Mittwoch, 8. November 2017
Auf Entzug: Wenn der Affe klopft
Das gab es schonmal, aber heute ist etwas anders, für die Raucher unter den Lesern. Da ich selbst nicht rauche, ist die Gefühlsbeschreibung ein Schuss in's Blaue, aber ich versuch's mal. Und auch Nichtraucher sollten das lesen!
Schulschluss, puh, endlich fällt die Tür hinter mir in's Schloss und ich schalte ab. Die 8a war heute echt unruhig, sonst hab' ich die so gut im Griff, aber die wollten heute echt nicht. Und meine letzte Stunde ist irgendwie anders gelaufen, als ich mir das vorgestellt hatte, das war nicht rund. Ich setze mich. Nein, ich haue mich in die Kissen. Erstmal Ruhelage, keine Bewegung, keine Geräusche. Erstmal eine Zigarette, und während ich die rauche, denke ich nach. Ein Zug... und ich lasse die Stunden Revue passieren. Warum hatte Claudia heute plötzlich die Haare kurz rasiert? Ob das die Klasse so in Unruhe gebracht hat? Noch ein Zug, und ich schaue die gegenüberliegende Wand an. Der Verkehr rauscht vorbei und tut gerade ganz gut, hilft, dass ich mich nicht vollkommen tot fühle. Und David, der ist spannend, der zieht irgendwie sein eigenes Ding durch... ein Zug...pffhhhhhhh......ich könnte mir vorstellen, dass der hochbegabt ist, und es erkennt nur niemand. Das würde alles passen...mist, die Asche ist auf der Schulter gelandet und rollt herunter, ich habe das Abklopfen vergessen. Ist aber gerade so ein richtig schöner Flow aus Zigarettenrauch, Nochmal-Erleben der Schulstunden und Runterkommen für die Aufgaben, die noch anstehen...
So in etwa kann es gehen, oder? Wenn noch Zigaretten da sind - fuck, ich wollte doch am Kiosk auf dem Heimweg ne Schachtel Kippen holen, ich klopfe die Jackentaschen ab, links das Portemonnaie, rechts die Schachtel, wie immer, nur ist die Schachtel leider leer. Ach scheiß, und der Zigarettenautomat unten an der Straße nimmt nur Bargeld, bisschen genervt bin ich jetzt schon, weil die 8a halt echt unruhig war, scheiße, passt jetzt genau in meinen Tag, dass auch noch die Zigis alle sind, und ich werde nervös, bin einfach nicht mehr gelassen, sollte mich auf andere Sachen konzentrieren, aber weil ich sehe, wie meine Hände fahrig werden, und weil ich merke, wie ich ein bisschen in's Schwitzen komme, werde ich immer wieder daran erinnert, dass ich keine Zigarette zur Hand habe, und ich schaue mich in der Wohnung um, als könnte ich durch Drehung des Kopfes bewirken, dass plötzlich die Marlboros da im dritten Regal von oben liegen, so wie sonst auch, scheiß, warum hab ich nicht rechtzeitig auf Vorrat gekauft?
Okay, Schluss damit. Ich wollte uns alle nur in die Stimmung bringen, die wir kennen: Wir möchten etwas genießen, wir brauchen etwas, wir haben es aber nicht. Denn von hier aus soll es weitergehen, es geht um das Gefühl, dass wir es wieder bekommen. Schachtel Zigaretten gezogen, endlich wieder in der Hand, endlich wieder in der Tasche, endlich wieder 'ne Stange im Haus, endlich wieder ein bisschen Vorrat, durchatmen. Zurücklehnen. Safe tonight. Kann weitergehen, ein entspanntes Lächeln kommt auf mein Gesicht, die Mundwinkel werden breiter, Augen zu, Blick nach oben, fallen lassen, alles wieder in Ordnung.
Genau darum geht's, und genau das Gefühl hatte ich heute an der Sky-Kasse, aber es hatte nichts mit psychoaktiven Substanzen zu tun. Kein Nikotin, kein Alkohol, nix da, sondern Schwachsinn. Anrempeln. An der Kasse vordrängeln. "Kannst du für mich mitbezahlen?" "Habt ihr gerade Freistunde oder warum seid ihr alle hier?" "Nein, wir haben Schulschluss und warten nur noch auf den Bus."
Ungelogen. In dieser Anstellschlange heute mittag bei Sky hatte ich dieses Gefühl. Diesen Genussmoment. Als sei ich von etwas abhängig, aber zur Zeit auf Entzug ("einen Affen schieben"), und dann bekomme ich wieder einen Rausch. Craving erfüllt. Ich halte in der Hand rechts Wäschestärke und links TK-Pizza und genieße die Schüler, etwa Klasse Sieben, und ich würde ihnen so gern sagen "Ich bin Lehrer."
Mir ist in dieser Anstellschlange bewusst geworden, dass ich wirklich wieder mit Schülern arbeiten will. Es war schön, einen Hauch von school life im Supermarkt zu bekommen.
Thanks for reading.
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