Mittwoch, 13. Dezember 2017
"Wo siehst du deine Stärken?"
Vielleicht habt Ihr diese Frage schon einmal gehört. Vielleicht wurde sie Euch selbst ein- oder mehrmalig gestellt. Ich habe gemerkt, dass ich früher anders darauf geantwortet habe als es heute der Fall ist. Das muss noch nicht einmal abhängig sein von der Situation: Bei beiden folgenden Beispielen geht es um Vorstellungsgespräche.
An meiner ersten, hier nicht namentlich genannten (was allerdings nichts mit Respekt zu tun hat) Schule fragte mich die Schulleitung, wo ich meine Stärken sähe. Noch gar nicht auf einen schulischen Alltag bezogen; das wäre Unsinn gewesen, denn woher hätte ich einschlägige Erfahrungswerte ziehen sollen?
Meine Eltern haben mich zur Bescheidenheit und zur Zurückhaltung erzogen, gerade gegenüber Menschen, die ich nicht kenne. Ganz davon abgesehen, dass es eine wunderbare Variante des method acting ist, sich seinem Kommunikationspartner gegenüber dumm zu stellen. Also habe ich mich auch in diesem Gespräch als unerfahren, unterlegen gezeigt (Dinge, die die Schulleitung - wie ich später erfahren habe - generell gern gesehen hat, welch' Alliteration). Ich habe erzählt, dass ich im Englischstudium einigermaßen gute Noten hatte. Ich habe nicht von sozialem Engagement erzählt. Ich habe nicht von sehr guten Noten gesprochen, eigentlich, so meinte ich, wüsste ich gar nicht, ob der Lehrerberuf überhaupt das Richtige für mich ist.
Bis auf den letzten Satz war meine Antwort also geprägt von Unwahrheiten und Understatement. Aber ich habe die Stelle bekommen, denn ich habe schön der Schulleitung nach dem Mund geredet, die - wie ich ebenfalls später erfahren habe - verschlossener gegenüber Kollegen war, die sich als zu selbstbewusst entpuppt haben. Die Frage nach meinen Stärken ist also nicht mit der Absicht einer ehrlichen Antwort gestellt worden.
Nun habe ich also an unterschiedlichen Schulen (und Schularten) ein paar Jahre Erfahrung sammeln können. Ich habe mittlerweile eine recht akkurate Einschätzung darüber, wo meine Stärken und Schwächen im schulischen Kontext liegen. Zumindest habe ich einen Ansatz. So kam es also auch bei einer Bewerbung vor Kurzem wieder zu der Frage: "Wo siehst du deine Stärken?" Und nun, mehrere Jahre nach meinem ersten Vorstellungsgespräch, habe ich ehrlich geantwortet. Bei diesem armseligen Arbeitsmarkt für Lehrkräfte in Schleswig-Holstein muss man sich schmackhaft machen, wurde mir mittlerweile oft genug gesagt.
Ich kann sehr gut mit Menschen arbeiten, habe ich geantwortet. Ich finde besonders guten Zugang zu "schwierigen" Schülern. Ich kann eine gute Vertrauensbasis und daraus resultierende Lehrer-Schüler-Beziehung aufbauen, einer der sehr wichtigen Faktoren für sichtbaren Lernerfolg (wenn man einer gewissen Metastudie glauben möchte; viele konservative Lehrkräfte möchten das nicht). Ich schaffe es, dass Schüler gern in meinen Unterricht gehen, weil ich sie auf eine Reise mitnehmen kann. Ich kann gut schauspielern; nicht zuletzt dadurch erreiche ich in der Regel mein Ziel, dass die Schüler am Ende der Stunde den Unterricht "reicher" verlassen, als sie ihn betreten haben.
Das war ehrlich, und das war ein Fehler. Diese Performance möchten manche Menschen nicht hören, denn das ist zu selbstbewusst. Jemand in einem solchen Outfit kann noch gar nicht die Expertise besitzen, solche Aussagen über seinen Unterricht zu treffen. Das ist vermessen und wirkt unweigerlich arrogant. Kurz zitiert.
Wie also soll ich in meinem (unweigerlich nahenden) nächsten Vorstellungsgespräch antworten, wenn mir diese Frage gestellt wird? Am liebsten würde ich sagen: "Ich bin nicht sehr gut darin, meine Berufseignung selbst herauszustellen. Ich denke, dass sie meine Stärken dem vorliegenden Gutachten entnehmen können; darüber hinaus werden meine bisherigen Schulleitungen ihnen sicherlich eine objektivere Rückmeldung geben können als ich."
Aber das würde Aufwand für die Schulleitung bedeuten. Sie müssten den Text des Gutachtens lesen (und das dauert, und schließlich kann ja jeder alles Mögliche in die Gutachten schreiben), sie müssten Telefonate führen, sie müssten sich noch nach dem Vorstellungsgespräch mit mir als potentiellem Kandidaten auseinandersetzen. Es ist viel angenehmer, wenn man nach zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten Gespräch zu einem Entschluss kommen kann.
Entweder, sie mögen Deine Visage, oder Dein Outfit, oder Deine Art zu reden. Oder sie haben tatsächlich einen Blick für Menschen (wie z.B. die Schulleitung der Nordseeschule in St.Peter-Ording oder der Meldorfer Gelehrtenschule). Es geht hier nicht um Talent.
Ich hasse diese Bewerbungsscheiße.
Abgrundtief.
post scriptum: Und ich HASSE es, mich nach jeder einzelnen Absage wieder erklären zu müssen, wenn es heißt "Oooohhhh, wieso das denn?" Begründungen bekommt man eh' nur unter der Hand. Und sorry, aber mit meinem Outfit sehe ich nicht sozialtauglich aus. So etwas kann kein guter Lehrer sein. Arm, aber ist so.
Außerdem: Thank goodness, dass in Alabama der Demokrat Jones gewonnen hat. Nicht wegen seiner Vita, nicht wegen seines Wahlprogrammes, sondern einfach nur, weil er nicht Moore ist. Das erspart den Republikanern die Peinlichkeit, drei Jahre ertragen zu müssen, dass ein pädophiler Geisteskranker den Senat betritt. Reicht schon, wenn es ein sexistischer, golfsüchtiger Geisteskranker tut. Ich bin stolz drauf, dass die Stimmen der Afroamerikaner endlich wirklich etwas bewirkt haben - denn sie haben den Ausschlag gegeben. Dass drei Viertel der weißen Männer trotzdem für Moore gestimmt haben, lädt mich nicht zu einem Urlaub in Alabama ein. Nicht, dass ich mir das derzeit leisten könnte ^^ Und der nächste USA-Freizeitpark, den ich erobern möchte, liegt eh' in Ohio - mal wieder, aber so isses nun mal. Es gibt eben nur ein "Cedar Point" da drüben.
Und: Ich verbringe heute den Großteil des Tages im Bett, Erkältung oder so, jedenfalls Kopfschmerzen und kaum existenter Kreislauf. Hat jemand von Euch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass es in diesem Zustand nicht ganz so einfach ist, eine faire Klassenarbeit für Schüler zu entwerfen, die man insgesamt nur drei Stunden lang gesehen hat?
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