Samstag, 30. Mai 2020

Feuerwerks-Psychologie (Seelenstriptease?)


Je weiter ich in dem Handbuch über das Asperger-Syndrom vorankomme, umso mehr Puzzleteile fallen an ihren Platz. Und es fallen auch Puzzleteile hervor, die ich bis dahin weggeschlossen glaubte - es kommen Erinnerungen an die Kindheit wieder, obwohl ich in den letzten Jahren immer wieder davon überzeugt war, dass ich mich nicht an meine Kindheit erinnern könne. Einige Dinge bleiben immer noch weggeschlossen, oder zumindest verschwommen, wie zum Beispiel der Moment, in dem ich als Teenager im Supermarkt von einem älteren Mann sexuell belatschert wurde. Andere Momente kann ich dagegen kristallklar vor meinem geistigen Auge sehen.

Einer dieser Momente, da war ich noch ein Kind, und es war Silvester. Ich habe Feuerwerk geliebt. Ich fand es so aufregend, die einzelnen Feuerwerkskörper so studieren, wie sehen sie aus, wie funktionieren sie, wo läuft die Zündschnur entlang, welche Effekte würden wohl herauskommen. Jeden einzelnen Feuerwerkskörper hatte ich bis zum Silvesterabend intensiv begutachtet. Wie das nun mal so ist, wenn ein Aspi sich für eine Sache interessiert.

Und dann ging es ans Zündeln. Ich war damals noch klein und traute mich nicht nach draußen, wo so viele Menschen stehen und es knallt laut herum - ich war sehr schreckhaft. Also habe ich mich an's Küchenfenster gesetzt, und mein Papa hat draußen das Feuerwerk gestartet. Und somit konnten meine "Feuerwerksstudien" schließlich zu ihrem Abschluss gebracht werden, jeder Feuerwerkskörper einzeln, und nacheinander.

Dann kam mein Papa auf die Idee, in der linken Hand einen Silberregen und in der rechten Hand einen Goldregen gleichzeitig zu entzünden und dann mit den leuchtenden Fontänen Muster in die Luft zu malen. Das sah richtig toll aus - aber ich fing an zu weinen, eine Mischung aus wütend, traurig und hilflos, denn ich war vollkommen überfordert. Zwei unterschiedliche Feuerwerksteile gleichzeitig, das ging absolut nicht! Ich kann mir doch nur eins zur Zeit anschauen, und dann verpasse ich das Andere und dann ist es futsch und die ganzen Studien vorher waren umsonst. Das war ein wirklich schlimmer Moment - es muss einen Grund haben, dass er mir so lebhaft in Erinnerung geblieben ist.

Objektiv betrachtet: Überforderung kann bei Aspis leicht auftreten - sehr leicht. Weil sie sich nur auf eine Sache zur Zeit intensiv stürzen können. Gerade junge Aspis wissen dann nicht, wie sie mit der Überforderung umgehen sollen, und nicht selten fangen sie an, herumzuschreien oder bitterlich zu weinen - bei Schülern dann auch mitten im Unterricht, und Lehrkräfte, die sich nicht mit Aspis auskennen, sind dann oft hilflos.

Endlich verstehe ich diesen Feuerwerks-Moment von damals richtig.

post scriptum: Mittlerweile bleibe ich zum Feuerwerk wieder in meiner Wohnung. Ich habe einen guten Blick über die Hamburger Chaussee, kann das toll sehen, und leider gehen junge, alkoholisierte Männer (und Frauen) mit Feuerwerkskörpern nicht immer sehr verantwortungsvoll um. In den letzten Jahren durfte ich immer wieder beobachten, wie Raketen aufeinander losgelassen werden, und dann die Saufköppe noch darüber lachen, wenn man jemanden getroffen hat. Ich komme mit alkoholisierten Menschen nicht klar. Deswegen habe ich mit Alkohol vor ein paar Jahren aufgehört - aber das ist ein anderes Thema.

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