Donnerstag, 7. Dezember 2017

Bewegte Tage

Es darf wieder Latein unterrichtet werden!

Ich habe Arbeit. Es dauert erstaunlich lange, das zu realisieren. Ich jedenfalls habe das noch nicht realisiert. Ich funktioniere momentan einfach nur. Würde ich realisiert haben, dass ich jetzt an einer neuen Schule tätig bin, hätte ich wesentlich mehr schulische Dinge geregelt. Bisher bin ich nur in die Schule gegangen, habe Unterricht gegeben, bin wieder nach Hause gegangen. Videospiele. Offensichtlich ist es an der Zeit, die vergangenen vier Tage zu rekapitulieren.

Oder zumindest gestern und heute - meine beiden ersten Schultage. Ich habe meine Lerngruppen kennengelernt, und sie mich. So wie ich das immer mache: Auf dem Fußboden. Im Sitzkreis, ein bisschen Gemeinschaftsgefühl schaffen. Kann nicht schaden, wenn die normale Sitzordnung das Reihensystem ist. Ich kann damit nicht arbeiten. In meinem Kopf fühlt sich das an wie eine Kriegssituation, Schüler gegen Lehrer, und deswegen mache ich auf diese Weise keinen Unterricht. Deswegen der Sitzkreis zum Kennenlernen, und dann geht es (je nach Praktikabilität) in meinen Stunden in's U oder O.

Ich möchte, dass wir miteinander kommunizieren und arbeiten. Ich möchte nicht etwas vordozieren, was die Schüler dann brav in ihre Hefte übertragen. Ich möchte lebendigen Unterricht haben. Und wenn das bedeutet, dass wir die ersten paar Minuten jeder Stunde nutzen müssen, um die Tische und Stühle umzustellen, dann ist das eben so. Auch wenn ich nur ein paar Wochen an der Schule sein werde, verrate ich nicht meine Prinzipien.

Ich habe ein bisschen gestaunt, dass alle Schüler sich ohne Widerworte auf den Fußboden gesetzt haben, und das, obwohl der recht dreckig war. In allen Lerngruppen. An anderen Schulen war der Fußboden blitzblank, und dennoch haben sich Schüler geweigert, sich hinzusetzen. Naja, eigentlich kann ich an der Kieler Gelehrtenschule einigermaßen brave Kinder erwarten. Ist tatsächlich so. Und die Kinder haben wesentlich mehr Vornamen als an meiner letzten Schule - ob es da einen Zusammenhang gibt? Aber ich räume mit dem Klischee auf, dass an solch' einer Schule nur Streberkinder sind - ganz so schlimm ist es nicht. Und selbst wenn es so wäre, sind sie immer noch Menschen. Und ich möchte mit Menschen arbeiten.

Und nun kommt dieser Lehrer, der immer nur schwarz trägt und ein sehr loses Mundwerk hat, an diese Schule. Ich hoffe, dass ich nicht allzu viel Schaden anrichten werde. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich verhalten soll. Ich weiß nicht, wen ich siezen soll. Das war an der Gemeinschaftsschule so schön einfach, praktisch und sinnvoll, da haben sich alle geduzt, ausnahmslos. Das mag ich, ich habe auch mal etwas dazu geschrieben. Und jetzt bin ich wieder verunsichert.

Und generell verunsichert, und ich traue mich auch nicht, Kollegen anzusprechen, außer zweien, die ich persönlich kenne. Das ist alles so neu, und ich weiß nicht, ob ich mich darauf einlassen soll - wenn es sowieso nur für zwei Monate ist. Es hat an jeder Schule wesentlich mehr als zwei Monate gedauert, bis ich in einen Arbeitsrhythmus gekommen bin. Und die ganzen neuen Eindrücke lassen mich etwas vergessen: "Hey Doc, mach' dir nicht so einen Kopf, ist doch nur für eine kurze Zeit. Nimm's leicht, du kannst nicht viel falsch machen!"

Ich werde gleich meditieren. Und ich werde mich dabei auf die positiven Eindrücke konzentrieren, denn... es macht einfach wieder Spaß, zu unterrichten. Schüler aufzurufen, deren Namen ich nicht kenne, mich an der Tafel zu verschreiben, eine Kopie zu wenig gemacht zu haben, die Eintragungen im Klassenbuch vergessen zu haben - all' das macht Spaß. Klingt kontrovers, aber genau das sind die Dinge, die das Lehrerdasein ausmachen. Das gehört einfach dazu.

Und vielleicht sollte ich die Meditation nutzen, um mir einen Plan zu machen. Jetzt habe ich meine Schüler kennengelernt, jetzt habe ich meine Räume kennengelernt, jetzt fahre ich immer noch mit dem Bus dorthin, weil mir die Gegend zu neu ist und ich mich unsicher fühle, aber das ist okay.

"Wie lange bleiben sie?" - Grundsätzlich ist diese Frage ein Armutszeugnis an unser Bildungsystem, nur so am Rande. Ich weiß nicht, wie lange ich bleibe. Aber es scheint durchaus die Möglichkeit zu bestehen, im zweiten Halbjahr weiterzumachen. Schauen wir mal.

Für mich als Hochbegabten ist das ein tiefer Einschnitt im Leben, und ich komme dieser Tage nicht gut damit zurecht, alle Informationen zu sortieren und den status quo zu sichern. Aber ich versuche es. Und der Spaß mit den Schülern hilft mir dabei; wir haben heute in der Pause festgestellt, dass meine schwarzen Haare eher lila als blau leuchten. Und unabhängig voneinander wurde ich in zwei Lerngruppen gefragt, ob ich Goa höre. Tue ich und staune, dass die Schüler dies auch tun.

Und somit sind diese bewegten Tage nichts Halbes und nichts Ganzes und für mich sehr verwirrend, aber irgendwie wird es schon klappen, da Ordnung hineinzubringen.

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