Dienstag, 7. April 2020

Essen wegwerfen

Darf es vielleicht noch ein bisschen mehr sein?

Habt Ihr schon einmal Essen weggeworfen? Mir ist das leider letzte Woche wieder passiert - eine Brottüte, in der noch zwei Scheiben übrig waren, aber ich habe sie nicht gegessen - so lange, bis dann Schimmel entstanden ist, und dann musste ich die Brotscheiben wegwerfen.

Das geht echt gar nicht. Und was noch weniger geht, ist der Grund, warum es überhaupt zu solchen Situationen kommt: Ich kaufe mehr Essen ein, als ich brauche, und dann entsteht in meinem Kopf eine Prioritätenliste - was esse ich zuerst, was danach? Und nicht selten kommt es vor, dass ich neues Essen einkaufe, bevor ich das "alte" Essen aufgegessen habe. Mich hat das ein bisschen an Supermärkte erinnert, die vollkommen intaktes Essen wegwerfen müssen, weil das MHD abgelaufen ist, oder Restaurants, die nachts Reste in die Tonne kippen. Das sind definitiv first world problems, und noch schlimmer ist, dass ich nur selten so intensiv darüber nachdenke, wie ich es in diesem Beitrag mache. Das Wegwerfen passiert einfach mal beiläufig - während es unzählige Menschen gibt, die derweil hungern müssen. Das Gewissen sollte mich eigentlich gründlich quälen.

Ausgerechnet ein Film hat mich diesmal an die Thematik denken lassen. Der SciFi/Horror-Hybrid El hoyo (Der Schacht, 2019) veranschaulicht die Konsequenzen dieses Handels so deutlich, dass ich überlegt habe, den Film in meinen Schulkanon aufzunehmen - habe mich aber dagegen entschieden, dazu weiter unten mehr.

Ich kann diese sozialkritische Parabel wärmstens empfehlen; wer sie schauen möchte (auf "Netflix" verfügbar), sollte an dieser Stelle vielleicht erstmal nicht weiterlesen.

"Es gibt drei Arten von Menschen: Die darüber, die darunter und die, die fallen."

Goreng wacht in einer Gefängniszelle auf - ein quadratischer Raum, etwas sechs Meter breit, lang und hoch. In der Mitte befindet sich ein großes, quadratisches Loch im Boden und eines oben in der Decke. Goreng ist nicht allein, auf der gegenüberliegenden Seite sitzt ein Mithäftling. Jede Zelle dieses Gefängnisses beherbergt zwei Gefangene. Goreng tritt näher an das Loch im Boden und schaut nach unten: Unter seiner Zelle ist eine weitere, gleich geschnittene Zelle. Und auch der Blick nach oben zeigt eine weitere Zelle. Alle Zellen dieses Gefängnisses sind übereinander gestapelt. Niemand weiß, wie viele es sind, eine große Achtundvierzig an der Wand zeigt die Ebene an. Mitten durch diese Zellen reicht ein gewaltiger Schacht von ganz oben bis...?

Ein lautes Summen, und langsam schwebt aus dem oberen Loch eine quadratische Plattform nach unten. Darauf befinden sich Essensreste; Goreng zögert, während sich sein Mithäftling gierig auf die Essensreste stürzt. Einen Moment später ertönt das laute Geräusch erneut, und die Plattform senkt sich langsam in die Zelle darunter herab.

Die Prämisse ist genial: Für die Verpflegung der Gefangenen wird jeden Tag auf der obersten Ebene ein Festessen zubereitet und auf der Plattform angerichtet, und diese Plattform fährt dann nach und nach durch alle Ebenen; jeder darf essen, soviel er möchte, er darf aber kein Essen bunkern. Die Menge an Essen, das zubereitet wird, richtet sich nach der Anzahl der Gefangenen - wenn jeder nur so viel essen würde, wie er braucht, würde das Essen für alle Ebenen reichen; da aber die Menschen auf den oberen Etagen sich den Bauch vollschlagen, ist die Plattform jedesmal noch vor der sechzigsten Ebene leergefuttert, und niemand weiß, wie viele Menschen darunter hungern müssen.

Das bietet bereits einen Spiegel unserer Gesellschaft, aber dieses Gefängnis hat noch eine weitere Grausamkeit auf Lager: Jeden Monat wird an einem Tag ein Gas in den Schacht geleitet, ein Schlafmittel. Am nächsten Tag erwachen die Gefangenen auf einer völlig anderen Ebene. So kann es sein, dass jemand einen Monat lang auf Ebene Acht schlemmen kann ohne Rücksicht auf Andere, im nächsten Monat erwacht er dann auf Ebene Neunzig und muss die Konsequenzen dieses rücksichtslosen Verhaltens am eigenen Leib spüren. Auch das findet sich in unserer Gesellschaft wieder, und auch hier fehlt uns oft das Bewusstsein für die Menschen auf den anderen "Etagen".

Es ist eine einfache, aber clevere Idee, und bietet Gesprächsstoff zu Themen wie Solidarität, Egoismus, Klassengesellschaft, need versus want und viele mehr. Dennoch sollte ich den Film nicht in der Schule verwenden, denn die Kamera zeigt schonungslos, was dieses grausame System mit den Menschen anstellt - Selbstmord, Mord, Kannibalismus. Der Film hat seine Freigabe ab achtzehn Jahren verdient, und der subtile Humor schafft es nicht immer, die düstere Atmosphäre leichter erträglich zu machen. Immerhin wird die Gewalt nie als Selbstzweck dargestellt, sondern ergibt sich aus der Not heraus.

Die surreale Story erinnert an den Film Cube (1997), ebenfalls ein minimalistischer SciFi-Film mit großer Wirkung, weitreichenden Implikationen und einer Schlussszene, die ein toller Ausgangspunkt für intensive Gespräche sein kann.

Ich habe mich durch den Film daran erinnert gefühlt, dass ich eben auch manchmal mehr Essen einkaufe, als ich überhaupt brauche, und dass das dann notfalls weggeworfen werden muss. Damit bin ich nicht besser als die Menschen auf den oberen Ebenen des Schachts, und es bleibt nur zu hoffen, dass ich nicht irgendwann selbst gänzlich ohne Mittel auskommen muss.


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