Samstag, 6. April 2019

Suspiria einmal anders

Diesmal wird auch richtig getanzt!

Spoilerwarnung!

Ich habe lange auf diesen Moment gewartet. Den Moment, in dem ich einen Blogbeitrag schreiben kann zu Luca Guadagninos Suspiria (2018); jetzt ist der Moment da, und ich fange an zu schreiben, und realisiere gleichzeitig, dass ich erstmal eine Meditation brauche, um das zu durchdenken.

Wer mich kennt, weiß, dass Dario Argentos Suspiria (1977) zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt. Ich habe ihn mittlerweile unzählige Male gesehen, in diversen Sprachen, und habe jetzt endlich eine tolle Bluray-Edition gefunden. Naja. Vor zwei Jahren. Und natürlich habe ich auch hier im Blog über diesen Horrorfilm geschrieben, der sinistre Machenschaften in einer Tanzschule aufdeckt - da haben Hexen ihre Hand im Spiel.

Als ich dann vor ein paar Jahren gelesen hatte, dass ein Remake in Arbeit ist, war ich zunächst misstrauisch. Wozu ein Remake? Kann doch nur schlechter werden, denn das Original ist ein Meisterwerk. Dann habe ich erfahren, dass es eher eine Neuinterpretation werden soll, nicht so sehr ein Remake. Die grundlegende Story in einem völlig neuen Gewand - und da bin ich dann aufmerksam geworden. Denn das könnte doch ganz interessant werden.

Dann die ersten Kritikermeinungen zu Guadagninos Film - polarisiert sei eine Untertreibung, hieß es in den Zeitungen. Und damit war ich dann wieder misstrauisch. Ich musste allerdings erstmal weiter warten: Ich wollte den Film beim ersten Mal ganz allein genießen, und mit der Original-Tonspur. Unverfälscht. Und das bedeutete, entweder auf die Bluray oder Amazon prime zu warten. Nun denn, heute war es dann endlich so weit, und ich habe mir den neuen Film angesehen. Misstrauisch, zunächst, und wer das Original kennt, muss sich tatsächlich erstmal komplett umstellen. Aber dann bin ich doch positiv beeindruckt worden. Ein sehr schöner Film mit Schwächen, und so völlig anders als das Original.

Es kommt fast darauf hinaus, dass nur die Namen es in den neuen Film geschafft haben. Noch immer leiten Miss Tanner und Madame Blanc die Tanzschule, im Auftrag der Direktorin Helena Markos. Aber das war es dann auch schon mit den Geeinsamkeiten.

Das Setting des Films wurde komplett verändert. Während Argentos Film in Freiburg spielte und vollkommen zeitlos war, so ist der neue Film in Berlin angesiedelt, zur Zeit der Teilung, Baader-Meinhof und so. Und ich muss zugeben, das habe ich als Schwäche des Films erlebt: Es wird versucht, unsere deutsche Geschichte mit der Tanzakademie zu verknüpfen, und es klappt einfach nicht. Die Einblendungen von authentischen Fernsehnachrichten sind nett gemeint, aber irgendwie hat mich das alles irritiert.

Susie Bannion, die "Heldin" der Geschichte, beginnt ihr Abenteuer im Original in einer surreal ausgeleuchteten Flughafenhalle - die heutige Susie steht am U-Bahnhof Pankstrasse, grau, trüb, und die Titeleinblendung könnte unauffälliger kaum sein. Hier hat Guadagnino einen Stilbruch gewagt; während Argento seinen Film mit den Farben Rot, Grün und Blau geflutet hat, ist in der neuen Version alles in einem Herbstgrau und Dauerregen verschwunden. Die visuelle Extravaganz von damals erhofft man sich hier scheinbar vergeblich.

Ich sage "scheinbar", denn was hinter den Türen der Tanzakademie stattfindet, ist ein wahrer Genuss. Während Argento das Thema "Tanz" trotz seiner Location nur ansatzweise angekratzt hat, geht es in dem neuen Film tatsächlich um's Tanzen. Die New York Times hat geschrieben: "...finally a movie that gets dance right." Mir ist bei den tollen Tanzszenen durch den Kopf geschossen, dass der Film der Sannitanic gefallen könnte, denn sie weiß das sicher zu schätzen.

Am eindrucksvollsten in der Neuverfilmung ist zweifelsohne Tilda Swinton in der Rolle der Madame Blanc. Ich liebe Swinton! Sie hat den Mut zu ungewöhnlichen Rollen, und sie hat aus lauter Jux und Dollerei in diesem Film eine weitere, zentrale Rolle übernommen - die des alternden Psychologen Josef Klemperer. Unter Tonnen von Makeup merkt man, wie sehr Tilda Swinton die Schauspielerei liebt.

Inhaltlich hat mich angesprochen, wie Guadagnino einen Diskussionspunkt des Originals zum zentralen Thema seines Films gemacht hat. Im alten Film verlässt Susie Bannion am Ende die Tanz Akademie (sic), die in Flammen aufgeht, und ein seltsames Lächeln ziert ihr Gesicht. Das hat zu unzähligen Interpretationsversuchen geführt, die darauf abzielten, dass Susie Bannion vielleicht selbst eine Hexe sein könnte. Guadagnino lässt diese Möglichkeit im neuen Film jedenfalls offen, und als Madame Blanc und Susie dann anfangen, telepathisch zu kommunizieren, entspinnt sich eine faszinierende Bindung zwischen diesen beiden Charakteren.

Argentos Film war berüchtigt für seine Mordszenen, und ist lange Zeit auf dem Index gewesen. Dabei werden gar nicht viele Menschen umgebracht, aber die Eingangsszene des Films war damals intensiv und ausführlich, da reichte es nicht, dass Pat Hingle einmal mit einem Messer erstochen wurde, sondern unzählige Male, bis dann schließlich ihr Herz in der Brust offenlag und das Messer in Großaufnahme darin versenkt wurde, und schließlich wurde Pat dann mit einem Telefonkabel in der Hotellobby erhängt. Ein atemberaubendes set piece, und wie ist Guadagnino da rangegangen?

Argento hat damals ziemlich erfolgreich auf Schocks, auf Angst und surreales Flair gesetzt. Die Neuverfilmung hat ebenfalls ein, zwei grausame Szenen dabei, die aber nicht die Intensität des damaligen Films erreichen. Sicher, gen Ende erwartet uns eine Szene, in der Körperteile und Blut durch die Gegend fliegen, aber eben erst nach zweieinhalb Stunden.

Und das ist ein weiterer bemerkenswerter Unterschied. Argento brauchte für seinen auf Zelluloid gebannten Alptraum knapp einhundert Minuten; Guadagnino hat dagegen fast eine ganze Stunde draufgelegt, um seinen Plot unterzubringen. Ja, Plot. Denn das hatte das Original so gut wie gar nicht; hier mag es ein bisschen zuviel sein, gerade in den "politischen" Szenen, aber es ist schön, wie sich Susies Karriere in der Tanzschule entwickelt.

Ein nettes Augenzwinkern an das Original ist der Umstand, dass der Film Gebrauch von mehreren Sprachen macht; Deutsch ist selbsterklärend, wenn man bedenkt, dass es um eine Tanzschule in Deutschland geht, Englisch wird meistens bei der Kommunikation zwischen Lehrerinnen und Schülerinnen verwendet, und aus irgendeinem Grund (den ich jetzt mal verschweige) kommt auch noch Französisch hinzu. Was das mit dem Original zu tun hat? In den Siebzigern war es in italienischen Filmen Gang und Gäbe, dass jeder Schauspieler am Set seine Muttersprache gesprochen hat und das Ganze dann am Ende eine neue Tonspur bekam.

Ich muss zugeben, ich habe es sehr genossen, herauszufinden, wer Deutsch als Muttersprache hat und für wen es eine Fremdsprache ist. Ja, in diesem Film wird recht viel auf Deutsch geredet.

Ich muss Schluss machen. Ich freue mich, dass die Neuverfilmung einen ganz anderen Weg gegangen ist als das Original, dass die Themen Mutterschaft und Feminismus angeleuchtet werden. Swinton ist wunderbar, aber auch Dakota Johnson in der Rolle der Susie ist überzeugend. Oh, und als kleines Leckerli gibt es auch einen kurzen Auftritt von Jessica Harper, die vor vierzig Jahren die Susie gespielt hatte. Und auch heute noch hat sie diese Mangaaugen und das tolle Lächeln.

Mal schauen, ich muss mir den Film ein zweites Mal anschauen, diesmal aus lauter Neugier auf Deutsch. Meine Befürchtungen haben sich zerstreut, ich finde die Neuverfilmung wirklich gut.

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