Samstag, 18. April 2020

Visuelles Denken


Vor einer Weile hatte ich einen Beitrag über Synästhesie geschrieben - das Vermischen der Wahrnehmungen unterschiedlicher Sinne (Ich hör' nur Bahnhof). Ich hatte das Phänomen geschildert, dass ich bei'm Anhören bestimmter Musikstücke konkrete Orte vor meinem geistigen Auge sehe. Dabei handelt es sich nicht um ambient music, die ja oft konkrete Orte suggeriert, sondern um abstrakte Musikstücke. Zu Martin Nonstatics Granite sehe ich zum Beispiel vor meinem geistigen Auge zwei U-Bahnhöfe Berlins, Rathaus Spandau (oben) und Bundestag, und ich sehe bei bestimmten Klängen, wie die U-Bahn über die Gleise rauscht. Ich wusste nicht, woher das kommt - ob es vielleicht etwas mit Hochbegabung zu tun hat? Ich habe einen HB-Freund gefragt, der allerdings konnte keine ähnlichen Erfahrungen machen.

Dieser Tage lese ich dann, dass Synästhesie bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom auftauchen kann - das kommt zwar wohl selten vor, was aber ein Großteil der Aspis gemein hat ist eine starke Ausprägung des visuellen Denkens. Wenn ich an einem Tag etwas Interessantes erlebe, kann ich am Abend die genauen Orte vor meinem geistigen Auge abrufen und den Tag noch einmal detailliert Revue passieren lassen. Menschen allerdings kann ich mir nicht so gut merken - und das scheint wohl ein ganz normales Phänomen bei Aspis zu sein.

Ich habe bei meinem damaligen Synästhesiebeitrag den tag Geisteskrank verwendet, einfach aus Unsicherheit, worauf das wohl zurückzuführen sein konnte. Jetzt würde ich, wie auch bei diesem Beitrag, den tag Asperger setzen. Klar, ich habe noch keine verlässliche Diagnose, aber zur Zeit lese ich ein Buch, in dem ein Aspi-Twen seine Kindheit und Jugend schildert, und es klingt so oft, als würde er da meine Gedanken aufschreiben, ich finde mich fast überall in ihm wieder.

Und das gibt mir Mut, die Asperger-Geschichte weiter zu verfolgen - denn ich habe einfach keinen Nerv mehr, mir Vorwürfe für mein "unpassendes" Verhalten zu machen. Klar, in knapp siebenunddreißig Lebensjahren lernt man viele Strategien, man lernt, was die Menschen hören wollen, und ich bin sehr gut erzogen worden. Dennoch gibt es Bereiche, in denen ich diese Behinderung nicht so einfach kaschieren kann, und ich wüsste einfach gern, dass das okay ist.

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