Sonntag, 31. Mai 2020

Miniserien

bingewatching

Falls da draußen irgendein fettschneckiger Serienjunkie das hier liest, wird er Folgendes schon längst wissen: Im Zeitalter des Streaming können Serien eine echte Gefahr für den Alltag eines Singles darstellen. Früher, in meiner Jugend, musste ich eine Woche warten, bis ich endlich die nächste Folge The X-Files oder Ally McBeal oder Diagnosis:Murder schauen konnte - heute gibt es das, was man allgemein binge watching nennt: Eine Folge nach der anderen, viele Streamingdienste lassen noch nicht einmal den Abspann der gerade gesehenen Episode durchlaufen, sondern bieten die Möglichkeit, direkt zur nächsten Folge weiterzuspringen. Und so stellt man sich irgendwann die Frage: "Habe ich jetzt gerade zwei Folgen gesehen? Oder waren es doch eher fünf? Wo ist der ganze Tag hin? Ich wollte doch eigentlich..."

Denn Serien können richtig süchtig machen - man möchte wissen, wie es weitergeht, was mit den Figuren passiert, die man vielleicht schon liebgewonnen hat - oder hasst; vielen Fans geht es so, dass sie die Charaktere ihrer Lieblingsserie bald besser zu kennen glauben als die Macher selbst.

Das ist einer der Vorteile einer Serie gegenüber einem feature film: Mehr Zeit, die wichtigen Figuren dreidimensional zu gestalten, mehr Zeit für Hintergründe, mehr Zeit für Charakterdynamik. Mehr Zeit für Nebenplots, mehr Zeit, einzelne Szenen für den puren Genuss einzustreuen. Ich bin kein großer Serienfreund, ich bevorzuge "kurze", abgeschlossene Filme, aber ich habe einen netten Kompromiss entdecken können - Miniserien, die meist aus einer abgeschlossenen Staffel bestehen, eine abgeschlossene Geschichte erzählen, ihre Figuren ausgestalten können, ohne sich dabei in Unendlichkeiten zu verlieren und eine Staffel an die nächste zu reihen.

Ich hätte mir das so sehr für die deutsche Hörspielreihe Gabriel Burns gewünscht. Sie mag zwar keinen Preis für Originalität gewinnen, aber sie war (und ist) atmosphärisch dicht umgesetzt, hat spannende Plots - und war ursprünglich auf fünfzehn Episoden konzipiert. So hat man in den ersten Episoden viele Handlungsstränge aufgespannt und ich hatte, als es unübersichtlicher wurde, immer die Gewissheit, dass bald alles zu einer Art Schluss führen wurde. Leider hat das Team um den Produzenten Volker Sassenberg gemerkt, dass man hier eine cash cow geschaffen hat, die man noch etwas weiter melken konnte, und so wurde die Serie endlos, mit späteren Folgen, die sich in die Länge ziehen, ohne viel Plot zu bieten, und ich habe irgendwann abgebrochen, mein Interesse war weg.

Ich habe jüngst die Serie Mr.Robot zu Ende geschaut, und auch da hatte ich den Eindruck, als wäre sie idealerweise als Miniserie konzipiert worden; besonders die dritte Staffel wirkte auf mich in die Länge gezogen. Bleibt dennoch dabei, dass ich die Serie gut fand, und einige Momente ganz herausragend.

Anders ist es übrigens bei sogenannten Anthologie-Serien - hier erzählt jede Episode eine abgeschlossene Geschichte, es gibt keine cliffhanger, man kann theoretisch nach jeder Folge eine Pause einlegen. Beispiele dafür wären The Twilight Zone, The Outer Limits, Tales from the Crypt oder Black Mirror.

Ich möchte in diesem Beitrag ein paar Anregungen für Miniserien geben, falls jemand von Euch Lust bekommt, sich auf eine schöne Geschichte einzulassen, die sich nicht über hunderte Episoden hinzieht, und ich freue mich auch, falls Ihr Anregungen habt.

Sharp Objects (2018) erzählt von einer Reporterin, die über ein vermisstes Mädchen in ihrer Heimatstadt berichten soll - und damit ihre eigene Kindheit aufarbeiten muss, als sie ihre Mutter nach langen Jahren wiedertrifft. Sehr schwarzer Humor, spannend, düstere Südtstaatenatmosphäre, ein toller Soundtrack und zwei brillante Schauspielerinnen in Amy Adams und Patricia Clarkson können erklären, warum diese Miniserie mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. [acht Episoden je fünfzig Minuten]



Twin Peaks: A Limited Event Series (2017), auch bekannt als dritte Staffel der Kultserie Twin Peaks (1990-92) führt die damals mit einem intensiven Cliffhanger abgebrochene Serie ganz logisch weiter. Damals ging es um den Mord an Laura Palmer, witzig, idiosynkratisch, schräg und spannend. Regisseur David Lynch hat sich in fünfundzwanzig Jahren weiterentwickelt, und so hat diese neue Staffel stilistisch nur noch wenig mit den vorherigen gemein. Das soll keine Wertung sein; diese neue Staffel, die von der renommierten Zeitschrift Cahiers du Cinema als bester "Film" des Jahrzehnts ausgezeichnet wurde, ist qualitativ hochwertig. Langsam, düster, spannend, witzig - wenn man Lynchs Humor versteht. Ein echtes Meisterwerk, aber nicht für jedermann. Wer Mulholland Drive (2001) und Inland Empire (2007) mochte, dem könnte diese Miniserie, die sich mit Special Agent Dale Coopers Rückkehr nach Twin Peaks beschäftigt, richtig gut gefallen. [achtzehn Episoden je sechzig Minuten]



The Haunting of Hill House (2018) ist die neueste und meiner Meinung nach beste Verfilmung von Shirley Jacksons Romanvorlage - und das will etwas heißen, wenn man bedenkt, dass der Wise-Film aus den Sechzigern ebenfalls großartig ist. Regisseur Mike Flanagan hat hier ein kleines Kunstwerk geschaffen, dass von Kritikern als essential viewing bezeichnet wird - wer also gothic horror mag, ohne Blut und Zeugs, der kann sich hier wohlfühlen. Die Serie ist deutlich anspruchsvoller als alle bisherigen Verfilmungen, und das macht sie zu einem Genuss. Die Handlung erstreckt sich nur über wenige Tage, wird aber je Episode mit dem Fokus auf einer anderen Hauptfigur gezeigt - und wechselt zwischen der Vergangenheit, in der die Crain-Familie im unheimlichen Hill House aufgewachsen ist, und der Gegenwart, in der wir erleben, was aus den Kindern von damals geworden ist - wie sich die damaligen Erlebnisse auf ihr Leben als Erwachsene auswirken. Das bedeutet, dass es hier nicht nur um Horror geht, sondern um ein packendes Familiendrama, das technisch dem state of the art entspricht. Ich bin begeistert. [zehn Episoden je vierzig bis siebzig Minuten]



The Terror (2018/19) war ursprünglich eine Romanverfilmung um eine Crew und ihr Schiff Terror, die bei einer versuchten Überfahrt vor über hundert Jahren in's Treibeis gerät und dort festfriert. Das Drama zeigt, wie die Menschen mit dieser aussichtslosen Situation umgehen. Die zehn Episoden der ersten Staffel drehen sich darum; die zweite Staffel The Terror:Infamy spielt zu Weltkriegszeiten und stellt eine klassische japanische Geistergeschichte mit einer tragischen Vorgeschichte dar - beide Staffeln sind atmosphärisch dicht umgesetzt, und wenngleich die zweite Staffel sich manchmal allzu bekannter Horrortropen bedient, hat sie mir sogar etwas besser gefallen, weil ich zu period dramas nur selten den richtigen Zugang finde. [je Staffel zehn Episoden je fünfzig Minuten]



Weinberg (2015) kann man als deutschen Abklatsch von Twin Peaks bezeichnen, denn die Parallelen sind offensichtlich: Die lokale Weinkönigin im urigen Örtchen Kaltenzell wird ermordet und eine enigmatische Figur versucht, den Fall zu lösen und trifft dabei auf allerlei schräge Charaktere und Abgründe hinter der bürgerlichen Fassade. Allerdings ist es ein technisch einwandfreier und sehr atmosphärischer Abklatsch, und deswegen kann ich diese kurze Mysteryserie sehr empfehlen. [sechs Episoden je fünfzig Minuten]


Samstag, 30. Mai 2020

Feuerwerks-Psychologie (Seelenstriptease?)


Je weiter ich in dem Handbuch über das Asperger-Syndrom vorankomme, umso mehr Puzzleteile fallen an ihren Platz. Und es fallen auch Puzzleteile hervor, die ich bis dahin weggeschlossen glaubte - es kommen Erinnerungen an die Kindheit wieder, obwohl ich in den letzten Jahren immer wieder davon überzeugt war, dass ich mich nicht an meine Kindheit erinnern könne. Einige Dinge bleiben immer noch weggeschlossen, oder zumindest verschwommen, wie zum Beispiel der Moment, in dem ich als Teenager im Supermarkt von einem älteren Mann sexuell belatschert wurde. Andere Momente kann ich dagegen kristallklar vor meinem geistigen Auge sehen.

Einer dieser Momente, da war ich noch ein Kind, und es war Silvester. Ich habe Feuerwerk geliebt. Ich fand es so aufregend, die einzelnen Feuerwerkskörper so studieren, wie sehen sie aus, wie funktionieren sie, wo läuft die Zündschnur entlang, welche Effekte würden wohl herauskommen. Jeden einzelnen Feuerwerkskörper hatte ich bis zum Silvesterabend intensiv begutachtet. Wie das nun mal so ist, wenn ein Aspi sich für eine Sache interessiert.

Und dann ging es ans Zündeln. Ich war damals noch klein und traute mich nicht nach draußen, wo so viele Menschen stehen und es knallt laut herum - ich war sehr schreckhaft. Also habe ich mich an's Küchenfenster gesetzt, und mein Papa hat draußen das Feuerwerk gestartet. Und somit konnten meine "Feuerwerksstudien" schließlich zu ihrem Abschluss gebracht werden, jeder Feuerwerkskörper einzeln, und nacheinander.

Dann kam mein Papa auf die Idee, in der linken Hand einen Silberregen und in der rechten Hand einen Goldregen gleichzeitig zu entzünden und dann mit den leuchtenden Fontänen Muster in die Luft zu malen. Das sah richtig toll aus - aber ich fing an zu weinen, eine Mischung aus wütend, traurig und hilflos, denn ich war vollkommen überfordert. Zwei unterschiedliche Feuerwerksteile gleichzeitig, das ging absolut nicht! Ich kann mir doch nur eins zur Zeit anschauen, und dann verpasse ich das Andere und dann ist es futsch und die ganzen Studien vorher waren umsonst. Das war ein wirklich schlimmer Moment - es muss einen Grund haben, dass er mir so lebhaft in Erinnerung geblieben ist.

Objektiv betrachtet: Überforderung kann bei Aspis leicht auftreten - sehr leicht. Weil sie sich nur auf eine Sache zur Zeit intensiv stürzen können. Gerade junge Aspis wissen dann nicht, wie sie mit der Überforderung umgehen sollen, und nicht selten fangen sie an, herumzuschreien oder bitterlich zu weinen - bei Schülern dann auch mitten im Unterricht, und Lehrkräfte, die sich nicht mit Aspis auskennen, sind dann oft hilflos.

Endlich verstehe ich diesen Feuerwerks-Moment von damals richtig.

post scriptum: Mittlerweile bleibe ich zum Feuerwerk wieder in meiner Wohnung. Ich habe einen guten Blick über die Hamburger Chaussee, kann das toll sehen, und leider gehen junge, alkoholisierte Männer (und Frauen) mit Feuerwerkskörpern nicht immer sehr verantwortungsvoll um. In den letzten Jahren durfte ich immer wieder beobachten, wie Raketen aufeinander losgelassen werden, und dann die Saufköppe noch darüber lachen, wenn man jemanden getroffen hat. Ich komme mit alkoholisierten Menschen nicht klar. Deswegen habe ich mit Alkohol vor ein paar Jahren aufgehört - aber das ist ein anderes Thema.

Donnerstag, 28. Mai 2020

Fehlen nur noch die Uschebti...

Das Gelb schimmert im richtigen Licht ;-)

Kunstleder zerfällt nach einigen Jahren Dauerbelastung durch ein altes Fossil und eine fette Schnecke (besonders durch ersteren), und das gilt auch für einen Sofabezug. Daher habe ich seit Längerem eine Decke über mein Sofa gelegt, die ich vorher sowieso schon für die Meditationen benutzt hatte. Seither hatte ich aber den Wunsch nach einer Decke, die für die richtige Atmosphäre sorgt; ich höre schon seit Jahren in der Vorbereitung zu den Meditationen die ägyptischen Alben von Karl Sanders, also wäre eine ägyptische Decke ganz passend. Fleece, schwarz soll sie sein, mit gelb-goldenen Motiven.

Und das ist gar nicht so leicht zu finden - letztlich nur als Extraanfertigung (in der richtigen Größe) über einen amerikanischen Händler aus China, aber egal, es ist wie mit den Boots aus Spanien: Die müssen es sein. Und nun halte ich diese Decke endlich in Händen, sie ist herrlich dünn und weich und die Farben sind genau, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Nun mag man natürlich argumentieren, dass die tibetischen und ägyptischen und Goa-Motive in meiner Wohnung nicht zusammenpassen. Stimmt auch - aber ich finde, dass auf diese Weise angemessen mein Innenleben widergespiegelt wird, in dem auch nicht so viel zusammenpasst. Wieder ein Punkt für das home improvement!

Mittwoch, 27. Mai 2020

English with... a smile???


Heute erreicht mich ein Werbeflyer zu einem neuen Schulbuch, und oben links in der Ecke ein richtig eingängiger Slogan - "English with a smile", und dazu das Bild einer (Schülerin?), die das Buch in der Hand hält und dabei selig lächelt.

Jetzt dürft Ihr mir erklären, ob das wieder nur der Aspi ist, der reading mind in the eyes nicht auf die Kette kriegt, oder ob Andere das vielleicht auch so sehen, denn diese Schülerin sieht absolut nicht authentisch lächelnd aus, sondern eher, als würde sie sagen "Ohgott, wann ist dieses Fotoshooting endlich vorbei? Warum hat Thorsten mich verlassen, und ich soll jetzt hier dumm lächeln? Mit so einem Scheißbuch, und dieser dämlichen Zahnspange? Wie peinlich! Hoffentlich lohnt sich die Gage wenigstens! Wann kann ich hier weg? Und Papa steht da links und schaut, als ob er mich wieder verprügeln will... Ich hasse Englisch!"

Sorry, aber an der Berufsschule hätten meine Schüler diese Werbeanzeige als nicht überzeugend analysiert...


post scriptum: Ich finde es toll, dass ich im Zeitalter der Globalisierung brillante Horrorfilme aus anderen Ländern bewundern kann - oft enthalten sie folkloristische Züge, so dass ich mehr über andere Kulturen lernen kann, und sie sind weder albern noch eklig. Das heutige Beispiel dafür ist der polnische Film "Demon" (2016), in dem es um eine polnische Hochzeit geht, die einen israelischen Mythos erfährt. Unterhaltsam und politisch scharfzüngig, das war unerwartet gut!

Dienstag, 26. Mai 2020

"Kleines Problem"

School can be more than vocab and grammar.

Ein Mann betritt ein Hochhaus. Er geht zum Fahrstuhl, fährt in den zehnten Stock und geht die restlichen zehn Etagen bis zu seiner Wohnung über die Treppen. Er betritt seine Wohnung, schaut sich um - und springt aus dem Fenster.

Wie kam es dazu?

Ich denke, einige von Euch kennen die black stories, die sich wunderbar für Vertretungsstunden in Englisch eignen. Fragen stellen, simple past, Vokabeltraining, das wird alles abgedeckt. Heute wieder gemacht, und hier kommt die Lösung für diejenigen, die diese Geschichte noch nicht kannten:

Der Mann fährt nur bis in den zehnten Stock, weil er nicht an die höheren Knöpfe im Fahrstuhl kommt - er ist kleinwüchsig. Er ist sogar der kleinste Mann der Welt, und ist die Sensation in einem Zirkus. Er verdient damit seinen Lebensunterhalt. Sein Arbeitskollege ist der zweitkleinste Mann der Welt - und er ist eifersüchtig. Also bricht er in die Wohnung des Konkurrenten ein und sägt von allen Möbeln die Beine fast komplett ab: Tische, Stühle, Sessel, Kommode. Als nun der kleinste Mann seine Wohnung betritt, sieht er die "geschrumpften" Möbel. Er ist schockiert, denn die einzige Erklärung ist, dass er letztlich doch noch gewachsen ist. Ihm schwant, dass er seine Karriere damit an den Nagel hängen kann, und begeht Selbstmord.

post scriptum: Noch höllischer wäre der Präsenzunterricht, wenn die eigenen Lerngruppen spontan nicht da wären. Nicht nur hätten sie die Räume getauscht, sondern auch der Stundenplan wäre ausgewechselt worden. Der Aspi würde in solch' einer Situation sich am liebsten vor die Wand setzen und die Fibonacci-Reihe aufsagen.

paulo post scriptum: Hin und wieder fühle ich mich zu Indiefilmen hingezogen. Ich mag den "quirky style", ich mag die Ungebundenheit an Mainstream-Verlangen, und so gab es heute "I don't feel at home in this world anymore." (2017), eine Mischung aus Komödie, Offbeatromanze und Thriller. Hat mir sehr gut gefallen und ist auf Netflix unter "Fremd in der Welt" zu finden.

Montag, 25. Mai 2020

Präsenzunterricht - wie gut!


Wie gut doch heute der Präsenzunterricht geklappt hat!

Wie gut, dass alle Wege auf dem Schulgelände genau markiert sind, mit Pfeilen, damit man weiß, wie man gehen soll. Wie gut, dass alle Schüler sich daran halten, und erst recht die Lehrkräfte, die mit gutem Beispiel vorangehen! Wie gut, dass man niemandem erklären muss, warum man einen Umweg geht, um an sein Ziel zu kommen (nämlich um sich an die Wegmarkierungen zu halten). Und wie gut, dass alle sich an die Abstandsregeln halten!

Wie gut, dass alle Lerngruppen von ihren Fachlehrkräften Aufgaben bekommen haben, die dann im Präsenzunterricht heute bearbeitet werden konnten, und dass alle Beteiligten genau wussten, was wann wie ablaufen wird, und dass kaum jemand fachfremd unterrichten musste!

Wie gut, dass unser Bildungsministerium sich diesen Plan gründlich überlegt hat - und wie gut es erst laufen wird, wenn nächste Woche auch die anderen Jahrgänge wieder in die Schule kommen!

Oder lief es bei Euch etwa nicht so gut?
Denn für einen Aspi wäre alles Andere die Hölle gewesen.
Morgen kann kommen!

Samstag, 23. Mai 2020

Mal wieder diese Zeit


Es ist mal wieder diese Zeit - das Schul(halb)jahr geht zu Ende, mein Arbeitsvertrag läuft aus und ich muss meine Unterlagen im pbOn aktualisieren. Ich weiß nicht, ob ich bleiben kann; ich soll mich auf offene Stellen bewerben. "Du musst da unbedingt zweigleisig fahren", heißt es. So hieß es auch an den vergangenen sechs Schulen. Jedesmal wieder. Und jedesmal wieder fahre ich nicht zweigleisig, weil ich das nicht kann.

In meinem Kopf ist das nicht vereinbar, dass ich mich auf der einen Seite für die Schule engagiere, an der ich gerade bin, ihre Werte und Denkweisen verinnerliche und versuche, gute Arbeit zu machen, dass ich mich auf der anderen Seite aber wegbewerben soll. Mein Kopf blockiert da - und das ist nicht erst jetzt so.

Ich habe diese Zeit in den letzten acht Jahren immer wieder erlebt. Jedesmal beginnt sie mit einem Nervenzusammenbruch, wenn ich realisiere, dass ich bald wieder arbeitslos bin und mein mühsam erkämpfter "Alltag" wieder zunichte gemacht wird. Und jedesmal habe ich erst dann angefangen, mich aktiv nach anderen Stellen umzuschauen, wenn mein letzter Tag in der Schule vorbei war. Und das schiebe ich jetzt definitiv auf das Asperger-Syndrom; hätte ich nicht sonst aus den letzten Malen gelernt und würde es mittlerweile besser machen? Es passt in meinem Kopf einfach nicht zusammen.

Diese Situation macht mich traurig und ängstlich und ich funktioniere noch weniger, als ich dank Corona sowieso schon nicht funktioniere. Immerhin habe ich gelernt, die Wut nicht mehr zuzulassen. Lojong, das Geistestraining aus dem tibetischen Buddhismus ist Gold wert. Sonst würde ich mich extrem aufregen über Frau Karschin, meine erste Schulleiterin damals an der Theodor-Storm-Schule in Husum, die mir meine Zwei im Schulleitergutachten erklärt hat mit: "Dr Hilarius, sie sind ein Einserkandidat, und sie werden da draußen sofort eine Stelle finden." Ergibt keinen Sinn? Hat es für mich damals auch nicht.

Jetzt muss ich erstmal versuchen, den Kopf nicht hängen zu lassen.

Dienstag, 19. Mai 2020

Vermisse ich Dich?

Vermisse ich ihn?

Die große Buba: "Es wird Zeit, dass Sommerferien sind, ich vermisse dich soooooooo sehr!"
Dr Hilarius: "Ich vermute, das klingt jetzt grausam, aber ich vermisse dich nicht."

Ich bin sehr gut erzogen worden und habe gelernt, Menschen Dinge zu sagen, die sie hören wollen. Wenn mir jemand sagt "Ich vermisse dich", dann antworte ich automatisch "Ich dich auch". Wenn meine Eltern mir sagen "Wir haben dich lieb", dann antworte ich "Ich euch auch". Das ist ein Automatismus - den ich dank der Nachricht von der großen Buba (oben) hinterfragen muss.

Sie hat mir also geschrieben, dass sie sich schon auf das Wiedersehen freut, und dass sie mich vermisst. Diesmal habe ich mich vor der Automatik-Antwort gefragt, ob das bei mir eigentlich auch so ist. Und die eiskalte Antwort lautet "Nein". Ich freue mich auf das Wiedersehen, definitiv, aber wenn DGB ein Jahr nicht mehr zu Besuch kommen könnte, würde mich das auch nicht stören. Ich vermisse sie nicht - ich vermisse überhaupt keine Menschen, glaube ich.

Ich habe sie dann gefragt, wie sich das denn anfühlen müsste, wenn man jemanden vermisst, und habe ihr gesagt, dass ich dieses Gefühl (trotz der Automatik-Antwort) eigentlich überhaupt nicht kenne. Sie hat dann ganz klug gefragt "Hast du nie dieses Gefühl, dass du einen Film unbedingt gern nochmal sehen würdest?" - und damit hat sie mich ertappt. Doch, das kenne ich. Wenn es nicht so wäre, hätte ich nicht zwei Filmtaschen hier herumstehen. Aber ist "Lust auf etwas haben" das Gleiche wie "Etwas vermissen"? Könnt Ihr mir das erklären?

Ich glaube, ich bleibe erstmal bei der Asperger-Theorie: Ich vermisse Dinge, keine Menschen. Das klingt vielleicht richtig grausam, aber es ist so: Meine Oma wird irgendwann sterben - und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich sie vermissen werde. Sonst würde ich sie doch auch öfters besucht haben - oder? Und dieses Bewusstsein tut ein bisschen weh. Vermisse ich die Sannitanic? Nein - es ist schön, dass wir uns schreiben können, aber ich habe nicht dieses "Oh, ich möchte sie gern mal wieder besuchen". Nicht böse sein, Du weißt mittlerweile, wie ich ticke. Und Du weißt, dass ich sehr glücklich bin, dass es Dich gibt.

Vermisse ich Flo? Nein... und trotzdem liebe ich ihn immer noch. Sehr komische Gemengelage. Ich freue mich riesig darauf, wenn wir uns einmal wiedersehen können - so wie ich mich auf die große Buba im Sommer freue. Aber vermissen? Wie fühlt sich so etwas an? Please tell me!

post scriptum: Papa, ich weiß, dass Du das hier liest - und ich habe mir überall in der Wohnung Zettel aufgehängt, damit ich es nicht vergesse - HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUM GEBURTSTAG! :-) Ich vergesse andauernd Geburtstage (wobei ich auch nicht ganz verstehe, warum man zu so etwas gratuliert), und immerhin habe ich auf diese Weise heute daran gedacht, und ich hoffe, Du hast Deinen Tag in vollen Zügen (und Bussen) genossen!

paulo post scriptum: Ich habe DGB falsch zitiert - sie hat das so nicht gesagt. Sie hat etwas Ähnliches gesagt, was in mir den Gedanken "Ich vermisse Dich nicht" geweckt hat. DrH, Du solltest ein bisschen besser recherchieren! ;-P

Montag, 18. Mai 2020

Vorne

Wieder einmal umgestellt

Ein grauer, vernieselter Tag wie jeder andere, ich atme in meine Maske, während ich auf den Bus warte, der von dort kommt. Sieben weitere Fahrgäste warten an der Haltestelle Diesterwegstraße an diesem Montag. Sie alle sitzen in und am Wartehäuschen. Ich mache das nicht - es nieselt kaum und wir müssen ja eh' hinten einsteigen, also setze ich mich auf die hintere Bank.

Der Bus kommt, ich entscheide mich für die letzte Tür, drücke auf den Knopf zur Türöffnung, aber nichts passiert. Ich drücke mehrfach, schaue dann einmal nach vorne, ob die anderen Leute einsteigen können. Können sie, tun sie, und zwar so wie früher: Nur durch die Vordertür darf in den Bus eingestiegen werden. Kurzer Moment Verwirrung, dann muss ich ja wieder meine Busfahrkarte vorzeigen, ich steige ein und realisiere die neue "Busausstattung" - ein Plexiglasschutz für den Fahrer, die vorderen Sitzplätze gesperrt, Maskenpflicht, sonst alles wie früher.

Und erst jetzt realisiere ich, dass wir ja einen Schritt weiter gegangen sind in Sachen "Öffnung", einen Schritt in Richtung Normalität. Nächste Woche beginnt wieder Unterricht, in reduzierter Form, ich unterstütze die Englischlehrkräfte in drei neuen Klassen. Mittlerweile schockt mich das nicht mehr so, in meinem Kopf habe ich abgemacht, dass überhaupt nichts mehr planbar ist, dass nichts mehr "gewiss" ist, und versuche einfach alles hinzunehmen. Der Buddhismus hilft dabei, und ich zitiere wieder den Dalai Lama: "Nichts ist entspannender, als das anzunehmen, was kommt."

Ist dann halt eine Phase, in der ich nicht funktioniere. Ich denke nicht daran, mich bei meiner Familie zu melden, ich vergesse, meinen Schülern neue Aufgaben zu schicken, meine Wohnung sieht unmöglich aus. Der Umstand, dass wir eine Phase weiter sind, einen Schritt raus aus dem lockdown, macht die Lage für mich nicht einfacher, sondern verwirrender.

Immerhin weiß ich jetzt, dass ich im Bus wieder vorn einsteigen muss.

post scriptum: Nach langer Zeit habe ich mir heute mal wieder James Ward Byrkits "Coherence" (2013) angeschaut - und er ist wesentlich besser, als ich ihn in Erinnerung hatte. Kleiner Indie-Film mit einer Dinnerparty, bei der etwas schiefgeht. Nicht psychological horror-schief wie in "The Invitation" (2015), sondern science fiction-schief. Mystery. Echt klasse, schönes mind food, regt zum Nachdenken an. 

Die große Buba: Das könnte ein Webstuhl-Film für uns sein, ein bisschen im Stil von "Primer" (2004).

Samstag, 16. Mai 2020

Corona-Demo-Manifest


ES REICHT!!!

Wir sind das Volk, und wir lassen uns nicht länger das Grundrecht auf Freiheit nehmen! Wir haben die Nase voll von denen da oben, die uns sagen, dass wir uns nicht mehr mit Freunden und Familie treffen dürfen! Die uns sagen, dass wir nicht mehr in Restaurants gehen dürfen, die uns vorschreiben, dass wir Abstand halten sollen!

Wir sind das Volk, und wir haben ein Recht darauf, in diesem Land überall hin zu gehen, wo es uns passt! Wir haben das Recht, unsere Familien zu besuchen, und wir haben das Recht, für unsere Rechte zu demonstrieren! Niemand darf uns das wegnehmen!

Wir sind das Volk, und wir haben das Recht darauf, uns von rechten Ideologien instrumentalisieren zu lassen! Es ist unser gutes Recht, uns bei unseren Mitmenschen mit einer potentiell tödlichen Krankheit anzustecken! Wir haben das Recht, diese Krankheit an alle weiterzugeben, die mit uns auf die Straße gehen! Corona ist ein gesellschaftliches Gut, das geteilt werden muss! Wir lassen uns unser Virus nicht wegnehmen!

Wir sind das Volk, und wir haben das Recht darauf, jenseits des gesunden Menschenverstandes über die Politik zu schimpfen, auch wenn wir gar nicht verstehen, warum es überhaupt so etwas wie Social Distancing gibt! Jeder von uns hat das Recht darauf, zu sterben, wie er möchte! Niemand muss sich verstellen, jeder darf das Coronavirus offen zur Schau stellen, und wir werden auch nicht mehr in die Armbeuge niesen oder Masken tragen - in diesem Land dürfen wir wir sein, niemand soll gesund sein müssen!

WIR SIND DAS VOLK!!! Sollen doch die Politiker da oben sich schützen vor einer gefährlichen Krankheit - wir machen das nicht mit, nur weil alle anderen das auch tun! Wahrscheinlich benutzen die sogar Kondome - Schutz ist was für Weicheier! Wenn alle sich entscheiden, nicht vom Hochhaus zu springen, springst Du dann etwa auch nicht? DOCH, TUST DU! Allein schon um zu meckern, um zu schimpfen, um zu sagen, wie schlecht doch alles ist!

WIR HABEN EIN RECHT

AUF DUMMHEIT,
AUF KRANKHEIT,
AUF ASOZIALES VERHALTEN!!!

post scriptum: Ich hoffe, der Sarkasmus ist erkennbar.

Donnerstag, 14. Mai 2020

Plus One

Maske mit Stil

Plus One ist der Name einer der neueren Episoden aus The X-Files; es geht darin um einen Doppelgänger, den man sieht, als Omen eines schlimmen Ereignisses. Spannende Folge, aber darum soll es heute nicht gehen.

+1 findet sich auch in diversen Videospielen wieder; meistens geht es dabei um Gegenstände, die man durch diverse Techniken verbessert hat, so dass sie effizienter sind, schärfer oder sonstwie das Original übertreffen, zum Beispiel "Eisenschwert +1". Die große Buba erinnert sich gerade an Dragon Quest XI, wo man bis +3 aufwerten konnte. Und in gewissem Sinne geht es heute genau darum.

Ich habe vor Kurzem über die Schutzmaske geschrieben, die ich mir im Zuge der Maskenpflicht aus einem Baumwolltuch improvisiert hatte. Butter bei die Fische: Der Stoff ist Jahrzehnte alt und so oft durchgekocht, dass er dünn wie Papier ist, und so grobmaschig, dass sich eine Tröpfcheninfektion damit nicht wirklich vermeiden lässt. Gleichzeitig ist mir bewusst geworden, dass sich die Maskenpflicht noch eine ganze Weile hinziehen kann, also sollte ich mir vielleicht einmal was Ernsthaftes und Sinnvolles suchen.

Es muss schon irgendwie zu meinem Outfit passen, war mein Grundgedanke, aber wo bekomme ich eine Schutzmaske in schwarz her? Die Sannitanic kann toll nähen, aber sie hat zwei Kinder und 'nen Arsch voll Arbeit, die werde ich damit ganz bestimmt nicht behelligen. Hey, neulich hat doch eine Kollegin angeboten, für unser Kollegium Schutzmasken zu nähen. Ob ich sie danach fragen kann? Ich würde ihr den Stoff und die Arbeitszeit bezahlen, ganz klar, denn ich hätte gern Schutzmasken, die zu mir passen.

Ein normaler Mensch denkt sich "Gute Idee, ich frag' sie direkt mal"; ein Aspi hat es da etwas schwerer: Menschen mit dem Asperger-Syndrom können erhebliche Probleme damit haben, in einer bestimmten Situation um Hilfe zu bitten, selbst wenn ein geeigneter Helfer direkt vor der Nase steht. Ich dachte früher, dass das was mit der Hochbegabung zu tun hat, aber jetzt bin ich dank Lektüre ein wenig schlauer.

Jedenfalls habe ich mir sehr lange den Kopf zerbrochen, ob ich die Kollegin wohl danach fragen sollte, und in einem irrwitzigen Moment habe ich sie einfach angeschrieben. Lange Geschichte kurz: Jetzt bin ich stolzer Besitzer einiger schwarzer Masken, und ganz besonders stolz bin ich auf die Maske im Bild oben: Schwarz, mit englischen Gedanken zu Rosen als Aufdruck. So toll! Vielen Dank, Tessa!

Ich gehe ja kaum aus dem Haus, brauche die Masken also nicht so oft, aber ich fühle mich wesentlich wohler mit den schwarzen Masken. Warum stehe ich mir nur so oft selbst im Weg? (rhetorische Frage, so langsam weiß ich es ja)

post scriptum: Ich werde langsam ein Fan des Konzeptes "Miniserie", Serien, die oft nur aus einer Staffel bestehen und eine zusammenhängende, abgeschlossene Geschichte erzählen. Ich werde darüber wohl einen Eintrag für den Blog schreiben, denn es gibt ein paar brilliante Beispiele dafür.

Montag, 11. Mai 2020

Theory of Mind - Bin ich empathiefähig?


Einer der Bereiche, die bei Testung auf eine Autismus-Spektrums-Störung abgeklopft werden, nennt sich Theory of Mind (ToM). Laut der Psychiaterin, die mich getestet hat, ist das die Fähigkeit, sich Geschichten auszudenken und sich andere Situationen vorzustellen als die, in der man gerade ist. Zitat: "Ich sehe da bei ihnen überhaupt keine Auffälligkeiten, sie konnten mir diese Bildergeschichte problemlos erklären und sie konnten auch so tun, als würden sie - hier in meinem Büro - in ihr Auto steigen." Ergebnis: Null Punkte in Sachen Auffälligkeiten bei ToM. Hab' ich so hingenommen; jetzt nicht mehr so sehr.

Ich lese zur Zeit The Complete Guide to Asperger's Syndrome (2007) von Tony Attwood, und ich werde daraus ein paar Passagen zitieren, die für mich sehr erhellend waren und das Gutachten der Ärztin in meinen Augen noch weiter in Zweifel ziehen.

"ToM means the ability to recognize and understand thoughts, beliefs, desires and intentions of other people in order to make sense of their behaviour (...) A synonymous term is empathy."

Okay, das hatte ich jetzt nicht so ganz erwartet. Denn damit bin ich wieder an einer meiner wiederkehrenden Überlegungen angekommen, nämlich, ob ich empathiefähig bin. Ich bin mir da nie sicher, aber die große Buba kann da Einiges bei mir finden. Und passenderweise schreibt Attwood dazu:

" [The person with AS] has immature or impaired ToM abilities or empathy, not an absence of empathy. To imply an absence of empathy would be a terrible insult to people with Asperger's Syndrome. (...) The person does care, very deeply, but may not be able to recognize the more subtle signals of emotional states or "read" complex mental states."

Darum ging es bei der Bildergeschichte (deren Testung übrigens laut Attwood für gewöhnlich nur bei Kindern und Jugendlichen zielführend ist) nicht. Auch nicht bei'm Autofahren. Das mag bei "herkömmlichen" Autisten noch einmal anders sein, aber es hieß auf meiner Überweisung ja explizit "V.a. Asperger-Syndrom, Diagnose erbeten".

"[These people] appear to engage in less eye contact than anticipated, tending to look at a person's face less often, and therefore missing changes of expression." - Zitat eines Aspis: "Why would I want to look at you when I know where you are?"

Einer der Faktoren in Sachen ToM ist laut Attwood also die Schwierigkeit, soziale/emotionale Nachrichten in jemandes Augen zu lesen. Im sogenannten Reading-Mind-in-the-Eyes-Test habe ich unterdurchschnittlich wenige Punkte erreicht (bzw. die genaue Durchschnittzahl bei Aspis), was für eine Auffälligkeit spricht. Ein weiterer Faktor ist genau dieses Wörtlichnehmen, mit dem ich öfters überfordert bin.

"Making a literal interpretation: One of the consequences of impaired or delayed ToM skills is a tendency to make a literal interpretation of what someone says."

Ebenfalls zur ToM gehört Verhalten, das als respekt- und rücksichtslos aufgefasst wird:

"...may not notice (...) the subtle cues that [others] are becoming annoyed with his or her egocentric or dominating behaviour or conversation."

Ich habe nie mitbekommen, wenn ich das Heft in irgendeiner Sache an mich gerissen habe, und ich habe auch nie mitbekommen, wenn ich jemandem mit meinen Gesprächsthemen auf die Nerven gegangen bin:


"...have a remarkable enthusiasm for their special interests. However, they may not recognize that other people do not share the same enthusiasm (...) and may not see or recognize the subtle signs of boredom."

Ich bin aus allen Wolken gefallen, als mir irgendwann endlich einmal gesagt wurde, dass ich Menschen damit auf die Nerven gehen kann (und das definitiv auch tue). Die Konsequenz daraus ist nun eben, dass ich in Gesprächen eigentlich kaum noch spreche, aus Angst, wieder zu langweilen. Klar ist das auch kein schöner Zustand, aber ich habe in meinem Kopf keinen Sinn für das richtige Maß, darüber hatte ich neulich auch geschrieben.

"Honesty and deception: Children and adults with Asperger's syndrome appear to have a greater allegiance to honesty and the truth than to the thoughts or feelings of others."

Besser könnte ich es gar nicht formulieren. Wenn ich daran denke, was Er sich von mir alles hat anhören müssen an unbequemen Dingen, weil ich dachte, dass es doch toll ist, wenn man Menschen auf ihre "Fehler" hinweist, damit sie daran arbeiten können. Auch die große Buba hat da was abbekommen; Attwood schreibt dazu noch:  

"The person with Asperger's syndrome can be very astute at identifying mistakes and can be very keen to point out another person's mistakes. The comments can be interpreted as deliberately critical and hostile, but the motivation of the person with Asperger's syndrome may have been to encourage perfection and to enlighten the other person about the error."

"Problem solving: When presented with a problem, seeking guidance from someone who probably knows what to do is usually not a first or even a second thought."

Volltreffer, ich habe das hier im Blog schon einmal beschrieben und es ist auch genau das, was mit meiner mündlichen Examensprüfung in Englisch passiert ist. Natürlich hätte ich mit meiner Prüferin abklären können, wie das alles ablaufen wird - aber nein. Ich komme nicht auf die Idee, um Hilfe zu fragen.

"Exhaustion: We know that the acquisition of ToM skills can be delayed in those with Asperger's syndrome, and that over time they can eventually achieve advanced ToM abilities. However, we also need to recognize the degree of mental effort required by people with Asperger's syndrome to process social information. (...) One of my clients has an excellent phrase to describe her exhaustion from socializing. She says, I'm all peopled out."

Diesen letzten Ausdruck muss ich mir unbedingt merken, denn das ist genau eines meiner Probleme - ich halte nicht so viele Menschen aus, und muss mich danach erstmal erholen, und das trifft auch enge Freunde.

All' diese Probleme, die auftreten können, stehen also in einem Zusammenhang mit einem ToM-Defizit - und dann sagt die Ärztin, der gegenüber ich mich zweimal eine Stunde lang "zu" normal verkauft habe, dass es in der Theory of Mind bei mir nun wirklich überhaupt keine Probleme gebe.

Langsam wird es Zeit für eine zweite professionelle Meinung.

post scriptum: Dieses Aspi-Handbuch ist echt großartig, es ist vollkommen übersichtlich, arbeitet alle Bereiche des AS ab, mit Symptomen und immer einer ganzen Reihe von Hilfen, Trainings und ähnlichem für Eltern, Lehrer und Mitmenschen. Ich bin begeistert.

Freitag, 8. Mai 2020

"Atmen Sie eine Tasse Kaffee aus!"


Es ist immer wieder ein Abenteuer, am frühen Freitagnachmittag auf dem Kieler Ostring oder B76/Theodor-Heuss-Ring/Olof-Palme-Damm mit dem Auto unterwegs zu sein. Selbst in Zeiten von Corona Släsch Zuhausebleiben ist dort die Hölle los und man muss mit Stau und Geschiebe rechnen. Doch auch wenn diese Straßen frei sind, gibt es dort bemerkenswerte Verkehrsteilnehmer.

Meistens fahren sie zu schnell, manchmal drängeln sie mich oder überholen mich rechts (das Fahrverhalten mancher Menschen lässt glauben, sie hätten nicht gelernt, dass man das nicht darf). Wenn dann jemand hinter mir mit Lichthupe arbeitet oder ich einen genervten Verkehrsteilnehmer überholen sehe, dann könnte ich mich aufregen - mache ich endlich so gut wie nicht mehr. Ich bin einen großen Schritt weiter als damals noch im Beitrag Entschleunigung.

Ich denke jetzt nämlich anders. Ich versuche zu verstehen, dass die Menschen, die sich so verhalten, Probleme haben. Sie müssen dringend irgendwohin, sie sind zu spät aufgestanden oder sie sind einfach uneingedenk ihrer eigenen Fehler. Das gibt es überall und ist ein wunderbarer Impuls für die Praxis des Tonglen, die Praxis des "Nehmens und Gebens im Wechsel".

Konzentration auf die Atmung ist in jeder Meditation sehr wichtig. Bei'm Einatmen denken wir an alle Menschen, die diese Probleme haben, diesen Stress, die Belastung, und wir nehmen es von ihnen. Wir atmen ihren Stress ein, ihre Genervtheit und was es noch an Problemen der Mitmenschen gibt. Bei'm Ausatmen senden wir etwas, das ihnen Freude bringt, ein Glücksgefühl, und das muss keine große Sache sein - vielleicht ist es einfach nur eine wärmende Tasse Kaffee. Daran denken wir bei'm Ausatmen - auch Pema Chödrön erklärt es unten im Video. Kann ich empfehlen, es wirkt!

Und für Dich, die große Buba, atme ich Keksteig aus ;-)

post scriptum: In dieser Woche habe ich eine zehnte Klasse auf den MSA Englisch vorbereitet, und mir ist so sehr bewusst geworden, wie es mir fehlt, in der Mittelstufe zu unterrichten. Ich habe wirklich Probleme, zu den Lütten den richtigen Draht zu finden. War eine schöne Erfahrung, diese Vorbereitung.

Mittwoch, 6. Mai 2020

Troilus und Kresse? Da!

Ein neuer Mitbewohner

Mit einem ganz grausigen Wortspiel auf die antike Geschichte von Troilus und Cressida (Homer dürfte sich im Grabe herumdrehen, Chaucer und Shakespeare drehen sich mit) beginnt also eine Nachricht nach einer Woche Funkstille; ich muss diese Beiträge endlich wieder in so etwas wie einen geregelten Tagesablauf integrieren, der auch Tiefkühlessen enthält. Oder überhaupt irgendein Essen.

Vielleicht sogar mit selbstgezüchteter Kresse; die erobert mittlerweile mein Küchenfenster, ist am oberen Rahmen angekommen und wird bald durch die Außenwand brechen (wird dann wieder Zeit für einen Katastrophenthriller mit einer dicken Frau auf einer Parkbank, die Sahnetorten mit Kresse einatmet). Dabei esse ich gar keine Kresse, und obwohl ich mir vor einigen Wochen vorgenommen hatte, Kresse für den eigenen Verzehr zu züchten, hatte das Ganze einen völlig anderen Hintergrund.

Ein Haustier.

Ich schaue zur Zeit endlich etwas konsequenter die Serie Mr. Robot, und die Hauptfigur wird als Mensch mit Sozialphobie beschrieben - gleichzeitig realisiert er aber, dass er sich zuhause nicht mehr allein fühlen will. Das war in meinem Kopf erstmal nur sehr schwer vereinbar - gleichzeitig Menschen um jeden Preis meiden zu wollen, sich aber trotzdem schmerzhaft allein zu fühlen. Liegt möglicherweise einfach nur daran, dass ich selbst als Sozialphobiker (oder Schizoider, who knows?) keine Einsamkeit verspüre. Auch kein Alleinsein.

Und wenn dann einmal ein Mensch hier zu Besuch war, brauchte ich immer wieder eine Pause danach, Ruhe von Kontakten jeglicher Art. War nicht leicht für meinen ersten Freund, dass ich nach einem gemeinsamen Abend jedesmal mehrere Tage Abstand brauchte - und ist mir immer noch unangenehm, wenn jemand auf ein Gespräch vorbeikommen möchte, dass ich dann irgendwann nach einer halben Stunde oder so sagen möchte "Okay, können wir bitte Schluss für heute machen, mir reicht's gerade..."; das gilt auch für die große Buba, die ich zwar hochdosiert ertragen kann, auch täglich, aber auch da gilt, dass ich nach zwei oder drei Stunden lieber allein sein möchte.

Hin und wieder habe ich überlegt, ob ich ein Haustier haben möchte, und wenn ja, was ich dann gern hätte. Ich war immer begeistert von der Idee, eine Katze zu haben, aber ich bin allergisch gegen Katzenhaare - und selbst eine Katze ist mir zu pflegeintensiv, ich kann dafür nicht die Verantwortung übernehmen, ich würde die Katze vernachlässigen und es nicht einmal merken. Und sie rempelt mir meine Sachen in der Wohnung um. Also lieber den Nerdklassiker, ein Goldfisch mit dem Namen Sushi im Glas (die Idee ist noch nicht vom Tisch), oder eine Schlange.

Oder eben doch kein Tier, sondern wieder einmal eine Pflanze. Kaum zu glauben, aber Chuck die Pflanze im Bad lebt immer noch, wuchert mittlerweile um die ganze Waschmaschine herum, und auch das achtarmige Monster, das mir damals in den Kronshagener Bergen die Bücherregale umarmt hat, hat es sehr lange mit mir ausgehalten.

Also Kresse. Tausend winzige Samen in diese Anpflanzerde von IKEA, und wochenlang passiert nichts. Kaum Sonnenlicht. Klar, einer der Hauptgründe gegen eine Pflanze war für mich immer, dass ich es in meiner Wohnung gern dunkel habe - aber auf der Küchenbank konnte ich die Pflanze so arrangieren, dass das Rollo davor heruntergezogen werden kann - Dunkelheit in der Wohnung, Sonne für Troilus und Kresse? Da! (TuKD).

Und nach ein paar Wochen ging es dann auch endlich los, und es haben nur drei Samen gekeimt, einer von denen erinnert mittlerweile allerdings an eine Liane im Urwald. Nur weiter so! Und damit es TuKD nicht langweilig wird, habe ich daneben noch so einen Pflanzerdewürfel gestellt, diesmal mit Zitronenmelisse. Die sollte nach zweiundzwanzig bis dreißig Tagen keimen - nach fünf Tagen war bereits alles grün, und ich bin mal gespannt, was daraus wird, und ob mir dafür auch ein völlig unpassender Name einfällt. Ich nehme auch gern Vorschläge an - ich setze sie zwar selten um, aber "große Buba, dicke Tuba" beweist, dass ich auch mal was von meinen Mitmenschen übernehme, also seid kreativ!

Tja... und irgendwie bin ich nun doch ganz froh, Lebewesen in meiner Wohnung zu haben, die nicht allzu anspruchsvoll sind, bei denen sich aber trotzdem "etwas tut". Hätte ich ein Problem damit, wenn sie alle plötzlich verfaulten und ich sie rauswerfen müsste? Wahrscheinlich würde ich das nicht einmal mitbekommen...