bingewatching |
Falls da draußen irgendein fettschneckiger Serienjunkie das hier liest, wird er Folgendes schon längst wissen: Im Zeitalter des Streaming können Serien eine echte Gefahr für den Alltag eines Singles darstellen. Früher, in meiner Jugend, musste ich eine Woche warten, bis ich endlich die nächste Folge The X-Files oder Ally McBeal oder Diagnosis:Murder schauen konnte - heute gibt es das, was man allgemein binge watching nennt: Eine Folge nach der anderen, viele Streamingdienste lassen noch nicht einmal den Abspann der gerade gesehenen Episode durchlaufen, sondern bieten die Möglichkeit, direkt zur nächsten Folge weiterzuspringen. Und so stellt man sich irgendwann die Frage: "Habe ich jetzt gerade zwei Folgen gesehen? Oder waren es doch eher fünf? Wo ist der ganze Tag hin? Ich wollte doch eigentlich..."
Denn Serien können richtig süchtig machen - man möchte wissen, wie es weitergeht, was mit den Figuren passiert, die man vielleicht schon liebgewonnen hat - oder hasst; vielen Fans geht es so, dass sie die Charaktere ihrer Lieblingsserie bald besser zu kennen glauben als die Macher selbst.
Das ist einer der Vorteile einer Serie gegenüber einem feature film: Mehr Zeit, die wichtigen Figuren dreidimensional zu gestalten, mehr Zeit für Hintergründe, mehr Zeit für Charakterdynamik. Mehr Zeit für Nebenplots, mehr Zeit, einzelne Szenen für den puren Genuss einzustreuen. Ich bin kein großer Serienfreund, ich bevorzuge "kurze", abgeschlossene Filme, aber ich habe einen netten Kompromiss entdecken können - Miniserien, die meist aus einer abgeschlossenen Staffel bestehen, eine abgeschlossene Geschichte erzählen, ihre Figuren ausgestalten können, ohne sich dabei in Unendlichkeiten zu verlieren und eine Staffel an die nächste zu reihen.
Ich hätte mir das so sehr für die deutsche Hörspielreihe Gabriel Burns gewünscht. Sie mag zwar keinen Preis für Originalität gewinnen, aber sie war (und ist) atmosphärisch dicht umgesetzt, hat spannende Plots - und war ursprünglich auf fünfzehn Episoden konzipiert. So hat man in den ersten Episoden viele Handlungsstränge aufgespannt und ich hatte, als es unübersichtlicher wurde, immer die Gewissheit, dass bald alles zu einer Art Schluss führen wurde. Leider hat das Team um den Produzenten Volker Sassenberg gemerkt, dass man hier eine cash cow geschaffen hat, die man noch etwas weiter melken konnte, und so wurde die Serie endlos, mit späteren Folgen, die sich in die Länge ziehen, ohne viel Plot zu bieten, und ich habe irgendwann abgebrochen, mein Interesse war weg.
Ich habe jüngst die Serie Mr.Robot zu Ende geschaut, und auch da hatte ich den Eindruck, als wäre sie idealerweise als Miniserie konzipiert worden; besonders die dritte Staffel wirkte auf mich in die Länge gezogen. Bleibt dennoch dabei, dass ich die Serie gut fand, und einige Momente ganz herausragend.
Anders ist es übrigens bei sogenannten Anthologie-Serien - hier erzählt jede Episode eine abgeschlossene Geschichte, es gibt keine cliffhanger, man kann theoretisch nach jeder Folge eine Pause einlegen. Beispiele dafür wären The Twilight Zone, The Outer Limits, Tales from the Crypt oder Black Mirror.
Ich möchte in diesem Beitrag ein paar Anregungen für Miniserien geben, falls jemand von Euch Lust bekommt, sich auf eine schöne Geschichte einzulassen, die sich nicht über hunderte Episoden hinzieht, und ich freue mich auch, falls Ihr Anregungen habt.
Sharp Objects (2018) erzählt von einer Reporterin, die über ein vermisstes Mädchen in ihrer Heimatstadt berichten soll - und damit ihre eigene Kindheit aufarbeiten muss, als sie ihre Mutter nach langen Jahren wiedertrifft. Sehr schwarzer Humor, spannend, düstere Südtstaatenatmosphäre, ein toller Soundtrack und zwei brillante Schauspielerinnen in Amy Adams und Patricia Clarkson können erklären, warum diese Miniserie mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. [acht Episoden je fünfzig Minuten]
Twin Peaks: A Limited Event Series (2017), auch bekannt als dritte Staffel der Kultserie Twin Peaks (1990-92) führt die damals mit einem intensiven Cliffhanger abgebrochene Serie ganz logisch weiter. Damals ging es um den Mord an Laura Palmer, witzig, idiosynkratisch, schräg und spannend. Regisseur David Lynch hat sich in fünfundzwanzig Jahren weiterentwickelt, und so hat diese neue Staffel stilistisch nur noch wenig mit den vorherigen gemein. Das soll keine Wertung sein; diese neue Staffel, die von der renommierten Zeitschrift Cahiers du Cinema als bester "Film" des Jahrzehnts ausgezeichnet wurde, ist qualitativ hochwertig. Langsam, düster, spannend, witzig - wenn man Lynchs Humor versteht. Ein echtes Meisterwerk, aber nicht für jedermann. Wer Mulholland Drive (2001) und Inland Empire (2007) mochte, dem könnte diese Miniserie, die sich mit Special Agent Dale Coopers Rückkehr nach Twin Peaks beschäftigt, richtig gut gefallen. [achtzehn Episoden je sechzig Minuten]
The Haunting of Hill House (2018) ist die neueste und meiner Meinung nach beste Verfilmung von Shirley Jacksons Romanvorlage - und das will etwas heißen, wenn man bedenkt, dass der Wise-Film aus den Sechzigern ebenfalls großartig ist. Regisseur Mike Flanagan hat hier ein kleines Kunstwerk geschaffen, dass von Kritikern als essential viewing bezeichnet wird - wer also gothic horror mag, ohne Blut und Zeugs, der kann sich hier wohlfühlen. Die Serie ist deutlich anspruchsvoller als alle bisherigen Verfilmungen, und das macht sie zu einem Genuss. Die Handlung erstreckt sich nur über wenige Tage, wird aber je Episode mit dem Fokus auf einer anderen Hauptfigur gezeigt - und wechselt zwischen der Vergangenheit, in der die Crain-Familie im unheimlichen Hill House aufgewachsen ist, und der Gegenwart, in der wir erleben, was aus den Kindern von damals geworden ist - wie sich die damaligen Erlebnisse auf ihr Leben als Erwachsene auswirken. Das bedeutet, dass es hier nicht nur um Horror geht, sondern um ein packendes Familiendrama, das technisch dem state of the art entspricht. Ich bin begeistert. [zehn Episoden je vierzig bis siebzig Minuten]
The Terror (2018/19) war ursprünglich eine Romanverfilmung um eine Crew und ihr Schiff Terror, die bei einer versuchten Überfahrt vor über hundert Jahren in's Treibeis gerät und dort festfriert. Das Drama zeigt, wie die Menschen mit dieser aussichtslosen Situation umgehen. Die zehn Episoden der ersten Staffel drehen sich darum; die zweite Staffel The Terror:Infamy spielt zu Weltkriegszeiten und stellt eine klassische japanische Geistergeschichte mit einer tragischen Vorgeschichte dar - beide Staffeln sind atmosphärisch dicht umgesetzt, und wenngleich die zweite Staffel sich manchmal allzu bekannter Horrortropen bedient, hat sie mir sogar etwas besser gefallen, weil ich zu period dramas nur selten den richtigen Zugang finde. [je Staffel zehn Episoden je fünfzig Minuten]
Weinberg (2015) kann man als deutschen Abklatsch von Twin Peaks bezeichnen, denn die Parallelen sind offensichtlich: Die lokale Weinkönigin im urigen Örtchen Kaltenzell wird ermordet und eine enigmatische Figur versucht, den Fall zu lösen und trifft dabei auf allerlei schräge Charaktere und Abgründe hinter der bürgerlichen Fassade. Allerdings ist es ein technisch einwandfreier und sehr atmosphärischer Abklatsch, und deswegen kann ich diese kurze Mysteryserie sehr empfehlen. [sechs Episoden je fünfzig Minuten]