Was da wohl alles drinsteckt? |
"Und, wie ist es hier so?" fragen mich Kollegen, die sich mir bestimmt schon einmal vorgestellt haben, aber mein Gehirn sagt sich, wenn ich sowieso nur zwei Monate bleibe, muss ich mir keine Namen merken. Eine objektive Antwort kann ich auf die Frage noch nicht geben, das ist meinem Gehirn klar, und deswegen ist das für mich ein unangenehmer Moment: Was antworte ich denn jetzt?
Gehirn denkt: "So ein geiles Sekretariat habe ich bisher nur in SPO erlebt, das rettet mir das Leben. Kollegen sind sicherlich nett, aber da sind so viele neue Menschen, ich möchte am liebsten gar nicht angesprochen werden, ich weiß nicht, wen ich wie grüßen soll, die Schüler sind halt gymnasial. Brav, lieb, nett, melden sich tatsächlich, wenn man eine Aufgabe gibt, bringen mir von sich aus bunte Kreide mit, wenn ich über deren Fehlen jammere - gutes Stichwort, die Schüler jammern wesentlich mehr "Wie sollen wir das schaffen?"-mäßig rum als GemS-Schüler. Bürokratie läuft extrem unkompliziert ab, ich mag zwar, wie man offen miteinander umgeht, aber hab schon einen "hinter dem Rücken"-Moment gehabt und ich kann all' diese Eindrücke nicht unter einen Hut bringen."
Mund sagt: "Die Lerngruppen sind ganz nett. Und irgendwie hätte ich mir das hier spießiger vorgestellt."
Es sind einfach zu viele Eindrücke, die ich alle nur mit Mühe verarbeiten kann (Donnerstag wird zum Meditationstag erklärt). Und natürlich mischt sich eine Angst hinein, dass alles so fake-freundlich sein könnte. Aber das Sekretariat. Das ist so authentisch, das zerstreut diese Angst wieder. Und dann solche Momente:
Ich sitze im kleinen, familiären Lehrerzimmer, versuche, Nepos auf irgendeine Form des Leistungsnachweises herunterzubrechen, und schräg von hinten kommt Herr Schöneich, der Schulleiter, auf mich zu, ach herrje, jetzt sind bestimmt die ersten Beschwerden angekommen und ich habe mal wieder direkt in's Klo gegriffen. Ist in SPO passiert, tatsächlich, als ich etwas zu unbedacht im Unterricht über Suizid gesprochen habe; ich habe damals einen freundlichen Hinweis vom Schulleiter bekommen, mann, war mir das peinlich! Aber da ich ja generell gern unbedacht und naiv bin, ordne ich das "Schöneich-Nahen" ein in die Kategorie "Ist ja schön, dass wir sie jetzt hier haben, aber vielleicht sollten sie dann doch ein wenig mehr auf ihre Unterrichtssprache achten". So in der Art.
Alle diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, vor mir Nepos in der für Schüler ansprechend aufbereiteten Legamus!-Ausgabe, hinter mir der Geniekopf im Anzug. Geniekopf. Ich habe Rainer Schöneich schon während meines Studiums öfters erlebt. Und irgendwie dachte ich schon damals, das wäre ein perfekter verrückter Professor. Ist halt so:
Wo weise Kräfte walten, könn' sich keine Haare halten.
Irgendwann aufgeschnappt und nie vergessen. Und dann drehe ich mich zu Herrn Schöneich um, wir lächeln uns freundlich an, wie man das so macht, er begrüßt mich und gibt mir die Hand - und geht wieder in Richtung seines Büros. WTF? Einfach nur mal Hallo sagen? Ja, das macht er, und das habe ich heute auch nicht zum ersten Mal erlebt. Ich kenne das gar nicht, eine so "aufmerksame" Schulleitung. Das ist halt alte Schule, mit wesentlich mehr Manieren als ich so mit mir herumtrage. Und ich denke direkt wieder an Jay. Auch alte Schule: Als ich ihn besucht habe, begrüßt er mich an der Haustür, wie man das so macht, und nimmt mir dann tatsächlich meine Jacke ab (und hilft mir beim Abschied auch wieder hinein); völlig unbeeindruckt von den zwanzig bis dreißig Zentimetern Größenunterschied, völlig unbeeindruckt davon, dass er ein paar Jahrzehnte älter ist: Er weiß sich zu benehmen und das hat mir mächtig imponiert.
Menschen wie Jay oder Schöneich leben uns Kästner vor:
"Es nützt nichts, unsere Kinder irgendwie erziehen zu wollen; sie machen uns sowieso alles nach."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen