Montag, 20. April 2020

Eingeschränkte Interessen


"Was für Musik hören sie eigentlich so? Lassen sie mich raten: Heavy Metal?"

Die Frage kommt früher oder später an jeder Schule, und meistens auch mit diesem Musikvorschlag. Und obwohl mir bewusst ist, dass viele der Schüler noch zu jung sind, um sämtliche Musikgenres inklusive der diversen Ausprägungen im Bereich "Metal" zu kennen, antworte ich jedesmal ganz ehrlich "Nein". Und mehr nicht. Erst, wenn der Schüler dann tatsächlich fragt, was für Musik ich stattdessen höre, gebe ich ihm eine Auflistung, in der sich gothic metal, doom metal, downtempo, ambient, electronic, industrial, goa, psytrance, aggrotech, pop, neoclassical und weitere wiederfinden. Dass ein Schüler mit so einer langen Auflistung überfordert sein könnte, realisiere ich nicht - bzw. erst jetzt, nachdem sich diese Frage immer wiederholt.

Aus einer solch' vielfältigen Aufzählung könnte eine Psychiaterin nun heraushören, dass ich "vielseitig interessiert" bin. Das könnte ich sogar fast verstehen - wenn ich davon ausginge, dass die Psychiaterin nicht bedenkt, dass sie es möglicherweise mit einem Aspi zu tun hat, der Wörter gern sehr wörtlich und sehr genau nimmt. Sie hat gefragt, was für Musik ich höre, nicht welche Musik mich interessiert, und das ist für mich ein großer Unterschied.

Hören bedeutet für mich, wenn Musik zufälligerweise läuft, zum Beispiel im Bus, im Supermarkt, auf dem Schulhof oder wo auch immer, dass ich gern zuhöre und nicht genervt weggehe.

Interesse bedeutet für mich, dass ich, wenn ich Lust auf Musik habe, ganz explizit sage "Diese Art von Musik würde ich jetzt gern hören." Im Studium waren das zunächst Ausprägungen von Metal, dann elektronische Musik aus der Schwarzen Szene. Nacheinander - nicht gleichzeitig. Denn zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich immer nur ein sehr eingeschränktes Interessengebiet in Sachen Musik (wie auch in anderen Bereichen - tolle Filme schaue ich sehr gern, aber von mir aus suche ich meistens nur nach Horror oder Science Fiction).

Anfang des Studiums habe ich also Metal gehört - und fast nichts Anderes. In der zweiten Hälfte bin ich bei der elektronischen Musik gelandet - und ich hatte zwar eine ganze Reihe Metal-Alben in meinem Regal stehen, die waren dann aber "out" und sind gemütlich eingestaubt. Und heutzutage bin ich also beim Downtempo mit seinen diversen Formen gelandet. Mittlerweile ist auch die Schwarze Szene-Musik für mich nur noch marginal relevant.

Das ist typisch für Autisten, selbst für Aspis (die meist nur milde Autismus-Symptome zeigen): Eingeschränkte Interessen, die sich durchaus ablösen können, aber der Blick bleibt immer wie durch Scheuklappen auf ein enges Interesse beschränkt.

Wie ich heute darauf komme? Ich habe eben im Supermarkt den Song New Age von Marlon Roudette gehört. Fand ich schön, fand ich damals, als er rausgekommen ist, schon schön - aber ich würde nie sagen "Also jetzt hätte ich Lust, Marlon Roudette zu hören!" - wenn im Radio ABBA laufen, finde ich das wunderbar, aber die CDs hier in meiner Wohnung waren schon seit Jahren nicht mehr im Player.

Ich habe im Studium öfters in Gesprächen den Satz zu hören bekommen "Bei dir geht es immer nur um ein Thema", egal ob es jetzt Achterbahnen, Medikamente, Hochbegabung, Autismus oder einfach nur mein Leben war (im Gegensatz zu den Anderen, an die ich oft nicht dachte und nicht denke). Meine Reaktion darauf war, das Reden einfach so weit wie möglich einzustellen. Einfach gar nichts mehr sagen, dann ecke ich nicht an (dachte ich).

Wie es zum Denken in diesen Extremen kommt, darum soll es in einem der nächsten Beiträge gehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen