Damals, SoSoFaFe... |
vorweg: Langsam kommen mehrere Einträge in diesem Blog zusammen über Menschen, die meinem Leben einen ernsthaften Denkimpuls verpasst haben. Viele sind das nicht, weil mir irgendwie immer egal war, was Andere von mir denken, genauso wie mir Andere auch egal waren. Egozentriker halt. Und dennoch waren (und sind) da einige wenige sehr wichtige Menschen in meinem Leben, und von diesem Beitrag aus, den ich links in die Linkliste pinne, könnt Ihr etwas über sie erfahren.
Ich habe sie alle persönlich kennenlernen dürfen, sie wissen, dass sie in den folgenden Beiträgen verewigt sind und ich bin ihnen sehr dankbar für die Zustimmung. Und, ich muss zugeben, ich würde mich über Gastbeiträge freuen, in denen sie beschreiben, wie sie mich kennengelernt haben.
Die Links zu anderen Menschen sind am Ende des Beitrags!
Und gaaaaanz unten sind im post scriptum noch ein paar Anmerkungen zu Evil Dead 2: Dead by Dawn.
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"Hautausschlag."
Wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, war dies eines der ersten Worte, die sie an mich persönlich gerichtet hatte, und ich hatte mich damals gefühlt, als ob ich ein Autogramm von einem Popstar bekommen hatte. Und gewissermaßen war sie ja auch ein Popstar, hatte eine große Fangemeinde (Tausende Stimmen bei den Uniwahlen!) - und wie ich später herausfinden sollte, eine ebenso große Menge an Menschen, denen sie mächtig auf den Sack ging, weil sie sehr unbequem sein konnte (und hoffentlich auch immer noch sein kann).
Ich hatte noch nie zuvor von ihr gehört. Ich weiß allerdings eines ganz genau: Seitdem ich sie zum ersten Mal mit mir in einem Raum erlebt habe, konnte sie nicht einen Moment still sein. Ich glaube, das war immer so - und ich hoffe, das ist auch immer noch so, denn solche Stimmen braucht es, um für den Rechtsstaat einzutreten. Für die Rechte von Menschen im Allgemeinen, oder wie damals: Für die Rechte von Studenten.
Ich hatte noch nie zuvor von Julia Wuttke gehört.
Genau genommen hatte ich von keinem Einzigen der anderen zwanzig Abgeordneten des Kieler Studierendenparlamentes zuvor gehört. Warum ich trotzdem dort gelandet bin, hatte ich in diesem Artikel berichtet. Julia war mir schon auf der Fachschaftsvertreterkonferenz (FVK) aufgefallen, weil sie so völlig anders war als ich damals. Ich hatte durch die Mobbingphase gelernt, meinen Mund zu halten. Bloß nicht anderen Menschen sagen, was ich denke, das bringt mir nur ungewollte Aufmerksamkeit ein. Julia war, wie gesagt, völlig anders. Sie war klein, hatte schwarze Haare und einen Mund, den sie jedesmal geöffnet hat, wenn irgendwo irgendwas gegen die Rechte der Studierenden der Kieler Christian-Albrechts-Universität ging. Oder wenn generell etwas gegen die Menschlichkeit ging, linker Touch und so, fällt mir da etwas Konkretes ein?
Ja, tut es tatsächlich. Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr es war (ich könnte nachschauen, wenn ich meine Protokolle des Haushaltsausschusses durchginge), als eine Gruppe um finanzielle Unterstützung für eine Vorlesungsreihe bat, in der es um kontroverse Themen gehen sollte, quasi aufrütteln. An sich ja okay, aber einer der geladenen Gäste laut Liste wäre Pierre Vogel gewesen. Mir hat der Name damals nichts gesagt, warum sollte das auch ein Problem sein? Und Julia hat zusammen mit noch einem Namensvetter von mir dem ganzen Studierendenparlament deutlich gemacht, was für ein Mensch hinter dem Namen "Pierre Vogel" steckt.
Julia hatte... nein warte, warum schreibe ich von ihr, als sei sie tot. Julia hat ein unglaubliches Talent dafür, den Finger in die Wunde zu legen. Auch rücksichtslos, wenn nötig, aber ihre humanistische Denkweise rechtfertigt das allemal. Woher sie dieses Talent hat?
Jetzt, in der Retrospektive ist mir alles so klar - aber damals, das ist jetzt zehn Jahre her, wusste ich nichts von Hochbegabung. Weder im Allgemeinen, noch dass ich davon betroffen sein könnte. Jetzt hat es ja endlich in meinem Kopf klick! gemacht und ich verstehe die Zusammenhänge. Das können Hochbegabte scheinbar sehr gut, und das gibt ihnen das Werkzeug, Augenwischerei zu entzaubern, sei es nun durch rechtsnationalistische Gesinnungen oder von Ministerien, die meinten, sie könnten die Studierenden bei ihren Entscheidungen übergehen.
Und demnach kann Julia das auch, denn sie ist hochintelligent. Und es hat ein bisschen gedauert, bis ich das gerafft habe, phasenweise dachte ich, sie sei einfach eine Bullterrier-Kampflesbe, die ihren Mund nicht halten kann und an Allem was zu meckern hat. Ich und meine Vorurteile damals... ich habe in den StuPa-Sitzungen meistens nur still dagesessen - weil ich politisch von nichts eine Ahnung hatte und die Chance nutzen wollte, zuzuhören und zu lernen.
Gelernt habe ich definitiv Einiges von Julia Wuttke: Sie hat mir vorgelebt, dass man nicht immer still sein darf, dass man nie still sein darf, wenn Menschenrechte angekratzt werden. Das Finger-in-die-Wunde-legen habe ich tatsächlich von ihr gelernt, und es ist eine der Triebfedern meiner Entwicklung gewesen. Man könnte also sagen, wenn Julia nicht gewesen wäre, dann hätte ich vermutlich niemals die Offenheit erlangt, diesen Blog zu schreiben.
Ich bin ihr dafür wirklich dankbar, mehr, als ich es durch irgendeine Geste ausdrücken könnte. Dementsprechend war es für mich ein toller Moment, als ich realisiert habe, dass auch sie diesen Blog liest (und nach meinem Eindruck auch noch ein paar Ex-Stupisten mehr). Das ehrt mich und gibt ihr wiederum die Bestätigung, dass ihre Art, Dinge anzugehen, erfolgreich ist - auch, und das muss ich noch erwähnen, auch wenn damit verbunden ist, dass man sich den Hass seiner Mitmenschen verdient. Das dicke Fell - habe ich bei Julia bewundert und mir auch eines zugelegt.
Und eine Geschichte möchte ich noch erwähnen, das war ein Moment, in dem Julia mir direkt in's Gewissen geredet hat. Ich weiß nicht mehr Zeit und Anlass, ich weiß noch, es war eine sehr lange Sitzung des Stupa, halb vier morgens, wenn ich mich recht entsinne. Ich weiß noch, dass wir alle in der Fraktion geschlossen für diese Sache stimmen sollten - allerdings bin ich dann beim Nachdenken davon abgerückt (ähnlich wie bei 12 Angry Men) und habe anders gestimmt als die Anderen. Mir selbst treu bleiben, das hatte ich schon in Ansätzen gelernt.
Natürlich ist das bei der Stimmenauszählung aufgefallen, meine Stimme hat tatsächlich die Sache in's Kippeln gebracht. Dann gab es eine Pause - die brauchten wir alle, denn wir waren durch mit dem Kopf und mussten uns fraktionsintern vor einer nochmaligen Abstimmung besprechen. Natürlich hat Julia alle zum Fraktionszwang ermahnt, besonders in dieser Angelegenheit - aber gerade mir hat sie damals in's Gewissen geredet. Ich wette, sie wusste es. Und sie hat sinnvoll mit mir geredet. Ich kannte Konzepte wie Fraktionszwang oder Oppositionsarbeit vorher nicht, und sie hat es mir in Ruhe erklärt - dass ich einfach zu einer der vorigen Fraktionssitzungen hätte gehen können, da hätte man das sinnvoll ausdiskutieren können.
Finger in die Wunde - scheiße, das hat wirklich getroffen, denn ich war zu faul, zu mehr Sitzungen zu gehen als nötig. Julia hatte damals vollkommen Recht - und wenn wir Hochbegabten Eines wissen, dann, dass wir uns sachlichen Argumenten gegenüber nicht verschließen können. So hatte ich also meine Stimme in der zweiten Abstimmung geändert. Ich weiß, dass sie diesen Beitrag gerade liest, aber ich frage mich, ob sie sich wohl noch daran erinnert.
Rundschluss: Was hat das Alles mit dem Hautausschlag zu tun? Es dauerte nicht lange, da wusste ich, dass Julia auf Fragen keine "gewünschten" Antworten gibt, sondern sachlich und sinnig antwortet. Sie war für mich damals die richtige Person, um auf meine Frage zu antworten: "Was ist ein Arzneimittelexanthem?" Vielleicht weiß sie mittlerweile, warum ich sie das gefragt habe, macht aber nichts, falls nicht.
Danke, Julia!
(Und es überrascht mich nicht im Geringsten, dass sie der Veröffentlichung zugestimmt hat, denn sie hat nichts zu verbergen und steht zu der Person, die in ihr steckt - das habe ich gelernt)
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- Die beiden wichtigsten Damen in meinem Leben
- Der Mann, in den ich mich zum ersten Mal ernsthaft verliebt habe
- Es geht kaum unterschiedlicher, und doch...
- Dieser Dozent wird mir immer in Erinnerung bleiben
- Er hat meinem Leben in der Schulzeit eine entscheidende Richtungsänderung gegeben
post scriptum: Und jetzt, völlig zusammenhanglos, möchte ich noch einmal herausstreichen, was für eine geniale Idee die "Evil Dead"-Filme waren. Ich habe heute den zweiten Teil gesehen und musste zwischendurch pausieren, weil ich mit dem Lachen nicht mehr hinterhergekommen bin. Und die Zensurgeschichte dieser Filme (seit 2016 endlich ungeschnitten vom Index runter) hat in mir das Interesse geweckt, mal einen Beitrag zu "Zensur im Film" zu erstellen. Ich weiß, dass Roger Ebert sich zu Lebzeiten klar dazu positioniert hat und ich bin da ganz bei ihm.