze Reihe dieser Spiele, und die Digitalisierung der Welt schreitet immer weiter voran, so dass ich als Lehrer mittlerweile aus Überzeugung Videospiele empfehlen kann. Ich finde es faszinierend, dass vielleicht ausgerechnet Videospiele ein pädagogisch-psychologisch wertvolles Mittel sein könnten (in den USA werden sie noch immer von vielen Republikanern verdammt, weil sie die Kinder angeblich gewaltbereiter machten, und auch hierzulande hat man ihnen lange Zeit vorgeworfen, den Kopf zu verdummen).

Ich schreibe Ihnen, weil ich gerade selbst wieder ein neues Spiel gefunden habe, das mich zum Nachdenken gebracht hat. Deswegen empfehle ich "The Talos Principle" quasi als Wünschelrute für eine mögliche Hochbegabung Ihres Sohnes.

Herzliche Grüße,

Dr Hilarius

post scriptum: Ein Hinweis noch - helfen Sie Ihrem Sohn nicht bei dem Spiel, und überzeugen Sie ihn, auf keinen Fall im Internet nach der Lösung bestimmter Rätsel zu suchen. Er wird sich an einigen Stellen das Hirn zermartern, vielleicht sogar sehr lange, aber das könnte eine wichtige neue Erfahrung sein: Das Videospiel nach einer Weile Denkzeit zu beenden, ohne dass ein Fortschritt erzielt wurde. Vielleicht kann er auf diese Weise auch üben, mit einem neuen Blick an Aufgaben heranzugehen, die ihm bisher unlösbar schienen.