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Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich unten bei'm Bäcker die Menschen, die sich für heute und morgen mit allem eindecken, was man vom Bäcker gebrauchen könnte. Das scheint eine Menge zu sein, denn die Schlange der Menschen reicht bis nach draußen, auf die Straße, im Regen. Sie haben für heute graues Wetter angesagt und eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Feuerwerk in's Wasser fallen könnte.
"Na und? Du hast es doch eh' nicht so mit den Festen und Feiertagen, oder?"
Es ist spannend. So wenig ich Weihnachten nachvollziehen kann, so wichtig sind mir die letzten Tage des Jahres. Silvester bedeutet mir etwas, und ich kann versuchen, das zu erklären, aber das wird vielleicht erfolglos bleiben, denn das ist etwas, was ich selbst nur spüre und vielleicht noch nicht ganz verstanden habe.
Schon als Kind hat sich Silvester für mich irgendwie "besonders" angefühlt. Ich habe das Feuerwerk geliebt; ich tue das immer noch, allerdings bin ich seit ein paar Jahren nicht mehr selbst der große Abfackler. Es liegt daran, dass ich die Effekte mittlerweile kenne. Wenn ich mir heute Abend das Feuerwerk anschaue, werde ich hier- oder dorthin deuten und aufzählen, was das gerade für Elemente sind, die die bunten Lichter erzeugen. Dass ich selbst nichts mehr abbrenne, heißt aber nicht, dass ich es mir nicht gern anschaue, im Gegenteil. Das ist auch einer der Gründe, warum ich jedes Jahr im Herbst, in den letzten zwei Wochen der Saison, einmal in den Hansa-Park fahre, um nach den Achterbahnfahrten im Dunklen zum Abschluss des Abends das dortige Feuerwerk anzuschauen.
Der Silvesterabend ist mir wichtig - und gerade weil er so wichtig ist, möchte ich ihn allein verbringen. Damit ich ihn genau so verbringen kann, wie ich es möchte - damit mir sozusagen niemand dazwischenfunken kann. Das klingt etwas verbohrt. Ist vielleicht wieder eine kleine Nische, die ich mir mit Autisten teile: Wenn der Abend nicht nach meinen Vorstellungen verläuft, werde ich wütend, oder traurig, oder beides. Das weiß ich mittlerweile, und deswegen reserviere ich den Abend nur für mich.
Ich decke mich mit allem ein, was ich brauchen kann. Leckeres Essen (kaum zu glauben, mirabile dictu, aber ich esse etwas an Silvester!), gute Filme, gute Musik. Alles, was ich für eine perfekte Meditation brauche. Denn ich werde nachdenklich. Sehr nachdenklich; das ausklingende Jahr lädt mich ein, über mein Leben nachzudenken. Ich lasse das vergangene Jahr Revue passieren - was sicherlich nichts Besonderes ist, es wimmelt dieser Tage ja nur so von Jahresrückblicken - ich rufe mir in Erinnerung, was Gutes und Schlechtes passiert ist. Und im Schlechten versuche ich das Gute zu sehen. Denn wir neigen dazu, uns eher auf die schlechten Ereignisse zu berufen und dann festzustellen, dass es doch irgendwie ein Scheißjahr war.
Und was haben wir nicht alles an Anlässen dazu! Terroranschläge, eine AfD, die in den Bundestg einzieht, ein komplett verregnetes Jahr, schlechte Ernten, Krieg auf der Welt, eine nicht enden wollende Flüchtlingskrise, schon wieder Arbeitslosigkeit, Betriebskostennachzahlung, ein gebrochener Finger und und und...
...und damit ihr sowas nicht den Abend verhagelt, hat die große Buba eine ganz geniale Methode dagegen: das Glücksglas. Wann immer ihr im Jahr etwas Schönes passiert ist, wann immer sie besonders glücklich war, hat sie dieses Ereignis, ihre Gedanken dazu, auf einen Zettel geschrieben, zusammengefaltet und in ein Glas gesteckt. So hat sie alles Glück über die Monate gesammelt und schaut zum Jahresausklang in das Glas, sie faltet die Zettel auseinander und wird beim Lesen daran erinnert, dass ihr so viel Schönes widerfahren ist. Eine tolle Methode, und ich überlege, ob ich sie im kommenden Jahr ebenfalls anwenden möchte.
Ich denke an Silvester nicht einfach nur über alles nach, was passiert ist, sondern ich versuche, mein eigenes Verhalten im Angesicht all' dieser Ereignisse zu analysieren - zu beschreiben, und schließlich zu beurteilen. Ich gehe mit mir selbst in's Gericht, mit der Frage: "Was möchte ich im neuen Jahr anders machen? An welchen Stellen möchte ich mein Verhalten ändern, im Idealfall zum Besseren wenden?" Ich verbringe an diesem Tag mehrere Stunden mit solchen Überlegungen.
Ich habe letztes Jahr zu Silvester ein kleines Rätsel gepostet und mich darin bei den Menschen bedankt, die ich liebe. Auch heute möchte ich mich bedanken, und zwar bei Euch, meinen Lesern - genauer gesagt: Bei Dir, und zwar genau jetzt, da Du diesen Beitrag liest. Vor bald zwei Jahren habe ich angefangen, diesen Blog zu schreiben. Wenn es Dich nicht gäbe, Dich und Deine Reaktionen, Antworten, Beiträge und Meinungen zu dem, was ich hier fabriziere, dann hätte ich wohl längst das Interesse am Bloggen verloren. Dann hätte ich nach ein paar Monaten aufgehört zu schreiben. Mittlerweile weiß ich, dass es da draußen Menschen wie Dich gibt, die tatsächlich daran interessiert sind, was ich hier zu sagen habe. Das ist ein tolles Gefühl; die Tatsache, dass ich aus einem Arbeitsvertrag nach dem anderen ausscheide, von einer Schule nach der anderen gehe, lässt mich denken, dass mein ganzes Handeln vergeblich ist. Hier im Blog ist das anders.
Ich staune immer wieder darüber, wer alles mitliest. Das erkenne ich nur an den Reaktionen auf die Beiträge, zu denen Du dich vielleicht hast hinreißen lassen, und für die ich sehr dankbar bin. Ich habe einst darüber geschrieben, wie toll es ist, Fußspuren im Leben anderer Menschen zu hinterlassen, und dieser Blog belegt mir quasi, dass es wirklich so ist.
Danke für Dein Interesse. Danke für Dein Feedback. Danke, dass Du mir das Gefühl gibst, etwas Sinnhaftes zu tun. Ich hoffe, dass es auch in Deinem Leben diese "Reflektoren" gibt, die Dir zeigen, wofür Du das alles machst. Ich wünsche Dir für das neue Jahr genügend Gesundheit, das Leben in vollen Zügen genießen zu können; worauf wartest Du? Ich habe mit dem Genießen viel zu lange gewartet, habe mir immer wieder gedacht, dass ich das erst mache, wenn ich einen festen Job habe. Die Tatsache, dass ich aus jedem Arbeitsverhältnis erneut wieder hinausgekickt werde, und das positive Beispiel der Sannitanic haben mir klargemacht, dass ich mein Leben jetzt leben sollte, und nicht in irgendeiner weit entfernten Zukunft.
Mach' Zweitausendachtzehn zu einem großartigen Jahr - zu Deinem großartigen Jahr!
DANKE!!!
post scriptum: Ich denke, die "Berliner mit Senf"-Tradition dürften die Meisten kennen. Nachdem unten die gefühlt kilometerlange Schlange beim Bäcker verschwunden ist, bin ich auch einmal runtergetrottet und habe mir ein paar Teile geholt, allerdings mit den Füllungen, die ich als etwas leckerer empfinde ;-)